Leidenschaft und Tugend - Gustave Flaubert - E-Book

Leidenschaft und Tugend E-Book

Gustave Flaubert

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Beschreibung

Dieses eBook: "Leidenschaft und Tugend" ist mit einem detaillierten und dynamischen Inhaltsverzeichnis versehen und wurde sorgfältig korrekturgelesen. Gustave Flaubert (1821 - 1880) war ein französischer Schriftsteller, der vor allem als Romancier bekannt ist. Er gilt als einer der besten Stilisten der französischen Literatur und als ein Klassiker des Romans. Zusammen mit Stendhal und Balzac bildet er das Dreigestirn der großen realistischen Erzähler Frankreichs. Aus dem Buch: "Das war längst nicht mehr jene wohlgeübte Spielart der Schäferliebe im Stil Ludwigs des Fünfzehnten, deren erste Lehrstunde anhebt mit Seufzern, übergleitet in die zweite mit zärtlichen Briefchen und es so weitertreibt bis zur Lösung des geschürzten Knotens - eine kunstvolle Wissenschaft, die uns so ausgezeichnet vorgestellt wird im "Faublas", in den leichtbeschwingten Komödien "zweiten Ranges" jener Zeit, in den "Moralischen Geschichten" eines Marmontel. Heutzutage geht der Mann geradeswegs los auf eine Frau, faßt sie ins Auge, findet sie "verführerisch", macht die Wette mit seinen Freunden: Ist sie die Frau eines anderen, wird die ganze Farce nur noch um so reizvoller! So führt er sich ein bei ihr, bringt ihr Romane mit, geleitet sie an seinem Arm ins Theater, legt dabei immer den höchsten Wert darauf, sich irgend so etwas Erstaunliches, lächerlich Unerhörtes, noch nie Dagewesenes zu leisten; und dann geht er von Tag zu Tag mit immer größerer Freiheit bei ihr ein und aus, macht sich zum Freund des Hauses, des Ehemannes dieser Frau, der Kinder, ja, der gesamten Dienerschaft."

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Gustave Flaubert

Leidenschaft und Tugend

Eine philosophische Erzählung des Autors von Madame (Frau) Bovary, Salambo und Die Erziehung des Herzens: oder auch Die Schule der Empfindsamkeit

e-artnow, 2014
ISBN 978-80-268-2484-8

Inhaltsverzeichnis

Kap. 1
Kap. 2
Kap. 3
Kap. 4
Kap. 5
Kap. 6
Kap. 7
Kap. 8
Kap. 9
Kap. 10
Kap. 11

Thou canst not speak of that thou dost not feel.Shakespeare, Romeo und Julia, III. Akt.

Kap. 1

Inhaltsverzeichnis

Sie hatte ihn schon zweimal, glaube ich, zu Gesicht bekommen: das erstemal auf einem Ball beim Minister, das zweitemal im »Français« – und obwohl er weder ein überragender Mensch noch ein schöner Mann war, kam er ihr doch immer wieder in den Sinn, wenn sie abends, nachdem sie ihre Lampe ausgelöscht hatte, noch einige Minuten in Gedanken versunken blieb und vor sich hin träumend dalag, ihr dichtes Haar gelöst auf ihren nackten Brüsten, den Kopf zum Fenster hingewendet, durch das die Nacht eine fahle Helle hereinwarf, die Arme frei herabhängend, und ihre Seele hin und her trieb zwischen schauernden, aus dem Dunklen und Ungewissen kommenden Erregungen, die, wie verwirrende Laute und Rufe, aus den Weiten der herbstlichen Dämmerungen sich erheben ...

Alles andere war er als ein Ausnahmemensch, wie sie in den Büchern und Dramen leben. Er hatte ein ziemlich trockenes Innere, war ein rechter Durchschnittsgeist und zu alledem – ein Chemiker. Aber er beherrschte von Grund aus jene Theorie der Verführungskunst in allen Regeln, kurzum den Chic – um das treffende Wort des Volksmundes zu gebrauchen –, womit ein gewandter Mann noch immer zu seinen Zielen gelangt.

Das war längst nicht mehr jene wohlgeübte Spielart der Schäferliebe im Stil Ludwigs des Fünfzehnten, deren erste Lehrstunde anhebt mit Seufzern, übergleitet in die zweite mit zärtlichen Briefchen und es so weitertreibt bis zur Lösung des geschürzten Knotens – eine kunstvolle Wissenschaft, die uns so ausgezeichnet vorgestellt wird im »Faublas«, in den leichtbeschwingten Komödien »zweiten Ranges« jener Zeit, in den »Moralischen Geschichten« eines Marmontel. Heutzutage geht der Mann geradeswegs los auf eine Frau, faßt sie ins Auge, findet sie »verführerisch«, macht die Wette mit seinen Freunden: Ist sie die Frau eines anderen, wird die ganze Farce nur noch um so reizvoller! So führt er sich ein bei ihr, bringt ihr Romane mit, geleitet sie an seinem Arm ins Theater, legt dabei immer den höchsten Wert darauf, sich irgend so etwas Erstaunliches, lächerlich Unerhörtes, noch nie Dagewesenes zu leisten; und dann geht er von Tag zu Tag mit immer größerer Freiheit bei ihr ein und aus, macht sich zum Freund des Hauses, des Ehemannes dieser Frau, der Kinder, ja, der gesamten Dienerschaft. Zuletzt merkt die Arme die Falle und will ihn fortjagen wie einen Lakaien, aber da spielt er seinerseits den Entrüsteten, droht ihr, die erstbesten harmlosesten paar Zeilen zu veröffentlichen, denen er selbstverständlich den infamsten Sinn zu unterschieben weiß, ganz gleich, wem das Briefchen zugedacht war. Ja, Wort um Wort wird er ihrem Manne das hinterbringen, was ihr da entschlüpft sein mag in irgendeinem Moment der Koketterie, der Selbstsicherheit, des bloßen Wunschtraums .... Die grausamste Herzlosigkeit eines Anatomen ist das – aber man hat eben Fortschritte in den Wissenschaften gemacht, und es gibt Leute, die ein Herz kunstvoll zerschneiden können wie ein lebloses Stück Fleisch.

Und da weint sie, diese arme verlorene Frau, und fleht und bettelt. – Kein Verschonen für sie noch für ihre Kinder, noch auch für ihren Mann, ihre Mutter! Unbeugsam bleibt man, ein Mann, der Gewalt, ja Gewaltsamkeit anwenden kann: Überall kann er sich damit brüsten, daß sie seine Geliebte ist! In allen Journalen kann er es publik machen, in seinem Tagebuch kann er sich darüber auslassen, lang und breit, und – im Bedarfsfalle kann er es sogar unter Beweis stellen!

Halbtot, wie sie ist, liefert sie sich ihm denn aus. Er kann sie sogar Spießruten laufen lassen vor seinen Bediensteten, die lächelnd hinter ihren Livreeaufschlägen einander zuzwinkern und flüstern, wie sie – zum frühen Morgen schon – sie so kommen sehn zu ihrem Herrn und Gebieter. Und dann, wenn er sie, zerknickt und niedergesunken, sich selbst überläßt mit ihren Gewissensbissen, ihren Gedanken über das Einst, den Enttäuschungen, die ihr die Liebe brachte, dann wendet er sich ganz von ihr, will sie nicht mehr wiederkennen, gibt sie kalt ihrem Unglück preis. Ja, manchmal haßt er sie geradezu; aber er hat seine Wette gewonnen: Er ist eben einer, der überall sein Glück macht!

Nicht nur ein Lovelace also ist er, wie man vor sechzig Jahren gesagt hätte, sondern vielmehr: ein Don Juan, was noch großartiger ist.

Der Mann, der bis ins letzte diese Kunst und Wissenschaft beherrscht, der sich in ihren Schlichen und geheimsten Kniffen, die alles in Bewegung setzen, auskennt, ist heutzutage gar nicht selten. Es ist ja wirklich so leicht,eine Frau, und zumal eine, die einen liebt, zu verführen und sie dann ihrem Schicksal zu überlassen wie all die andern, erbarmungslos, wie so einer ist. Es gibt doch so viele Mittel, Liebe für sich zu erregen, durch was es immer sei: durch Eifersucht, Eitelkeit, durch irgendwelche Vorzüge oder Talente, herrischen Stolz, Schrecken und Fürchtenmachen – oder ganz einfach durch geckenhafte Manieren, eine lässig geschlungene Krawatte, Weltüberdruß, den man zur Schau trägt, durch den eleganten Schnitt seiner Kleidung, durch sein feines, gut sitzendes Schuhwerk! Denn wie viele solcher Gents verdanken ihre Eroberungen nicht einzig und allein der Geschicklichkeit ihres Modeschneiders oder ihres Maßschuhmachers!?

Ernest hatte bemerkt, wie Mazza auf seine Blicke lächelte. Überall verfolgte er sie damit. Auf dem Ball, zum Beispiel, langweilte sie sich, wenn er nicht da war. Nur sollte man nicht meinen, er machte darin den Anfänger und betätigte sich damit, die »Reine und Weiße« ihrer Hand mit Lobesworten zu erheben oder die Schönheit ihrer Ringe zu bewundern, wie es ein Primaner hätte fertigbringen können, nein, er riß vor ihr ganz einfach alle anderen Frauen, die vorübertanzten, herunter, hatte von jeder die unglaublichsten und unerhörtesten Abenteuer zu berichten, und all das ließ sie auflachen und schmeichelte ihr insgeheim, denn sie meinte, über sie hätte keiner so etwas zu sagen. Dann wieder schwindelte ihr wie am Rand eines Abgrundes; und sie faßte die schönsten Vorsätze, ihn von sich zu halten, ihn nie wieder sehen zu wollen, aber der Wille und die Tugend verflüchtigen sich wie ein Hauch beim ersten Lächeln eines Mundes, den man liebt ....

Bald hatte er auch heraus, daß sie schwärmte – für alles, was poesievoll war, das Meer, das Theater, Byron; und so zog er seine Bilanz aus allen Einzelbeobachtungen: »Eine wirklich Naive! Die habe ich sicher ...!« Und sie hatte ebensooft bei sich gesagt, jedesmal wenn sie ihn von sich gehen sah und die Tür ihres Salons sich so rasch wieder hinter seinen Schritten schloß: »Oh, wie ich dich liebe ...!«

Setzen wir dem noch hinzu, daß Ernest es bald dahin brachte, sie auch an die Phrenologie und an den Magnetismus glauben zu machen, sie, Mazza, die Frau von dreißig Jahren. Stets hatte sie bis jetzt rein und treu sich ihrem Manne verbunden gefühlt und alle Wünsche von sich gewiesen, die der Alltag in ihrer Seele aufkeimen lassen wollte und die am andern Morgen wieder erstorben waren. Sie war an einen Bankier verheiratet; und die Hingabe in den Armen dieses Mannes war ihr zu einer Pflicht geworden, nichts anderes als eben dies: für ihre Hausangestellten eine wachsame Herrin und für ihre Kinder eine gute, auf ihr leibliches Wohl bedachte Mutter zu sein.

Kap. 2

Inhaltsverzeichnis