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Leni Behrendt nimmt längst den Rang eines Klassikers der Gegenwart ein. Mit großem Einfühlungsvermögen charakterisiert sie Land und Leute. Über allem steht die Liebe. Leni Behrendt entwickelt Frauenschicksale, wie sie eindrucksvoller nicht gestaltet werden können. »Du sollst mich nicht immer schlagen! Was habe ich dir überhaupt getan?« klang eine zornige Kinderstimme über die weiten Rasenplätze des Parkes bis zur Terrasse hin, auf der vier Menschen geruhsam saßen und nun aufhorchten. Jetzt wurde eine scheltende Frauenstimme hörbar: »Was du getan hast, danach fragst du frecher Bengel? Staub wirbelst du auf bei dem Gejage mit dem dämlichen Hund und verdirbst mir damit meine Garderobe!« »Mein Hund ist nicht dämlich, und ich bin kein frecher Bengel, sondern der Erbherr von Haßlingen. Und wenn du mich noch einmal schlägst, dann schlage ich dir mit der Gerte ins Gesicht!« Ein wütendes Frauenlachen, dann war es still. Die Dame, die mit drei Herren auf der Terrasse saß, wandte sich nun an den jüngsten von ihnen. »Da hörtest du einen der Zwischenfälle, wie sie hier an der Tagesordnung sind, Hasso. Wenn ich dir davon erzählte, wolltest du mir nie so richtig glauben. Eva ist die denkbar schlechteste Erzieherin, und wenn du dein einziges Kind immer weiter unter solch minderwertiger Obhut und Führung läßt, dann handelst du gewissenlos.« Der Mann fuhr sich über das Haar und lachte kurz auf. »Und möchtest du mir nicht sagen, wie ich da eine Änderung schaffen soll, Tante Käte? Du weißt ganz genau, wie viele Erzieherinnen wir in kurzer Zeit hier hatten. Ein Dutzend reicht wohl kaum. Es wird eben niemand mit dem schwierigen Kind fertig.« Er sprang auf und durchmaß mit langen Schritten die Terrasse. Er verfügte über eine blendende Erscheinung, der Graf Haßlingen; schlank und wundervoll gewachsen. Blondes, leicht gewelltes Haar umgab den schmalen Kopf, über dem rassigen Antlitz lag ein Zug von Hochmut, in den Augen von kaltem klarem Blau blitzte etwas wie Spott und Überlegenheit.
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Seitenzahl: 166
Veröffentlichungsjahr: 2023
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»Du sollst mich nicht immer schlagen! Was habe ich dir überhaupt getan?« klang eine zornige Kinderstimme über die weiten Rasenplätze des Parkes bis zur Terrasse hin, auf der vier Menschen geruhsam saßen und nun aufhorchten.
Jetzt wurde eine scheltende Frauenstimme hörbar: »Was du getan hast, danach fragst du frecher Bengel? Staub wirbelst du auf bei dem Gejage mit dem dämlichen Hund und verdirbst mir damit meine Garderobe!«
»Mein Hund ist nicht dämlich, und ich bin kein frecher Bengel, sondern der Erbherr von Haßlingen. Und wenn du mich noch einmal schlägst, dann schlage ich dir mit der Gerte ins Gesicht!«
Ein wütendes Frauenlachen, dann war es still.
Die Dame, die mit drei Herren auf der Terrasse saß, wandte sich nun an den jüngsten von ihnen.
»Da hörtest du einen der Zwischenfälle, wie sie hier an der Tagesordnung sind, Hasso. Wenn ich dir davon erzählte, wolltest du mir nie so richtig glauben. Eva ist die denkbar schlechteste Erzieherin, und wenn du dein einziges Kind immer weiter unter solch minderwertiger Obhut und Führung läßt, dann handelst du gewissenlos.«
Der Mann fuhr sich über das Haar und lachte kurz auf.
»Und möchtest du mir nicht sagen, wie ich da eine Änderung schaffen soll, Tante Käte? Du weißt ganz genau, wie viele Erzieherinnen wir in kurzer Zeit hier hatten. Ein Dutzend reicht wohl kaum. Es wird eben niemand mit dem schwierigen Kind fertig.«
Er sprang auf und durchmaß mit langen Schritten die Terrasse.
Er verfügte über eine blendende Erscheinung, der Graf Haßlingen; schlank und wundervoll gewachsen. Blondes, leicht gewelltes Haar umgab den schmalen Kopf, über dem rassigen Antlitz lag ein Zug von Hochmut, in den Augen von kaltem klarem Blau blitzte etwas wie Spott und Überlegenheit.
Alles in allem keine alltägliche Erscheinung. Kein Wunder, daß der Mann den Frauen nur zu gut gefiel – sie liebten und fürchteten ihn zugleich.
Und er?
Nun, er war durchaus kein Frauenfeind, obwohl er das zarte Geschlecht nicht besonders achtete – doch zum Zeitvertreib genügte es ihm.
Bei der Wahl seiner Gattin jedoch mußte er, als Oberhaupt eines alten erlauchten Geschlechts, sehr vorsichtig sein. Also wählte er aus dem Stab seiner Anbeterinnen eine Prinzessin, ehelichte sie und kam somit seiner Pflicht als Majoratsherr standesgemäß nach.
Allein, es wurde die ruhige, gleichmäßige Ehe nicht, die er sich mit der Frau versprach. Sie verfolgte ihn mit leidenschaftlicher Liebe und Eifersucht, was ihn zuerst ergötzte, dann störte und zuletzt anwiderte. Die Ehe wurde ihm zur Fessel, die der Tod dann löste, da die lebensgierige, vergnügungssüchtige Frau mit ihrer ungemein zarten Gesundheit Raubbau trieb. Die Folge davon war, daß ihr schwaches Herz eines Tages das unsinnige Gehetze nicht mehr mitmachte und nach dreijähriger Ehe seinen letzten Schlag tat.
Nun, das Verlöschen dieses unruhigen, leidenschaftlichen Lebens brachte keinem Herzeleid, es hinterließ keine Lücke. Selbst bei dem Kinde nicht, um das diese oberflächliche Mutter sich nie gekümmert hatte.
Das alles trug wahrlich nicht dazu bei, des Grafen Meinung über die Frauen zu verbessern.
Die einzige Frau, die er hoch achtete und für die er ein warmes Gefühl hegte, war die Schwester seines Vaters, die nun seinem Haus vorstand.
Sie war aber auch ein prächtiger Mensch, die Gräfin Skott, die vor einer Reihe von Jahren den Gatten durch den Tod verlor.
Mit ihren nahezu sechzig Jahren verfügte sie immer noch über eine blühende Gesundheit, ihre ganze Persönlichkeit atmete herzerquickende Frische. Die Gestalt war kräftig, das Gesicht zeigte rosige Farben, das Blondhaar durchzog noch kein grauer Faden; ihr Wesen war heiter, sachlich und resolut.
Jetzt rief sie lachend den Grafen an, der noch immer die Terrasse durchquerte: »Stopp ab, Hasso, sonst machst du uns mit dem Gerenne noch seekrank. Setz dich, zünde eine Zigarette an und tu in Worten kund, was dich bewegt.«
Er tat es, und während er rauchte, verlor sich der unmutige Zug in seinem Gesicht, es zeigte wieder den gewohnten hochmütigen, spöttischen Ausdruck.
Die anderen beiden Herren waren Professor Bender und Baron Eigenhorst.
Ersterer, ein vorzüglicher Arzt in der naheliegenden Stadt, durfte sich rühmen, ein gerngesehener Gast in dem exklusiven Hause zu sein. Denn Graf Haßlingen öffnete nicht jedem die Pforte seines feudalen Schlosses.
Aber auch in einem solchen kann es Eindringlinge mit dickem Fell geben – und zu diesen gehörte Baron Eigenhorst. Ein eitler Geck trotz seiner sechzig Jahre, der immer wieder einen Grund fand, seinen Nachbarn Haßlingen aufzusuchen, der wiederum zu höflich war, um den unangenehmen Gast einfach hinauszuwerfen.
Dieser alte Geck klemmte jetzt sein Monokel fester und lächelte süffisant.
»Warum sich denn mit Erzieherinnen herumplagen, Graf? Heiraten Sie wieder, und Ihr Sohn ist gut untergebracht.«
»Aber ich bitte Sie, Baron, warum sich denn mit Rosenketten fesseln?« kam es sarkastisch zurück. »Auch die können unbequem werden, und ich liebe nun einmal die Bequemlichkeit.«
»Recht hast du, mein Sohn«, bekräftigte die Tante. »Gebranntes Kind scheuts Feuer. Was wir hier brauchen, ist eine geeignete Erzieherin für das Kind. Wer uns dazu verhelfen könnte, den würde ich in Gold fassen.«
Jetzt lachte der Professor amüsiert auf. »Dann bitte sehr, Gräfin, ich bin nämlich in der glücklichen Lage, mit dem ersehnten Exemplar aufzuwarten.«
»Tatsächlich?« Sie sah ihn mißtrauisch an. »Mein lieber Freund, ich glaube nicht, daß so ein Wunderwesen die Erde birgt.«
»Wollen wir es darauf ankommen lassen?« neckte er.
»Ich bin begierig zu hören.«
»Und wie wird es mit der Goldfassung?«
»Erst die Ware, dann das Geld.«
»Na schön, gedulde ich mich«, blitzte es in seinen Augen humorvoll auf. »Wetten, daß…«
»Nicht abschweifen«, unterbrach sie ihn lachend. »Wer ist das Phänomen?«
*
»Phänomen…«, dehnte der Professor, »nun, ich weiß ja nicht. Es ist ein ganz natürliches Menschenkind, das ich empfehlen möchte, und zwar die Tochter meines besten Freundes, der leider vor zwei Jahren starb und somit seiner treuen Ehekameradin folgte, die ihm vorausgegangen war. Der Mann war ein feingeistiger Gelehrter, die Gattin eine schöne Frau voll Klugheit und Herzensgüte.
In dieser Atmosphäre wuchs das einzige Kind auf, gesund an Leib und Seele, von den Eltern gehütet und gehegt als kostbarstes Kleinod…«
»Also ein vergöttertes Töchterchen, das nach dem Tode des Vaters hilflos dastand«, warf die Gräfin trocken ein, er winkte aber lächelnd ab.
»Mitnichten, diese Tochter stand gewiß nicht hilflos da. Das Lernen fiel ihr nämlich so leicht und machte ihr solchen Spaß, daß sie mit Einverständnis der Eltern studierte und seit kurzem den Dr. phil. in der Tasche hat.«
»Halten Sie ein!« flehte die Gräfin. »Sie werden uns doch nicht so etwas antun und uns einen Blaustrumpf ins Haus bringen, Herr Professor? Gräßlich! Mit Männermanieren, Reformrock und schiefen Absätzen!«
»Aber, aber, Gräfin, so etwas lief mal früher herum und dürfte in unserer Zeit längst überholt sein. Trotz der Wissenschaft hat sich das Mädchen das echt Weibliche bewahrt. Es will ja auch erst dann davon Gebrauch machen, wenn es muß. Vorläufig jedoch zieht es eine Stellung in der Familie vor.«
»Na schön. Wie sieht sie denn aus?«
»Ja, Gräfin, für diese Schilderung bin ich zu sehr Partei. Jedenfalls ist sie blond.«
»Hörst du es, Hasso? Das können wir dir doch unmöglich antun, dir, dem Feind aller Blondheit.«
Der Graf steckte gerade eine Zigarette in Brand; die schweren Ringe an seiner Hand funkelten und blitzten. Das Feuerzeug klappte zu, und der Mann lächelte ironisch.
»Tantchen, du übertreibst. Ich liebe die Blonden nicht, das wissen wir alle. Aber so weit geht meine Antipathie denn doch nicht, daß sie sich bis auf die Erzieherin meines Sohnes erstreckt.«
Damit legte er sich tiefer in den Korbsessel zurück, während sich der Arzt mit feinem Lächeln an den Baron wandte.
»Ihnen dürfte die junge Dame nicht unbekannt sein – wenigstens ihr Name nicht. Er lautet nämlich Storten.«
Und dieser Name ließ den alten Geck hochfahren. »Storten sagten Sie, Herr Professor? Dann ist dieser Blaustrumpf doch nicht etwa…«
»Jawohl – sie ist’s.«
»Herr Professor, welch eine Geschmacklosigkeit!« erregte sich das Männlein nun. »Gräfin, lassen Sie die Finger von dem Mädchen, ich rate Ihnen gut! Es ist nämlich die Tochter meiner Schwester, die verkörperte Spießbürgerlichkeit. Die paßt bestimmt nicht hierher.«
»Soviel ich weiß, kennen Sie die junge Dame gar nicht persönlich«, unterbrach ihn der Arzt scharf. »Demnach steht Ihnen ein Urteil gar nicht zu.«
»Ach was, kennen oder nicht!« ereiferte sich der Baron immer mehr. »Ich kenne ihren Vater – diesen – diesen…«
»Halt!« klang Benders Stimme schneidend scharf. »Wägen Sie Ihre Worte, Baron. Storten war mein Freund, und ich lasse meine Freunde nicht beleidigen. – Und Sie, mein Herr haben nicht das geringste Recht dazu – will ich meinen…«, dehnte er die letzten Worte, unter denen der andere zusammenzuckte wie unter einem Hieb. Man merkte, wie er sich gewaltsam bemühte, seiner Erregung Herr zu werden. Es herrschte ein peinliches Schweigen, das dann die scharfe Stimme Benders unterbrach: »Was werfen Sie Ihrem Schwager vor? Er war ein Edelmann und nicht nur dem Namen nach: klug, geistreich, von untadeliger Gesinnung. Trug seine Frau auf Händen, vergötterte sein Kind und ernährte seine kleine Familie durchaus standesgemäß. Ihre Schwester heiratete den Mann aus Liebe, der zwar über keine Reichtümer verfügte wie der andere, den die liebevolle Familie der Baronesse Eigenhorst aussuchte, aber dafür war er ein Ehrenmann.«
»Aber gewiß – gewiß…«, winkte der Baron nervös ab. »Ich will das ja auch gar nicht anzweifeln. Aber haben Sie die Güte und bringen Sie seine Tochter nicht hierher. Ich möchte nämlich nicht, daß meine Nichte in ein dienstliches Verhältnis zu meinen Nachbarn tritt.«
»Soso«, wandte sich Bender mit einer Gebärde ab, die an Verachtung nichts zu wünschen übrigließ. Dann erhob er sich.
»Ich möchte mich verabschieden, Gräfin.«
»Daraus wird nichts, Herr Professor«, wehrte diese lebhaft ab. »Nehmen Sie nur wieder Platz und stehen Sie brav Rede und Antwort. Seitdem ich weiß, daß die kleine Gelehrte die Tochter der schönen Ortrud Eigenhorst ist, interessiere ich mich für sie. Wo hält sie sich jetzt auf?«
»Im Hause des Barons Tiefensee. Man möchte sie gern für die Tochter behalten, aber deren langjährige Erzieherin fühlt sich zurückgesetzt und beginnt Intrigen zu spinnen. Um alledem aus dem Weg zu gehen, räumt Fräulein von Storten freiwillig das Feld. Sehr zum Kummer der Tochter des Hauses, die ihr Idol abgöttisch liebt.«
»Was, die Gisela Tiefensee, dieses verzogene Balg, kann auch jemand abgöttisch lieben?«
»O doch, Gräfin, die Kleine ist besser als ihr Ruf.«
»Na schön, will ich Ihnen glauben. Aber sagen Sie, lieber Freund, wird dieses Fräulein von Storten auch nicht zu anspruchsvoll sein und eine Sonderstellung verlangen?«
»Das glaube ich nicht. Sie ist nämlich klug genug, um zu wissen, daß sie sich als Angestellte unterzuordnen hat.«
»Hm, das klingt ja alles sehr verlockend. Versuchen könnten wir es ja mal mit der jungen Dame. Was meinst du dazu, Hasso?«
»Tantchen, das überlasse ich dir vollständig. Tu, was du willst, ich habe unbedingtes Vertrauen zu dir.«
*
Ein jubelndes Kinderlachen klang in die Rede hinein, vermischt mit dem freudigen Gebell eines Hundes.
Und schon stürmte auf dem gepflegten Parkweg ein fünfjähriger Knabe heran, umsprungen von einer prächtigen Dogge, während eine Dame gemächlich folgte.
Wenig später stand dann das Kind auf der Terrasse, atemlos vom schnellen Lauf. Wirr umbauschten blonde Locken das süße Gesichtchen.
Ein überraschend schöner Knabe, der kleine Erbherr von Haßlingen. Er glich seinem Vater Zug um Zug. Aber zu dieser Schönheit gesellten sich auch Trotz und Eigenwillen, Schroffheit und Unzugänglichkeit. Bei einer Liebkosung konnte der kleine Mann direkt rabiat werden.
Es war Tradition, daß die Erbherren von Haßlingen den Vornamen Hasso führten. So auch die beiden letzten, und zum Unterschied vom Vater wurde der kleine Sohn »Bub Hasso« genannt.
Jetzt hatte auch die Dame die Terrasse erreicht. Eva von Haßlingen war eine Base des Schloßherrn, die vor einiger Zeit nach Hassenort gekommen war, und zwar als Erzieherin des kleinen Knaben. Sie erlitt dabei jedoch genauso ein Fiasko wie ihre Vorgängerinnen, da sie mit ihrem Zögling durchaus nicht umzugehen verstand.
Sie war schön, die Eva von Haßlingen.
Tiefschwarzes Haar umgab ein feines Antlitz, das von dunklen brennenden Augen beherrscht wurde. Die Figur war mittelgroß und schmal. Man hätte nicht geglaubt, daß die junge Dame bereits siebenundzwanzig Jahre zählte.
Und sie konnte bezaubernd sein, die schöne Eva – wenn sie wollte. Und dem Vetter gegenüber wollte sie es sein, was dieser jedoch mit größter Gelassenheit und zeitweiliger Ironie aufnahm, wobei sie dann ganz nett aus ihrer gespielten Rolle fallen konnte.
Oh, wie süß lächelte der Mund, als Evchen nun dem Jungen über die Locken fuhr! Doch der Undankbare schlug nach ihr und sah sie böse an.
»Du sollst mich nicht streicheln, das kann ich nicht leiden. Du tust es auch nur, wenn Papa es sieht, sonst schlägst du mich.«
Jetzt hielt ihn der Vater an den Schultern.
»Sag mal, mein Sohn, benimmt sich so ein kleiner Kavalier?«
Ein hochmütiger Ausdruck erschien auf dem Gesicht des kleinen Hasso.
»Ach, Papi, da soll man Kavalier sein! Eben hat mich Eva wieder geschlagen, weil ich mit Fasold herumtollte. Ich mag sie nicht, sie soll mich in Ruhe lassen.«
»Schön, mein Sohn«, murmelte der Vater. »Du bekommst in Kürze eine richtige Erzieherin. Vielleicht bringst du der wärmere Gefühle entgegen.«
»Das ist ja gar nicht wahr, Papi.«
»Und wie wahr das ist, Bürschchen! Ich habe mir deine Ungezogenheiten lange genug mit angesehen, und hoffe, daß die Erzieherin sie dir austreiben wird.«
Nun war das Kind doch bestürzt. Zaghaft fragte es: »Wie sieht sie denn aus, Papi? Ist sie alt, ist sie häßlich, ist sie böse?«
»Jawohl, sie ist alt. Dazu hat sie brandrote Haare, ein Schielauge, ist lang und dünn wie eine Latte, hat große Füße, knochige Hände, lispelt und ist bitterböse.«
Ganz benommen war Bub Hasso von dieser Schilderung. Daß es so viel Häßlichkeiten zusammen gab, das schien sein Kinderhirn nicht gleich zu fassen. Aber er hätte ja nicht ganz der Sohn seines Vaters sein müssen, wenn er sich hätte so leicht aus der Ruhe bringen lassen. Also schnippte er mit dem Finger.
»Und doch wird sie mir lieber sein als die Eva. Außerdem wird das Fräulein nicht lange bleiben. Ich schlage mit der Gerte nach ihr, dann kündigt sie.«
»Oha, mein Sohn, vielleicht bekommt die Gerte auch bei dir mal wieder Arbeit. Geh jetzt auf dein Zimmer, bis ich dich rufen lasse. Du weißt, ungezogene Kinder sind mir ein Greuel.«
Trotzig machte der Kleine eine tadellose Verbeugung, wie sie auch der Vater zu machen pflegte, dann ging er von dem Hund gefolgt davon.
Professor Bender lachte amüsiert auf.
»Der läßt sich nicht so leicht verblüffen, der kleine Mann. Selbst durch die Schilderung seiner zukünftigen Erzieherin nicht«, rief er lachend.
»Und sieht sie etwa nicht so aus, Professor?«
»Gewiß, genau so.«
»Na also.«
»Na also, ganz so schlimm wird es wohl nicht sein«, meinte die Gräfin, indem sie sich erhob. »Bitte mich einen Augenblick zu entschuldigen, ich möchte rasch den Brief an Fräulein von Storten schreiben.«
Es dauerte aber doch eine ganze Weile, bis sie wieder erschien und Bender das Schreiben aushändigte.
Dankend nahm er es in Empfang und verabschiedete sich.
*
Mit Grimm und Groll geladen, erschien Baron Eigenhorst im Kreise der trauten Familie. Seine Gattin, eine stille Frau, die neben den Ihren ein Schattendasein führte, stickte an einer Decke. Die Tochter Vera, eine üppige Brünette, las und naschte dabei Konfekt. Der Sohn, ebenso geckenhaft wie sein Vater, räkelte sich im Schaukelstuhl und rauchte am laufenden Band. Beim Eintritt des Seniors der Familie sah man kaum auf. Erst als er sich in einen Sessel warf und allerlei Verwünschungen ausstieß, wurde man aufmerksam.
»Was ist denn mit dir los, warum wetterst du so?« fragte die Tochter verwundert.
»Aus der Haut könnte man fahren!« rief der Hausherr. »Die Haßlingen sind doch sonst so wählerisch in ihrem Verkehr, aber ausgerechnet an diesem widerlichen Bender scheinen sie einen Narren gefressen zu haben.«
»Na, laß sie doch«, meinte Vera gleichmütig, das brachte den Erbosten noch mehr in Rage.
»Laß sie doch«, äffte er nach. »Dieser Schleicher hat es nämlich fertig bekommen, der Gräfin Skott eine Erzieherin für den kleinen Hasso aufzuschwatzen – und ausgerechnet meine Nichte – die Storten.«
»Und darüber regst du dich so auf?«
»Halt den Mund!« fuhr der Vater Vera an. »Was weißt du dumme Gans davon, was es für mich heißt, der Tochter dieses Verhaßten auf Schritt und Tritt begegnen zu müssen!«
Vera nahm die liebevolle Bezeichnung nicht übel. Sie schien daran gewöhnt zu sein.
»Hast wohl ein böses Gewissen«, bemerkte sie dreist, duckte sich dann jedoch, um sich der rächenden Vaterhand zu entziehen.
»Ich verbitte mir deine Frechheiten, verstanden?! Sieh lieber zu, daß du diese impertinente Eva bei dem Haßlingen ausstichst und ich dich los werde, bevor du Altertumswert bekommst.«
»Pöh!« tat sie wegwerfend. »Mit der Eva nehme ich es allemal auf. Nichts Echtes an ihr, alles Tünche.«
Da nun Ruhe zwischen Vater und Tochter herrschte, konnte auch der Sohn endlich zu Wort kommen. Er sprach das aus, was ihn brennend interessierte.
»Ist die Storten wenigstens hübsch, alter Herr?«
Wütend sprang der also Betitelte auf.
»Jawohl, sehr hübsch! Brandrot, Schielauge, Bohnenstange!«
Die Tür knallte hinter ihm zu, und der Sohn verlor vor Schreck über die Schilderung sein Monokel.
*
Der Diener meldete, Fräulein von Storten. Und was da sichtbar wurde, war ein gertenschlankes Menschenkind von ungewöhnlicher Schönheit. Aus dem dunklen Samt des Kleides hob sich ein zarter Hals, das feine, ein wenig hochmütige Antlitz zeigte den rosigen Schimmer einer Apfelblüte. Auf dem schmalen Kopf wellte sich gleißendes Blondhaar, das sich zwanglos über den Nacken ringelte. Wunderschön waren auch die Augen – von strahlendem Blau, die gleichgültig über die Anwesenden hinwegschauten. Erst als sie das Kind erfaßten, brach es aus ihnen heraus wie ein leuchtender Strahl. Alles in allem ein betörendes, holdes Menschenwunder.
Und doch war Gräfin Skott von diesem Anblick unangenehm berührt. Was hatte Bender sich eigentlich dabei gedacht, als er dieses eigenartige Mädchen so warm anpries? Das sah bestimmt nicht danach aus, als ob es sich als Angestellte bescheiden einfügen würde.
Fast widerwillig streckte sie der jungen Dame die Hand hin, über die sich die Näherkommende artig beugte. Ein hochmütiges Kopfneigen zu dem Grafen und seiner Base hin, dann blieben die leuchtenden Augen an dem Knaben hängen, der mit vertrotzdem Gesicht den Hals der Dogge umklammerte, als suche er Schutz bei dem treuen Gespielen.
Jetzt stand Dagmar von Storten vor ihm und reichte ihm die Hand, eine ungemein weiche, schmeichelnde Stimme klang auf: »Guten Tag, mein kleiner Junge.«
Dieser ergriff die Hand nicht, das Gesichtchen schien wie in Hochmut erstarrt.
»Ich bin kein kleiner Junge, ich bin der Erbherr von Haßlingen.«
»Ach so«, flüsterte der zarte Mädchenmund. »Dann Verzeihung, Erbherr von Haßlingen.«
Das Kind rührte sich nicht, es wurde immer abweisender.
»Wissen Sie auch, daß ich Sie gar nicht haben will und mit der Gerte nach Ihnen schlagen werde – Sie Fräulein?«
Da lachte Dagmar auf, herzfroh und köstlich unbeschwert. Es nahm sich wunderlich genug in dieser steifen Umgebung aus, das mitreißende goldige Lachen.
Unsicher sah das Kind auf. »Sie glauben mir nicht?«
»Nein, mein Junge. Um das zu tun, müßtest du ein ganz ungezogenes Kind sein und nicht der Erbherr von Haßlingen.«
Gelassen beugte sie sich zu dem Hund nieder und streichelte dessen großen Kopf. Doch schon schlug Bub Hasso ihre Hand zurück.
»Rühren Sie ihn nicht an, er beißt!«
»Aber wo wird er doch! Schau nur, wie lieb er mich ansieht.«
»Tatsächlich, er beißt nicht«, stellte das Herrchen enttäuscht fest, und Dagmar erhob sich lachend.
»Nein, mein Junge, der ist nämlich liebenswürdiger als du.«
Langsam drehte sie sich den anderen zu. Noch lag es wie Sonnenschein über ihrem Gesicht, doch als sie die hochmütigen Mienen sah, wurde auch sie reserviert. Dankend nahm sie den Platz ein, den die Gräfin ihr bot.
»Wie uns Professor Bender erzählte, haben Sie den Dr. phil. in der Tasche, das kann doch wohl kaum stimmen«, eröffnete Gräfin Skott das Gespräch.
»Warum denn nicht, Gräfin?«
»Weil Sie noch zu jung dazu sind. Ich schätze Sie auf höchstens zwanzig Jahre.«
»O nein, dreiundzwanzig sind’s. Ich habe früher das Abitur machen können, als es allgemein üblich ist, dank des vorzüglichen Privatunterrichts, den ich genoß.«
»Und dank des gelehrten Vaters, nicht wahr?«
»Das auch, Gräfin.«