Last Exit Babyklappe -  - E-Book

Last Exit Babyklappe E-Book

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Beschreibung

Kinder! Die größten Weltwunder, die bunten Streusel auf dem Eisbecher der Liebe, der Schnaps im Cocktail des positiven Lebensgefühls! Oder bei näherer Betrachtung doch bloß nervtötende kleine Terroristen, die Schlaf und Freizeit rauben und auf das neue Sofa pinkeln? Wie sieht es wirklich aus hinter den Wohnungstüren der Latte-Macchiato-Mütter und Weichspülerduft-Papas? 34 junge Autorinnen und Autoren blicken in Deutschlands Kinderstuben mit reichlich schwarzem Humor und noch viel mehr Selbstironie. Geschichten und Gedichte von Christian Bartel, Michael Bittner, Daniela Böhle, Hazel Brugger, Kirsten Fuchs Jakob Hein, André Herrmann, Björn Högsdal, Jess Jochimsen, Marc-Uwe Kling, Achim Leufker, Mieze Medusa, Jacinta Nandi, Anselm Neft, Jochen Reinecke, Matthias Reuter, Christian Ritter, Patrick Salmen, Sabrina Schauer, Dagmar Schönleber, Xóchil A. Schütz, Jörg Schwedler, Sebastian 23, Andy Strauß, Lea Streisand, Volker Surmann, Udo Tiffert, Johanna Wack, Ralph Weibel, Michael-André Werner, Heiko Werning, Torsten Wolff und Liefka Würdemann.

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Björn Högsdal, Johanna Wack (Hrsg.)

LAST EXIT BABYKLAPPE

Björn Högsdal

Johanna Wack (Hrsg.)

LAST EXIT

BABYKLAPPE

Ein Lesespassfür die halbe Familie

1. Auflage Juni 2013

© Satyr Verlag Volker Surmann, Berlin 2013

www.satyr-verlag.de

Cover-Illustrationen: Markus Freise (www.freise.de)

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet abrufbar über: http://dnb.d-nb.de

Die Marke »Satyr Verlag« ist eingetragen auf den Verlagsgründer Peter Maassen.

E-Book-Ausgabe

ISBN: 978-3-944035-20-8

Inhalt

Johanna Wack & Björn Högsdal: Vorwort

TEIL IDIE ELTERN

1. Schwangerschaft und Geburt. Oder: Das machen wir nie wieder!

Björn Högsdal: Kindergedicht

Volker Surmann: Kalendarisches Problem

Xóchil A. Schütz: BÖSE

Johanna Wack: Das hässliche Baby

Jörg Schwedler: Die Geburt. Oder: Das machen wir nie wieder!

Sebastian 23: Sternengucker

2. Das neue Leben. Oder: Das hatten wir uns anders vorgestellt!

Björn Högsdal: Spielgruppe

Johanna Wack: Die perfekten Kinder

Heiko Werning: Aus dem Tagebuch eines jungen Vaters

Mieze Medusa: Mama. Oder: Aber nicht nur

Kirsten Fuchs: Elternsex

Björn Högsdal: Disstrack gegen meinen acht Monate alten Sohn

Jochen Reinecke: Take a Walk on the Wild Side

Johanna Wack: Das kranke Kind

3. Erziehungsfragen. Oder: Hilfe, das stand so aber nicht im Ratgeber!

Marc-Uwe Kling: Die Lektion

Björn Högsdal: Gewaltfreie Erziehung

Heiko Werning: Eigenes Tempo

Andy Strauß: In Erwägung mangelnder Entwicklung

Ralph Weibel: Babyklappe

Jacinta Nandi: Was soll das?

Achim Leufker: Ich wünsche mir Kinder – ich will sie nur nicht treffen

Björn Högsdal: Tough Love

Udo Tiffert: Entschuldigung an Dustin

4. Fremdbetreuung. Oder: Nimm du das mal!

Johanna Wack: Elternabend im Kindergarten

Jess Jochimsen: Wenn Eltern sprechen

Daniela Böhle: Dunant-Grundschule

Kirsten Fuchs: Erdbeermütze

Jakob Hein: Qualitätszeit

TEIL IIDIE ANDEREN

5. Die Kinder der Anderen. Oder: Echt süß! Kann ich jetzt gehen?

Volker Surmann: Die Telefonistin

Dagmar Schönleber: Warum man nicht vor dem ersten Kaffee aus dem Haus gehen sollte. Oder: Yeiyeiyei!

Liefka Würdemann: Der Geburtstag

Patrick Salmen: Von Kindern und Rasenmähern. Oder: Die Ästhetik des Aktenvernichtens

Michael-André Werner: Das Leihkind

Hazel Brugger: Im Namen des Fötus, des Hohnes und des ewigen Spottes – Eine Kindheitsbewältigung

6. Die Nerven. Oder: Entschuldigung? Ich fürchte, Ihr Kind ist defekt

Volker Surmann: American Airsleep

Björn Högsdal: Ästhetische Ökonomie

Sabrina Schauer: Durch die Augen einer Kinderlosen

Volker Surmann: Ich hab ein Kind im Ohr

Matthias Reuter: Muttertag

Björn Högsdal: Kino mit Kind

7. Die Reklamation. Oder: Beschwerden gegen meine Person richten Sie bitte an meine Eltern

Christian Ritter: Schwerer Gewohnheitsfehler

Lea Streisand: Weihnachten in Familie

André Herrmann: Hauptsache, nicht arbeiten

Michael Bittner: Einen Kopf kürzer

Anselm Neft: Ganz schön viel zu tun

8. Die Metamorphose. Oder: Schatz, wir machen das aber anders als Torben und Maria!

Christian Bartel: Lampe, Pfeffermühle, Kind

Torsten Wolff: Mein Sohn

Michael-André Werner: Fass meinen Bauch an

Sabrina Schauer: Ich habe keine Kinder

Die Autorinnen und Autoren

Vorwort

»Die Kinderzahl ist die Anzahl der Kinder in einer Ehe oder die Anzahl der Kinder einer Person (aus mehreren Ehen plus nichteheliche Kinder)«

– Wikipedia –

Johanna Wack – Kinderzahl: 1

Als ich schwanger war, traf ich eine junge Mutter. Mit grau-blauen Rändern unter den Augen und einem dazu eigentlich überhaupt nicht passenden Strahlen darin sagte sie: »Das Kind wird dein ganzes Leben verändern.«

»Ja, ja«, hab ich gedacht. »Deins vielleicht. Meins nicht.«

Dann kam der Schock. Also die Geburt. Das Kind. Und zack! war mein Leben nicht mehr meins. Ich hatte wirklich alles unterschätzt: die Schmerzen der Geburt, den Schlafmangel, das Immer-da-sein-müssen, die Langeweile, die Verantwortung, die alles einnehmende und überwältigende Liebe. Das Schönreden und das Nicht-die-Wahrheit-sagen-dürfen. Die Schwierigkeiten, die sich aus dem Elternsein am Arbeitsplatz und im Freundeskreis ergeben. Die Menschheit teilte sich ab sofort in zwei Kategorien: »Eltern« und »die Anderen«. Ich hatte große Schwierigkeiten, mich an all das zu gewöhnen.

Mehr als einmal habe ich mir mein altes Leben, meine alte Freiheit, das Nur-Tochter-sein zurückgewünscht. Nicht, dass ich mein Kind hätte hergeben wollen oder können. Ich wollte nur manchmal einfach die Zeit zurückdrehen und das Elternsein auf später verschieben.

Ich hatte vorher nicht sonderlich viel Rücksicht auf mein Leben, meinen Körper und meine Mutter genommen. Wäre ich überfahren oder überfallen worden oder sonstwie zu Tode gekommen, wäre das zwar ziemlich blöd gewesen, aber na ja ...

Jetzt war es etwas völlig anderes, ich musste auf mich aufpassen, weil ich meinem Kind nicht die Mutter nehmen wollte. Ich befand mich auf der Einbahnstraße Elternsein, und die bestand aus der Ambivalenz zwischen Liebe und totaler Überforderung, zwischen Aufopferungswillen und dem eigenen Unvermögen, zwischen Erwartungen und Realität.

Und dann gab es da natürlich noch die ganzen absurden und komischen Erlebnisse, die anderen Eltern, die Ratgeber, die Kinder – und hatte ich schon die anderen Eltern erwähnt?

Ich tat, was ich immer tue: Ich schrieb Texte darüber.

Nach einigen Jahren hatte ich Folgendes:

1. eine wundervolle, große und selbstständige Tochter und

2. einige Texte über die komischen Seiten des Elternseins.

Und: Ich war nicht allein. Es gab noch mehr Autoren aus der Poetry-Slam-, Lesebühnen- und Literaturszene, die auch Texte über Kinder, über Eltern und übers Elternsein geschrieben hatten. Als Björn mich fragte, ob wir gemeinsam eine Anthologie zu diesem Thema herausgeben wollen, war die Antwort sofort klar.

Meine Tochter ist jetzt groß, sie wird dieses Jahr eingeschult. Heute Morgen saßen wir am Frühstückstisch:

»Mama, darf ich Gummibärchen?«

»Natürlich nicht!«

»Und zum Nachtisch?«

»Es gibt doch keinen Nachtisch nach dem Frühstück.«

»Warum nicht? Das ist total ungerecht, dass es Nachtisch nach dem Mittagessen gibt, aber nach dem Frühstück nicht.«

»Das ist aber so. Weil ...«, ich suchte nach einem vernünftigen Argument, »weil ... ich es sage.«

»Aber du bestimmst nicht über mich!«

Ich seufzte: »Ich mach dir einen Vorschlag: Du kriegst nach dem Mittagessen Gummibärchen. Aber dafür ist jetzt Schluss mit dieser Diskussion.«

»Das ist Erpressung!«

»Nein. Wenn Eltern das machen, nennt man das Erziehung.«

»Ich will aber jetzt Gummibärchen.«

»Tja«, sagte ich, »das Leben ist hart.«

Meine Tochter sah mich aus zusammengekniffenen Augen an: »Für dich vielleicht, Mama! Für mich nicht!«

Manchmal weiß sie gar nicht, wie recht sie hat.

Björn Högsdal – Kinderzahl: 2

Warum mein Sohn keine Milch mehr trinkt? Da muss ich ausholen. Einmal am Tag gehe ich ins Wohnzimmer und schreie die Sessel an. »Ein Sessel muss wissen, wo sein Platz im Rudel ist«, habe ich meinem kleinen Sohn erklärt. Die Couch sei im sozialen Gefüge der Wohnung das dominante Sitzmöbel, der Alphasessel. Dann erzählte ich meinem Sohn die Geschichte, wie seine Mutter und ich vor vielen Jahren zusammen mit etwa zwanzig der härtesten Couchboys jenseits von Möbel Kraft in Westschweden unterwegs waren, um Wildmöbel zu fangen – dort, wo auch die Leute von Ikea auf die Jagd gehen. Und wie wir die Möbel gezähmt haben. So etwas erzähle ich ihm nicht, weil ich gerne lüge. Das wäre nur ein Teil der Wahrheit. Vielmehr wünsche ich mir, dass mein Kind in einer Welt der Wunder aufwächst. Einer Welt, in der nichts unmöglich scheint. Im Geschirrspüler leben kleine Abwaschgnome, und Windräder produzieren gar keinen Strom. Im Gegenteil, man pumpt Unmengen Energie rein, damit die Propeller sich drehen und dadurch die Erdrotation am Laufen halten. Erdbeben sind planetarer Schluckauf, Wind entsteht dadurch, dass Bäume wedeln, und Milch ist eben das Pipi von Kühen.

Dass man sich dem Leben gegenüber auf wirksame Weise mit Ironie wappnen kann, habe ich früh gelernt. Lernen müssen, da mein Vater von seinem Studium in England nicht nur eine Vorliebe für Fish & Chips mitgebracht hatte, sondern vor allem eine für britischen schwarzen Humor. Letzterer bildete das Fundament seiner Beteiligung an meiner Erziehung. Angeblich verstehen Kinder Ironie erst ab etwa dem achten bis zehnten Lebensjahr, doch dem Vorbild meines Vaters nacheifernd habe ich erreicht, dass mein fünfjähriger Sohn nur noch die Hälfte von dem glaubt, was ich ihm erzähle. Und das entspricht tatsächlich ziemlich genau dem Wahrheitsgehalt meiner Aussagen ihm gegenüber.

Dieses Buch ist kein Kinderhasserbuch. Kinder haben ist schön. Aber nicht immer. Es gibt in diesem Buch Geschichten, die Kinder aus der Hölle vorstellen, aber genauso solche über verplante Rabenväter, kampfbereite Übermütter und kinderfeindliche Umgebungen. Wir hassen Kinder nicht, wir finden sie nur manchmal furchtbar anstrengend und nervtötend. Wir dürfen das, wir sind Eltern. Und erstaunlicherweise reagierten im Vorfeld dieser Anthologie fast nur Menschen pikiert auf Ansatz oder Titel dieses Buches, die selbst (noch) keine Eltern sind.

Johanna Wack war vor einigen Jahren die erste Autorin, die ich auf Bühnen mit tiefschwarzen Geschichten über Kinder und das Muttersein erlebte. Sie wurde im selben Jahr Mutter, in dem auch mein erstes Kind auf die Welt kam, und seitdem hat uns beide das Thema Kind auch literarisch nicht mehr losgelassen. So war Johanna Wack auch meine Wunschpartnerin und die Erste, an die ich dachte als Mitherausgeberin dieser Textsammlung.

Es hat uns beiden sehr viel Spaß gemacht, uns durch die eingereichten Texte zu lesen, und wir danken allen Autorinnen und Autoren dafür. Wir haben oft Tränen gelacht.

Nicht als Entschuldigung, aber vielleicht als eine Erklärung für die Motivation zu manchen der Texte hier eine Episode aus meiner jüngeren Vergangenheit:

Neulich fixierte mein Sohn etwa zehn Minuten lang hochkonzentriert mein zugegebenermaßen markantes, nicht aber exorbitantes Kinn, wie ich festhalten möchte, und räusperte sich dann, um mir folgende Entdeckung mitzuteilen: »Papa?«

»Ja?«

»Du hast ein viel längeres Kinn als richtige Menschen.«

Ich finde, wer austeilen kann, muss auch einstecken können.

Johanna Wack und Björn Högsdal,Kiel und Hamburg, April 2013

TEIL IDIE ELTERN

1. Schwangerschaft und Geburt.

oder: Das machen wir nie wieder!

Kindergedicht

Björn Högsdal

Verhaftet Kinderhasser und senkt Babynahrung preislich,

steckt Raser in den Knast, und macht die Welt zur Zone 30

stoppt alle Kriege, haltet die Welt an –

ich und meine Frau, wir sind jetzt Eltern!

Wir haben euch und allen einen Heiland geboren,

makellos perfekt, von den Zehen bis zu’n Ohren.

Nicht dass ich Seuchen, Mord und Terror nicht lustig oder gut fand,

ich fordere nur für meinen Sohn die Welt in gutem Zustand.

Ab heute ist jetzt bitte mal mit Folgendem Schluss:

Alle hören auf sich zu hassen, und weder Wolken noch Fluss

werden weiterhin vergiftet, darum wird hier gebeten,

sowie ’ne Schaumgummischicht um den ganzen Planeten.

So viele Eltern sind gestraft mit hässlich öden Blagen,

manche stinken, reden Unsinn, stellen grässlich blöde Fragen.

Mein Sohn ist was Besonderes, teils da Vinci, teils Dalai Lama,

’ne Prise Shakespeare, etwas Clooney – na, bei dem Vater und

der Mama.

Was meint ihr mit »verhätscheln«, und was heißt »getrübter

Blick«?

Wenn ihr sagt, der Kleine beißt und nervt, sag ich, der übt Kritik.

Ihr meint, der schreit und spuckt und hat den Hund entstellt?

Ich find, der teilt sich freundlich mit – das Kind entdeckt die Welt.

Kalendarisches Problem

Volker Surmann

Wie viele Tagesdecken bilden eigentlich ein Wochenbett?

 

BÖSE

Xóchil A. Schütz

Eine Schwangerschaft ist BÖSE.

Ich mache den Kühlschrank auf und muss kotzen!

Ich putze mir die Zähne und muss kotzen!

Ich rieche Menschen und muss kotzen!

Eine Schwangerschaft ist BÖSE.

Und Essen ist eklig.

Alles Essen ist eklig!

Und ich hab’ Hunger.

Das ist doch BÖSE!

Auch die Katze ist BÖSE.

Kaum bin ich schwanger, krieg’ ich Asthma.

Wegen der Katze! Das ist BÖSE.

Und mein Mann ist BÖSE!

Der meinte wochenlang, ich stelle mich bloß an.

Aber der Lungenarzt stellt die Geräte an

und sagt nur: KORTISON!

Das ist doch BÖSE! In der Schwangerschaft!

Jetzt bin ich BÖSE. Mit Kortison kann ich nicht schlafen!

Ich bin scheißwach seit vierzehn Tagen! Das ist BÖSE!

Ich dachte, wenigstens das Kind in meinem Bauch sei gut.

Aber seit heute weiß ich: Es ist BÖSE!

Schon dreimal war ich jetzt beim Arzt

und wollte wissen, ob’s ein Mädchen wird oder ein Junge –

und was macht das Kind?

Beim ersten Mal legt es sich auf die Seite,

beim zweiten Mal dreht es sich auf den Rücken,

beim dritten Mal kneift es die Beine fest zusammen –

und dann, dann überkreuzt es noch die Füße!

Das mit den Füßen ist doch wirklich BÖSE!

Besonders BÖSE bin natürlich ich!

Ich finde alles BÖSE und entspann’ mich nicht!

Ich denke daran, dass schon meine Eltern BÖSE war’n.

Und deren Eltern waren BÖSE, weil sie Nazis war’n.

Ich denke daran, was heut’ alles BÖSE ist:

Al Kaida, Attentäter, Banker, die nicht denken, nun, nicht gut,

In Syrien, Ägypten, Mali fließt das Blut und Blut und Blut

Die Welt ist BÖSE, ich bin BÖSE, BÖSE ist die Nacht. –

Aber besonders BÖSE ist ja wohl die Schwangerschaft!

 

Das hässliche Baby

Johanna Wack

Mein Sohn ist hässlich.

Schon vor seiner Geburt war mir klar gewesen, dass irgendetwas nicht hatte stimmen können: Mein Bauch war so groß gewesen, als hätte ich Drillinge erwartet, und anstatt dass ich kontinuierlich zugenommen hätte, hatte sich mein Gewicht umgekehrt proportional zu meinem Bauchumfang verringert.

Nachdem er auf die Welt geholt worden war, wurde mir klar, was es gewesen war: Er hatte mich ausgesaugt, um sich regelrecht aufzupumpen: 48 Zentimeter war er kurz, dafür aber 5.780 Gramm schwer.

»Sein Kopfumfang ist ganz normal«, sagte die Kinderkrankenschwester, »für einen Einjährigen.«

Er hatte meinen dürren Körper regelrecht auseinandergesprengt, ich brauchte Monate, um mich davon zu erholen, verziehen habe ich es ihm bis heute nicht.

Nie vergessen werde ich den Moment, als ich ihn das erste Mal sah. Der Moment, der von allen Müttern als der überwältigendste in ihrem Leben beschrieben wird, dieser Moment war für mich der größte Schock meines Lebens: Ich weinte und schrie. Auch der hässliche Sohn weinte und schrie, sein Schreien glich abwechselnd dem Brüllen eines Ochsen und dem Hupen einer Fahrradhupe: »Mööh!«, schrie er und: »Mööp!«

Die Schwestern kicherten mitleidlos und machten heimlich Fotos.

Immer wieder schlichen fremde Menschen in mein Zimmer, um einen Blick auf meinen Sohn zu erhaschen, »Oh«, sagten sie dann, mit weit aufgerissenen Augen und fahler Gesichtshaut, oder: »Äh«.

Die Ärzte haben keine Erklärung für die Hässlichkeit meines Kindes. Mein Mann und ich sind völlig gesund, es liegt keine Stoffwechselkrankheit oder sonst irgendetwas Medizinisches vor, das die Hässlichkeit unseres Sohnes entschuldigen könnte.

Wir konnten auch nirgendwo Ähnlichkeiten feststellen, niemals hatte es in unseren Familien derartige Entgleisungen gegeben, im Gegenteil: Unsere Familien waren sogar außergewöhnlich schön, daher auch sein Name, auf den wir uns schon Monate vor seiner Geburt geeinigt hatten: Adonis.

Wir konnten die Schwestern und Ärzte im Flur vor Lachen brüllen und weinen hören, nachdem wir den Namen bekannt gegeben hatten, Adonis schrie »Mööh«, und mein Mann drückte meine Hand und sagte: »Das wird schon«, und ich weiß nicht, ob er mit »das« unseren Sohn oder die Reaktionen der anderen meinte.

Zunächst hatte ich noch die Hoffnung, dass Adonis, wenn er denn nun schon nicht schön war, wenigstens außergewöhnlich freundlich werden würde. Leider war das ein Trugschluss, das Gegenteil war der Fall. Mich wundert das nicht. Jedes Lächeln gefriert in den Gesichtern der Menschen, die ihn ansehen, und sie wenden sich schockiert von ihm ab. Viele fragen »Was ist das?«, die meisten sagen spontan »Ach, du Scheiße!«, anstatt »Ach, wie süß!« zu kreischen, wie ich das bei den Kindern meiner Freundinnen beobachtet hatte.

Infolgedessen war Adonis’ erstes Wort: »Scheiße«.

Ich habe mich wirklich bemüht. Adonis trug nur die niedlichsten Babysachen, schließlich versuchte ich, ihn als Teddybären zu tarnen, all seine Mützen hatten Ohren, leider sah er damit auch nicht besser aus, vielmehr, als hätte Picasso einen fetten Bären gemalt.

Und irgendwann gab ich es einfach auf. Ich nannte es natürlich vor mir und den anderen nicht »aufgeben«, sondern »akzeptieren«. Mehr noch, ich akzeptierte seine Hässlichkeit nicht nur als einen Teil von ihm, ich begann, mich ihm in meinem Äußeren anzunähern, wurde zunehmend hässlicher, damit der Unterschied zwischen uns beiden nicht mehr so auffiel.

Ich duschte nicht mehr, trug riesige Blusen mit Blumenmustern darauf und schminkte mich grell und bunt. Ich begann, männliche Hormone zu nehmen. Meine Stimme wurde tiefer, und ich baute Muskeln auf. Auf Adonis schien ich zunehmend sympathischer zu wirken, immer öfter lachte er mich an und rief mit seiner hellen Stimme »Mööp! Scheiße! Mööp!«, und ich lachte mit meiner tiefen Stimme zurück und rief: »Adonis!«

Niemand lacht uns mehr aus. Wenn ich heute Adonis durch die Straßen Hamburgs fahre und wir merken, dass wir seltsam angeguckt werden, starren wir denjenigen an, Adonis blickt mit dunklen Augen aus der Karre und knurrt, ich tätschele seinen Kopf – und knurre auch. Man kann die Verwirrung in den Augen der Menschen sehen, einmal hörte ich eine Frau verängstigt flüstern: »Warum darf das mit dem durch die Straßen fahren«, es war eine von diesen Müttern, die ich mit einem normalen Kind auch geworden wäre, und ich rief: »Adonis, fass die Frau mit dem Tausend-Euro-Kinderwagen!«, sie kreischte auf, warf ihre Bionade in unsere Richtung und flüchtete in den nächsten Biosupermarkt.

Mittlerweile sind wir in ganz Hamburg bekannt. Man nennt uns »Die Transe mit Hund«. Niemand greift uns mehr an. Sogar Jugendgangs machen einen Bogen um uns. Und wenn ich andere Mütter, hübsche Mütter mit hässlichen Kindern in Bärchenkostümen sehe, dann hoffe ich inständig für sie und die Kinder, dass sie auch eines Tages dorthin kommen werden, wo wir jetzt sind: Wir haben viel Geld, da die ganzen Ausgaben für Schönheit und Statussymbole wegfallen, und genießen das Leben. Und ich bin, was ich nicht für möglich gehalten hätte: glücklich.

 

Die Geburt. Oder:Das machen wir nie wieder!

Jörg Schwedler

Den ersten Teil der Nacht verbrachten wir mit dem Notieren von Uhrzeiten auf dem Rand einer Zeitung. Aus Funk und Fernsehen wusste ich, dass alle möglichen Menschen diese Informationen haben möchten: Sanitäter, Krankenschwestern, Hebammen und Taxifahrerinnen. Alle wollen die Abstände zwischen den Wehen wissen. Hauptsächlich notierte ich die Zeiten aber, weil ich nicht wusste, was ich sonst tun sollte. Die Tasche für das Krankenhaus war seit circa neun Monaten fertig gepackt und beim Versuch, die Wehen selbst wegzuatmen, wurde mir schwarz vor Augen. Also notierte ich die Zeiten auf dem Politikteil. 2:42 – »Du Schatz ... und du bist dir sicher, dass es echte Wehen sind? Du weißt, du hattest heute Abend einen Döner ...« Einen Fehlalarm möchte man auf jeden Fall verhindern.

2:48 – »Du Schatz, wir sind jetzt bei sechs Minuten.«

Sechs-Minuten-Abstände sind gut. Lang genug, um einen frühzeitigen Fruchtblasencrash zu verhindern, kurz genug, um im Krankenhaus nicht mehr nach Hause geschickt zu werden. Also rief ich ein Taxi, und die Fahrerin begann umgehend mit dem Perinatal-Smalltalk: »Und wisst ihr schon, was es wird?«

»Ein Junge«, sagte die werdende Mutter.

»Ach schööön! Und wie weit?«

»Ja, schon sehr weit für sein Alter!«, sagte ich.

»Nein, wie weit die Wehen auseinanderliegen?«

»Ach so, öh, sechs Minuten.« Sie nickte wissend, und fünfundvierzig Minuten später standen meine Freundin und ich vorm Kreißsaal.

Nun stieg bei mir die Aufregung, und ich wurde leicht nervös. Die Anmeldung verlief etwas stockend, da ich alle Fragen der Aufnahmeschwester selbstsicher mit »Sechs Minuten!« beantwortete. Familienname, errechneter Geburtstermin, Krankenkasse: alles »sechs Minuten«. Die werdende Mutter übernahm das Reden und schickte mich Getränke holen. Das beschleunigte die Anmeldung beträchtlich, und ich entdeckte den kostenlosen Kaffee. Schließlich wurden wir in ein Badezimmer verlegt. Karg eingerichtet mit einer Badewanne, einem Bett und einem Wehenschreiber, an den die Delinquentin auch umgehend angeschlossen wurde. Natürlich zog dieses einzige technische Instrument meine männliche Aufmerksamkeit auf sich. Zwanzig Minuten und zwei Kaffee später glaubte ich, auf dem Monitor einen Morsecode zu erkennen. Ich schrieb mit, und nach kurzer Zeit stand auf meinem Zettel der Satz: »Wählt nicht Chruschtschow!« Ich klingelte nach einer Schwester und zeigte ihr mit den Worten »Er ist schon sehr weit für sein Alter!« den entdeckten Code. Die Schwester schüttelte den Kopf, schaltete das Gerät ab und schickte mich Getränke holen.

Die Wehen wurden intensiver und die Intervalle kürzer. Trotzdem schien sich keine Schwester, geschweige denn eine Hebamme, für uns zu interessieren. Ich erfuhr, dass der Muttermund erst bei vier Zentimetern war und wir noch Zeit hatten. Ich nutzte die Zeit, trank einen weiteren Kaffee und schloss mich dann selbst an den Wehenschreiber an. Nicht wissend, dass das Gerät mit dem Schwesternzimmer verbunden war, bestaunte ich eine Zeit lang die lustigen Kurven, die das Gerät druckte. Der viele Kaffee auf den nüchternen Magen sorgte für Schwankungen, die auch im Schwesternzimmer nicht unbemerkt blieben. Sekunden später standen Oberärzte, Hebammen und Krankenschwestern in Kompaniestärke OP-fertig im Zimmer und bestaunten teils amüsiert, teils stinksauer, meinen Bauch. »Öhm, Funktionstest ...«, stotterte ich. Dann ging ich lieber Getränke holen.

Am Getränkestand erklärte ich einer Reinigungskraft ausgiebig, dass mein Sohn schon sehr weit für sein Alter sei. Dann traf ich im Besucherbereich erstmals einen anderen künftigen Vater. Er wirkte sichtlich angespannt. Ich schenkte ihm einen Kaffee ein und beruhigte ihn etwas. Das Personal sei fähig, sagte ich ihm, und notfalls könnte er mich jederzeit im Badezimmer finden. Überhaupt und insbesondere falls er Probleme mit dem Wehenschreiber haben sollte. Dort wieder angekommen, füllte ich zum x-ten mal die Wasserkaraffe der werdenden Mutter auf. Der Muttermund war bei fünf Zentimetern, die Wehen wurden intensiver, und ich ließ eine Badewanne mit Lavendelöl ein. Nun stellte sich erstmals unsere Hebamme vor. Sie kam ins Zimmer und staunte nicht schlecht, als ich entspannt in der Badewanne lag. Schatzi reagierte am schnellsten und sagte: »Mein Mann hat sich für die Wassergeburt entschieden.« Ein Sitcom-Lachen erfüllte den Raum, und während ich mir einen Bademantel anzog, vollzog die Hebamme mit der werdenden Mutter ein paar Trockenübungen. Die nächste Wehe kam, und sie gab Anweisungen: »Jaa. Jetzt. Pffuhhhhh. Atmen, atmen ...« Dabei begegnete ihr der abendliche Döner, und sie sagte: »Neee, lieber nicht atmen!« Das Sitcom-Lachen erfüllte abermals den Raum, wir erfuhren wieder mal, dass alles gut aussieht, und wurden in den echten Kreißsaal verlegt.

Zimmer 2. Ein geräumiger Raum mit schöner Aussicht, aber leider ohne Badewanne. Ich schaute aus dem Fenster, und aus der Ferne konnte man die melancholischen Klagelaute einer Elchfamilie in Hagenbecks Tierpark hören. Dann stellte ich fest, dass die Elchfamilie im Zimmer 3 wohnte. Ich schluckte und schaute ängstlich zu Schatzi. Sie erwiderte meinen Blick schmerzverzerrt, und es folgten die schlimmsten Stunden unseres bisherigen Lebens. Der Mensch ist die Krone der Schöpfung, sagt der Mensch. Nur eins ist mit Sicherheit Fakt: Seine Krönung ist kein Wunder der Natur, sondern das größte Missverständnis der Evolution. Zwischen zwei Wehen schaute mir meine Freundin tief in die Augen und sagte flehend, aber bestimmt: »Das machen wir nie wieder!« Dann atmete sie wie ein Profi gegen die Schmerzen und zerquetschte mit jeder Wehe meine Hand ein bisschen mehr. Es half nichts. Etwas in der Größe einer Melone wollte durch etwas in der Größe eines Apfels. Lass die Hippies doch ihre Kinder auf natürliche Weise bekommen oder wie im Mittelalter, wir wollten die volle Dröhnung. Alles rein, was geht. Buscopan in die Venen, Nadeln in die Ohren, Paracetamol in den Arsch. Wir nahmen alles, was die moderne Medizin hergab. Sie wegen der Wehen, ich wegen meiner Hand. Doch nichts half gegen diesen Fehler der Natur. Uns blieb nur eine letzte Möglichkeit: Es war an der Zeit für eine PDA, eine Periduralanästhesie. Der Narkosearzt fragte Schatzi, ob ihr der Vorgang bekannt sei und ob sie noch Fragen habe. Dann musste sie noch ein Formular ausfüllen und unterschreiben. Der Arzt hatte die Ruhe weg, und während sich eine neue Wehe den Weg durch die Gebärmuttermuskeln bahnte, fing der Arzt erneut an zu fragen, ob ihr der Vorgang bekannt sei und ob eventuell noch ... – Plötzlich verdunkelte sich der Himmel, Wolken zogen auf, Blitze schossen durch das Zimmer und eine tiefe weibliche Stimme rief heiser: »Keeeineee Fraaaagen!« Ich zitierte meinen Großvater, der immer sagte: »Junge, widersprich nie einer Frau in den Wehen.«, und kurze Zeit später lief ein Betäubungsmedikament direkt zwischen die beiden Schichten ihrer harten Rückenmarkshaut.

Jawohl! Das knallte. Und nicht nur in Zimmer 2. Der Anästhesist kämpfte sich von Zimmer zu Zimmer. Schatzi, die Elchfrau und alle anderen werdenden Mütter wollten und bekamen die Dröhnung. Während die Vertreter der natürlichen Geburt irgendwo Delfine knuddelten, starteten wir eine besondere Perinatalzentrumspolonaise. Ich führte den Chor der hochschwangeren Frauen an und schleppte sie in ihren Rollstühlen durch den Flur. Mit der rechten Hand stützten sie ihren Bauch ab, die linke umklammerte die Rollstuhllehne der Vorderfrau. Gemeinsam zogen wir über die Flure des Kreißsaals und sangen unser Lied:

Hey Ya Yippie Ya!

Buscopan und PDA!

Hey Ya Yippie Ya!

Buscopan und PDA!

Später an diesem Tag wurden zwölf gesunde Babys geboren. Alle waren sehr süß, aber nur ein einziges Kind war schon sehr weit für sein Alter.

 

Sternengucker

Sebastian 23

Ob ich auf emotionale Texte stehe?

Ich will es mal so sagen:

Das nächste Mal, wenn mir einer vom Feuer in seinem Herzen erzählt,

Ramme ich ihm ein Stockbrot in den Hals.

»Ich glaube, da draußen ist irgendwo die Richtige für mich.«

Halt die Fresse, Ted Mosby,

Das Leben ist nicht How I met your mother.

Das Leben macht Mett aus deiner Mutter.

»How I met your Metzger!«

Kriech zu Kreuze, du Waran!

Die Romantiker hatten ihre Epoche

Und sind allesamt seit 150 Jahren tot.

Lovesongs klingen heute so:

»Ich hab, ich hab, ich hab, ich hab Style und das Geld,

Ich hab all das, was den Fotzen so gefällt.«

Danke, Bushido und Kay One.

Ob ich auf emotionale Texte stehe?

Unwahrscheinlich.

Aber trotzdem muss es raus:

Vor kurzem ist mein Sohn geboren worden,

In einer lauen Vollmondnacht

In einem goldenen Herbst.

Er lag mit dem Gesicht Richtung Himmel.

Die Hebamme sagte: »Ein Sternengucker-Kind!«