Lacans politische Klinik des Seins - Slavoj Žižek - E-Book

Lacans politische Klinik des Seins E-Book

Slavoj Zizek

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Beschreibung

Jacques Lacans Psychoanalyse ist — wie die psychoanalytische Bewegung überhaupt — auch ein politisches Phänomen. Man denke nur an die riesige Gemeinschaft der Analysanden und Analytiker, in der sich eine spezifische sozial-politische Dynamik entfaltet. Doch diese politische Dimension wird durch Gedanken durchkreuzt, die Lacan in Auseinandersetzung mit der Philosophie gefunden hat. Žižeks Essay beschäftigt sich mit diesen sich überlagernden Schichten in Lacans Denken. Er zeigt, warum von diesem Denker zwischen Psychoanalyse und Philosophie auch heute noch eine große Faszination ausgeht. The fact that Jacques Lacan's psychoanalysis - like the psychoanalytical movement in general - is also a political phenomenon becomes evident by just thinking of the huge community of analysands and analysts in which a specific socio-political dynamic unfolds. But this political dimension is thwarted by thoughts that Lacan found in his confrontation with philosophy. Žižek's essay deals with these overlapping layers in Lacan's thinking. It shows why this thinker between psychoanalysis and philosophy still holds a great fascination today.

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Slavoj Žižek

Lacans politische Klinik des Seins

Klostermann Essay 4

Aus dem Englischen von Peter Trawny

Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

© für die deutsche Ausgabe

Vittorio Klostermann GmbH · Frankfurt am Main · 2020

Alle Rechte vorbehalten. Ohne Genehmigung des Verlages ist es nicht gestattet, dieses Werk oder Teile in einem photomechanischen oder sonstigen Reproduktionsverfahren oder unter Verwendung elektronischer Systeme zu verarbeiten, zu vervielfältigen und zu verbreiten.

Satz: Marion Juhas, Frankfurt am Main

E-Book-Herstellung: Zeilenwert GmbH 2020

ISSN 2626-5532

ISBN 978-3-465-24418-9

Inhalt

Cover

Titel

Impressum

Eine Kritik der Lacanianischen Ideologie

Die Grenzen der Historisierung

Weder Naturalismus noch transzendentale Reflexion

Gabriel Tupinambas »The Desire of Psychoanalysis«1 ist ein bahnbrechendes Meisterwerk: Es ist eine Überraschung, aber eine Überraschung in dem Sinne, in dem der zweite Mord in Hitchcocks »Psycho« (das Gemetzel des Privatdetektivs Arbogast auf der Treppe des Mutterhauses) den Betrachter mehr überrascht als der berüchtigte Mord unter der Dusche. Der Effekt der Überraschung verdankt sich der Tatsache, dass das, was passiert, das ist, was wir erwartet hatten. Tupinambas Buch verdirbt nicht nur das ideologische Spiel, das jahrzehntelang in Lacanianischen Kreisen gespielt wurde, es geht mit ihm auch eine gewisse Unschuld für immer verloren. Viel wichtiger ist aber, dass Tupinamba uns dazu zwingt, die philosophischen Implikationen der Psychoanalyse auf eine neue Art und Weise zu betrachten.

Eine Kritik der Lacanianischen Ideologie

Als Lacan 1963 von der IPA ausgeschlossen wurde und die Absicht fasste, seine eigene neue psychoanalytische Organisation zu gründen, hatte das radikale Konsequenzen. Tupinamba beschreibt sie treffend:

Genau wie die Klinik nach 1963 nach dem Grundsatz umformuliert werden müsste, dass das ›Unbewusste draußen ist‹, müsste sich die analytische Gemeinschaft mit der Idee abfinden, dass es eine Gemeinschaft ist, die nur aus ihrer eigenen Exteriorität besteht, d. h. eine Gemeinschaft, deren esoterisches Zentrum mit ihrem exoterischsten Material zusammenfällt, der Rede derer, die wegen ihres Leidens nach einer Analyse suchen.

Obwohl die von Tupinamba vorgeschlagene Formel wunderbar ist – »eine Gemeinschaft, die nur aus ihrer eigenen Exteriorität besteht« –, wirft sie einige Fragen auf. Das »Exteriore« ist das Unbewusste selbst. Da es sich jedoch um eine Gemeinschaft einzelner Subjekte handelt, muss dieses Exteriore innerhalb der Gemeinschaft durch ein Subjekt repräsentiert werden, das für das Erkennen des Unbewussten steht, der Analytiker als das Subjekt, das es wissen sollte ( (( sss, le sujet suppose savoir )) ), prädestiniert, die Position eines Meisters einzunehmen.2 Das bedeutet, dass die Analystengemeinschaft nur dann operativ sein kann, wenn sie durch eine Übertragungsfigur zusammengehalten wird (was im Widerspruch zur Definition des Analyseendes als Sturz des sss steht) – die Mitgliedschaft in der analytischen Community reduziert de facto Analytiker auf Analysanten.

Aus diesem Grund finde ich die Idee der »Gemeinschaft« von Analytikern und Analysanten, die durch ihre Fürsorge und Sorge um das Unbewusste verbunden ist, problematisch – die Asymmetrie zwischen den beiden ist einfach zu stark. Ja, für Lacan tritt das wahre Ende der analytischen Behandlung nur dann ein, wenn der Analysant Analytiker wird, aber dies ist, als würde man sagen, dass in einer wahren kommunistischen Partei alle Arbeiter zu Parteiintellektuellen werden müssten. Während man sich dies zumindest als das ideale Ziel eines politischen Prozesses vorstellen kann, der durch empirische Hindernisse vereitelt wird, schließt die analytische Behandlung diese Option aus einem formalen und nicht nur empirischen Grund aus: der radikalen Irreversibilität der Positionen des Analytikers und des Analysanten.

Sympathisch »demokratisch«, wie es scheinen mag, ergibt die Praxis von Sandor Ferenczi (der nach Zeugenberichten seinen Patienten manchmal mitten im Fluss von dessen freien Assoziationen unterbrach, dessen Platz auf dem Diwan einnahm und begann, seine eigenen Assoziationen auszuschütten) keinen analytischen Sinn, da sie die Position des Analytikers als Subjekt, das es wissen sollte, ruiniert. Kurz gefragt: Wer wird in dieser Gemeinschaft dominieren? Wenn Analysanten (wie im von Ferenczi angeführten Fall), verlieren Analytiker ihren Status als sss und sind dann keine Analytiker mehr. Wenn Analytiker, dann bleibt die transferierende Unterordnung der Analysanten unter die Analytiker in vollem Umfang in Kraft – was auch in der Lacanianischen Gesellschaft der Fall ist, in der wir regelmäßig nicht nur Analytiker und Analysanten, sondern auch eine entscheidende dritte Kategorie, so etwas wie Fußsoldatenanalytiker finden: Analytiker, die selber Patienten haben, und die gleichzeitig mit einem »reinen« Analytiker, der selbst nicht mehr in der Analyse ist, analysiert werden. Ich kannte sogar ein paar Fälle von Analytikern, die sich in einer wirklich schwierigen Lage befanden: Sie verfolgten eine endlose Analyse mit dem »reinen« Analytiker (nicht selten aus dem einfachen Grund, um ihren Status in der analytischen Gemeinschaft zu sichern – die Beendigung ihrer Analyse konnte die Wut des »reinen« Analytikers entfachen, der ihr de-facto-Meister war), und sie arbeiteten zuweilen selbst als Analytiker, nur um das Geld zu verdienen, das sie brauchten, um sich ihre eigene Analyse leisten zu können.

Um Lacans berühmte Aussage zu paraphrasieren, dass ein Verrückter nicht nur ein Bettler ist, der glaubt, ein König zu sein, sondern auch ein König, der glaubt, ein König zu sein, kann man sagen, dass ein Verrückter ein Analytiker ist, der glaubt, ein Analytiker zu sein – und so handeln Analytiker in ihrer Organisation. Man sollte in diese Richtung bis zum Ende gehen: Gibt es überhaupt Analytiker? Ist ein Analytiker nicht ein Subjekt / Analysant, der sich im Rahmen der analytischen klinischen Situation so verhält, als wäre er ein Analytiker, ja, der sogar die Rolle eines Analytikers spielt? In dem Moment, in dem wir den Analytiker substantiieren, indem wir ihn als ein Subjekt begreifen, das ein Analytiker an sich ist, außerhalb des klinischen Umfelds, werden die Analytiker zu einer neuen Gruppe von Menschen mit einer besonderen Form, gemacht aus einem besonderen Material (wie Stalin es à propos der Bolschewiki ausdrückte), und alle Blockaden im Umgang mit einem Meister tauchen wieder auf.