Lehrersprache und Gesprächsführung in der inklusiven Grundschule - Tanja Jungmann - E-Book

Lehrersprache und Gesprächsführung in der inklusiven Grundschule E-Book

Tanja Jungmann

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Beschreibung

Lehrer gestalten und steuern mit ihrer Sprache nahezu 70 Prozent des Unterrichts. Die Auseinandersetzung mit der eigenen Lehrersprache und bewusster Gesprächsführung ist daher für die Professionalisierung aller Lehrkräfte unausweichlich. Dieses Praxishandbuch vermittelt ein multimodales Konzept der Lehrersprache, die paraverbale, nonverbale und verbale Mittel umfasst, anschaulich und praxisnah. Die konkrete Umsetzung wird neben dem Unter­richtsgespräch auch im sprachsensiblen Fachunterricht sowie im sprachtherapeutischen Unterricht illustriert und thematisiert. Darüber hinaus widmet sich das Buch der Förderung des multimodalen Kommunikationsverhaltens von SchülerInnen mit besonderen Förderbedarfen im sprachlichen, kognitiven und sozial-emotionalen Bereich im Unterricht.

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Seitenzahl: 213

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Prof. Dr. Tanja Jungmann, Diplom-Psychologin, ist an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg als Professorin für Sprache und Kommunikation und ihre sonderpädagogische Förderung beschäftigt.

Prof. Dr. Christiane Miosga ist in der Abteilung für Sprach-Pädagogik und -Therapie an der Leibniz Universität Hannover beschäftigt.

Prof. Dr. Sandra Neumann hat die Professur für Inklusive Bildungsprozesse bei Beeinträchtigungen von Sprache und Kommunikation an der Universität Erfurt inne.

Im Ernst Reinhardt Verlag ebenfalls erschienen:

Gartmann, J., Jungmann, T.: Überall steckt Bewegung drin

(1. Aufl. 2021; ISBN 978-3-497-03020-0)

Koch, K., Schulz, A., Jungmann, T.: Überall steckt Mathe drin

(2. Aufl. 2020; ISBN 978-3-497-02951-8)

Jungmann, T., Koch, K., Schulz, A.: Überall stecken Gefühle drin

(2. Aufl. 2019; ISBN 978-3-497-02833-7)

Jungmann, T., Morawiak, U., Meindl, M.: Überall steckt Sprache drin

(2. Aufl. 2018; ISBN 978-3-497-02756-9)

Koch, K., Jungmann, T.: Kinder mit geistiger Behinderung unterrichten

(1. Aufl. 2017; ISBN 978-3-497-02720-0)

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.d-nb.de> abrufbar.

ISBN 978-3-497-03030-9 (Print)

ISBN 978-3-497-61478-3 (PDF-E-Book)

ISBN 978-3-497-61479-0 (EPUB)

© 2021 by Ernst Reinhardt, GmbH & Co KG, Verlag, München

Dieses Werk, einschließlich aller seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne schriftliche Zustimmung der Ernst Reinhardt GmbH & Co KG, München, unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen in andere Sprachen, Mikroverfilmungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Printed in EU

Cover unter Verwendung eines Fotos von iStock.com/monkeybusinessimages

(Agenturfoto. Mit Models gestellt)

Abb. 4 und Downloadmaterial unter Verwendung von Abbildungen von Prof. Dr. Christiane Miosga

Abb. 11 unter Verwendung von zwei Abbildungen aus: Fox-Boyer, A. (2016): Lautsymbole für die Phonologische Therapie. Anhang zu: Kindliche Aussprachestörungen. Phonologischer Erwerb – Differenzialdiagnostik – Therapie. In: https://www.skvshop.de/objects/downloads/de/886.pdf, Schulz-Kirchner Verlag GmbH, Idstein

Downloadmaterial und Abb. 12 unter Verwendung von Abbildungen von Fanny Riebicke

Downloadmaterial zu Kap. 5.4 unter Verwendung von Abbildungen von Lea Fichtmüller

Satz: JÖRG KALIES – Satz, Layout, Grafik & Druck, Unterumbach

Ernst Reinhardt Verlag, Kemnatenstr. 46, D-80639 München

Net: www.reinhardt-verlag.de E-Mail: [email protected]

Inhalt

Vorwort

1Einleitung oder 10 Gründe, dieses Buch zu lesen

2Sprachlich-kommunikative Unterrichtsgestaltung und Gesprächsführung

2.1Aspekte sprachlich-kommunikativer Professionalisierung

2.2Sprach- und Kommunikationsförderung im inklusiven Unterricht

3Drei Perspektiven auf LehrerInnensprache

3.1LehrerInnensprache als Ausdruck und Ergebnis der Persönlichkeit

3.2LehrerInnensprache als trainierbare Kompetenz

3.3LehrerInnensprache als soziales Handeln

3.4Analyse der Kommunikations- und Interaktionsstrukturen – Der Königsweg zur Veränderung?

4Gesprächspraxis im Schulalltag – unterschiedliche Gesprächssituationen und ihre Anforderungen

4.1Das Unterrichtsgespräch

4.1.1Gesprächsformen: Vom LehrerInnenvortrag zum offenen Diskurs

4.1.2Einführung von Gesprächsregeln

4.2Verschiedene Diskurspraktiken – verschiedene Unterstützungsmöglichkeiten

4.2.1Erzählen

4.2.2Erklären

4.2.3Argumentieren

4.3Heterogene Schülerschaft – heterogene Methoden der Gesprächsführung?

4.3.1Sprachsensibler Unterricht

4.3.2(Kommunikativer) Umgang mit Unterrichtsstörungen

5Methodensammlung und Übungen zur sprachförderlichen Gestaltung gemeinsamen Unterrichts

5.1Gestaltungsmittel der LehrerInnensprache zur Sprachförderung im gemeinsamen Unterricht

5.1.1Verbale Mittel

5.1.2Paraverbale/prosodische Mittel

5.1.3Nonverbale Mittel

5.2Strategien zur sprachlichen und diskursiven Unterstützung im inklusiven Unterricht

5.2.1Scaffolding

5.2.2Modellierungstechniken

5.2.3Kognitive Modellierung und Aktivierung

5.2.4Fordern und Unterstützen

5.2.5Emotionale Abstimmung

5.3Sprache fördern im inklusiven Fachunterricht

5.3.1Sprachförderung im inklusiven Deutschunterricht

5.3.2Sprachsensibler Sachuntericht

5.3.3Sprachförderung im Mathematikunterricht

5.4(Individuelle) Sprachförderung im Unterricht – Konkrete Anregungen aus der Sprachtherapie

5.4.1Aussprache: Fördermöglichkeiten mit der P.O.P.T.

5.4.2Wortschatz: Strategie-Training mit dem Wortschatzsammler

5.4.3Grammatik: Morpho-syntaktische Förderung mit der Kontextoptimierung

5.4.4Pragmatik: Förderung der Sprachverwendung im Kontext mit PraFIT

Literatur

Sachregister

Vorwort

Wer im Unterricht die eigene Sprache lernförderlich einsetzen und Gespräche führen möchte, die im Kontext von Inklusion Teilhabe ermöglichen, findet zahlreiche Publikationen, die das Thema aus verschiedenen Perspektiven aufgreifen. Zum einen wird auf sprach- und kultursensibles Gesprächshandeln verwiesen, um mehrsprachigen SchülerInnen bildungssprachliche Teilhabe zu ermöglichen; zum anderen stehen Sprachlehrstrategien im Fokus, die das sprachliche Lernen insbesondere von Kindern mit sprachlichen Beeinträchtigungen oder beim (Fremd-)Sprachenlernen unterstützen sollen. Daneben wird sprach- und diskurserwerbsförderliches LehrerInnenhandeln insbesondere im inklusiven Deutschunterricht behandelt, um allen Kindern sprachliche und fachliche Lerngelegenheiten zu bieten. Und in wiederum anderen Werken zum Thema wird aufgezeigt, wie durch reflexives Handeln sprachliche und kommunikative Barrieren vermieden werden können und Professionalisierung ermöglicht wird.

Daneben gibt es zahlreiche Ratgeber zur Körpersprache, zur LehrerInnenstimme oder zur Gesprächsführung für Lehrkräfte, die den „richtigen“ Einsatz der LehrerInnensprache, einschließlich der „Do‘s“ und „Dont‘s“, vermitteln möchten.

Somit stellte sich auch uns zu Beginn dieses Buchprojektes die Frage: Brauchen wir noch ein Buch zum Thema Sprechen und Sprachförderung im inklusiven Unterricht? Denn: Sprechen kann (fast) jede/r! Aber jede/r spricht auf ihre/seine Weise, jeweils auf der Basis ihrer/seiner individuellen und fachlichen Kommunikationsbiografie, Haltung und theoretischen Perspektive.

Auch wir als Autorinnen sprechen (und schreiben) aus jeweils verschiedenen Perspektiven über den Spracherwerb und die Sprachförderung. Unser Anliegen war es daher, diesen verschiedenen Perspektiven auf LehrerInnensprache in einem Buch mit Umsetzungsbeispielen für die Praxis Ausdruck zu verleihen, um das eigene Sprechen und Zuhören und das Sprechen und Zuhören der Lernenden zu reflektieren und die jeweiligen situativen Handlungsmöglichkeiten für den inklusiven Unterricht zu erweitern.

Wichtig war es uns, in diesem Buch nicht zu vermitteln, wie die „richtige“ LehrerInnensprache aussieht, sondern Anstöße zur Reflexion des eigenen Sprachhandelns und des Sprachhandelns der SchülerInnen zu liefern und Sie, liebe LeserInnen, zu ermutigen, Ihr sprachliches, stimmliches und nonverbales Repertoire im Unterricht zu erweitern sowie die Möglichkeiten zur interprofessionellen Zusammenarbeit zu nutzen.

Abschließend möchten wir all jenen danken, die uns tatkräftig unterstützt haben: ein herzliches Dankeschön an Lea Fichtmüller und Fanny Riebicke für ihre kreative Erstellung von Praxismaterialien für den Downloadbereich. Lisa Federkeil, Franziska Heinschke, Fenja Lampe, Jana Pflughoft und Tabea Testa möchten wir für die kritische Durchsicht des Manuskripts und zahlreiche wertvolle Anregungen danken. Weiterhin möchten wir Eva Maria Reiling und Sarah Schröppel vom Ernst Reinhardt Verlag für ihre stets kompetente Betreuung des Buchprojektes sowie Mechthild Piel für die Lektorierung dieses Buches danken.

Last but not least sind wir auch dankbar für die Möglichkeit unserer Zusammenarbeit an diesem Buch, die unsere eigenen Perspektiven erweitert und Lust auf „Mehr“ gemacht hat.

Oldenburg, Hannover und Erfurt im Dezember 2020

Tanja Jungmann, Christiane Miosga und Sandra Neumann

1Einleitung oder 10 Gründe, dieses Buch zu lesen

„Man kann nicht nicht kommunizieren“ (Watzlawick et al. 1969, 53).

Das Ziel des vorliegenden Praxishandbuchs besteht darin, den Blick auf die multimodalen Aspekte der LehrerInnensprache und das eigene Gesprächshandeln im inklusiven Grundschulunterricht zu lenken. In heterogenen Lerngruppen sollten Unterrichtsgespräche mit einem hohen Maß an differenzierter Unterstützung durch die Lehrkraft geführt werden. Dabei ist die LehrerInnensprache ein wichtiges und zudem ständig verfügbares Werkzeug der sprachsensiblen und -förderlichen Unterrichtsgestaltung.

Der erste Grund, dieses Buch zu lesen, ist seine explizit inklusive Ausrichtung. Sprache und Sprechen können wirksame Mittel der Inklusion sein.

Grund 1: inklusive Ausrichtung

Reflektiert eingesetzt ermöglichen sie Teilhabe durch Wertschätzung, Sprachsensibilität und -förderung. Das Gegenteil kann eintreten, wenn Lehrkräfte durch die eigene Kommunikationsweise unbewusst Lernende exkludieren. Insbesondere non- und paraverbale Aspekte werden als Teil der Persönlichkeit wahrgenommen und deshalb oft als unveränderbar angesehen (Kap. 3), obwohl sie dies nicht sind. In diesem Praxisbuch wird für unterschiedliche Kommunikationswirkungen eine Bewusstheit geschaffen (Kap. 2) und Möglichkeiten eines diversitätssensiblen Umgangs mit Sprache und Sprechen aufgezeigt (Kap. 4). Dabei geht es nicht um die Vermittlung der richtigen LehrerInnensprache, sondern um die stetige Reflexion des eigenen Sprach- und Gesprächshandelns sowie die Erweiterung des multimodalen Repertoires im Unterricht.

Grund 2: Reflexivität

Unterrichtsinteraktionen sind eine zentrale Stellschraube für fachliches und sprachliches Lernen, die als solche genutzt und optimiert werden sollten (Kap. 4, Kap. 5). LehrerInnensprache und Gesprächsführung werden in diesem Buch als dialogisch, kognitiv aktivierend und emotional involvierend aufgefasst.

Grund 3: Unterrichtsinteraktion als Stellschraube

Grund 4: fachübergrei­fende Relevanz

Sprache ist dabei Medium und expliziter Gegenstand jedes Fachunterrichts (Kap. 5). Eine lernerfolgreiche Unterrichtspraxis lässt sich im Spannungsfeld zwischen hohen bzw. geringen fachinhaltlichen Anforderungen und hoher bzw. geringer gezielter (sprachlicher) Unterstützung modellieren. Daraus ergeben sich, wie zuerst von Mariani (1997) schematisch dargestellt, vier Zonen des Lehrens und Lernens, die Abb. 1 zeigt. Nur hohe individuelle Herausforderungen und ein hohes Maß an individueller Unterstützung ermöglichen es demnach, dass alle SchülerInnen in ihrer „Zone der nächsten Entwicklung“ (Wygotsky 2014) lernen.

Abb. 1: Vier Zonen des Lehrens und Lernens (nach Mariani 1997)

Wie dies mit multimodalen sprachlichen Mitteln in verschiedenen Fächern der Grundschule gelingen kann, ist Gegenstand des vorliegenden Praxisbuches (Kap. 4 und Kap. 5 ).

Grund 5: Orientierung im Begriffs­dschungel

In den vergangenen zehn Jahren hat sich im deutschen Sprachraum eine enorme begriffliche Vielfalt entwickelt. Diese reicht von Lehrersprache (Reber/Schönauer-Schneider 2018) über Teacherese (Stecher/Rauner 2019) oder schülergerichtete Sprache (SGS, Kleinschmidt 2015) bis hin zu lehrerseitige Gesprächsaktivitäten (Morek 2013). Das vorliegende Buch bietet eine Orientierung im Begriffsdschungel, indem die genutzten Begriffe durchgängig definiert, voneinander abgegrenzt und kritisch betrachtet werden (Kap. 2).

Die unterschiedlichen Herangehensweisen und Begriffsverwendungen haben gemeinsam, dass sie auf die Verwendung multimodaler Kommunikationsmittel verweisen, die für die Gestaltung und Organisation dialogischer Lehr-/Lernprozesse notwendig sind. Das vorliegende Praxisbuch legt daher den Fokus auf ein multimodales Konzept von LehrerInnensprache, das verbale, nonverbale und paraverbale Aspekte umfasst und diese als Ressource für Lehr-/Lernprozesse betrachtet (Kap. 2, Kap. 5).

Grund 6: Multimodalität

Neben Anregungen für die Gestaltung eines sprachsensiblen und -förderlichen Unterrichts (Kap. 4, Kap. 5.1-5.3) zeigt das vorliegende Praxisbuch auf, wie Lernende mit Schwierigkeiten auf den Ebenen der Aussprache, des Wortschatzes, der Grammatik oder der Pragmatik gezielt im Unterricht gefördert werden können (Kap. 5.4). Hierbei werden sprachtherapeutische Konzepte anhand von konkreten Beispielen und Materialien (Onlinematerial) für den Grundschulunterricht vorgestellt.

Grund 7: gezielte Sprachförderung

Dabei wird eine interdisziplinäre Perspektive eingenommen, indem Wissen zum Thema LehrerInnensprache und Gesprächsführung aus den Bereichen Entwicklungspsychologie bzw. (sonder-)pädagogische Psychologie, Deutsch als Zweitsprache (DaZ), Grundschuldidaktik, Sprachwissenschaft, Sprachheilpädagogik und Sprachtherapie zusammengeführt wird.

Grund 8: interdisziplinäre Zusammen­führung

Basierend auf diesen interdisziplinär-wissenschaftlichen Grundlagen möchte das Praxisbuch vor allem durch zahlreiche konkrete Beispiele aus dem Fachunterricht zu einem reflektierten multimodalen Einsatz der LehrerInnensprache anregen.

Grund 9: konkrete Praxisbeispiele

Durch ein fundiertes Anwendungswissen verschiedener Methoden wird die interprofessionelle Zusammenarbeit zwischen dem Bildungs- und dem Gesundheitsbereich im Alltag gestärkt. Lernende mit dem Förderschwerpunkt im Bereich Sprache und Kommunikation profitieren erheblich, wenn ihre (fachlichen) Bezugspersonen an einem Strang ziehen und der Transfer des in der Sprachtherapie neu Erlernten in den schulischen Alltag ermöglicht wird.

Grund 10: Stärkung von Interprofessionalität

2Sprachlich-kommunikative Unterrichtsgestaltung und Gesprächsführung

ZUSAMMENFASSUNG

  

In diesem Kapitel werden zunächst die Begrifflichkeiten rund um das Thema LehrerInnensprache und Gesprächsführung geklärt. Neben Aspekten der sprachlich-kommunikativen Professionalisierung werden die wesentlichen Grundlagen der Sprach- und Kommunikationsförderung im inklusiven Unterricht umrissen.

  

LehrerInnensprache und Gesprächsführung sind trotz ihrer Bedeutung eher selten Gegenstand der Aus- und Fortbildung der Lehrkräfte. Im Schulalltag selbst wird die Kommunikation zwischen Lernenden und Lehrkräften zumeist nur bei Diskussionsübungen und der Erarbeitung von Klassenregeln thematisiert oder auch in LehrerInnenkonferenzen und -gesprächen, hier häufig im Hinblick auf den Umgang mit schwierigen Gesprächssituationen und Unterrichtsstörungen (Kap. 4.3). Nach Fortbildungsanfragen zu urteilen, konzentriert sich das Interesse der Schulleitungen vorrangig auf Fragen effektiver und zielgerichteter Gesprächsführung. Dabei wird Unterricht zu mehr als zwei Dritteln durch das sprachlich-kommunikative Handeln der Lehrperson bestimmt (Eikenbusch 2013). Sprache gilt daher unbestritten als wesentliches Instrument in Erziehung, Bildung und Unterricht.

Erziehung, Bildung, Unterricht

In allen Fächern werden Unterrichtsinhalte sprachlich dargeboten und vermittelt. Wie Lehrkräfte sprechen, kommunizieren, interagieren und Gespräche führen, hat bedeutenden Einfluss darauf, wie sie wahrgenommen werden und welche (Lern-)Erfolge sie bei den SchülerInnen erzielen. Die Lehrkraft vermittelt über Sprache nicht nur Unterrichtsinhalte, sie stellt damit Aufmerksamkeit her, definiert Beziehungen zur Gruppe der Lernenden oder zu einzelnen SchülerInnen, sie regt zum Nachdenken und zum Austausch an, sie involviert und motiviert die Lernenden. Auch vermag sie durch ihre differenzierte Ansprache in der Zone der nächsten Entwicklung (Wygotsky 2014) zu fördern.

Zone der nächsten Entwicklung

DEFINITION

Die Zone der nächsten Entwicklung umfasst die Lernpotentiale eines Individuums, die zum Entwicklungsstand in der Zukunft führen. Die Lernpotentiale können in der Interaktion mit kompetenten InteraktionspartnerInnen oder durch gemeinsame aktive (z. B. spielerische) Auseinandersetzung mit der Umwelt entfaltet werden (Wygotsky 2014).

Die Sprache von Lehrkräften ist das wichtigste Medium, um mit SchülerInnen zu kommunizieren und stellt eine professionelle Schlüsselkompetenz (Miosga 2014) dar. Über die Sprache der Lehrkraft wird implizit auch die Sprache der SchülerInnen beeinflusst. Einzelne SchülerInnen werden hierdurch in die Kommunikation einbezogen bzw. von ihr ausgegrenzt. LehrerInnensprache ist damit auch ein Mittel der Inklusion bzw. Exklusion (Miosga 2014).

Sprache als professionelle Schlüssel­kompetenz

DEFINITION

Das unterstützende, sprachlich-kommunikative Handeln einer Lehrkraft im Unterricht wird zumeist als Lehrersprache bezeichnet.

Dabei handelt es sich allerdings um eine eher ungünstige Übersetzung des anglo-amerikanischen Terminus teacher talk. Während teacher talk alle Geschlechter und sowohl die Sprache als auch das Sprechen umfasst, bezieht sich der Begriff Lehrersprache streng genommen nur auf männliche Lehrkräfte und die sprachlichen, nicht aber die kommunikativen Aspekte.

Begriff der Lehrersprache

DEFINITION

Daher wird in diesem Buch konsequent der Begriff multimodale Lehrer­Innensprache verwendet, um sowohl Lehrkräfte jeden Geschlechts als auch verbale, nonverbale und paraverbale Aspekte zu adressieren.

Da Lehrkräfte durch die sensible multimodale Gestaltung und Reflexion den Bildungserfolg aller Kinder beeinflussen können (Kullmann et al. 2014), sollte multimodale LehrerInnensprache und Gesprächsführung stärker als bisher Gegenstand von Professionalisierung in allen Phasen der Lehrkräftebildung sein. Im Folgenden wird umrissen, welche Aspekte für eine solche Auseinandersetzung zentral sind und worauf besonders zu achten ist, um das eigene Sprachhandeln und die Gesprächsführung als Grundschullehrkraft weiterzuentwickeln.

LehrerInnen­sprache in der Professionalisierung

2.1 Aspekte sprachlich-kommunikativer Professionalisierung

paraverbale Kommunikation

LehrerInnensprache und Gesprächsführung umfassen nicht nur die rein verbale Ebene, die vorrangig mit Sprache assoziiert wird, sondern auch weitere sprachliche Elemente wie paraverbale, nonverbale und extraverbale Mittel (Lüdtke/Stitzinger 2017).

DEFINITION

■ Paraverbale Kommunikation umfasst das gesamte Spektrum der Prosodie und beschreibt damit rhythmische, dynamische und melodische Phänomene wie Tonhöhe (Stimmlage), Lautstärke, Akzent (Betonung einzelner Wörter oder Satzteile), das Sprechtempo und die Intonation (Sprechmelodie) (Plate 2015, 23).

DEFINITION

■ Unter nonverbaler Kommunikation versteht man jede Form der Kommunikation, die nicht durch Worte erfolgt. Dazu gehören z. B. die Körperhaltung, Gestik, Mimik und der Augenkontakt (Plate 2015, 23).

DEFINITION

■ Die extraverbale Ebene bezieht sich auf die Rahmenbedingungen der Kommunikation, also z. B. die Zeit, den Ort und die Kommunikationsbeziehung (Plate 2015, 23).

nonverbale Kommunikation

Die Kommunikation im Unterricht und der Unterrichtserfolg hängen nicht nur davon ab, WAS kommuniziert wird, sondern auch WIE kommuniziert wird.

extraverbale Ebene

Den Beteiligten an einer Interaktion stehen die in Abb. 2 dargestellten Ausdrucksmittel zur Verfügung. Diese werden in der Regel nicht einzeln, sondern gemeinsam eingesetzt. Ihr Zusammenwirken in Kommunikationssituationen wird als multimodale Kommunikation bezeichnet.

Abb. 2: Multimodale Kommunikation als Zusammenwirken von verbalen, pro­sodischen und nonverbalen Gestaltungsmitteln (nach Miosga 2006, 53)

multimodale Kommunikation

Für die Auseinandersetzung mit der eigenen sprachlich-kommunikativen Unterrichtsgestaltung und Gesprächsführung sind die para- und nonverbalen Mittel besonders relevant. Da sie häufig unbewusst eingesetzt werden, können sie die sprachliche Äußerung unterstützen, abschwächen oder im Widerspruch dazu stehen.

Schulz von Thun (1981) hat dies in seinem Vier-Ohren-Modell, das in Abb. 3 dargestellt ist, verdeutlicht.

DEFINITION

Im Vier-Ohren-Modell wird davon ausgegangen, dass beim Senden und Empfangen einer Nachricht immer die vier Ebenen Sachinhalt, Beziehung, Selbstkundgabe und Appell eine Rolle spielen (Schulz von Thun 1981).

Abb. 3: Das Kommunikationsquadrat (nach Schulz von Thun o. J.)

Vier-Ohren-Modell

Im Schulalltag bedeutet das, dass die Lernenden eine Äußerung der Lehrkraft neben der eigentlichen Sachebene entweder als Appell, als Ausdruck der Lehrkraft-SchülerIn-Beziehung oder als Selbstkundgabe der Lehrkraft interpretieren können (Kap. 3.1).

BEISPIEL

Max kommt zu spät zum Unterricht. Die Lehrkraft sagt: „Es ist schon 8.15 Uhr“. Wird die Äußerung mit lauter Stimme, aufrechter Körperhaltung und Blickrichtung zu Max getätigt, könnte er dies als Appell interpretieren, in Zukunft pünktlich zu sein. Er könnte es ebenfalls als Verdeutlichung der asymmetrischen Lehrkraft-SchülerIn-Beziehung verstehen, die Lehrkraft tritt ihm gegenüber als Autoritätsperson auf. Auf der Selbstkundgabeebene wird deutlich, dass die Verspätung von Max bei der Lehrkraft Emotionen hervorruft. Am Tonfall wird erkennbar, dass sie sich über die Verspätung ärgert. Wird die Äußerung mit zitternder Stimme, gesenktem Blick und einer abgewandten Körperorientierung gestaltet, könnte Max z. B. auf dem Selbstkundgabeohr hören, dass die Lehrkraft überfordert oder enttäuscht ist im Sinne von „Ich habe meine Schüler nicht unter Kontrolle“.

Indem man sich die Funktionen der multimodalen Kommunikation bewusst macht, lassen sich nicht nur kommunikative Missverständnisse vermeiden, sondern auch Lernprozesse der SchülerInnen besser unterstützen und Interaktionen im Klassenzimmer gestalten (Kap. 2.1 und 2.2).

interaktionale Unterrichts­kompetenz

DEFINITION

Der bewusste Einsatz der LehrerInnensprache ist somit eine interaktionale Kompetenz. Der Begriff der interaktionalen Unterrichtskompetenz (Walsh 2011) bezeichnet die Fähigkeit von Lehrkräften, Interaktion als Werkzeug zur Vermittlung und Unterstützung des Lernens zu begreifen. Dazu gehören z. B. die pragmatisch-kommunikativen Kompetenzen der Organisation des Sprecherwechsels, der Themenentwicklung und der Bewertung von Äußerungen oder Handlungen.

2.2 Sprach- und Kommunikationsförderung im inklusiven Unterricht

Ein wesentliches Prinzip inklusiver Didaktik ist neben der Individualisierung von Lernzielen und -wegen die Herstellung von Gemeinsamkeit unter den Lernenden. Diese kann zum einen durch den Einsatz kooperativer Lernformen, zum anderen durch eine involvierende multimodale LehrerInnensprache gefördert werden (Scheidt 2017).

Herstellung von Gemeinsamkeit

Sich selbst und andere zu involvieren, gelingt besonders durch den Einsatz multimodaler Mittel, wie eine abwechslungsreiche Sprechgestaltung und den Einsatz von Mimik und Gestik. Die Reflexion des unbewussten Einsatzes der multimodalen Mittel ermöglicht auch das Erkennen unbewusster Ausgrenzung.

involvierende Gesprächs­führung

Einzelne SchülerInnen am linken Gruppentisch geben der Lehrkraft nonverbal positive Rückmeldung, indem sie immer wieder bestätigend mit dem Kopf nicken. Infolgedessen wird sich die Lehrkraft unbewusst häufiger links im Klassenraum positionieren bzw. ihren Körper nach links ausrichten. Damit grenzt sie ungewollt die SchülerInnen im rechten Teil des Klassenraums aus.

BEISPIEL

Ist die Lehrkraft sensibel für die multimodale Interaktion im Klassenzimmer, kann sie auch unter den SchülerInnen Gemeinsamkeit und das Lernen am gemeinsamen Gegenstand unterstützen.

BEISPIEL

Herr Müller beobachtet seine SchülerInnen bei einer Gruppenarbeit. Er stellt fest, dass alle SchülerInnen sich in einigen Gruppen körperlich auf die Tischmitte ausrichten und untereinander Blickkontakt herstellen. Sie fokussieren einen gemeinsamen Lerngegenstand. Bei einer anderen Gruppe beobachtet er, dass einzelne SchülerInnen sich eher abgewandt orientieren und damit ausgegrenzt werden oder sich selbst ausgrenzen (z. B. arbeiten Jungen und Mädchen getrennt an einem Lerngegenstand; ein Schüler isoliert sich von der Gruppe und arbeitet allein). Durch die sensible Wahrnehmung der multimodalen Interaktion kann eine gemeinsame Ausrichtung initiiert werden, indem Herr Müller z. B. den Arbeitsauftrag oder die Arbeitsform abändert.

Gestaltungsmittel einer involvierenden multimodalen LehrerInnensprache sind z. B. illustrative Elemente wie expressive Verben, direkte Rede, Adverbien, Adjektive, Gesten und Mimik sowie Variationen der Prosodie (Tonhöhe, Sprechtempo und Lautstärke). Wichtig ist die Identifikation mit dem Inhalt einer Äußerung und den verwendeten Materialien.

Individualisierung und Differenzierung

Wie die Abb. 4 zeigt, ist neben der Herstellung von Gemeinsamkeit gleichzeitig die Individualisierung und Adaptivität von Lernwegen und -zielen Merkmal inklusiver Didaktik.

Abb. 4: Spannungsfeld zwischen dem Herstellen von Gemeinsamkeit und Individualisierung (Miosga 2019)

Indem die Lehrkraft die Ansprache für verschiedene Unterrichtssituationen und für einzelne Lernende multimodal variiert, kann sie ihre Aufmerksamkeit erreichen, sie kognitiv und sprachlich aktivieren und unterstützen. Unterrichtssituationen können z. B. sprachlich-kommunikativ durch die Register Alltagssprache sowie Bildungs- und Fachsprache differenziert werden (Abb. 5).

Abb. 5: Zusammenhang von Alltagssprache und Bildungssprache

DEFINITION

Alltagsspracheist die Sprache, die in Diskursen der alltäglichen Lebenspraxis gesprochen und zur unproblematischen Verständigung bei geteiltem Hintergrundwissen jederzeit verwendet werden kann. Alltagssprache ist charakteristisch für den Umgang mit vertrauten Personen. Regionale oder soziale Besonderheiten (Jugendsprache, regionale Dialekte) bilden Varietäten der Alltagssprache (Hoffmann 2019).

DEFINITION

Bildungssprache ist bedeutsam für die Vermittlung und den Erwerb von Wissen in einer durch Schriftlichkeit geprägten Gesellschaft. Sie eröffnet den Zugang zu beruflichen Möglichkeiten und Chancen, vermittelt zwischen Alltagssprache, spezielleren Wissensgebieten und der Wissenschaft. Die Beherrschung der Bildungssprache ist Teil des kulturellen Kapitals und somit eine zentrale Bedingung für gesellschaftliche Teilhabe (Partizipation) (Gogolin/Lange 2011).

Alltagssprache

DEFINITION

Schulsprache ist die durch Schule hervorgebrachte und für schulische Zwecke eingesetzte Sprache (z. B. die Erörterung). Neben der Qualifikations- und Sozialisationsfunktion kommt Schule auch eine Selektionsfunktion zu. Die Festsetzung sprachlicher Normen und Standards entscheidet über die Verteilung von Chancen auf Schulerfolg (Feilke 2012).

Bildungssprache

Schulsprache

DEFINITION

Fachsprache wird von einer SprecherInnengruppe verwendet, die über gemeinsames/geteiltes Fachwissen verfügt. Fachsprachen haben häufig einen spezifischen Wortschatz, der die genaue Bezeichnung von Gegenständen oder Vorgängen ermöglicht. Einige Fachausdrücke gehören bereits zur Allgemeinbildung (z. B. Blutdruckmessgerät), andere sind nur bestimmten Berufsgruppen oder Fachkreisen bekannt (Feilke 2012).

Fachsprache

Je weiter sich der Unterricht in Fächer bzw. Fächergruppen ausdifferenziert, umso mehr wird das Register Bildungssprache verwendet und gefordert.

Bildungssprache als Norm

Auf normativer Ebene wird mit dem Terminus Bildungssprache das Register bezeichnet, dessen Beherrschung von erfolgreichen SchülerInnen implizit erwartet wird. Dies kann insbesondere für jene Lernenden verhängnisvoll sein, welche die sprachlichen Anforderungen im Bildungsprozess aufgrund geringer Deutschkenntnisse nicht ohne weiteres erfüllen können (Gogolin/Lange 2011).

Durch die bewusste Differenzierung von Unterricht nach sprachlichen Registern können bildungssprachliche Praktiken in den Unterricht eingebunden und lernförderliche Partizipationsgelegenheiten geschaffen werden.

TIPP

Im Unterricht sollten sprachliche Mittel sehr bewusst von der Lehrkraft verwendet werden. Dafür ist zunächst nur ein für die jeweilige Unterrichtssituation angemessenes sprachliches Register zu wählen. So bietet sich beispielsweise das informell umgangssprachliche Register an, wenn die Lernorganisation oder Klassenregeln ausgehandelt werden. Geht es z. B. darum, Lernwege zu erklären oder Bedeutungen auszuhandeln, wird das stärker formale schulsprachliche Register gewählt. Das fachsprachliche Register ist zu bevorzugen, wenn Fachterminologien und fachspezifische Wendungen (z. B. „Kraft auf … ausüben“) eingeführt werden.

3Drei Perspektiven auf LehrerInnensprache

ZUSAMMENFASSUNG

  

In diesem Kapitel wird der Frage nachgegangen, inwiefern LehrerInnensprache und Gesprächsführungskompetenzen im Studium, im Referendariat und in (berufsbegleitenden) Fort- und Weiterbildungen vermittelt werden können. Dabei werden drei verschiedene Perspektiven auf LehrerInnensprache eingenommen, die unterschiedliche Antworten auf diese Frage geben. Abschließend werden Möglichkeiten der gezielten und bewussten Auseinandersetzung mit dem eigenen Sprach- und Sprechhandeln aufgezeigt.