Leni Behrendt Bestseller 59 – Liebesroman - Leni Behrendt - E-Book

Leni Behrendt Bestseller 59 – Liebesroman E-Book

Leni Behrendt

0,0

Beschreibung

Leni Behrendt nimmt längst den Rang eines Klassikers der Gegenwart ein. Mit großem Einfühlungsvermögen charakterisiert sie Land und Leute. Über allem steht die Liebe. Leni Behrendt entwickelt Frauenschicksale, wie sie eindrucksvoller nicht gestaltet werden können. Schon länger als eine Stunde wartete die schöne Frau in dem dürftigen Zimmer. Auch ein Mensch mit weniger großen Ansprüchen als diese elegante Weltdame hätte den Raum schauderhaft gefunden. Es war das billigste Zimmer in einem schlechtgeleiteten Hotel. Es mußte ihm noch viel schlechter gehen, als sie angenommen hatte, sonst würde er sich keinesfalls in dieses armselige Quartier verkrochen haben. Da mußte es ihr doch leichtfallen, ihn zurückzugewinnen; und er würde mit tausend Freuden in die Verhältnisse zurückkehren, in denen er noch vor einem halben Jahr gelebt hatte. Ihn von neuem bei sich haben, seine heißen Küsse trinken – das würde wieder Leben heißen! Nicht dieses Dahintrotten an der Seite des alternden Mannes, der ihr mit jedem Tage mehr auf die Nerven fiel. Wie anders war doch der andere – er, auf den sie hier in Ungeduld wartete! Wie sie ihn liebte, den kühlen blonden Recken, diesen echten Sohn seiner waldumrauschten Heimat. Und diese tiefgewurzelte Liebe zur Heimat war eine starke Verbündete für sie, denn die Kränkung, die sie ihm mit ihrem Treubruch angetan hatte, würde sofort vergessen sein, wenn er mit ihrer Hilfe wieder in sein so leidenschaftlich geliebtes Schloß am Meer zurückkehren konnte. Die wartende Frau verlor sich in Träume, die alle um Wulf Rüdersloh kreisten, und vergegenwärtigte sich die seligen Stunden, die sie kurze Zeit als seine Braut durchleben durfte und die sie dann eintauschte für ein Leben, das wohl reich war an Geld – aber bettelarm an Glück. Immer sehnsüchtiger dachte sie an Wulf Rüdersloh – und schrak doch zusammen, als der Mann die Tür öffnete. Augenblickslang verhielt er den Schritt – denn diese Frau hatte er wirklich nicht hier zu sehen erwartet. »Wulf, lieberWulf!« »Ah, Gnädigste – sehr nett, daß Sie mich in meiner Verbannung aufsuchen! Ein bißchen öde hier für eine schöne Frau! Wollen Sie nicht wieder Platz nehmen? Sagen Sie bitte nicht nein, sondern erbarmen Sie sich eines einsamen Junggesellen, leisten Sie ihm ein wenig Gesellschaft.« »Wulf!« stieß sie hervor, »Wulf – so sprichst du mit mir?

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 231

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Leni Behrendt Bestseller – 59 –

Viel Leid um Heimat und Liebe

Leni Behrendt

Schon länger als eine Stunde wartete die schöne Frau in dem dürftigen Zimmer. Auch ein Mensch mit weniger großen Ansprüchen als diese elegante Weltdame hätte den Raum schauderhaft gefunden. Es war das billigste Zimmer in einem schlechtgeleiteten Hotel.

Es mußte ihm noch viel schlechter gehen, als sie angenommen hatte, sonst würde er sich keinesfalls in dieses armselige Quartier verkrochen haben. Da mußte es ihr doch leichtfallen, ihn zurückzugewinnen; und er würde mit tausend Freuden in die Verhältnisse zurückkehren, in denen er noch vor einem halben Jahr gelebt hatte.

Ihn von neuem bei sich haben, seine heißen Küsse trinken – das würde wieder Leben heißen!

Nicht dieses Dahintrotten an der Seite des alternden Mannes, der ihr mit jedem Tage mehr auf die Nerven fiel.

Wie anders war doch der andere – er, auf den sie hier in Ungeduld wartete!

Wie sie ihn liebte, den kühlen blonden Recken, diesen echten Sohn seiner waldumrauschten Heimat.

Und diese tiefgewurzelte Liebe zur Heimat war eine starke Verbündete für sie, denn die Kränkung, die sie ihm mit ihrem Treubruch angetan hatte, würde sofort vergessen sein, wenn er mit ihrer Hilfe wieder in sein so leidenschaftlich geliebtes Schloß am Meer zurückkehren konnte.

Die wartende Frau verlor sich in Träume, die alle um Wulf Rüdersloh kreisten, und vergegenwärtigte sich die seligen Stunden, die sie kurze Zeit als seine Braut durchleben durfte und die sie dann eintauschte für ein Leben, das wohl reich war an Geld – aber bettelarm an Glück.

Immer sehnsüchtiger dachte sie an Wulf Rüdersloh – und schrak doch zusammen, als der Mann die Tür öffnete.

Augenblickslang verhielt er den Schritt – denn diese Frau hatte er wirklich nicht hier zu sehen erwartet.

»Wulf, lieberWulf!«

»Ah, Gnädigste – sehr nett, daß Sie mich in meiner Verbannung aufsuchen! Ein bißchen öde hier für eine schöne Frau! Wollen Sie nicht wieder Platz nehmen? Sagen Sie bitte nicht nein, sondern erbarmen Sie sich eines einsamen Junggesellen, leisten Sie ihm ein wenig Gesellschaft.«

»Wulf!« stieß sie hervor, »Wulf – so sprichst du mit mir? Ich habe deinen Zorn verdient, das sehe ich ein – aber nicht verdient habe ich diesen unerträglichen Spott und die Verachtung!«

»Aber, schönste Frau, warum gleich so aufgeregt!« entgegnete er mit einem Lächeln. »Ich habe Ihnen nichts zu verzeihen. Was können Sie dafür, daß ich arm bin? Sie hatten sich mit dem Baron Rüdersloh-Elchshagen verlobt und nicht mit dem Bettler Wulf Rüdersloh, der als kleiner Angestellter irgendwo untertauchen wird. Es wird Ihnen kein Mensch verdenken, daß Sie sich von mir gelöst haben. Im Gegenteil, man wird es für sehr richtig halten, wie übrigens auch ich es tue.«

»So schnell starb deine Liebe, Wulf?«

»Liebe? – Nein, Verehrteste, das ist nun ein Gebiet, wohin ich Ihnen nicht mehr zu folgen vermag. Vergessen Sie, bitte, daß es einmal einen Narren gab, der das höchste Glück des Lebens in der Liebe zu finden hoffte. Er ist schon längst von seinem Irrtum geheilt.«

»Wulf, so kannst du reden?« fragte sie immer entsetzter. »Du, mit deinem heißen, leidenschaftlichen Herzen? Das kann doch unmöglich dein Ernst sein. Du willst mich nur für die Übereilung strafen, mit der ich dich aufgab – oder besser gesagt: Dich vorübergehend aufgeben mußte, um die Menschen zu täuschen. Was ich mit dir verlor, merkte ich erst, als ich den Mann heiratete, der ganz anders ist als du. Sei nicht unversöhnlich, vergiß, was ich dir angetan habe, und laß es zwischen uns wieder so werden wie einst.«

Immer tiefer senkten sich die Winkel seines schmalen Mundes.

»Wollen Sie mir nicht endlich klipp und klar sagen, was Sie mit mir vorhaben, meine Gnädige?«

»Wulf, wie ist es nur möglich, daß ein Mensch wie du sich in so kurzer Zeit verändern kann?« rief sie verzweifelt. »Du wütest geradezu gegen dich selber! Und wenn ich dir nicht helfe, dann gehst du ganz einfach zugrunde. Ich werde es bei meinem Manne durchsetzen, daß er dich als Verwalter nach Elchshagen nimmt. Und was meinst du nun?«

»Was ich meine? – Daß Sie einen merkwürdigen Begriff von der Ehre eines Mannes zu haben scheinen, schönste Frau; doch ich bin begierig, weiter zu erfahren, was Sie über mich beschlossen haben.«

»Wulf – mein Mann ist ein eitler, selbstgefälliger Narr und ist blind in mich verliebt. Er tut alles, was ich will. Denn ich täusche ihm heiße Liebe vor, während ich ihn aus tiefstem Herzensgrunde verabscheue. Ich habe mich mit dem Narren ja nur verheiratet, weil er reich ist, weil er das Geld besitzt, das wir beide brauchen, um ein Leben führen zu können, wie wir es gewohnt sind. – Wenn du nämlichVerwalter auf Elchshagen bist und wir keine Dummköpfe sind, dann können wir –«

»Danke – das genügt!« unterbrach der Baron sie.

Er bot ihr mit tadelloser Verbeugung den Arm. Fassungslos starrte sie ihm in das undurchdringliche Antlitz und war so verblüfft, daß sie sich ohne Widerstreben zur Tür führen ließ, die er nun öffnete. Sie war auch immer noch sprachlos, als er sie durch den muffigen Korridor führte, schritt willenlos die ausgetretenen Stufen der Treppe hinab und kam erst zur Besinnung, als sie mit ihm auf der Straße stand.

Da erst erwachte sie aus ihrer Erstarrung. Sie umklammerte seinen Arm, allein er entzog ihn ihr mit einem Ruck.

»Mein Gott, Wulf, du hast mich sicherlich ganz falsch verstanden, weil du mich nicht zu Ende angehört hast!«

»Für meine Begriffe war das, was Sie mich hören ließen, ausreichend, schöne Frau. – Ich will Ihnen etwas sagen: Auch der Mann, dem das Leben alles genommen, worauf er stolz war, ist immer noch nicht ganz Bettler, wenn er seine unangetastete Ehre besitzt! Und da diese Ehre sein einziger Besitz ist, muß er doppelt über sie wachen. Mit seiner Liebe spielen zu lassen, das kann ein Mann zur Not ertragen – doch mit seiner Ehre spielen wollen – das wird wohl noch keinem, der es wagte, gut bekommen sein. – Im übrigen nichts für ungut, meine Gnädige, Ihr Besuch war mir ein Vergnügen!«

*

Man kann sich kaum etwas Idyllischeres denken als dieses kleine Waldstädtchen. Friedlich und verträumt liegt es im Tal, und rings umher steht Wald und immer wieder Wald.

Gar mancher Fremde, der sich hierher verirrt, glaubt, die Zeit müsse hier stillgestanden haben. Und er nimmt sich vor, einmal seinen Urlaub hier zu verleben, von wo aus die Ostsee mit dem Auto in wenigen Minuten zu erreichen ist und wo die Mehrzahl der Bürger ihre Tage in Behaglichkeit verbringt.

Es gab unter den Einwohnern allerdings auch Leute, die entweder durch ihre Engherzigkeit oder durch ein allzusehr ausgeprägtes Selbstbewußtsein, wenn nicht gar durch ihre losen Zungen Anlaß zu manchem Ärgernis gaben.

Und ausgerechnet diese Elemente hatten einen Stammtisch gegründet.

Heute nun tagte dieser Stammtisch – und zwar mit Damen. Während die Herren sich jeden Sonnabend zusammenfanden, erschienen die Damen nur einmal im Monat.

An den sogenannten Damenabenden pflegte es meist nicht so lebhaft zuzugehen wie sonst.

Heute jedoch war es anders. Man hatte zum Glück schon seit Wochen einen Gesprächsstoff, der nicht versiegte, der nie langweilig wurde. Und dieser Gesprächsstoff hieß: »Der Junker von Elchshagen.«

Warum hatte dieser Mann so gewissenlos in den Tag hineingelebt, daß er von seinem Besitz, der seit undenklichen Zeiten in den Händen der Freiherren von Rüdersloh gewesen war, hatte gehen müssen?

Man konnte sich nicht genug tun, den Junker zu beschimpfen, sich über ihn zu erregen.

Bis es mit einem Schlag still wurde – und das geschah, als der Bürgermeister des Städtchens ganz unerwartet eintrat.

Man schätzte den älteren Herrn nicht, aber man respektierte ihn.

Hinter seinem Rücken schimpfte man allerdings mordsmäßig über ihn, ließ kaum ein gutes Haar an ihm, und in dem Urteil, das man über den alten Herrn fällte, war sich der Stammtisch ausnahmsweise einmal wundervoll einig.

Bürgermeister Horn gehörte nicht zu dessen Mitgliedern. Er erschien nur ab und zu, um mit diesen Biedermännern nicht jede Fühlung zu verlieren.

Eben begrüßte er die Versammlung und nahm seinen Hut ab, setzte sich an seinen Platz am oberen Ende des Tisches, der immer für ihn freigehalten wurde.

»Nun, meine Herrschaften, warum sind Sie plötzlich so still geworden? Haben Sie wirklich keinen anderen Gesprächsstoff als den, der den Elchshagener Junker betrifft? Himmel und Herrgott, lassen Sie den armen Kerl endlich in Frieden und seien Sie froh, daß Sie nicht in seiner Haut stecken!«

»Er hat sein Elend selbst verschuldet, hat immer in Saus und Braus gelebt. Wenn wir das auch wollten –«

»Reden Sie kein Blech, Herr Otz«, unterbrach der Bürgermeister den Rendanten der Sparkasse, der zehn Jahre lang in Elchshagen Rentmeister gewesen war und dann, als der junge Baron die Herrschaft übernahm, von ihm entlassen wurde.

»Aus Ihnen spricht doch nur der Haß, und daher ist Ihr Urteil keinesfalls maßgebend. Seien Sie doch froh, daß Sie eine so gute Stellung gefunden haben; der Junker würde sich glücklich schätzen, wenn er ein derartiges Amt bekleiden dürfte.«

»Er würde niemals imstande sein, einen solchen Posten auszufüllen«, entgegnete der Rendant bissig. »Der hat doch weiter nichts gelernt, als seines Vaters Geld mit vollen Händen zu vergeuden.«

»Um so mehr müßten Sie ihn jetzt bedauern, mein Lieber. Sie waren zehn Jahre in Elchshagen, da kennen Sie die dortigen Verhältnisse besser als alle anderen hier am Tisch. Sie werden daher auch wissen, daß der Junker an seinem Unglück keineswegs so schuldig ist, wie Sie es hinstellen wollen. Es wird Ihnen nicht unbekannt sein, daß der alte Baron Rüdersloh seinen Sohn in dem Glauben ließ, daß er ein reicher Erbe sei, und ihm immer mehr Geld schickte, als dieser überhaupt haben wollte, nur damit er nicht nach Elchshagen käme. Denn derAlte haßte den Sohn geradezu und wollte nicht mit ihm zusammenleben. Ich habe sogar folgenden Verdacht: Er legte es förmlich darauf an, daß sein Einziger sein Erbe vergeudete, um ihn dadurch bis ins Mark zu treffen. Denn er wußte nur zu wohl, mit welch leidenschaftlicher Liebe Junker Wulf an Elchshagen hing. – Daß er selber nicht zu darben brauchte, dafür hatte dieser gewissenlose Vater gesorgt. Er brauchte weder Not noch Entbehrung kennenzulernen. Doch daß der Sohn das desto gründlicher erfahren sollte, darauf arbeitete er während seiner letzten Lebensjahre sichtlich mit Bedacht hin. Er wollte sich rächen, wollte den Sohn für das büßen lassen – was die Mutter verbrochen hatte.«

»Das finde ich nur gerecht. Warum nahm der sechzehnjährige Junge damals die Partei der Mutter, die ihren Mann betrog, der sie deshalb aus dem Hause warf?«

»Halt, Herr Otz, das stimmt nicht«, unterbrach der Bürgermeister den erregten Herrn scharf. »Die Baronin betrog ihren Gatten nicht! Der Baron warf sie auch nicht aus dem Hause, sondern sie ging von selber, weil sie die unerhörte Behandlung von seiten des Gatten nicht länger ertragen konnte. Junker Wulf hat seine Mutter sehr oft weinen sehen; er ist sogar Zeuge gewesen, wie der Vater seine vergötterte Mutter schlug. Was Wunder, wenn er den Vater damals zur Rechenschaft zog? Daß der leidenschaftliche Knabe sich zu etwas hinreißen ließ, was er als besonnener Mann selbstverständlich nie und nimmer getan hätte – wer will ihm das verargen?«

»Herr Bürgermeister, ich habe dem Herrn Baron zehn Jahre lang treu gedient und habe nur Gutes von ihm erfahren!« brauste der Rendant auf.

Horn lächelte mitleidig.»Schon gut, Herr Otz«, beschwichtigte er den anderen, »ich sehe ein, wir beide werden uns nicht verständigen – und wenn wir bis zum jüngsten Tage reden würden.«

»Ich muß Herrn Otz unbedingt beipflichten«, meldete sich nun derApotheker. »Ein Sohn, der seinen Vater mit der Reitpeitsche verprügelt –«

»Gestatten Sie, daß ich Sie unterbreche«, warf der Bürgermeister ruhig ein – doch daran, daß seine Stirn sich bedenklich rötete, sah man, daß er keineswegs so ruhig war, wie er sich geben wollte. »Der Junker hat nichts anderes getan, als dem Vater die Gerte aus der Hand zu reißen, mit der dieser die Baronin in brutalsterWeise schlug. Daß der Junker in der wahnsinnigen Erregung, in der er sich nach diesem Vorfall befinden mußte, vielleicht dem Vater mit der Gerte unter der Nase herumgefuchtelt und ihm Worte gesagt hat, die besser ungesprochen geblieben wären, das ist sehr wohl möglich. Selbst das wäre zu verstehen gewesen, wenn der Sohn den Vater geschlagen hätte, der sich in diesem Augenblick dem Knaben unverhüllt in seiner ganzen Gemeinheit und Roheit zeigte.

Doch der Junker biß nur die Zähne zusammen und wandte sich von dem Vater voller Verachtung ab. Und das hat den alten Despoten wohl am meisten inWut versetzt.

Das wird der Hauptgrund gewesen sein, warum der Vater den Sohn nicht mehr sehen und ihn in Elchshagen nicht mehr dulden wollte.«

Nach diesen Worten war es sekundenlang still, und der Bürgermeister glaubte schon, diese engherzigen Seelen endlich bekehrt zu haben. Aber als ein anderer mit geringschätzigem Lächeln meinte: »Herr Bürgermeister sehen eben alles durch die Brille der Liebe, da der Junker nun mal Ihr Liebling ist«, da sah er ein, daß er diese Leute wohl niemals bekehren könnte.

Jedenfalls hielt Horn es für zwecklos, noch länger mit ihnen zu streiten.

*

Wulf Rüdersloh wohnte nicht mehr in dem sogenannten »Hotel«. Er hatte sein Quartier inzwischen gewechselt und hauste nunmehr in einem kleinen Stübchen bei einer alten Witwe.

»Stiefel muß sterben!« klang die halb lustige, halb wehmütige Weise auf, während der, über dessen Lippen sie kam, einen lebensmüden Stiefel in seinen Händen hin und her drehte.

Ja, der war erledigt! Da half alles nichts. Aber neue Stiefel konnte er sich im Augenblick nicht kaufen; denn das Geld für diesen Monat war futsch, restlos futsch. Bis es neues gab, dauerte es noch eine Woche.

Als es klopfte, sah er nicht auf. Er schaute erst auf, als seine Wirtin sich vernehmlich räusperte.

»Nanu, Mutter Schwalke, heute so in Wichs?« fragte er lachend. »Und auch ein so feudales Tafeltuch und ein silbernes Besteck?«

»Ganz wie es sich für einen Baron gehört«, entgegnete die rundliche herzensgute Frau mit Würde; und da sprang Wulf Rüdersloh auf.

»Also haben Sie es endlich rausgekriegt?« fragte er vergnügt. »Sie wollen also durchaus damit recht behalten, daß Sie einen Märchenprinzen in mir sehen. Nun sind Sie sicherlich gewaltig enttäuscht, daß ich kein Prinz bin, nicht wahr, Mutter Schwalke?«

»Ob Prinz oder Baron, das ist doch beinahe dasselbe«, meinte sie.

»Und wie haben Sie das endlich erfahren, Mutter Schwalke?«

Sie blitzte ihn mit ihren verschmitzten Äuglein an.

»Na, Herr Baron, man ist doch schließlich nicht auf den Kopf gefallen. Daß Sie kein einfacher Chauffeur sind, das sieht man doch gleich auf den ersten Blick. Und weil ich weiß, woher Sie stammen, habe ich eben meiner Lotte geschrieben, sie sollte doch mal bei den Leuten rumhorchen, ob sie nichts von einem Wulf Rüdersloh wüßten. Die Lotte ist nämlich bei der Gnädigen in Elchshagen Zofe.«

Sie hielt erschrocken inne, denn sie merkte, wie Wulf Rüdersloh zusammenzuckte.

Zögernd schritt sie auf ihn zu. Er war an das Fenster getreten und starrte hinaus. Sie legte ihm die Hand auf den Arm. Da fuhr er herum. Noch zuckte es in seinem Antlitz, doch in seinen blauen Augen lag schon wieder so etwas wie ein Lachen.

»Herr Baron, ich bin ein Schaf, ein dummes Huhn, bin ein Kalb«, beschuldigte sie sich, während ihre Augen in Tränen schwammen; und da war es mit der Traurigkeit des jungen Mannes vorbei. Er lachte auf.

»Na, hören Sie, Mutter Schwalke, das ist ja eine ganz unmögliche Zusammenstellung«, neckte er sie. »Aber nun lachen Sie mich mal ganz gehörig aus, und dann bin ich wieder vernünftig. Sagen Sie, Mutter Schwalke, habe ich nun recht oder nicht, wenn ich behaupte, Sie seien mir wie ein Stück Heimat? Nun ist gar Ihre Tochter in – meinem Elchshagen!«

Das klang schon wieder traurig und weh. Und traurig konnte Mutter Schwalke ihr »Wulfchen« nicht sehen.

»Na, gewiß bin ich ein Stück Heimat für den lieben Junker«, sagte sie hastig. »Ich stamme doch auch aus Ostpreußen – sogar aus der Gegend von Elchshagen. Ich bin ja nur nach Berlin gegangen, weil Otto vor zehn Jahren arbeitslos wurde und sich hier eine Monteurstelle bot. Aber nun sollte der Herr Baron erst mal frühstücken. Es wird Ihnen bestimmt schmecken. Ich habe heute wieder ein Paket von zu Hause bekommen.

Sie wissen doch, von meinem Bruder. Schmecken Sie man den Schinken, Herr Baron, so was bekommt man hier nicht mal zu riechen.«

»Mutter Schwalke, ich werde keinen Bissen von all den köstlichen Dingen essen, wenn Sie auch nur einmal noch ›Herr Baron‹ zu mir sagen«, drohte er. »Ich bin der Chauffeur Rüders und damit basta. Und wenn ich nicht wüßte, daß Sie die seltene Tugend besäßen, schweigen zu können, so würde mir jetzt angst und bange werden, daß mich hier bald die ganze Nachbarschaft anstarren und Märchen über Märchen um meine Person spinnen würde. Dabei bin ich nichts weiter als ein Mensch, der bis jetzt blind und taub in den Tag hineinlebte. Geld zu vergeuden und dem lieben Gott die Tage wegzustehlen, das war meine ganze Beschäftigung. Das einzige, was ich kann, ist chauffieren, mich schönen Frauen gegenüber tadellos benehmen und bewegen und mit eben diesen Damen schön tun.«

Er hatte sehr bitter gesprochen, und der guten Mutter Schwalke brach fast das Herz vor Mitgefühl.

»Sie haben an Ihrem Unglück gar nicht mal die Hauptschuld, Herr Baron – nein, wenn ich es nicht sagen soll, werde ich es auch nicht tun. Seien Sie nur nicht immer so traurig, der liebe Gott hat noch keinen im Stich gelassen und wird auch Ihnen weiterhelfen. Essen Sie nur von dem schönen Schinken und dem Landbrot; denn gut essen und trinken jagt alle Hirngespinste zum Kuckuck.«

Sie nickte ihm herzlich zu und verschwand flink aus dem Zimmer, während er sich an die Mahlzeit machte.

Doch er konnte nicht viel essen, denn all die guten Dinge stammten aus der Gegend, wo er zu Hause war.

Er schob den Teller hastig zur Seite, sprang auf und hastete in dem kleinen Zimmer umher.

Er wollte sich dazu zwingen, an sein jetziges Leben zu denken, wollte sich einreden, daß er zufrieden sei – doch immer stand das Heimatbild vor seinen Augen.

Sein Elchshagen, auf dem nun andere lebten!

Wem sollte er die Schuld an seinem Geschick zuschieben – seinem Vater, sich selber?

Ach, es ist ja so einfach und leicht, andere für das verantwortlich zu machen, was man zum großen Teil selber verschuldet hat!

Er konnte froh sein, daß das Schicksal ihn nicht gleich aus dem Leben des Glanzes und des Müßigganges in dieses Dasein der Not und Entbehrung hineingeworfen hatte. Daß er als Übergang erst die bitteren Jahre in Elchshagen hatte durchkämpfen müssen. Wäre er gleich hier hereingeraten, er hätte alles das nicht überstanden, hätte sicherlich sein verpfuschtes Leben von sich geworfen.

Schon die Heimkehr aus seinem früheren Bummlerdasein nach Elchshagen hätte ihn beinahe umgeworfen.

Kein Buch war richtig geführt gewesen. Es hatte unendliche Mühe gekostet, in die verworrenen Verhältnisse wenigstens einigermaßen Ordnung zu bringen.

Dann hatte er sich mit dem Manne befaßt, dem sein Vater jahrzehntelang rückhaltlos vertraute. Es war anzunehmen, daß er in geradezu schamloser Weise in seine Tasche gewirtschaftet hatte, aber trotz aller Verdachtsgründe war es doch nicht möglich, ihn für sein Verhalten zur Verantwortung zu ziehen.

Dieser Kurk war ein mit allen Wassern gewaschener Halunke, dem einfach nicht beizukommen war.

Im ersten Groll hatte der erbitterte Junker rücksichtslos gegen ihn vorgehen wollen. Ruhiger geworden, nahm er davon Abstand, weil er sich sagte, daß er doch nichts erreichen würde.

Und dann kam das Abschiednehmen von der geliebten Heimat.

Es hatte eine Wunde geschlagen, die sich niemals schließen würde.

Wenn er an den Beginn seines neuen Lebens dachte, dann wunderte er sich, wie er das alles hatte überstehen können – all das Zermürbende, das sich ihm überall in den Weg gestellt hatte, ihm, der entschlossen war zu arbeiten.

Überall, wo er auch seine Kräfte anbot, tat man ihn mit bedauerndem Achselzucken ab, traute ihm keine ernste Arbeit zu.

Da wandte er sich kurz entschlossen an das Arbeitsamt, und das besorgte ihm eine Stelle als Chauffeur.

Der Lohn war nicht gerade üppig; doch für die Ansprüche dieses ehemaligen Globetrotters, den Not und Bitternisse bescheiden gemacht hatten, genügte er. Und mehr als einmal sagte er sich, daß er mit dem Leben, das er nun führte, zufrieden sein könne.

Doch das Schicksal hatte noch lange nicht mit diesem Manne abgerechnet.

So kam es dann, daß ihm eines Tages eine unsichere Autolenkerin in seinen Wagen fuhr. Ihn traf nicht die geringste Schuld – und doch kostete ihn dieserVorfall seine Stellung. Denn er zog sich bei dem Zusammenstoß erhebliche Schnittwunden zu und kugelte sich das rechte Schultergelenk aus, so daß es Wochen währte, bis er wiederhergestellt war.

Als er sich dann bei dem Chef meldete, teilte dieser ihm bedauernd mit, daß sein Posten schon besetzt sei. Man hatte nicht so lange warten könen, bis er gesund sein würde.

Wulf Rüdersloh nahm seinen Lohn für sechs Wochen in Empfang und ging.

Und an dem Abend, als er mit so bitteren Gedanken in seinem gemütlichen Stübchen saß – als er soweit war, daß er mit Gott und dem Schicksal zu hadern begann, da ging sein Blick immer wieder zu der Kommode hin, in der ein funkelndes Etwas lag, das helfen konnte, das gepeinigte, erbitterte Herz zur Ruhe zu bringen.

Er stand sogar auf, hatte schon den Schlüssel in das Schloß der Kommode gesteckt – und schrak doch noch zurück.

Mutter Schwalke ahnte ungefähr, was in der Seele ihres Junkers vorging. Doch sie schwieg und versuchte mit weichen, behutsamen Händen die Wunde zu heilen.

Und wie glücklich war sie nur, als er das erste Mal wieder lachte.

Es war an einem Abend, als Mutter Schwalke mit dem Abendessen zugleich die Nachricht brachte, daß die Dame, die ihm in den Lieferwagen gefahren war, bei ihr gewesen sei und nach ihm gefragt habe. Jedenfalls möchte er sich morgen elf Uhr im Hotel Adlon vorstellen.

Als er am nächsten Tage aus dem Hotel zu Mutter Schwalke zurückkehrte, konnte er ihr die Mitteilung machen, daß ihn Fräulein Josepha Sorge als Chauffeur angestellt habe.

Mutter Schwalke freute sich. Doch diese Freude verwandelte sich in Betrübnis, als sie ihren Junker von jetzt an sehr selten zu sehen bekam, weil er mit seiner Herrin viel unterwegs war.

Ein Vierteljahr später erschien er jedoch bei Mutter Schwalke und erklärte ihr, daß er wieder hierbleiben möchte, da er von Fräulein Sorge fort sei.

Mutter Schwalke war ehrlich erschrocken. Als sie aber sah, wie er mit dem Leben wieder einmal vollständig fertig zu sein schien, fragte sie nicht weiter, eilte flink in ihre Küche und sorgte für einen Kaffee.

Und erst, als er den starken, belebenden Trank genossen hatte, wurde er gesprächiger. Und mit viel Geschick und Schlauheit bekam Mutter Schwalke endlich heraus, was sie gern wissen wollte. Er war also von seiner Brotherrin gegangen, weil diese ihn hatte heiraten wollen.

»Aber Junker Wulf, das wäre doch ein Glück für Sie«, meinte sie eindringlich, da fuhr er entrüstet auf: »Mutter Schwalke, wenn Sie noch ein einziges Wort sagen, dann werde ich böse«, drohte er. »Sehen Sie sich die Schleiereule nur einmal genau an, dann gehen Ihnen bestimmt die Augen über.«

»Na, na – na, na«, begütigte das Mütterchen, »das habe ich ja nicht gewußt. Aber wenn sie hübsch und jung wäre, dann wäre sie doch wirklich eine Frau für unseren Junker, denn nur eine reiche Heirat kann uns wieder auf die Beine bringen, Junker.«

»Und wenn sie nicht gestorben sind, leben sie noch heut«, unterbrach er sie und mußte nun doch wieder lachen, so wenig ihm danach zumute war. »Ich will Ihnen mal was sagen, Mutter Schwalke – für eine solche Frau, die mir Elchshagen zurückkaufen kann, danke ich. Mir jeden Morgen auf die Frühstücksstulle und abends aufs Butterbrot meine Würde als Prinzgemahl schmieren zu lassen, das würde ich nicht ertragen. Ich habe jetzt ganz andere Sorgen, Mutter Schwalke, nämlich die, wie ich mir neuen Broterwerb verschaffe.«

Das war in den nächsten Wochen seine Hauptbeschäftigung. Doch wohin er sich auch wandte, überall bedauerte man, konnte ihn nicht gebrauchen, da er ja nichts gelernt hatte und über keine Zeugnisse verfügte.

Verstand er denn wirklich nichts – er, ein Mann von mehr als dreißig Jahren. Doch, etwas verstand er: Zu reisen, mit vollen Händen Geld auszugeben, mit schönen Frauen zu flirten und eine Zierde ihres Salons zu sein.

In diesem Fache war er allerdings ein Meister. Nur leider ließ sich nirgends ein Bedarf für derartige Meister entdecken.

So wurde er denn Gelegenheitsarbeiter, sprang überall ein, wo eine Kraft gebraucht wurde. Wohl selten schuftete ein Mensch so gern wie er, keine Arbeit war ihm zu gering – und doch wurde er sie immer bald wieder los.

Denn das Glück, dessen Schoßkind er früher gewesen, schien ihn wirklich ganz und gar verlassen zu haben. Hatte er mal einen annehmbaren Posten, konnte er sicher sein, daß irgend etwas Unvorhergesehenes eintrat und ihn von diesem wieder verdrängte.

Doch Wulf Rüdersloh ließ nicht locker. Er suchte sich in zähem, verbissenem Ringen zu behaupten. Sein Antlitz wurde hart und kantig; die Augen verloren das frohe Leuchten, die Falte zwischen den Brauen kerbte sich immer tiefer in die Stirn; der Mund wurde hart und schmal wie ein Strich.

Im Verlaufe eines Jahres war er ein ganz, ganz anderer Mann geworden als der, der seine Heimat verlassen hatte.

*

Baron von Rüdersloh-Wolfsschlucht schritt langsam die Landstraße entlang. Er war der Bruder des verstorbenen Barons Rüdersloh-Elchshagen und der Onkel Junker Wulfs. Als zweitgeborenem Sohn war ihm das an Elchshagen grenzende Rittergut Wolfsschlucht zugefallen.

Baron Jochen hatte mit seinem verstorbenen Bruder nicht die mindeste Ähnlichkeit – weder innerlich noch äußerlich. Der Elchshagener Rüdersloh hatte niemals verleugnen können, daß er jahrelang über glänzendes Hofparkett geschritten war.

Vom Hofparkett hatte er auch seine schöne Gemahlin nach dem Schlosse seiner Ahnen entführt, wo es der Weltdame viel zu einsam war. Er hatte sie aber gewaltsam darauf festgehalten und sie bewacht wie der gewissenhafteste Kerkermeister.

Wollte sie sich seinen Wünschen nicht fügen, hatte er brutal zur Peitsche gegriffen. Bis der Sohn schließlich heranwuchs und die Mutter in ihm einen Beistand fand. Seitdem gab es im Hause wüste Szenen. Zuletzt spitzten sich die schon unerträglichenVerhältnisse so sehr zu, daß die Baronin aus Elchshagen entfloh und der Sohn mit ihr ging.

Hätte den Baron Arved bei der furchtbaren Erregung damals nicht der Schlag gerührt, der eine Lähmung beider Beine zur Folge gehabt hatte, die schöne Rena hätte mit ihrem Sohn niemals ein so behagliches und freies Leben führen können. Der Gatte hätte sie wohl überallhin verfolgt.

Und daß er das nicht konnte, daß er an den Rollstuhl gefesselt war, das war die Ursache jenes glühenden Hasses, der noch mehr dem Sohne galt als der Gattin.

Ganz anders war sein Bruder Jochen.

Auch seine Gattin hatte nichts mit der überkultivierten Rena gemein gehabt. Während diese einer Südländerin geglichen hatte, war die Frau des Wolfsschluchter Rüdersloh das Urbild einer deutschen Edelfrau gewesen, und sie hatte dasselbe blonde Haar und dieselben blauen Augen wie ihre beiden im Kriege gefallenen Söhne.

Ebenso blond war auch Junker Wulf. Er war ein echter Rüdersloh, während seinVater nichts von seinen Ahnen an sich gehabt hatte.

Der Tod seiner beiden Söhne hatte Baron Jochen bis ins Mark getroffen. Seine Gattin hatte ihn überhaupt nicht verwinden können und war schon einige Jahre später den Söhnen gefolgt. Seitdem hauste Baron Jochen allein in Wolfsschlucht.

Heute, als er zu einem entfernt gelegenen Grundstück hinritt, mußte er an Elchshagen vorüber.

Der Baron kam an eine Stelle, wo die Bäume des Parkes nicht besonders dicht standen. Da sah er auf dem Weiher einen Kahn und in ihm die neuen Besitzer des Gutes.

Schienen die lieben Herrschaften endlich einmal anwesend zu sein! Die schöne Leila saß im Boot; man sah deutlich ihr gelbes Kleid herüberschimmern.

Sich ein so verrücktes Kleid anzuziehen!

Jetzt wurden des Barons Gedanken abgelenkt, denn sein Gaul spitzte die Ohren und tänzelte unruhig hin und her. Richtig, man hörte das Nahen eines Motorrades.

Jetzt war es schon in Sicht.

Und warum hielt der Kerl.

»Ha – trollen Sie sich gefälligst, mein Lieber, sonst mach’ ich Ihnen Beine!« schimpfte er. »Sehen Sie denn nicht, daß mein Gaul kein Lamm ist?«