1,99 €
Die Tür quietschte und fiel leise scheppernd ins Schloss. Irgendwo grölte jemand, woanders wurde mit einem Blechnapf gegen Gitterstäbe geschlagen. Hysterisches Lachen hallte durch die nackten Flure. Kondenswasser lief in Tropfen die groben Backsteine hinunter. Maude trat in den Gang und folgte dem Guard zur nächsten Gittertür. Schlüssel rasselten. Durch ein hohes Fenster fiel Sonnenlicht auf den dreckigen Boden. Waren die Gänge hier schon immer so lang gewesen? Als Maude schließlich vor der Kiste mit ihren Habseligkeiten stand, erkannte sie ihr Kleid kaum wieder. Was hatte sie damals nur für ein Leben geführt? Maude schluckte. Das war vorbei. Sie hatte dafür bezahlt, und nun würde alles anders werden. Maude Fergurson schwor sich, diese Gänge nie wieder zu betreten. Eher würde sie sterben!
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 141
Veröffentlichungsjahr: 2025
Cover
Lassiter und die Engel des Todes
Vorschau
Impressum
Lassiter und die Engel des Todes
von A.B. Mercy
Die Tür quietschte und fiel leise scheppernd ins Schloss. Irgendwo grölte jemand, woanders wurde mit einem Blechnapf gegen Gitterstäbe geschlagen. Hysterisches Lachen hallte durch die nackten Flure. Kondenswasser lief in Tropfen die groben Backsteine hinunter.
Maude trat in den Gang und folgte dem Guard zur nächsten Gittertür. Schlüssel rasselten. Durch ein hohes Fenster fiel Sonnenlicht auf den dreckigen Boden.
Waren die Gänge hier schon immer so lang gewesen? Als Maude schließlich vor der Kiste mit ihren Habseligkeiten stand, erkannte sie ihr Kleid kaum wieder. Was hatte sie damals nur für ein Leben geführt? Maude schluckte. Das war vorbei. Sie hatte dafür bezahlt, und nun würde alles anders werden. Maude Fergurson schwor sich, diese Gänge nie wieder zu betreten. Eher würde sie sterben!
Mit zitternden Händen griff Finnigan nach der Waffe. Die Zeit war gekommen. Jetzt oder nie, sagte er sich. Und dann murmelte er: »Für Ethel.«
»Wie bitte?«, fragte Barker.
Finnigan riss den Remington aus seinem Holster und zielte auf den Kassierer seiner Bank. Eben hatte er noch unauffällig in der Schlange gestanden, jetzt aber galt es.
»Aber Mr. Finnigan«, stammelte Barker, riss die Hände hoch und trat einen Schritt zurück. Todesangst mischte sich mit Unverständnis.
»Ich brauch den Code zum Safe!«, sagte Finnigan. Seine Stimme klang schrill in seinen eigenen Ohren. Sein Herz klopfte zum Zerspringen. Die Hand, die den Griff des Remingtons umklammerte, schwitzte.
»Sofort!«, schrie er. Es sollte seinem Verlangen Nachdruck verleihen, klang aber ebenfalls etwas hysterisch. Es spielte keine Rolle. Der Remington schindete Eindruck. Drei andere Kunden befanden sich in der Bank. Sie alle wichen vor Finnigan zurück und klammerten sich aneinander. Sie kamen der Tür gefährlich nah.
Sie durften die Bank nicht verlassen. Sie durften nicht zum Sheriff laufen.
»Legt euch auf den Boden!«, brüllte Finnigan und fuchtelte mit dem Remington in ihre Richtung. »Aber schnell!«
Dann riss er die Waffe herum und zielte wieder auf den Cashier.
»Der Code, Barker! Schreib ihn auf.«
Barker schluckte und nickte. Schweiß perlte auf seiner Stirn. Mit zitternden Fingern griff er nach einem Stift und schrieb etwas auf.
Ethel hatte gesagt, dass Finnigan sich den Code aufschreiben lassen sollte, weil man im Eifer des Gefechts schon mal Ziffern vergaß oder verdrehte.
Ethel war Lehrerin, sie kannte sich mit Zahlen aus. Sie war schlau und wundervoll. Und sie verdiente ein besseres Leben. Finnigan würde es ihr ermöglichen. Jawohl. Der Gedanke an Ethels melodische Stimme und ihre goldblonden Haare beruhigte ihn. Und als der Kassierer Finnigan nun den Zettel mit dem Code für den Safe gab, zitterten Finnigans Finger kaum noch. Er nickte und ging um den Tresen des Bankschalters herum.
»Aufmachen!«, befahl er und zeigte mit seinem Remington auf das vergitterte Tor, das den Raum der Kunden von jenem hinter dem Bankschalter trennte.
Die Schlüssel in Barkers Händen klapperten, als er das Tor öffnete. Aus dem Augenwinkel meinte Finnigan, Bewegung unter den Kunden im Vorraum wahrzunehmen. Er fuhr herum und schoss in die Luft. Der Schuss knallte. Die Kunden schrien auf. Barker war leichenblass.
»Keiner rührt sich!«, ordnete Finnigan an.
Er kniete sich vor den Safe und gab die Kombination ein. Noch bevor er bei der letzten Ziffer angelangt war, schickte er einen Seitenblick zu Barker, der zitternd am Boden hockte. Nicht, dass er Dummheiten machte. Aber es sah nicht so aus.
Finnigan riss seinen Blick von Barker los und ließ die letzte Nummer am Safe einrasten. Es klickte. Die Tür sprang auf.
Strahlend blitzte ihm ein Stapel Goldbarren entgegen. Sie waren wunderschön. Finnigan konnte sein eigenes Antlitz darin sehen. Er spiegelte sich in kostbarem Gold. Er war erstaunt um den verbissenen Zug um seinen Mund. So hatte er sich noch nie gesehen.
Dann aber dachte er an Ethel, seine wunderschöne Verlobte, und seine Züge wurden weicher. Er griff nach dem Geld.
Nur die Scheine hatte Ethel gesagt. Das Gold war zu schwer. Sie mussten die Stadt heute noch verlassen, und die glänzenden Barren waren nur unnötiges Gewicht.
Finnigan hatte einen unscheinbaren Beutel dabei. Er sah beinah aus wie ein Kartoffelsack. Nun aber füllte er den abgenutzten Beutel mit raschelnden, fabrikneuen Geldbündeln.
Er räumte den Safe leer und ließ nichts zurück als das schwere Gold. Dann stand er auf und machte einen großen Schritt über Barkers zitternde Beine hinweg. Finnigan trat in den Vorraum und eilte mit dem Geld hinaus auf die Straße.
John M. Finnigan hatte eine Bank ausgeraubt. Er war jetzt ein reicher Mann.
✰
Donnernde Hufe preschten über die Mainstreet. Staub wurde aufgewirbelt. Maude wich vor dem galoppierenden Pferd und seinem Reiter zurück. Sie krallte ihre Finger in den Stoffbeutel, der ihre wenigen Habseligkeiten beinhaltete.
»Aus dem Weg!«, brüllte eine Stimme vom Kutschbock eines passierenden Ochsenwagens hinunter. »Willst du hier festwachsen, Lady?«
Maude schluckte und schüttelte den Kopf. Sie hatte die Straße überqueren wollen, war aber offensichtlich einfach stehengeblieben.
»Sorry«, murmelte sie und ging weiter, bevor der Verkehr der Mainstreet sie noch dem Erdboden gleich machte. Maude schritt auf den General Store zu. Ihre weißblonden Haare wehten leicht im Wind der vorbeipreschenden Pferde und Reiter. Nicht, dass es im Pine Hills Penitentiary ruhig gewesen war, aber der Lärm des Gefängnisses war dann doch etwas anderes als das rege Treiben auf der Mainstreet von Pine Valley.
Maude sah über die Schulter. All diese Menschen, die sich auf dem Weg befanden, irgendwohin eilten und in Bewegung waren, kamen ihr seltsam vor. Sie hatte vergessen, was Freiheit bedeutete. Sieben Jahre lang war Maude genau das nicht gewesen: in Bewegung. Festgesetzt war sie gewesen und all ihre Mitinsassinnen auch. Maude brauchte einen Augenblick, um sich an den Anblick dieser Freiheit zu gewöhnen.
Aber das war nur die halbe Wahrheit. Maude graute vor dem, was jetzt kam. Sie zögerte ihre Ankunft voraus. Deshalb ging sie so langsam, deshalb hatte sie mitten auf der Straße beinah vergessen weiterzugehen. Nervös fuhr sie sich durch die Haare und riss den Blick von der Mainstreet los.
Jetzt galt es. Nun war der Zeitpunkt, an dem ihre Zukunft anfangen würde. Nein, es war der Zeitpunkt, an dem Maudes Zukunft anfangen musste. Es ging ja nicht anders.
Das war eben auch so eine Sache: So schlimm die Zeit hinter Gittern auch gewesen war, sie war eben auch einfach gewesen. Zumindest auf eine gewisse Art. Denn alles war geplant und vorgegeben. Als Insassin hatte Maude wenig Entscheidungen treffen müssen. Ihr waren ein Bett und eine Arbeit zugewiesen worden. Sie hatte immer etwas zu essen gehabt. Wenig zwar, und es war auch nicht lecker gewesen, aber Maude hatte sich nicht eine Sekunde fragen müssen, ob es zu Essen oder Arbeit gab.
Das war vorbei.
General Store stand auf dem Holzschild über der Tür. Maude las diese Worte nun zum gefühlt siebzehnten Mal. Dann gab sie sich einen Ruck und betrat die Schwelle. Sie öffnete, ein leises Klingeln kündigte ihre Ankunft an.
In dem Krämerladen war es stickig. Dunst schwebte in der Luft. Hinter einem hölzernen Tresen waren Regale voller Waren. Maude erblickte Mehlpackungen, einen Turm aus Eierlagen und Streichholzschachteln. Von der Decke hingen zwei Schinkenstücke, am Fenster standen Holzkisten mit Obst und Gemüse, daneben ein Korb mit Wolle.
»Was kann ich für Sie tun, Lady?«, fragte die Krämerin. Sie kam gerade aus einem Hinterzimmer, wischte sich die Hände an ihrer Schürze ab und stützte sich schwer auf den Tresen. Das Holz knarzte unter der Kraft ihres starken Oberkörpers.
»Ich ... äh ...«, begann Maude und rang sich ein Lächeln ab.
»Ja?«, fragte die Krämerin ungeduldig.
»Ich bin Maude, und ich ...«
»Ich bin Mrs. Shoeller, und ich hab nicht den ganzen Tag Zeit. Ich habe eine Lieferung Patronen und eine ganze Wagenladung Äpfel bekommen.«
»Brauchen Sie Hilfe?«
»Was?«, fragte Shoeller verwirrt.
»Ich suche Arbeit.«
»Mhm«, brummte die Krämerin und musterte Maude. »Siehst nicht aus, als hättest du in deinem Leben schon mal angepackt.«
»Ja, nein, das täuscht. Ich habe zuletzt in der Küche gearbeitet.«
»Wo?«
»In ...« Maude verstummte und lächelte dünn. »Also, in jedem Fall kenne ich mich mit dem Sortieren von Lebensmitteln gut aus. Und der Lagerung.«
»Welche Küche? Ein Hotel? Ein Restaurant?«
»Nicht direkt ...«
»Girl, wenn du nur halb so langsam arbeitest, wie du redest, hab ich hier wirklich keine Verwendung für dich.«
Mrs. Shoeller verdrehte die Augen und drehte sich um.
»Bitte«, entfuhr es Maude. »Ich brauche wirklich Arbeit, und ich bin fleißig.«
Die Krämerin seufzte und wandte sich wieder Maude zu. Sie stemmte die Hände in ihre Hüften.
»Ich könnte schon jemanden gebrauchen ...«
Maudes Augen leuchteten auf. Sie trat einen Schritt in den Laden. »Wirklich? Ich kann sofort anfangen, ich ...«
»Nicht so schnell«, sagte die Krämerin und lachte. »Obwohl mir dieses Tempo jetzt schon sehr viel besser gefällt.«
»Entschuldigung«, sagte Maude eilfertig und trat einen Schritt zurück.
»Also«, begann Mrs. Shoeller. »Wo war diese ominöse Küche, in der du gearbeitet hast, und was hast du die letzten zehn Jahre überhaupt gearbeitet?«
Maude schluckte. Es war nicht, dass sie nicht gearbeitet hatte, bevor sie im Gefängnis gewesen war. Sieben sehr reiche Männer dazu zu bringen, Maude zu heiraten und finanziell zu versorgen, war kein Kinderspiel gewesen. Maude hatte sie verführt und dazu gebracht, sich in sie zu verlieben. Mehr noch: Sie hatte diese Gents davon überzeugt, dass man Maude vertrauen konnte. Was ein Fehler war. Zumindest war es damals ein Fehler gewesen, Maude Fergurson zu vertrauen.
Maude wollte das nicht mehr. Sie wollte ein anderes Leben, ein anderer Mensch sein. Die Bezeichnung Lady vielleicht wirklich einmal verdienen ... Aber dafür musste sie ein Mensch sein, dem man vertrauen konnte, der nichts verschwieg, zumindest aber nicht log.
Keine Lügen mehr, hatte Maude sich jeden Tag im Pine Hill Penitentiary gesagt. Ab jetzt bist du ehrlich.
Maude sah die Krämerin unglücklich an. Mrs. Shoeller hob abwartend eine Augenbraue.
»Heute noch, Girl.«
»Ja, natürlich, also es ist Folgendes ... Ich war im Gefängnis.«
»Was?«
»Ich habe die letzten sieben Jahre eingesessen.«
»Du bist eine Verbrecherin?«
»Ja, ich war eine, aber ich habe meine Strafe verbüßt. Und ich habe wirklich in der Küche vom Pine Hill gearbeitet. Ich habe auch ein Arbeitszeugnis von der Küchenwärterin.«
Maude öffnete ihren Stoffbeutel und wühlte darin herum.
»Raus!«, entfuhr es der Krämerin. Sie zeigte mit ausgestrecktem Finger zur Tür. »Ich hol mir doch keine Kriminelle ins Haus.«
»Aber hier, hier steht, dass ich fleißig bin und mich stets durch gutes Betragen ...«
»Raus hab ich gesagt!«, brüllte Shoeller.
Maude hielt den Wisch aus dem Gefängnis vor sich wie ein Schutzschild, aber die Krämerin ignorierte es und kam um den Tresen herum. Die Holzdielen knarzten unter ihren festen Tritten. Mrs. Shoeller war eine große, kräftige Frau, und sie stand jetzt vor Maude wie eine Gerölllawine, die sich jede Sekunde lösen konnte.
»Ich hol mir doch keine Diebin ins Haus!«
»Also genau genommen habe ich niemanden bestohlen. Zumindest keine Frauen, ich ...«
Bevor Maude noch ein weiteres Wort sagen konnte, wurde sie bei den Schultern gepackt und flog auf die Straße.
✰
»Hallo?«, fragte Lassiter. »Jake?«
»Mhm, hier unten«, kam die Antwort.
Lassiter runzelte die Stirn. Er stand in der Tür des Pine Valley Attorney's Offices. Auf dem Schreibtisch türmten sich Unterlagen. Als Lassiter den Perserteppich betrat, wirbelte Staub auf. Auf den beiden Sesseln vor dem Schreibtisch stapelten sich weitere Papiere. Ein geschäftiges Rascheln ließ den Schluss zu, dass in diesem Schreibzimmer noch weit mehr Unterlagen zu erwarten waren.
Lassiter ging um den Schreibtisch herum. Seine schweren Stiefel knarzten, seine Sporen rasselten leise. Er fand Jake auf dem Boden hinter dem Tisch. Der junge Staatsanwalt kniete zwischen Papierstapeln, seine Hemdsärmel waren hochgekrempelt, sein Sakko schien inmitten all der Unterlagen verloren gegangen. Die Papiere, die Jake umgaben, waren gelb, blau und rosa. Er legte sie auf Stapeln ab, hielt noch ein paar Blätter in der Hand und sah zu Lassiter auf. Auf seiner Nase saß ein Zwicker, auf seinem Kopf war eine Brille.
»Ich habe vorübergehend den Überblick verloren«, raunte er.
»Vorübergehend?«, fragte Lassiter und hob eine Augenbraue.
»Ja, jetzt habe ich ein System«, antwortete Jake. »Ich arbeite mit farbigem Papier. Und sortiere meine Fälle nach Farben.«
»Wie lange bist du schon im Amt?«
»Vier Monate«, antwortete Jake. »Ich habe direkt nach Vaters Tod angefangen.«
»Mein Beileid noch mal«, sagte Lassiter und legte seinen Stetson auf der Armlehne des Bürostuhls hinter Jake ab. »Er war ein guter Mann. Guter Staatsanwalt.«
»Der beste«, murmelte Jake und sortierte weiter. »Das sind große Fußstapfen, in die ich trete. Und ich bin direkt von der Universität ins Amt. Die Tinte auf meinem Staatsexamen war noch gar nicht trocken, da saß ich hier schon an seinem Platz ... Aber ich schaffe das. Ich habe ja jetzt ein System.«
»Aus Farben«, ergänzte Lassiter und lehnte sich an den Schreibtisch. Er verschränkte die Arme vor der Brust und betrachtete Jake. Lassiter kannte Jake seit zehn Jahren, damals war er noch ein Kind gewesen. Und jetzt war der junge Prosecutor kaum mehr als das. Zu sagen, dass er grün hinter den Ohren war, war eine Untertreibung. Jakes Vater war Lassiters Verbindungsmann hier in Pine Valley gewesen, und Jake hatte dieses Amt geerbt. Er war vielleicht noch nicht ganz bereit dazu, aber sein Vater hatte die eigene Nachfolge mit einem gewissen Druck durchgesetzt.
Der alte Jack O'Malley war gefürchtet und beachtet gewesen. Man ging wohl davon aus, dass Jake seinem Vater in nichts nachstand.
»War das jetzt ein rosa Fall oder ein gelber?«, murmelte der junge Mann auf dem Boden, drehte sich mit Papieren in der Hand um sich selbst und wirbelte so den Staub aus dem Teppich auf. Er hustete.
»Ich sollte den Teppich wirklich mal ausklopfen lassen«, röchelte er. »Aber dafür müsste ich ihn freiräumen.«
»Jake, mach doch mal eine Pause.«
»Nein, nein, ich schaffe das. Und ich bin im Grunde ja auch schon fertig. Morgen habe ich das alles sortiert. Spätestens übermorgen.«
»Mhm-hm«, murmelte Lassiter skeptisch. »Junge, komm, ich lad dich auf ein Steak drüben im Valley Inn ein. Dann kommst du mal auf andere Gedanken. Mit einem frischen Blick sortiert es sich doch viel besser.«
»Meinst du?«
»Ja, natürlich. Sag mir nur kurz, was mein nächster Auftrag ist, und wir schlagen uns den Bauch voll.«
»Auftrag ...«, wiederholte Jake und starrte den Schreibtisch an.
Lassiter war nicht sicher, ob Jake das als Frage meinte oder ob ihm das Wiederholen des Wortes dabei half sich an den Auftrag zu erinnern.
»Jake?«, fragte Lassiter nach einigen Augenblicken. »Mein Auftrag? Mein Verbindungsmann in Madison hat mich hierher geschickt. Ihr habt ein Problem, das ich lösen soll.«
»Ja, natürlich«, antwortete Jake und richtete den Blick weiterhin unbeirrt auf seinen Schreibtisch. Die Schubladen waren nicht alle geschlossen, hier und da quollen Unterlagen hervor. »Es ist nur ... Ich weiß nicht genau, wo das Telegramm ist.«
»Jake, du sollst das Telegramm überhaupt nicht aufbewahren, sondern mit Hilfe des zweiten Telegramms entschlüsseln, dir den Inhalt merken und die Nachrichten daraufhin zerstören.«
»Wirklich? Beide?«
»Um Himmels willen, Jake. Natürlich. Die Brigade Sieben ist geheim, uns gibt es offiziell nicht. Deshalb darf es auch die Telegramme nicht geben.«
Jake kaute auf seiner Unterlippe und sah betreten zu Lassiter hinauf. »Das hat mein Vater mir nie gesagt. Sein Tod war ein Unfall, und die Übernahme musste so schnell gehen. Den Code habe ich mir gemerkt, und das Telegramm zerstört, aber die andere Nachricht ...«
Lassiter seufzte. »Schon gut, ich bezweifle, dass irgendjemand hier drin irgendwas finden würde. Und das nächste Mal machst du es einfach richtig.«
»Natürlich, Lassiter.«
»Komm, ich helfe dir suchen.«
Während Jake sich den kleinen Schubladen des Schreibtisches zuwandte, beugte sich Lassiter über den Tisch selbst und blätterte sich durch den ersten Stapel.
»Ich hab's«, sagte Jake bald, dann stöhnte er genervt auf. »Doch nicht.«
»Ist es vielleicht das hier?«, fragte Lassiter und zog einen Wisch unter der ledernen Schreibtischunterlage hervor. Er reichte ihn Jake. Der griff nach dem Zettel, stand auf und tastete die Brusttasche seiner Weste ab.
»Auf deinem Kopf«, murmelte Lassiter.
»Wie bitte?«
»Deine Brille ist auf deinem Kopf.«
»Ach ja«, gab Jake zurück und lachte verlegen. Er zog die Brille auf und las die Zeilen auf dem Telegramm.
»Und?«, fragte Lassiter.
»Ach ja, es geht um die Banküberfälle. Es gab eine Reihe von Überfällen im County. Erst sah es nicht nach einem Zusammenhang aus, weil immer andere Männer die jeweiligen Banken überfallen haben. Aber alle diese Männer sagen, sie hätten es für eine Frau getan, und auch wenn die Frau in jedem Geständnis anders heißt, sieht sie immer gleich aus. Rotblonde Haare, hübsch, jung ...«
»Ich suche also eine Bankräuberin?«
»Es scheinen zwei zu sein«, sagte Jake. »Eine von ihnen verführt einen Bankkunden und überzeugt ihn, im Namen der Liebe die Bank zu überfallen. Beim nächsten Raub macht es die andere. Sie wechseln sich ab. Aber sie betreten nie selbst eine Bank. Deshalb sind die Sheriffs auch so lange im Dunkeln getappt. Am Ende hauen sie mit der Kohle ab, und die Polizei verhaftet einen Täter, der gar nicht weiß, wie ihm geschehen ist.«
»Zwei Räuberinnen also?«
»Ja, und sie scheinen gewaltbereit. In Hoult haben sie vor drei Wochen einem Kassierer ins Bein geschossen.«