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Auf dem Tisch lagen die Revolver fein säuberlich nebeneinander, der Größe nach aufgereiht. Fast, als wäre das hier eine Ausstellung, als sollten sie besonders gut zur Geltung kommen. Als wären sie der Star der Show und nicht Cane.
"Verdammter Cane", knurrte eine Stimme. Keiner hörte sie.
Die Revolver wurden eingerahmt von vier Winchesters. Links lagen zwei Tomahawks und rechts stand der graue Pappkarton mit den Platzpatronen. Sie glänzten in der Nachmittagssonne.
Ein Schatten fiel auf den Tisch und die glänzend polierten Läufe der Waffen. Eine Hand griff nach der Smith & Wesson. Mit fliegenden Fingern öffnete die Hand die Trommel, ließ die Munition herausfallen und warf sie in die Kiste mit den Platzpatronen. Dann griff der Schatten in seine Jackentasche und holte einen anderen Satz Patronen heraus...
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Seitenzahl: 139
Veröffentlichungsjahr: 2024
Cover
Seine Faust kennt kein Erbarmen
Vorschau
Impressum
Seine Faust kennt kein Erbarmen
von A.B. Mercy
Auf dem Tisch lagen die Revolver fein säuberlich nebeneinander, der Größe nach aufgereiht. Fast, als wäre das hier eine Ausstellung, als sollten sie besonders gut zur Geltung kommen. Als wären sie der Star der Show und nicht Cane.
»Verdammter Cane«, knurrte eine Stimme. Keiner hörte sie.
Die Revolver wurden eingerahmt von vier Winchesters. Links lagen zwei Tomahawks und rechts stand der graue Pappkarton mit den Platzpatronen. Sie glänzten in der Nachmittagssonne.
Ein Schatten fiel auf den Tisch und die glänzend polierten Läufe der Waffen. Eine Hand griff nach der Smith & Wesson. Mit fliegenden Fingern öffnete die Hand die Trommel, ließ die Munition herausfallen und warf sie in die Kiste mit den Platzpatronen. Dann griff der Schatten in seine Jackentasche und holte einen anderen Satz Patronen heraus...
Lassiter schritt gemächlich durch die Menschenmenge. Um ihn herum war die Aufregung groß. Es kam nicht alle Tage vor, dass Cowboy Cane mit seiner Show in der Stadt war. Die Truppe hatte ihre Zelte in Springwood aufgeschlagen und versprach ein Spektakel, wie es die braven Bürger des kleinen Städtchens in Tennessee sonst nicht zu sehen bekamen.
Kinder mit roten Wangen tobten um Lassiter herum, junge Ladys hatten ihre hübschesten Kleider angezogen, die Gents hatten ihre Schuhe und Hüte gebürstet. Lassiters Stiefel schienen die einzigen zu sein, an denen noch der Staub der Landstraße haftete.
Seine Sporen klirrten leise bei jeden Schritt. Sie waren kaum zu hören. Zu aufgeregt plauderten die Zuschauer der Wildwestshow. Sie standen in der Schlange für Eintrittskarten oder gebrannte Mandeln. Lassiter passierte sie. Cowboy Cane – Die Faust des Wilden Westens stand auf einem Plakat, das sich über den Eingang zu Arena spannte. Und darunter: Hundert Männer – fünfzig Pferde. Das echte Leben an der Frontier.
Lassiter bog nach rechts ab und ging zwischen der Arena und einem Zelt hindurch, in dem Bier gezapft und Limonade verkauft wurde.
»Ich darf Sie hier nicht reinlassen«, sagte ein blasses Mädchen, das den Eingang zum Camp der Showtruppe bewachte. Sie lächelte, ihre Augen ruhten auf Lassiters markantem Kinn. Ihr Blick sagte, dass sie ihn durchaus reinlassen wollte, aber sie straffte die Schultern und folgte ihren Anweisungen. »Das hier ist nur für die Darsteller. Der Eingang zur Show ist da vorn.«
»Millie, Millie«, unterbrach sie eine Stimme, bevor Lassiter etwas sagen konnte. Cowboy Cane eilte heran. Lassiter lächelte; er erkannte den alten Freund sofort. Sie hatten sich bestimmt zehn Jahre nicht gesehen, aber Cane war kaum gealtert.
»Lassiter ist ein alter Kollege von mir«, erklärte Cane. »Er ist unser Ehrengast.«
»Ach so, freut mich«, sagte Millie und ließ Lassiter vorbei. Er zwinkerte ihr zu und tippte an seinen Stetson. Eben sah er noch, wie sie errötete, dann wurde er schon in Canes Arme gerissen. Der klopfte ihm auf die Schulter.
»Mann, dass du endlich aufkreuzt. Wie lange lade ich dich schon ein, meine Show zu besuchen?«
»Acht Jahre«, antwortete Lassiter.
Cane lachte und schob Lassiter von sich. Er musterte ihn und nickte anerkennend. »Du bist also immer noch ein vielbeschäftigter Mann.«
»Kann man so sagen.«
»Immer noch Wells Fargo?«
»Um Himmels willen, das ist lange vorbei.«
»Und was treibst du jetzt?«, fragte Cane.
Lassiter winkte ab. »So dies und das. Wichtiger ist, was du so treibst...«
Er stemmte die Hände in die Hüften und sah sich um. In zwei Reihen standen hübsche Wohnwagen aus dunklem Holz einander gegenüber. Hinter ihnen konnte Lassiter die Rückseite der Sitzreihen der Arena sehen. Es waren hölzerne Sitztribünen. Der Westmann nickte anerkennend.
»Du hast deine eigene Show, eine große Truppe, wie viele Zuschauer gehen da rein?«
»Tausendzweihundert.«
»Nicht schlecht.«
Cane strahlte und führte Lassiter zu seinem Wohnwagen. Darsteller eilten an ihnen vorbei. Am Ende der Wagenreihe wurden Pferde gesattelt und eine Postkutsche poliert. Zwei Frauen trugen Kostüme zu einer Nische unter der Sitztribüne, die offenbar als Garderobe diente. Cane öffnete den Wohnwagen und setzte sich an einen Schminktisch. Lassiter hob eine Augenbraue.
Cane lachte. »Man muss meine Augen auch in der letzten Reihe erkennen«, erklärte er und malte sich mit einem Kohlestift Striche um die Augen. »Es geht nicht nur darum, den Gegner zu sehen, sondern auch darum, gesehen zu werden.«
»Wenn du das sagst«, schmunzelte Lassiter und lehnte sich in den Türrahmen.
Cane zog eine Schublade an seinem Tischchen auf und stellte zwei Gläser zwischen die ganzen Puderquasten und Tiegel.
»Du solltest sehen, was unsere Ladys sich ins Gesicht schmieren, bevor sie auftreten«, sagte er. »Aber die Augen sind wichtig, wenn man in der Arena steht. Bei Männern und Frauen. Whisky?«
»Unbedingt«, antwortete Lassiter, und wenig später hielt er ein Glas mit bernsteinfarbener Flüssigkeit in den Händen.
»Ich hab dir den besten Platz reserviert«, fuhr Cane fort. »Dann verpasst du nichts von dem Überfall auf die Postkutsche. Und auch nichts von Pearl.«
»Pearl?«
»Meine Frau, Lassiter. Ich hatte dich zur Hochzeit eingeladen!«
Lassiter hob abwehrend die Hände. »Ich weiß, ich weiß, ich konnte nicht. Es tut mir leid.«
»Well, alter Freund...« Cane hob die Achseln. »Du hast ihr ein Pferd geschenkt. Sie liebt es sehr. Alles vergeben und vergessen.«
Lassiter nickte, nippte an seinem Drink und sah sich in dem kleinen Wohnwagen um. Es gab neben dem Schminktisch nur noch ein Bett. Er wandte den Kopf und sah hinter sich auf die Zuschauertribüne und die Statisten, die sich vor dem Bühneneingang der Arena sammelten.
»Alles nur Show, was?«, fragte er.
»Ich hab seit zwölf Jahren keiner Fliege mehr was zu Leide getan«, antwortete Cane. »Aber alle jubeln mir zu. Die Zuschauer lieben mich. Die verehren mich, als könnte ich allein sie gegen eine Horde Banditen verteidigen.«
»Früher konntest du das.«
»Nur mit deiner Hilfe«, sagte Cane. »Außerdem ist das lange her. Ich bin nicht mehr der Jüngste.«
»Siehst aber so aus«, gab Lassiter zurück und grinste. Ihm selbst sah man die langen Ritte unter der sengenden Sonne an, die Kämpfe und die Nächte, die er sich um die Ohren schlug, um seine Aufträge zu erledigen und Gesetzesbrecher dingfest zu machen. Cane hingegen hatte ja fast die Haut eines Kindes.
»Alles eine Frage der richtigen Creme«, sagte Cane, stürzte seinen Whisky hinunter und sprang auf.
»Creme?«, fragte Lassiter.
Cane strahlte und ging an ihm vorbei. »Komm, Millie zeigt dir deinen Sitzplatz.«
Lassiter sah ihm verdattert nach. »Du cremst dich ein? Früher haben wir zusammen am Lagerfeuer gesessen und drei Wochen kein Wasser gesehen – und jetzt cremst du dich ein?«
Cane drehte sich um und ging rückwärts weiter.
»Ist doch kein Verbrechen, Lassiter!«, rief er. »Denn echtes Verbrechen gibt es in meinem Leben jetzt nicht mehr. Alles nur noch Show. Viel Spaß!«
✰
Dutzende Hufe donnerten in die Arena. Staub wurde aufgewirbelt, und inmitten der Wolken aus Dunst erhob sich eine Gestalt. Cane stand auf dem Dach der Postkutsche. Eben noch war das Gefährt gemächlich in die Arena gefahren. Es wurde sechsspännig gezogen, die Pferde hatten gemütlich getrabt. Jetzt aber rasten sie im wilden Galopp vor einer Horde Outlaws davon. Sie galoppierten im Kreis, aber nichtsdestotrotz waren sie auf der Flucht. Es mussten dreißig vermummte Männer sein, die auf gescheckten Appaloosa-Hengsten auf die Postkutsche zustürmten. Sie grölten und zückten ihre Waffen. In der Postkutsche kreischte eine Frau.
Lassiter lehnte sich zurück und grinste. Es war nicht übel, das ganze Spektakel. Er saß in einer Art Loge in der ersten Reihe. Die Arena musste einen Durchmesser von dreißig Yards haben und war mit Sand befüllt, der nun dramatisch aufgewirbelt wurde. Als die Pferde an ihm vorbeipreschten, konnte der Brigadeagent den Schweiß an ihren Flanken sehen.
Die vor Angst aufgerissenen Augen der Damen in der Kutsche waren vielleicht etwas übertrieben, aber sie zeigten dennoch Wirkung. Und Lassiter konnte nicht leugnen, dass es was für sich hatte, inmitten einer so wilden Jagd zu sein – ohne wirklich Teil davon zu sein. Einmal nur zuschauen, während erstens jemand anders das Problem löste, das zweitens natürlich kein Problem war, sondern eine mitreißende Show.
Lassiters alter Freund Cane verstand es, die Zuschauer zu fesseln. Gebannt starrten sie alle auf die Postkutsche. Kein Zweifel: Das schwer beladene Gefährt wurde überfallen. Die Zuschauer wussten, wer die Insassen der Kutsche waren. Sie hatten sie alle in einer kleinen Szene kennengelernt, die der Fahrt vorangegangen war. Und nun fürchteten über tausend Menschen um das Wohl und Wehe von einem gewissen Preacher Thomas, einer Lady Margaret und ihren beiden fast erwachsenen Töchtern und Cane, der früher einmal ein Cowboy gewesen war und nun mit der Postkutsche gen Westen ritt, um ein ruhiges Leben an der Frontier zu beginnen.
Soweit die Geschichte des kleinen Theaterstücks. Jetzt schossen die unbändigen Outlaws wie wild in die Luft und umkreisten die Postkutsche. Die Zugpferde bäumten sich auf und wieherten, als fürchteten sie um ihr Leben. Unruhig tänzelten sie mit den Hufen auf der Stelle, kamen nicht weiter. Die Postkutsche musste inmitten des Teufelskreises aus vermummten Banditen anhalten.
Cane folgte mit brennendem Blick den Banditen, die um ihn herumkreisten. Er stand breitbeinig auf dem Dach der Kutsche. Die Vermummten zielten auf ihn mit Winchesters und Smith & Wessons. Lassiter war nah genug, um auch das zu erkennen.
Es knallte durch die Luft. Schüsse zerrissen diesen Nachmittag, ein paar Reihen weiter schrie eine Zuschauerin auf, eine andere schien in Ohnmacht gefallen zu sein. Lassiter wollte ihr schon zur Hilfe eilen, aber da hatte eine Freundin ihr bereits Riechsalz unter die Nase gehalten. Die Lady erwachte und war sofort wieder Feuer und Flamme ob des Geschehens in der Arena. Lassiter schüttelte belustigt den Kopf. Alles passierte auf einmal, hunderte Geräusche kamen zusammen, um das Spektakel zu untermalen.
Cane stand noch immer auf dem Dach der Kutsche und wurde beschossen. Er wich den Kugeln geschickt aus. Lassiter wusste, dass es keine echten Projektile waren; er erkannte den Knall von Platzpatronen. Dennoch hatte es den Anschein, als wiche Cowboy Cane Kugeln aus, die sonst in seiner Brust oder seinem Kopf gelandet wären.
Dann hielten die Zuschauer den Atem an, denn ein Tomahawk flog auf Cane zu. Er fing ihn aus der Luft. Das Publikum grölte. Cane donnerte den Tomahawk in das Dach der Kutsche, wo die Waffe stecken blieb.
Cane brauchte keine Waffe – und schon gar keine Axt. Er war schließlich Die Faust des Wilden Westens. Er fixierte einen der Outlaws, der an ihm vorbeipreschte, und stürzte sich auf ihn.
Cane riss den Banditen vom Pferd. Die beiden landeten im Staub. Der Dieb griff nach seinem Revolver, aber Canes Faust war schneller. Er holte aus und verpasste dem Outlaw einen Schlag.
Lassiter lachte in sich hinein. Cane war schon immer berühmt gewesen für seine harte Faust. Er mochte Waffen nicht; seine Schläge waren bereits vor fünfzehn Jahren hart genug gewesen, um Angreifer zu überwältigen, die damals Kühe aus seiner Herde hatten stehlen wollen.
Cane mochte in diesem Moment als Schauspieler oder Kampfkünstler die Menge in seinen Bann ziehen, aber er tat das eben auch, weil man ihm ansah, dass er mal ein Cowboy gewesen war, dass er wusste, was es bedeutete, mit einer Herde Vieh gen Westen zu ziehen, sie zu verteidigen und Wochen unter freiem Himmel zu schlafen. Sein Gesicht mochte jugendlich und gepflegt aussehen, körperlich strahlte Cane eine Härte und Erfahrung aus, die bis in die letzte Reihe überzeugte. Er bot eine einmalige Kombination aus Showmanship und echtem Frontierman.
Nachdem der erste Bandit überwältigt war, riss Cane den zweiten vom Pferd. Sand wirbelte auf, der Vermummte stürzte zu Boden. Lassiter konnte sehen, wie der Outlaw sich geschickt abrollte. Bei dieser Show wurde niemand verletzt, aber Cane verstand es, es so aussehen zu lassen. Eine Faust flog durch die Luft, der Bandit ächzte und blieb reglos liegen.
Währenddessen aber hatten seine Kumpane die Postkutsche erobert. Sie traten die Türen ein, rissen die Ladys heraus und warfen sie in den Staub. Lady Margaret und ihre Töchter kreischten. Ein erster Bandit durchwühlte die Koffer, Kleider segelten durch die Luft. Ein zweiter grölte triumphierend und klapperte mit funkelndem Goldschmuck, der der ein oder anderen Zuschauerin zum Strahlen brachte.
Cane pirschte sich an den Schmuckdieb heran, rang ihn nieder und warf das goldene Geklimper zurück in einen Koffer. Er rettete den Preacher vor einem weiteren Banditen. Noch immer knallten Schüsse, die Kutschpferde wieherten und stiegen, die Zuschauer bangten um das Leben der braven Passagiere.
Cane stellte sich zwei Angreifern in den Weg, die auf die Kutsche zustürmten. Er ballte beide Hände zu Fäusten, sein Blick war entschlossen und fixierte die vermummten Banditen. Sie grölten und zielten auf ihn. Schüsse knallten – aber einer von ihnen klang anders als die anderen. Lassiter setzte sich abrupt auf, denn er kannte diesen Klang. Cane wich aus – und brach dann dennoch zusammen.
Lassiter schluckte.
Cowboy Cane lag im Staub und regte sich nicht. Fragend sahen die vermummten Outlaws sich an. Einer rüttelte Cane an der Schulter. Aber es tat sich nichts. Die Faust des Wilden Westens war tot. Erschossen in seiner eigenen Show.
✰
Das Bild verschwamm vor Pearls Augen. Jemand legte einen Deckel auf den schlichten Holzsarg, und gesichtslose Schemen hievten ihn auf einen Leiterwagen. Jemand schnalzte mit der Zunge, zwei Maultiere trotteten davon, und Pearl verstand kaum, was sie da sah. Ihr Blick war tränenverschleiert, und selbst wenn sie ahnte, was die verschwommenen Bilder bedeuteten, ergab das alles doch keinen Sinn.
Wie konnte er tot sein? Eben noch hatte Cane gelebt. Er hatte Pearl Hals und Beinbruch gewünscht vor der Vorstellung, und sie hatte es erwidert. Alles wie immer. Sie hatten gescherzt, dass heute ein guter Tag war, zu überleben. Das sagten sie vor jeder Show. Alles wie immer.
Und nun würden sie es nie wieder sagen? Pearl konnte es nicht fassen. Sie verstand nicht, dass ihr Ehemann nun leblos in einer Kiste lag, dass in seiner Brust eine Wunde klaffte. Heiße Tränen rannen über ihre Wangen, aber sie fühlte sich leer.
»Pearl?«, fragte eine tiefe Stimme in ihre Gedanken hinein. »Ma'am?«
Pearl hob langsam den Kopf. Im Licht der untergehenden Sonne stand ein Schatten vor ihr. Ein Mann mit breiten Schultern und einer Lederweste, die schon bessere Tage gesehen hatte. Er hielt seinen Stetson in der Hand, und obwohl Pearl sein Gesicht im Gegenlicht kaum erkennen konnte, schien sein Blick milde zu sein. Voller Mitgefühl.
»Pearl, ich bin Lassiter, ein alter Freund von Cane. Ich war heute in eurer Show und...«
»Lassiter«, sprach sie in seine Gedanken hinein und nickte. »Du hast mir das Pferd zur Hochzeit geschenkt.«
»Ja, einen Apfelschimmel. Es tut mir leid, dass ich es damals nicht zur Feier geschafft habe.«
»Ich liebe das Pferd. Ich habe ihn Storm genannt«, sagte sie und lauschte ihren eigenen Worten nach. Sie wusste, dass es nicht der Zeitpunkt war, über Pferde zu sprechen. Aber die Leere in ihr und das Unverständnis klammerten sich an Gesprächsthemen, die einmal Sinn ergeben hatten. Anders als der Tod. Der ergab keinen Sinn.
»Darf ich?«, fragte Lassiter und zeigte neben sie. Pearl blickte auf die Stelle, auf die er gezeigt hatte. Sie saß auf dem Boden der kleinen Veranda ihres Wohnwagens, direkt an den zwei Treppenstufen des Aufgangs. Die Füße in den weißen Showstiefeletten standen im Staub. Es war eng zwischen den Streben des Geländers, das die Veranda umgab. Sie nickte dennoch.
Lassiter setzte sich. Das Leder seiner Stiefel knarzte. Pearl spürte seine Hüfte an ihrer. Ein kleiner Schauer lief über ihren Rücken. Sie spürte ihn wie durch Watte. Ihr Körper war mit etwas anderem beschäftigt als der Anwesenheit eines Mannes. Er schaute sie an. Seine Haare waren sandfarben, sein Gesicht war wettergegerbt, der Blick seiner blauen Augen war sanft.
»Es tut mir so leid, was passiert ist, Pearl.«
»Ich verstehe das nicht. Wir benutzen Platzpatronen. Drei Leute kontrollieren die Waffen vor jeder Show.«
»Du glaubst also, dass es kein Unfall war?«, fragte Lassiter.
»Ich...«, begann sie und schluckte. Sie hatte plötzlich einen schweren Kloß im Hals. Das Reden fiel ihr schwer. Pearl sucht nach Worten, aber als sie welche fand, konnte ihre Kehle sie nicht aussprechen.
Schluchzen brach aus ihr hervor. Ihr Kopf sank nach vorne, die Tränen strömten nun aus ihren Augen. Eben noch waren es nur einzelne Tränen des Unverständnisses gewesen, aber jetzt flossen sie über ihr Gesicht wie die Sintflut.
»Ist ja gut, ist ja gut«, murmelte Lassiter.
Ihr Kopf sank an seine Schulter, Pearl spürte seinen Arm um ihre Schultern.
»Ist das in Ordnung für dich?«, fragte er.
»Ja«, brachte sie hervor.
»Glaubst du, dass es kein Unfall war?«, fragte er noch einmal.
Sie lachte bitter, setzte sich wieder auf und wischte die Tränen von ihren Wangen.