Leni Behrendt Bestseller 56 – Liebesroman - Leni Behrendt - E-Book

Leni Behrendt Bestseller 56 – Liebesroman E-Book

Leni Behrendt

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Beschreibung

Leni Behrendt nimmt längst den Rang eines Klassikers der Gegenwart ein. Mit großem Einfühlungsvermögen charakterisiert sie Land und Leute. Über allem steht die Liebe. Leni Behrendt entwickelt Frauenschicksale, wie sie eindrucksvoller nicht gestaltet werden können. Die Dame, die in einem Badeort an der Riviera gemächlich die schattige Promenade entlang spazierte, schrak zusammen, als sich von rückwärts ein Arm unter den ihren schob. Herumfahrend sah sie in ein strahlendes Mädchengesicht, und eine lachende Stimme sprach: »Tante Linda, du hast schon mal schlauer ausgesehen.« »Kann ich mir denken«, kam es gleichfalls lachend zurück. »Moment mal – so langsam beginnt es in meinem vor Schreck gelähmten Hirn zu tagen. Solltest du etwa Donata Hoog sein?« »Bin ich.« »Na, so was.« Sie besah sich kopfschüttelnd ihr reizendes Gegenüber. »Ausgerechnet hier müssen wir uns begegnen, nachdem wir seit dem Tod deiner Mutter nichts mehr voneinander hörten. Warum hast du dich auf meinen Brief nicht gemeldet, du böses Kind?« »Weil wir damals gerade im Umzug begriffen waren und der Brief in dem Wirrwarr verlorenging, bevor ich ihn gelesen hatte.« »Was war das denn für ein Umzug?« »Werde ich dir gleich erklären. Doch da es mit wenigen Worten nicht gesagt ist, setzen wir uns auf diese Bank – das heißt, wenn du willst.« »Natürlich will ich. Komm schon.« Als man Platz genommen hatte, musterte die Ältere ihre Nachbarin eingehend und sagte dann gedehnt: »Hübsch warst du ja schon immer, Dodo – aber jetzt bist du…« »Genier dich nicht«, lachte das Mädchen, als die Tante vielsagend innehielt.

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Leni Behrendt Bestseller – 56 –

Trotzteufelchen

Leni Behrendt

Die Dame, die in einem Badeort an der Riviera gemächlich die schattige Promenade entlang spazierte, schrak zusammen, als sich von rückwärts ein Arm unter den ihren schob.

Herumfahrend sah sie in ein strahlendes Mädchengesicht, und eine lachende Stimme sprach: »Tante Linda, du hast schon mal schlauer ausgesehen.«

»Kann ich mir denken«, kam es gleichfalls lachend zurück. »Moment mal – so langsam beginnt es in meinem vor Schreck gelähmten Hirn zu tagen. Solltest du etwa Donata Hoog sein?«

»Bin ich.«

»Na, so was.« Sie besah sich kopfschüttelnd ihr reizendes Gegenüber. »Ausgerechnet hier müssen wir uns begegnen, nachdem wir seit dem Tod deiner Mutter nichts mehr voneinander hörten. Warum hast du dich auf meinen Brief nicht gemeldet, du böses Kind?«

»Weil wir damals gerade im Umzug begriffen waren und der Brief in dem Wirrwarr verlorenging, bevor ich ihn gelesen hatte.«

»Was war das denn für ein Umzug?«

»Werde ich dir gleich erklären. Doch da es mit wenigen Worten nicht gesagt ist, setzen wir uns auf diese Bank – das heißt, wenn du willst.«

»Natürlich will ich. Komm schon.«

Als man Platz genommen hatte, musterte die Ältere ihre Nachbarin eingehend und sagte dann gedehnt: »Hübsch warst du ja schon immer, Dodo – aber jetzt bist du…«

»Genier dich nicht«, lachte das Mädchen, als die Tante vielsagend innehielt. »Womit du zurückhältst, habe ich schon zur Genüge zu hören gekriegt.«

»Natürlich von Herren«, kam es trocken zurück. »Ich will mich nicht wundern, wenn du bereits verheiratet bist.«

»Das zwar nicht – aber ich werde mich wahrscheinlich nächstens verloben.«

»Also. Und nun erzähle, wie es dir in den zwei Jahren, da wir nichts voneinander hörten, ergangen ist. Wie ich mich erinnere, wolltest du studieren.«

»Dazu kam es nicht, Tante Linda. Ich hatte gerade das Abitur gemacht, als meine Mutter starb. Auf Wunsch meines Vormunds und Onkels – des Rechtsanwalts und Notars Doktor Erwin Hoog, den du ja auch kennst – löste ich die Wohnung auf und siedelte in sein Haus über. Kurz darauf erbte er von einem uralten Onkel ohne Anhang in Kanada eine riesige Farm, mit der er als Jurist zuerst nichts anzufangen wußte. Doch da er der Erbschaft, wozu noch eine Menge Geld gehörte, nicht verlustig gehen wollte, sah er sich den landwirtschaftlichen Betrieb zuerst einmal an Ort und Stelle an. Aber nicht allein. Dafür hängt er zu sehr an seiner Familie, die aus seiner Frau, seinem Sohn, Schwiegertochter, Enkel und einer nachgeborenen Tochter besteht, die jetzt zwölf Jahre alt ist. Sie alle mußten mit – und ich auch. Denn er hatte meinem Vater, der, wie du ja weißt, sein Vetter und Sozius war, kurz vor dessen Tod in die Hand versprochen, väterlich über sein Kind zu wachen und es nie aus den Augen zu lassen. So nahm er mich denn mit, und ich muß schon sagen, daß ich als vollwertiges Mitglied der Familie ein herrliches Leben führte.«

»Wahrscheinlich als Luxusgeschöpf«, warf ihre aufmerksame Zuhörerin ein. »Denn so siehst du nämlich aus. Und was wurde aus der gutgehenden Anwaltspraxis?«

»Die übergab er einem langerprobten Mitarbeiter zu treuen Händen und sah außerdem jedes Vierteljahr selbst nach dem Rechten. Sein neuer Beruf, von dem er ja keine Ahnung hatte, machte ihm zuerst Schwierigkeiten. Sein Sohn jedoch, auch ein Jurist, fand sich mit erstaunlicher Sicherheit in die neuen Verhältnisse hinein. Natürlich ging diese Umstellung nicht von heute auf morgen. Es gehörte schon längere Zeit dazu, um so richtig fit zu werden. Jetzt ist er es längst, und seine Frau ist ihm die beste Mitarbeiterin. Das Ehepaar fühlt sich in den glänzenden Verhältnissen so wohl, daß es keine Lust verspürt, in die alten zurückzukehren. Auch Onkel Erwin fühlt sich dort ganz wohl, zumal er ja, wie ich bereits erwähnte, jedes Vierteljahr in die alte Heimat zurückkehrt und dort ungefähr zwei Wochen bleibt. Seiner Frau hingegen machte das Heimweh so arg zu schaffen, daß sie nach und nach fast tiefsinnig wurde.

So kehrte denn der besorgte Gatte mit ihr, seiner Tochter und auch mit mir in die alte Heimat zurück, wo wir nun seit einem halben Jahr wieder unseren festen Wohnsitz haben. Wenn wir Sehnsucht nach drüben verspüren, können wir ja jederzeit hinfahren; denn Kanada ist ja schließlich nicht aus der Welt. Na ja – und dann lernte ich einen Mann kennen, der mir so gut gefiel, daß ich mich am Tag meiner Volljährigkeit mit ihm verloben wollte. Allein dazu sollte es nicht kommen, weil ich vorher erkrankte. Eine verschleppte Grippe, die mir so zusetzte, daß man mich auf Rat des Arztes zur völligen Genesung nach Italien schickte, und zwar in Begleitung einer Dame unseres Bekanntenkreises, der es so ähnlich erging wie mir. Also taten wir uns zusammen und hatten uns nach vier Wochen so prächtig erholt, daß wir, ohne Schaden zu nehmen, nach Hause zurückkehren konnten. Aber meine Begleiterin wollte noch ein bißchen durch die Gegend bummeln, wozu sich auch der Herr Gemahl einstellte. Da ich jedoch keine Lust hatte, mich ihnen anzuschließen, trat ich allein die Rückreise an, machte in diesem idyllischen Ort Station – und fand auf dem Spaziergang dich, Tante Linda. Bist du schon lange hier?«

»Fünf Wochen. Ich war nach einer schweren Operation so herunter, daß der Arzt einen Aufenthalt im Süden für unbedingt erforderlich hielt, solange das rauhe Wetter zu Hause anhält. Die Kur hier hat mir auch wirklich gutgetan. Ich fühle mich so frisch und gesund, daß ich nächste Woche nach Hause fahren werde. Wann gedachtest du deine unterbrochene Reise fortzusetzen?«

»Eigentlich morgen. Aber nun möchte ich solange bleiben, bis auch du abfährst, Tante Linda. Das heißt, wenn es dir recht ist.«

»Aber sehr, mein Kind.«

»Danke. Wo wohnst du?«

»In einer Pension, einfach, aber behaglich.«

»Ob auch ich da ein Zimmer bekommen könnte?«

»Ich glaube schon. Wenn nicht, könnten wir zusammenziehen.«

»O wie schön! Ich freue mich ja so sehr, daß ich dir hier begegnete. Habe oft genug an dich gedacht…«

»So?« warf die andere skeptisch ein. »Ei, wenn du dieses Gedenken mal schriftlich kundgetan hättest.«

Da lief das Gesichtchen rot an und senkte sich verlegen.

»Ach, weißt du, Tante Linda, ich bin so entsetzlich schreibfaul.«

»Aha! Na lassen wir das. Aber wird dein Vormund auch damit einverstanden sein, daß du die Heimreise, die du doch sicher schon angekündigt hast, hinausschiebst?«

»Er ist mein Vormund nicht mehr; denn seit drei Monaten bin ich mündig. Trotzdem respektiere ich immer noch sein Gebot und werde daher telefonisch seine Einwilligung zu dem Aufenthalt hier einholen. Allerdings müßtest auch du mit ihm sprechen, damit er weiß, daß ich ihm kein X für ein U machen will«, schloß Donata lachend, und amüsiert fiel die andere ein: »Vorsicht ist immer besser als Nachsicht. Aber sag mal, mein Herzchen, hast du denn gar keine Sehnsucht danach, deinem Verlobten auf Flügeln der Liebe in die weitgeöffneten Arme zu fliegen?«

»Soweit sind wir noch lange nicht, meine spöttische Tante Linda.«

»Nein? Nun, was nicht ist, kann bestimmt noch werden. Und nun wollen wir uns in die Pension begeben, um dort die Lage zu peilen.«

So machten sie sich denn auf den Weg und hatten wenig später die nette Pension erreicht, wo gerade das Zimmer neben dem der Baronin Brandegg freigeworden war. Mit Freuden wollte Donata Hoog es beziehen – aber zuerst mußte ihr Exvormund damit einverstanden sein. So meldete sie denn ein Gespräch an und bekam den Begehrten an den Apparat. Sie erklärte ihm ihr Vorhaben, das er mit Mißtrauen aufnahm.

Doch nachdem die Baronin, die dem Anwalt bekannt war, die Richtigkeit von Donatas Anliegen bestätigt hatte, gab der vorsichtige Herr seine Einwilligung.

»Na, siehst du, mein Kind, das war doch ganz einfach.« Die Baronin legte schmunzelnd den Hörer hin. »Ohne meine Bestätigung hättest du bei deinem Zerberus wohl kaum etwas ausgerichtet. Wohl dem jungen Menschenkind, das so treu behütet wird. Nun hole dein Gepäck her, und dann wollen wir uns hier gemütlich einrichten.«

*

Es war eine Woche später, als die beiden Damen auf dem Balkon beim Frühstück saßen, vor sich das südliche blaue Meer, über sich den unwahrscheinlich blauen Himmel. Und das zu Anfang März, wo in der Heimat der Winter dem herannahenden Frühling nicht weichen wollte.

Dennoch sehnte Baronin Linda von Brandegg sich nach Hause zurück, also hatte sie ihre Ankunft für nächste Woche avisiert bei ihrem Sohn, mit dem sie auf dem Stammgut Brandegg lebte. Ein großer Besitz, der von dem jetzigen Herrn trotz knappster Mittel in vorbildlicher Weise bewirtschaftet wurde. Daher mußte jede unnötige Ausgabe vermieden werden. Und den Aufenthalt hier hielt die Baronin jetzt für unnötig.

Die zierliche Frau, die mit ihren dreiundfünfzig Jahren noch so überraschend jugendlich wirkte und der man ihre vornehme Abstammung sozusagen sieben Meilen gegen den Wind ansah, hatte mit ihrem vor zwei Jahren verstorbenen, um fünfzehn Jahre älteren Gatten eine glückliche Ehe geführt. Ein feiner Mensch war er gewesen, herzensgut, verläßlich und treu. Nur ein Landwirt war er nicht. Hätte er nicht so tüchtige Mitarbeiter gehabt, so hätte er wohl mit der Zeit vollständig abgewirtschaftet, wie es in der Bauernsprache heißt.

Zum Glück war sein Sohn ein Landwirt durch und durch. Als Rüdiger nach dem landwirtschaftlichen Studium seinem Vater tatkräftig zur Hand ging, wehte in dem Betrieb gleich ein frischer Wind. Leider konnte der Baron sich nur wenige Jahre an der Tüchtigkeit seines prächtigen Jungen erfreuen, dann raffte eine tückische Krankheit ihn in wenigen Tagen dahin.

Es war ein harter Schlag für den jungen Baron, den Mann, der ihm ein so guter Vater und Freund gewesen war, so schnell und ungeahnt hergeben zu müssen. Außerdem begann seine Mutter, die dem treuen Lebenskameraden schmerzlich nachtrauerte, zu kränkeln. Ihr Zustand verschlimmerte sich immer mehr, so daß eine Operation notwendig wurde, von der sie sich nicht erholen konnte. Und als der Arzt dem besorgten Sohn riet, seine Mutter während der rauhen Witterung zu einer Kur nach dem Süden zu bringen, geschah es, ohne auf ihr Sträuben zu achten. Und wie gut er daran tat, bewies die völlige Genesung der Mutter.

Diese sah soeben gespannt dem Mädchen entgegen, das die Post brachte. Erfreut griff sie nach dem Brief des Sohnes, während Donata zwei Briefe in Empfang nahm. Einer war von dem früheren Vormund, der andere von dem Verlobten in spe. Dieses Schreiben las sie zuerst. Es war der Erguß eines Verliebten, der sich beklagte, daß er jetzt noch länger auf der Angebeteten Rückkehr warten mußte – und auf den ersten Kuß, den er doch mit so großer Ungeduld ersehnte. Dann folgten noch verliebte Redensarten, die Donata zu langweilen begannen. Es war ja auch immer dasselbe, was er schrieb. Von dem zweiten Brief jedoch wurde sie stark gefesselt. Was Onkel Erwin ihr da mitteilte, konnte schon zur Beunruhigung Anlaß geben.

Unsicher sah sie zu der Baronin hinüber, die sich nach dem Lesen ihres Briefes noch eine Tasse Kaffee eingeschenkt hatte, welchen sie mit Behagen trank. Als Donata auch den zweiten Brief in den Umschlag steckte, fragte sie mit einem forschenden Blick: »Keine guten Nachrichten?«

»Woraus schließt du das, Tante Linda?«

»Aus deiner mißmutigen Miene. Von wem ist denn der Brief?«

»Von Onkel Erwin. Er schreibt – aber am besten ist, du liest es selbst.«

Nachdem die Dame es getan hatte, sagte sie betroffen: »Wenn es wirklich stimmen sollte, was dein Onkel da schreibt, wirst du die Konsequenzen ziehen müssen. Würde dir das sehr nahegehen, mein Kind?«

»Es würde mir nicht gerade das Herz brechen, aber eine Enttäuschung wäre es schon. Jedenfalls werde ich nichts unternehmen, sondern abwarten, bis Onkel Erwin klare Beweise für das hat, was ihm zugetragen wurde. Dann allerdings kriegt der Charmeur den Laufpaß. Denn mit so einem Ehemann würde ich mir mein Leben verpfuschen.«

»Da hast du recht. Doch wie der Onkel schreibt, gedenkt der Herr dich hier mit seiner Ankunft zu überraschen. Da steht dir ja noch viel bevor.«

»Wozu ich es erst gar nicht kommen lassen will. Ich werde ihm ausweichen, indem ich heute noch abreise – und du kommst mit. Nicht wahr, du tust mir den Gefallen?«

»Mit der Abreise schon – und auch noch mit einem Bummel für einige Tage. Aber dann muß ich nach Hause.«

»Aber Tante Linda, das geht doch nicht.«

»Warum denn nicht?«

»Weil ich nicht allein in der Weltgeschichte herumbummeln mag. Und nach Hause fahren kann ich erst, wenn sich die heikle Angelegenheit mit meinem Beinahe-Bräutigam geklärt hat. Kannst du nicht wenigstens so eine bis zwei Wochen mit mir zusammenbleiben? Bitte, liebe Tante Linda!«

»Ja, Kind, ich täte es schon ganz gern. Aber ich möchte meinem Jungen die Unkosten, die mein Aufenthalt in den sündhaft teuren Orten hier verursacht, nicht länger zumuten. Er muß sich gerade genug abrackern, um allen Anforderungen gerecht zu werden. Denn unser Besitz ist durch Hypotheken schwer belastet, und die hohen Zinsen wollen aufgebracht sein. Wir müssen sparen, Dodo, sparen an allen Ecken und Enden. Meine Kur ist mit Opfern verbunden, die ich meinem geplagten Jungen nicht länger zumuten darf.«

»Wenn es daran liegt, Tante Linda, dann lade ich dich ein.«

»Das nehme ich nicht an.«

»Entschuldige bitte, ich wollte dich bestimmt nicht beleidigen. Aber was mache ich da bloß? Ohne Anschluß kann ich nicht reisen, das wäre Onkel Erwin bestimmt nicht recht. Willst du mich da nicht wenigstens nach Brandegg mitnehmen?« kam es so kläglich heraus, daß Linda lachen mußte.

»Mußt du dich aber in der Klemme befinden, um nach diesem Strohhalm zu greifen. Mitnehmen würde ich dich schon gern. Aber ich möchte dich darauf aufmerksam machen, daß wir sehr zurückgezogen leben und dir daher die Geselligkeit, an die du gewöhnt bist, nicht bieten können. Also würdest du dich in der ländlichen Abgeschiedenheit bestimmt nicht wohl fühlen.«

»Aber Tante Linda, du tust ja so, als ob Brandegg von aller Welt abgeschnitten wäre. Ich war doch schon mehrmals dort und habe mich so wohl gefühlt, daß ich gar nicht mehr weg wollte.«

»Damals warst du ein Kind, Donata. Aber jetzt bist du eine verwöhnte junge Dame mit ebenso verwöhnten Ansprüchen. Führst doch sicher im Hause deiner reichen Verwandten ein luxuriöses Leben.«

»Nun hör aber auf!« warf das Mädchen hochfahrend ein. »Keine Angst, ich werde dich nicht belästigen mit meinen luxuriösen Allüren.«

»Na, du kleiner Hitzkopf! Von belästigen kann gar nicht die Rede sein. Du weißt genau, wie lieb du mir schon immer warst als Kind meiner einzigen Freundin. Ich fühlte mich jedoch verpflichtet, dich auf unsere Lebensführung aufmerksam zu machen, die so ganz von der deinen abweicht. Also gut, wollen wir einen Versuch wagen. Wenn es dir bei uns zu eintönig wird, kannst du ja jederzeit aus der Einsamkeit in die Geselligkeit zurückkehren. Einverstanden?«

»Ja. Ich danke dir, Tante Linda. Also wäre ich dir soweit genehm. Aber wie steht es mit deinem Sohn, der ja nun Herr von Brandegg ist? Der ist doch so ein Rauhbein, der mir mal eine Ohrfeige verpaßte, daß mir der Kopf wackelte.«

»Da mußt du wohl was ganz Tolles angestellt haben«, lachte die Mutter dieses rabiaten Sohnes amüsiert. »Ein Rauhbein ist er schon, der Rüdiger, aber kleine Mädchen pflegt er dennoch nicht zu schlagen. Wie alt warst du damals?«

»Zehn – und er achtzehn«, lachte nun auch Donata. »Ein langaufgeschossener, schlaksiger Bengel, dazu grob wie Bohnenstroh. Mit der Weiblichkeit hatte er absolut nichts im Sinn, bis auf seine vergötterte Mutter und die getreuen Angestellten des Hauses. Sind die immer noch da?«

»Ja, du wirst auf Brandegg überhaupt nichts verändert finden.«

»Wie schön. Ach, Tante Linda, Brandegg war für mich von jeher so etwas wie ein Kinderparadies. Zu gern wäre ich zu allen Schulferien dort erschienen; aber dann mußte ich die Mama nach den Badeorten begleiten, weil sie in den letzten Jahren vor ihrem Tod ständig kränkelte. Aber damit erzähle ich dir ja nichts Neues, da du mit ihr im Briefwechsel standest. Ich wollte dir nur sagen, wie gut es mir immer bei euch gefallen hat.«

»Und weshalb bekamst du die Ohrfeigen?«

»Bist du aber hartnäckig!« lachte Donata. »Ich war nämlich im Begriff, die Kühe, die in ihren abgesperrten Weidegarten so sehnsüchtig nach dem Kleefeld schielten, hinauszulassen. Doch schon nahte das Verderben in Gestalt des zornentbrannten Sohnes des Hauses. Er pudelte mich ab, ich wurde frech – und da saß mir auch schon im Gesicht eine bestimmt nicht kleine Hand, an der ich meine Zähne erprobte. Dann lief ich weg und wurde von meinem Widersacher fortan mit Nichtachtung gestraft.«

»Und das mit Recht«, schmunzelte die Baronin. »Man ist nicht noch frech, wenn man an einer Dummheit gehindert wird, die bei Ausübung großen Schaden hätte anrichten können. Denn frischer Klee hat schon so mancher Kuh das Leben gekostet. Aber das konntest du als Stadtkind ja nicht wissen.«

»Doch – weil Rüdiger mich mehrmals darauf hingewiesen hatte. Aber die Kühe wollten sich doch so gern an dem grünen Klee laben.«

Lachend sahen sie sich an, dann sagte die Baronin: »Von Ohrfeigen wirst du jetzt wohl verschont bleiben. Aber ob mein immer noch rauhbeiniger Junge zart mit dir umgehen wird, dafür kann ich nicht garantieren. Denn du bist der Typ eines Mädchens, den er so gar nicht mag.«

»Warum denn nicht?«

»Weil du schön bist, mein Herzchen, elegant, charmant, verwöhnt. So was pflegt er mit Zierpuppen zu bezeichnen und geht ihnen im großen Bogen aus dem Wege.«

»Ach, du lieber Gott! Dann wird er mir sicher die Gastfreundschaft verweigern.«

»O nein, so ungalant ist er wiederum auch nicht. Doch nun bin ich dafür, schleunigst unsere Zelte hier abzubrechen, damit dein in Aussicht stehender Besucher dich nicht doch noch erwischt.«

*

Einige Stunden später fuhren die Damen ab. Das große Gepäck gaben sie auf, nachdem es durch die Zollkontrolle gegangen war. Sie nahmen nur in einem Köfferchen die Sachen mit, die sie für einige Tage unbedingt brauchten. Mit dem Flugzeug wären sie zwar schneller am Ziel gewesen, aber sie zogen beide die Fahrt mit der Bahn vor. Drei Tage brauchten sie, um den Bahnhof der Stadt zu erreichen, die ungefähr zwanzig Kilometer von Brandegg entfernt lag. Und dann war endlich der Augenblick gekommen, wo die Baronin von ihrem Sohn, den sie telegrafisch von ihrem und Donatas Kommen in Kenntnis gesetzt hatte, in Empfang genommen wurde.

Es war ein scheußliches Wetter. Der Regen nieselte vom grauverhangenen Himmel, und ein scharfer Wind wehte. Der Sohn half seiner Mutter aus dem Wagen, drückte sie einmal fest an sich und sah sich dann nach Donata um, die mit den Köfferchen und Handtaschen beladen in der Wagentür sichtbar wurde. Ehe sie sich recht versah, hatte er sie mit festen Händen um die Taille gefaßt und sie samt Gepäck auf den Bahnsteig gehoben. Er nahm ihr die beiden kleinen Koffer ab und wandte sich dann seiner Mutter zu, die fröstelnd zusammenschauerte.

»So ein Leichtsinn!« brummte er. »Faß das bibbernde Hühnchen unter, Do, und folgt mir, so rasch ihr könnt.«

Er stiefelte langbeinig davon, so daß sie unmöglich mit ihm Schritt halten konnten.

Als sie das Auto erreichten, war das Gepäck bereits im Kofferraum des Veteranen verstaut. Aber der tat immer noch treu und redlich seine Pflicht, und das genügte seinem Besitzer, der auf ein Luxusgefährt keinen Wert legte.

Ohne viele Worte zu machen, half er den Damen aus den triefenden Regenmänteln, und verfrachtete sie im Wagen. Die Mutter im Fond, Donata auf dem Sitz neben dem Steuer. Dann nahm auch er Platz, schloß die Tür, wandte sich der Mutter zu und sagte grollend: »Ich habe dir doch geschrieben, daß du noch solange im südlichen Klima bleiben sollst, bis es hier endgültig Frühling ist. Und nun kommst du vorwitzig in dieses rauhe Wetter hinein. Der krasse Wechsel wird deine ganze Kur zunichte machen.«

»Brumme nicht!« fuhr sie ihm lachend in den blonden Schopf. »Freu dich lieber, daß du mich wieder bei dir hast, neu erstanden wie Phönix aus der Asche.«

Es war ein liebevoller Blick, mit dem der große Junge seine zierliche Mutter betrachtete, der Donata mehr verriet, als viele Worte es vermocht hätten. Ein weicher Kern in einer rauhen Schale – dachte sie belustigt. Es wird nicht leicht sein, mit ihm auszukommen. Aber blendend sieht er aus. Wie ein Held der alten Sagen, mit der prachtvollen Gestalt, dem hartgeschnittenen Gesicht, dem herrischen Mund, den blitzblauen Augen und dem dichten blonden Schopf.

Er meinte gerade anerkennend: »Hast dich ganz nett herausgemacht, Do – oder muß ich jetzt gnädiges Fräulein sagen?«

»Was wohl zu anstrengend für dich sein dürfte«, lachte sie ihn lieblich an. »Also drangsaliere dich nicht, sondern bleibe bei dem kurz und bündigen Do.«

»Scheinst ganz vernünftig geworden zu sein.«

»Hast du etwa etwas anderes erwartet?«

»Ich möchte nicht unhöflich werden.«

Als sie durch eine mittelgroße Stadt fuhren, stellte Donata fest, daß sich manches darin verändert hatte. Die große Fabrik zum Beispiel hatte damals noch nicht existiert.

»Ein riesiger Komplex«, sagte sie zu ihrem Nachbarn. »Wann wurde er erbaut?«

»Vor etwa drei Jahren.«

»Was wird da denn hergestellt?«

»Chemikalien. Die Fabrik gibt vielen Stadtbewohnern Lohn und Brot, die sie sich früher außerhalb suchen mußten.«

»Und was ist das große Gebäude dort?«

»Das ist das neue Kreiskrankenhaus. Ja, ja unsere Stadt macht sich.«

Sie hatten die Chaussee erreicht, von der sie dann später in eine Kiesstraße einbogen, die gut erhalten war. Ein großes Schild machte darauf aufmerksam, daß sie nur von Anliegern benutzt werden durfte. Von dieser Straße führte eine Allee zum Rittergut Brandegg.

Nachdem man ein großes Tor durchfahren hatte, hielt der Wagen vor dem Herrenhaus, das im schloßartigen Stil erbaut war und auch allgemein als Schloß bezeichnet wurde. Anlagen trennten es von dem riesigen Gutshof. Wohin Donata auch schaute, überall herrschte eine mustergültige Ordnung, alles war sauber und gepflegt.

Und dann fanden sich alle Getreuen ein, die dieses feudale Haus beherbergte. Voran die Hunde, Spaniel, Dackel und ein kleiner Schudel, dessen Stammbaum nicht nachzuweisen war. Sie begrüßten freudejaulend das Frauchen. An der Portaltür wurden vier Menschen sichtbar. Idchen, die Mamsell, von rosiger Rundlichkeit, wie es sich für die Beherrscherin über Topf und Tiegel gehörte; Bertchen, die Beherrscherin von Besen und Staubtuch, mittelgroß und schlank; Gretchen, die für Ordnung im Küchenbereich sorgte, derb und prall; und was da so lang und dürr alle überragte, war Hannes, das Hausfaktotum, das alles konnte, wußte, hörte und sah. Diese vier Menschen gehörten zu ihrer Herrschaft in treuester Verbundenheit.

Als sie der heimgekehrten Herrin freudestrahlend entgegeneilen wollten, rief der Herr ihnen zu: »Bleibt ja da, wo ihr seid! Sonst werden wir alle in dem Regen wie gebadete Katzen.«

Rasch zog er die beiden Damen mit sich fort und schob sie durch die Portaltür in die Halle.

»So, da habt ihr eure Herrin und dazu noch einen Gast, der euch nicht unbekannt sein dürfte.«

Schmunzelnd sah er dann der Begrüßung zu. Es war rührend, wie sie ihrer Herrin unbeholfen die Hand küßten. Das Hohelied der Treue – hier hatte das Wort noch Geltung.

Und dann nahm man Donata gewissermaßen aufs Korn, die lächelnd die prüfenden Blicke über sich ergehen ließ. Mamsellchen war die erste, die in der jungen Dame das kleine Mädchen von einst erkannte.

»Das ist ja unser Donatchen!« rief sie entzückt. »Ist das hübsche Kind aber schön geworden!«

»Danke für das Kompliment!« Donata strich ihr lachend über die pralle Wange. »Das kam wenigstens von Herzen. Ich freue mich, nach all den Jahren euch alle in alter Frische wiederzusehen wie eh und je.«

Das wiederum erfreute die treue Dienerschaft und sie begab sich zufrieden an ihre Arbeit. Die beiden Damen begaben sich in ihre Gemächer.

*

Donata fand das Zimmer, welches sie bei ihren früheren Besuchen stets bewohnt hatte, unverändert vor. Es lag neben dem Schlafzimmer der Hausherrin und war ein echtes Jungmädchenstübchen, hell, licht und freundlich.

»Zufrieden?« fragte die Baronin lächelnd.

»Und wie! Laß dir danken, liebe Tante Linda, daß du mich mitgenommen hast. Denn Brandegg war mir immer wie ein zweites Zuhause.«

»Das freut mich, Dodo. Nun werde ich zuerst ein ziemlich heißes Bad nehmen. Denn der krasse Wechsel aus der südlichen Sonne in das kalte Regenwetter macht sich doch bemerkbar.«

»Fühlst du dich denn nicht wohl?« fragte Donata besorgt.

»So schlimm ist es nun auch wieder nicht. Mich schauert bloß.«