Küsse unter Kirschblüten – Tokyo Ever After - Emiko Jean - E-Book
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Küsse unter Kirschblüten – Tokyo Ever After E-Book

Emiko Jean

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Beschreibung

Was, wenn du dich in deinen Bodyguard verliebst? Izumis ganz normales Teenagerleben steht Kopf, als sie herausfindet, dass ihr bislang unbekannter Vater kein Geringerer als der zukünftige Kaiser von Japan ist – und sie selbst kaiserliche Kronprinzessin. Als sie nach Japan reist, um das Leben am Hof und ihre Familie kennenzulernen, erwarten sie intrigante Cousinen, eine klatschsüchtige Presse und ihr umwerfend gutaussehender, aber furchtbar ernster Bodyguard, der niemals etwas tun würde, was seine Position gefährden könnte – oder? Doch während Izumi völlig überfordert davon ist, eine gute Figur am Hof zu machen und sich die Paparazzi vom Hals zu halten, ist ausgerechnet er der Einzige, auf den sie sich verlassen kann, Standesunterschied hin oder her … - Hochwertig veredelt mit gestalteten Innenklappen - Royal Romance im angesagten Asien-Setting mit zahlreichen beliebten Tropes wie ›Forbidden Love‹ und ›Grumpy x Sunshine‹Alle Bände von Izumis und Akios Liebesgeschichte:  Band 1: Küsse unter Kirschblüten – Toyko Ever After Band 2: Küsse unter Sternschnuppe – Tokyo Dreaming Die Bände sind nicht unabhängig voneinander lesbar.

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Seitenzahl: 465

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Über das Buch

Der größte Skandal, der dem japanischen Kaiserhaus passieren konnte

Alles verändert sich, als Izumi herausfindet, dass ihr Vater, der nicht einmal von ihr gewusst hat, ausgerechnet der zukünftige Kaiser von Japan ist. Und das wiederum bedeutet, dass Izumi plötzlich kaiserliche Kronprinzessin ist.

Izzy will Japan, das Land ihrer Träume, und ihren neugewonnenen Vater kennenlernen. Aber schnell stellt sich heraus, dass das Leben am imperialen Hof weit mehr ist als Kleider und Kronen. Ebenfalls dazu gehören intrigante Cousinen, die klatschsüchtige Presse, mehr als tausend Jahre Tradition und Geschichte, die Izzy möglichst über Nacht auswendig lernen muss … und ein umwerfend gutaussehender und ebenso umwerfend grimmiger Bodyguard.

Emiko Jean

Küsse unter Kirschblüten

Tokyo Ever After

Roman

Aus dem amerikanischen Englisch von Katarina Ganslandt

 

 

 

 

Für alle Mädchen, die mit dem Herzen entscheiden

TOKYO TATTLER

Sollen dem Verirrten Schmetterling etwa die Flügel gestutzt werden?

4. April 2021

Am gestrigen Samstag fand im zeitlos eleganten Rahmen des New Otani Hotels endlich die lang erwartete Hochzeit von Premierminister Adachi mit Haya Tajima, Erbin eines mächtigen Reederei-Imperiums, statt. Obwohl es für den Premierminister bereits die zweite Hochzeit war (seine erste Gattin verstarb bedauerlicherweise vor einigen Jahren), wurden keinerlei Kosten und Mühen gescheut, um das Ereignis mit einem rauschenden Fest zu feiern. Die Herren erschienen in Smoking und Frack, die Damen in Designer-Roben, in den Kelchen schäumte edelster Dom Pérignon. Eigens zur Hochzeit aus Australien eingeflogene schwarze und weiße Schwäne glitten über die Teiche der kunstvoll gestalteten Gartenlandschaft rings ums Hotel. Unter den geladenen Gästen befand sich die Crème de la Crème der japanischen Gesellschaft sowie beinahe die komplette Kaiserliche Familie. Selbst Kronprinz Toshihito, der Gerüchten zufolge mit dem Premierminister nicht immer auf bestem Fuße steht, gab sich die Ehre.

Letztlich standen dann allerdings weder die Meinungsverschiedenheiten der beiden noch das frisch getraute Paar im Mittelpunkt. Stattdessen waren alle Augen auf den überraschenden Neuzugang in der Kaiserlichen Familie gerichtet: Ihre Kaiserliche Hoheit Prinzessin Izumi – im Volksmund bereits liebevoll »Der Verirrte Schmetterling« getauft – wurde am Abend offiziell in die japanische Gesellschaft eingeführt.

Die Hochzeit bot der Prinzessin Gelegenheit, endlich die Flügel zu spreizen und zum Höhenflug zu starten. Oder wurde es womöglich eine Bruchlandung? Dem festlichen Anlass entsprechend bezauberte die junge Prinzessin bei ihrer Ankunft in einem jadegrünen Seidenkleid sowie Mikimoto-Perlenohrringen und einem dazu passenden Collier aus der Kaiserlichen Schmuckschatulle. Willkommensgeschenke Ihrer Hoheit der Kaiserin. Die Presse war leider nicht zugelassen, aber dem Hörensagen nach handelte es sich um ein Fest der Superlative.

Weshalb aber wurde der Verirrte Schmetterling heute Morgen im Zug Richtung Kyoto gesichtet? Zwar ließ das Kaiserliche Hofamt auf Nachfrage eilig erklären, der Aufenthalt der Prinzessin in der Provinz sei von langer Hand geplant gewesen, doch ist allgemein bekannt, dass die Kaiserliche Katsura-Villa in Nishikyō-ku westlich von Kyoto traditionell der Ort ist, an den Angehörige des Hofes verbannt werden, die in Ungnade gefallen sind. Im vergangenen Jahr etwa verbrachte Prinz Yoshihito einige Zeit dort, nachdem er auf eigene Faust eine vom Hofamt nicht genehmigte Reise nach Schweden unternommen hatte.

Warum hat Prinzessin Izumi den Kronprinzenpalast in Tokyo verlassen? Genaueres weiß niemand, aber der Verdacht, die junge Dame könnte sich in Schwierigkeiten gebracht haben, ist nicht von der Hand zu weisen …

1

Es ist die heiligste Pflicht einer besten Freundin, dich dazu zu überreden, Dinge zu tun, die du normalerweise nicht tun würdest.

»Gib’s auf. Das kriegst du nicht mehr rechtzeitig hin. Keine Chance. Aber du hast es versucht«, sagt oben erwähnte beste Freundin Noora zu mir. »Niemand kann dir vorwerfen, dass du es nicht versucht hättest.«

Stimmt, ich habe wirklich versucht, den Aufsatz über die persönliche Entwicklung der beiden Hauptfiguren aus Huckleberry Finn zu schreiben – exakt fünf Minuten lang. Eigentlich ist Noora ja hier, um mir dabei zu helfen. Ich habe ihr vorhin eine Nachricht geschickt und um moralischen Beistand gebeten. »Lass uns lieber was anderes machen«, sagt sie jetzt. »In den paar Stunden, die dir noch bleiben, schreibst du keinen Aufsatz mehr.« Sie legt den Unterarm an die Stirn, mimt einen Schwächeanfall und lässt sich auf mein Bett fallen.

Noora hat nicht ganz unrecht. Wir hatten vier Wochen Zeit. Heute ist Montag. Dienstag ist Abgabetermin. Ich bin nicht gut genug in Mathe, um auszurechnen, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, es noch zu schaffen, bin mir aber ziemlich sicher, die Antwort lautet: sehr niedrig.

Hallo, Selbst-eingebrockte-Suppe! So sieht man sich wieder, alte Freundin.

Noora hebt den Kopf vom Kissen. »Oh. Mein. Gott. Dein Hund stinkt erbärmlich!«

Ich breite die Arme aus und ziehe Tamagotchi an meine Brust. »Dafür kann er nichts.«

Mein Terriermischling leidet an einer seltenen, nicht behandelbaren Drüsenerkrankung. Außerdem ist er so hässlich, dass es schon wieder rührend ist, und er hat eine eklige Zwangsstörung. Er beknabbert seine Pfoten.

Ich bin mir sicher, dass es meine vom Schicksal auferlegte Lebensaufgabe ist, diesen Hund zu lieben.

»Ich kann den Aufsatz nicht nicht abgeben. Ich brauche die Punkte, um den Kurs zu bestehen«, höre ich mich – zu meiner eigenen Überraschung – sagen. Normalerweise spricht selten die Stimme der Vernunft aus mir. Und sie hat in Nooras und meiner Freundschaft praktisch kaum was zu melden.

Unsere Gespräche laufen meistens so ab:

Noora: *schlägt irgendwas Unvernünftiges vor*

Ich: *zögere*

Noora: *zieht ein enttäuschtes Gesicht*

Ich: *schlage etwas noch Unvernünftigeres vor*

Noora: *strahlt*

Zusammenfassend kann man sagen, dass sie Dinge anzettelt und ich noch eins draufsetze. Noora und ich sind das ideale Team. Wir sind Timberlake und Biel, Edward und Bella, Batman und Robin. Zwei Teile aus unterschiedlichen Puzzleschachteln, die perfekt ineinanderpassen. Noora ist der Mensch, für den ich jederzeit sterben würde, genau wie sie für mich. Und das schon seit der zweiten Klasse, als wir zwei Gemeinsamkeiten feststellten. Erstens: eine etwas dunklere Hautfarbe als die der anderen Kids an unserer kleinen Grundschule in Mount Shasta. Und zweitens: unsere Unfähigkeit, einfache Anweisungen zu befolgen. »Malt eine Blume, Kinder.« Gähn. Warum nicht eine Tiefseewelt, in der kriminelle Seesterne ihr Unwesen treiben und von Delfindetektiven gejagt werden?

Zusammen bilden wir eine Hälfte der Asian Girl Gang – kurz »AGG«. Keine Angst, wir orientieren uns weniger an Straßengangs als an den Golden Girls. Die andere Hälfte besteht aus Hansani und Glory. Unsere Aufnahmebedingungen sind streng und in asiatischer DNA zu entrichten. Im Klartext: Bei uns allen liegt der familiäre Hintergrund im asiatischen Raum – na ja, sehr breit gefasst. Aber wenn man in einer nordkalifornischen Kleinstadt mit rund dreitausend Einwohnern lebt, die entweder in Batikklamotten rumlaufen oder stramm rechts sind und Südstaatenflaggen im Vorgarten wehen lassen, kann man es sich nicht leisten, allzu feine Unterschiede zu machen.

»Echt. Gib es auf.« Noora sieht mich durchdringend an. »Du kannst das Unausweichliche nicht länger rausschieben. Gesteh dir ein, dass du es nicht schaffen wirst. Akzeptiere die Realität und schließe Frieden mit deiner Unvollkommenheit. Lass uns lieber zum Chocolate Emporiumfahren. Vielleicht arbeitet heute wieder dieser süße Typ. Du weißt schon, der Glory so durcheinandergebracht hat, dass sie bei der Bestellung statt Peanutbutter Penisbutter Ice Cream gesagt hat. Bitte, Zoom-Zoom«, bekniet sie mich.

»Ich wünschte, du hättest nie mitgekriegt, dass meine Mutter mich Zoom-Zoom nennt.« Tamagotchi strampelt sich aus meiner Umarmung frei. Es ist kein Geheimnis: Ich liebe ihn mehr als er mich. Er dreht sich ein paarmal im Kreis, rollt sich zusammen und vergräbt seine Schnauze im Po. So niedlich!

»Hab ich aber und ich finde den Namen supersüß«, sagt Noora achselzuckend. »Ich kann dich gar nicht mehr anders nennen.«

»Mir ist Izzy lieber.«

»Stimmt nicht«, widerspricht sie. »Am allerliebsten wäre dir Izumi.«

Richtig. Aber die drei Silben meines Namens sind so oft verunstaltet worden, dass ich in der dritten Klasse beschlossen habe, ihn radikal zu vereinfachen.

»Wenn weiße Amerikaner in der Lage sind, Klingonisch zu lernen, sollten sie auch lernen können, deinen Namen korrekt auszusprechen.«

Wo sie recht hat, hat sie recht. »Stimmt.«

Noora starrt gelangweilt in die Luft. Plötzlich setzt sie sich mit einem Ruck auf und grinst. Ihr Blick hat etwas katzenhaft Listiges. Das ist übrigens einer der Gründe, warum ich ein Hundemensch bin. Katzen ist nicht zu trauen. Die fressen einem die Haut vom Gesicht, wenn man gestorben ist und das Pech hat, nicht gleich gefunden zu werden. (Dafür habe ich zwar keine Beweise, aber ein starkes Bauchgefühl.) »Oder … lass uns lieber doch nicht zum Chocolate Emporium fahren. Irgendwie fühle ich mich heute voll blass und hässlich.«

Jetzt grinse ich auch, weil ich genau weiß, was sie will, und nichts dagegen habe. »Hm«, sage ich. »Würde es helfen, wenn wir uns vorher noch frisch machen?« Tamagotchi spitzt die Ohren.

Noora nickt begeistert. »Zwei Genies – ein Gedanke.« Sie springt vom Bett und sprintet in Moms Schlafzimmer mit dem angeschlossenen Bad aka unser hauseigener Beautysalon. Auf dem verkratzten Waschtisch liegen nämlich wahr gewordene Luxusträume: lackschwarz glänzende Kästchen mit Lidschatten von Chanel, Tütchen mit kaviarhaltiger Feuchtigkeitsmaske von La Prairie, Eyeliner von Yves Saint Laurent. Interessiert sich zufällig jemand für koreanische Pflegeprodukte? Hier findet sich alles, was die Haut begehrt. Kleine Tiegel mit dekadenten Cremes, die eine bessere Zukunft versprechen. Egal, wie trostlos das Leben gerade aussieht – ein Hauch Golden-Goddess-Bronzener genügt und alles wird gut. Daran glaube ich wirklich.

Absurderweise ist Mom sonst alles andere als ein Luxusweibchen. Sie ist praktisch veranlagt, liebt das einfache Leben, fährt einen Kleinwagen und bringt es nicht über sich, Sachen wegzuwerfen, die sich noch anderweitig verwenden lassen. Manchmal habe ich den Verdacht, sie hat mich nur deswegen bekommen, damit ihr jemand hilft, den Kompost umzugraben. Mom ist die Queen of Nachhaltigkeit und recycelt sogar ihre Strumpfhosen. Habt ihr Seifenreste? Super. Steckt sie in eine alte Strumpfhose und verknotet die Enden. Auf diese Weise könnt ihr sie bis zum letzten Seifenatom aufbrauchen. Toll, was? Wenn ich Mom darauf aufmerksam mache, wie heuchlerisch ihre Kosmetiksucht ist, lächelt sie nur und sagt: »Genau das macht meinen weiblichen Zauber aus.« Ich widerspreche nicht. Wir Frauen sind eben komplexe Wesen. Tatsache ist: Kosmetik ist Moms heimliches Laster, und während ihrer Unterrichtszeit als Dozentin im örtlichen Community College schauen Noora und ich gern mal in ihrem Bad vorbei, um Produkte zu testen.

Als ich ins Schlafzimmer komme, hat Noora ein Lipgloss von Dior in der einen Hand und spreizt mit der anderen die Lamellen der Jalousie, um nach draußen zu spähen. »Jones ist mal wieder bei euch im Garten.«

Ich stelle mich neben sie. Stimmt, ist er. Unser Nachbar hat einen pinkfarbenen Schlabberhut auf, trägt dazu ein weißes T-Shirt, gelbe Crocs und hat sich einen so quietschbunten Sarong um die Hüften gewickelt, dass mir die Augen wehtun. Wer designt so was?

Gerade stellt er zwei mit dunkler Flüssigkeit gefüllte Einmachgläser auf unsere Veranda. Bestimmt wieder Kombucha. Der bärtige Naturbursche von nebenan steht auf meine Mutter, fermentiert Tee, züchtet Bienen und läuft oft in einem T-Shirt rum, auf dem »Love Sees No Color« steht. Was natürlich nicht stimmt. Liebe ist definitiv nicht farbenblind. Das weiß ich genau. Der Beweis? Als ich in der siebten Klasse mal all meinen Mut zusammengenommen und meinem großen Schwarm meine Gefühle gestanden habe, war seine Reaktion: »Sorry, aber Asiatinnen sind nicht so mein Ding.«

Seit damals steht mein Liebesleben unter einem Dauerfluch. Meine letzte Beziehung endete im Drama. Er hieß Forest und hat mich auf dem Schulball betrogen. Ich habe mich danach so würdevoll und erwachsen wie möglich vom ihm getrennt. Ein kleiner Stich in der Magengegend bringt mich in die Gegenwart zurück, vermutlich Blähungen – ganz sicher kein Herzschmerz.

»Irgendwie gruselig, dass er deiner Mutter die ganze Zeit Geschenke bringt. Wie eine streunende Katze, die tote Mäuse anschleppt.« Noora schraubt das Lipgloss zu und reibt die Lippen aufeinander. Das knallige Rot passt perfekt zu ihr. Zurückhaltung ist ein Wort, das in ihrem Vokabular nicht vorkommt.

Ich verschränke die Arme. »Vor zwei Wochen hat er ihr ein Album mit gepressten Blumen gebracht.« Mom ist Biologiedozentin mit einer Leidenschaft für Botanik. Jones hat zwar kein Gespür für Mode, aber eins muss man ihm lassen: Er weiß, wie man Frauen umwirbt.

Noora dreht sich vom Fenster weg, wirft das Gloss auf das Bett mit dem Flohmarkt-Quilt (Mom liebt alte Sachen) und beugt sich zum Nachttisch. Sie ist echt so was von neugierig! »Etwa das hier?« Sie zieht ein Buch aus dem Stapel. »Seltene Orchideen Nordamerikas?«

»Nein«, sage ich. »Ein anderes.« Das hier lag schon immer auf Moms Nachttisch, aber ich habe es mir nie näher angeschaut, weil … äh, hallo? … seltene Orchideen?

Noora klappt es auf. »Aha! Aha! Was haben wir denn da?« Sie tippt mit dem Zeigefinger auf die erste Seite und liest laut vor. »Meine liebste Hanako …«

Es dauert einen Moment, bis ich begreife, was sie gerade gesagt hat. Liebste? Hanako? Ich reiße ihr das Buch aus der Hand.

»Menno«, murmelt Noora, stellt sich hinter mich und legt mir das Kinn auf die Schulter.

Die Handschrift ist gestochen scharf und leicht nach links geneigt, der Bleistift fast verblasst.

Meine liebste Hanako,

lass dir bitte durch die Worte

des großen Dichters sagen,

was ich nicht aussprechen kann:

Ich wünschte, ich wäre dir so nah

wie das nasse Gewand der Haut

der meerwasserschöpfenden Salzsiederin.

In Gedanken bin ich es.

– Yamabe no Akahito

Dein

Makoto »Mak«

2003

Noora stößt einen leisen Pfiff aus. »Anscheinend hat deine Mutter außer Jones noch einen nicht-so-geheimen Bewunderer.«

Ich lasse mich aufs Bett sinken. »Von einem Makoto hat sie nie was erzählt.« Keine Ahnung, was ich davon halten soll. Irgendwie fällt es mir immer schwer, mir Moms früheres Leben vorzustellen. Das klingt vielleicht egozentrisch, aber für mich fing eben alles mit meiner Geburt an. So nach dem Motto: Okay, Erde, Izzy ist hier. Du kannst jetzt anfangen, dich zu drehen. Möglich, dass das was mit meinem Einzelkind-Dasein zu tun hat und meine Mom mich so liebt, dass sie mir immer das Gefühl gegeben hat, ihr Leben hätte erst mit mir richtig begonnen.

»Hey«, sagt Noora sanft. »2003 bist du geboren.«

»Stimmt.« Ich schlucke trocken und starre auf die Buchseite. Unsere Gedanken bewegen sich in dieselbe unwahrscheinliche, aber vielleicht intuitiv ja doch richtige Richtung. Mom hat in Harvard studiert und ist in ihrem Abschlussjahr – 2003 – mit mir schwanger geworden. Sie hat mir erzählt, mein Vater wäre ein Austauschstudent aus Japan gewesen. Ein One-Night-Stand. Aber einer, den sie nie bereut hätte, wie sie mir immer versichert. Niemals. Keine einzige Sekunde lang.

Makoto. Mak.

Ich starre auf den Namen.Wie wahrscheinlich ist es, dass Mom in dem Jahr, in dem sie mit mir schwanger wurde, etwas mit zwei verschiedenen japanischen Männern gehabt hat? Ich sehe Noora an. »Das könnte mein Vater sein.« Wie seltsam, dieses Wort laut auszusprechen. Es will mir kaum über die Lippen. Als wäre es tabu.

Mein Vater war in meinem bisherigen Leben immer nur eine biografische Fußnote: Izumi wurde 2003 von Hanako Tanaka und einem unbekannten Japaner gezeugt. Die Umstände meiner Entstehung waren für mich nie ein Problem. Ich bin ein Kind des einundzwanzigsten Jahrhunderts und finde es total gut, eine sexuell befreite Mutter zu haben. Ich respektiere all ihre Entscheidungen, auch wenn die Kombination der Wörter Mom und Sex in mir den Wunsch weckt, spontan in Flammen aufzugehen.

Was wehtut, ist das Nicht-Wissen. Dass ich bei allen japanisch aussehenden Männern, die mir begegnen, denke: Bist du womöglich mein Vater? Oder kennst du ihn? Weißt du etwas über mich, was ich nicht weiß?

Noora sieht mich mit zusammengekniffenen Augen an. »Ich kenne diesen Gesichtsausdruck. Du machst dir Hoffnungen.«

Ich drücke mir das Buch an die Brust. Manchmal fällt es mir schwer, auf meine beste Freundin nicht neidisch zu sein. Sie hat so viel, was ich nicht habe – Mutter, Vater und eine riesige Familie. Ich war mal an Thanksgiving bei ihnen zum Abendessen und habe mich gefühlt, als wäre ich in einem dieser Heile-Welt-Bilder von einer uramerikanischen Familie gelandet – nur dass alle auf Farsi durcheinandergeredet haben, dass es Truthahn mit Granatapfelsoße gab und zum Nachtisch keinen Apple Pie, sondern Gebäck und Kakifrüchte. Noora weiß genau, wo sie herkommt und wer sie ist.

»Er könnte es aber wirklich sein«, sage ich.

Sie setzt sich neben mich und stupst mich sanft mit dem Ellbogen an. »Vielleicht ist er es aber auch nicht. Du solltest keine voreiligen Schlüsse ziehen.«

Zu spät.

Als ich klein war, habe ich viel über meinen Vater nachgedacht. Manchmal habe ich mir vorgestellt, er wäre Zahnarzt oder Astronaut oder sogar – auch wenn ich das nie laut ausgesprochen habe – weiß. Ich hätte es am besten gefunden, wenn meine beiden Eltern weiß gewesen wären. Weiße Haut war schön. All meine Puppen waren weiß, genau wie fast alle Models und TV-Serien-Familien. So wie mein abgekürzter Name, würden – da war ich mir sicher – eine hellere Haut und rundere Augen mein Leben in dieser Welt unendlich viel einfacher machen.

Ich schaue wieder in das Buch. »Harvard hat bestimmt Aufzeichnungen über alle Studenten.« Meine Stimme zittert. Bis jetzt habe ich es nie gewagt, nach meinem Vater zu suchen. Er ist bei uns zu Hause selten Thema. Mom redet nicht über ihn und hat auch meine Fragen immer so widerwillig beantwortet, dass ich lieber den Mund gehalten habe. Ich wollte unsere Mutter-Tochter-Beziehung nicht belasten. Will ich immer noch nicht. Andererseits muss ich dieses Rätsel ja nicht allein lösen, oder? Sind beste Freundinnen nicht genau dafür da? Um die Last zu teilen?

Klick. Noora fotografiert die Seite mit ihrem Handy. »Wir werden der Sache auf den Grund gehen«, verspricht sie. Gott, ich wünschte, ich könnte mir ihre Zuversicht und ihr Selbstvertrauen in Flaschen abfüllen. Ich wäre schon froh, wenn ich auch nur halb so viel davon hätte wie sie. »Alles okay?«, fragt sie.

Jetzt zittern auch meine Lippen. In meiner Brust breitet sich Unruhe aus. Das hier könnte eine Spur sein. Eine wirklich gute Spur. »Ja. Es ist nur gerade ein bisschen viel.«

Noora schlingt die Arme um mich und drückt mich, bis ich mich wieder gestärkt fühle. »Keine Angst«, sagt sie ernst. »Wir finden ihn.«

»Glaubst du echt?« Ich spüre, wie mein Blick hoffnungsvoll aufleuchtet.

Ihr katzenhaftes Lächeln kehrt zurück. »Bin ich süchtig nach Zimtschnecken?«

»Ob du …? Na klar. Und wie.«

»Eben.« Sie nickt entschlossen. »Wir finden ihn.«

Genau das meinte ich, als ich gesagt habe, dass wir füreinander sterben würden.

4

»Immer noch nichts?« Glory knüllt ihre Serviette zusammen und sieht mich an.

Ich lehne mich in der mit rotem Kunstleder gepolsterten Sitznische zurück und lege mir eine Hand auf den Bauch. Das im Schwarzbären-/Holzfäller-Look eingerichtete Black Bear Dinerist eine Institution in Mount Shasta. Die Speisekarte sieht aus wie eine Zeitung und zu den Gerichten gibt es die riesigsten, fluffigsten Milchbrötchen weit und breit. Die AGG trifft sich regelmäßig hier. Wir kommen, wir essen, wir platzen (fast). Das Black Bear ist für uns wie ein zweites Zuhause. »Nope«, sage ich.

Hansani tätschelt mir mit liebevollem Lächeln die Hand. »Warte noch ein bisschen. Da kommt garantiert noch was. Du hast ihm die Mail doch erst vor einer Woche geschickt.«

In Wirklichkeit ist es dreizehn Tage, zwei Stunden und fünf Minuten her. Nicht, dass ich mitzähle. Gestern habe ich aufgehört, alle fünf Minuten zwanghaft meine Mails zu checken. Jetzt schaue ich nur noch jede Stunde nach. Fortschritt.

Ich ziehe meine Hand weg und werfe Hansani einen dankbaren Blick zu. Sie ist ungefähr so klein wie ein Ewok, und ich könnte sie locker in meiner Tasche rumtragen, wenn sie mich lassen würde. Außerdem ist sie von Natur aus immer gut gelaunt und optimistisch und hat einen ganz besonderen Platz in meinem Herzen. Was nicht heißt, dass wir immer gleicher Meinung sind – zum Beispiel ist sie, wie die Hälfte aller Einwohner von Mount Shasta, glühender Fan der Kultband The Grateful Dead. Für mich sind das einfach nur untalentierte Uralthippies, die lahme Schrammelmusik gemacht haben. So! Ich habe gewagt, es laut auszusprechen. Erschießt mich.

»Vielleicht ist seine Antwort in deinem Spamordner gelandet«, sagt Noora.

Hansani brummt zustimmend.

»Da habe ich schon nachgeschaut. Nichts.«

Könnte es sein, dass mein Vater vielleicht gar nichts mit mir zu tun haben will? Autsch. Der Gedanke tut weh. Es ist total ungesund, dass ich mich so in die Sache reinsteigere. Trotz der kleinen genetischen Verbindung zwischen uns ist er letztlich ein Fremder, der mir egal sein kann.

Wenn ich mir das oft genug sage, glaube ich es vielleicht.

Als die Rechnung kommt, wühlen wir in unseren Taschen und zahlen mit einem Haufen zerknitterter Eindollarscheine und Kleingeld. Beim Rausgehen werfe ich unserer Bedienung ein entschuldigendes Lächeln zu. Sorry wegen der zwanzig Prozent Trinkgeld in Centmünzen.

Draußen klettern wir in Nooras alten rostigen Kombi mit dem Steinschlagloch in der Windschutzscheibe. Ich ergattere den Beifahrersitz, die beiden anderen müssen nach hinten. »Wir setzen dich zuerst ab, okay?« Noora sieht Glory im Rückspiegel an und fährt Richtung Lake Street. Vor uns ragt wie eine einsame weiße Pyramide der Mount Shasta auf. Hinter uns liegt die Main Street (mit einer einzigen Kreuzung, sechs Mineralien-und-Edelstein-Shops, einer Buchhandlung und einem Café). Neben uns trabt eine Familie auf Pferden am Straßenrand entlang. »Ach so, und bitte tu mir einen Gefallen und zieh diese Hose nie wieder an.« Noora meint Glorys kreischviolette Leggings, auf die lauter Augen gedruckt sind.

»Geht klar«, sagt Glory gelassen. »Wenn du aufhörst, mit Stierhoden auf dem Kopf rumzulaufen.« Noora hat ihre Haare zu zwei Space Buns hochgesteckt.

Ich werfe Hansani über die Schulter einen Blick zu, und wir grinsen in uns hinein, während Noora und Glory weiter aufeinander einhacken.

Als wir eine Viertelstunde später bei Glory ankommen, steigt sie nicht gleich aus, sondern lässt sich ins Polster zurücksinken. »Erbarmen!«, stöhnt sie und drückt sich ihre Tasche an die Brust. Wir sehen sofort, was das Problem ist. Vor dem Schindelhaus, in dem sie mit ihrer Mom wohnt, parkt ein Mazda Miata. Der Angeberwagen gehört dem neuen Freund ihrer Mutter, der in diesem Moment zur Haustür rauskommt. Er ist Zahnarzt, trägt eine fette Goldkette und sagt viel zu oft »superduper«. Er und Glorys Mom haben sich über Facebook Marketplace kennengelernt – peinlicher geht es gar nicht. Glory hasst ihn und würde lieber mit bloßen Händen Erbrochenes vom Boden schöpfen, als mit ihm zu reden. Ich verstehe sie. Der Typ hat ihre Eltern auseinandergebracht. »Hilfe! Ich hab keine Lust, mit ihm zu reden.« Aber da hat er sie schon entdeckt und winkt.

»Ich rette dich.« Noora zückt ihr Handy.

Glory steigt aus dem Wagen und drückt sich ihr klingelndes Telefon ans Ohr. »Hi. Gibt’s was Wichtiges, was du mir noch sagen wolltest?« Sie schlendert am Zahnarzt vorbei, ohne ihn auch nur eines Blickes zu würdigen. Ich gebe ihr telepathisch Rückendeckung.

»Ja. Sogar was Superduperwichtiges«, sagt Noora. Glory ist mittlerweile fast an der Haustür, der Zahnarzt sitzt schon in seinem Mazda. »Von hinten sehen deine Leggings noch schlimmer aus.«

Glory schließt die Haustür auf. »Du mich auch«, sagt sie, aber es klingt nicht sauer.