Leni Behrendt Bestseller 57 – Liebesroman - Leni Behrendt - E-Book

Leni Behrendt Bestseller 57 – Liebesroman E-Book

Leni Behrendt

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Beschreibung

Leni Behrendt nimmt längst den Rang eines Klassikers der Gegenwart ein. Mit großem Einfühlungsvermögen charakterisiert sie Land und Leute. Über allem steht die Liebe. Leni Behrendt entwickelt Frauenschicksale, wie sie eindrucksvoller nicht gestaltet werden können. Das Theater des Provinzstädtchens war bis auf den letzten Platz gefüllt. Über den erwartungsfrohen Menschen lag eine fühlbare Spannung, die sich von Minute zu Minute steigerte. Das kleine Theater hatte nämlich einen Gast, einen prominenten Schauspieler, den die meisten Besucher nur vom Film her kannten. Heute waren sogar die Logen besetzt, die sonst gewöhnlich leer blieben. Die meisten Bewohner des Städtchens hatten nicht so viel Geld, um sich die teuren Plätze leisten zu können. Und warum auch, man saß im Parkett ja ebenso gut. Eben öffnete sich wieder eine Logentür, und Kommerzienrat Hartmann, eine der maßgebendsten hiesigen Persönlichkeiten, nahm mit seiner Familie in den roten Sesseln Platz. Der Kommerzienrat war erst seit ungefähr einem halben Jahr in der Stadt ansässig. Er besaß große Unternehmungen, deren Zweigniederlassungen über die ganze Welt verstreut waren, und hatte bisher mit seiner Familie bald hier, bald dort gelebt. Sein Dasein war eigentlich eine einzige Hetze gewesen, bis sein Sohn herangewachsen war. Nun hatte er an ihm eine vortreffliche Stütze und konnte sich endlich mehr Ruhe gönnen als bisher. Es zog ihn in die Heimatstadt zurück, in der schon sein Großvater und sein Vater segensreich gewirkt hatten. Ihnen hatten hier die große Schneidemühle und die Zuckerfabrik gehört, die auch der Kommerzienrat noch sein eigen nannte. Außerdem war er Besitzer eines kleinen Bankgeschäftes, das jedoch in der Hauptsache seinen eigenen Unternehmungen zugute kam. Seinen einzigen Sohn hatte er ganz im Sinne der Vorfahren erzogen und größte Sorgfalt auf dessen Ausbildung verwandt. Alle Hoffnungen, die man auf ihn setzte, hatte der Sohn erfüllt; und so war das Verhältnis zwischen ihm und dem Vater geradezu ideal zu nennen. Seine Gattin war klein und fein, sanft und gütig, wurde vom Gatten und von ihren beiden Kindern gehätschelt und geliebt und war vor jedem rauhen Lüftchen so ängstlich behütet worden, als sei sie eine kostbare Treibhauspflanze. Der Sohn, Dr. Gisbert Hartmann, bot mit seiner hohen sportgestählten Gestalt, dem scharfgeschnittenen, kühnen Gesicht und den leuchtenden Blauaugen – einem Erbteil seines Vaters – einen äußerst angenehmen Anblick. Er war überhaupt ganz und gar das verjüngte Ebenbild seines alten Herrn und galt nicht nur als bestaussehender Mann, sondern auch als beste Partie in weitem Umkreise.

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Leni Behrendt Bestseller – 57 –

Um das Erbe der Väter

Leni Behrendt

Das Theater des Provinzstädtchens war bis auf den letzten Platz gefüllt. Über den erwartungsfrohen Menschen lag eine fühlbare Spannung, die sich von Minute zu Minute steigerte. Das kleine Theater hatte nämlich einen Gast, einen prominenten Schauspieler, den die meisten Besucher nur vom Film her kannten.

Heute waren sogar die Logen besetzt, die sonst gewöhnlich leer blieben. Die meisten Bewohner des Städtchens hatten nicht so viel Geld, um sich die teuren Plätze leisten zu können. Und warum auch, man saß im Parkett ja ebenso gut.

Eben öffnete sich wieder eine Logentür, und Kommerzienrat Hartmann, eine der maßgebendsten hiesigen Persönlichkeiten, nahm mit seiner Familie in den roten Sesseln Platz.

Der Kommerzienrat war erst seit ungefähr einem halben Jahr in der Stadt ansässig. Er besaß große Unternehmungen, deren Zweigniederlassungen über die ganze Welt verstreut waren, und hatte bisher mit seiner Familie bald hier, bald dort gelebt. Sein Dasein war eigentlich eine einzige Hetze gewesen, bis sein Sohn herangewachsen war. Nun hatte er an ihm eine vortreffliche Stütze und konnte sich endlich mehr Ruhe gönnen als bisher. Es zog ihn in die Heimatstadt zurück, in der schon sein Großvater und sein Vater segensreich gewirkt hatten. Ihnen hatten hier die große Schneidemühle und die Zuckerfabrik gehört, die auch der Kommerzienrat noch sein eigen nannte. Außerdem war er Besitzer eines kleinen Bankgeschäftes, das jedoch in der Hauptsache seinen eigenen Unternehmungen zugute kam.

Seinen einzigen Sohn hatte er ganz im Sinne der Vorfahren erzogen und größte Sorgfalt auf dessen Ausbildung verwandt.

Alle Hoffnungen, die man auf ihn setzte, hatte der Sohn erfüllt; und so war das Verhältnis zwischen ihm und dem Vater geradezu ideal zu nennen.

Seine Gattin war klein und fein, sanft und gütig, wurde vom Gatten und von ihren beiden Kindern gehätschelt und geliebt und war vor jedem rauhen Lüftchen so ängstlich behütet worden, als sei sie eine kostbare Treibhauspflanze.

Der Sohn, Dr. Gisbert Hartmann, bot mit seiner hohen sportgestählten Gestalt, dem scharfgeschnittenen, kühnen Gesicht und den leuchtenden Blauaugen – einem Erbteil seines Vaters – einen äußerst angenehmen Anblick. Er war überhaupt ganz und gar das verjüngte Ebenbild seines alten Herrn und galt nicht nur als bestaussehender Mann, sondern auch als beste Partie in weitem Umkreise.

Und nun das Nesthäkchen der Familie – die sinnverwirrend schöne, grazile vergötterte und – verzogene Roswitha. Die Herrenwelt riß sich um die Gunst dieses eigenwilligen Persönchens – und nicht nur deshalb, weil sie eine reiche Erbin war. Sie verdrehte den Herren der Schöpfung nur zu leicht die Köpfe und – lachte sie hinterher aus. Sie war ein Sonnenkind, das in einer ganz entzückenden Weise durch das Leben tändelte und keine Ahnung hatte, wie furchtbar grausam es oft sein kann.

Die Eltern waren ihren Kindern gegenüber von großer Schwäche, waren es aus zärtlicher Liebe heraus. Erst nach zehnjähriger Ehe war ihnen der so sehnlichst erwartete Erbe geboren worden, und wieder zehn Jahre später kam das Töchterlein. Allzu schmerzlich hatten sie die Kinder entbehrt, und deshalb überschütteten sie sie mit all der Liebe, die sich so lange in ihren Herzen für sie aufgespeichert hatte.

Das Töchterchen war geradezu der Abgott der Familie und war es gar nicht anders gewohnt, als daß alles nach seinem Willen ging. Denn nicht nur Eltern und Bruder vergötterten das entzückende Persönchen, sondern man tat es überall, wohin es auch kam.

Wie ein zauberhaftes Elfchen war sie anzuschauen, als sie in ihrer taufrischen Unberührtheit und Holdseligkeit neben dem Vater saß und ihre leuchtenden, schimmernden Augen umherschweifen ließ. Das zarte Blau des duftigen Kleides ließ das Antlitz lilienhaft zart erscheinen, und das lichthelle Lockenhaar flimmerte in metallischem Glanz.

Plötzlich blieben ihre Blicke an einer Loge haften, und unwillkürlich hob sie das Opernglas, um deutlicher sehen zu können. Doch schon legte sich des Vaters Hand unauffällig auf ihren Arm und drückte ihn herunter.

»Roswitha, Mädel, vergiß nicht, daß wir im Mittelpunkt des Interesses stehen.«

Bis zur Stirn hinauf stieg ihr ein tiefes Rot der Beschämung, und der Vater betrachtete sein Töchterlein mit heimlichem Entzücken.

»Du, Papi, die vier Herrschaften in der gegenüberliegenden Loge kenne ich ja noch gar nicht?« fragte sie den Vater, der leise und belustigt lachte.

»Eigentlich dürfte dergleichen bei meinem wißbegierigen Töchterlein kaum vorkommen«, neckte er, »zumal es sehr beachtenswerte Persönlichkeiten sind, die mein Fräulein Neugier nicht kennt.«

Das Klingelzeichen ertönte, und gleich darauf hob sich der Vorhang. Obgleich Roswitha den heute gastierenden Schauspieler schon in Berlin auf der Bühne bewundert hatte, fesselte er sie doch wieder so stark, daß sie wie gebannt den Vorgängen auf der Bühne folgte und die interessanten Fremden in der Loge gegenüber vergaß. Erst während der großen Pause, die sie – Mutter und Bruder hatten wie viele Theaterbesucher das Foyer aufgesucht – neben dem Vater auf ihrem Platze verbrachte, wurde ihr Interesse an den Unbekannten erneut wach.

Diese schienen ebenfalls keine Lust zu haben, ihre Plätze zu verlassen. – Wie kerzengerade die alte Dame in ihrem Kleide aus starrer schwarzer Seide im Sessel lehnte. Wie hoheitsvoll und gebietend wirkte die ganze Erscheinung. Wie edelgeschnitten war das ein wenig hagere Antlitz, das gleichwohl kaum eine einzige Falte aufwies. So ungefähr stellte die junge Roswitha sich die Königinnen nordischer Sagen vor, und genau wie die Königskinder eben dieser Sagen die beiden zur Rechten und zur Linken der alten Dame sitzenden jungen Menschen.

Auch die dritte Dame, die dem Alter und Aussehen nach die Tochter der hoheitsvollen Frau sein mochte, war von stolzer vornehmer Haltung.

Mit einer gewissen bangen Scheu hingen Roswithas Augen an den faszinierenden Gestalten. Sie preßte beide Hände auf das Herz und seufzte so tief auf, daß der Vater sich besorgt zu ihr hinbeugte.

»Papi, wer sind die Fremden?«

»Bist doch ein närrisches Mädel«, entgegnete er mit leichtem Spott, »so sehr kann dich der Anblick dieser Menschen erregen, du seltsames Kind? – Ein ganz schlimmer Frauenfresser ist der Held da drüben, meine Kleine. Das Gruseln würde dich packen, könntest du hören, was man von diesem ›Mann ohne Herz‹ erzählt. Die Frauen sollen ihm so wenig gelten, daß er sie nicht einmal sieht. Wenn die da drüben eine Ahnung davon hätten, wie sehr sie dich beeindrucken – ihre Geringschätzung würde dich kopfscheu machen, kleine Ita; denn sie pflegen über jedes Interesse, das man ihnen entgegenbringt, mit stolzer Gelassenheit hinwegzusehen – der Graf Starkenborn nebst Anhang.«

»Papa, das sind doch nicht etwa…?«

»Ssst, Kleine, sei um Himmels willen vorsichtig, du bist hier nicht allein!« mahnte der Vater.

Soeben ertönte wieder ein Klingelzeichen, und der Kommerzienrat wandte sich seiner Gattin zu, die mit dem Sohne in die Loge zurückkehrte.

Noch nie in ihrem Leben hatte Roswitha das Ende eines Theaterstückes mit solcher Ungeduld herbeigesehnt wie gerade heute. Als erste verließ sie die Loge und trat im Foyer hastig hinter einen Pfeiler, vor dem ein alter Diener in unauffälliger Livree stand und Mäntel auf dem Arm trug. Er mußte wohl der Diener des Grafen Starkenborn sein.

Und sie hatte sich nicht getäuscht, denn schon kamen die vier hohen Gestalten auf den Diener zu, der sich tief vor ihnen verneigte.

Unwillkürlich fuhren Roswithas Hände zum Herzen, und sie schaute – schaute –

Oh, dieser große blonde Mann! Er verkörperte ganz und gar den Helden ihrer Träume, entsprach ganz und gar dem Ideal, das in dem romantischen Köpfchen des kleinen Persönchens spukte.

Diese edle, ritterliche Gestalt, dieses herrische Antlitz, das wie aus bräunlichem Marmor gemeißelt zu sein schien, das volle strahlendblonde Haar und die blauen blitzenden Augen, die wie zwei Saphire unter der markanten Stirn lagen!

Ganz plötzlich und unerwartet tauchten diese blitzenden Augen in die ihren, und – ein mitleidiges, spöttisches Lächeln erschien auf dem Gesicht des Grafen.

Wie hatte der Vater gesagt? – Ein Mann ohne Herz!

Ach ja, das mochte wohl stimmen, sonst hätte er sie doch nicht so geringschätzig mustern können. Es prallte wohl alles an ihm ab, was weich und schön war. Er war wohl einer von denen, denen die Mädchenherzen im Sturme zuflogen, der sich jedoch nicht darum kümmerte, sondern mit spöttischem Lächeln und mit der ihm angeborenen Gelassenheit unbeirrt seiner Wege ging.

Roswitha wandte den Blick zur Seite, und ein wehes Gefühl stieg in ihr auf.

Mechanisch schlüpfte sie in den kostbaren Abendmantel und schritt dann wie eine Träumende an der Seite ihres Vaters, der sie aufmerksam beobachtete, dahin. Nicht ein Wort sprach sie während der Heimfahrt und eilte – als sie in der Villa angelangt war – mit einem kurzen Gruß in ihre Zimmer.

Dort wartete das gute alte Fräulein Kron auf sie, das Roswitha schon seit deren frühester Kindheit betreut hatte und das jetzt, da es sich von seinem Abgott nicht hatte trennen mögen, sozusagen als Kammerfrau der eigenwilligen kleinen Prinzessin fungierte.

Das alte häßliche Mädchen hatte sein ganzes einsames Herz an Roswitha gehängt und verwöhnte sie in unerhörter Weise. Und Roswitha, die doch von so viel Liebe umgeben war, wußte auch diese Liebe gar wohl zu schätzen und vergalt sie dem »Krönchen«, wie sie das alte Fräulein nannte, mit rührender Anhänglichkeit. Es sollte nur jemand zu äußern wagen, daß er das Krönchen häßlich fände – o weh, der hätte es bei der energischen kleinen Person verschüttet! – Dann streichelten die feinen, weichen Händchen über das geschmähte, häßliche Gesicht, das eine gewisse Ähnlichkeit mit dem eines Affen hatte. Dann tröstete die junge Roswitha die alte Freundin mit ihrem süßen, weichen Stimmchen, bis die tiefliegenden kleinen Augen des Fräuleins wieder froh blickten.

Krönchen merkte sofort, daß ihr Goldkind anders war als sonst, daß es etwas erlebt haben mußte, was seine sonnige Gleichmut aus dem Konzept gebracht hatte. Wenn das Kind sonst von einer Veranstaltung zurückgekehrt war, dann hatte der rote Mund nicht stillgestanden, hatte geplaudert und gelacht, bis Krönchen alles wußte, was ihr kleiner Abgott erlebt hatte.

Doch heute war Roswitha still und in sich gekehrt, sprach nicht und gab auch keine Antwort, wenn Krönchen sie nach etwas fragte.

Sonst hatte die gute Alte allabendlich am Bett ihres kleinen Lieblings gesessen, bis tiefe Atemzüge verrieten, daß dieser eingeschlafen war. Doch heute schien Roswitha kein Verlangen nach ihrer Gesellschaft zu haben.

So hatte das taktvolle Krönchen das Empfinden, überflüssig zu sein, und schlich leise aus dem Zimmer; sie nahm an, daß der Schlaf ihr Goldkind bald in die Arme nehmen würde, um es hinüberzuführen in das Traumland.

Doch der Schlaf, der dieses sorglose, unbekümmerte Glückskind noch nie geflohen hatte, wollte heute nicht kommen. Als Roswitha mit all den Gedanken, die sich hinter ihrer Stirn drängten, nicht fertig werden konnte, erhob sie sich, warf ein leichtes Morgenkleid über und begab sich zu ihrem Vater in dessen Arbeitszimmer.

Der Kommerzienrat war nicht wenig erstaunt, daß seine Tochter zu so später Stunde noch zu ihm kam. Er sah ihr sofort an, daß sie etwas bewegte, womit sie nicht allein zurechtkam. Liebevoll zog er sie auf seinen Schoß, und wie ein Kätzchen schmiegte sie sich an ihn.

»Nun, meine kleine Ita, wo fehlt’s?« fragte er zärtlich und drückte ihr Köpfchen fest an seine Brust. Er spürte den unruhigen Schlag ihres Herzens sehr wohl, bedrängte Roswitha jedoch nicht mit Fragen, sondern wartete, bis das Köpfchen sich hob und die Traumaugen seines Kindes mit grenzenlosem Vertrauen in die seinen schauten.

»Papi – ich kann den Grafen Starkenborn nicht vergessen«, sagte sie so leise, daß der Vater sie kaum verstand, sondern ihr die Worte von den zuckenden Lippen ablesen mußte.

»Aber, Ita – liebes Kind!« entgegnete er tief erschrocken, denn er erkannte auf einmal, daß Roswithas Interesse für den Grafen Starkenborn mehr war als eine plötzlich aufflammende, aber ebenso schnell erlöschende Anteilnahme.

Allerdings, der Graf war ein Mann, dessen Anblick ein Mädchenherz schon um seine Ruhe bringen konnte.

»Sollte das etwa die Liebe sein, mein Kind«, fragte er besorgt, »die dich bisher glücklicherweise noch verschont hat?«

»Ich weiß es nicht, Papi. Aber mir ist so, als ob ich weinen, immer nur weinen müßte«, kam es sehr leise von ihren immer stärker zuckenden Lippen.

»Ita, das – das geht doch nicht«, erklärte der Vater hilflos, »dieses Gefühl mußt du unbedingt zu beherrschen suchen, wenn du nicht unglücklich werden willst.

Denn gerade die Starkenborn sind ein Geschlecht, das die Tradition hochhält und ehrt als ein kostbarstes Eigentum. Nie würde ein Starkenborn ein bürgerliches Mädchen heiraten. – Da habe ich nun immer geglaubt, ein noch ganz kindliches, unbekümmertes Mädel zu haben, und muß zu meinem Schrecken sehen, daß es sich schon ganz ernsthaft mit Herzensqualen plagt? – Na, wollen hoffen, daß dies alles nur Hirngespinste deines romantischen Köpfchens sind«, zwang er sich zu einem frischen Ton – obgleich ihm sehr ernst zumute war.

»Papi, gehört Königsgnade dem Grafen Starkenborn?«

»Ja.«

»Ach, Königsgnade! Mich packt immer eine ganz tolle Sehnsucht, wenn ich es von weitem sehe«, sagte sie verträumt. »Was gäbe ich darum, könnte ich es aus der Nähe sehen, könnte ich nur eine einzige Stunde darin weilen.«

»Kind, die Sehnsucht ist ja nur deshalb so groß, weil es sich deinem Anblick entzieht – dieses märchenumwobene Königsgnade«, lachte der Vater. »Das Gut ist nämlich nur von der einen Seite erreichbar, nur die breite Allee, die von der Chaussee abbiegt, führt dorthin. Wer keinen triftigen Grund hat, kann diese Allee selbstverständlich nicht betreten. Für mich allerdings wird sich schon ein Grund finden lassen, der mich berechtigt, Königsgnade aufzusuchen. Und dann sollst du mich begleiten, meine Kleine, das verspreche ich dir. Aber ich möchte wetten, daß mein Töchterlein dann sehr enttäuscht sein wird. Es wird beim Anblick des Schlosses zwar feststellen, daß Königsgnade wohl ein außerordentlich feudaler Herrensitz ist, daß es jedoch mit einem Paradies, wie es meiner kleinen Ita erscheint, nichts gemein hat. Gerade weil du Königsgnade nur immer aus der Ferne gesehen hast, beschäftigt es dich mehr als andere Güter, die frei vor deinen Augen daliegen. Und nun siehst du heute zu allem Überfluß noch den Besitzer deines Märchenschlosses und mußt feststellen, daß er eine Persönlichkeit ist, wie man sie so bald nicht zum zweitenmal findet. Was Wunder, wenn dir das Köpfchen nun ein wenig schwirrt. – Ich stehe mit dem Grafen in geschäftlicher Verbindung: ein Besuch ist keine direkte Notwendigkeit, kann aber auch nicht schaden. Ich bin daher bereit, in den nächsten Tagen mit dir nach Königsgnade hinauszufahren. Wenn du das Gut und seinen Besitzer bei nüchternem Tageslicht gesehen hast, dann kannst du feststellen, daß sich dein Märchenprinz nur durch sein faszinierendes Äußeres, sonst jedoch durch nichts von einem gewöhnlichen Sterblichen unterscheidet, und daß sein Schloß ein langweiliger alter Kasten ist.«

»Oh, Papi, du bist doch der herrlichste Mann auf der ganzen Welt«, schwärmte die Tochter, und ihre leuchtenden Augen hingen an seinem lachenden Gesicht. »Nun ist mir viel, viel leichter zumute. Du brauchst nur einige Worte zu sagen, und schon fühlt man sich frisch und frei.«

»Na also. Und wenn das so ist, meine süße Kleine, so komm nur immer zu mir und wälze alle deine Sorgen und Nöte auf mich ab. Und nun werde ich mein Mädel in das Bett zurückbringen, und es wird hübsch brav sein und schlafen.«

Wie ein Kind hob er sie auf seine Arme und trug sie in ihr Schlafzimmer, bettete sie so behutsam in die Kissen, wie es die liebevollste Mutter nicht zarter gekonnt hätte. Dann wartete er, bis tiefe Atemzüge verrieten, daß sie fest eingeschlafen war.

*

Ein prachtvolles Schloß, trutzig und fest wie für die Ewigkeit erbaut, abseits vom Lärm der Welt – berückend schön in seinem Frieden und seiner erhabenen Einsamkeit, dicht am Walde gelegen: das ist Königsgnade!

Wenn man den stolzen Bau sieht, fühlt man sich mit einem Schlage in eine andere Welt versetzt – eine Welt, in der unerschütterliche Treue, Ritterlichkeit und Romantik noch nicht ausgestorben sind, wo es noch stolze, aufrechte Menschen gibt; wo man glauben muß, daß Märchen wahr werden können, und wo einem das Herz ganz groß und weit wird angesichts all der zauberischen Schönheit ringsumher.

Eine etwa dreihundert Meter lange Allee bildet den einzigen Zugang zu dem Schlosse, sonst führt kein öffentlicher Weg dorthin: es liegt fern allem Verkehr, ein Paradies für sich.

Die Starkenborn, ein altes Rittergeschlecht, hatten schon im Mittelalter für Ehre und Recht gekämpft, hatten sich allezeit durch Mut und Unerschrockenheit ausgezeichnet, aber auch durch große Armut. Die hatte sie jedoch nie sonderlich bedrückt, denn dadurch brauchten sie um kein Hab und Gut Sorge zu tragen. Das war so, bis der erste Preußenkönig einem Starkenborn zu großem Danke verpflichtet wurde, den er diesem durch Erhebung in den Grafenstand abstattete. Als Anerkennung für seine Treue und Tapferkeit schenkte er ihm Schloß und Rittergut.

Diese Gnade des Königs, die dem damaligen Starkenborn zu einem derartigen Prachtbesitz verhalf, war an keinen Undankbaren verschwendet. Er nannte die Herrschaft »Königsgnade«, hütete das Geschenk seines Königs als kostbarstes Heiligtum und machte es seinen Nachkommen zur Pflicht, es ebenso zu halten wie er.

Und das geschah von Geschlecht zu Geschlecht. Jedes Mitglied des Hauses setzte seine Ehre darein, sich der Gnade des Königs würdig zu erweisen und so zu leben, daß es vor niemandem die Augen niederzuschlagen brauchte.

Fortan führten alle Erbsöhne von Königsgnade den Namen »Heinrich«, was soviel bedeutet wie »Herr reichen Erbgutes« – führten ihn durch sechs Generationen bis auf den heutigen Tag.

Es war ein ungeschriebenes Gesetz im Hause Starkenborn, daß jeder männliche Sproß nach Beendigung der Schulzeit und nachdem er ein gründliches landwirtschaftliches Studium hinter sich hatte, drei Jahre lang auf Reisen ging, um sich gehörig in aller Herren Länder umzutun, sich auszuleben und die nötige Welt- und Menschenkentnis zu erwerben.

Diese Epoche hatte der letzte der Starkenborn längst hinter sich und lebte nun still und zurückgezogen auf der heimatlichen Scholle.

Reich waren die Starkenborn niemals gewesen. Sie hatten jedoch stets so viel gehabt, um ohne Sorgen leben zu können. Jedoch der augenblickliche Besitzer von Königsgnade hatte mit schweren Sorgen zu kämpfen. Denn er war alles andere als ein Geschäftsmann, und so war es nicht zu verwundern, daß er sich nur schwer zu behaupten vermochte, und daß der fast zwei Jahrhunderte hindurch sorglich gehegte und gepflegte Familienbesitz immer mehr verschuldete.

Aufrecht und stolz! – das war der Wahlspruch dieses Geschlechts. Und aufrecht und stolz waren die Starkenborn allzeit gewesen, die Männer wie die Frauen. Bei der Wahl einer Lebensgenossin für den Erbherrn hatte man stets sorgfältig geprüft und überlegt, und man sah dabei nicht so sehr auf Geld und Gut wie auf die Eigenschaften, die einer späteren Gräfin Starkenborn würdig waren. Die Frau mußte stolz und tugendhaft sein, dazu hellhaarig und blauäugig.

Immer waren es die Eltern gewesen, die die Gattin für den Sohn auswählten, und immer hatten sich die Erbsöhne dieser Wahl ohne Murren gefügt. Daher war auch noch nie eine Mesalliance in diesem Hause vorgekommen – aber auch keine Liebesheirat.

Aufrecht und stolz hatte man nebeneinander gelebt und nie vergessen, was man seinem Geschlecht schuldig war. Nie hatte lachendes, jauchzendes Leben in den hohen, prunkvollen Räumen geherrscht, und selbst die Kinder hatten sich stets eines gehaltenen und ruhigen Betragens befleißigen müssen.

Erdmuthe, des Schloßherrn Schwester, war eine echte Tochter ihres Geschlechts. Selbst als kleines Mädchen war sie stolz und gelassen gewesen und blieb es auch, als sie nach zweijähriger Pensionszeit auf das Schloß der Väter zurückkehrte. Sie war dem Bruder so ähnlich, wie Geschwister es nur sein können, doch was bei ihm stolz und männlich wirkte, erweckte bei ihr den Eindruck von Hochmut und Strenge.

Erdmuthe zählte bereits siebenundzwanzig Jahre, allein es hatte sich bisher noch kein Freier für sie gefunden. Einer, der es hätte wagen dürfen, um dieses ernste, stolze Mädchen zu werben, war leider bettelarm, und der Besitz, auf dem sein Geschlecht seit Jahrhunderten saß, wurde heute versteigert.

Daran dachte wohl auch die Großmutter des Schloßherrn, denn ihre hellen durchdringenden Augen suchten immer wieder die Enkelin, die heute zurückhaltender und hochmütiger wirkte denn je.

Diese Großmutter war die bedeutendste aller Frauen, die je ein Starkenborn gefreit, und war somit der Stolz der Familie. Sie war eine geistreiche Frau und stammte aus fürstlichem Geschlecht; trotzdem hatte sie sich nicht besonnen, einem Starkenborn die Hand fürs Leben zu reichen, und war dann so sehr mit der Familie ihres Gatten verwachsen wie keine zweite. Man hatte sich ihrem Scharfsinn und ihrer Klugheit von jeher untergeordnet und tat das auch heute noch. Die Führung des Hauses lag in ihren Händen. Ihre Schwiegertochter Wilhelmina sowie die Enkelin Erdmuthe fügten sich ihr ohne zu murren und wagten in ihrer Gegenwart auch nie, eine eigene Meinung kundzutun.

Sogar der Schloßherr schien dieser Frau gegenüber keinen eigenen Willen zu haben; es waren jedenfalls noch niemals Meinungsverschiedenheiten zwischen ihnen aufgekommen.

Die vier Menschen waren heute noch verschlossener, noch wortkarger als sonst, bis endlich die alte Gräfin das aussprach, was augenblicklich alle am meisten beschäftigte.

»Wann findet die Versteigerung statt, Heinrich?«

»Um acht Uhr, Großmutter, sie hat also bereits begonnen.«

»Die wievielte in diesem Jahr?«

»Die dritte.«

»Was ist aus Hellin geworden?«

»Erschossen.«

»Und Bornstorff?«

»Auch erschossen.«

Dann tiefe, bedrückende Stille; kein anderer Laut war mehr im Zimmer vernehmbar als das Knistern der Holzscheite im Kamin. Das mit ährenblonder Haarkrone geschmückte Haupt Erdmuthes – kurzes Haar trug in Königsgnade selbstverständlich keine Frau – neigte sich wie unter der Last einer schweren Schuld. Die Blicke des Grafen ruhten minutenlang auf der Schwester, und es war, als träte ein wärmerer Glanz in seine sonst so kalten blauen Augen.

»Und wie lange werden wir noch von diesem Schicksal verschont bleiben?«

Unbarmherzig nüchtern klang die Stimme der alten Dame.

»Wir wollen uns doch nichts vormachen«, klang nun wieder die unbarmherzige Stimme auf. »Man schafft Hindernisse nicht aus der Welt, indem man sich über sie ausschweigt und ängstlich um sie herumgeht. Viel schlimmer ist es, wenn uns die Tatsache, daß Königsgnade für uns verloren ist, überraschend trifft, als wenn wir damit rechnen.«

Sie mußten ihr recht geben, die drei Menschen. Sie wußten nur zu gut, wie sehr gerade diese zweiundachtzigjährige Greisin an Königsgnade hing, und bewunderten es, daß sie so hart gegen sich selbst war und sich nichts vorzutäuschen versuchte.

»Und da gibt es gar keine Hilfe«, fuhr sie fort. »Mit einer reichen Heirat, die uns alle zu retten vermöchte, ist leider nicht zu rechnen, denn die Mädchen, die für den letzten Starkenborn als Gattin in Frage kommen könnten, sind alle nicht reich. Viola Brechten, die vielleicht Hilfe hätte bringen können, hat es ja vorgezogen, eine Frau Richter zu werden. Nun ist sie Witwe, hat den reichen Gatten beerbt und sein Geld noch zu ihrem gehäuft. Und das ist gut so; nun bleibt es uns erspart, sie in unserer Familie aufzunehmen. Außerdem ist es auch eines Mannes unwürdig, sich an eine Frau zu verkaufen. So werden wir uns denn an den Gedanken gewöhnen müssen, eines Tages –«

Auf einmal schien es für sie doch zuviel zu sein, über dieses Furchtbare, dieses Unfaßliche sachlich weiterzureden. Sie winkte leicht mit der Hand und erhob sich.

Stolz und aufrecht stand sie da – trotz ihrer zweiundachtzig Jahre.

*

Kommerzienrat Hartmann machte sein Versprechen wahr und fuhr einige Tage nach der Unterredung mit seiner Tochter nach Königsgnade. Das Mädchen war so erregt wie ein Kind vor Weihnachten und mußte sich zusammennehmen, um den Vater diese Unruhe nicht merken zu lassen.

Mit dem Augenblick, als das Auto in die Schloßallee einbog, fühlte sie sich in eine andere Welt versetzt. Selbst der Kommerzienrat, der bis dahin vergnügt mit seiner Tochter geplaudert hatte, wurde schweigsam.

Als sie vor dem Schlosse hielten, warf die Märzsonne ihre letzten Strahlen darüber und tauchte die hohen Fenster in ein Meer von Gold. Königsgnade erschien in einer fast unwirklichen Schönheit wie ein Märchenschloß. Dieser tiefe Friede ringsumher, dieses Raunen und Rauschen in den alten Bäumen vor dem Schlosse!

Ach ja, so mußte das Dornröschenschloß ausgesehen haben! Wie unter einem Zwange ließ man die Blicke umherschweifen, als müßte man die dichte, hohe Rosenhecke erspähen, hinter der das Königskind schlief.

Der Kommerzienrat dachte resigniert darüber nach, wie verkehrt er handelte, daß er der Tochter Gelegenheit gab, dieses Wunder zu schauen, dessen Anblick selbst ihn, den nüchternen Geschäftsmann, in seinen Bann zwang. Wie mußte es erst auf seine Kleine mit dem romantischen Köpfchen wirken?

Ein verstohlener Blick streifte sein Kind, und ein Seufzer kam über seine Lippen.

Roswithas strahlende Augen, die unverwandt an der Prunkfassade des Schlosses hingen, verrieten nur allzu deutlich, was sie empfand, was ihre schönheitsdurstige Seele bewegte.

Gottlob, soeben erschien ein Diener!

Der Kommerzienrat tat kund, daß er den Grafen zu sprechen wünsche.

»Erlaucht sind nicht anwesend, mein Herr«, meldete der Alte mit unnachahmlicher Würde. »Vielleicht aber kann der Herr Oberinspektor Auskunft geben.«

Der kam auch gerade über den Hof und wandte seine Schritte dem Schlosse zu.

»Wünschen die Herrschaften Erlaucht zu sprechen?«

»Ja, Herr Oberinspektor. Doch wir hören soeben, daß Erlaucht abwesend ist. Hartmann ist mein Name.«