Leni Behrendt Bestseller 51 – Liebesroman - Leni Behrendt - E-Book

Leni Behrendt Bestseller 51 – Liebesroman E-Book

Leni Behrendt

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Beschreibung

Leni Behrendt nimmt längst den Rang eines Klassikers der Gegenwart ein. Mit großem Einfühlungsvermögen charakterisiert sie Land und Leute. Über allem steht die Liebe. Leni Behrendt entwickelt Frauenschicksale, wie sie eindrucksvoller nicht gestaltet werden können. Abendfriede lag über Uthersbrünn. Den großen Gutshof, auf dem eben noch reges Leben geherrscht, hatten die Arbeiter verlassen, um in den Ställen das Vieh zu versorgen. Ab und zu klang Lachen gedämpft durch die Türen, ein Zeichen, daß man bei der Arbeit recht vergnügt war. Nun, dazu hatte man auch allen Grund; denn es arbeitete sich gut unter dem Befehl der Herrin von Uthersbrünn. Obgleich es März war, stellte sich immer noch Frost ein. Von den Dachrinnen hingen dicke Eiszapfen, die im funkelnden Licht der untergehenden Sonne wie herrliche Diamanten gleißten. Der Schnee glitzerte an manchen Stellen wie grober Zucker, und doch lag schon ein Frühlingsahnen in der Luft. Gerade als die Turmuhr des Herrenhauses zu sechs dumpftönenden Schlägen ausholte, klangen die Glocken der kleinen Schloßkapelle, die ein wenig abseits des Gutes auf einer Anhöhe stand, melodisch in das dumpfe Getön. Hellklingend läuteten sie den Abend ein. Noch waren die Töne nicht verklungen, als eine Seitentür des Hauses geöffnet wurde und ein Mädchen hinaustrat. Entzückt blieben die blauen Augen an dem rotglühenden Sonnenball haften, der durch die kahlen Äste der Parkbäume hindurchleuchtete. Gleichzeitig vernahm das Ohr die Glockenklänge, und es war dem Mäd-chen wohl kaum bewußt, daß es die Hände über der Brust faltete wie in stillem Gebet. Erst als der letzte Glockenton verhallt war, schritt die schlanke Gestalt ohne Eile den Parkweg entlang. Der Schnee knackte unter den leichten Füßen wie sprödes Glas. Der Abend-wind fuhr sacht durch die Bäume und schlug die gefrorenen Äste zusammen, daß es ein Klingen gab wie bei einer Äolsharfe, so lieblich und zart. Am Horizont loderte es wie ein Flammenmeer. Die Augen des jungen Mädchens strahlten vor Lebensfreude, der rote Mund lachte. Das Lachen wurde hörbar, als es den Mann entdeckte, der an der Parkmauer stand und mißmutig umherschaute. »Nanu, Achim, du machst ja ein Gesicht, als wäre dir die Petersilie verhagelt«, neckte sie ihn, der nun auf sie zutrat.

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Leni Behrendt Bestseller – 51 –

Noch keiner blieb von ihr verschont

Leni Behrendt

Abendfriede lag über Uthersbrünn. Den großen Gutshof, auf dem eben noch reges Leben geherrscht, hatten die Arbeiter verlassen, um in den Ställen das Vieh zu versorgen. Ab und zu klang Lachen gedämpft durch die Türen, ein Zeichen, daß man bei der Arbeit recht vergnügt war. Nun, dazu hatte man auch allen Grund; denn es arbeitete sich gut unter dem Befehl der Herrin von Uthersbrünn. Obgleich es März war, stellte sich immer noch Frost ein. Von den Dachrinnen hingen dicke Eiszapfen, die im funkelnden Licht der untergehenden Sonne wie herrliche Diamanten gleißten. Der Schnee glitzerte an manchen Stellen wie grober Zucker, und doch lag schon ein Frühlingsahnen in der Luft. Gerade als die Turmuhr des Herrenhauses zu sechs dumpftönenden Schlägen ausholte, klangen die Glocken der kleinen Schloßkapelle, die ein wenig abseits des Gutes auf einer Anhöhe stand, melodisch in das dumpfe Getön. Hellklingend läuteten sie den Abend ein. Noch waren die Töne nicht verklungen, als eine Seitentür des Hauses geöffnet wurde und ein Mädchen hinaustrat. Entzückt blieben die blauen Augen an dem rotglühenden Sonnenball haften, der durch die kahlen Äste der Parkbäume hindurchleuchtete. Gleichzeitig vernahm das Ohr die Glockenklänge, und es war dem Mäd-chen wohl kaum bewußt, daß es die Hände über der Brust faltete wie in stillem Gebet.

Erst als der letzte Glockenton verhallt war, schritt die schlanke Gestalt ohne Eile den Parkweg entlang. Der Schnee knackte unter den leichten Füßen wie sprödes Glas. Der Abend-wind fuhr sacht durch die Bäume und schlug die gefrorenen Äste zusammen, daß es ein Klingen gab wie bei einer Äolsharfe, so lieblich und zart. Am Horizont loderte es wie ein Flammenmeer.

Die Augen des jungen Mädchens strahlten vor Lebensfreude, der rote Mund lachte. Das Lachen wurde hörbar, als es den Mann entdeckte, der an der Parkmauer stand und mißmutig umherschaute.

»Nanu, Achim, du machst ja ein Gesicht, als wäre dir die Petersilie verhagelt«, neckte sie ihn, der nun auf sie zutrat.

»Du kommst recht spät, Melitta. Es ist bereits zehn Minuten über die vereinbarte Zeit«, sagte er vorwurfsvoll, worauf sie erwiderte:

»Dafür ist es ja auch ein Rendezvous, mein lieber Achim. Also gehört es sich, daß die Angebetete den Liebsten warten läßt. Mach bloß ein freundlicheres Gesicht, sonst laufe ich gleich wieder davon.«

Stürmisch wollte er sie an sein Herz ziehen, doch sie trat hastig einen Schritt zurück.

»Bitte nicht, Achim, es könnte uns jemand sehen.«

»Sei doch nicht so prüde«, mehrte sich sein Ärger. Erst einen Kuß habe ich von dir bekommen. Schließlich bist du doch meine Braut –«

»Noch nicht«, unterbrach sie ihn ruhig. »Noch trage ich nicht deinen Ring.«

»Spießig bis dort hinaus. Dazu stets rücksichtsvoll gegen andere – nur nicht gegen mich.«

»Worin soll diese Rücksichtnahme wohl bestehen?« fragte sie spöttisch. »Etwa darin, daß ich mich von dir abknutschen lasse wie das erste beste Gänschen? Das würde mich doch wohl in deinen Augen herabsetzen, nicht wahr? Außerdem würde ich dann meiner Herrin, die so großes Vertrauen in mich setzt, nicht mehr frei in die Augen schauen können.

Und nun sei friedlich, du Dummer. Schau dir mal den Sonnenuntergang an. Ist der nicht herrlich?«

»Ach was –«, brummte er verdrossen. »Den genieße ich jeden Tag. Aber nicht dich, woran mir mehr gelegen ist als an sämtlichen Naturschönheiten der Welt. Du machst dich doch wahrhaftig rar genug, ich bekomme dich kaum zu sehen. »

»Aber du siehst mich doch jeden Tag –«

»Geschäftlich, jawohl, immer im Beisein anderer. So richtig allein habe ich dich für mich wohl noch nie gehabt während unserer vierwöchigen Verlobungszeit. Immer strenge Distanz. Melitta, du hast einfach kein Blut in den Adern –«

Ironisch klang es, als sie sagte:

»Soso. Nur immer gemach, mein Lieber. Warte ab, bis wir verheiratet sind. Dann wirst du die gewünschte Zweisamkeit schon noch genießen dürfen.«

»Ich höre immer heiraten –«, lachte er ärgerlich. »Das kann noch eine gute Weile dauern. Hast du der Alten überhaupt schon nahegelegt…«

»Achim, ich verbiete dir, daß du so verächtlich von unserer Herrin sprichst«, blitzte sie ihn an. »Das hat sie doch wahrhaftig nicht um dich verdient.«

»Fehlt nur noch, daß du mir die Wohltaten einzeln aufzählst«, unterbrach er sie. Doch sie ließ sich nicht beirren, sondern sprach kühl weiter:

»Wenn du es so nennen willst – bitte. Jedenfalls steht fest, daß sie dich in ihre Dienste nahm, nachdem du nirgends unterkommen konntest.«

»Und hat sie damit etwa einen schlechten Griff gemacht, wie?«

»Gewiß nicht, Achim; denn du bist tüchtig in deiner Arbeit. Du sollst nur nicht von meinem lieben alten Fräulein so abfällig sprechen, das vertrage ich nicht.

Gestern noch hat sie zu mir gesagt, daß sie eine Wohnung für uns ausbauen lassen will. Denn eine solche ist nicht vorhanden, weil es noch nie einen verheirateten zweiten Inspektor auf Uthersbrünn gegeben hat. Uns zuliebe will sie nun die alte Regel umstoßen. Ist das nicht entgegenkommend genug?«

»Und wie lange soll das mit dem Bau dauern?« fragte er kurz.

»Wahrscheinlich bis zum Sommer, da doch erst mit den Arbeiten begonnen werden kann, wenn der Frost vorüber ist. Bis er dann fertiggestellt ist, kann es schon Juli oder August werden.

»Ja – wenn –«, meinte er skeptisch. »Es werden oft Versprechen gegeben, die hinterher nicht gehalten werden, mein Kind.«

»Aber doch nicht, wenn die Baroneß Uthersbrünn etwas verspricht«, wurde Melitta immer unwilliger. »Ich weiß gar nicht, was in letzter Zeit in dich gefahren ist. Vor vier Wochen noch schautest du so frohgemut in die Zukunft, und seit vierzehn Tagen bekommst du pessimistische Anwandlungen. Was willst du eigentlich, geht es dir hier nicht wirklich gut? Lebst sorglos…«

»Sehr sorglos –«, warf er ironisch ein. »So als zweiter Inspektor unter der Willkür einer alten, verschrobenen Jungfer, eines rauhbeinigen Verwalters und eines überheblichen ersten Inspektors. Außerdem hat der alte Rentmeister auch noch dreinzureden – da lebt es sich wahrlich sorglos, meine liebe Melitta. Und so werde ich weiterleben, bis an mein seliges Ende. Denn die Aussicht, einmal selbständig zu werden, ist gleich Null.«

»Ach, lassen wir das. Du verstehst mich eben nicht – das ist alles.«

»Da hast du recht –«, sprach das Mädchen nun langsam, dabei prüfend in sein Gesicht schauend, um dessen Mund ein verbissener Zug lag.

»Da hast du recht –«, sagte sie noch einmal. »Ich verstehe wirklich nicht, nämlich, daß du unter sooo viel Willkür zu leiden hast. Meine Ansicht ist, daß es sich kaum woanders so gut leben läßt wie in Uthersbrünn, wo die Herrin nur rechtschaffene Menschen auf ihrem Besitz duldet.«

Sie wurde durch ein Geräusch unterbrochen, das von der Parkmauer her kam. Sich umwendend, erblickte sie einen halbwüchsigen Jungen, dessen Oberkörper über die Parkmauer ragte. Die Arme fuchtelten zu Achim hin, und er schrie:

»Ich habe Sie wie eine Stecknadel gesucht, Herr Inspektor! Unser Fräulein hat mir nämlich gesagt, daß ich diesen Brief nur Ihnen persönlich abgeben soll. Passen Sie auf, ich werfe ihn zu. –

Dann soll ich noch bestellen, daß unser Fräulein große Sehnsucht nach Ihnen hat und Sie bestimmt heute abend erwartet.

Die Küsse schmecken ihr doch zu gut!« setzte er noch grinsend hinzu.

Der Brief flog durch die Luft, der Strubbelkopf verschwand, und Achim stand da wie ein ertappter Sünder.

Dann bückte er sich, hob den Brief auf, steckte ihn hastig in die Tasche und versuchte, unbekümmert zu lachen, was unter den zürnenden Augen des Mädchens jedoch ganz und gar vorbeigelang. Die Stimme klang hart, als es sagte:

»Sprich jetzt nicht, Achim. Jedes Wort von dir wäre doch nur gelogen. Ich bin auch so vollständig im Bilde, da ich in dem Jungen einen Stallburschen unseres Nachbargutes Treutzen erkannt habe.

Schöner Besitz – und die Erbtochter ein ansehnliches Mädchen, das einen mittellosen Inspektor schon reizen kann. Da läßt sich der Zwiespalt recht gut erklären, in dem du dich seit einiger Zeit befunden hast. Zwei heimliche Bräute auf einmal – alle Achtung vor so viel Chancen, Herr Inspektor Berditt.

Natürlich hältst du die fest, die dir ein Gut in die Ehe bringt und dir somit zu deiner heißersehnten Selbständigkeit verhilft. Verschwende keine schönen Worte. Denn selbst dem Begriffsstutzigsten muß ja mit einem Schlage die Erkenntnis kommen bei dem, was ich eben sah und hörte.

Ich will deinem Glück natürlich nicht im Wege stehen. So egoistisch bin ich nicht. Schließlich hat jeder Mensch das Recht, sich sein Leben so angenehm wie möglich zu gestalten – ich täte es auch. Also, mein lieber Achim, ich wünsche dir für die Zukunft viel Glück.«

Ehe der verdatterte Mann antworten konnte, ging Melitta schon rasch davon. Er sollte nicht merken, wie elend ihr zumute war, sollte die Tränen nicht sehen, die ihr über die Wangen liefen. Das ließ Melitta Harfners Stolz nicht zu. –

Hier gab es kein Drehen und Deuteln mehr, hier gab es nur einen scharfen Schnitt. Es tat zwar erbärmlich weh – aber es mußte sein!

In ihrem Zimmer ließ sie ihren Tränen freien Lauf. Die sah ja niemand – und ihr verschafften sie Erleichterung bei ihrer Pein.

Einen Traum von Glück begraben zu müssen, schafft allemal Herzweh. Zumal dann, wenn man so jung ist und so vertrauensselig gewesen war wie die einundzwanzigjährige Melitta Harfner. So ein trauriges Begebnis hinterläßt immer Wunden in Menschenherzen, die je nach Veranlagung rasch oder nur langsam vernarben oder gar ständig bluten.

Verstandesgemäß schafft so ein Begebnis Haß, Verbitterung, Mißtrauen und Zweifel an Liebe und Treue. Wie es sich bei Melitta Harfner auswirken würde, das mußte erst die Zukunft lehren. Vorläufig weinte sie wie ein Mensch, der soeben etwas Liebes zu Grabe getragen hat.

Allein, um sich lange dem Schmerzensausbruch hingeben zu können, dazu war sie nicht wehleidig genug. So trocknete sie denn die Tränen und trat an den zierlichen Schreibtisch, auf dem eine Fotografie Achim Berditts stand. Sie griff danach und schaute in das ein wenig weichliche Männerantlitz, mit den dunklen Augen, der schmalrückigen Nase, dem zu kleinen Mund mit dem kecken Bärtchen dar-über, das dunkle, peinlich gescheitelte Haar, die mittelgroße, geschmeidige Gestalt.

Alles in allem ein junger Mann von gefälligem Aussehen, wie man einem solchen oft begegnet. Aber etwas Besonderes hatte Melitta Harfner auch nie als Ehepartner beansprucht, dazu war sie viel zu bescheiden und vernünftig. Ihr Traum hatte darin gegipfelt, ein trautes Heim, einen lieben Mann und später nette Kinder zu haben. Ihre Lieben zu umsorgen und ihnen ein so behagliches Leben zu schaffen, wie es nur angehen wollte.

Doch der Mann, den sie sich als Lebenskameraden erkoren, verlangte eben mehr vom Leben. Sein Ehrgeiz strebte dahin, Herr auf eigener Scholle zu werden. Solange dazu keine Aussicht für ihn bestand, hatte er sich zu ihr herabgelassen. Aber als er die Erbtochter kennenlernte, umgarnte er die, und die mittellose Melitta war für ihn erledigt. Um es ihr frank und frei zu bekennen, dazu war er zu feige. Er versuchte lieber, sie mit Verdrießlichkeit, seiner Unzufriedenheit und seinen Launen zu verscheuchen.

Und versuchte skrupellos, mit seinem stürmischen Werben ihr Blut heiß zu machen, um sie dann später sitzen zu lassen.

»Nein –!« sagte sie hart und laut. »Nein, es ist und muß alles vorbei sein. Lieber Gott, ich danke dir, daß du mir die Erkenntnis schicktest, solange es noch nicht zu spät ist –«

Sie nahm das Bild aus dem Rahmen, las, was auf der Rückseite stand: »In ewiger, treuer Liebe – Dein Achim.« Dann riß sie es zornig mitten durch und warf die Fetzen in den brennenden Kamin.

Aus, der Traum –! Fortan würde sie sich hüten, sich noch einmal gläubig hinzugeben. Wahrscheinlich würde sie keinem Mann mehr trauen können – und das war gut so.

Da nun der Gong zum Abendessen rief, ging sie in das kleine Badezimmer, kühlte dort die verweinten Augen mit eiskaltem Wasser, zog sich rasch um, und als der zweite Gongschlag, ein Mahnruf für die Säumigen, ertönte, begab sie sich rasch nach dem Speisezimmer.

*

In dem weiten Gemach, dem die Buntglasfenster ein feierliches Gepräge gaben, fand Melitta ihre Herrin bereits vor. Eine vierundachtzigjährige Dame mit einem vornehmen Antlitz, aus dem die Augen gütig blickten. Leider war der Körper arg verwachsen, klein und zart. Ein Geburtsfehler, den auch die berühmtesten Ärzte nicht hatten ändern können.

Die Zeit, in der die Baroneß von Uthersbrünn über ihre Mißgestalt unglücklich gewesen, wo sie in tiefster Verbitterung mit ihrem Geschick gehadert, war längst vorüber. Jetzt besaß sie die Abgeklärtheit der Greisin. Er fahrungen aller Art hatten sie zu einer guten Menschenkennerin gemacht, ihr dazu verholfen, die Menschen zu nehmen, wie sie nun einmal sind. Sie wußte ja längst, daß die Erdgeborenen keine Engel sind, daß jeder wirklich seine Schwächen hatte, ob so oder so.

Nur unterwürfige, scheinheilige und berechnende Naturen waren ihr von jeher ein Greuel. Sie durften keine Nachsicht erwarten. Solche Kreaturen litt sie nicht in ihrem Bereich, sondern gab ihnen kühllächelnd den Abschied, mochten sie auch noch so sehr um Gnade winseln. Um sie her mußte alles hell, licht und wahr sein, in einer anderen Atmosphäre hätte sie einfach nicht zu leben vermocht.

Natürlich hätte die Baroneß in ihren jüngeren Jahren mehr als einmal heiraten können. Denn es gab genug Männer, die um einer glänzenden Versorgung willen noch anderes in Kauf genommen hätten als eine mißgestaltete Frau. Allein, Ka-tharina von Uthersbrünn war klug genug gewesen, alle Heiratsanträge abzuweisen. Sie wußte genau, daß eine Ehe ihr nur Enttäuschung und bitterste Demütigung bringen mußte, und gar noch, wenn die Eltern nicht mehr darüber wachen konnten, Vergeudung all ihres Hab und Guts.

So war sie ledig geblieben und lebte, von treuer Elternliebe umhegt, dahin. Schaffte sich einen Wirkungskreis, in dem sie dem Vater bei der Verwaltung seines Besitzes half, so daß sie, als dieser arbeitsame Mann hochbetagt starb und seine Gattin ihm bald darauf in die Ewigkeit folgte, sich ihres Erbes würdig zeigen konnte.

Jedenfalls gab es kaum eine bessere Landwirtin als die Herrin von Uthersbrünn, zumal sie von dem Gutsverwalter kräftig unterstützt wurde, dessen Tüchtigkeit überall bekannt war.

Mit ihren Verwandten lebte Katharina in Frieden und Eintracht, weil sie niemand von ihnen bevorzugte. Ausnutzen ließ sie sich prinzipiell nicht und war jeder Anpumperei völlig unzugänglich. Daß man ihr Geiz nachsagte, rührte sie absolut nicht. Und daß man insgeheim auf ihren Tod wartete, dafür hatte sie sogar Verständnis. Das war ja ganz natürlich bei den Menschen, denen eine Erbschaft winkte. Warum sollte es sie erbittern? Vorläufig lebte sie ja noch, fühlte sich außer- dem noch frisch und gesund.

Da Katharina es liebte, immer junges Blut um sich zu haben, hatte man ihr im Verwandtenkreis nahegelegt, ein junges Mädchen aus der Sippe zu sich zu nehmen, was sie entschieden ablehnte, weil sie dann ja doch jemand bevorzugen würde. Sie nahm lieber eine junge Gesellschafterin ins Haus, der gegenüber sie keine weiteren VerpfIichtungen hatte, als die junge Dame angemessen zu besolden und menschlich zu behandeln.

So waren denn im Laufe von zwanzig Jahren, seitdem ihre Eltern gestorben, eine Anzahl junger Mädchen um Katharina gewesen. Einige längere Zeit, bis sie sich verheirateten, die Mehrzahl jedoch nur ganz kurze Frist, weil sie der Herrin einfach nicht zusagten.

Zu denen gehörte Melitta Harfner allerdings nicht, die eigentlich als Hilfe des Rentmeisters vor drei Jahren nach Uthersbrünn gekommen war. Frisch von der Handelsschule hatte sie Glück gehabt, einen so gutbezahlten Posten zu erwischen.

Ihr Vorgesetzter war des Lobes voll über die intelligente, gewissenhafte Angestellte, worauf die Herrin diese näher in Augenschein nahm und so großen Gefallen an dem frohgemuten Menschenkind fand, daß sie es gern um sich haben mochte. Und da sie gerade ihre Gesellschafterin wegen ungebührenden Betragens hatte entlassen müssen, sprang Melitta nun für diese ein.

Wenn sie sich ihrer Herrin auch nicht ausschließlich widmen konnte, so doch immer einige Stunden am Tage. Seit einem Jahr jedoch arbeitete sie nur noch am Vormittag in der Rentmeisterei, der Nachmittag stand Katharina zur Verfügung. Seit der Zeit wohnte und aß sie auch im Herrenhaus, während die ersten beiden Jahre der Rentmeister seine Angestellte in Kost und Logis gehabt hatte.

Nach einem halben Jahr kamen dann noch zwei Menschen ins Herrenhaus: die Hausdame Fräulein Wallnitz und ein sechsjähriges Mädchen.

Erstere war die Tochter einer Freundin Katharinas, die ihre Mutter bis zu deren Tod aufopfernd gepflegt hatte und dann auf Wunsch der Baroneß nach Uthersbrünn übergesiedelt war, wo sie nun dem Hause mit Umsicht und Energie vorstand.

Sie trug ihren Namen Kriemhild mit Recht; denn sie glich mit ihrer Walkürengestalt, dem blonden Haar und dem frischen Gesicht einer Figur der alten Sage. Man sah ihr die fünfundvierzig Jahre nicht an, weil sie in ihrer heiteren Art noch recht jugendlich wirkte.

Die kleine Lorelott jedoch war die Tochter des ersten Inspektors, den der Tod von seinem geliebten Mägdlein durch einen Unglücksfall fortgeholt. Als seine Frau gleich nach der Geburt des Töchterleins starb, hatte der Mann nicht wieder geheiratet, so daß das Dirndlein nun völlig verwaist dastand. Die wenigen Verwandten konnten sich der Kleinen nicht annehmen, da sie selbst mit Kindern reich gesegnet waren.

Nun, Katharina von Uthersbrünn mochte Kinder gern, und Platz war genug in dem weiten Hause. Geld spielte keine Rolle, also nahm sie die Waise zu sich, ohne dabei viel Worte zu machen. Und da ein Kind ja bald vergißt, weinte Lorelott ihrem Papi wohl noch einige Wochen nach, beruhigte sich dann aber langsam und lebte nun ihr Kinderleben froh dahin.

Zuerst war das nicht so glatt gegangen, weil das Kind von dem Vater sehr verzogen worden war. Trotzig und aufsässig wollte es sich absolut nicht in das fügen, was von ihm verlangt wurde, bis es in Melitta seine Meisterin fand. Seitdem war es der Liebling des Hauses.

Vier Menschen waren es also, die jetzt an der Abendtafel Platz nahmen, die Herrin, Kriemhild, Melitta und Lorelott. Artig saß sie an dem runden Tisch, der im Erker des weiten Raumes stand, und aß brav das, was der servierende Diener auf den Teller legte. Nachdem die Zähmung beendet, wußte sie, wie sich ein wohlerzogenes Kind zu benehmen hat. Auch, daß sie bei Tisch nur zu sprechen hatte, wenn man das Wort an sie richtete. Dafür hörte sie aufmerksam zu, was die Erwachsenen erzählten.

Reizend sah das Dirndlein aus, mit dem molligen Figürchen, den dunklen seidigen Locken und den ebenfalls

dunklen Augen, die aus einem weichen Gesichtlein herauslachten, dem die Grübechen in den Wangen etwas Schelmisches gaben.

Nachdem das ländliche Mahl verzehrt war, richtete Katharina das Wort an das Kind.

»Nun, mein Mädchen, was haben wir denn heute getrieben, hm? Sind wir brav gewesen?«

»Sehr brav, Tante Katharina«, strahlten die Augen sie an. »Wirklich, frage nur alle.«

»Ich glaube dir ja schon«, lachte die Baroneß amüsiert. »Warst du bei deinen kleinen Freundinnen? »

»Ja. Ich spielte mit Gerlind, Ellen und Edeltraut Schule. Das war schön. Bloß die anderen können schon viel mehr als ich. Ist das nicht schade, Tante Katharina?«

»Nicht sehr, mein Herzchen. Wenn du erst zur Schule gehst, dann lernst du schon das, was in dein Köpfchen hineingeht.«

»Darf ich auch in dieselbe Schule wie meine Freundinnen? Tante Loreit meint, ich bekäme eine Hauslehrerin. Ist das wahr?«

»Das muß ich mir erst mal überlegen. Vielleicht ist es ganz gut, wenn du zuerst zur Dorfschule gehst und unter gleichaltrige Kinder kommst. Was meinst du dazu, Kriemhild?«

»Das halte ich für richtig, Tante Katharina. In der Schule wird Lorelott entschieden besser und lieber lernen als im Einzelunterricht.«

»O ja, das wäre schön!« klatschte das Kind jubelnd in die Händchen. »Bitte, liebe Tante Katharina, laß mich in die richtige Schule, ja!

Alles andere ist doch nur Firlefanz, sagt der große Bruder von Lindchen. Und der muß es doch wissen, weil er jeden Morgen mit dem Omnibus zur Stadt in die Schule fährt, wo er toll viel lernen muß.«

»Natürlich muß der Herr Sextaner das wissen«, amüsierte sich die alte Dame. »Na, wollen mal sehen, was wir am besten mit dir machen. Zuerst wirst du ins Bettchen gehen, nicht wahr?«

Gehorsam rutschte das Kind vom Stuhl, trat zur Baroneß, küßte ihr artig die Hand und wünschte gute Nacht. Dergleichen geschah bei Fräulein Wallnitz. Dann kam Melitta an die Reihe, die stürmisch umhalst wurde.

»Bringst du mich ins Bett?« bettelte der kleine Schelm schmeichelnd. »Sag nicht nein, liebe Tante Itte.«

»Ist es nicht egal, wer dich zu Bett bringt?«

»O nein, dich hab’ ich doch lieb.«

»Danke, kleine Schmeichelkatze«, lachte Melitta. Das Kind an der Hand, ging sie davon, und die zurückbleibenden Damen sahen dem ungleichen Pärchen vergnügt nach.

»Und wie ist es mit dir, Kriemhild?« fragte die alte Dame augenzwinkernd. »Soweit ich weiß, ist heute abend Rommékränzchen bei Inspektor Loreit, wobei du keinesfalls fehlen darfst. Also hopp, mein Kind –!«

»Das lasse ich mir nicht zweimal sagen«, kam es schmunzelnd zurück. »Ich gehe gern, zumal ich dich in Melittas Gesellschaft gut aufgehoben weiß.«

»Wo denkst du hin?« protestierte die Greisin augenzwinkernd. »So gebrechlich bin ich doch wirklich noch nicht in meinen besten Jahren. Oder willst du dies etwa anzweifeln?«

»I bewahre«, kam es lachend zurück. »Deinem ganzen Gebaren und deiner Gesundheit nach bist du höchstens vierzig.«

»Na also, gute Nacht, Kriemhild, gewinne!«

Nach herzlichem Händedruck gingen die Damen auseinander. Fräulein Wallnitz nach ihrem Zimmer, um sich dort zu dem Gang ins Inspektorenhaus zu rüsten, die Baroneß nach dem lauschigen Gemach, in dem sie so gern weilte. Sie nahm in einem der schweren Sessel Platz, die den Kamin umstanden. Gleich darauf trat Melitta ein.

»Da wäre ich wieder.« Sie ließ sich der Herrin gegenüber in den Sessel sinken. »Wo ist Fräulein Wallnitz?«

»Bei Loreits zum Rommékränzchen.«

»Richtig, heute ist ja Sonnabend. Und was beginnen wir?«

»Wir werden eine Flasche Wein trinken und dabei gemütlich plaudern.«

»Aber heute ist doch nicht Feiertag.«

»Für einen guten Tropfen auch nicht erforderlich«, wurde lachend erwidert. »Sagen Sie Gottfried Bescheid, daß er uns mit der köstlichen Labe versorgt.«

Kopfschüttelnd kam Melitta dem Wunsch nach. Als der alte, schwere Wein in den Gläsern funkelte, hob Katharina das ihre dem Mädchen entgegen.

»Prosit, kleine Itte. So eine Köstlichkeit hilft allemal über trübe Stunden hinweg.«

»Aber Baroneß, wer sagt Ihnen, daß ich Kummer habe?« fragte Melitta erschrocken.

»Ihre verweinten Augen, mein Kind. Nun mal gebeichtet, wo zwickt es am Herzchen? Sind etwa Ihre Lieben nicht wohlauf?«

»Doch zu Hause ist alles in Ordnung –«

»Aber?« forschte die alte Dame, als das Mädchen verlegen schwieg. »Dann kann es doch nur ein Geplänkel zwischen Ihnen und dem Liebsten gegeben haben, stimmt’s?«

»Liebsten –?!« fuhr Melitta erbittert auf. »Seit einigen Stunden ist er es nicht mehr.«

»Also doch –«, atmete Ka-tharina auf. »Sind Sie nun endlich dahintergekommen, daß Herr Berditt seit ungefähr zwei Wochen Wege geht, die nicht zu Ihnen führen? Sehen Sie mich nicht so entsetzt an. Von Ihrer heimlichen Verlobung weiß nur ich allein. Und da Sie mir lieb sind, mein Kind, habe ich dem Herrn ein wenig nachgespürt. Wollen Sie mir Näheres erzählen?«

Stockend berichtete Melitta von dem, was sie heute erlebte. An der schwankenden Stimme merkte die alte Dame, wie nahe es dem Mädchen ging.

»Ja, kleine Itte, das ist nun einmal der Lauf der Welt«, seufzte sie bekümmert. »Herr Berditt ist da gar nicht so sehr zu verurteilen. Er versucht eben, sein Leben so angenehm wie möglich zu gestalten. Wenn er Sie geheiratet hätte, wäre er ewig Inspektor geblieben und unzufrieden mit seinem Los, weil er sehr ehrgeizig ist. Es wäre für Sie gewiß kein leichtes Leben an seiner Seite geworden. Daher seien Sie Ihrem Geschick dankbar, daß es Ihnen jetzt schon die Enttäuschung gebracht, aber Sie werden schon damit fertig

Ich weiß, es tut weh, mein Kind. In Ihrer Brust schlägt aber ein tapferes Herz, Melitta, in dem die Wunde bald vernarben wird, die jetzt blutet. Dazu haben Sie Stolz genug, einem Mann nicht nachzuweinen, der keine Träne wert ist. Sicherlich finden Sie noch einen anderen.«

»Bitte nicht –«, wehrte Melitta hastig ab. »Nach dieser Enttäuschung kann ich keinem Mann mehr glauben noch vertrauen. An dem Treuebruch werde ich wohl ewig zu tragen haben.«

»Gott verhüt’s, mein Mädchen. Die Jugend ist rasch dabei, das Kind mit dem Bade auszuschütten. Es gibt ja auch Männer von anderer Art. Außerdem halte ich es noch lange nicht für Liebe, was Sie zu dem Inspektor zog, sondern nur für eine kleine Liebelei. Dieses heiße, allmächtige Gefühl steht Ihnen noch bevor. Denken Sie an meine Worte, wenn es soweit sein sollte. Im Moment ist es wichtiger, zu überlegen, was Sie jetzt beginnen werden. Wollen Sie am Ende Uthersbrünn und somit mich verlassen?«