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Arnaud Calvez wird in Dinan in der Bretagne als Sohn eines Gewürzhändlers geboren. Doch er sehnt sich nach mehr als einem ruhigen Leben in den Fußstapfen seines Vaters: Er möchte das Heilige Land sehen. Also tritt er mit sechzehn Jahren dem christlichen Ritterorden der Templer bei und folgt im Jahre 1185 ihrem Ruf zur Verteidigung Jerusalems. In dieser aufregenden Reise durch das Hochmittelalter findet er nicht nur zu einem neuen Glauben, sondern auch die Liebe und eine Schale, die das Schicksal der Menschheit für immer verändern sollte.
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Seitenzahl: 261
Veröffentlichungsjahr: 2024
Impressum
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© 2025 novum publishing gmbh
Rathausgasse 73, A-7311 Neckenmarkt
ISBN Printausgabe: 978-3-7116-0227-5
ISBN e-book: 978-3-7116-0228-2
Lektorat: Sandra Fantner
Umschlagfoto: Christian Berger
Umschlaggestaltung, Layout & Satz: novum publishing gmbh
Innenabbildung: Christian Berger
www.novumverlag.com
Widmung
Für Emilie und Paul
Vorwort
„Dans les champs de l’observation, le hasard ne favorise que les esprits préparés.“
Louis Pasteur
Prolog
Arnaud warf einen prüfenden Blick auf die Wunde des Verletzten und sah, dass sich diese entzündet hatte. Der Mann war gestern von einigen seiner Glaubensbrüder schwer verletzt und kaum bei Bewusstsein auf die Burg Montsegur gebracht worden. Seiner Kleidung nach zu schließen war er ein „Perfectus“ und abgesehen von seiner Verletzung war er bei guter Gesundheit. Arnaud hatte den blutgetränkten Verband von seinem linken Oberschenkel entfernt und das gesamte Ausmaß der Verletzung gesehen. Der Schwerthieb hatte eine tiefe Furche im Oberschenkel des Mannes hinterlassen und reichte von der Innenseite des Beines bis zum Kniegelenk. Aus der Tiefe der Wunde sickerte unaufhaltsam frisches Blut. Nachdem er die Wunde gesäubert und mit dem Brandeisen verschorft hatte, hatte er einen frischen Verband angelegt und dem Patienten einen Sud aus Weidenrinde gegeben. An der Außenseite des Kniegelenks hatte sich nun eine tiefrote Blase gebildet. Der Mann lag in hohem Fieber. Arnaud nahm sein Messer, erhitzte es über dem Feuer und mit einem gezielten Stich seitlich der Kniescheibe öffnete er das Gelenk. Der Verletzte gab ein tiefes Stöhnen von sich und hellbrauner Eiter quoll aus der Stichwunde hervor. Nun nahm Arnaud den Flaum der Patera und verteilte ihn sorgfältig auf der Wunde. „Wird er es überleben?“, fragte Bernadette, die soeben das Haus betreten hatte. „Das liegt in der Hand Gottes. Wenn das Fieber in drei Tagen zurückgeht, dann vielleicht.“ Arnaud gab dem halb Bewusstlosen zu trinken und drei kleine Kugeln aus Bienenwachs, welche dieser nur widerwillig schluckte. „Claire ist mit dem Essen fertig“, sagte Bernadette, „kommst du, Vater?“ Arnaud nickte und betrachtete seine Tochter. Sie war über die Jahre eine wunderschöne Frau geworden. Die schwarzen Haare und die dunklen gütigen Augen hatte sie von ihrer Mutter, aber ihr Gesicht war runder und manchmal glaubte er, sich selbst in seiner Jugend in ihrem Blick zu erkennen. Arnaud nahm seinen Stock und ging hinaus auf die Straße in Richtung oberer Teil der Burg.
Die Sonne blendete ihn, da sein Augenlicht bereits getrübt war. Seine Gelenke ließen ihn mitunter im Stich und er kam nur langsam voran. Claire erwartete ihn an der Eingangstür. „Und wie geht es dem Verletzten?“ „Ich habe alles in meiner Macht Stehende getan, wir können nur beten.“ Die Patera hatte ihm über die Jahre gute Dienste geleistet, doch schlussendlich waren alle in der Hand Gottes. Beim Mahl sagte Bernadette: „Weißt du, dass der Bischof heute angekommen ist?“ „Guilhabert ist hier?“, fragte Arnaud mit staunendem Blick. „Ja, er ist extra aus Pieusse gekommen.“ „Ich muss ihn unbedingt sprechen.“ Kaum hatte er diese Worte gesprochen, als sich mit einem lauten Knarren die Eingangstür öffnete und Guilhabert de Castres(1) den Raum betrat. „Arnaud, mein alter Freund, wie geht es dir?“ Der Bischof war älter geworden über die Jahre, doch seine blauen Augen hatten nichts von ihrer Strahlkraft eingebüßt und die beiden umarmten sich innig. „Danke, ich bin zufrieden, du kennst meine Frau Claire?“ „Ja, natürlich, es ist zwar schon eine Zeit her. Guten Tag, Claire, und mein Gott, bist es du, Bernadette?“ Bernadette warf dem Bischof einen freundlichen Blick zu. Guilhabert kannte sie seit ihrer Kindheit und war überrascht, nun eine wunderschöne und offensichtlich selbstbewusste Frau vor sich zu sehen. „Wie ich sehe, hast du die höheren Weihen erhalten.“ „Ja, Bruder Guilhabert“, sagte Bernadette im Gewand einer „Perfecta“ gekleidet. „Das macht mich sehr stolz“, erwiderte der Bischof, „lass dich umarmen.“ Guilhabert legte seinen weißen Mantel ab und setzte sich mit einem Ausdruck der Erleichterung auf den Stuhl. „Ich habe betrübliche Nachrichten, meine Freunde. Raymond von Toulouse hat sich ergeben und der König wird Okzitanien unter seine Herrschaft bringen. Die Heilige Inquisition und der Dominikanerorden sind uns auf den Fersen.“ Claire und Bernadette bedeckten ihre Münder in einem Ausdruck der Ungläubigkeit. Zwanzig Jahre hatte sich Raymond von Toulouse dem Aufruf des Papstes zur Vernichtung der Albigenser und dem darauffolgenden Kreuzzug widersetzt. Selbst nach seinem Exil in England war er wieder zurückgekehrt, um die Katharer zu unterstützen.
„Wie soll es jetzt weitergehen?“, fragte Arnaud. „Ich habe mit Raymond de Pereille(2), eurem Burgherrn, vereinbart, die Burg Montsegur stärker zu befestigen. Wir haben nur noch wenig Unterstützung im Adel, aber in Queribus und Usson gibt es auch noch eine sichere Zuflucht.“ Bernadette und Claire waren erschüttert. „Genug der Politik“, sagte der Bischof. „Lasst uns gemeinsam essen!“ Arnaud war innerlich aufgewühlt. Toulouse verloren, der Papst und der König würden die Reste der Albigenser-Bewegung vom Erdboden löschen. Er musste dringend mit Guilhabert unter vier Augen reden. Nach dem Essen bedeutete Arnaud seinem Freund, in seine Kammer zu kommen. „Ich muss unbedingt mit dir reden, mein Freund“, sagte er mit besorgter Stimme. Guilhabert entschuldigte sich bei Claire und Bernadette und folgte Arnaud. „Ich brauche deine Hilfe. Dieser Brief muss unbedingt seinen Adressaten finden und ich möchte, dass du ihn mit deinem bischöflichen Siegel versiehst.“ „Geht es um die Patera?“, fragte Guilhabert. Arnaud nickte. „Ich werde dir natürlich helfen.“ Arnaud erhitzte etwas Siegelwachs und tropfte es auf einen Umschlag, der verschlossen am Tisch lag. Bischof Guilhabert de Castres drückte seinen Siegelring in das noch weiche Wachs.
Kapitel 1
Chateau Gisors im Jahre 1183
Arnaud Calvez trat im Alter von achtzehn Jahren in die Dienste des Templerordens ein. Mit einer Unterschrift der Willenserklärung hatte er vor einer Woche sein Schicksal besiegelt. Er würde gegen den Willen seines Vaters die Arbeit in der nächstgelegenen Burg der Ordensherren aufnehmen. Nun auf dem Weg zu ihnen stockte ihm beim Anblick der Burg Gisors der Atem. Die Burg lag auf einer Anhöhe und war von einer runden, meterhohen Mauer umgeben. In der Mitte ragte auf der Motte* ein mächtiger Donjon empor. Von dem Wehrturm aus konnte das umgebende Land kilometerweit überblickt werden. Die Burg Gisors lag an der alten Römerstraße, welche von Paris in die Normandie führte. „Komm schon, Junge“, sagte der alte Händler aus Dinan, der ihn aus seiner Heimatstadt mitgenommen hatte. Auf seinem Ochsenkarren sitzend, eine Flasche Wein in seinen Händen und immer ein Lied auf den Lippen, war er mit seinem Leben zufrieden. Nicht so Arnaud. Er wollte die Welt kennenlernen. Hinaus aus dem kleinbürgerlichen Leben seiner Familie. Er wollte partout nicht in die Fußstapfen seines Vaters als Gewürzhändler treten und hatte sich deshalb für ein Leben bei den Templern entschieden. Diese hatten Burgen in ganz Europa und schützten die Pilgerrouten ins Heilige Land. Das Heilige Land zu sehen, das war sein Traum.
* La Motte, altfranzösisch für Erdklumpen, ist der Erdhügel, auf dem die Burgen im Mittelalter zur besseren Verteidigung errichtet wurden. Der Teppich Nr. 19 von Bayeux beschreibt die Belagerung von Dinan durch Wilhelm, den Eroberer(3).
An der Außenmauer der Burg hingen die weißen Schilder mit rotem Kreuz, die Insignien der Templer. Nachdem sie den Burghügel erklommen hatten, standen sie vor dem riesigen Eingangstor, welches durch zwei schwere, nach oben hin abgerundete Eichentüren gesichert war. „Wer begehrt Einlass?“, fragte die Wache. „Ach, du bist es François“, sagte der Templer, nachdem sich der Händler zu erkennen gegeben hatte. „Wen hast du denn da im Schlepptau?“ „Einen jungen Burschen aus Dinan, er möchte in eure Dienste treten.“ „Lass mich deine Papiere sehen!“, forderte der Wachmann. „Arnaud Calvez aus Dinan“, murmelte er. „Gut, ihr könnt passieren. Hast du den guten Wein dabei, François?“ „Natürlich, zwei Fässer.“ „Und du, junger Mann, melde dich beim Drapier, du findest ihn im großen Haus unterhalb des Donjons gleich neben der Eisentür.“ Als Arnaud die hohen Mauern der Burg hinter sich gebracht hatte, war er erstaunt vom geschäftigen Treiben, welches sich dahinter abspielte. Der Donjon und der innere Zirkel der Burg waren von einer weiteren Mauer geschützt, welche nur einen Eingang über eine steinerne Treppe und ein großes schmiedeeisernes Tor hatte. Unmittelbar davor waren Ritter und Knappen mit Übungen für den Schwertkampf beschäftigt. Anstatt der scharfen Klingen wurden Deckung und Kampftechnik mit hölzernen Schwertern geprobt und nicht selten ging einer der Übenden mit einem lauten Stöhnen zu Boden. Arnaud ging zu einem der Kämpfenden. „Wo finde ich den Drapier?“ „Gleich im Haus da drüben, welches an der Mauer zum Donjon liegt“, sagte der Junge mit gebrochener Stimme. Er erholte sich nur langsam von dem Hieb auf den Rücken, den er soeben erhalten hatte. Arnaud dankte ihm höflich und überquerte den Übungsplatz in Richtung des großen Hauses. An der Eingangstür stand ein korpulenter Mann und beobachtete mit prüfendem Blick die Schwertkämpfe. Arnaud trat auf ihn zu und zeigte ihm seine Papiere. „Aus Dinan? So, so. Ich bin Richard de Delincourt, der Drapier dieser Komturei. Wenn du in deinem Leben bisher nicht Disziplin und Gottesfürchtigkeit gelernt hast, so werden wir es dir beibringen“, sprach er mit einem strengen Blick. „Kannst du lesen und schreiben?“ „Ja, ich war drei Jahre bei den Benediktinern in Mont Saint Michel.“ „Dann müsstest du Bruder Phillipp kennen, er ist ein guter Freund von mir und wir halten seit Jahren Briefkontakt.“ „Er war mein Lehrer“, erwiderte Arnaud mit einem breiten Grinsen. Arnaud erinnerte sich an seine Zeit auf dem Klosterfelsen. Wenn seine Studien beendet waren, musste er täglich den Säulengang neben der heiligen Kapelle kehren. Er liebte den Vorplatz der Kirche, denn von dort konnte man das Meer in allen Himmelsrichtungen überblicken. In der Ferne sah er im Westen die Schiffe, welche nach St. Malo einliefen. Ihre Segel zeugten davon, dass sie aus fernen Ländern dem Hafen zusteuerten. Nach Norden hin war die offene See, aber Richtung Süden konnte man bei Ebbe sehen, wie sich das Meer vom Felsen zurückzog und den sandigen Boden preisgab. Es war ein beeindruckendes Schauspiel der Natur, welches sich zweimal am Tag vollzog. Nur kleine Ströme von Wasser bahnten sich dann mäanderförmig ihren Weg Richtung Festland. Arnaud liebte den Geruch des Meeres, diese Mischung aus verwesendem Seetang, gepaart mit dem Duft der Muscheln. „Blick dich um!“, sollte Bruder Phillipp sagen, „die Welt gehört dir, mein Junge.“ Arnaud wurde jäh durch die forschen Worte des Drapiers aus seinen Erinnerungen gerissen. „Gut, das werden wir morgen überprüfen. Dein bisheriges Leben endet hier und jetzt, du wirst nie wieder der sein, der du einmal warst. Entkleide dich und nimm dir einen der braunen Mäntel. Folge mir!“, befahl er, „ich werde dich einweisen.“ Richard de Delincourt war von gedrungener Gestalt und hatte weißes, wallendes Haar und einen Kinnbart, welcher nach vorne spitz endete. Er trug den weißen Mantel der Templer mit rotem Kreuz und seine Gesichtszüge hatten etwas Gütiges, außer, wenn er mit der ihm innewohnenden Autorität sprach. „Da drüben sind die Stallungen und gleich daneben befindet sich deine Schlafstatt.“ Delincourt zeigte zu den Gebäuden im Osten der Burg. Arnaud folgte ihm und betrachtete sein neues Zuhause. Der Korridor der Knappen war sparsam eingerichtet, nur ein Tisch in der Mitte mit wackeligen Stühlen und eine Reihe von Betten mit Strohmatratzen. „Du kannst dieses Bett haben. Es gehörte Berengar, einem meiner Diener. Er ist vorigen Monat verstorben. Sollte Bruder Phillipp bei deiner Erziehung gute Arbeit geleistet haben, wirst du seinen Platz einnehmen. Die Heilige Messe wird fünfmal täglich gelesen und der Besuch ist verpflichtend. Wenn du im Krankheitsfall nicht daran teilnehmen kannst, musst du dreizehn Pater Noster beten. Verstanden?“, sagte Richard mit ernster Miene. „Sehr wohl, Meister.“ „Wenn du dich erleichtern musst, findest du an der Außenseite der Mauern einen Aborterker. Komm, Arnaud, ich zeige dir unseren Heiligsten Ort.“ Die Kapelle der Burg war sowohl von außen als auch im Inneren nicht an Schönheit zu überbieten. Die mehrbahnigen Maßwerkfenster verliehen dem Innenraum eine helle Atmosphäre, gepaart mit schier unendlichen Reflexionen aus den bunten Fenstern. Die Erbauer wollten mit den farbigen Fenstern, welche aus tausenden in Blei gefassten Gläsern bestanden, das Aufgehen der irdischen Existenz in einem mystischen Farbraum schaffen. Arnaud war tief beindruckt und völlig überwältigt von der Aura, die diesen Raum erfüllte. „Darf ich noch etwas verweilen, Meister?“, fragte er. „Natürlich, wir sehen uns bei der Vesper.“ Nach dem bescheidenen Abendmahl, bei dem sich alle Anwesenden in Schweigen gehüllt hatten, begab sich Arnaud in seine Unterkunft. Er wurde von den anwesenden Knappen und Sergeanten keines Blickes gewürdigt und verkroch sich in seine Strohmatte. Die Nacht hatte sich schon über die Burg gesenkt und Arnaud lag immer noch wach, den Kopf voller Fragen: „War es die richtige Entscheidung gewesen, sich den Templern anzuschließen? Wie wird mein Leben ab nun verlaufen?“ „Bist du noch wach?“, fragte eine Stimme vom Bett neben ihm. „Ja“, sagte Arnaud. „Wie heißt du?“
„Ich bin Arnaud Calvez aus Dinan. Wer bist du?“ „Ich heiße Simon Faiblos. Mach dir keine Sorgen, das ist am ersten Tag immer so. Ich bin schon fast mein ganzes Leben hier, du wirst es mögen. Schlaf gut Arnaud.“
Am nächsten Morgen wurde Arnaud durch ein kräftiges Rütteln jäh aus seinen Träumen gerissen. „Arnaud, steh auf, wir müssen zur Messe!“ „Was, jetzt schon? Es ist noch dunkel draußen.“ „Komm schon!“, erwiderte Simon ungeduldig und die beiden machten sich auf den Weg zur Kapelle. Dabei fiel Arnaud auf, dass Simon am linken Bein hinkte und sein Fuß eine komische Form hatte. „Was ist mit deinem Bein?“ „Das habe ich schon seit meiner Geburt, mein Fuß ist verklumpt, die Mönche nennen es ‚pied bot‘. Es tut nicht weh, aber für den Dienst mit der Waffe bin ich nicht geeignet.“
In der Kapelle hatten sich schon alle zum Morgengebet versammelt und Richard de Delincourt warf den beiden jungen Knappen einen ernsten Blick zu. Die Messe begann mit dem Psalm „Venite“ und endete so wie auch die Mette mit dem „Gloria patri“ zum Ruhme der Trinität. Erst als sich der Großmeister und die zelebrierenden Kapläne erhoben hatten, durften die Sergeanten und Knappen ebenfalls aufstehen und die Kapelle verlassen. Nach der Messe gab es ein bescheidenes Frühstück aus Brot und Suppe. Arnaud hatte gerade sein Mahl beendet, als sein Name gerufen wurde. „Arnaud Calvez, du sollst dich sofort beim Drapier melden!“, schrie ein Sergeant. „Jawohl, Bruder“, erwiderte dieser und begab sich unversehens zum Haus von Richard. „Nun, mein Sohn, lass uns sehen, was Bruder Phillipp dir beigebracht hat.“ Auf dem Tisch lag ein Bündel von Papieren. „Das sind die Rechnungen für Verpflegung und die Bestellungen für Bekleidung für diese Woche. Ich möchte, dass du eine Liste erstellst und den Bedarf errechnest. Kennst du dich mit dem Abakus aus?“ „Ja, mein Herr“, erwiderte Arnaud. Im Hause eines Händlers war der Abakus ein unverzichtbares Utensil und Arnaud hatte schon in seiner Kindheit gelernt, damit umzugehen. Die Tafel mit den Ringen erlaubte es in kurzer Zeit, Zahlen zu addieren und zu subtrahieren. „Ich kehre zu Mittag wieder zurück und erwarte eine vollständige Auflistung!“ Mit diesen Worten schloss Delincourt die schwere Tür und Arnaud machte sich daran, die einzelnen Papiere zu entschlüsseln. Anfangs tat er sich schwer, denn er war mit der Schriftweise nicht vertraut, doch als er einmal dieses Hindernis überwunden hatte, ging die Arbeit rasch voran. Als der Großdrapier, wie angekündigt, zu Mittag wieder zurückkehrte, lagen eine sorgfältige Auflistung der erwünschten Dokumente und die entsprechende Berechnung der Kosten auf dem Tisch. Richard setzte sich und ging das Geschriebene Punkt für Punkt durch und spitzte dabei mit prüfendem Gesichtsausdruck immer wieder seine Lippen. „Bien joué, mon fils“, sagte er am Ende. „Du wirst einer meiner Sekretäre. Heute Abend wirst du den Eid auf den Tempel leisten!“
Die Kapelle war bis auf den letzten Platz gefüllt. Arnaud kniete auf dem ihm zugewiesenen Platz vor dem Altar. Nachdem die Anwesenden den Eröffnungschoral gesungen hatten, stand der Meister, Almarich de Villefort, auf und ging auf ihn zu und sah ihm tief in die Augen. Er sprach mit festlicher Stimme: „Wollet Ihr Knappe unseres ehrbaren Ordens werden?“ Arnaud antwortete, „Ja, das will ich.“ „So erhebet nun Eure Schwertrechte zum Schwur und sprecht mir nach: ‚Ich bin hier erschienen, um unserem ehrbaren Orden und dem hochedlen Großmeister Treue zu geloben. Ich werde stets bemüht sein, gewissenhaft meine Pflichten zu erfüllen und das Amt eines Ritters zu erstreben! Das gelobe ich.‘“ Als Arnaud diese Worte gesprochen hatte, erhob de Villefort sein Haupt und fuhr fort: „Wir haben Euer Wort gehört und sohin nehmen wir Euch als Knappen in unserem Orden auf. Nur wisset: Ein wahres Gelöbnis abzulegen, ziemt nur einem wahren Mann!“ Nach einer kurzen Pause, in der seine Worte in der Kapelle nachhallten, sagte er: „Doch seid gewahr, wenn Ihr das Gelöbnis leichtfertig brechen solltet, wird Euer Name in den Annalen unseres Ordens gelöscht werden, wie wir diese Kerze löschen!“ Mit einer raschen Bewegung der rechten Hand löschte der Großmeister die auf dem Altar stehende Kerze aus und bedeutete Arnaud, sein Haupt zu neigen. „Nimm dies als Zeichen deiner Zugehörigkeit.“ Es war ein hölzernes Templerkreuz und auf der Rückseite waren seine Initialen, der Name seiner Stamm-Komturei und die Jahreszahl seines Beitritts in kunstvollen Lettern eingebrannt. Daraufhin wies de Villefort Arnaud an, sich zu erheben und auf seinen Platz zurückzukehren. Die versammelten Templer stimmten das „Gloria patri“ an. Erst jetzt realisierte Arnaud, was soeben passiert war. Er hatte die Worte wie in Trance gesprochen und nun war er tatsächlich ein Mitglied des Templerordens.
Am nächsten Morgen war auch die Zurückhaltung der anderen Knappen und Sergeanten beim Frühstückstisch gewichen. Arnaud wurde mit einem festen Hieb auf die Schulter von den Anwesenden in ihren Kreis aufgenommen. Simon Faiblos gesellte sich zu ihm. „Nun, da du einer von uns bist, sollst du auch in unsere Regeln eingeweiht werden. Wie lautet unser Leitspruch?“ Bereits am ersten Tag hatte sich Arnaud die Worte, welche ab nun sein Leben bedeuten würden, eingeprägt. Mit stolzer Stimme erwiderte er: „Non nobis Domine, non nobis, sed nomini tuo da gloriam“, nicht uns, oh Herr, nicht uns, sondern deinem Namen gib Ehre. Simon nickte zufrieden. „Was weißt du über unsere Kommenden?“, fragte er. „Jede Komturei wird von einem Meister geleitet.“ „Ja, Almarich de Villefort ist unser Meister, aber ihm zur Seite stehen noch der Komtur, der Marschall und der Drapier. Richard de Delincourt kennst du ja bereits. Unser Komtur und oberster Tressler ist Jacques de Montalban und ich würde dir raten, dich soweit es geht von ihm fernzuhalten. Im Gegensatz zu Richard ist er von Grund auf misstrauisch und neigt zu Wutanfällen bei der kleinsten Ungereimtheit seiner Finanzen“, sagte Simon mit einem breiten Grinsen. „Für Waffen und die Verteidigung ist Marschall Guy de Toroge zuständig. Sein Bruder Arnaud(4) bekleidet seit vier Jahren das Amt des Großmeisters des Tempels* zu Paris und ist somit oberster Meister unseres Ordens. Er hat beste Kontakte zum Königshof. Hast du dir alle Namen gemerkt?“ „Natürlich, aber können wir nun endlich etwas essen? Ich sterbe vor Hunger.“
* Der Templerorden wurde 1118 zum Schutz der Pilgerrouten über Jaffa und Ramla nach Jerusalem gegründet. Die Gründungsmitglieder waren Hugo von Payns(5), Gottfried Saint-Omer(6) und Andreas von Montbard(7). Dieser war ein Onkel von Bernard de Clairvaux(8), einem der bedeutendsten Zisterzienser und Scholastiker des Hochmittelalters. Bernard de Clairvaux veröffentlichte flammende Aufrufe zu den Kreuzzügen und rief mehrmals zum Beitritt zum Templerorden auf.
Nach dem Frühstück wurden täglich Waffenübungen abgehalten. Simon war auf Grund seiner Verstümmelung davon befreit und auch Arnaud bereiteten sie keine rechte Freude. Er war von mittlerer Größe und hatte einen sehnigen Körper. Sein langes braunes Haar war der Ordensregel zum Opfer gefallen und er fühlte sich irgendwie nackt am Haupt, vor allem, wenn der Wind um seine Ohren blies. Er hatte die grünen Augen seiner Mutter und ein ebenmäßiges Gesicht mit einer dünnen Nase. Beim Schwertkampf konnte er sich mit dem Schild gut verteidigen und rasch Attacken seines Gegenübers ausweichen, doch er verspürte kein Verlangen, einem anderen Menschen Schmerz zuzufügen. „Was ist mit dir, Bruder Calvez?“, fragte Marschall de Toroge, der die Kampfesübungen überwachte. „Du musst deinen Gegner deine Überlegenheit spüren lassen und ihn attackieren!“ Arnaud wusste keine rechte Antwort auf die Aufforderung. „Nun, offensichtlich bist du nicht zum Kampf geboren, aber Richard de Delincourt hat, wie ich höre, Verwendung für dich“, herrschte de Toroge Arnaud an.
Arnaud gewöhnte sich rasch an den täglichen Ablauf in der Burg. Nur mit dem Fasten konnte er sich schwer abfinden. Die Templer fasteten von Allerheiligen bis Ostern, was bedeutete, dass sie in dieser Zeit nur Gemüse, Hülsenfrüchte, Suppe mit Brot zu sich nahmen. Es gab zwei Mahlzeiten am Tag und Arnaud hatte ständig Hunger. Nach dem Osterfest wurde an Freitagen Fisch und Geflügel gereicht und am Sonntag gab es immer eine Fleischspeise. Einzig im Februar durften die Templer das Fasten brechen und siebzehn Tage lang Fleisch essen. Diese Zeit wurde nach dem lateinischen Ausdruck für „Lebe wohl, Fleisch“ als „carne val“ bezeichnet. Wenn Arnaud nicht mit Arbeiten für den Drapier beschäftigt war, traf er sich meistens mit Simon. Sie wurden über die Zeit beste Freunde. Eines Tages gingen sie bei den Stallungen vorbei, in denen die Knappen gerade mit dem Aufzäumen der Pferde beschäftigt waren. „Warum gibt es hier so viele Pferde?“, fragte Arnaud. „Die Burg beheimatete zwanzig Ritter und zehn Kapläne, die jedoch von weltlichen Aktivitäten ausgenommen waren. Nun, jeder Ritter braucht drei Pferde. Ein Schlachtross, meistens einen Hengst, ein Reitpferd, welches eine Stute oder ein Wallach ist und ein Packpferd. Schon vor dem Beitritt muss der zukünftige Templer den Ritterschlag erhalten haben und somit von hoher Geburt sein.“ „Platz da!“, schrie einer der Ritter und ritt im Galopp an ihnen vorbei. In den Stallungen herrschte reges Treiben. Die Abreise des Großmeisters de Villefort stand bevor. Gemeinsam mit zehn Rittern würde er morgen zum Tempel nach Paris aufbrechen, um dem Generalkapitel des Ordens beizuwohnen. Dieses wurde einmal im Jahr in Paris abgehalten und alle Provinzialmeister nahmen daran teil. De Villefort war in seiner Funktion als Provinzialmeister auch befugt, einen neuen Großmeister zu wählen. „Es geht das Gerücht, dass unser jetziger Großmeister Arnaud de Toroge an einer schweren Krankheit leidet“, sagte Simon. „Es würde mich nicht wundern, wenn in den nächsten Tagen seine Nachfolge geregelt wird. Komm, wir gehen in die Bibliothek, ich muss dir etwas zeigen.“ Arnaud folgte seinem Freund über die steinerne Treppe durch das schwere Eisentor zum obersten Gebäude der Burg, welches direkt an den Donjon angrenzte. Der Wehrturm war den Kaplänen und Rittern vorbehalten, aber das angrenzende Haus durfte von allen Mitgliedern betreten werden. Als sie in die Bibliothek eintraten, empfing sie ein Duft von Pergament und Leder. Simon war nicht der einzige Schreiber und Archivar der Burg. „Jeder der fünf Schreiber und Kopisten hat einen eigenen Tisch mit Dokumenten, die er erstellen oder vervielfältigen muss“, erklärte Simon. Sie waren allein und nachdem sie Platz genommen hatten, sagte er: „Wie du weißt, bin ich auch für die Kreditbriefe der Komturei zuständig.“
„Ja, aber ich habe mich immer schon gefragt, wie es möglich ist, Golddukaten an einem Ort zu hinterlassen und tausende Kilometer weit entfernt nur durch Vorweisen eines Schriftstücks den gleichen Gegenwert zu erhalten.“ „Wir Templer haben Niederlassungen in ganz Europa und im Heiligen Land. Um die erwirtschafteten Beträge besser und ohne Gefahr zu transferieren, haben wir ein System von Schuldscheinen entwickelt. „Sieh her“, sagte Simon und reichte Arnaud das Dokument. „Jeder Kreditbrief trägt am Kopf unser Siegel, der Text lautet: SIGILLUM MILITUM CHRISTI DE TEMPLO.
Das Dokument ist mit dem Siegelwachs der ausstellenden Komturei verschlossen. Wenn eine Komturei einen Kreditbrief erhält, wird dieser auf seine Echtheit hin überprüft. Als zusätzlicher Schutz vor Fälschern wird vom Aussteller noch ein Passwort mit farblosem Essig an der rechten Oberseite des Briefes geschrieben. Beim Trocknen verdampft das Wasser aus dem Essig, während die Essigsäure auf dem Papier bleibt. Diese Schrift wird erst nach Behandlung mit Rotkohlwasser als rötlich-violette Buchstaben sichtbar.“ Simon tropfte etwas Rotkohlwasser auf den Kreditbrief und tatsächlich wurden die Worte „obedientia et pudicitia“ sichtbar. „Gehorsam und Keuschheit, die Maxime der Templer,“ brachte Arnaud hervor. Simon grinste. „Nur wenn der Besitzer des Briefes auch dieses Passwort kennt, wird die verbriefte Summe ausbezahlt.“ Arnaud konnte seine Verwunderung nicht verbergen. Simon lächelte ihn an und sagte: „Siehst du, auch ohne Schwert bin ich nicht ganz machtlos.“ „Darf ich dir eine persönliche Frage stellen, Simon?“ „Ja, nur zu.“ „Wie lange bist du schon in Gisors und wer sind deine Eltern?“ Simons Lächeln fror von einem Moment auf den anderen ein. „Ich bin ein Findelkind“, sagte Simon mit betrübter Stimme. „Ich wurde vor den Toren der Burg gefunden. Offensichtlich wollte mich meine Mutter nicht behalten, da mein linker Fuß verkrüppelt ist. Die Mönche wussten nichts mit mir anzufangen und gaben mich in die Obhut von François, dem Händler. Ich glaube, du kennst ihn, oder?“ „Ja, natürlich, er war so freundlich, mich hierher mitzunehmen.“ „François und Nathalie hatten bereits vier Kinder und waren bereit, mich großzuziehen. Mit acht Jahren übergaben sie mich wieder den Templern, welche mir eine umfassende Bildung angedeihen ließen. Eines Tages werde ich Hauptarchivar dieser Burg sein“, sagte Simon, der nun sein Lächeln wiedergefunden hatte.
Arnaud blickte in sein Spiegelbild im Wasser des Brunnens. Er sah, dass der Flaum der Jugend aus seinem Gesicht nun einem stattlichen Vollbart gewichen war. Vor zwei Jahren war er nach Gisors gekommen und nun war er Sergeant und die rechte Hand von Richard de Delincourt. Das Leben auf der Burg und die damit verbundenen Pflichten hatten ihn voll in Anspruch genommen, doch ab und an dachte er noch an seinen Traum von einer Reise ins Heilige Land. Vor allem, wenn Simon wieder Geschichten von den Ereignissen im Königreich Jerusalem berichtete. Sie trafen sich heimlich im Archiv der Burg und Simon zeigte ihm seine wahre Leidenschaft, die Kalligrafie. Auf seinem Schreibpult befanden sich dutzende kleiner Gläser mit den schönsten Farben, welche die Natur bereitstellte. Er erklärte ihm, dass blaue Farbe aus Lapislazuli hergestellt werde und das Rot aus Krapp stamme, der mit Alaun versetzt würde. Simon fertigte Abschriften der Heiligen Schrift mit farbig illustrierten Abbildungen der Wunder von Jesus Christus an. Besonders von der Heilung der Kranken war er in höchstem Maße angetan. Seine bevorzugte Legende war die Heilung des Lazarus.* „Seine Reliquien liegen in der Kathedrale von Autun. Hast du das gewusst?“ „In Burgund?“ „Ja, sie kamen über Umwege in den Besitz des Bischofs.“ Simon verbrachte ganze Tage damit, die Bilder in den schönsten Farben zu gestalten. „Sieh her, Arnaud, das ist unser Herr Jesus bei der Erweckung des Lazarus.“„Wundervoll, so habe ich es mir immer erträumt. Du bist ein Meister deines Faches.“
* Der Name „Lazarus“ leitet sich aus dem althebräischen „El Azar“ ab und bedeutet „Gott hat geholfen“. Die Reliquien des Heiligen Lazarus stammten ursprünglich aus Larnaka in Zypern. Über Konstantinopel und Marseille waren sie nach Autun in die Lazarus Kathedrale gelangt. Im Jahr 1146 wurden sie in die neu gebaute dreischiffige Basilika überstellt.
Arnaud erkundigte sich, ob es schon Nachrichten aus dem Heiligen Land gebe. „Wie du weißt, ist Arnaud de Toroge im September des Vorjahres gestorben. Bei dem, darauffolgenden Generalkapitel ist Gerard de Ridefort(9) zum neuen Großmeister der Templer ernannt worden. Traurigerweise ist das Königreich von Jerusalem nun sowohl von Norden als auch von Süden durch Saladins Truppen bedroht und es mangelt an Rittern und Fußvolk“, sagte Simon mit bedächtiger Stimme. „Erinnerst du dich an Montgisard?“ „Ja“, erwiderte Arnaud, „wie könnte ich nicht? Du weißt, dass das Heilige Land das Ziel meiner Träume ist.“ „Der Sieg unter Baudoin IV.(10) in der Schlacht von Montgisard vor acht Jahren hat dem Königreich Jerusalem nur eine kurze Atempause beschert“, sagte Simon mit bedrückter Stimme. Arnaud war voll der Bewunderung über den Mut und die Taktik der Tempelritter. Trotz numerischer Unterlegenheit war es gelungen, Saladin, den Herrscher der Sarazenen, zu besiegen. Unter der Führung von Odo Saint-Amand(11), dem Großmeister von Jerusalem, hatte eine Phalanx von nur vierundachtzig Rittern die Truppen von Saladin wie ein Hammer getroffen, sodass ihre Reihen aufbrachen und der Weg für die königlichen Truppen unter Baudoin frei war. Saladin(12) selbst war von der Wucht des Angriffs erschüttert gewesen.*
* Diese Kampftaktik war eine Neuheit in der mittelalterlichen Kriegsführung und wurde Eschielle, nach dem französischen Wort für „Staffel“ genannt. Im Prinzip war es eine dicht zusammengedrängte Schwadron der Templer, wobei diese so nahe Sattel an Sattel ritten, dass nicht einmal ein Apfel zwischen den Pferden hinunterfiel. Im Gegensatz zu regulären Truppen, welche niemals einen so hohen Perfektionsgrad ihrer Attacken erreichten, wurde die Eschielle bei den Templern explizit trainiert.
„Gerard de Ridefort hat in allen Komtureien um Freiwillige für den Dienst im Heiligen Land geworben.“
Arnaud blickte in die Augen seines Freundes und wusste ab diesem Moment, dass er das Kreuz auf sich nehmen würde. Am nächsten Tag meldete er sich für den Dienst im Heiligen Land. Er war die ganze Nacht wach gelegen. Seine Freundschaft mit Simon bedeutete ihm sehr viel und auch die Burg Gisors war ihm zur zweiten Heimat geworden. Doch es war beschlossene Sache, dass er gemeinsam mit fünf Rittern der Burg nach Jerusalem reisen würde. Arnaud beendete seine Morgenwäsche und suchte Simon in der Bibliothek auf. „Wie geht es dir, mein Bruder?“ Simon blickte kurz von seiner Abschrift auf und erwiderte: „Gut, auch wenn es mich betrübt, dass sich unsere Wege morgen trennen.“ Arnaud blickte ihn betreten an. „Simon, du bist wie ein Bruder für mich und ich werde dich immer in meinem Herzen tragen. Ich werde dir schreiben, so oft es möglich ist, lass dich umarmen.“ Er trat auf Simon zu und umarmte ihn aus der Tiefe seiner Seele und sprach: „Ich muss meinen Weg gehen, pass auf dich auf, mein Bruder.“
Am nächsten Tag verließ Arnaud gemeinsam mit fünf Rittern unter der Führung von Roger de Granville die Burg Gisors in Richtung Paris. De Granville nahm schon zum zweiten Mal das Kreuz auf sich und war erst im Vorjahr aus dem Heiligen Land zurückgekehrt. Simon stand auf der Mauer der Burg und Arnaud warf seinem Freund einen letzten Blick zu, bevor sich die Templer in Bewegung setzten. Sie nahmen die alte Römerstraße in Richtung Cergy, doch kamen sie auf Grund der schlechten Witterung nur langsam voran. Der Boden war tief und der permanente Regen machte sowohl den Reitern als auch den Pferden zu schaffen. Die Nächte waren für März noch viel zu kalt, sodass sie nur tagsüber reiten konnten. Nach einer knappen Woche konnten sie endlich Paris in der Ferne erkennen und ritten von Westen her Richtung Marais. Die Stadt war größer, als Arnaud gedacht hatte und ihr Geruch bereitete Arnaud tiefes Unbehagen. Die Bevölkerung verrichtete ihre Notdurft auf offener Straße und von den Häusern wurde das Abwasser aus den Fenstern geschüttet, sodass sich kleine stinkende Bäche ihren Weg durch die Straßen und weiter zum nahegelegenen Fluss bahnten. Sie ritten entlang der Seine bis zur Ile de Cite. Schon von Weitem konnte man die in Bau befindliche Kathedrale Notre Dame erkennen. Arnaud war überwältigt von der schieren Größe des Bauwerks. „Sie bauen schon seit zwanzig Jahren“, sagte Roger de Granville. „Wenn sie fertig ist, wird es das imposanteste Bauwerk der Christenheit und eine Huldigung aller Franzosen an unseren Gott, den Schöpfer, sein.“ Der Nordturm war bereits vollendet und ragte so hoch in die Wolken