Leere Augen - Gudrun Weitbrecht - E-Book

Leere Augen E-Book

Gudrun Weitbrecht

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Beschreibung

Eine mysteriöse Mordserie schreckt die Bewohner von Stuttgart auf und stellt die Kommissarin Arabella Herzog und ihr Team vor ein Rätsel. Doch was haben ein Unternehmer, ein Fotograf und die anderen Mordopfer gemeinsam, außer, dass ihre Leichen nummeriert sind? Gekonnt verwebt Gudrun Weitbrecht die Schicksale einer Vielzahl an Figuren, ermöglicht tiefe Einblicke in die Psyche der Protagonisten und legt menschliche Abgründe offen. Ein Krimi, in dem Täter zu Opfern werden und Opfer zu Tätern.

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Inhaltsverzeichnis
Das Buch
Die Autorin
Januar
eins
März
zwei
drei
vier
fünf
sechs
sieben
acht
neun
April
zehn
elf
Juli
zwölf
dreizehn
August
vierzehn
fünfzehn
sechzehn
siebzehn
September
achtzehn
November
neunzehn
zwanzig
einundzwanzig
zweiundzwanzig
dreiundzwanzig
Dezember
vierundzwanzig
fünfundzwanzig
sechsundzwanzig
siebenundzwanzig
achtundzwanzig
neunundzwanzig
Januar
dreißig
einunddreißig
April
zweiunddreißig
dreiunddreißig
Und nie sollst du vergessen sein. Schwarzwald-Krimi
Und die Schuld trägt deinen Namen. Kriminalroman
Leseprobe aus Und die Schuld trägt deinen Namen
Retos Verdächtigung. Kriminalroman

Das Buch

Eigentlich hätte Arabella Herzog über ihre neue Stelle als Kommissionsleiterin bei der Stuttgarter Mordkommission glücklich sein können. Doch schon bald stellt es sich heraus, dass eine mysteriöse Mordserie ihre Fähigkeiten als Ermittlerin auf die Probe stellt. Beharrlich verfolgt sie in der Schwabenmetropole die Spuren des Täters. Sie stößt im Schwarzwald auf alte Familiengeheimnisse und rollt am Rhein einen längst vergessenen Fall auf.

Als sie auf einer Party dem Anwalt Arno Steinfeld und ihrer ehemaligen Klassenkameradin Judith begegnet, ahnt sie noch nicht, wie nah sie der Lösung des Falls ist.

Auch nicht, dass ihr Leben und das von Judith eine überraschende Wendung nimmt, sogar in Gefahr gerät.

Arabella Herzog blickt in menschliche Abgründe und erkennt, dass fast niemand so ist, wie es den Anschein hat, sondern nahezu jeder, dem sie begegnet, etwas zu verbergen hat. Im Laufe der Zeit wird klar, dass hier Täter zu Opfern und Opfer zu Tätern werden.

Die Autorin

Gudrun Weitbrecht, Jahrgang 1947, ist gebürtige Hessin, in einem kleinen Dorf am Rande des Westerwalds aufgewachsen und lebt seit 1973 in Stuttgart. Sie ist verheiratet und hat einen inzwischen erwachsenen Sohn.

Nachdem sie lange Zeit in einem medizinischen Beruf gearbeitet hat, fing sie an zu schreiben und veröffentlichte 2001 ihren ersten Kurzkrimi. Er wurde gemeinsam mit ihrem Porträt als Clip im Hessischen Rundfunk verfi lmt. Seitdem erfolgten zahlreiche Veröffentlichungen von Kurzkrimis sowie Kriminalromane.

Sie ist außerdem Herausgeberin sowie Mitautorin von vier Schwabenanthologien, hat an Schulen Krimiworkshops gegeben und Kreatives Schreiben unterrichtet.

Leere Augen ist ihr dritter Kriminalroman.

Personen und Handlung sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit Personen und Sachverhalten sind rein zufällig und vom Autor nicht beabsichtigt.

Die deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet unter ww.dnb.de abrufbar.

© 2014 Der Kleine Buch Verlag, Karlsruhe

Projektmanagement: Julia Prus, Der Kleine Buch Verlag, Karlsruhe

Lektorat: Beatrice Hildebrand, Der Kleine Buch Verlag, Karlsruhe

Umschlaggestaltung: röger & röttenbacher GbR, r2 | Büro für Gestaltung, www.roeger-roettenbacher.de

Umschlagbild: © Glasshouse Images / LOOK-foto

E-Book Konvertierung & Formatierung: Beatrice Hildebrand, Der Kleine Buch Verlag, Karlsruhe

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes (auch Fotokopien, Mikroverfilmung und Übersetzung) ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Dies gilt auch ausdrücklich für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen jeder Art und von jedem Betreiber.

ISBN: 978-3-7650-2107-7

Dieser Titel ist auch als Printversion erschienen: ISBN 978-3-7650-8807-0

http://www.derkleinebuchverlag.de

http://www.facebook.com/DerKleineBuchVerlag

Jeder Mensch ist ein Abgrund,

es schaudert einen, wenn man hinunterschaut.

Georg Büchner

Januar

eins

Als Eric gegen 22 Uhr den Fernseher ausschaltete und seinen Jogginganzug gegen Jeans und T-Shirt tauschte, ahnte er noch nicht, dass er sich heute ein letztes Mal für die Arbeit fertig machen würde.

Irgendetwas beunruhigte ihn. Woher dieses Gefühl kam,wusste er nicht. Es war nicht seine gewohnte Unruhe, ein Kribbeln am ganzen Körper, die Wut, die ihn bisher getrieben hatte, sondern eine neue Empfindlichkeit – so als ob etwas Unbekanntes, nicht Fassbares auf ihn lauerte.

Auf dem Firmenparkplatz lag eine dünne Schneedecke, die nur von seinen Reifenspuren und Fußabdrücken gezeichnet war. Niemand sonst parkte hier, das Unternehmen ordnete über den Jahreswechsel Kurzarbeit an. DieNachtschicht fiel schon länger aus. Während des Aufschwungs bis nach der Jahrtausendwende hatte das Unternehmen drei Schichten gefahren. Die Konjunktur inder Autobranche lief zwar im Augenblick gut, was sichauch auf die Zulieferer auswirkte. In den letzten Jahren hatte es dennoch Entlassungen gegeben. Vielleicht wares nur eine Frage der Zeit, bis er dran war, falls sie seinen Lebenslauf näher unter die Lupe nahmen. Daranwürde auch sein Vater nichts ändern können. Eric mochte nicht daran denken.

Er stieg aus seinem 3er BMW und nahm den Rucksack aus dem Koff erraum. Darin waren sein Vesper und zweiFlaschen Bier.

Als er die 200 Meter zu Fuß zum Fabrikgebäude ging, übermannte ihn wieder das Gefühl verfolgt zu werden.Nachdem er die Straße mit den Industriegleisen überquert hatte, erreichte er die Schranke. Rasch schlüpfte er an ihr vorbei und schaute in die Pförtnerloge. Sie war unbesetzt. Während er die Stechuhr bediente, sah ersich um. Niemand war zu sehen. Er überlegte, seit wanner sich so verhielt. Alles hing miteinander zusammen.Dass seine Ankunft und das Verlassen des Firmengeländes penibel erfasst wurden, machte ihn nicht zum ersten Mal wütend. Wie er es hasste beobachtet zu werden. Mit Grausen erinnerte er sich daran, als die in Oliv gekleideten Männer das Guckloch öffneten, um einenBlick auf ihn und den Raum zu werfen. Aber die Zeitenwaren Gottseidank vorüber.

Schon bei seinen ersten Rundgängen auf dem Firmengelände hatte er eine lockere Zaunstelle hinter dem Fabrikgebäude entdeckt. Wenn er sie hochschob, war siegerade groß genug für eine Person. So konnte er unbemerkt das Grundstück betreten und verlassen, zumal esdort keine Überwachungskameras gab.

Von da waren es nur ein paar Schritte bis zum Hintereingang des Haupthauses. Ganz easy war es gewesen,den dazugehörigen Schlüssel nachmachen zu lassen. Sokonnte er nicht nur unbemerkt von außen das Haus betreten, sondern es auch während seiner Tour verlassen,damit er seine nächtlichen Bierchen trinken und dabeirauchen konnte. Alkohol und Zigaretten verbot die Unternehmensleitung während der Arbeitszeit und in denHallen strikt.

Nur ein paar Sekunden lang erlag er der Versuchung, den kürzeren Weg durch den Zaun und den Hintereingang zu nehmen. Aber die blöde Zeituhr stand wie einwarnendes Mahnmal da, und so wenig er sich in der Vergangenheit an Regeln gehalten hatte, bemühte er sichjetzt umso mehr, ein normales, unauffälliges Leben zuführen. Nichts sollte seine neue Freiheit stören. Solange er sich im Griff hatte, würde alles so bleiben.

Freigesprochen! Beim Gedanken an das Urteil musste er grinsen. Das sollte ihm mal jemand nachmachen!

„Ich helfe dir ein letztes Mal“, hatte ihm der Alte eingebläut, nachdem er mit ihm das Gerichtsgebäude nachdem Richterspruch verlassen hatte. „Versau es nichtwieder!“

Allerdings konnte Eric die Strafpredigt des Alten nicht ganz ernst nehmen. Bereits nach Abbruch von Schule und Lehre hatte er das Gleiche gebrüllt und ihn dabeiverdroschen. Eric hasste ihn. Aber wenigstens ließ derAlte als Betriebsrat seine Kontakte spielen und hatte ihm den Job als Werksschutz besorgt.

Die Fabrik bestand aus mehreren Gebäudekomplexen und befand sich am Rande eines Wohngebiets in Feuerbach mit umliegenden Parkplätzen für Mitarbeiter undBesucher. Die zahlreichen Werksanlagen deckten einenTeil des nordöstlichen Stadtgebiets ab. In den angrenzenden Grundstücken hatten sich früher Betriebe niedergelassen, die inzwischen pleite waren oder aufgehört und die Grundstücke verkauft hatten. In einer ehemaligen Maschinenfabrik residierte neuerdings ein Sozialkaufhaus. Ein anderes Areal besetzten zahlreicheundefinierbare Kleinbetriebe, unter deren Müllbergensich Ratten heimisch fühlten. Ein Abbruchunternehmenlieferte Schutt an. Eric hörte dort die ganze Nacht Hunde bellen.

Eigentlich war sein neuer Job kinderleicht: Alle halbe Stunde eine Runde durch diesen Teil der Firma laufen.Fenster und Türen überprüfen. Auf die Bildschirmeschauen, ob alle Kameras funktionieren oder ob sich etwas Ungewöhnliches ereignet hat. Neue Videokassettenam Ende seiner Schicht einlegen. Die vorherigen archivieren. Am Morgen das Übergabeprotokoll abhaken.

Eric genoss es, allein zu sein. Es machte ihm nichts aus. Im Gegenteil, es gab ihm das Gefühl, sein eigener Herrzu sein.

Schon bald hatte er herausbekommen, wie man die Überwachungskamera vor der Tür zum Aufenthaltsraum ausschalten konnte. Drinnen gab es keine, dafüraber ein Sofa. Ab ein Uhr würde er es sich darauf gemütlich machen und die restliche Nacht pennen. Fürden Hungerlohn riss er sich jedenfalls nicht den Arschauf. Verbittert dachte er daran, dass er am zwanzigsten des Monats regelmäßig pleite war. Gut, dass ihm seineMutter dann immer Scheine zusteckte. Heimlich, damitder Alte nichts merkte.

Bei dem Gedanken an seine Mutter kam so etwas wie Dankbarkeit auf, obwohl er sie für einfältig hielt. Aber auf sie konnte er sich verlassen, schließlich hatte sie ihm in der Vergangenheit immer wieder aus der Patschegeholfen. So auch bei der letzten Sache, die dann glimpflich vor Gericht ausging. Nur blöd, dass sie ihm nundauernd mit ihrer Nörgelei auf den Wecker ging, seitdem er wieder in sein altes Kinderzimmer eingezogenwar.

Ansonsten lief zurzeit alles easy. Seinen Klotz am Bein, Sandy, die Bitch mit dem Kind, war er losgeworden. Aufgrund des Bratens in ihrer Röhre hatte er sie heiraten müssen. Nur wegen ihr und dem Unterhalt für das Kindwar er jetzt ständig klamm. Trotzdem entspannte sichsein engelhaftes, unschuldig wirkendes Gesicht zu einem Lächeln, wenn er an seinen Sohn dachte. Obwohl … Seit dieser blöden Sache hatte er ihn nicht mehr gesehen.

Bei dem Gedanken an Sandy stieg in ihm die Wut hoch.Immer wieder hatte er ihr gesagt, dass sie in derSchwangerschaft nicht rauchen und trinken solle. Abersie hatte nur an sich gedacht, sich einen Deut darumgeschert und ihn ausgelacht. Wie gerne hätte er damalseine kleine Familie gehabt. Sandy hatte alles versaut.

Das Kribbeln, die Unruhe kam wieder, er fühlte seine angestaute Wut. Am liebsten hätte er mit seinen Fäusten etwas zertrümmert oder mit den Füßen zertreten.Hier ging das nicht. Sie würden ihm auf die Schlichekommen, falls er Firmeneigentum zerschlug. Schließlich konnte er nicht alle Kameras ausschalten; das würde auffallen. So musste er bis morgen früh warten. Vielleicht kam ihm irgendein Assi in die Quere, an dem erseinen angestauten Zorn loswerden konnte.

An der Hauswand des Hauptgebäudes stand ein verbeultes Fahrrad. Es gehörte Josef. Josef war die Tagesschicht und ein Ehemaliger, der sich ein Zubrot zur Rente verdiente. Das war das Einzige, was Eric von ihmwusste. Und dass der Penner bei Wind und Wetter seinFahrrad nahm und es nicht wie vorgeschrieben in denStänder schob, sondern an die Hauswand lehnte. Fahrradfahrer hielten sich sowieso nie an Regeln und meinten, sie dürften sich im Straßenverkehr alles erlauben.Eric hasste sie.

Er schob seine Chipkarte in den Schlitz neben dem Eingang. Abrupt wurde die Tür von innen geöffnet. DerFlur lag in absolutem Schwarz, denn Josef schaltete jedes Mal beim Gehen sämtliche Lichter aus. Schon fertigangezogen, stand sein Kollege bereit und befestigte gerade seine Hosenklammern, die im Dunklen leuchteten.Eric fand es lächerlich. Der Freak konnte sich nochnicht einmal ein Auto leisten. Wie jedes Mal verabschiedete sich Josef mit einem genuschelten: „Keine besonderen Vorkommnisse. Guts Nächtle.“

„Nabend“, brummte Eric und ging demonstrativ schnell an ihm vorbei. Er hatte keine Lust, sich mit dem Alten zu unterhalten – oder gar anzufreunden. Sofort legte erden Schalter für die Neonlampen wieder um. Seit seinerZeit in Stammheim fürchtete er die Dunkelheit wie derTeufel das Weihwasser.

Der Flur, das Treppenhaus und die Werkshalle wurden in ein grell bläuliches Licht getaucht und ließen sie kalt und trostlos aussehen.

Neben dem Aufenthaltsraum für die Arbeiter befanden sich Spinde. Eric stellte seinen Rucksack hinein, zog Lederjacke, Jeans und die Boots aus, bis er nur in Boxershorts und T-Shirt da stand. Dann schlüpfte er in die bereitgestellte, frischgewaschene, schwarze Baumwollhose, in die dazugehörige Jacke und die klobigen Arbeitsschuhe. Die Kleidung war vorgeschrieben. Zwarfand er die Schuhe ausgesprochen hässlich und unbequem, aber bevor er seine Eigenen durch das Öl beschmutzte, das zum Reinigen der Maschinen benötigtwurde, zog er lieber die Treter an.

Eric kramte seinen Kamm hervor und fuhr damit durch sein blondes Haar. Es ließ ihn wie einen Botticelli-Engel aussehen. Wenigstens waren die Haare wieder nachgewachsen, nachdem er es bei seinem Zwangsaufenthaltaus Angst vor Übergriffen schwuler Mithäftlinge abrasiert hatte, obwohl er ahnte, dass es wahrscheinlichnichts genutzt hätte.

Seinen Ausweis mit der Chipkarte, auf dem ihm sein Foto entgegen lächelte, klemmte er an die Brusttasche.Anschließend nahm er die Tageszeitung mit den Stellenausschreibungen aus seinem Rucksack. Er steckte dieTaschenlampe, die er vorsorglich immer bei sich trug, in die rechte Hosentasche der Jacke.

Ihn fröstelte. Die Firma wollte an den Betriebskosten sparen und drehte während der Nacht die Heizung herunter. Eric nahm seine Lederjacke wieder aus demSpind und zog sie über. Den Rucksack mit dem Bier undden Zigaretten würde er nachher holen, sobald er seinePause antrat.

Er blickte sich um. Alles war ruhig. Die Maschinen waren abgestellt. In der Luft hing ein eigentümlicher Geruch, ein Gemisch aus Öl, Schweiß und Putzmitteln. Alles schien normal zu sein. Trotzdem spürte er, dass etwas nicht stimmte. Sein Instinkt schickte ein Warnsignal an sein Gehirn. Das Frösteln war mehr als eine Reaktion auf die Temperatur.

Mit angespanntem Körper und auf alles gefasst, gingEric langsam durch die Halle. Er kontrollierte die Fenster und den Hintereingang. Verschlossen. Ein paar Kisten standen herum. Er schob sie zur Seite, öff nete die Tür nach draußen und trat an die frische Luft. Mit seiner Taschenlampe, den Lichtkegel in der Runde kreisend, leuchtete er den Hof aus. Keine Fußspuren imSchnee zu sehen. Schulterzuckend ging Eric wieder hinein und versuchte das Schloss einschnappen zu lassen.Aber die Tür klemmte. Er legte die Taschenlampe innenauf einem Fenstersims ab und zog mit beiden Händenmit aller Kraft an der Klinke, damit der Ausgang verschlossen war.

Das Gebäude war außer ihm menschenleer. Weder drinnen noch draußen gab es Hinweise, dass sich jemandUnbefugtes Zutritt verschafft hatte. Trotzdem verstärkte sich das Gefühl des Beobachtetseins.

Vielleicht bin ich in letzter Zeit zu viel allein gewesen und meine Nerven liegen blank, dachte Eric.

Gewöhnlich begann er seine Schicht zuerst mit einer Tasse Kaff ee und las dazu ausführlich die Zeitung.

Das Büro mit den Bildschirmen lag im ersten Stock über der Werkshalle. Dort gab es auch eine Kaffeemaschine,daneben standen kleine Einzelportionen Kaffeesahne.Wie ihm Josef gleich zu Anfang erklärt hatte, war es üblich, für Kaff ee und Sahne 50 Cent in ein Sparschweinzu stecken. Eric hielt sich selten daran, obwohl er mindestens zwei Tassen in den ersten Stunden seinerSchicht trank. Bis jetzt hatte ihn noch niemand gerügt.Während er die Treppe in den oberen Stock hinaufstieg,klackten die Stahlkappen seiner Arbeitsschuhe auf denMetallstufen. Er war fast oben, als er anhielt und über das Geländer nach unten schaute. Am Fuß der Treppe,in einem Winkel, befand sich die Tür zum Lager undstand offen. Eric war sich sicher, dass sie vorhin verschlossen war.

Als er das Büro betrat, drückte er den Lichtschalter.

Nichts. Der Raum blieb dunkel. Gleichzeitig gingen alle Neonröhren in der unteren Etage aus. Eric suchte nach seiner Taschenlampe. Verflucht, er hatte sie auf demFenstersims vergessen. Im gleichen Moment ergriff ihnPanik. Er spürte es: Diesmal war es mehr als ein Gefühl, diesmal war es ein lebendiges, atmendes Wesen, das aufihn lauerte.

Seine Nackenhaare und die Härchen auf den Handrücken sträubten sich. Wie angewurzelt stand er da. Seine Augen versuchten, sich an die Dunkelheit zu gewöhnen.Voller Alarm, die Fäuste ballend, schüttete sein Körper kampfbereit Adrenalin aus. Er spürte, wie ihm derSchweiß den Rücken herunterrann.

„Wer bist du? Was willst du?“, schrie Eric in die Schwärze hinein. Nur wenige Sekunden verstrichen, in denen er krampfhaft überlegte, wer ihm da auflauerte. Danntastete er sich mit ausgestreckten Armen an die Tür heran. Das Licht ging so plötzlich wieder an, wie es ausgegangen war. Blinzelnd versuchten sich seine Augen wieder an die Helligkeit zu gewöhnen. Niemand zu sehen.Erleichtert ließ er sich auf das Sofa fallen.

Eric blieb keine Zeit sich zu wehren. Er sah die Szene in jedem winzigen Detail. Die Gestalt des Eindringlings, groß, schlank, muskulös, die Arme hinter dem Körperversteckt. In einem weißen, blickdichten Overall undschwarzer Sturmhaube, die das Haar bedeckte und nurdie Augen frei ließ. Sie blickten ihn kalt und prüfend an.Geradezu tänzerisch bewegte sich die Gestalt auf ihnzu, zog einen Arm hinter dem Körper hervor. Eric blinzelte noch immer, trotzdem erkannte er das Logo einesHerstellers von Insektiziden – eine riesengroße Fliege.Das Letzte, was er sah, war der feine Nebel des Sprays, das aus der Düse spritzte. Es traf ihn im Gesicht, drang in seine Augen ein, machte ihn blind, raubte ihm denAtem. Er bekam kaum Luft, seine Augen schmerztenhöllisch. Zusammengekrümmt hielt er sich die Händevor das Gesicht.

Ohne dass er es wusste, hatte er so die perfekte Haltung für den Angreifer eingenommen. Ein 36er Schraubenschlüssel krachte auf seinen Nacken und zerschmetterte die oberen Halswirbel. Durch die Wucht des Schlagsschnellte Erics Kopf wieder hoch. Mehrere Hiebe zerstörten sein Gesicht, bis es nur noch ein blutender Breihaufen war. Noch immer bei Bewusstsein rutschte Ericwie eine Gliederpuppe vom Sofa und glitt zu Boden. Nunwar es nur noch eine Frage von Sekunden, bis ihm derAngreifer sämtliche Rippen zerschmetterte, sich eineRippe in seine Lunge bohrte und Eric zu Boden ging.Danach spürte er die heftigen Tritte auf seinem Brustkorb, immer wieder. Wie ein Fisch auf dem Trockenennach Luft schnappend, gab sein zuckender Körper nacheinigen Augenblicken den Kampf auf.

Die Tagesschicht fand Eric. Sein Gesicht konnte nur durch das Foto auf seinem Firmenausweis identifiziertwerden. Auf seiner Brust – oder dem, was von ihr übrigwar – prangte die Zahl 2. Der Mörder hatte sie fein säuberlich mit Zigaretten eingebrannt.

Als Reporter eines Privatfernsehsenders Josef interviewten, meinte dieser, dass Eric zwar zurückhaltend,aber freundlich gewesen sei. Er habe keinem Menschenetwas zuleide getan. Ein solches Ende hätte er nichtverdient.

Zu diesem Zeitpunkt wusste noch niemand, dass dieses Verbrechen eine Reihe unterschiedlichster Morde in derSchwabenmetropole einläutete und Eric nicht der Einzige bleiben würde.

März

zwei

Arabella Herzog zog einen der schweren Umzugskartons vom Flur ins Wohnzimmer. Dort gab es noch einRegal, in dem vorher die Kochbücher von Mathias gestanden hatten. Mittlerweile waren sie in die Küche gewandert, damit Arabella wenigstens einen Teil ihrerLektüre aufstellen konnte. Eigentlich war die über 100Quadratmeter große Wohnung für zwei Personen großgenug. Neben der Küche und dem gemeinsamen Wohn-und Schlafzimmer besaß jeder von ihnen ein eigenes Arbeitszimmer. Trotzdem stritten sich Mathias und sie immer wieder über den Platz für ihre mitgebrachten Möbel und Gegenstände.

Genau genommen ist es kein richtiger Streit, dachte Arabella. Männer sehen die Dinge nur anders.

Mathias hatte mit dem Kopf geschüttelt, als er die vielen Umzugskartons und Kleiderkisten registriert hatte, die von Möbelpackern in den ersten Stock geschleppt worden waren. Noch ungläubiger staunte er über die Unmassen von Schuhen, die in ihrer alten Wohnung originalverpackt in Einbauschränken verstaut und so für ihnunsichtbar gewesen waren. Aber diese Schränke fehltenin ihrer neuen Bleibe. Arabella hatte noch nichts Vergleichbares zum Einräumen gefunden; die Schuhkartons standen überall im Weg. Demonstrativ stellte sieihre roten Gummistiefel, die sie bei schlechtem Wetterund Außeneinsätzen zu Tatortbesichtigungen anzog, neben einen Farbeimer in den Flur.

Sicher würde es noch Wochen dauern, bevor sie ihre Habe einräumen konnte. Für einige Möbel und Gegenstände bot sich als Interimslösung die Lagerbox einerSpedition an.

Wichtiger als alles andere aber waren die Leitzordner, in denen sie in den letzten zwölf Jahren eine berufliche Bibliothek mit Zeitungsausschnitten und Querverweisen angelegt hatte. Neben der Computerrecherche einwahrer Fundus an Informationen.

Vielleicht hätte sie vor ihrem Umzug nach Stuttgart noch mehr aussortieren sollen. Aber sie war nicht mehrdazu gekommen. Bis zuletzt hatte sie Zweifel, ob überhaupt eine Stelle bei der Stuttgarter Mordkommissionfrei werden würde. Die Wahrscheinlichkeit hatte sie als sehr gering eingeschätzt und sich auf eine lang andauernde Wochenendbeziehung eingestellt.

Seitdem sie und Mathias sich vor einem Jahr während des Karnevals kennen gelernt hatten, pendelte sie zwischen Koblenz und Stuttgart hin und her. Aber dannging alles ganz schnell. Völlig überstürzt hatten sie geheiratet. Vielleicht gab die Tatsache, dass sie nun einen Ehering trug, im Innenministerium den Ausschlag.

Mittlerweile waren seit ihrem Umzug fünf Wochen vergangen. Ihr stand noch ein Rest Urlaub zu, bevor sieihre neue Stelle im Polizeipräsidium antreten würde.Ursprünglich hatte sie sich vorgenommen, sich zuersteinmal in Ruhe in ihrem neuen Domizil einzuleben undsich mit der Stadt vertraut zu machen. Bisher kanntesie nur einige Läden – vorwiegend solche, die Schuheverkauften.

An den Wochenenden, an denen sie in ihrer alten Dienststelle keine Bereitschaft schieben musste und zu Mathias fuhr, verbrachten sie die meiste Zeit im Bett oder er kochte für sie. Einmal waren sie über den Weihnachtsmarkt geschlendert, hatten Glühwein getrunken und erhatte ihr ein kitschiges Lebkuchenherz geschenkt. Alssie es später suchte, lag es zwischen ihren High-Heels.Ein anderes Mal gingen sie in eine Besenwirtschaft. Sie lag mitten in den Weinbergen zwischen Bad Cannstattund Schmiden. Mathias erklärte ihr die Sache mit demBesen und hatte dabei ein Viertele Roten zu viel getrunken. Seit diesem Zeitpunkt wusste Arabella, dass dasViertele im Schwabenland der Name für den Schoppenim Rheinland war und traditionell in einem bauchigenHenkelglas ausgeschenkt wurde. Sie selbst nippte nuram Wein und brachte Mathias nach Hause.

Damals lebte er noch in einer winzigen Zweizimmerwohnung, die er nach seiner Scheidung gemietet hatte.Arabella wäre ohnehin nie in sein ehemaliges Reihenhaus gezogen, welches außerdem nicht so schnell freiwerden würde, da es seine Ex-Ehefrau weiterhin fürsich und die zwei Kinder beanspruchte. Als er Arabellakennenlernte, ließ sich Mathias auf einen Deal ein, umendlich Ruhe vor seiner Ex zu haben.

„Jeder Monat meiner Ehe hat mich im Nachhinein 5000 Euro gekostet“, erzählte er Arabella.

Sie sah ihm die Verbitterung an und überlegte, was er wohl nach einem möglichen Aus ihrer Ehe über dieseKosten sagen würde.Insgeheim beglückwünschte sie sich, dass sie finanziell unabhängig war und einen Ehevertrag unterschriebenhatte. Auch drängte sie von Anfang an auf getrennteKassen. Sollte die Beziehung scheitern, wollte sie sich nichts nachsagen lassen.

Sie war ein gebranntes Kind. Ihre letzte Beziehung hatte gerade mal zwei Jahre gedauert – und da hatte sie noch nicht einmal mit dem Mann zusammen gewohnt –endete in einem Fiasko.

Nachwuchs hatten Mathias und sie nicht eingeplant. Arabellas biologische Uhr tickte mittlerweile langsamer.Mit 41 würde es schwierig werden, noch ein Baby zubekommen, obwohl es immer mehr alte Mütter gab.Auch Mathias fand, sein Bedarf an Sprösslingen wäregedeckt.

Erst nachdem klar war, dass Arabella endgültig nach Stuttgart ziehen würde, hatte sich Mathias in Feuerbach eine Eigentumswohnung gekauft. Seiner Meinungnach war die Immobilie aus einer Zwangsversteigerungein Schnäppchen gewesen – Baukredite wurden zurzeitextrem günstig angeboten.

Auch wenn die Fenster an der Vorderseite des Hauses Aussicht auf einen Sportplatz und 30 Meter hohe Lindenboten und es auf der Rückseite einen großen Gartengab, so vermisste Arabella doch den direkten, unverbauten Blick auf den Rhein, den sie in ihrer alten Wohnung gehabt hatte. Besonders aber vermisste sie die Nebelhörner der Lastkähne, das Murmeln des Flusses, dasPlätschern der Wellen, die gegen die Kieselsteine schlugen, und die Spaziergänge auf dem Uferweg in hellenMondnächten, wenn sich das Licht auf dem Wasser spiegelte.

Umso enttäuschter war Arabella, als sie nach ihrem Umzug feststellen musste, dass ein Großteil ihres jetzigen Heims noch immer eine Baustelle war. Bad und Toilettewaren über fünfzig Jahre alt. Scheußliche braune Holzpaneele überdeckten den Stuck. Wände, Fenster undTüren mussten gestrichen werden. Es blieb ihr nichtsanderes übrig, als Handwerker zu organisieren und eigenhändig den Malerpinsel in die Hand zu nehmen. Obwohl es der dringende Wunsch von Mathias gewesenwar, dass sie nicht nur an den Wochenenden zusammensein konnten, schien er seltsam gleichgültig gegenüberder Tatsache zu sein, dass sie in halbfertigen Räumenlebten.

„Wann hätte ich denn renovieren sollen?“, fragte er Arabella, als sie ihn darauf ansprach und es mit ihrem ersten richtigen Streit endete.

Wenigstens die Küche war eingerichtet und funktionsfähig. Arabella vermutete, dass Mathias’ Kochleidenschaft sein Ansporn gewesen war. Sie überließ ihm nur zu gerne seinem Hobby. Wie ihre Mutter ein verkochtes undverbügeltes Leben zu führen, kam für sie nicht in Frage.Aber als sie Mathias fragte, ob ihn das übrige Chaosnicht stören würde, brummte er in seinen Dreitagebart:„Ich bin schließlich Lehrer.“

Was immer er damit hatte sagen wollen, sie empfand es als Synonym für: Ich bin an Chaos gewöhnt und habekeine Zeit für banale, alltägliche Dinge. Mach du dasmal.

drei

Schon früh am Morgen schien die Frühlingssonne mit aller Kraft durch die Fenster des Wintergartens. Judith öff nete die Tür zum Garten und atmete tief durch. Esroch nach feuchter Erde und Gras. Nach dem Frühstückhatte sie den ganzen Tag für sich. Ein angenehmer Gedanke. Draußen war es still und ruhig wie auf dem Land.Nur das Zetern der Vögel, die sich um einen Futterplatz stritten, unterbrach die Stille. Die Lage des Hauses hoch über der Stadt, fast unmittelbar am Wald, der zwischen

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