Lady Eleanors verwegener Retter - Janice Preston - E-Book

Lady Eleanors verwegener Retter E-Book

Janice Preston

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Beschreibung

Eleanor Ashby in Gefahr - auf ihre Kutsche wird geschossen! Zum Glück ist ein verwegener Gentleman als Retter zur Stelle: der attraktive Matthew Damerel. Zwar überschattet ein Skandal seine Vergangenheit, aber nach einem geraubten Kuss brennt die adlige Schönheit lichterloh vor Verlangen nach ihrem nicht standesgemäßen Retter …

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IMPRESSUM

Lady Eleanors verwegener Retter erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

Redaktion und Verlag: Postfach 301161, 20304 Hamburg Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0 Fax: +49(0) 711/72 52-399 E-Mail: [email protected]
Geschäftsführung:Katja Berger, Jürgen WelteLeitung:Miran Bilic (v. i. S. d. P.)Produktion:Jennifer GalkaGrafik:Deborah Kuschel (Art Director), Birgit Tonn, Marina Grothues (Foto)

© 2015 by Janice Preston Originaltitel: „Return Of Scandal’s Son“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe HISTORICAL SAISONBand 46 - 2017 by HarperCollins Germany GmbH, Hamburg Übersetzung: Mira Bongard

Umschlagsmotive: GettyImages_Kharchenko_irina7

Veröffentlicht im ePub Format in 06/2020 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783733717315

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:BACCARA, BIANCA, JULIA, ROMANA, HISTORICAL, TIFFANY

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1. KAPITEL

April 1811

Hustend und dem Ersticken nahe, rüttelte sie am Griff des Fensters, konnte es jedoch nicht öffnen. Ihre Augen tränten, und die erhitzten Holzdielen versengten ihr die Füße. In ihren Ohren dröhnte das unheilvolle Tosen des Feuers, das unten wütete. Panik erfasste sie, und sie schrie …

„Ellie, Ellie! Wach auf!“

„Was?“ Eleanor erwachte in ihrer sanft schaukelnden Kutsche. Benommen starrte sie ihre Tante Lucy, die verwitwete Marchioness of Rothley an, die sie besorgt musterte. Sie lehnte sich gegen die Rückenpolster, wobei ihr der schreckliche Traum noch lebhaft vor Augen stand.

„Du hast geschrien. Wurdest du schon wieder von diesem Albtraum geplagt?“

Eleanor holte tief Luft – frische und reine Luft. „Ja, verzeih mir, wenn ich dich erschreckt habe, Tante.“ Allmählich ging ihr Herzschlag von einem Galopp in einen Trab über. „Alles an diesem Traum erscheint so real, und ich finde darin keinen Ausweg.“

„Ich bin bloß froh, dass du dem echten Feuer entkommen bist, mein Täubchen. Ich wage gar nicht daran zu denken, was alles hätte passieren können.“

Eleanor nickte.

„Mylady?“ Tante Lucys Zofe, die auf der gegenüberliegenden Bank saß, beugte sich zu ihr vor.

„Ja, Matilda?“

„Ist es wahr, dass jemand die Bibliothek absichtlich in Brand gesteckt hat?“

„Ja“, erwiderte Eleanor einsilbig. Sie wollte das Thema nicht näher erörtern. Jemand war in tiefster Nacht in Ashby Manor, ihrem geliebten Zuhause, eingebrochen, hatte auf dem Boden der Bibliothek einen Bücherstapel errichtet und ihn in Brand gesetzt. Der ganze Ostflügel war den Flammen zum Opfer gefallen. Und all die wunderbaren Bücher!

„Das habe ich dir doch schon erzählt.“ Lizzie, ihre eigene Zofe, die ebenfalls mit in der Kutsche nach London reiste, versetzte Matilda einen Stups mit dem Ellbogen. „Wenn Lady Ashby nicht zufällig aufgewacht wäre, hätte sie …“

„Lizzie!“

Die junge Zofe blickte sie schuldbewusst an und schwieg. Eleanor musste nicht daran erinnert werden, was geschehen wäre, wenn sie in jener Nacht nicht aufgewacht wäre. Sie erschauderte, wenn sie an den schrecklichen Moment dachte, als sie aus dem Fenster ihres Schlafzimmers geklettert war und vergeblich mit den Zehen nach der obersten Sprosse der Leiter getastet hatte, die noch wenige Augenblicke zuvor von ihrem Stallmeister Fretwell gegen die Wand gelehnt worden war. Wenn Lizzie nicht gekommen wäre … Vor Grauen zog sich Eleanor der Magen zusammen. Lizzie hatte aus einiger Entfernung beobachtet, wie jemand Fretwell niederschlug und die Leiter umwarf.

Wer ist dieser Unbekannte?Wollte er mich wirklich umbringen?

Obgleich die männlichen Bediensteten wenig später alles abgesucht hatten, war es ihnen nicht gelungen, eine Spur des Übeltäters zu finden. Fretwell hatte ihn nicht kommen sehen, und Lizzies Beschreibung war viel zu ungenau, um weiterzuhelfen. Außerdem hatte es in der Umgebung keine weiteren Vorfälle gegeben.

„Ich hoffe, Tante Phyllis fühlt sich bei Reverend Harris wohl“, sagte Eleanor zu Tante Lucy, um das Thema zu wechseln. Phyllis, ihre Tante väterlicherseits, hatte ihr ganzes Leben lang in Ashby Manor gewohnt und sich um sie gekümmert, nachdem ihre Mutter durchgebrannt war. Eleanor erinnerte sich, dass sie damals erst elf Jahre alt gewesen war. Seit dem Tod ihres Vaters vor drei Jahren war Tante Phyllis ihre Anstandsdame.

„Oh, ich habe keinen Zweifel, dass sie es in vollen Zügen genießt, Zuhörer zu haben, die ihr nicht entfliehen können“, erwiderte Tante Lucy. Eleanor wusste, dass die ältere Schwester ihrer Mutter und Tante Phyllis nichts füreinander übrighatten. „Mein Mitleid gilt dem Reverend und seiner Frau. Ich bin froh, dass Phyllis es abgelehnt hat, dich nach London zu begleiten, mein Täubchen. Ich freue mich darauf, dich zu guter Letzt doch noch unter die Haube zu bringen.“

Eleanor schüttelte lachend den Kopf. „Du weißt ganz genau, dass ich nur nach London reise, um den Bauarbeiten zu Hause zu entfliehen. Ich hege nicht den geringsten Wunsch, einen Ehemann zu finden.“ Außer ich verliebe mich in jemanden und er sich in mich, und das ist ausgesprochen unwahrscheinlich.

„Du wirst darüber anders denken, sobald du jemandem begegnest, der dein Herz höherschlagen lässt“, entgegnete Tante Lucy, und ihre dunklen Augen leuchteten.

„Du hast eine andere Auffassung von Ehe als Tante Phyllis“, sagte Eleanor. „Ihr ist nur wichtig, dass der Bewerber die entsprechende Herkunft nachweisen kann und über ein großes Vermögen verfügt.“

„Ja, aber sie muss auch nicht mit dem Mann zusammenleben. Glaub mir, es ist eine Qual, mit einem Mann verheiratet zu sein, den du nicht achten kannst oder der sogar lieblos und grausam ist.“

Die Tante verfiel in Schweigen, und Eleanor nahm an, dass sie an ihre unglückliche Ehe zurückdachte. Der verstorbene Lord Rothley war ein gewalttätiger und unberechenbarer Mensch gewesen.

„Nein, das möchte ich wirklich nicht“, stimmte ihr Eleanor zu. Sie war froh, dass Tante Lucy sie nicht zu einer Ehe drängen würde, die ihr nicht behagte.

„Wo befindet sich das Haus, das James für uns gemietet hat?“, erkundigte sich die Tante.

Eleanor nahm den Brief ihres Cousins aus dem Ridikül, glättete ihn und fuhr mit einem Finger über die Zeilen, bis sie die entsprechende Stelle fand.

„Upper Brook Street“, sagte sie. „Ich hoffe, dass es sich als geeignet erweist.“

Nachdem James von dem Feuer und ihrem Wunsch erfahren hatte, London für die Saison einen Besuch abzustatten, hatte er umgehend in ihrem Namen ein Stadthaus gemietet. Wahrscheinlich wollte er sicherstellen, dass ich nicht bei ihm wohne, dachte Eleanor naserümpfend. Gewiss hatte seine Frau Ruth ihn dazu gedrängt.

Das Verhältnis zwischen ihr und Ruth war angespannt, seit diese herausgefunden hatte, dass nicht James, sondern Eleanor den Titel und Ashby Manor erben würde. Das Baronat gehörte zu den ältesten in England und war bereits im 11. Jahrhundert an einen ihrer Vorfahren vergeben worden. Da auch weibliche Nachkommen erbberechtigt waren, war sie seit dem Tod des Vaters die rechtmäßige Baroness Ashby.

Da hat Ruth wohl voreilig geheiratet … Eleanor schmunzelte. Ihrer Meinung nach hatte Ruth es sich selbst zuzuschreiben. Schließlich konnte es ihr nicht schnell genug gehen, James’ Ehefrau zu werden. Dabei hatte sie offenbar versäumt, sich vorher zu vergewissern, ob er Aussichten auf den Titel hatte. Zum Glück habe ich Ruths Bruder Donald gerade noch rechtzeitig durchschaut, dachte Eleanor. Auch wenn sie einen Skandal verursacht hatte, als sie sich am Vorabend der Verlobung von ihm losgesagt hatte. Sofort kursierten wieder die alten Geschichten über die Schande ihrer Mutter.

Es ist das schlechte Blut deiner Mutter!, hallten Tante Phyllis’ Worte in ihren Ohren nach. Seit ihre Mutter vor vierzehn Jahren mit einem Kaufmann durchgebrannt war, hatte sie sich diesen Satz immer wieder anhören müssen. Umso entschlossener war sie, künftig niemandem den geringsten Anlass zu geben, Gerede über sie zu verbreiten. Sie versuchte, sich wieder auf Tante Lucys fröhliches Plaudern zu konzentrieren.

„Die Upper Brook Street ist wirklich eine gute Adresse“, sagte die Tante gerade. „Ich mochte es stets, zur Saison in London zu sein. Und sicherlich wirst auch du diesmal eine glücklichere Zeit haben als bei deinem Debüt. Damals warnte ich deinen Vater und diese griesgrämige Phyllis, weil ich wusste, dass du noch zu jung und schüchtern warst. Und das war auch kaum überraschend, nachdem deine Mama … Wie dem auch sei! Ich werde kein Wort mehr darüber verlieren. Ich kann dir gar nicht sagen, wie sehr ich mich auf London freue, mein Schätzchen. Und deine Gesellschaft wird mir guttun. Ich habe mich in Rothley fast zu Tode gelangweilt. Schließlich bin ich noch viel zu jung, um mich in das Witwenhaus zurückzuziehen, ganz gleich, was mein ältester Sohn behauptet.“

Am späten Mittag dieses ersten Reisetages riss ein ohrenbetäubender Knall sie aus ihren Tagträumen. Die Kutsche stieß gegen etwas, geriet ins Schwanken und kippte dann sehr langsam um, bis sie krachend auf dem Boden aufschlug. Unwillkürlich hatte Eleanor die Arme um Tante Lucy geschlungen, um den Aufprall abzufedern, während sie auf die Kutschenseite fielen. Die beiden Zofen landeten unter hysterischem Kreischen in einem Gewirr aus Armen und Beinen neben ihnen.

Eleanor richtete den Oberkörper auf, wobei sie noch immer die Tante festhielt. Ihre Hüfte schmerzte.

„Oje! Wie furchtbar!“, kreischte Matilda.

„Schüsse! Straßenräuber! Wir werden alle getötet! Großer Gott, steh uns bei!“, jammerte Lizzie.

„Lizzie! Matilda!“ Eleanor hob die Stimme, um sich angesichts des Gejammers der Zofen Gehör zu verschaffen, die sich aneinanderklammerten und die Augen geschlossen hatten. „Würden Sie bitte mit diesem höllischen Lärm aufhören! Ist jemand verletzt?“

„Mein Schädel … Oh, Mylady – Blut! Ich werde verbluten!“

Eleanor drehte sich zu Lizzie um, die sich entsetzt an die Stirn fasste. Dort hatte sie eine kleine Wunde, die wie alle Kopfverletzungen stark blutete. „Unsinn, Lizzie. Bitte reißen Sie sich zusammen. Hier, nehmen Sie mein Taschentuch und drücken Sie es fest gegen die Stirn. Es ist nur eine Schramme.“

Tante Lucy hatte sich mittlerweile von ihr gelöst und sich aufgerichtet. Beruhigend redete sie auf Matilda ein.

„Ist mit dir alles in Ordnung, Tante?“

„Ich bin nur kräftig durchgeschüttelt worden, mein Schätzchen, so wie wir alle. Aber dank deiner Fürsorge habe ich keine Verletzung davongetragen. Du hast dafür gesorgt, dass ich nicht hart aufgeschlagen bin, wofür ich dir herzlich danken möchte. Und Matilda scheint auch unverletzt zu sein, sie hat nur den Schrecken noch nicht ganz verkraftet.“ Sie verzog das Gesicht, als Matilda bei der Nennung ihres Namens erneut in Schluchzen ausbrach. „Und du, Ellie?“

„Ich habe mir nur eine Prellung an der Hüfte zugezogen. Gut, dass wir uns nichts gebrochen haben.“

„Was um alles in der Welt ist eigentlich passiert?“, fragte Tante Lucy. „Ach, jetzt hören Sie endlich auf zu jammern, Matilda. Niemand hat bleibende Schäden erlitten, und wir sind alle noch am Leben.“

„Ich weiß auch nicht, was geschehen ist. Aber Lizzie scheint mir in einem Punkt recht zu haben. Es klang nach einem Schuss.“ Eleanor bemühte sich, ruhig zu klingen, um die Panik, die unter der Oberfläche lauerte, zu verbergen.

Sie blickte zu dem Fenster der rechten Tür über ihren Köpfen. Obgleich die Kutsche auf der Seite lag, bewegte sie sich noch immer ruckweise, und Eleanor hörte, wie die Männer draußen versuchten, die ängstlich wiehernden Pferde zu beruhigen. Sie stellte sich auf die linke Tür, die jetzt zum Boden geworden war. Manchmal hat es doch seine Vorteile, groß zu sein, dachte sie mit trockenem Humor, während sie mit den Händen gegen die andere Tür stieß, die sich über ihren Köpfen befand. Mit lautem Knall schlug sie auf, woraufhin die erschrockenen Pferde noch lauter wieherten. Sie zog sich am Türrahmen hoch und steckte den Kopf durch die Öffnung. Sie konnte nicht viel erkennen und rief nach den Männern. Sofort kletterte ihr Kutscher Joey auf die Seite der Kutsche.

„Joey, Gott sei Dank! Was ist passiert? Bitte helfen Sie mir hinaus.“

Sie ergriff die Hände des Kutschers, der sie nach oben zog und ihr dann hinunter auf den Boden half. Ihr stockte der Atem, als sie das Chaos vor sich erblickte.

Alle vier Pferde waren zu Boden gestürzt. Das Führungsgespann strampelte und scharrte wie wild, um wieder Halt zu finden. Dahinter auf der rechten Seite lag ein Pferd blutend unter der Achse, sein linker Gespannpartner wälzte sich halb unter ihm, verdrehte wie wild die Augen und versuchte vergeblich, sich zu befreien. Fretwell bemühte sich verzweifelt, die führenden Pferde mit einem Messer vom Ledergeschirr loszuschneiden. Timothy, der Lakai, wollte die Tiere beruhigen, musste aber immer wieder den Hufen ausweichen.

Eleanor wollte den Männern zu Hilfe eilen, doch Joey hielt sie am Arm zurück.

„Wir haben gerade eine scharfe Kurve passiert, Ellie. Geh bis dahin zurück und schau, dass niemand kommt. Das Letzte, was wir jetzt brauchen können, ist ein Zusammenstoß mit einer anderen Kutsche.“ Vor lauter Anspannung sprach der alte Kutscher mit ihr, als ob sie noch das kleine Mädchen von früher wäre.

Eleanor blickte zurück, und erst jetzt erkannte sie, in welcher gefährlichen Lage sie sich befanden. Die Kutsche war kurz hinter einer Kurve umgekippt. Nun blockierte sie fast die ganze Straße, die zu beiden Seiten von dichtem Wald gesäumt war. Sie erschauderte, wenn sie daran dachte, was sich in diesem Wald verbergen mochte. Doch jetzt war nicht die Zeit, sich darüber Sorgen zu machen. Die Röcke gerafft, hastete Eleanor auf die Wegbiegung zu, wobei sie das Klappern von nahenden Pferdehufen vernahm.

Ihr Herz raste vor Angst. Es klang, als wären die Pferde schon auf ihrer Höhe, obgleich sie noch nicht zu sehen waren. Sie tat das Einzige, was sie noch tun konnte, um die Katastrophe zu verhindern. Sie eilte auf die Straßenmitte und winkte wild mit den Armen, als zwei schwarze Pferde, die einen Phaeton zogen, auf sie zupreschten.

Fluchend zog der Mann auf dem Sitz an den Zügeln, sodass sich der Wagen auf der Straße drehte und ruckelnd wenige Zoll von ihr entfernt zum Stillstand kam. Ihre Beine zitterten, und sie sah stumm zu, wie ein Reitknecht vom Dienersitz sprang und zu den Pferden rannte. Der Mann auf dem Vordersitz warf ihr einen wütenden Blick zu, zurrte dann die Zügel fest und sprang auf den Boden. Eleanor zuckte zusammen, als er mit grimmiger Miene auf sie zuschritt.

2. KAPITEL

Stolpernd wich Eleanor zurück, während sich der zornige Mann mit hochgezogenen Brauen über durchdringend eisblauen Augen näherte.

„Was um alles in der Welt hat Sie dazu veranlasst?“, zischte er zwischen zusammengepressten Zähnen. „Wollten Sie sich umbringen …“ Er sprach nicht weiter, als er die Szenerie hinter Eleanor erblickte. Er fasste sie an den Oberarmen und sah ihr ins Gesicht.

„Sind Sie verletzt?“

Eleanor schüttelte den Kopf.

„Gut. Sie müssen jetzt ganz stark bleiben. Gehen Sie zu Henry da drüben.“ Er wies auf den Reitknecht. „Sagen Sie ihm, er soll zu mir kommen und mir helfen. Währenddessen halten Sie mein Gespann fest. Sind Sie dazu in der Lage?“ Sie nickte. „Braves Mädchen.“

Entschlossen eilte er auf die umgestürzte Kutsche zu. Eleanor, die noch immer unter Schock stand, starrte ihm einen Moment hinterher. Dann schüttelte sie die Benommenheit ab und tat, was der Fremde ihr aufgetragen hatte.

Braves Mädchen? Wofür hält sich dieser Mann? Er kann nicht viel älter sein als ich!

Sie schob diese unangenehmen Gedanken beiseite. Auch wenn es demütigend war, von ihm in die Rolle der hilflosen Frau gedrängt zu werden, schien er wirklich helfen zu wollen. Wie ein Ritter in glänzender Rüstung … Diese absurde Vorstellung brachte sie beinahe zum Lächeln. Ihrer Erfahrung nach verhielten sich Männer selten ritterlich gegenüber hochgewachsenen und unabhängigen Frauen wie ihr.

Die Gegenwart des Fremden trieb die Bediensteten zu noch größerem Eifer an. Bald war das Führungsgespann befreit, sodass die vorderen Pferde aufstehen konnten. Währenddessen hielt Eleanor die prächtigen schwarzen Hengste vor dem Phaeton am Zaumzeug fest und blickte sich in der waldreichen Umgebung um. Lag dort jemand auf der Lauer?

Timothy wurde zu einem nahe gelegenen Bauernhaus geschickt, das durch die Bäume zu sehen war, um Hilfe zu holen. Das verletzte Pferd, das noch immer verzweifelt strampelte, wurde untersucht. Eine hitzige Diskussion entbrannte, bevor der Fremde dem Kutscher eine Hand auf die Schulter legte und ihm etwas ins Ohr flüsterte. Er schob Joey sanft in ihre Richtung, während er Fretwell zunickte, der eine Pistole aus dem Fach unter dem Kutschbock zog.

Mit Tränen in den Augen sagte Joey: „Sie erschießen sie, Mädchen. Meine Bonny. Sie ist von einer Kugel getroffen worden und hat sich ein Bein gebrochen. Wir können nichts mehr tun, um sie zu retten.“

„Oh, Joey! Es tut mir so leid. Ich weiß, wie sehr Sie an den Pferden hängen.“ Eleanor spürte, wie auch ihr Tränen in die Augen traten. „Schauen Sie nicht hin.“ Sie ergriff seine linke Hand und zog ihn zur Seite, damit er den Blick von der grausigen Szene abwandte. Wenige Sekunden später ertönte ein Schuss, der sie beide zusammenzucken ließ. Joey seufzte.

„Das war’s dann wohl, Mädchen … Entschuldigen Sie, ich meine, Mylady.“ Er riss sich zusammen. „Es gibt noch immer drei Pferde, die mich brauchen. Ich muss zurück.“ Er wandte sich zum Gehen, hielt jedoch einen Moment inne und sah sie besorgt an. „Mylady, wer ist zu einer so niederträchtigen Tat fähig? Auf ein unschuldiges Tier zu schießen, ist schon schlimm genug, aber es hätte auch einen von uns treffen können.“

Seine Worte gingen ihr nicht aus dem Sinn, als sie zusah, wie er zu den anderen Männern zurückkehrte und sie gemeinsam Bonnys Kadaver von dem Gespannpartner Joker hievten. Es lief ihr kalt den Rücken hinunter, als Fretwell erneut die Pistole lud und langsam die Straße entlangging, wobei er zu beiden Seiten in den Wald starrte.

Mittlerweile war Joker wieder auf den Beinen, zitterte und ließ zu, dass Joey ihn streichelte und ihm beruhigende Worte ins Ohr flüsterte. Henry kehrte zurück, um sich wieder um das schwarze Gespann vor dem Phaeton zu kümmern, und Eleanor begab sich zu den Männern vor der Kutsche.

Ihr entging nicht, dass der Fremde sie prüfend musterte, und auch sie versuchte unauffällig, sich ein Bild von ihm zu machen. Sein Phaeton und die Pferde waren hochwertig, doch seine Kleidung – ein Paletot, der offen über einem weiten dunkelblauen Gehrock hing, Breeches aus Wildleder und ein unordentlich gebundenes Krawattentuch – war nicht dazu geschaffen, Eindruck zu schinden. Kein Gentleman aus ihrem Bekanntenkreis hätte einen solchen Mangel an Eleganz zur Schau getragen. Seine Statur war athletisch, das Gesicht mit der leicht gekrümmten Nase – vermutlich das Ergebnis eines Nasenbeinbruchs – war entgegen der Mode gebräunt, und sein kantiges Kinn ließ ihn wie einen eigensinnigen Mann erscheinen, der nicht in die Gesellschaftszimmer der feinen Kreise passte.

Zweifellos stellte er einen Respekt einflößenden Gegner dar. Gegner? Sie ärgerte sich, dass sie seit dem Brand überall eine Bedrohung witterte.

Sie hob das Kinn und erwiderte den festen Blick des Mannes. Kühl taxierte er sie mit seinen blauen Augen. Seine Züge drückten Stärke und Zielstrebigkeit aus. Einen Moment lang kniff er die Augen ein wenig zusammen, bevor er lächelte. Dieses Lächeln nahm seinem Gesicht das Furchteinflößende, und mit einem Mal verströmten seine Augen Wärme und Herzlichkeit.

„Ich danke Ihnen für Ihre Hilfe, Sir.“

Er verbeugte sich. „Es war mir ein Vergnügen, Madam.“ Sein Lächeln wurde zu einem Strahlen. „Ich habe schon lange davon geträumt, eine junge Prinzessin in Not zu retten, und jetzt …“, er wies mit einem Arm auf die Kutsche, „… ist mein Traum wahr geworden.“

Eleanor nahm an, dass er sie verspottete, doch in seinem Blick ließ sich keine Heimtücke erkennen.

„Wie dem auch sei“, sagte sie. „Ich bin Ihnen jedenfalls dankbar, und es tut mir leid, dass ich beinahe ein weiteres Unglück verursacht hätte.“

„Sie haben das Richtige getan. Es hätte schlimme Folgen haben können, wenn Sie nicht so entschlossen gehandelt hätten – oder genauer gesagt, mutig.“ Sie bemerkte ein teuflisches Funkeln in seinen Augen, als er leise hinzufügte: „Oder tollkühn.“

Eleanor öffnete den Mund, um etwas zu erwidern, doch er drehte sich gerade um, weil ein leiser Schrei aus dem Inneren der umgestürzten Kutsche erklang.

„Große Güte!“ Erst jetzt fiel Eleanor ein, dass Tante Lucy, Lizzie und Matilda noch immer in der Kutsche gefangen waren. „Darf ich Ihre Hilfe noch einmal in Anspruch nehmen, Sir?“

„Wer ist denn noch in der Kutsche?“

„Meine Tante und unsere Zofen.“

Der Fremde kletterte sofort auf die Kutschenseite, kniete sich hin, zog die drei Frauen nacheinander hinaus und half ihnen behutsam auf den Boden.

Offenkundig ist er es gewohnt, das Kommando zu übernehmen, dachte Eleanor, als sie beobachtete, wie zielstrebig er zu Werke ging. Bleich und aufgewühlt stellte sich Tante Lucy zu ihr.

„Wie geht es …?“ Eleanor konnte die Frage nicht zu Ende sprechen.

„Ich frage mich, wer unser Retter ist“, unterbrach Tante Lucy sie flüsternd. „Er ist sehr attraktiv – sehr männlich, meine ich. Oder findest du etwa nicht, Ellie?“

„Pst, Tante Lucy. Er wird dich noch hören“, zischte Eleanor.

Der Fremde schritt gerade auf sie zu. Er trug keinen Hut, und ein paar helle Strähnen seines dunkelblonden Haars fielen ihm in die Stirn. Unwirsch strich er sie nach hinten.

„Ich fürchte, dass ich erneut in Ihrer Schuld stehe, Sir“, sagte Eleanor.

„Wie ich bereits versicherte, ist kein Dank nötig. Es war … ist mir ein Vergnügen. Darf ich mich vorstellen? Matthew Thomas, zu Ihren Diensten, meine Damen.“

Tante Lucy, deren kleine dunkle Augen neugierig funkelten, erwiderte: „Lady Rothley.“

Mr. Thomas verbeugte sich. „Ich fühle mich geehrt, Ihre Bekanntschaft zu machen, Lady Rothley. Und …?“

„Erlauben Sie mir, sie mit meiner Nichte Eleanor, Baroness Ashby, bekannt zu machen.“

Mr. Thomas verbeugte sich erneut. „Ich bin entzückt, Lady Ashby.“

Eleanor erkannte Bewunderung in seinem Blick. Es war, als ob ihr Inneres einen Purzelbaum schlüge. Oh ja, insgeheim stimmte sie ihrer Tante zu, dass er sehr attraktiv war. Sie wandte den Blick von Mr. Thomas zu Fretwell, der mit gerunzelter Stirn zurückkehrte.

„Fretwell, ich hoffe, Ihr Kopf hat keinen neuen Schaden genommen. Die Wunde war gerade erst verheilt.“

„Abgesehen von ein paar blauen Flecken ist mir nichts passiert, Mylady. Ich bin froh, dass keiner umgekommen ist – zumindest kein Mensch“, fügte er mit düsterer Miene hinzu.

„In der Tat hätte viel Schlimmeres passieren können …“

Fretwell warf Mr. Thomas einen misstrauischen Blick zu, bevor er leise fragte: „Kann ich Sie kurz unter vier Augen sprechen, Mylady?“ Mit dem Kopf wies er auf die andere Seite der Straße.

Verwundert entschuldigte sich Eleanor bei Mr. Thomas und folgte dem Stallmeister. „Was ist los?“

„Wir sollten so schnell wie möglich verschwinden, Mylady“, sagte er. „Wir sind hier nicht sicher und wissen auch nicht, wer er eigentlich ist. Er ist sehr rasch nach dem Schuss aufgetaucht, finden Sie nicht?“

„Fretwell! Sie wollen doch nicht unterstellen, dass jemand absichtlich auf das Pferd geschossen hat, oder?“ Eleanor wies Fretwells Verdacht trotz der eigenen Zweifel von sich. „Weshalb sollte jemand …?“

„Nach dem Feuer scheint mir das hier kein Zufall zu sein.“

Der Brand … Das mittlerweile fast schon vertraute Unbehagen stellte sich wieder ein, doch sie ließ sich nichts anmerken. Es war ihre Pflicht, vor den Bediensteten Haltung zu bewahren. Wenn die Männer sie als schwache Frau betrachteten, würde der Respekt schwinden, und ihre Autorität war rasch untergraben.

„Unsinn!“, erwiderte sie. „Hier ist niemand zu sehen. Bestimmt war es nur ein verirrter Schuss eines Jägers. Und wenn Sie unterstellen wollen, dass Mr. Thomas etwas damit zu tun haben könnte, muss ich mich sehr über Sie wundern! Sonst geht doch auch nicht die Fantasie mit Ihnen durch.“

Fretwell errötete, blickte sie aber starrköpfig an. „Mylady, ich weiß, was in der Nacht des Feuers passiert ist. Das war kein Unfall, es geschah mit Absicht.“

„Schon gut, ich werde vorsichtig sein, aber bitte behalten Sie Ihre Mutmaßungen für sich. Ich möchte nicht, dass Lady Rothley Angst bekommt, und es gibt keinen Anhaltspunkt, dass Mr. Thomas in die Angelegenheit verwickelt ist.“ Sie erblickte ihren Lakaien in Begleitung eines Mannes, der zwei Zugpferde am Zügel führte. „Timothy kehrt mit Unterstützung zurück. Lassen Sie uns sehen, wie wir von hier fortkommen.“

Wie sie das mit einer beschädigten Kutsche bewerkstelligen sollten, war ihr allerdings ein Rätsel. Tante Lucy, Lizzie und die immer noch ins Taschentuch schluchzende Matilda hatten sich etwas entfernt auf einen Grashügel am Straßenrand gesetzt. Eleanor, die der Vorfall stärker in Mitleidenschaft gezogen hatte, als sie zugeben wollte, hätte sich am liebsten zu ihnen gesellt und alles Weitere den Männern überlassen.

Doch es ging um ihre Kutsche, ihre Pferde und ihre Bediensteten. Folglich trug sie die Verantwortung.

Sie begab sich zu den Männern und achtete nicht auf die verwunderten Blicke von Mr. Thomas und dem Bauern. Ihre eigenen Leute wussten nur zu gut, dass es nicht ratsam war, ihre Zuständigkeit infrage zu stellen.

Rasch wurde deutlich, dass Mr. Thomas sich nach wie vor als derjenige betrachtete, der die Anweisungen erteilte. Eleanor fand es zunächst amüsant, nur als Zuschauerin eingestuft zu werden, doch dann empörte sie sich immer mehr, als sie keinerlei Beachtung fand.

Sie trat einen Schritt vor, um ihre Autorität geltend zu machen.

3. KAPITEL

Matthew Thomas inspizierte die umgestürzte Kutsche.

„Befestigen Sie die Kette hier“, befahl er Timothy, zeigte auf eine Stelle an der Eisenfeder am hinteren Teil der Kutsche und bemühte sich, nicht auf die Baroness zu achten, der es offensichtlich in den Fingern juckte, das Kommando zu übernehmen.

„Timothy, Sie müssen die Kette weiter vorn anbringen – so weit hinten ist das sinnlos!“, erklärte sie ihrem Lakaien gebieterisch.

Matthew, der sich gerade vorgebeugt hatte, um zu überprüfen, ob die Kette gut befestigt war, hob eine Braue und sah die Baroness an.

Sie erwiderte seinen Blick mit der üblichen aristokratischen Überheblichkeit.

„Wenn die Kutsche von dort aus hochgezogen wird, wird sie sich eher drehen als sich aufrichten“, verkündete sie.

Matthew wurde wütend, wahrte jedoch die Beherrschung. Er war nicht mehr der unbändige Junge von einst.

„Wenn die andere Kette ganz vorne an der Kutsche befestigt wird, gleicht das die seitliche Bewegung aus, und wir können den Wagen mühelos aufrichten“, sagte er ruhig.

Im Grunde belustigte ihn ihre Entrüstung. Sie richtete sich kerzengerade auf, und ihre Größe war beachtlich für eine Frau. Sie war nur etwa zehn Zentimeter kleiner als er mit seiner Körpergröße von einem Meter fünfundachtzig. Ihr hellblauer Reisemantel klaffte auf und enthüllte eine feminine Figur, die er anerkennend musterte, bevor er ihr wieder in die hitzigen bernsteinfarbenen Augen blickte. Sie runzelte die Stirn und zog die dunklen Brauen zusammen.

Sein Interesse an ihr war in dem Moment geweckt worden, als er von seinem Sitz gesprungen und ihr in das bleiche Gesicht gesehen hatte. Sie war von auffälliger Attraktivität, wenn sie auch nicht dem gängigen Schönheitsideal entsprach. Überdies besaß sie Courage – sich vor seine herangaloppierenden Pferde auf die Straße zu stellen, zeugte von außergewöhnlichem Mut.

Selbstverständlich konnte er ihre Schönheit bewundern und sie sogar begehren, doch dabei musste er eine Distanz wahren, als handelte es sich bei ihr um eine bezaubernde Skulptur oder ein Gemälde. Er war schon lange nicht mehr Teil der trügerischen Welt, der sie entstammte. Erneut wandte er seine Aufmerksamkeit der beschädigten Kutsche zu.

„Wir benötigen Stangen, um die Kutsche hochzuhebeln, während die Pferde ziehen“, stellte Eleanor ein paar Minuten später fest.

Matthew hielt erneut mit der Arbeit inne. Er machte einen Schritt auf sie zu, und sie wich zurück und sah ihn verunsichert an. Dann presste sie die Lippen zusammen und näherte sich wieder, bis sie sich beinahe Nase an Nase gegenüberstanden. War das Schneid oder nur ein angeborenes Überlegenheitsgefühl?

Er bemühte sich um einen gelassenen Tonfall und sprach sehr leise, damit keiner der Bediensteten seine Worte hören konnte. „Falls Sie unbedingt helfen möchten, schlage ich vor, dass Sie erneut meine Pferde festhalten. Dann kann Henry uns unterstützen. Außer, Sie haben ernsthaft vor, Ihre Schulter unter die Kutsche zu klemmen, wenn die Pferde zu ziehen beginnen. Bei allem Respekt scheinen Sie mir für eine derartige Tätigkeit weder körperlich geschaffen noch passend gekleidet.“

„Hm.“ Sie senkte den Blick.

„Übrigens haben Sie mit den Stangen vollkommen recht, Mylady.“ Er wies mit einem Arm auf das hintere Ende der Kutsche, wo bereits zwei stabile Stangen auf dem Boden lagen. „Wie Sie sehen, hat der Bauer an alles gedacht.“

Als sie in die angezeigte Richtung blickte, errötete sie.

„Oh.“ Sie schwieg einen Augenblick betroffen. „Das hatte ich nicht gesehen.“

Matthew bekam Gewissensbisse. Er hatte sie nicht lächerlich machen wollen. Er hätte sich nicht über ihre Arroganz ärgern sollen. Es war schließlich nicht ihre Schuld, dass sie zu der Welt gehörte, die er so verabscheute.

Nach wie vor standen sie sich dicht gegenüber, und ihr verführerischer Duft stieg ihm in die Nase – blumig und verwoben mit dem untrüglichen Aroma einer schönen Frau. Verlangen erfasste ihn, und er drehte sich rasch weg, um sich wieder dem vorliegenden Problem zu widmen.

Unter großen Mühen richteten die Männer die schwankende Kutsche auf und begutachteten das Ausmaß des Schadens. Ein Rad musste ausgetauscht werden, der Rest ließ sich mehr oder weniger gut reparieren.

„Es gibt im nächsten Dorf ’nen Stellmacher“, sagte der Bauer, der sich als Alfred Clegg vorgestellt hatte. „Ich lass ihn benachrichtigen. Die Pferde können solange auf meiner Koppel weiden. Wohin sind die Herrschaften denn unterwegs?“

„Wir haben Zimmer im White Lion in Stockport reserviert“, antwortete Eleanor, die von Henry abgelöst worden war und sich wieder zu den Männern gestellt hatte.

Der Bauer kratzte sich am Kopf und blickte gen Himmel. „Das is’ ziemlich weit weg, Madam. Außerdem wird’s sicher noch regnen.“

„Haben Sie eine Kutsche oder ein Gefährt, das wir von Ihnen mieten könnten?“

„Leider nich’, Madam. Meine Frau ist heute mit dem Gig zum Markt gefahr’n. Ich hab’ nur noch ’nen Heuwagen.“ Er blickte sie zweifelnd an. „Für Ihr Gepäck is’ das vermutlich in Ordnung, und vielleicht haben Ihre Bediensteten auch nix dagegen, aber …“ Er verfiel in Schweigen und schüttelte den Kopf. „Meine Pferde würden’s ohnehin heute nich’ bis Stockport schaffen. Sie sind stark, aber nicht schnell.“

„Ich habe für heute Abend ein Zimmer im Green Man in Ashton reserviert“, sagte Matthew. „Das liegt weit näher als Stockport, außerdem handelt es sich um einen sauberen und komfortablen Gasthof. Ich nehme an, dass sie dort noch ausreichend Zimmer für uns alle haben. Mit dem Heuwagen könnten wir problemlos das Gepäck und die Bediensteten befördern, und ich würde die beiden Damen in meiner Kutsche mitnehmen – falls sie nichts dagegen haben, ein wenig zusammenzurücken.“

Während er sprach, blickte er in die Runde. Die Mehrheit signalisierte Zustimmung, aber die Baroness sah ihn aufmüpfig an, und auch ihr Stallmeister musterte ihn mit Argwohn.

„Das scheint mir eine ausgezeichnete Ideen, Mr. Thomas. Bist du etwa nicht der Meinung, Ellie?“, mischte sich Lady Rothley ein.

Matthew erwiderte Lady Rothleys Lächeln und hoffte, dass sie nicht ahnte, wer er war. Er hatte ihre Söhne gekannt – zwei ungestüme Lebemänner –, doch der Marchioness war er zuvor nie begegnet. Es war viele Jahre her, seit er aus der Welt ausgeschlossen worden war, der diese Damen angehörten. In der Jugend hatte er seiner Mutter auffällig geähnelt, doch sein ereignisreiches Leben hatte auch sein Äußeres verändert. Er nahm an, dass die Ähnlichkeiten nicht mehr so augenscheinlich waren. Beim Gedanken an seine Mutter zog sich sein Herz schmerzhaft zusammen. Mit einem stummen Fluch vertrieb er seine Schwäche. Seine Familie hatte nicht an seine Unschuld geglaubt. Sie hatten sogar vergessen, dass er existierte. Verbittert schob er die finsteren Erinnerungen beiseite.

„Ich würde es bevorzugen, wie geplant nach Stockport weiterzureisen, Tante“, erwiderte Eleanor. „Fretwell, Sie sollten besser hierbleiben – falls Mr. Clegg keine Einwände hat – und morgen die verbleibenden Pferde nach Hause bringen.“

Der Bauer nickte zustimmend.

Fretwell warf Matthew einen misstrauischen Blick zu. „Ich denke, ich sollte besser bei Ihnen bleiben, Mylady. Zum Schutz …“, murmelte er.

Matthew hob erstaunt die Brauen. Was war ihm hier entgangen?

„Nein, Fretwell. Ich werde meine Pläne nicht ändern. Ich miete eine andere Kutsche, die uns nach London bringt. Joey, Sie können ebenfalls hierbleiben und die Reparaturen überwachen. Ich werde Ihnen ein neues Gespann schicken, mit dem Sie uns nach London folgen können, sobald die Kutsche wieder reisetauglich ist.“

Zweifellos ist sie eine Frau, die ihre eigenen Entschlüsse fasst und ihre eigenen Wege geht, dachte Matthew, als er ihre Anweisungen hörte.

„In Ashton miete ich eine Kutsche, die uns weiter nach Stockport bringt“, fuhr sie fort. „Mr. Thomas hat ja freundlicherweise angeboten, uns bis dorthin mitzunehmen.“

Ihre unverhohlene Abneigung, einen Abend in seiner Gesellschaft zu verbringen, erzürnte Matthew. Für wen hielt sich Lady Ashby, dass sie ihn wie einen Niemand behandelte? Für einen Moment hätte er sie am liebsten auf der Straße stehen gelassen und wäre weitergefahren. Doch dann besann er sich. Die Baroness benötigte dringend eine Lektion, die sie von ihrem hohen Ross herunterbrachte.

Herausfordernd hob er eine Braue und wandte sich an Lady Rothley. „Da alle derartig durchgerüttelt wurden, scheint es mir ratsamer, Sie blieben heute Abend in Ashton, Mylady. Ich bin mir sicher, dass es Ihnen im Green Man gefallen wird und Sie einen gemütlichen Platz neben dem Kamin und ein heißes Getränk willkommen heißen.“

„Das ist eine verlockende Aussicht, Mr. Thomas“, erwiderte Lady Rothley und schenkte ihm ein dankbares Lächeln.

Eleanor verzog die Lippen.

„Ausgezeichnet“, sagte Matthew. „Dann ist alles geklärt. Ich bringe Sie und Ihre Nichte mit meinem Phaeton nach Ashton, und die Bediensteten und das Gepäck folgen uns mit Cleggs Heuwagen.“ Er wandte sich an Eleanor, wobei er über ihren Unmut schmunzeln musste. „Wollen wir aufbrechen, Madam?“

4. KAPITEL

Die Fahrt zum Green Man war für Eleanor nicht nur unbequem, sondern auch peinlich. Die Sitzbank des Phaetons bot eigentlich nur für zwei Reisende Platz. Zu dritt herrschte quälende Enge, und zu ihrem Verdruss half Matthew ihr zuerst auf die Sitzbank, bevor er Tante Lucy hinaufhob. Dann kletterte er auf der anderen Seite hinauf, sodass Eleanor in der Mitte zwischen den beiden eingequetscht war.

Matthew Thomas brachte sie mit seinem wissenden Lächeln, dem spöttischen Tonfall und seiner männlichen Ausstrahlung ganz durcheinander.

Während der Fahrt verhielt sich Tante Lucy ungewöhnlich schweigsam.

„Bist du sicher, dass du keine Verletzung davongetragen hast, Tante?“, erkundigte sich Eleanor besorgt.

„Ja, ganz sicher. Mach dir um mich keine Gedanken, mein Schätzchen. Ich bin nur ein wenig müde, das ist alles.“

Ermattet schloss die Tante die Augen. Eleanor drückte ihr aufmunternd die Hände. Auch sie fühlte sich erschöpft, doch der muskulöse Oberschenkel von Mr. Thomas und die Hitze, die von ihm ausging, stellten sicher, dass sie wach blieb. Sosehr sie sich auch bemühte, sich auf die Straße vor ihnen zu konzentrieren, immer wieder wanderte ihr Blick zu seinen Händen, die von abgewetzten Lederhandschuhen verhüllt waren. Er führte die Zügel mit großem Geschick, und sein prachtvolles Gespann befolgte jede Anweisung.

„Wie lange haben Sie die beiden schon?“, erkundigte sie sich, auf die samtschwarzen Pferde weisend, deren Fell in der Nachmittagssonne glänzte. „Sie wirken wie …“ Sie zögerte, erschrocken über das, was sie hatte sagen wollen. „Ich meine, dass die zwei ein ausgezeichnetes Gespann abgeben.“

„Sie wirken wie was?“

Warum hatte sie bloß nicht die Zunge im Zaum gehalten? Er starrte sie durchbohrend mit seinen blauen Augen an.

„Sehen sie etwa zu gut aus für mich? Wollten Sie das eigentlich sagen?“

Offenbar hatte sie einen wunden Punkt getroffen. Sie wagte es, ihn von der Seite anzublicken. „Ich wollte Sie nicht verletzen.“

„Dann ist es ja gut, nicht wahr?“

Sie nahm ihm die Worte nicht ab. Eine Zeit lang war außer den Hufschlägen nichts zu vernehmen. Eleanor biss sich auf die Unterlippe.

„Nichtsdestotrotz haben Sie recht“, sagte Matthew schließlich. „Die Tiere sind weit kostbarer als jene, die ich mir sonst leiste. Und um Ihre Frage zu beantworten: Ich besitze sie erst seit gestern.“

Eleanor unterdrückte einen überraschten Ausruf. Es war kaum zu glauben, dass ein Gespann, das noch ganz neu war, den Befehlen so willig folgte. Zweifellos wusste Matthew Thomas mit Pferden umzugehen, doch schien es ihr nicht ratsam, das Lob auszusprechen. Der Mann war bereits eingebildet genug. Erneut heftete sie den Blick auf die Straße.

„Sie möchten Ihre Überraschung unbedingt verbergen, doch ich interpretiere Ihr Schweigen als Kompliment“, sagte Matthew grinsend. „Das besänftigt meinen verletzten Stolz.“

„Ganz offenkundig sind die Pferde ungewöhnlich gut geschult worden, bevor Sie sie erworben haben“, erwiderte Eleanor scharfzüngig, weil sie sich darüber ärgerte, dass er sie durchschaut hatte.

„Touché. Da haben Sie mir einen eindrucksvollen Hieb versetzt!“, rief Matthew lachend.

Eleanor hob eine Braue, konnte jedoch nicht verhindern, dass ihre Mundwinkel zuckten. „Falls Sie ein Kompliment verdienen, Mr. Thomas, werde ich nicht zögern, es auszusprechen. Doch bis dahin …“