Leni Behrendt Bestseller 50 – Liebesroman - Leni Behrendt - E-Book

Leni Behrendt Bestseller 50 – Liebesroman E-Book

Leni Behrendt

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Beschreibung

Leni Behrendt nimmt längst den Rang eines Klassikers der Gegenwart ein. Mit großem Einfühlungsvermögen charakterisiert sie Land und Leute. Über allem steht die Liebe. Leni Behrendt entwickelt Frauenschicksale, wie sie eindrucksvoller nicht gestaltet werden können. Der Reiter, der auf seinem Trakehner gemächlich in den Gutshof ritt, horchte betroffen auf die zornige Stimme seines Onkels. Markig schallte sie durch die geöffneten Fenster der Rentmeisterei über den abendstillen Hof, und die Wortfetzen, die das Ohr des Lauschenden auffing, ließen vermuten, daß der Gutsherr mit einem seiner Untergebenen unbarmherzige Abrechnung hielt. Dann wandte der Blick des Reiters sich dem Burschen zu, der vom Stall her eilig auf ihn zukam. »Was ist denn los, Erwin? Wer wird da so erbärmlich heruntergepudelt?« »Ich glaube, es ist der Rentmeister, Herr Baron. Was mag der ausgefressen haben, daß unser Herr ihn so andonnert!« Damit nahm der Bursche das Pferd am Zügel und rannte mit ihm dem Stall zu. Der junge Mann sah ihm lachend nach und pirschte sich dann vorsichtig zum Fenster der Rentmeisterei. »Machen Sie, daß Sie mir aus den Augen kommen, Sie Betrüger! Ich habe keine Lust, mich von einem ungetreuen Beamten an den Bettelstab bringen zu lassen. Und wenn nicht innerhalb drei Tagen das unterschlagene Geld auf meinem Tisch liegt, übergebe ich Sie rücksichtslos der Polizei –!« Damit wandte er sich zum Gehen. Gefolgt von seinem Neffen, der ein wenig abseits gestanden und den Zornesguß des Onkels mit Genugtuung angehört hatte. Jetzt sprang der Lauscher vom Fenster fort und verbarg sich hinter der Hausecke. Als die beiden Herren im Gutshaus verschwunden waren, betrat er die Rentmeisterei, wo der Rentmeister regungslos stand – ein Bild des Jammers! Er regte sich auch nicht, als der Eingetretene auf ihn zuging, ihn bei den Schultern packte und schüttelte. »Menschenskind, Karbach, so kommen Sie doch zu sich!« Dann drückte er ihn in den nächsten Stuhl und betrachtete ihn kopfschüttelnd. »Das scheint ja was Schönes zu sein, das Sie sich da eingebrockt haben, Sie Unglücksmensch.«

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Leni Behrendt Bestseller – 50 –

Nichts weiter als ein Herz

Leni Behrendt

Der Reiter, der auf seinem Trakehner gemächlich in den Gutshof ritt, horchte betroffen auf die zornige Stimme seines Onkels.

Markig schallte sie durch die geöffneten Fenster der Rentmeisterei über den abendstillen Hof, und die Wortfetzen, die das Ohr des Lauschenden auffing, ließen vermuten, daß der Gutsherr mit einem seiner Untergebenen unbarmherzige Abrechnung hielt.

Dann wandte der Blick des Reiters sich dem Burschen zu, der vom Stall her eilig auf ihn zukam. »Was ist denn los, Erwin? Wer wird da so erbärmlich heruntergepudelt?«

»Ich glaube, es ist der Rentmeister, Herr Baron. Was mag der ausgefressen haben, daß unser Herr ihn so andonnert!«

Damit nahm der Bursche das Pferd am Zügel und rannte mit ihm dem Stall zu. Der junge Mann sah ihm lachend nach und pirschte sich dann vorsichtig zum Fenster der Rentmeisterei.

Drinnen stand der Gutsherr vor dem todblassen Rentmeister, auf dessen gebeugtes Haupt gerade die Schlußworte der Standpauke niederprasselten:

»Machen Sie, daß Sie mir aus den Augen kommen, Sie Betrüger! Ich habe keine Lust, mich von einem ungetreuen Beamten an den Bettelstab bringen zu lassen. Und wenn nicht innerhalb drei Tagen das unterschlagene Geld auf meinem Tisch liegt, übergebe ich Sie rücksichtslos der Polizei –!«

Damit wandte er sich zum Gehen. Gefolgt von seinem Neffen, der ein wenig abseits gestanden und den Zornesguß des Onkels mit Genugtuung angehört hatte.

Jetzt sprang der Lauscher vom Fenster fort und verbarg sich hinter der Hausecke. Als die beiden Herren im Gutshaus verschwunden waren, betrat er die Rentmeisterei, wo der Rentmeister regungslos stand – ein Bild des Jammers! Er regte sich auch nicht, als der Eingetretene auf ihn zuging, ihn bei den Schultern packte und schüttelte.

»Menschenskind, Karbach, so kommen Sie doch zu sich!«

Dann drückte er ihn in den nächsten Stuhl und betrachtete ihn kopfschüttelnd.

»Das scheint ja was Schönes zu sein, das Sie sich da eingebrockt haben, Sie Unglücksmensch.«

Er schritt zu einem der großen Schränke, ergriff eine Kognakflasche nebst Glas und ging damit zu dem auf seinem Stuhl kauernden Mann zurück.

»So, nun trinken Sie erst einmal.« Er hielt das gefüllte Gläschen hin, das in die zitternde Hand des Verstörten wanderte. Nachdem noch zwei weitere Schnäpse in die geengte Kehle gegossen waren, bekam das blasse Antlitz langsam Farbe.

»Na also –«, nickte der junge Baron befriedigt, brachte die Flasche an ihren Platz zurück und setzte sich dem Rentmeister gegenüber.

Karbach legte wie erschöpft den Kopf gegen die hohe Stuhllehne, und sein Gegenüber sah, wie sich dicke Tränen unter den Lidern hervorstahlen.

»Herr Karbach, nun reißen Sie sich zusammen, ja!« sagte er energisch. »Sie sind doch sonst ein ganzer Kerl! Was also hat Sie so sehr aus dem Gleichgewicht gebracht? Sprechen Sie – und ich will Ihnen zu helfen versuchen.«

Ohne seine Stellung zu ändern, gab der Rentmeister Antwort – müde und gequält:

»Mir ist nicht zu helfen, Herr Baron. Ihr Herr Onkel ist im Recht, wenn er mich mit Schimpf und Schande vom Hof jagt...«

»Donnerwetter, Karbach, zum Rätselraten habe ich die Ruhe nicht! Nun mal raus mit der Sprache! Was hat es gegeben?«

»Ich habe – hundert Mark – unterschlagen…«

»Das ist allerdings fatal. In solchen Dingen versteht mein Onkel wenig Spaß. Sie sind doch sonst so ein korrekter Mensch. Was hat Sie zu diesem Fehlgriff bewogen?«

Der Rentmeister richtete sich auf und fuhr sich hastig über die Augen.

»Was mich dazu zwang, war bittere Not. Wollen Sie mir das glauben, Herr Baron?«

»Unbedingt.«

»Ich danke Ihnen. Vor einer Woche starb nämlich der Bruder meiner Braut. Wie Sie wissen, muß sie sich ihr Brot durch armselige Schneiderei mühsam verdienen und damit nicht nur die kranke Mutter, sondern auch den kleinen Bruder unterhalten. Vor einigen Monaten wurde der Junge von einer tückischen Krankheit befallen. Da meine Braut sehr an dem kleinen Kerl hing, tat sie alles, um das geliebte Leben zu erhalten. Sie suchte mit dem Jungen berühmte Ärzte auf, kaufte die teuersten Stärkungsmittel. Dabei gingen nicht nur ihre, sondern auch meine Spargroschen drauf. Und als das Kind trotz aller Mühe und Opfer starb, hatten wir nicht einmal mehr das Geld, es unter die Erde bringen zu können.

Der Sarghändler wollte uns den Sarg nicht stunden, da der des Vaters meiner Braut, der auch vor kurzem heimging, noch immer nicht bezahlt war. Kurz und gut: Unsere Not war groß. Und da mir hier so viel Geld durch die Hände geht, griff ich in meiner Verzweiflung zu, zumal es zehn Tage vor dem Ersten geschah. Nach der Gehaltszahlung wollte ich den Schein wieder an Ort und Stelle tun – und niemand hätte von meiner vorübergehenden Veruntreuung gewußt.

Allein – ausgerechnet heute, zwei Tage vor dem Ersten, revidierte Herr Busso die Bücher, vermißte das Geld – und da er kein Erbarmen kennt, berichtete er brühwarm dem Onkel von der Unstimmigkeit – na ja – und so ist denn alles gekommen.«

Mit Teilnahme war der Zuhörer dieser Beichte gefolgt. Nun sah er den Mann mitleidig an.

»Haben Sie meinem Onkel Ihre traurige Lage so geschildert wie mir?«

»Dazu kam ich gar nicht; er ließ mich überhaupt nicht sprechen. Kanzelte mich ab, wie den gemeinsten Verbrecher. Und wenn ich das Geld nicht innerhalb drei Tagen zurückzahlen kann, dann übergibt er mich der Polizei – und das wäre dann wohl das Ende für mich.«

»Das glaube ich auch. Ein so nachsichtiger Gebieter mein Onkel sonst ist, in bezug auf Veruntreuung kennt er keine Gnade. Aber geschehen ist nun mal geschehen. Einen Vorwurf kann ich Ihnen jedoch nicht ersparen, Herr Karbach. Warum wandten Sie sich nicht an mich in Ihrer Not?«

Ein schattenhaftes Lächeln huschte über das blasse Antlitz des Rentmeisters.

»Was hätte das genützt, Herr Baron? Hier ging es doch um Geld – und das haben Sie ja auch nicht.«

»Ich hätte aber versucht, von irgendwo Geld aufzutreiben. Schließlich handelt es sich ja nicht um eine riesige Summe. Soviel Kredit habe ich noch. Sie hätten mir nach Ihrer Gehaltszahlung die verauslagte Summe wiedergegeben, ich hätte sie meinem Gläubiger zurückgezahlt, somit wäre der gräßliche Klamauk vermieden worden, und Sie säßen nach wie vor auf Ihrem behaglichen Posten. Was werden Sie nun beginnen?«

Der Rentmeister lachte hart auf.

»Das Kopfzerbrechen kann ich getrost dem Gericht überlassen, da ich ja nicht in der Lage bin, innerhalb drei Tagen das Geld auf den Tisch zu legen. Werde also ins Kittchen wandern, womit ich denn für einige Zeit untergebracht wäre.«

»Na – davor kann ich Sie wenigstens bewahren.« Damit zog der Baron seine Brieftasche und steckte dem Verblüfften einen Hunderter in die zitternde Hand. »Schicken Sie ihn sofort meinem Onkel, dann kann er Ihnen nicht mehr an den Kragen. Ferner schnüren Sie ihr Bündel, gehen Sie zu Ihrer Braut – und damit diese Sie fürs erste durchfüttern kann…«

Noch so eine blaue Kostbarkeit wanderte zu der ersten – und dann lachte der großzügige Geber amüsiert auf.

»Machen Sie den Mund zu, Karbach. Sonst sehen Sie gar zu dämlich aus.«

»Aber Herr Baron – ich beschwöre Sie – woher haben Sie zwei Tage vor dem Ersten das viele Geld!?«

»Durch einen Glückszufall erworben. Danken wir dem lieben Gott, daß er mir den unverhofften Segen zur rechten Zeit beschert hat. Und nun Kopf hoch, Herr Karbach. Sehen Sie nicht zu schwarz. Ich will mich bemühen, einen neuen Posten für Sie zu finden. Aber ich bitte Sie: Gefälligst keine Dummheiten gemacht, mein Lieber! Hier haben Sie meine Hand, in die Sie mir versprechen müssen, voller Zuversicht abzuwarten.«

»Herr Baron, meine Hand ist die eines – eines…«

»Nanu man hoppla –!« unterbrach ihn dieser unwillig. »Wenn ich davon überzeugt wäre, daß Sie so einer sind, dann reichte ich Ihnen meine Hand wahrhaftig nicht.«

Da ergriff der erschütterte Mann die dargebotene Rechte. Doch ehe er etwas erwidern konnte, hatte sein Wohltäter das Zimmer wieder verlassen. Edzard von Rittersreuth schlüpfte in den Schlafanzug und streckte sich mit einem wohligen Seufzer auf das Bett.

Das war heute ein heißer Tag gewesen! Morgens die Standpauke des Onkels, der wieder einmal unzufrieden mit ihm war, nachmittags die aufregenden Stunden auf dem Rennplatz und abends die tragische Geschichte mit dem Rentmeister.

Daß er beim Onkel doch immer wieder anecken mußte! Zum Teufel, er tat doch genauso seine Pflicht wie sein Bruder Busso.

Als acht- und zehnjährige Knaben waren die Brüder in das Haus des Onkels gekommen, nachdem ihr Vater, ein bekannter Herrenreiter, tödlich verunglückte. Die Mutter hatten sie schon einige Jahre früher verloren.

Der Bruder des Verunglückten, der als Ältester auf dem Familiengut Reuth saß, nahm sie als Ersatz für seine beiden im Krieg gebliebenen Söhne und räumte ihnen das Recht leiblicher Kinder ein. Er ließ sie die besten Schulen besuchen, später Landwirtschaft studieren, sorgte für sie wie ein gewissenhafter Vater es nicht besser gekonnt – aber er verlangte dafür auch den gebührenden Dank.

Der wurde ihm von dem ältesten Neffen in reichem Maße zuteil. Der war folgsam und verständig, ein Musterschüler, ein strebsamer Student, während sein um zwei Jahre jüngerer Bruder, ein ungebärdiger Bengel und liebenswürdiger Tunichtgut, in der Schule mit knapper Not mitkam und als Student ein flottes, unbekümmertes Leben führte. Zwar bestand auch er Abitur und Hochschulexamen zur festgesetzten Zeit, aber nicht so glänzend wie Busso.

Dann kamen die Brüder nach Reuth zurück, wo der Onkel ihnen in der Landwirtschaft einen festen Pflichtenkreis zuteilte. Und da war es wieder Busso, der sich glänzend bewährte, so daß er dem Gutsherrn unentbehrlich wurde, während Edzard nach wie vor sein Sorgenkind blieb.

Wohl tat er auch seine Pflicht, aber an den Bruder reichte er nicht heran, der in den Augen des Onkels ein unübertrefflicher Landwirt war.

Allerdings das Urteil aller andern, die auf Reuth lebten, war weniger schmeichelhaft. Da galt Busso als einer, der nach oben Speichel leckte und nach unten trat. Ein widerlicher Angeber und Denunziant, der über Leichen ging, wenn er sich dadurch Vorteile verschaffen konnte!

Dagegen Edzard – das war nun mal ein ganzer Kerl! Der war ein Vorgesetzter, wie man ihn sich wünschen konnte.

Wenn der in seinem Bereich auf eine Unstimmigkeit stieß, dann meldete er es nicht gleich dem Onkel, sondern pudelte den Schuldigen an Ort und Stelle ab und damit holla. Nahm so manches auf seine Kappe, um einen Untergebenen zu schützen.

Aber wehe, wenn Busso hinter eine Unstimmigkeit kam! Die wurde dem Gutsherrn dann brühwarm berichtet und ganz gewiß noch aufgebauscht .

Warum das alles so war, darüber war man sich allgemein klar. Ging es doch um Reuth, das der alte Baron nur dem Neffen vermachen würde, den er als Nachfolger für würdig erachtete. Und daß seine Wahl auf Busso fallen würde, darüber gab es wohl kaum einen Zweifel.

Aber wenn man jetzt auch schweigen mußte, weil man seine gutbezahlte und auch sonst angenehme Stellung nicht verlieren wollte, so würde man vereint hervortreten, wenn die Würfel endgültig gefallen waren. Dann wollte man dem Baron über den erbärmlichen Erbschleicher schon die Augen öffnen.

Busso sollte sich nur nicht einbilden, daß seine so raffiniert getarnten Seitensprünge unentdeckt geblieben waren. Oh, man wußte genau Bescheid! Der Gutsherr sollte seinen Liebling noch erkennen, er sollte seinem unterschätzten und ständig zurückgesetzten Neffen Edzard noch so manche Ungerechtigkeit abbitten und ihn dahin setzen, wohin er gehörte – als Herr über Reuth.

Von diesem aufsässigen Vorhaben der Gutsleute hatte Edzard keine Ahnung. Er machte sich um seine Zukunft viel weniger Sorgen, als sie es taten.

Edzard wollte gerade die Nachttischlampe ausknipsen, als sich die Tür des Nebenzimmers öffnete und Busso eintrat.

»Wünschest du etwas von mir?« fragte Edzard den Bruder.

»Ja – eine Zigarette –«

»Auf dem Tisch liegen welche, bediene dich. Und dann mach, daß du raus kommst, damit ich die paar Stunden schlafen kann.«

Busso dachte nicht daran, dieser Aufforderung Folge zu leisten. Er steckte eine Zigarette in Brand und machte es sich auf dem Stuhl neben dem Bett des Bruders bequem.

Die Brüder ähnelten einander. Beide hatten sie sehnige Reitergestalten. Nur daß die Edzards höher und breiter war, sein blondes Haar leuchtender, der Blick der blauen Augen freier, das Antlitz härter und kantiger. Außerdem gab die große schwarzumrandete Brille, die Busso wegen Kurzsichtigkeit trug, seinem Gesicht eine ganz andere Note.

In Charakter und Gebaren aber waren die Brüder grundverschieden. Edzard von einer ungestümen kraftstrotzenden Männlichkeit, Busso gemessen und salbadrig.

Edzard wußte sehr wohl, weshalb der Bruder ihn zu so später Stunde noch aufsuchte. Denn daß er ihm mit einer Zigarette aushelfen sollte, war nur ein Vorwand. Und schon kam das, worauf er wartete.

»Sag mal, was hältst du eigentlich von diesem Karbach?« begann Busso harmlos. »Dieser Diebstahl ist einfach ein Skandal. Der Mensch bezieht doch ein Gehalt, von dem er glänzend leben kann. Ob er Weibergeschichten hat?«

»Was weiß ich –«, murmelte Edzard.

»Die ganze Begebenheit ist doch unten bis zum Überdruß durchgehechelt worden. Laß mich jetzt damit in Frieden. Der Mann hat seine Strafe weg und damit holla.«

»So wenig interessiert es dich, was auf unserm Eigentum geschieht?«

»Unserm Eigentum? Werde bloß nicht größenwahnsinnig! Onkel ist erst Mitte fünfzig und verfügt über eine Bärengesundheit. Daß er seinen Besitz vor seinem Tod nicht aus den Händen gibt, darüber sind wir uns doch längst klar. Zerbrich dir also nicht den Kopf über ungelegte Eier, sondern sei froh, daß du so ein Herrendasein führen kannst.«

»Herrendasein?« lachte Busso perfid. »Na, ich danke! Wir müssen uns doch wahrlich schinden und plagen, um den anspruchsvollen Gutsherrn zufriedenzustellen – mehr als die Inspektoren.«

»Wer schindet sich denn? Ich wahrhaftig nicht! Ich tue das, was der Onkel von mir verlangt. Mir fällt es gar nicht ein, am Sonntagnachmittag die Bücher der Rentmeisterei zu revidieren. Wenn du das tust, ist es dein eigener Wille. Verlangt hat es der Onkel bestimmt nicht.«

»Es schien mir nötig zu sein«, grinste Busso – und da stieg dem Bruder die Zornesröte ins Gesicht.

»Du Schuft –!« stieß er hervor. »Mach bloß, daß du verschwindest! Wenn ich mir schon die Nacht um die Ohren schlagen will, dann tue ich es auf amüsantere Weise, als daß ich mir dein niederträchtiges Gewäsch anhöre.«

Busso schien die Grobheit des Bruders absolut nicht zu stören. Gähnend streckte er sich.

»Hast recht, schlafen wir die paar Stunden. Um halb sechs

ist ja sowieso die Nacht für

uns vorbei. Ein Sklavenleben! Wann wird das einmal aufhören?«

»Wahrscheinlich, wenn du Opa bist«, lachte Edzard schadenfroh.

»Um das zu werden, dazu gehören Frau und Kind«, seufzte Busso. »Eigentlich ein Skandal, daß wir mit achtundzwanzig und dreißig Jahren noch unbeweibt sind.«

»Es steht dir frei, dich zu beweiben.«

»Du vergißt wohl, daß wir auch in der Beziehung von dem Alten abhängig sind. Dem dürfen wir als Schwiegernichte doch nur bringen, die nach seiner Nase ist.«

»Mit deinem derzeitigen Nuckchen darfst du ihm allerdings nicht kommen –«

»Und du vielleicht mit deiner Vera?« höhnte Busso dazwischen – und da fuhr Edzard aus seiner Gelassenheit auf.

»Mensch, nimm diesen Namen nicht in den Mund – sonst...«

»Na, was denn – sonst?« wurde mit niederträchtigem Lächeln dagegengefragt, worauf es in Edzards Augen gefährlich aufblitzte.

»Sonst beklopfe ich dir dein Maul, daß es dir eine Woche lang zuschwillt. Und nun zum letzten Mal – rrauss...!«

*

Zwei Tage später saß die Herrin von Reuth mit ihren beiden Neffen beim Frühstück. Mittelgroß und mollig, elegant und gepflegt bot die Dame einen erfreulichen Anblick. Das mittelblonde, tadellos frisierte Haar zeigte bei der Zweiundfünfzigjährigen noch keinen weißen Faden.

Dabei hatte Frau Nataly es nicht leicht mit ihrem leicht aufbrausenden Gatten. Doch ihre kluge Besonnenheit, ihre unerschütterliche Ruhe boten stets einen guten Ausgleich. Somit war sie die denkbar beste Frau für den schwierigen Herrn. Er liebte sie auch von ganzem Herzen, stand mehr unter ihrem Einfluß, als er sich bewußt

war.

Nur was die Neffen betraf, da konnte sie mit ihrem Einfluß nichts ausrichten, so oft sie es auch versucht hatte. In punkto Busso war er ihrer Ansicht nach total vernagelt und verbohrt, ließ sich von diesem Blender umschmeicheln und umgarnen. Wo da seine sonstige Scharfsichtigkeit blieb, konnte nur der liebe Herrgott wissen.

Natürlich gab Busso sich alle Mühe, sich auch bei der Tante Liebkind zu machen. Aber da biß er auf Granit, weil sie diesen Heuchler durchschaut hatte von Anfang an. Sie war indes klug genug, ihre Abneigung gegen ihn geschickt zu verbergen. Tat es um des lieben Friedens willen und um Edzard nicht zu schaden.

Ihr Mann war nämlich der Ansicht, daß seine Frau zu lieben hatte, was er liebte, daß sie zu hassen hatte, was er haßte. Und da Busso für ihn der Gott war, neben dem keine anderen Götter aufkommen durften, so hatte sie sich danach zu richten und ihm gleich zu tun – basta! Wehe also, wenn sie sich offen auf Edzards Seite gestellt, das hätte der arme Junge schwer büßen müssen.

Oftmals war es allerdings sehr bitter für sie gewesen, mitanzusehen, wie empfindlich Edzard für seine harmlosen Knabenstreiche von dem Pflegevater gestraft wurde. Aber dagegen war sie nun einmal machtlos. Dafür hätschelte sie heimlich ihren geliebten Jungen, gab ihm Liebe in reichem Maße und besaß dafür auch sein ganzes, stürmisches Herz. Sie war für ihn das liebste Muttichen und später das Natchen, wie er sie als Erwachsener nannte.

Auch jetzt sah er lachend zu ihr hin.

»Natchen, dir schmeckt’s wieder einmal gut, wie?« neckte er. »Denke bloß an deine Taille, die schon beängstigend mollig ist.«

»Eine komische Art hast du, mit unserm geliebten Pflegemütterchen zu sprechen«, salbaderte Busso, doch sie meinte trocken: »Mich stört es nicht zumal der Junge recht hat. Aber wer kann dafür, wenn es so gut schmeckt?«

»Guten Morgen, Philipp«, begrüßte sie dann fröhlich den eintretenden Gatten.

»Guten Morgen«, entgegnete er kurz. Nahm am Tisch Platz und aß schweigend.

Nachdem er die guten Bissen achtlos vertilgt hatte, zündete er die gewohnte Morgenzigarre an, legte sich in den Stuhl zurück und polterte los:

»Was man sich von seinen Untergebenen so alles bieten lassen muß. Schickt mir heute der Karbach die unterschlagenen hundert Mark mit einem Begleitschreiben, das an Hohn nichts zu wünschen übrig läßt. Hört und staunt.« Dann las er laut: »Sehr geehrter Herr Baron, da sich ein Wohltäter gefunden hat, bin ich in der Lage, Ihnen das vorübergehend entwendete Geld zurückzuzahlen. Es gibt eben doch noch barmherzige Menschen, die nicht gleich jede Geldentwendung mit Unterschlagung und Diebstahl bezeichnen. Denn ich bin kein gemeiner Dieb, sondern ein Mensch, der in seiner Not nicht aus noch ein wußte. Das mußte ich Ihnen sagen, Herr Baron.

Hochachtungsvoll Karbach.«

»Was regt dich dabei eigentlich so auf?« fragte Nataly. »Der Mann will doch nur…«

»… mich verhohnepiepeln«, unterbrach er hitzig. »Mir sagen, daß ich unbarmherzig bin, wie?«

Busso legte seine Hand auf die trommelnden Finger. »Aber wie kannst du dich nur so aufregen, Onkel? Undank ist der Welt Lohn. Du behandelst deine Untergebenen viel zu gut, da müssen sie ja unbotmäßig werden. Statt daß der Mann dich um Entschuldigung bittet, setzt er sich aufs hohe Pferd. Er hat einen Denkzettel verdient. Du müßtest ihn, obgleich er die gestohlene Summe zurückerstattet hat, trotzdem belangen –«

»Ach was –!« fuhr der Onkel ihm unwirsch in die Rede. »Das kann ich nicht. Habe ihm nur mit Anzeige gedroht, falls ich innerhalb drei Tagen nicht im Besitz meines Geldes bin. Möchte bloß wissen, woher er das Geld hat. Wer der barmherzige Mensch ist, der für Veruntreuung so viel Verständnis aufbringen kann. Falls er sich gar in meinem Betrieb findet, müßte man ihn ein wenig unter die Lupe nehmen. Aber ich glaube nicht, daß er so viel Mut hat, sich zu seiner Barmherzigkeit zu bekennen.«

»Doch, den hat er«, sagte Edzard nun gelassen. »Ich bin der Barmherzige, der Herrn Karbach das Geld gab.«

Augenblicklang war es sehr still. Doch dann schlug die Faust des gereizten Mannes auf den Tisch, daß das Geschirr darauf beängstigend klirrte.

»Also doch – also hat der Busso doch wieder recht gehabt«, verplapperte sich der Baron, und dann brüllte er los:

»Das hast du gewagt –? Das hast du wirklich gewagt –? Mit meinem Geld hast du die Veruntreuung meines Beamten gedeckt?!«

»Entschuldige, Onkel, nicht mit deinem Geld –«

»Na, mit wessen denn sonst? Wer gibt dir denn das Geld,

he –?!«

»Du natürlich. Aber dafür arbeite ich auch –«

»Nur mäßig, mein Sohn, nur mäßig. Zum Arbeiten bleibt dir nämlich wenig Zeit, da du dich ständig auf den Rennplätzen herumtreibst. Na was, das Geld fliegt dir ja so leicht zu. Wenn es nicht ausreicht, dann muß der Alte eben was draufgeben oder gar noch Schulden bezahlen. Und später erbt man sowieso den ganzen Krempel hier.

Aber wenn du dich da nur nicht irrst! Ich will meine Hinterlassenschaft in guten Händen wissen, wenn ich einmal die Augen schließe. Du wirst dich also verdammt zusammenreißen müssen, wenn du Miterbe werden willst. Nimm dir ein Beispiel an deinem Bruder. An dem habe ich nur Freude gehabt, während du leichtsinniger Patron mich stets geärgert hast, von Anfang an. Ich verfluche die Stunde, da ich dich in mein Haus nahm…«

»Philipp –«, mahnte die Gattin, blaß bis in die Lippen, und zeigte mit den Augen auf Edzard, dem jeder Blutstropfen aus dem Antlitz gewichen war. Darauf wollte der zornige Mann seine Verwünschung abschwächen, doch der Neffe erhob sich stumm, was den Onkel neu ergrimmte.

»Du bleibst hier!« herrschte er ihn an. »Das könnte dir so passen, feige zu kneifen. Sei froh, daß ich dich nicht hinausjage und dich deinem Schicksal überlasse, damit du vor die Hunde gehst...

Hiergeblieben –!« brüllte er dem Neffen nach, der soeben durch die Tür ging.

Und dann war Stille. Mit tiefem Unbehagen ging Philipps Blick zur Gattin hin, die blaß war wie eine Tote.

»Verflixter Bengel –«, brummte er. »Man kann sich über ihn die Galle ins Blut ärgern. Und doch ist man immer wieder geneigt, ihn für besser zu halten, als er ist. Wollte es Busso zuerst gar nicht glauben, daß Edzard dem Karbach das Geld gegeben hat. Aber da er es in aller Seelenruhe bestätigte, muß ich es ja glauben.«

»So, so – also von Busso stammt deine Weisheit –«, sagte Nataly jetzt ruhig. »Dem Jungen entgeht doch wirklich nichts. Nicht wahr, mein Sohn?«

»Man tut, was man kann, geliebtes Tantchen«, wehrte er bescheiden. »Schließlich bin ich ja dazu da, meinen Posten voll auszufüllen und die Interessen meines Wohltäters wahrzunehmen. Anders wäre es ja eine himmelschreiende Undankbarkeit. Ich heiße doch nicht Edzard, sondern Busso.«

»Und dieser Name verpflichtet natürlich«, nickte die Tante freundlich. »Aber laß es dich nicht verdrießen, ein schwarzes Schaf muß nun einmal in einer so vorbildlichen Familie sein, das ist direkt Tradition. Daß du es nicht bist, darüber sei unserm Herrgott dankbar.«

*

Edzard sah der Tante entgegen, die sein Zimmer betrat.

»Das sieht ja hier schön aus, mein Jungchen. Wie ich sehe, hast du bereits gepackt. «

»Ja, aber nur einen Koffer mit dem Nötigsten. Alles andere kannst du mir nachschicken, wenn ich erst weiß, wohin ich mein Haupt betten werde.«

»Ängstlich bist du gar nicht«, entgegnete sie trocken. »Wo willst du eigentlich hin?«

»Das mögen die Götter wissen.«

»Na, auf deren Weisheit würde ich mich nicht verlassen. Hast du Geld?«

»Ein wenig schon.«

»Richtig, heute ist ja der Erste.«

»Natchen, du nimmst doch nicht im Ernst an, daß ich nach dem, was heute war, mich noch weiter für meine so nachdrücklich betont mäßige Arbeit besolden lasse?«

»Nein, das nehme ich nicht an. Ich habe Angst um dich, mein Junge.«

»Wie töricht, Natchen. Ich werde bestimmt nicht vor die Hunde gehen, wie der Onkel es mir so liebevoll prophezeite. Schließlich kann ich ja arbeiten, wenn mir das von der gleichen Seite auch abgestritten wird.«

»Du denkst dir das so einfach, Edzard! Aber Stellen, die für dich in Frage kommen, sind sehr knapp. Außerdem bist du hier rundum so bekannt, daß jeder sich scheuen würde, dich einzustellen, um es mit dem Onkel nicht zu verderben.«

»Aber Natchen, der liebe Gott läßt doch nicht nur in dieser Ecke Korn wachsen. Da muß ich eben in die Ferne ziehen.«

»Ach du großer Junge! Bist du wirklich so dumm oder tust du nur so, um mich nicht zu beunruhigen? Zu deiner Ehre will ich annehmen, daß letzteres der Fall ist. Also wirst du dir wohl denken können, daß jeder Brotgeber genau wissen will, wen er in seinen Betrieb bekommt. Wird sich daher um Auskunft an den Onkel wenden, und wie die ausfallen würde, das kannst du dir wohl an den Fingern abzählen.«

»Dann geht es mir genau wie Karbach. Und da habe ich noch großartig geprahlt, daß ich ihm zu einer Stelle verhelfen will.«

»Was war das nun richtig mit Karbach? Ich kann mir nicht denken, daß sich alles so verhält, wie Onkel und Busso es schilderten. Gerade auf Karbach habe ich immer große Stücke gehalten. Weißt du etwas Bestimmtes über seine Entgleisung?«

Edzard schilderte kurz dessen Notlage, und die Tante atmete befreit auf.

»Armer Kerl. Und wie kam es, daß du Leichtfuß zwei Tage vor dem Ersten noch soviel Geld hattest, um aushelfen zu können?«

»Ich hatte am Sonntag auf dem Rennplatz beim Wetten Glück.«

»Weshalb hast du dem Onkel das nicht gesagt?«

»Er ließ mich ja nicht zu Wort kommen, nichts zu meiner Verteidigung sagen und dann – nachdem er die Stunde verfluchte, da er mich in sein Haus nahm... verlangst du da, daß ich um Gnade winseln sollte wie ein getretener Hund?«