Keine Rose ohne Dornen - Leni Behrendt - E-Book

Keine Rose ohne Dornen E-Book

Leni Behrendt

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Beschreibung

Leni Behrendt nimmt längst den Rang eines Klassikers der Gegenwart ein. Mit großem Einfühlungsvermögen charakterisiert sie Land und Leute. Über allem steht die Liebe. Leni Behrendt entwickelt Frauenschicksale, wie sie eindrucksvoller nicht gestaltet werden können. Ein warmer heller Frühlingstag. Der kleine Garten, der zu dem Schlößchen gehörte, prangte und leuchtete in herrlichster Blütenpracht. In verschwenderischer Fülle hingen die Fliederdolden schwer an den strauchartigen Bäumchen. Einige Zweige standen auch in der Vase mitten auf dem reizvoll arrangierten Kaffeetisch, der bei diesem sonnigen Wetter seinen Platz auf der Terrasse des Schlößchens hatte. Die Besitzerin aller dieser Herrlichkeiten paßte sehr gut in das leuchtende Blühen dieses Frühlingstages, diese weißgekleidete schlanke Gestalt mit dem kupferfarbenen Lockenhaar und der Haut wie Milch und Blut. Diese Frau war immerhin achtunddreißig Jahre alt, aber niemand würde es ihr geglaubt haben, wenn sie ihr Alter verraten hätte. Man hielt sie bestimmt für zehn Jahre jünger und fand ihren Gatten viel zu alt für sie, der mit seiner hohen vornehmen Gestalt, dem vollen schneeweißen Haar und den klugen, gütigen Augen wie ein Grand­seigneur der alten Schule aussah. Eigentlich hätte seine Schwester, die Gräfin Rödering, die ihm in dem bequemen Rohrsessel gegenübersaß, diese gütigen Augen haben müssen, sie hätten zu der Dreiundfünfzigjährigen besser gepaßt. Doch diese hatte nichts Gütiges in ihren kalten graublauen Augen. Ihre ganze Erscheinung strömte eine so stolze Unnahbarkeit aus, daß man ihr überall und zu jeder Zeit größte Ehrerbietung entgegenbrachte, ihr sonst aber möglichst aus dem Weg ging. Und ihr Sohn, der gleichfalls mit an dem Tisch saß, war ihr nur zu ähnlich. Wenigstens was Stolz, Unnahbarkeit und Gelassenheit anbetraf. O ja, schön war er schon, der Graf Eckehard Rödering, Herr und Gebieter der großen Herrschaft Rautenbruch. Die stolzen, harten Züge, die kalten, durchdringenden Grauaugen und diese hohe aristokratische Gestalt gab es so nicht zum zweiten Male. Nun reichte er seiner Tante – o ja, die schöne, bezaubernde Frau war seine Tante, die Tasse zum Füllen hin. »Gnädigste Tante, kredenze mir noch einen so wunderbaren Trank, den du wie eine Zauberin zu brauen verstehst.« Sie nahm die Tasse entgegen und drohte ihm lachend. »Der alte Schwerenöter bist du geblieben, Eckehard – obgleich du dich sonst in den zehn Jahren sehr verändert hast.« Sie sah ihm in das rassige Gesicht, über das ein merkwürdiges Lächeln huschte. »So, meinst du?«

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Leni Behrendt Bestseller – 52 –

Keine Rose ohne Dornen

Leni Behrendt

Ein warmer heller Frühlingstag. Der kleine Garten, der zu dem Schlößchen gehörte, prangte und leuchtete in herrlichster Blütenpracht. In verschwenderischer Fülle hingen die Fliederdolden schwer an den strauchartigen Bäumchen. Einige Zweige standen auch in der Vase mitten auf dem reizvoll arrangierten Kaffeetisch, der bei diesem sonnigen Wetter seinen Platz auf der Terrasse des Schlößchens hatte.

Die Besitzerin aller dieser Herrlichkeiten paßte sehr gut in das leuchtende Blühen dieses Frühlingstages, diese weißgekleidete schlanke Gestalt mit dem kupferfarbenen Lockenhaar und der Haut wie Milch und Blut.

Diese Frau war immerhin achtunddreißig Jahre alt, aber niemand würde es ihr geglaubt haben, wenn sie ihr Alter verraten hätte. Man hielt sie bestimmt für zehn Jahre jünger und fand ihren Gatten viel zu alt für sie, der mit seiner hohen vornehmen Gestalt, dem vollen schneeweißen Haar und den klugen, gütigen Augen wie ein Grand­seigneur der alten Schule aussah.

Eigentlich hätte seine Schwester, die Gräfin Rödering, die ihm in dem bequemen Rohrsessel gegenübersaß, diese gütigen Augen haben müssen, sie hätten zu der Dreiundfünfzigjährigen besser gepaßt. Doch diese hatte nichts Gütiges in ihren kalten graublauen Augen. Ihre ganze Erscheinung strömte eine so stolze Unnahbarkeit aus, daß man ihr überall und zu jeder Zeit größte Ehrerbietung entgegenbrachte, ihr sonst aber möglichst aus dem Weg ging.

Und ihr Sohn, der gleichfalls mit an dem Tisch saß, war ihr nur zu ähnlich. Wenigstens was Stolz, Unnahbarkeit und Gelassenheit anbetraf.

O ja, schön war er schon, der Graf Eckehard Rödering, Herr und Gebieter der großen Herrschaft Rautenbruch. Die stolzen, harten Züge, die kalten, durchdringenden Grauaugen und diese hohe aristokratische Gestalt gab es so nicht zum zweiten Male.

Nun reichte er seiner Tante – o ja, die schöne, bezaubernde Frau war seine Tante, die Tasse zum Füllen hin.

»Gnädigste Tante, kredenze mir noch einen so wunderbaren Trank, den du wie eine Zauberin zu brauen verstehst.«

Sie nahm die Tasse entgegen und drohte ihm lachend.

»Der alte Schwerenöter bist du geblieben, Eckehard – obgleich du dich sonst in den zehn Jahren sehr verändert hast.«

Sie sah ihm in das rassige Gesicht, über das ein merkwürdiges Lächeln huschte.

»So, meinst du?« entgegnete er leichthin.

»Nun, gewiß, zehn Jahre sind eine lange Zeit, und sie haben aus einem jungen törichten Knaben einen Mann gemacht.«

Frau von Eggrin erblaßte – und es war doch wirklich keine Veranlassung dazu vorhanden.

Graf Rödering merkte es auch wohl kaum, er trank seinen Kaffee mit großem Behagen und hörte interessiert auf eine Erzählung, die sein Onkel mit Humor zum besten gab. Doch während dieser Erzählung schaute Oberst von Eggrin immer wieder nach seiner Armbanduhr. Seine Gattin sah es und lächelte spöttisch.

»Die Zeit wird dadurch nicht kürzer, lieber Adalbert, wenn du auch noch so sehr nach deiner Uhr schaust – darum kommt dein vergötterter Liebling doch nicht früher.«

Dem Gatten lag eine heftige Entgegnung auf der Zunge, doch er unterdrückte sie. Hatte ihn seine zehnjährige Ehe doch gelehrt, daß er seine Frau in allen Dingen gewähren lassen mußte, wenn er nicht häßlichen, zermürbenden Streit heraufbeschwören wollte. Und seine Gattin hatte eine Antwort wohl auch kaum erwartet, denn sie sprach schon wieder weiter.

»Heide-Rose kommt nämlich heute, und dieser närrische Mensch freut sich darüber wie ein kleines Kind.«

Diese Neuigkeit schien die beiden Gäste nicht sonderlich zu interessieren. Gräfin Magda kannte den angekündigten Besuch nur flüchtig, und Graf Rödering kannte das junge Mädchen überhaupt noch nicht.

»Heide-Rose – welch einen poetischen Namen die Kleine hat! Soviel ich weiß, ist sie deine Nichte, Tante Leonie?«

Sie ärgerte sich immer, wenn er sie Tante nannte. Doch sie beherrschte sich.

Fünf Jahre war sie älter als er, lächerlich!

Ihre Antwort fiel nicht sehr gnädig aus.

»Leider ist sie meine Nichte«, bemerkte sie ziemlich herzlos. »Mein Bruder hätte auch etwas Besseres tun können, als mich

zur Schützerin dieses schwer zu erziehenden, unzugänglichen Kindes zu machen! Na, Gott sei Dank konnte ich das Amt vor zwei Jahren niederlegen, das Mädel ist nun bereits dreiundzwanzig Jahre alt.«

»Also im besten Heiratsalter«, meinte der Graf. »Ist sie passabel?«

»Das weiß ich nicht«, antwortete sie kurz, »ich habe sie seit fünf Jahren nicht gesehen. Nach dem Tod meines Bruders kam sie zu uns, dreizehnjährig, schlaksig, in den schönsten Flegeljahren. Mit achtzehn Jahren kam sie in ein Pensionat – was ja viel früher hätte geschehen müssen, doch der vernarrte Onkel konnte sich von seinem Herzensliebling nicht trennen – und mit zwanzig Jahren begleitete sie eine Familie nach England, bei der sie bis jetzt geblieben ist. Wohl als Gesellschafterin der jungen Lady, die sie im Pensionat kennengelernt und mit der sie Freundschaft geschlossen hatte.

Nun hat die Lady vermutlich geheiratet, und sie hat ihre Stellung verloren. Was jetzt weiter mit ihr geschehen soll, mag der Himmel wissen.«

»Zuerst wird sie mal eine Weile bei uns bleiben«, ließ sich die ruhige Stimme des Gatten vernehmen. »Ich meine, etwas mehr Interesse und Sympathie könntest du dem einzigen Kind deines Bruders schon entgegenbringen.«

»Nun, die bringst du ihr doch schon gerade genug entgegen«, meinte sie mit einem hämischen Lächeln. »Du hast die Göre ja unglaublich verwöhnt, sie wäre sonst nicht so unleidlich geworden.«

»Was du unleidlich nennst, war Eigenart, mein liebes Kind«, entgegnete der Gatte gelassen. »Deine Härte hat das arme elternlose Kind in die Fremde hinausgejagt, wo sie hier hätte eine Heimat finden können. Hoffentlich läßt du nun ein wenig menschliches Gefühl aufkommen, und kommst dem armen Kind endlich freundlich entgegen.«

Herr von Eggrin hatte etwas so Unerbittliches in seinen sonst so gütigen Augen, daß seine Schwester ihn ganz erstaunt ansah.

Die schöne Leonie war einfach starr. Es war noch nie vorgekommen, daß der Gatte sie im Beisein anderer gemaßregelt hatte.

Eine solche Wut tobte in ihr, daß sie erblaßte. Dieses Erblassen faßte die Gräfin Rödering falsch auf, und die Schwägerin tat ihr leid. Sie war eine der vielen kalten Naturen, die für Liebe und Schmeicheleien sehr empfänglich sind, ohne selbst Wärme spenden zu können.

»Adalbert, was fällt dir ein, wie kannst du Leonie zumuten, daß sie für eine so verstockte, verzogene Göre Liebe aufbringen soll? Ich habe die Kleine als einen ruppigen Backfisch in Erinnerung, der jeden Menschen zurückstieß, der sich ihm nur nähern wollte. Ich finde darum den Namen Heide-Rose so unpassend wie möglich für sie.«

Graf Rödering, der dem Wortgefecht mit größtem Ergötzen gefolgt war, lachte laut auf.

»Aber, liebste Mutter, nach deiner Schilderung zu schließen, paßt der Name ausgezeichnet zu der Kleinen. Heiderosen haben Stacheln. Du weißt doch – frei nach Goethe: Röslein wehrte sich und stach.«

»Du bist ein unverbesserlicher Schlingel«, sagte sie mit kur­zem Lachen. »Aber Scherz beiseite, das Kind wird doch noch einen anderen Namen haben, nicht wahr, liebste Leonie?«

»Gewiß, sie heißt Adelheid Rosalie, nach zwei Erbtanten. Doch mein Bruder nannte sie nie anders als Heide-Rose«, entgegnete sie kurz und ließ durchblicken, daß ihr das Thema unerwünscht war. Doch Graf Rödering kehrte sich nicht daran.

»Na also – wenn der kleine Balg so ruppig ist, dann nennen wir ihn Adi oder Rosa«, riet er amüsiert.

Gräfin Rödering und ihr Bruder lachten, doch die schöne Leonie nicht.

Sie hatte ihren Ärger noch nicht überwunden.

Dieser verlor sich erst, als sich der Gatte entschuldigte und zurückzog, weil er nach dem Bahnhof wollte, um die Nichte abzuholen. Da stellte sich die strahlende Liebenswürdigkeit der schönen Leonie wieder ein.

Graf Rödering lehnte behaglich in seinem Sessel und betrachtete mit Muße und Ergötzen, wie die verführerische Leonie seiner Mutter gegenüber ihren ganzen Charme entfaltete.

Die zehn Jahre, die aus dem strahlenden, stürmischen Grafen Eckehard Rödering einen arroganten, skeptischen Weltmann gemacht hatten, waren an dieser Frau spurlos vorübergegangen. Sie war noch genauso schön, genauso bezaubernd, nur daß Graf Eckehard sie nach diesen zehn Jahren mit ganz anderen Augen betrachtete als ehedem. Mit den prüfenden, wägenden Augen des guten Menschenkenners, statt mit den heißen, glückstrunkenen eines jungen, dreiundzwanzigjährigen Knaben, der die große Liebe noch nicht kennt und sie sehr leicht mit einer nervenaufpeitschenden Leidenschaft verwechselt.

Die sogenannten Erfahrungen hatten aus dem vertrauenden, gläubigen Jüngling das gemacht, was er heute war. Zehn Jahre lang war er immer nur auf kurze Zeit zu Hause gewesen, hatte zuerst das Landwirtschaftsfach gründlich studiert und war dann gereist.

Seine Güter wußte er bei seinem tüchtigen Verwalter viel besser aufgehoben, als wenn er sich damit befaßt hätte.

In den kurzen Wochen, die er während der zehn Jahre in Rautenbruch geweilt, hatte er das Haus seines Onkels gemieden, hatte seine schöne Tante Leonie nicht ein einziges Mal wiedergesehen.

Vor sechs Wochen war er nun wieder nach Hause zurückgekehrt, und da hatte ihm sein Verwalter klipp und klar erklärt, daß er das Risiko ablehne, in dieser schwierigen Zeit allein zu wirtschaften. Der Graf hatte ihn zuerst ausgelacht, dann aber doch eingesehen, daß er schließlich nicht immer ein Weltenbummlerleben führen könne und endlich seßhaft werden müsse.

Er versprach jedoch dem biederen Verwalter zunächst noch nichts, sondern besuchte erst einmal seinen Onkel, der sich über seinen Besuch herzlich freute.

Und als er dann nach zehn Jahren der schönen Leonie wieder gegenüberstand, da begriff er nicht mehr, daß er sie so lange gemieden, sich ihretwegen so lange in der Weltgeschichte herumgetrieben hatte.

Schön war die Frau immer noch, von geradezu aufreizender Schönheit. Doch ihm – nein, ihm konnte sie nicht mehr gefährlich werden.

Es begann ein reger Verkehr zwischen Rautenbruch und dem Schlößchen. Und wie schon so oft in den letzten sechs Wochen saß er lässig in seinem Sessel, rauchte eine Zigarette und beobachtete mit größtem Ergötzen, wie Leonie ihren ganzen Zauber entfaltete, um seine Mutter zu bestricken.

*

Nicht jede Hausfrau besitzt die Gabe, ihre Gäste fesselnd zu unterhalten. Doch die schöne Leonie – oh, welche Gabe hätte die wohl nicht besessen!

So sahen sie alle drei ganz erstaunt auf, als der Oberst wiederum die Terrasse betrat.

»Nun habe ich mein Mädchen endlich hier«, berichtete er vergnügt. »Sie schüttelt nur den Reisestaub ab und wird dann erscheinen.«

»Wie ist sie, wie sieht sie aus – hat sie sich verändert?«

Hastig und überstürzt stellte Leonie diese Fragen, indem sie den Gatten mit einem Blick ansah, in dem die Neugierde brannte.

»Verändert hat sich Heide-Rose allerdings, das ist bei einem jungen Menschen ja kaum anders möglich«, beantwortete er endlich die Fragen der Gattin. »Doch wie sie aussieht, diese Frage ist schwer zu beantworten, unser beider Geschmack ist sehr verschieden. Doch urteile bitte selbst.«

Er zeigte mit einer Handbewegung, die viel Spöttisches in sich barg, nach der Tür, in deren Rahmen Heide-Rose soeben erschien.

Heide-Rose näherte sich der Tante, ruhig, gelassen. Tadellos war die Bewegung, mit der sie sich über Frau von Eggrins Hand beugte, die ihr zum Kuß gereicht wurde.

»Guten Tag, Tante Leonie, hoffentlich komme ich dir nicht gar zu ungelegen«, sagte sie in einem höflichen Ton, der jedoch keine Spur von Herzlichkeit in sich barg.

»Wenn du mit einer solchen Voraussetzung herkommst, dann ist alles gleich von vornherein halb verdorben«, lautete die Entgegnung. Frau Leonie ließ sich herab, einen flüchtigen Kuß auf die Stirn des jungen Mädchens zu drücken, sie war mit einem Male froh, gutgelaunt.

»Geh, mach dein Knickschen, Heide-Röslein«, sagte sie gnädig und schob das junge Mädchen den Gästen zu.

O ja, die schöne Leonie war froh. Sie hatte gefürchtet, Heide-Rose könnte sich zu einer Schönheit entwickelt haben. Und das war ihr, Leonie, einfach unerträglich gewesen.

Frau von Eggrin hatte eine ganz andere Auffassung von Schönheit. Sie bestand für sie in Reizen, die stark ins Auge fielen. Davon besaß Heide-Rose allerdings so gut wie nichts. Ihre Schönheit bestand in einer betörenden Reinheit und Süße. Die mittelgroße Gestalt war rassig, das süße Gesichtchen, um das sich schimmerndes Lockenhaar schmiegte, war ungemein fein geschnitten. Über der ganzen Erscheinung lag ein unbeschreiblicher Hauch von Vornehmheit.

Bestand eine Ähnlichkeit zwischen Tante und Nichte?

Nein, keine Spur von Ähnlichkeit. Nur sah man Frau von Eggrin auf einmal ihre achtunddreißig Jahre an, als sie so neben diesem jungen reinen Geschöpf stand, an dessen Lieblichkeit nichts gekünstelt war, was man von der Schönheit Frau von Eggrins beim besten Willen nicht behaupten konnte.

Heide-Rose merkte nicht, daß ihr in der Gräfin Rödering soeben eine nicht zu unterschätzende Gegnerin erwachsen war. In ihrer kühlen, gelassenen Art reichte sie dem Grafen Eckehard die Hand, die er an die Lippen zog. Er lächelte, und sein Blick gab zu erkennen, daß er nie einem Flirt abgeneigt sei. Doch unter dem Blick dieser Augen mit ihrem tiefen, weichen Blau wurde der seine unsicher.

Er wandte ihn auch sofort zur Seite und mußte daran denken, daß er in seinem bewegten Leben noch nie so einem ernsten Unschuldsblick begegnet war.

Nachdenklich suchte er seinen bequemen Sitz wieder auf, da Heide-Rose bereits an des Onkels Seite Platz genommen hatte. Sie lächelte ihn an mit dem süßen, weichen Lächeln, das immer einen Aufruhr des Entzückens in dem Herzen des Mannes auslöste, der dieses Mädchen wie ein Vater liebte.

Warum?

Er hatte ihre Mutter geliebt. Und Heide-Rose glich ihrer verstorbenen Mutter ganz und gar.

Frau von Gröwes Tod hatte über ihren treuen Verehrer großes Leid gebracht. Sein vereinsamtes Herz sehnte sich in dieser Zeit der Trauer doppelt nach Mitgefühl und Liebe. Deshalb erlag er wohl auch so schnell den Verführungskünsten der schönen Leonie.

Doch bald mußte er erkennen, wie sehr er sich geirrt hatte. Als nach dem Tod ihres Vaters die kleine, nun völlig verwaiste Heide-Rose in sein Haus kam, klammerte er sich mit leidenschaftlicher Liebe an das Kind.

Jedoch die Tante begann es von Stund an zu hassen, weil sie ihm die Liebe des Gatten nicht gönnte. Nicht deshalb, weil sie eifersüchtig war – oh, ihr Gatte war ihr ja vollkommen gleichgültig! Aber schon der Gedanke, von einem Menschen in den Hintergrund gedrängt zu werden, nicht überall die Hauptperson zu sein, machte sie rasend. Sie quälte und peinigte das Kind fünf Jahre hindurch.

Es kostete Frau Leonie Mühe, jetzt Haltung zu bewahren. Sie hätte am liebsten gerast und getobt, allein die Anwesenheit der Gäste zwang sie dazu, sich zusammenzunehmen.

*

Und wirklich – kaum war das Auto mit den Gästen fort, als die schöne Frau Leonie auch schon mit der Abrechnung begann. O nein, schön war sie jetzt bestimmt nicht mehr, als sie, toll und blind vor Wut, dem Gatten ihre Schmähungen ins Gesicht schrie.

Sehr gelassen ergriff der Oberst den Arm seiner Nichte und zog sie in sein Arbeitszimmer. Das war sein Reich, und der Zutritt der Gattin aufs energischste untersagt. Seelenruhig schlug er ihr, die ihm schimpfend gefolgt war, die Tür vor der Nase zu und drehte innen den Schlüssel um.

So trat sie den Rückzug an, schmetterte die Türen ins Schloß, daß alles nur so zitterte, und warf sich in ihrem Zimmer auf den Diwan.

Unterdessen saß Herr von Eggrin in seinem Zimmer der Nichte gegenüber, der dieser Vorgang die Sprache geraubt zu haben schien. Der Onkel merkte es und lachte.

»Nur nicht so ängstlich, mein Kleines! Deine Tante mußt du doch kennen!«

Sie seufzte tief auf und zitterte.

»Oh, Onkel Adi – ich glaube, es ist viel schlimmer mit ihr geworden!«

»Wohl kaum, mein Kind«, war die gelassene Erwiderung, »du bist nur nicht mehr an derartige Szenen gewöhnt. Doch du magst recht haben – vielleicht ist es tatsächlich schlimmer geworden. Ich kann es nicht so beurteilen, weil derartige Szenen hier zur Tagesordnung gehören.«

Heide-Rose ging zum Onkel und schmiegte ihre weiche Wange an die seine.

»Armer, lieber Onkel Adi, du tust mir furchtbar leid«, sagte sie leise. Seine Hand fuhr beruhigend über das blonde Köpfchen.

*

»Wenn das da drinnen einmal explodierte!« sagte Graf Rödering eines Tages lachend zu seiner Mutter, mit der er von einem Besuch aus dem Schlößchen nach Hause zurückkehrte.

»Du bist ein unverbesserlicher Spötter, der selbst die traurigsten Dinge nicht ernst nimmt, mein Junge«, sagte die Gräfin ärgerlich. »Ich kann dein Vergnügen an den trostlosen Zuständen im Schlößchen durchaus nicht teilen. Ich finde das Benehmen Onkel Adalberts seiner Gattin gegenüber einfach skandalös. Versetze dich doch mal in Leonis Lage. Sie wird als Herrin einfach ausgeschaltet. Herz und Haus des Gatten regiert dieses junge Kind mit seinem hochmütigen Getue.«

»Um so mehr Grund zum Nachdenken, was den gütigen, rücksichtsvollen Onkel dazu gebracht hat, so zu handeln. Er ist eben das Opfer einer ganz gefährlichen Circe geworden und wehrt sich nun seiner Haut – Selbsterhaltungstrieb, liebste Mutter!«

Die Gräfin sagte gar nichts mehr, sondern zuckte nur die Achseln mit verachtungsvoller Gebärde. Mutter und Sohn legten den Rest der Fahrt schweigend zurück, und es dauerte einige Tage, bis die Gräfin wieder den gewohnten Ton ihrem Sohn gegenüber finden konnte.

*

Einen Sommer lang genoß Adalbert von Eggrin das Glück, Heide-Rose um sich zu haben. Dann raffte ihn eine schwere Lungenentzündung in wenigen Tagen dahin.

Sein plötzlicher Tod erschütterte die Verwandten und viele Menschen, die ihn gekannt hatten, tief. Doch am tiefsten traf er wohl die arme Waise.

Bis zu seinem letzten Atemzug hatte sie ihn gepflegt und betreut, hatte sich dabei tapfer gehalten, obgleich sich ihr Herz in tausend Ängsten und Nöten wand.

Und sie mußte sich doch wieder aufraffen! Denn die trostlose Arbeit, die ein Todesfall mit sich bringt, ruhte in der Hauptsache auf ihren Schultern, obgleich Graf Rödering ihr eine gute Stütze dabei war.

Die schöne Frau Leonie jedoch war abwesend gewesen, als der Gatte starb, sie war zur Nervenstärkung in irgendein Bad gefahren. Auf das dringende Telegramm hin, in dem Heide-Rose ihr die gefährliche, unheimliche Erkrankung des Gatten mitgeteilt hatte, war sie nicht gekommen. Erst auf das zweite Telegramm hin, das ihr den Tod des Gatten mitteilte, hatte sie sich zur Heimreise bequemt. Und dann hatte sie wirklich keine Zeit, sich um den Toten zu kümmern. Sie mußte Schneider- und Putzatelier in Aufruhr versetzen und deren Inhaberin zur Verzweiflung bringen.

Aber das hatte sich wenigstens gelohnt, denn am Begräbnistag stand sie da, schön und rührend anzusehen in ihrem düsteren, eleganten Trauergewand, mit dem langen, wallenden Witwenschleier.

Sie empfing die zahlreichen Gäste mit tränenverdunkelten Augen und bebenden Lippen, die kaum die Worte zu formen vermochten, die sie als Dank für die Beileidsbezeugungen stammeln mußte.

Und diese Gelegenheit benutzte Heide-Rose, um noch einmal ganz allein Abschied von dem Toten zu nehmen, den sie wie einen Vater geliebt hatte. Geschüttelt vor Schmerz kniete sie neben dem Sarg, der unter den Blumen fast verschwand.

Das Köpfchen fiel schwer auf den Rand des Sarges. Ein heftiges, verzweifeltes Weinen durchbebte den zarten Körper. Fassungslos vor Schmerz, wie sie war, bemerkte Heide-Rose nicht den Grafen Rödering, der gleich nach ihr das Totenzimmer betreten hatte und auf der Schwelle stehengeblieben war.

Einen Augenblick zögerte er, ob er nähertreten sollte. Auch ihn hatte es nach dem stillen Zimmer getrieben, um noch einmal allein von dem verehrten Toten Abschied zu nehmen. Doch er tat es nun nicht, entfernte sich leise und ging zu den anderen Gästen, die sich um die trauernde Witwe scharten.

Adalbert von Eggrin hatte die Stelle bestimmt, wo er begraben sein wollte. Daß es gerade dort war, wo auch der Oberförster von Gröwe mit seiner Gattin ruhte, das war wohl ein Zufall.

So wanderte der lange düstere Trauerzug den guterhaltenen Weg entlang.

Heide-Rose folgte als letzte, hielt sich auch abseits, als die Trauergäste an der offenen Gruft standen. Die wenigsten der hier Versammelten kannten das Mädchen mit dem unbeweglichen weißen Antlitz und der Gelassenheit, die fast an Gleichgültigkeit grenzte. Sie war ja keine Verwandte des Verstorbenen, folglich mußte sie sich im Hintergrund halten. Außerdem war sie ein unscheinbares Mädchen, das man aus Mitleid in dem Haus geduldet hatte, war die Tochter des Oberförsters Gröwe, der im Dienst des Grafen Rödering gestanden hatte. Seine Schwester, die trauernde Witwe, hatte mit der Heirat ein großes Glück gemacht, als sie die Gattin des feudalen Eggrin wurde. Nun ja, sie hatte es dem gütigen Gatten ja auch immer zu danken gewußt, daß er sie zu dieser glänzenden Stellung erhoben hatte.

Diese wenigen Kundigen hatten Mitleid mit dem armen blassen Kind, das nun abermals heimatlos geworden war. Sie ahnten wohl, daß diese ruhige Gelassenheit nicht echt war, daß diese Haltung mit stärkster Willenskraft aufrechterhalten wurde.

Immer wieder gingen Graf Röderings Blicke zwischen Leonie und Heide-Rose hin und her. O ja, die trauernde Witwe bot ein ungemein rührendes Bild, wie sie so dastand, von zwei Verwandten ihres verstorbenen Gatten gestützt. Graf Rödering aber zweifelte an der Echtheit dieser Tränen. Ihr lag sicherlich viel daran, bei den Verwandten des Verstorbenen Eindruck zu machen.

Der wenig bemittelte Adalbert Eggrin hatte nämlich als Zuschuß aus der Familienkasse der Eggrin eine monatliche Rente bezogen, die nach seinem Tod natürlich wegfiel. Die schöne Leonie wußte sehr wohl, daß der Nachlaß des Gatten kein besonders reichlicher sein könnte – und sie liebte doch das Geld so sehr! Die Herren der Verwandtschaft machten alle einen höchst distinguierten Eindruck. Besonders der junge Fürst Alsen-Eggrin, ein Neffe des Heimgegangenen, sah ungemein vornehm aus. Er war es auch, der die zitternde Witwe stützte. Und sie schmiegte sich dicht an ihn.

Immer spöttischer wurden des Grafen Röderings Blicke, sobald er die Gestalt Leonies streifte. Wahrscheinlich würde sie, wenn der Augenblick der Trauerfeier kam und die Erdschollen auf den Sarg polterten, in Ohnmacht fallen, das erhöhte den gu­ten Eindruck und zeugte von zartem Gemüt.

Doch nein, er irrte sich. Wohl entrang sich ein lauter, schluchzender, herzerschütternder Ton der schwarzumrandeten Brust, aber Leonie blieb aufrecht.

Dafür sank eine andere in sich zusammen, von der man es angesichts ihrer Gelassenheit am wenigsten vermutet hätte: Heide-Rose.

Graf Rödering bemerkte es sofort. Leise und unauffällig näherte er sich der Ohnmächtigen, hob sie auf die Arme und eilte mit ihr dem Schlößchen zu.

Bei dem Zwischenfall hatte nur für Augenblicke die erhebende Trauerrede des Pfarrers gestockt, und so war er nur von wenigen bemerkt worden. Doch zu diesen gehörte auch Leonie. Ihre Augen unter dem Schleier starrten dem Grafen nach, der das ohnmächtige Mädchen davontrug.

Im Schlößchen öffnete ihnen der alte Diener Franz, der seinem nun verstorbenen Herrn mit viel Ergebenheit und Treue gedient hatte. Er kannte den Grafen Rödering schon seit dessen Kindheit und hatte manchen Streich des übermütigen Knaben vertuschen helfen, damit er nicht zu Ohren der gestrengen Frau Mutter käme.

Als der alte Franz den Grafen mit der Ohnmächtigen in den Armen sah, schrak er heftig zusammen.

»Herr Graf – was ist?« stammelte er.

»Nur eine Ohnmacht, mein Alter, beunruhige dich nicht. Kann ich sie irgendwo niederlegen, wo sie vor jeder Belästigung sicher ist?«

Der Alte nickte stumm und eilte ihm voran nach Heide-Roses Zimmer. Dort legte der Graf die Bewußtlose auf den Diwan und bat Franz, einen stärkenden Wein zu besorgen. Der Alte enteilte. Der Graf stand nun ratlos da, wagte nicht, Heide-Rose das Kleid zu öffnen.

Das tat dann Franz, der sehr schnell mit einer Flasche und einem Glas erschien. Er flößte Heide-Rose etwas von dem Wein ein, und bald schlug sie die Augen auf. Sekundenlang starrte sie dem Diener, der sich besorgt über sie beugte, in das traurige Gesicht – und besann sich dann auf ihren ganz trostlosen Jammer.

»Ach, Franz!« schluchzte sie auf. »Sag, was soll ich ohne den Onkel anfangen?«

Der treue Diener, der Heide-Rose schon als Kind in sein Herz geschlossen hatte, nickte trübe. Trost konnte er der Ärmsten nicht geben, war er doch selbst trostlos genug, da der Tod seines Herrn ihn nunmehr brotlos gemacht hatte. Er streichelte nur immer wieder das Köpfchen des jungen Mädchens mit zitternden Händen.

Unter diesem sanften Streicheln löste sich allmählich der Schmerz in Heide-Roses Brust. Die tiefe Erschöpfung, die sie in den letzten aufregenden Tage nicht hatte beachten können, machte sich jetzt geltend und packte sie gewaltig. Langsam schlief sie ein. Diesen Schlaf hatte Franz ihr gewünscht, und befriedigt hüllte er die schlanke Gestalt in eine weiche Decke. Der Graf, der bisher schweigend am Fenster gelehnt hatte, begab sich in das Nebenzimmer. Auf den Zehenspitzen folgte ihm Franz.

»Wir wollen ihr den Schlaf gönnen, Herr Graf«, sagte er traurig, »das arme Kind hat ja alle Kraft in den letzten Tagen hergeben müssen. Mag doch die gnädige Frau Tante sehen, wie sie einmal ohne das Aschenputtel fertig wird.«

Groll bebte in seiner Stimme, und der Graf umfaßte die Schultern des alten Mannes.

»Hast recht, Alter. Lassen wir die Kleine schlafen. Nach der Not der letzten Tage kann dieser Schlaf ihr nur dienlich sein. Ein solcher Schmerz verzehrt immer die Kräfte eines Menschen.«