Lady Jane Memoiren einer Meisterdetektivin - Maureen O'Kelly - E-Book

Lady Jane Memoiren einer Meisterdetektivin E-Book

Maureen O'Kelly

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Beschreibung

Lady Jane, die bekannte Meisterdetektivin aus London schreibt nach einem abenteuerlichen, langen Leben als Meisterdetektivin ihre Memoiren. Darin enthüllt sie so einiges, was sie früher verschwiegen hatte. Und dies ist nicht immer ganz comme-il-faut! Was wurde in früheren Werken verheimlicht? Warum durften die Memoiren erst nach ihrem Tod veröffentlicht werden? Diese sehr aufrichtigen Erinnerungen enthalten spannende und unterhaltsame Episoden der krimine... eh... kriminalistischen Arbeit der Detektivin und ihres lieben Freundes, Colonel McRae. Begleiten Sie Lady Jane auf ihren Ermittlungen, die sie von England nach Schottland und unter anderem auch weiter nach Frankreich, Ungarn und Ägypten führten.

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Seitenzahl: 410

Veröffentlichungsjahr: 2023

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Maureen O’Kelly

LADY JANE

Memoiren einer

Meisterdetektivin

Detektivroman

© 2023 Maureen O’Kelly

Alle Rechte vorbehalten

Cover-Foto: © Maureen O‘Kelly

Alle Gestalten in diesem Roman sind frei erfunden. Jede Ähnlichkeit mit lebenden oderverstorbenen Personen ist rein zufällig, das Gleiche gilt auch für die Handlungen imRoman.

ICH STELLE MICH VOR

Mein Name ist Lady Jane Selpram.

Mit mehr als achtzig Lebensjahren und einer langen, erfolgreichen Karriere als Meisterdetektivin hinter mir, beginne ich heute meine Memoiren zu schreiben. Sie werden offen und ehrlich – ganz ehrlich – sein, und dürfen deshalb auch erst nach meinem Tod veröffentlicht werden.

Zuerst ein paar Worte über mich selbst:

Ich wurde im Jahr der Entdeckung von Penicillin und dem Wahlrecht ohne Auflagen für Frauen ab einundzwanzig Jahren in England in einem kleinen, aber sehr malerischen Ort in der Grafschaft Kent, südöstlich von London, geboren. Die ersten Jahre meines Lebens verbrachte ich in einem halbverfallenen Landhaus, dem Stammsitz der Familie Selpram. Meine Eltern stammten beide aus dem ländlichen Kleinadel, waren fast mittellos und konnten mir nur durch einen streng zurückhaltenden Lebenswandel eine gute Ausbildung sichern. Ich war noch im Teenager-Alter, als beide plötzlich während einer Grippe-Epidemie starben und ich von einer entfernten Verwandten, welche auf einem großen Besitz in Frankreich lebte, aufgenommen und erzogen wurde. Durch sie erhielt ich auch im Laufe der Zeit Zugang in die Kreise des europäischen Hochadels.

Seit meiner frühesten Jugend war ich von allen Arten von Kriminalfällen, wirklichen oder fiktiven, begeistert. Aber ich studierte auch sehr aufmerksam alle Menschen, mit welchen ich in Berührung kam, und gewann mit der Zeit die Fähigkeit, die Gedanken anderer zu lesen, zu deuten und ihren wahren Charakter zu ermitteln. Dazu kam mein großes Interesse an Juwelen und anderen Wertgegenständen, die Kenntnisse darüber konnte ich mir mit Leichtigkeit im Rahmen meines Umgangs mit Personen des europäischen Adels und Hochadels, sowie bei meinen zahlreichen Besuchen von Museen, Kunstauktionen und hervorragenden Juwelieren aneignen.

Ich halte nicht viel von vollständiger Verkleidung und Darstellung einer vollkommen anderen Person. Meines Erachtens kann schon ein einfacher Wechsel im Stil und vom Tragen von Kleidung andere Menschen in die Irre führen. Allerdings benutzte ich –

wenn nötig – einen angenommenen Namen. Im Laufe meiner Ermittlungen war ich jedoch nur sehr selten nicht ich selbst. Dieses ‚Ich-selbst‘ - wenn ich mich in meinem großen Spiegel betrachte - sah und sieht auch heute noch (dank eines gesunden Lebenswandels, guter Gene, etwas Kosmetik und Haarfarbe) folgendermaßen aus: Über all die Jahre hinweg konnte ich zum Glück meine gute Figur behalten. Dass ich etwas über Mittelgröße bin, hat, seit ich im Rollstuhl sitze, keine Bedeutung mehr.

Mein Gesicht ist zwar durch die Medien international bekannt, ich möchte es dennoch hier kurz beschreiben: es ist leicht oval, noch immer mit einem Hauch von

Sonnenbräune– dank meiner Liebe für die Natur - und fast ohne Falten. Ich besitze eine hohe Stirn, dichte, braune schön geschwungene Augenbrauen über großen, grünen Augen mit fast schwarzen, langen Wimpern. Meine Nase ist vielleicht etwas zu klein geraten, meine Ohren sind noch immer unter tizianroten Locken verborgen.

Mein vielleicht ein wenig zu breiter Mund besitzt sensuelle Lippen, mein Kinn ist von der energischen Sorte und mein Hals vielleicht etwas zu lang. Aber das sind Kleinigkeiten und an Schönheitswettbewerben war mir nie gelegen. Mein Auftreten ist noch immer aristokratisch, das hat mir bei meinen Ermittlungen in den höchsten Gesellschaftskreisen meist sehr geholfen.

Meine Hobbies waren und sind noch heute: Reiten, Falknerei, Hunde, Motorboote und schnelle Autos.

Ich sitze seit über fünfzig Jahren im Rollstuhl, was mich jedoch weder an der Ausübung meiner Detektiv-Arbeit noch an der meiner Hobbies hindert.

Sie wollen natürlich wissen, wie es zu meiner Behinderung kam.

Das ist rasch erzählt. (Siehe auch: Maureen O’Kelly „Nach Ihnen, Herr Oberinspektor!“) Ich war noch keine dreißig Jahre alt, als ich mir an einem wunderschönen, sonnigen Frühsommermorgen in Nizza auf der Promenade des Anglais gerade die Auslage eines bekannten Juweliergeschäftes anschaute.

Um diese Zeit waren nur wenig Menschen unterwegs, die meisten saßen wohl noch beim Breakfast in ihren Hotels oder zuhause. Ich bin jedoch eine Frühaufsteherin und seit meiner Jugend fast magisch von Juwelen und Edelsteinen aller Art angezogen. So bewunderte ich tief in Gedanken versunken zwei herrliche Brillanten-Ensembles, deren Halsketten, Ohrgehänge, Armreifen und Ringe in Platinfassungen im durch die dicke Glasscheibe auf sie fallenden, morgendlichen Sonnenlicht nur so funkelten.

Deshalb bemerkte ich auch nicht, dass sich mehrere Männer, die dem Eingeweihten sofort als Polizeibeamte in Zivil aufgefallen wären, vorsichtig von allen Seiten dem Juweliergeschäft näherten. Ich sah auch nicht, dass mehrere dubiose Gestalten sich auf der Promenade an verschiedenen, taktisch relevanten Stellen aufhielten.

Plötzlich wurde die Tür des Juweliergeschäftes von innen aufgestoßen und zwei maskierte Männer, die schwere Pistolen in den Händen hielten, stürmten heraus. In diesem Augenblick erklang laut und amtlich der Befahl, sofort stehenzubleiben, ihre Waffen auf den Boden zu werfen, die Arme über den Kopf zu halten und sich ohne Gegenwehr festnehmen zu lassen.

Doch die Banditen dachten nicht daran, stehenzubleiben oder gar sich ihrer Pistolen zu entledigen. Denn plötzlich erklangen Schüsse im Rücken der Beamten, von denen einer der Polzisten getroffen wurde. Ich drehte mich um und wendete - erstarrt und

entsetzt - meinen Blick von der Auslage des Juweliers zurück zur Promenade und der sich vor meinen Augen abspielenden Szene. Alle anderen, nicht in das Drama verwickelten Personen, hatten sich bereits in Sicherheit gebracht. Nur mir war der Fluchtweg abgeschnitten.

Jetzt schossen auch die Banditen, die den Juwelier ausgeraubt hatten. Die Beamten kamen so zwischen zwei Feuer und sahen ein, dass sie keine Chance hatten. Ein weiterer Polizist griff sich an die Schulter und sank zu Boden. Die anderen zogen sich zurück. Jetzt hatten die Banditen freie Bahn, zu ihrem Fluchtauto zu gelangen. Sie hatten scheinbar keinen Blick übrig für die junge Frau, die sich vorsichtig - und so unauffällig wie möglich - zum Gehen wendete, um aus der Gefahrenzone zu entkommen. Aber kaum hatte ich einige Schritte in Richtung Stadt getan, als ich plötzlich einen harten Schlag im Rücken spürte, dann wurde es Nacht um mich.

Ich kam einige Tage später in einem Krankenzimmer im Spital zur Heiligen Jungfrau wieder zu mir. Zuerst war meine Erinnerung getrübt, doch dann wurde mir klar, dass ich bei der Schießerei nach dem Juwelenraub eine Verletzung davongetragen haben musste. Die Schwere und Auswirkung der durch eine Kugel im Rückenmark verursachten Verletzung erfuhr ich jedoch erst nach einigen Tagen. Eine Notoperation hatte zwar mein Leben gerettet, doch von nun an konnte ich meine Beine nicht mehr bewegen und musste mein Leben im Rollstuhl fortsetzen.

Oh ja! Der Schock saß tief, aber ich war und bin eine unverbesserliche Optimistin. Bald schon überlegte ich mir, wie ich mein neues Leben als Behinderte meistern könne.

Mittel besaß ich zum Glück in mehr als ausreichendem Maße, um mir die besten und neuesten Errungenschaften, die es für Querschnittgelähmte gab, leisten zu können.

Fraglich war nur, ob und wie ich meine Karriere als Detektivin fortsetzen könnte –

doch entschied ich bei mir, dass es auch hierbei keine Hindernisse für mich geben würde!

Nach einigen im Spital in Nizza verbrachten Wochen durfte ich auf eigenen Wunsch zurück nach England und begab mich dort sofort in eine der besten und modernsten Rehabilitationseinrichtung, in welcher ich auf das Gründlichste auf ein selbständiges und selbstbestimmtes Leben im Rollstuhl vorbereitet wurde.

In der Zwischenzeit ließ ich mein schönes, altes Haus, The Secret genannt, in London-Kensington barrierefrei umbauen, ebenso Au Diable, mein kleines Cottage in den französischen Ardennen und ein weiteres in Bournham on Crouch. Auch meine Autos wurden für meine Bedürfnisse umgerüstet.

Dann setzte ich meine erfolgreiche Karriere als Meisterdetektivin vom Rollstuhl aus fort. Dabei konnte ich immer und jederzeit auf die Unterstützung meines lieben Freundes, Colonel Marcus McRae, zählen.

Viele Jahre später stellte es sich heraus, dass die Kugel, die mich der Kraft meiner Beine geraubt hatte, mich eigentlich hätte töten sollen. Was aus dem Schützen geworden ist? Ich kann Ihnen versichern: ihn hat seine gerechte Strafe ereilt. Wie, wo und durch wen - das ist und bleibt das Geheimnis von The Secret!

Aber nein! Ich wollte ja offen und ehrlich sein! Aber dann erst in einem späteren Kapitel!

Seit einigen Jahren schon habe ich mein Haus The Secret in London-Kensington vermietet und lebe nun ständig auf dem Gestüt Falconridge, welches mein lieber Freund und Kamerad, Colonel Marcus McRae, mir hinterlassen hat. An seiner Stelle sind mir der Sohn meines entfernten Neffen Nigel Sholmes, Nigel Sholmes Junior und seine junge, französische Ehefrau Nanette, eine große Hilfe.

Auch mein Butler James – eigentlich Lionel Williams, aber ich nenne alle meine Butler

’James’, das ist eine meiner wenigen Marotten – lebt auf Falconridge. Was für ein Mann – was für eine Statur – und was für Augen!...

Als Köchin und Hausmädchen, sowie als Hilfe für mich fungiert Bridget Waterloo. Ich könnte trotz meines Alters fast eifersüchtig werden, denn wenn mich nicht alles täuscht, bahnt sich da Etwas mit großem ‚E‘ zwischen Bridget und James an. Dabei ist er um die Vierzig und sie zehn Jahre jünger. Aber fesch sind sie beide…

Das Gestüt selbst wird sehr erfolgreich in dritter Generation von einem Watson mit Vornamen Sheridan und seiner Frau Emily verwaltet.

Was ich zum Zeitpunkt des geheimnisvollen Verschwindens des Colonels nicht wusste: er hatte mir testamentarisch seinen gesamten Besitz – bis auf den unveräußerlichen Stammsitz und den Titel der Sinclairs, welche einem entfernten Verwandten des Colonels zufielen – überlassen. Da seine Leiche nie gefunden wurde, fand die Todeserklärung und Testamentsabwicklung erst nach Ablauf von sieben Jahren statt.

Es wäre mir leichtgefallen, der Polizei und den Testamentsvollstreckern sofort einen Hinweis bezüglich des plötzlichen und geheimnisvollen Verschwindens meines lieben Freundes und Kameraden, Colonel Marcus McRae, zu geben, doch das wäre zu gefährlich für mich und andere gewesen. Aber ich betrauere meine einzige - wenn auch nur platonische - Liebe noch heute auf das Tiefste!

Im Laufe meiner Karriere als Meisterdetektivin hatte ich es unter anderem mit Mord, Juwelendiebstahl und Spionage zu tun. Ich habe meine Erfahrung und mein Wissen New Scotland Yard, der Sûreté - heute Police Nationale -, der Kriminalpolizei und anderen europäischen Polizeiorganisationen zur Verfügung gestellt, habe undercover für den britischen Secret Service – sei es Inland-, Ausland-, oder Militär-Abteilung –

ermittelt, wurde von Versicherungsgesellschaften mit der Wiederbeschaffung von gestohlenen Wertsachen beauftragt und habe mit äußerster Diskretion vielen, oft sehr

hochgestellten und bekannten, Personen geholfen, welche keinen Wert darauf legten, dass ihre Angelegenheiten an die Öffentlichkeit gelangten.

Natürlich kann ich hier nicht jeden der unzähligen Fälle, in welchen ich erfolgreich tätig war, beschreiben. Manche sind streng vertrauliche Geheimsachen und auch noch für die nächsten fünfzig Jahre unter Verschluss, andere zu banal, um Erwähnung zu finden. Außerdem würde die ausführliche Beschreibung einer Karriere von über sechzig Jahren fast so viele Bände umfassen, wie die Encyclopædia Britannica. Aber ich will und muss leider auch den einzigen Fall beschreiben, bei dessen Lösung ich versagte.

Ich hatte vorab erwähnt, dass ich in diesen Memoiren ehrlich sein werde. Das fällt mir sehr schwer, aber es muss sein! Deshalb kommt dieses Buch auch einer Beichte gleich.

Es ist heute ein düsterer Wintertag, ein heftiger Schneesturm fegt schon seit dem Nachmittag um das sogenannte Bürogebäude von Falconridge, in welchem sich meine Wohnung befindet. Alle Pferde befinden sich in ihren schützenden Stallungen und alle Menschen auf Falconridge haben sich in die Wärme ihrer behaglichen Wohnungen zurückgezogen.

Werfen wir also vorab einen kurzen Blick auf das Gestüt Falconridge: Es liegt gut geschützt in Northaw Great Wood, knapp zwanzig Meilen von London-Kensington entfernt. Von Wald umgeben finden sich dort weitläufige Koppeln und Weiden für die ausgezeichneten und erfolgreichen Vollblüter, welche hier gezüchtet werden. Der Rennstall ‚McRae Memorial‘ selbst befindet sich in den Wessex Downs.

Die Stallungen auf Falconridge inklusive Futter- und Sattelkammern sind auf dem neuesten Stand und umgeben zusammen mit Gebäuden zur Lagerung von Heu und Stroh, Geräten, landwirtschaftlichen Maschinen usw. auf drei Seiten einen inneren Hof, in dessen Mitte sich ein großer Paddock befindet. Das frühere Gutshaus steht in einem schönen und gut gepflegten Garten etwas abseits davon. Hier leben in einer weiträumigen, gemütlichen Wohnung, die mit allem erdenklichen Komfort ausgestattet ist, der Gestütsleiter – ein Watson in dritter Generation - und seine Familie, außerdem befinden sich dort auch die Unterkünfte für das Gestütspersonal.

Das neben dem Gutshaus gelegene, auf eigenem Grund stehende, sogenannte Bürogebäude von Falconridge ist einstöckig, besitzt aber einen ausgebauten Dachstuhl und dient verschiedenen Zwecken. Zum einen beherbergt es das Gestütsbüro zum anderen weist es verschiedene Appartements auf. Genau gegenüber der doppelflügeligen Eingangstür - am anderen Ende des langen Korridors - befindet sich eine stabile Tür, durch welche man in den Privatstall des Colonels gelangt. Heute beherbergt dieser Privatstall meine beiden Reitpferde Sinclair III und Aladin IV. Ja, trotz meiner Behinderung und meines Alters pflege ich noch immer auszureiten, aber nur noch in Begleitung und häufig lediglich im gemütlichen und entspannenden Schritt-Tempo.

Aber weiter in der Beschreibung:

Durch die erste - linker Hand gelegene - Tür tritt man in den geschmackvoll eingerichteten, hellen Salon meines Appartements, dessen beide Sprossen-Fenster in der Vorderseite des Gebäudes liegen. Mein lieber Freund der Colonel hatte sich die Mühe gemacht, dieses Appartement barrierefrei umgestalten zu lassen, damit ich es auch nach meiner Lähmung im Rollstuhl sitzend benutzen konnte. Im hellgetäfelten Salon befinden sich ein polierter Tisch mit im Stil dazugehörenden, gepolsterten Stühlen, ein bequemes Sofa und zwei ebenso bequeme Sessel, sowie ein niedriger Tee-Tisch vor einem Kamin, der jedoch elektrisch beheizt wird. An den Wänden stehen mit Büchern aller Art beinahe überquellende Bücherregale, eine Anrichte und unter jedem Fenstern eine sehr alte Truhe aus Eichenholz mit Messingbeschlägen und geheimnisvollen, altmodischen Schlössern.

Ein kurzer Durchgang, von welchem sich das mit modernsten Errungenschaften ausgestattete und rundum gekachelte Badezimmer mit Toilette und ebenfalls einem Fenster in der Front das Gebäudes, öffnet, führt zu einem behaglichen Schlafzimmer, dessen eines Fenster zur Seite, das andere zur Front weist. Das Zimmer ist an den Wänden mit einer hübschen, hellen Tapete mit Blumenmuster versehen, der Boden ist

– wie überall im Appartement – Parkett. Denn mit einem Rollstuhl tut man sich schwer auf einem Teppich oder Teppichboden. Statt hohen Schränken gibt es nun zwei, für mich gut erreichbare, Kommoden. Neben dem etwas erhöhten Bett, über welchem ein ausgeklügeltes Haltesystem es mir ermöglicht, ohne große Anstrengung vom Rollstuhl ins Bett und wieder in den Rollstuhl zu gelangen, steht ein kleiner Nachttisch mit Leselampe. Vor den Fenstern hängen helle Gardinen, verdunkelt werden kann das Zimmer mittels Jalousien.

Das Appartement des Colonels, welches sich hinter der zweiten Tür linker Hand befindet und nun von meinem entfernten Verwandten, Nigel Sholmes Junior und seiner Frau Nanette bewohnt wird, ist das genaue Spiegelbild, nur schauen die Fenster dieses Salons auf die Rückseite des Gebäudes und den dort befindlichen, überdachten, Sattelplatz. Der Salon weist die gleichen Merkmale auf, wie meiner, nur ist hier der Boden mit Teppichen belegt, Sofa und Sessel haben statt Stoff- einen Lederbezug und die Möbel sind aus dunklerem Holz gefertigt. Im Schlafzimmer hängen Tapeten mit farbigen Ornamenten auf hellem Grund, auch hier liegen Teppiche auf dem Boden.

Rechts vom Korridor öffnet sich die erste Tür in das Gestütsbüro, die zweite in das sogenannte Verhandlungszimmer. Dazwischen liegt ein winziger Raum, der als Abstellkammer benutzt wird. Am äußersten rechten Ende des Korridors führt eine Wendeltreppe zu den vier kleineren, jedoch ebenso mit allem Komfort eingerichteten Appartements im Dachstuhl. Jeweils eines davon wird zur Zeit von meinem Butler James und unserer Köchin Bridget bewohnt, die anderen beiden dienen als Gästeunterkunft.

Falconridge hat eine große, eine tiefe Bedeutung für mich. Hier durfte ich die unbeschwertesten, die glücklichsten Momente meines Lebens genießen! Wenn nur ER, mein lieber Freund, Kamerad und Helfer, Colonel Marcus McRae, nicht so früh und auf so tragische Weise von mir gegangen wäre!

Lassen Sie mich ihn beschreiben:

Geboren wurde er auf dem Stammsitz der Kinfalcons vom Clan Sinclair in den ScottishHighlands im zweiten Jahr des I. Weltkrieges, als die Zeppeline England angriffen.

Ausgebildet in Edinburgh, wurde er schon in sehr jungen Jahren ein Mitglied im Regiment der Second Dragoons His Majesty Royal Scots Greys. Im II. Weltkrieg erhielt er das Victoria Cross für seinen Einsatz in der Schlacht von El Alamein II.

Seine letzte Attacke hatte er im II. Weltkrieg geritten, danach war er, nachdem er sich von einer ziemlich schweren Verwundung erholt hatte, für eine Zeitlang zu Garde- und Repräsentationsaufgaben abkommandiert worden.

Der Tod seines Onkels, des 15. Earls, kurz nach dem Ende des II. Weltkrieges hatte ihn zum 16. Earl und gleichzeitig zum Oberhaupt des Clans Sinclair und außerdem zu einem sehr reichen Mann gemacht.

Im Gegenzug dafür jedoch musste er um seinen Abschied bei seinem Regiment ansuchen – welchen er auch ehrenvoll erhielt. Für Sondermissionen stand Colonel McRae dem Militär und dessen Secret Service jedoch immer noch bereitwillig zur Verfügung.

Nach Erledigung der mit dem Testament seines Onkels verbundenen Aufgaben hatte er seine neuen Besitztümer im äußersten Norden Schottlands – gegenüber den Orkney-Inseln - aufgesucht. Darunter befanden sich der großartige Stammsitz der Sinclairs, Castle Crosskirk, ein Herrenhaus am Loch Calder, sowie ausgedehnte, reiche Jagdgründe um Dalnawillan, auf welchen sich auch ein Jagdschlösschen neueren Datums – also weniger als 200 Jahre alt - befand. Einige der Besitztümer des Clans lagen jedoch näher an der Grenze zu England in den Lowlands. So auch ein Cottage bei Montrose.

Colonel McRae besuchte jedoch nur selten seine abgelegenen Besitztümer. Meistens hielt er sich auf seinem Vollblüter-Gestüt Falconridge in Northaw Great Wood auf, welches er, kurz nachdem er die Erbfolge angetreten hatte, gründete. Sein Rennstall war und ist in den Wessex Downs.

Er war ein außerordentlich gutaussehender Mann, hochgewachsen, schlank und sportlich, der seine, leicht gewellten, braunen Haare immer etwas künstlerisch lang trug. Sein glattrasiertes, längliches Gesicht wurde geprägt von großen, dunklen Augen unter fast schwarzen, dichten Brauen, er besaß eine römische Nase, kleinen Ohren und einem sensiblen Mund.

Wir lernten uns in Ventimiglia kennen, kurze Zeit, nachdem ich Frankreich verlassen hatte.

Ich lebte damals schon für einige Zeit in der Casa Fenoglio, einem ehemaligen Palast aus dem 16. Jahrhundert. Der fast kreisrunde Hafen mit seiner langen Mole in der Mitte und die im Hafenbecken vor Anker liegenden herrlichen Yachten faszinierten mich außerordentlich. So scheinbar auch den Colonel. Doch wie sich später herausstellte, war sein Interesse dienstlicher Art.

Er musste dann auch unverhofft und praktisch über Nacht Italien in Richtung Griechenland verlassen. Der Colonel erklärte mir nur so viel, dass die Person, welche im Verdacht stand, geheime Unterlagen zu schmuggeln, um sie von Sagiada aus an ein Regime im Norden Griechenlands zu verkaufen, auf einer der Yachten dorthin unterwegs sei – und er, der Colonel, versuchen müsse, den Mann noch vor Erreichen seines Zieles unschädlich zu machen und die Dokumente an Downing Street – wo sie gestohlen worden waren - zurückzugeben.

Bei unserem Abschiedsdinner erhielt ich dann den ersten Heiratsantrag meines Lebens! Ich lehnte ihn möglichst zartfühlend ab und schlug eine platonische Partnerschaft vor. Colonel Marcus McRae ging darauf ein – wir haben diese Entscheidung nie bereut!

Er war für fast dreißig Jahre der treueste und aufrichtigste Freund, Kamerad und Helfer, den man sich nur wünschen kann.

Wir hielten zusammen in guten wie in schlechten Zeiten, selbst meine schwere Behinderung hatte keinen Einfluss auf unsere Kameradschaft und unsere Arbeit.

Wie sehr er mich gemocht – geliebt – haben muss geht aus seinem Testament hervor.

Alles, über was er frei verfügen konnte, hat er mir hinterlassen. Wäre es andersherum geschehen, so sah mein Testament ihn als Alleinerben vor.

Da der Colonel jedoch leider schon vor so langer Zeit so tragisch und plötzlich von mir gegangen ist, bekommen nun Nigel Sholmes Junior und seine Frau Nanette meine nicht geringe Hinterlassenschaft - mit der Ausnahme von Falconridge und dem Rennstall – diese gehen an die Watsons.

Doch jetzt will ich ernsthaft mit meinen Memoiren beginnen.

DURCH DIE HÖLLE

In einem meiner letzten Fälle (Siehe auch: Maureen O’Kelly „Durch die Hölle“) hat mich vor Kurzem mein lieber, entfernter Verwandter, mein Großneffe um drei Ecken, Nigel Sholmes Junior, um Rat gebeten. Er war ganz zufällig während seines Urlaubes im Schwarzwald – genauer gesagt: im Höllental – auf einen unbekannten Toten gestoßen.

Natürlich war er sofort bereit, eigene Ermittlungen in der Sache anzustellen. Das scheint in der Familie – auch der ganz entfernten - zu liegen…

Da trotz aller Bemühungen der Polizei die Identität des Opfers nicht geklärt werden konnte, schickte mir Nigel eine E-Mail mit der Bitte um Hilfe und einem Foto des ermordeten Mannes im Anhang.

Das Foto war von sehr schlechter Qualität, denn es war von einem Portrait gemacht worden, welches in einer regionalen Zeitung veröffentlicht worden war – und war in hohem Maße retouchiert, da es natürlich erst nach dem Tod des Mannes aufgenommen worden war.

Dennoch kam mir das Gesicht irgendwie bekannt vor. Ich griff zum Telefon und rief meinen lieben - um drei Ecken - Großneffen an seinem Handy an. Ich war erstaunt, wie gut die Verbindung, selbst nach dem Höllental, war. Er war erstaunt, dass ich ihm so schnell antworten konnte.

Er berichtete mir, wie er bei einem Spaziergang die alte, verlassene Posthalterei gesehen hatte und – neugierig, wie immer – auf Erkundung ausgegangen war. Dabei hatte er den Toten in einem Gebüsch am Rande eines Baches entdeckt. Die von ihm rasch herbeigerufene Polizei stellte fest, dass der Mann ermordet worden war.

Daraufhin hatte Nigel Junior beschlossen, sich an der Aufklärung des Falles zu beteiligen. Natürlich musste er erst einmal sich selbst vor den Augen der Polizei entlasten, die ihn zu Beginn der Ermittlungen als potentiellen Täter betrachtete.

Als erstes wollte – nein: musste! er die Identität des Mordopfers herausfinden. Dabei hoffte er auf mein ausgezeichnetes Gedächtnis, was Personen – vor allem Verbrecher

- und deren Gesichter angeht. Nicht umsonst habe ich eine ausgesprochen lange und überaus erfolgreiche Karriere in der internationalen Szene des Verbrechens hinter mir.

Ich konnte ihn rasch über die Identität des Toten aufklären. Zwar war die Person auf dem Foto natürlich einige Jahre älter, als ich ihn in Erinnerung hatte, aber seine Züge und vor allem die Narbe auf seiner Stirn waren klare Erkennungszeichen. Die Narbe hatte er erhalten, als er - noch zu seiner Zeit als Student an der Sorbonne - in einen Streit mit einem Kommilitonen verwickelt gewesen war und den Kürzeren gezogen hatte. Natürlich ging es dabei um ein Mädchen, die aber von den beiden Bewerbern und gleichzeitigen Rivalen um ihre Hand nichts wissen wollte und später den Sohn eines reichen Bankiers geheiratet hatte.

Zuerst war ich bei dem Anblick und der Beschreibung von Brille, gewelltem Haar und braunen Augen etwas unsicher gewesen, doch dann versuchte ich mir den Toten ohne

diese Einzelheiten, die wohl nur Teil einer Verkleidung gewesen waren, vorzustellen.

Danach versetzte ich mich in Gedanken zurück in eine Zeit, in welcher ich öfters zu Gast auf Schlössern und Landsitzen adeliger Familien in Frankreich gewesen war. Bei den de Blancs und Le Rouges, bei Baronne de Féval und Comtesse du Christie – ach ja, das waren noch Zeiten! Die fabelhaften Soiréen, die wunderbare Musik, die erstklassigen Menüs, die süffigen Weine, juwelengeschmückte Damen, mit Orden behängte Herren…

Etwas Spannung muss sein!

Aber mein entfernter Großneffe wartete nur äußerst ungeduldig auf den Namen des Toten, welchen ich ihm gleich mitteilen würde. Was ich dann auch tat. Ich erklärte Nigel Junior, dass es sich bei dem Ermordeten um Maurice de la Tour handle. Ich erwartete eine wie auch immer geartete Regung meines Großneffen – doch diese blieb sehr zu meiner Verwunderung aus. Der Name sagte ihm nichts. Er war wohl zu jung dazu. Also musste ich ihn aufklären.

Nigel Junior erfuhr von mir, dass Maurice de la Tour aus dem französischen Adel stammte, ein gutaussehender Mann mit vorzüglichem Auftreten war und Zugang als begehrter und beliebter Gast zu den ersten Familien Frankreich besaß. Er war jedoch noch etwas anderes. Er war der cleverste Juwelendieb seit Arsène und Raffles! Selbst ich konnte ihm nicht das Handwerk legen – und das will einiges bedeuten! Verdacht –

ja, davon hatte ich mehr als genug. So auch die Polizei. Aber ihm seine Taten nachzuweisen – das war unmöglich.

Zwar munkelte man, dass er Verbindung zur von Le Coq angeführten Bande von Juwelendieben habe, manche vermuten außerdem, dass er selbst der Anführer dieser Bande war, doch Tatsachen und unumstößliche Beweise, die eine Verhaftung und Verurteilung nach sich gezogen hätten, die fehlten!

Nun, durch meine Hilfe, genauer gesagt, mein gutes fotografisches Gedächtnis und Dank meiner Kenntnis aller größeren Verbrechen und Verbrecher auf der Welt, konnte ich Nigel Junior so gute Auskunft geben, dass der Mordfall – und dazu noch einige bedeutende, internationale Juwelendiebstähle - zu aller Zufriedenheit gelöst werden konnten!

Doch zuvor musste Nigel Junior noch einige brenzlige Situationen überstehen. Warum muss er auch immer seine Nase in Dinge stecken, die ihn eigentlich nichts angehen?

Es gab da eine junge, hübsche Wirtstochter, Loisle Wursthorn genannt, die von mehreren – jungen und nicht mehr ganz so jungen – Männern begehrt wurde. Dass sie bereits mit dem charmanten Jäger Matthes Waldvogel verheiratet war, wusste niemand. Auch Nigel Junior fand es nur zufälligerweise heraus. Es wurde im Gasthaus und auf den im Höllental liegenden Höfen auch viel von Wilderei gemunkelt, mein

Großneffe um drei Ecken hatte den Wildschütz – wie sich später herausstellte, hieß dieser Jerg Schwär - sogar selbst einmal auf frischer Tat beobachten können. War der Gastwirt und Vater von Loisle etwa an dieser Sache beteiligt? Die Speisekarte schien auf solch eine Verbindung hinzuweisen. Dann brachte ein verrufener Reporter, ein gewisser Jockl Bader, weitere Unruhe ins Tal.

Nigel Junior aber hielt Augen und Ohren offen. So konnte er zwar ein Treffen der

‚Schwarzwald-Bande‘ in der verlassenen Posthalterei belauschen, doch seine weiteren Nachforschungen brachten ihn in Lebensgefahr. Zuerst am Versteck der geraubten Gegenstände auf dem Falkenstein und dann in der Großjockenmühle. Nur seine Aufgewecktheit und seine Erfahrung, sich aus schwierigen und gefährlichen Situationen befreien zu können, sorgten dafür, dass er heute noch am Leben ist.

Als der Mörder des Franzosen und Bandenchef der ‚Schwarzwald-Bande‘ in der Person des Souvenirhändlers Hannes Löffler identifiziert werden konnte, kam es zum Show-down, bei welchem der Verbrecher auf seiner Flucht durch einen Sturz in den Großen Ravennafall sein Ende fand.

Woher die wunderschöne, sehr wertvolle Brosche mit Rubinen und Smaragden, sowie die beiden Diamantringe stammten, welche mir mein – entfernter – Großneffe Nigel Junior später schenkte, sei dahingestellt. Manche Dinge scheinen in der Familie zu liegen – auch wenn es sich nur um ganz entfernte Verwandte handelt…

Doch beginnen wir jetzt lieber mit dem Beginn meiner Karriere, dem Fall der Rubinhalskette der Baronne de la Fantaisie.

DIE RUBINHALSKETTE DER BARONNE DE LA FANTAISIE

Ich war nach dem plötzlichen Grippe-Tod meiner Eltern von einer entfernten Verwandten, die auf einem großen, noblen Landsitz in Frankreich lebte, aufgenommen worden. An ihrer Seite und unter ihrer Aufsicht als Anstandsdame hatte ich Gelegenheit zu Besuchen bei den vornehmsten Familien Frankreichs. Eines Tages waren wir zu einem Fest bei Baronne de la Fantaisie eingeladen. (Siehe auch: Maureen O’Kelly

„Nach Ihnen, Herr Oberinspektor!“)

Diese lebte in einem herrlichen Schloss in der Bretagne nahe Benoise. Dieses Schloss wurde ab dem Jahr 1760 unter Louis XV. von Antoine Le Bègue errichtet. Seine ausgedehnten Parkanlagen umfassten mehr als 800 Hektar, darunter herrliche französische Ziergärten, gepflegter Wald und duftende Wiesen.

Unter den bemerkenswertesten Räumen des Schlosses soll die Bibliothek mit fast dreißigtausend Bänden erwähnt sein. Beeindruckend war für mich auch der riesige Ballsaal, sowie der angrenzende – kaum kleinere - Saal für das Dinner. Darüber hinaus

gab es Spielzimmer und kleinere Räume, wohin man sich aus dem Trubel zurückziehen konnte.

Das Fest selbst war opulent! Speisen vom Feinsten, was französische Küche zu bieten hat, Wein aus edelsten Lagen und von Kennern ausgewählter, berühmter Jahrgänge, Musik von einem der erfolgreichsten Orchester des Landes – und natürlich zahlreiche juwelenbehängte Damen und mit Orden geschmückte Herren.

Die Baronne trug ihre berühmte Rubinhalskette. Diese Halskette war ein Erbstück ihrer Familie – seit Generationen wurde sie - die Halskette - nur zu außergewöhnlichen Anlässen getragen. Bis sie dann plötzlich verschwand – die Halskette meine ich, nicht die Baronne!

Bei einem solchen Fest, zu dessen Anlass von den Damen die teuersten und exquisitesten Juwelen getragen wurden, gab es natürlich auch diskrete Aufpasser. War etwa der - für seine Stellung sehr junge - Butler – Jean nannte ihn die Baronne – ein solcher? Oder gar das Gegenteil? Er hielt sich auffallend oft an Orten auf, an welchen ein Butler im Allgemeinen nichts zu suchen hat. Er strich um die juwelenbehängten Damen herum mit einem Blick… Was für ein Mann! Was für eine Statur – und was für Augen!...

Kurz und gut. Nach dem ausgezeichneten Dinner wurde getanzt oder Karten und Billiard gespielt, manche der Gäste verlustierten sich im mit Lampions schwach beleuchteten Park. Dort gab es natürlich auch verschwiegene, im Dunkeln liegende und hinter dichten, blühenden Hecken verborgene, Ecken und Plätzchen.

Ich wandelte gerade zwischen duftenden Rosenbeeten dahin, als ich einen lauten Schrei vernahm! Er schien aus dem kleinen Salon zu kommen. Ich eilte ins Schloss zurück und fand die Baronne in diesem kleinen, kühlen Raum ohnmächtig am Boden liegend vor. Aber warum hatte niemand sonst den Aufschrei der Gastgeberin gehört?

Rasch verschloss und verriegelte ich die Tür und versuchte der Baronne etwas Cognac einzuflößen, die Flasche schien – zusammen mit einigen Gläsern - handlich auf einem Sideboard bereitzustehen. Dann öffnete ich die Tür ins Vorzimmer einen Spalt breit.

Nach einiger Zeit kam Baronne de la Fantaisie wieder zu sich. Ich befragte sie, wie es zu der Ohnmacht gekommen sei, doch sie konnte sich an nichts erinnern. Ihr letzter Eindruck war, dass sie ein Glas Champagner getrunken, sie sich daraufhin sehr erhitzt gefühlt und sich in den kleinen Salon zurückgezogen habe.

Ich hätte sie über das Glas Champagner aufklären können, welches etwas mehr enthalten hatte als nur Schaumwein! Dass sie nie auch nur den leisesten Schrei ausgestoßen hatte, war ebenfalls nur mir bekannt!

Den größten Schock erhielt sie jedoch, als ihr klar wurde, dass sie die Rubinhalskette nicht mehr trug! Auch darüber hätte ich ihr genaue Auskunft geben können!

Trotz rasch herbeigerufener Polizei, die alle Gäste und das Personal befragte und durchsuchte, trotz der Anwesenheit des Hausdetektives, konnte die berühmte Rubinhalskette nicht gefunden werden. Später jedoch wurde der Butler Jean –

eigentlich Arthur Doyle - von seiner Dienstherrin des Diebstahls bezichtigt. Die Rubinhalskette war plötzlich - von einem Hausmädchen, welches etwas gründlicher putzte, als die Mehrzahl ihrer Kolleginnen - hinter seinem Nachttisch verborgen aufgefunden worden. Er wurde daraufhin selbstverständlich sofort von der Baronne entlassen.

Jahre später stand er dann für einige Zeit in meinen Diensten. Was für ein Mann! Was für eine Statur – und was für Augen!

Eine weitere Verwicklung in dem Fall gab es, als es sich bei meinen – noch sehr zaghaft geführten - Ermittlungen herausstellte, dass die im Zimmer des Butlers gefundene Rubinhalskette ein Imitat war!

Zwar wurde ich damals – nicht ganz zu Unrecht, denn die Halskette mit den echten Rubinen tauchte nie wieder auf und liegt noch heute als Erinnerungsstück in meinem Safe - von der französischen Polizei – bei welcher des Öfteren Beschwerden von neidischen Personen des Neuen und Geldadels über mich eingegangen waren, die mich bezichtigten, mich in Dinge einzumischen, die mich nichts angingen, mehr oder weniger auf Verdacht gezwungen, das Land sofort zu verlassen und nach England zurückzukehren, doch das tat meinem Begehren, als Detektivin zu arbeiten, keinen Abbruch! Außerdem gibt es neben Frankreich – obwohl die Franzosen dies wahrscheinlich bestreiten würden - in Europa auch noch andere Länder…

Und so lernte ich im italienischen Ventimiglia Colonel Marcus McRae kennen. Ich lebte damals schon für einige Zeit in der Casa Fenoglio, einem ehemaligen Palast aus dem 16. Jahrhundert. Der fast kreisrunde Hafen mit seiner langen Mole in der Mitte und die im Hafenbecken vor Anker liegenden herrlichen Yachten faszinierten mich außerordentlich. So scheinbar auch den Colonel. Obwohl er – was ich damals noch nicht wusste – in dienstlicher Angelegenheit in Ventimiglia weilte. Wir kamen ins Gespräch und wurden schnell zu guten Freunden.

Noch bevor Colonel McRae in Verfolgung seiner geheimen Aufgaben Italien in Richtung Griechenland verlassen musste, war aus unserer Freundschaft eine tiefe Kameradschaft geworden. Am Abend vor seiner Abreise machte mir dann Marcus McRae bei einem festlichen Dinner einen Heiratsantrag. Ich war geschmeichelt und zutiefst berührt – doch ich lehnte ab. Der Colonel nahm jedoch meinen Vorschlag, eine platonische Beziehung zu führen, sofort an. Wie sich im Laufe von fast dreißig

glücklichen Jahren bewahrheitete, war dies für beide Seiten eine kluge und richtige Entscheidung.

Wann immer es ihm sein Dienst erlaubte, besuchte er mich oder ich ihn und wir unternahmen gemeinsam Reisen in viele Länder, oftmals verbunden mit meiner Tätigkeit als Detektivin, manchmal auch im Zusammenhang mit seinen militärischen Aufgaben.

Es gab aber auch Monate, in welchen wir weder voneinander hörten noch einander sahen.

Durch Zufall – wenn es so etwas gibt – trafen wir uns dann bei einer Flugschau in Schottland wieder, kurz nachdem Colonel Marcus McRae Oberhaupt des Clans Sinclair und damit gleichzeitig sehr reich geworden war. Außerdem war er gezwungen gewesen, seine Laufbahn in seinem Regiment, den Second Dragoons His Majesty Royal ScotsGreys, - selbstverständlich mit allen Ehren - aufzugeben.

AUF TODESSCHWINGEN

Dieser Fall, in welchem Verrat, Spionage und Mord eine große Rolle spielten, wurde in der Presse ‚Auf Todesschwingen‘ genannt. Falknerei und Fliegerei scheinen eng miteinander verbunden zu sein. Auf jeden Fall waren sie es bei meinen damaligen Ermittlungen. (Siehe auch: Maureen O’Kelly „Auf Todesschwingen“) Eine bedeutende Rolle spielte auch das berühmte Flieger-Ass ‚ Triple-R‘, eigentlich Wing-Commander Raymond Raffles Robertson, ein guter Freund und Kamerad von Colonel McRae. Ohne ‚Triple-R‘ würde ich heute nicht gemütlich vor meinem schönen Schreibtisch auf Falconridge sitzen und meine Memoiren schreiben!

‚ Triple-R‘ ist übrigens erst vor Kurzem, im hohen Alter von 95 Jahren – im Schlaf -

gestorben. Der im Krieg unbesiegte und selbst sehr erfolgreiche ‚Teufelspilot‘ hatte seine große Leidenschaft, das Fliegen von Oldtimer-Maschinen, erst in sehr hohem Alter aufgegeben, stand aber auch danach noch gerne jüngeren Generationen von Piloten und Flug-Anwärtern mit Rat und Tat zur Seite.

Bei Unfällen in der Luftfahrt, sei es zivile oder militärische, wurde er oft als Sachverständiger von den zuständigen Behörden oder Flugzeugbauern herangezogen, denn sein Wissen und seine Kenntnisse mit allem, was mit Flugzeugen und Fliegen im Zusammenhang stand, war legendär.

Doch zurück zum Fall.

Er begann in der Region der Cairngorms, einer Berggruppe derGrampian

Mountainsim Nordosten von Schottland, deren höchste Berg der Ben Macdhui mit 1309 Metern ist.

In einem der fast unzugänglichen Hochtäler befand sich eine geheime Militärbasis.

Das weite Tal, von hohen, kargen Bergen umrandet, bot zu beiden Seiten des kleinen Flusses, welcher es durchzog, spärliche Weide für eine Herde von Schafen mit weißem, langem Fell, gebogenen Hörnern und dunklem Kopf der äußerst genügsamen Rasse Scottish Blackface.

Betreut und bewacht wurden sie von Schäfer John Hanson – einem mürrischen, wortkargen und einsiedlerisch lebenden Menschen - und seinen beiden Shelties –

kleinen, agilen, Hirtenhunden mit mehrfarbigem, langem, glattem Fell.

Der Hof von Schäfer Hanson lag zwar außerhalb des militärischen Sperrbezirkes, seine Schafe aber wurden dazu benutzt, das weitläufige Terrain in Ordnung zu halten.

Schäfer Hanson war über fünfzig Jahre alt, ein hoch und breit gebauter Mann mit einem Gesicht, wie aus grobem Holz geschnitzt, vom vielen Aufenthalt im Freien dunkel und verwittert. Er trug einen ungepflegten, grauen Bart und hatte sein spärliches, kurzgeschnittenes, graues Haar unter einer schmierigen Mütze verborgen, die schon zu Zeiten König Viktorias alt gewesen sein musste. Seine Füße steckten in ausgetretenen Schnürschuhen, die alte, oft geflickte Hose und das ebenso zerschlissene Hemd waren von unbestimmbarer Farbe, seine Jacke aus gemustertem Tweed an den Ärmeln schon ganz dünn gerieben. Er trug ein Plaid in den Farben seines Clans, sein langer Hirtenstab lag griffbereit neben ihm im Gras, ebenso eine große Umhängetasche aus abgewetztem, fast schwarzem Leder.

Dass der Hirte mehr war als nur ein Schäfer, stellte sich dann später im Verlauf der Untersuchungen heraus.

Da er mit seinen Schafen auf dem gesamten Geländer der Militärbasis herumkam, sah und hörte er vieles, was nicht für seine Augen und Ohren bestimmt war. Außer Klatsch und Tratsch der Soldaten waren das auch einige Dinge, die eigentlich streng geheim zu bleiben hatten.

Schäfer Hanson wusste von Spielschulden und Anschuldigungen wegen Betrugs beim Kartenspiel unter Soldaten, kannte Beschuldiger und Beschuldigten. Er war über eheliche Untreue und kleine Erpressungen wohl informiert. Er wusste, wo und wie er Geheimpläne oder deren Duplikate erhalten konnte und war über den Zweck und die laufenden Angelegenheiten der Basis wohl informiert.

Die meisten seiner Kenntnisse erwarb er aus Gesprächen der Infanteristen untereinander, welche die Militärbasis zu bewachen hatten. Oft lag er in der Nähe der

Soldaten hinter einem Busch oder Stein verborgen, scheinbar schlafend, doch mit gespitzten Ohren die Gespräche belauschend.

Auch vor der Kantine, welche von Militärpersonal besucht wurde, welches nicht mit der Familie in den Unterkünften der Basis für Verheiratete wohnte, konnte er sich aus den erhaschten Wortfetzen seine eigene Meinung bilden. Denn John Hanson – obwohl

‚nur‘ ein Schafhirte, war überaus gewitzt und keineswegs dumm.

Er schloss jeden Abend seine mehrere hundert Köpfe zählende Herde in einem ummauerten Pferch nahe dem jeweiligen Weideplatz ein und begab sich mit seinen Hunden auf den Heimweg. Sein einsamer Hof – genannt The Mystery – lag knapp außerhalb des militärischen Sperrgebietes, war mehrere hundert Jahre alt, einstöckig, aus grauen Bruchsteinen gebaut und mit einem Dach aus Schindeln versehen.

Außer den Schafen, welche sich nur im Winter – und auch dann nur bei dem allerschlechtesten Wetter - in seinem großen Stall mit Auslauf aufhielten, besaß Schäfer Hanson nur noch etwas Geflügel – für Eier und Fleisch – und seine Tauben.

Diese waren sein ganzer Stolz. Im Lauf der Jahre hatte er viele seltene Rassen erstanden und diese weitergezüchtet, hatte selbst aber auch mit Kreuzungen experimentiert.

In dem Cottage gab es außer dem kleinen Kamin im Schlafzimmer auch einen überdimensionalen Kamin in dem großen Raum, der als Wohn-, Ess-, Arbeitszimmer und Bibliothek diente.

Neben der Küche befand sich das sogenannte Badezimmer (mit Wasser aus einer Zisterne auf dem flachen Dach des Anbaus, welches in einem mit Torf befeuerten Ofen aufgewärmt wurde), neben diesem lag zur Frontseite des Cottage das Schlafzimmer von Schäfer Hanson. Früher hatte es auch einmal eine Mrs. Hanson gegeben, doch war diese während des Krieges unter ungeklärten Umständen – welche ihren Ehemann jedoch nicht sehr zu beeindrucken schienen - verschwunden. Auf der anderen Seite des Flurs lag das große Zimmer, welches die gesamte Breite des Cottage einnahm.

Der Anbau an der Rückseite des Cottage war neueren Datums (entstanden nach dem Verschwinden von Mrs. Hanson) und nur von außen durch einen gesonderten Eingang zu erreichen. Hierin befand sich eine kleine Räucherei und unter anderem auch das alte Motorrad, welches Schäfer Hanson manchmal benutzte, um in die nächstgelegene Kleinstadt zu fahren.

Der langgestreckte Schafstall, welcher nur sehr selten benutzt wurde, denn die Herde befand sich fast immer im Freien, stand der Rückseite des Cottage gegenüber, seine eigene Rückseite lehnte sich an einen kleinen, kargen Hügel. Dem Schafstall schlossen sich rechts der Hühnerstall mit Auslauf und links der große Taubenschlag an. Vor dem

Schafstall gab es einen kleinen, umzäunten Auslauf. Vom Hügel aus hatte man einen ausgezeichneten Blick auf das Tal und die darin versteckt liegende Militärbasis.

Schäfer Hanson hatte selten Besuch - und niemals weiblichen - aber er war an Einsamkeit gewöhnt – genoss sie sogar.

Die meiste seiner freien Zeit verbrachte er in einem gemütlich, wenn auch spärlich eingerichteten, großen Raum, welchen er als seinen ‚Multifunktions-Salon‘

bezeichnete.

Die bloßen Steinwände waren ohne jegliche Verzierung, der Steinboden nur hier und da mit einem dünnen Teppich belegt. Vor dem Kamin stand ein kleiner Teetisch, ein Sofa und zwei Sessel, in der Mitte des Raumes ein kleiner Esstisch mit vier Stühlen. An den Wänden befanden sich mehrere, niedrige Bücherregale, sowie diverse Truhen. An der Rückseite befand sich ein kleiner Schreibtisch mit einem gemütlichen Stuhl, dahinter an der Wand der einzige hohe Schrank im Raum. Mit diesem hatte es eine ganz besondere Bewandtnis, stellte er doch einen verborgenen Ein- und Ausgang zum Cottage dar. Es gab auch noch andere, geheime und versteckte Dinge alten und neueren Ursprunges auf dem Anwesen, so zum Beispiel einen verborgenen Zugang zu dem neuen Anbau von der Speisekammer aus, einen unterirdischen Gang von der Räucherkammer in den Stall und weiter durch den Hügel auf dessen andere Seite.

Wie später ermittelt werden konnte, stand Schäfer Hanson in regem Briefverkehr –

besser: Brieftauben-Briefverkehr mit einem deutschen Spion, der seit seiner Kindheit in Großbritannien lebte und bereits viele Jahre unentdeckt unter dem Namen Harry Brown als Spion für Deutschland tätig war. Kam der Schäfer in den Besitz geheimer Unterlagen, so war er in der Lage, diese mittels einer geschickt angelegten Täuschung des Wachpersonals – in welcher zwei identische Taschen, sowie seine beiden Hunde die Hauptrollen spielten – von der Basis zu schmuggeln und Harry Brown zukommen zu lassen. Auf diese Art und Weise gelangten auch immer wieder frische Brieftauben in seine Voliere.

Doch dieses geheime und verräterische Handeln hatte auch seine Nachteile. Schäfer Hanson fürchtete um sein Leben, sollte er als Spion enttarnt werden. Denn nicht nur sein deutscher Kontakt hatte sein (Schäfer Hansons) Leben in der Hand, sondern auch die Militärs auf der Basis und einige andere Personen, die hinter sein Geheimnis gekommen waren. Dass er von seinem deutschen Kontakt zum Spionieren gezwungen worden war, da dieser einst Augenzeuge geworden war, wie der Schäfer seine Frau ermordete, war dabei Nebensache.

Dass zwei ‚dubiose Gestalten‘ – Agenten eines anderen, Großbritannien unfreundlich gegenüberstehenden Landes – welche den Schäfer erpressen wollten, damit er ihnen geheimes Material von der Basis liefern solle, urplötzlich verschwanden und später tot

– ermordet - aufgefunden wurden, lieferte zu gegebener Zeit einen ersten Hinweis auf verbrecherisches Handeln im Umfeld der Militärbasis.

Ich kam zuerst bei der Flugschau von Oldtimer-Maschinen in Barnhead ins Spiel. Dort traf ich unverhofft meinen lieben Freund und Kameraden, Colonel Marcus McRae, wieder.

Es gab rund um die Veranstaltung viel Interessantes zu sehen. Die Hauptattraktion war jedoch das Schaufliegen. Der große und mit Spannung erwartete Star war ‚ TripleR‘ – denn diesen Namen kannten viele noch aus den Annalen des II. Weltkrieges.

Unbesiegt, unverletzt und unbekannt – das war der noch immer sehr junge Teufelspilot im Aufklärungsteam der Royal Air Force.

Sehr oft nannte er sich jedoch einfach nur Ray Robert.

Bei allen Einsätzen und bei allen Gelegenheiten, die mit Flugzeugen im Zusammenhang standen, trug er stets eine geheimnisvolle, schwarze Maske. Wenn er diese einmal abnahm, so erschien darunter auch nicht sein wahres Gesicht. Das kannten nur eine Handvoll Personen, die außerordentliche Diskretion übten und strengste Verschwiegenheit geschworen hatten.

An jenem Tag der Flugschau mussten Colonel McRae und ich – natürlich auch all die anderen Zuschauer und Zuschauerinnen - mit Entsetzen ansehen, wie ‚ Triple-R‘ mit seiner Bristol, als er fast schon am Ende seiner Solo-Show war, plötzlich mit seiner Maschine ins Trudeln geriet und nicht weit von Barnhead entfernt in einen See abstürzte.

Doch auch bei diesem Crash, dem gefährlichsten - weil unerklärlich - seiner langen Karriere, sprang ‚ Triple-R‘ dem Tod von der Schippe!

Für eine erfolgreiche Abwicklung der Ermittlungen der Absturzursache musste er jedoch als tot gelten. Die genaue Untersuchung seiner Maschine ergab, dass er Opfer einer Sabotage geworden war, welche einem Mordversuch gleichgesetzt werden konnte.

Erst nach einiger Zeit und einigen Abenteuern konnte ich – mit Hilfe meines lieben Freundes und Kameraden, Colonel McRae, und mit Unterstützung von ‚ Triple-R‘, die Identität des Saboteurs feststellen. Dazu kam, dass nach der Ermordung des Schäfers die Person von Harry Brown in den Fokus meiner Ermittlungen geriet.

In der Zwischenzeit hatten der Colonel und ‚ Triple-R‘ – unabhängig voneinander – bei ihren Nachforschungen Harry Brown als deutschen Spion identifiziert.

Dessen teuflischer Plan, die Militärbasis – und weite Gebiete drüber hinaus - aus der Luft mittels einer neuartigen, mächtigen Bombe zu zerstören, konnte dank des

Einsatzes des selbstlosen und couragierten ‚ Triple-R‘ nach einem aufregenden Luftkampf in letzter Sekunde vereitelt werden!

Der Spion und Mörder Harry Brown zerschellte mitsamt seiner Bombe am BenMacdhui, die Maschine von ‚ Triple-R‘ wurde ebenfalls zerstört, doch kam der wagemutige Pilot mit dem Leben davon. Dass er dann drei Tage benötigte, um zu Fuß die nächste bewohnte Hütte zu erreichen, ist eine andere Geschichte.

Oh, Sie wollen natürlich noch wissen, wie Flugzeuge und Falknerei in diesem Fall zusammenhängen! Das hätte ich doch fast vergessen, zu erklären! Vorab: Flugzeuge und Falken – aber natürlich auch Brieftauben - haben alle Flügel!

Außerdem war und bin ich eine begeisterte Falknerin. Aus dem Sattel ist mir dies noch immer möglich.

Bei meinen Ermittlungen in dem vorliegenden Fall fand ich heraus, dass einige der Piloten, welche an der Flugschau in Barnhead teilgenommen hatten, auch Falkner und Brieftaubenbesitzer waren. Während ich an einer Beizjagd, organisiert von Sir Henry Campbell, teilnahm, erfuhr ich so manches über ihn und weitere Personen, welche diesem dreifachen Hobby frönten, und konnte während der Beizjagd, aber auch an den gemeinsam verbrachten Abenden, genaue Charakterstudien betreiben. Auffallend war, dass auch hier die Person von Harry Brown nicht unbekannt war.

Sozusagen als Bonus dieser meiner Ermittlungen, welche mit dem plötzlichen, gewaltsamen Tod von Lord Adair – einem der Piloten, Brieftaubenzüchter und Falkner

– im Zusammenhang standen, konnte ich einen weiteren Mörder – in der Person des Sekretärs von Lord Adair - entlarven und einem Liebespaar, nämlich Sir Henry Campbell und Lady Mary Adair, geborene Sinclair, zu einem Happy End verhelfen.

TOD IN DER PUSZTA

Im Winter, nachdem ich noch in meinem Haus in Kensington miterlebt hatte, wie die Sutton Coldfield Transmitting Station die Sendungen des BBC auch in den EnglishMidlands ausstrahlte – der ersten Region außerhalb Londons - reiste ich für die Weihnachtsfeiertage nach Ungarn. Dies bereitete mir als Britin und Urenkelin einer Ungarin keine Schwierigkeiten. (Siehe auch: Maureen O’Kelly „Tod in der Puszta“) Eigentlich hätte mich mein lieber Freund, Colonel McRae, begleiten sollen, doch wurde er in letzter Minute dienstlich abberufen. Zwar hatte er sein Regiment in allen Ehren verlassen müssen, nachdem er Oberhaupt des Clans Sinclair geworden war, doch stand er in gewissen – strengste Geheimhaltung und viel Diskretion erfordernden -

Angelegenheiten dem Verteidigungsministerium und anderen Dienststellen immer noch zur Verfügung.

Ich kam einige Tage vor Weihnachten in der Hortobágy-Puszta, einer Steppenlandschaft in der Großen Tiefebene Ungarns gelegen, an. Mich empfing weites, rauhes Land. Kilometerweites Nichts. Klirrende Kälte. Alle – fast alle – Tiere waren sicher in ihren Winterunterkünften, nur eine Herde der widerstandsfähigen Graurinder hielt – unter Aufsicht ihrer Hirten und deren Hunde - dem Wetter stand.

Ich konnte auf meiner Fahrt im Schlitten zu meiner Unterkunft in der Csárda – dem Gast- und Rasthaus - Spuren sehen, die mir verrieten, dass sich eine Rotte Wildschweine in die Schilfgürtel am Fluss zurückgezogen hatte. Füchse strichen über den kahlen Steppenboden auf der Suche nach Nahrung. Rehe suchten in den kleinen Wäldchen, die es hier und da als Windbrecher gab, Unterschlupf. In der Luft erklang manchmal der durchdringende Schrei der Bussarde.

Über Nacht hatte es wieder begonnen zu schneien. Immer heftiger. Bis die Landschaft unter einer dicken Decke von Schnee begraben war. Der aufkommende Wind steigerte sich zu einem Sturm und ließ Verwehungen entstehen. Wer sich nicht unbedingt draußen aufhalten musste, suchte den Schutz und die Wärme seiner Behausung auf.

Die Welt in Weiß schien zu erstarren.

Als der Morgen graute, fielen immer noch vereinzelt Schneeflocken aus den Wolken.

Die Menschen auf den einsam gelegenen Gehöften begannen mit ihrer Morgenarbeit.

Wasser musste aus den Ziehbrunnen geholt werden, Pferde - meist der Nonius-Rasse zugehörig -, Graurinder, Zackelschafe und die üblichen Hoftiere – unter anderem Milchkühe, Wollschweine, Ziegen und Geflügel - mussten gefüttert und getränkt werden, bevor sie für den Tag in die umzäunten Ausläufe gelassen werden konnten.

Danach setzten sich auch die Menschen zum Frühstück an den Tisch. Speck oder geräucherte Wurst, Eier und Bauernbrot, dazu Kaffee und Milch, so sah das tägliche Frühstück aus. In jedem der abgelegenen Gehöfte wartete man dann auf den Postboten, den seine Runde am Vormittag zu ihnen führte.

Es war Vorweihnachtszeit, deshalb brachte er außer Briefen in seinen Satteltaschen auch Geld und Geschenke für die Bewohner mit. So war es Jahr für Jahr geschehen.

Doch diesmal ließ der Postbote lange auf sich warten. So lange, dass es wieder Nacht wurde und erneut ein Schneesturm einsetzte. Als der Postbote auch am folgenden Vormittag nicht auf den Gehöften erschien, begann man, sich Sorgen um ihn zu machen. Von jedem der drei Gehöfte ritten Hirten los, nach ihm zu suchen. Am frühen Nachmittag erschien auf der winzigen Polizeistation in dem kleinen Dorf einer der Hirten auf einem schweißnassen und dampfenden Pferd. Er sprang vom Priccs, dem Hirtensattel (auch Patrac genannt - einem Stück Filz mit Lederbesatz und Steigbügeln, aber ohne Gurt), warf seine Suba (ein großer Umhang aus dickem, oft besticktem Filz) über den Rücken des Tieres, band den um den Hals des Pferdes geschlungenen und so immer handlich bereithängenden Strick an einem Ring in der Mauer fest und eilte durch die Tür in die kleine, aber von einem Ölöfchen gut beheizte Amtsstube.

Dort erklärte er dem sich in einem bequemen Sessel zurücklehnenden und eine Pfeife schmauchenden Dorfpolizisten, der in seiner ganzen Dienstlaufbahn bisher nur mit ein paar kleineren Delikten konfrontiert worden war, dass er - der Csikós (Pferdehirte) Lajos – die Leiche des Postboten gefunden habe.