Weil es mein Herz verlangt - Leni Behrendt - E-Book

Weil es mein Herz verlangt E-Book

Leni Behrendt

0,0

Beschreibung

Leni Behrendt nimmt längst den Rang eines Klassikers der Gegenwart ein. Mit großem Einfühlungsvermögen charakterisiert sie Land und Leute. Über allem steht die Liebe. Leni Behrendt entwickelt Frauenschicksale, wie sie eindrucksvoller nicht gestaltet werden können. Bimmelnd schlängelte sich die Kleinbahn die schmalen Schienen entlang, bis sie wieder eine der vielen Haltestellen erreicht hatte und mit grellem Pfiff und scharfem Ruck stehenblieb. Den beiden Reisenden blieb kaum Zeit auszusteigen, als das Bähnlein sich auch schon wieder prustend und stöhnend in Bewegung setzte. Es war stockdunkel; dazu regnete es in Strömen. »Albrecht, wo bist du?« ließ sich eine ängstliche Stimme vernehmen. »Man kann hier ja nicht die Hand vor den Augen sehen!« Eine Taschenlampe blitzte auf, ihr Schein traf eine weibliche Gestalt, die von einem Regenmantel verhüllt war. »Fürchtest du, daß ich heimlich still und leise verschwinden könnte?« kam es neckend zurück. »Komm nur und halte dich an meinem Rockzipfel fest. Ich kann dich nicht führen, da ich die Koffer tragen muß.« »Kann das nicht der Kutscher besorgen? Bring mich so lange in den Wartesaal.« »Den gibt es hier nicht, Kindchen. Eine Wellblechbude ist alles, was die Haltestelle an Unterschlupf zu bieten hat.« »Das ist ja entsetzlich! Albrecht, huh – ich trat eben auf etwas. Ich glaube, es war ein Tier!« »Natürlich! Es war sicherlich ein Wolf, wie sie bei uns hier oben frisch und frech herumlaufen«

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 203

Veröffentlichungsjahr: 2023

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Leni Behrendt Bestseller – 62 –

Weil es mein Herz verlangt

Leni Behrendt

Bimmelnd schlängelte sich die Kleinbahn die schmalen Schienen entlang, bis sie wieder eine der vielen Haltestellen erreicht hatte und mit grellem Pfiff und scharfem Ruck stehenblieb. Den beiden Reisenden blieb kaum Zeit auszusteigen, als das Bähnlein sich auch schon wieder prustend und stöhnend in Bewegung setzte.

Es war stockdunkel; dazu regnete es in Strömen.

»Albrecht, wo bist du?« ließ sich eine ängstliche Stimme vernehmen. »Man kann hier ja nicht die Hand vor den Augen sehen!«

Eine Taschenlampe blitzte auf, ihr Schein traf eine weibliche Gestalt, die von einem Regenmantel verhüllt war. »Fürchtest du, daß ich heimlich still und leise verschwinden könnte?« kam es neckend zurück. »Komm nur und halte dich an meinem Rockzipfel fest. Ich kann dich nicht führen, da ich die Koffer tragen muß.«

»Kann das nicht der Kutscher besorgen? Bring mich so lange in den Wartesaal.«

»Den gibt es hier nicht, Kindchen. Eine Wellblechbude ist alles, was die Haltestelle an Unterschlupf zu bieten hat.«

»Das ist ja entsetzlich! Albrecht, huh – ich trat eben auf etwas. Ich glaube, es war ein Tier!«

»Natürlich! Es war sicherlich ein Wolf, wie sie bei uns hier oben frisch und frech herumlaufen«, lachte der Mann herzlich. Er stellte die Koffer hin und hob die leichte Gestalt auf die Arme.

»Komm schon, du Hasenherz, bevor du dich noch ganz in Angst auflöst.«

Sicher landete die junge Frau dann auf dem Sitz des Wagens, dessen Halbverdeck sie vor dem Regen schützte. Wie ein Kind ließ sie sich von dem Gatten in die Decke hüllen. Und erst als sie warm und gut saß, eilte er in Begleitung des Kutschers davon, um die abgestellten Koffer zu holen. Dann nahm er neben der Gattin Platz, die sich beglückt an ihn schmiegte.

»Sitzt du auch warm, mein Liebstes?« fragte er zärtlich.

»Ja.«

»Und fürchtest dich auch nicht mehr?«

»Wenn du bei mir bist, niemals. Obgleich die Dunkelheit beängstigend genug ist. Wird der Kutscher uns auch richtig fahren?«

»Darauf kannst du dich verlassen. Der alte Klinkeit und sein braver Gaul finden den Weg im Schlaf. Lieber wäre ich ja heute mit dir im Auto gefahren, weil man rascher vorwärts kommt und auch wärmer sitzt. Aber wie mir Klinkeit eben erzählte, ist das einzige Mietauto des Dorfes gerade unterwegs. Wir müssen also auch so zufrieden sein.«

»Mir ist es gleich, worin ich fahre. Die Hauptsache ist, daß du bei mir bist«, beteuerte die junge Frau zärtlich. Zwei weiche Arme legten sich um den Hals des Mannes, der seine ihm vor drei Tagen angetraute Frau fest umfaßte.

Er liebte es ja über alles, dieses feine, zarte Geschöpf, und das heiße Glücksgefühl überwältigte ihn immer wieder aufs neue. So viel Liebes, Zärtliches hatte er seiner kleinen Frau zu sagen, die beseligt der warmen Stimme lauschte.

Sie merkten beide nicht, wie der Regen auf das Verdeck des Wagens klatschte und von dort auf die Lederdecke rann. Sie schraken erst aus ihrer seligen Versunkenheit auf, als der Wagen hielt.

»Sind wir denn schon angelangt, Klinkeit?« fragte der Mann verwundert.

»Jawohl, Herr Doktor. So schnell ist uns die Zeit wohl noch nie vergangen«, kam es schmunzelnd zurück.

Lachend stieg der junge Arzt vom Wagen und hob dann seine Frau herab. Ganz fest drückte er sie an sich, bevor er sie behutsam zur Erde gleiten ließ. Klinkeit reichte die beiden Koffer hinunter, und langsam ratterte der Wagen über das holprige Pflaster der Dorfstraße weiter.

»Nimm bitte die Taschenlampe, Karola, und geh voran«, bat der Gatte, der sich wieder mit den Koffern belud. »Wir hätten doch lieber bei Tage hier ankommen sollen. Ein Einzug bei Dunkelheit und Regenwetter dazu, ist nicht gerade erfreulich.«

Karola öffnete die Pforte, durchquerte mit wenigen Schritten den kleinen Vorgarten und stand dann vor dem Haus, das fortan ihre Heimat sein sollte. Und während Albrecht die Koffer abstellte und die Tür aufschloß, ließ sie den Schein der Taschenlampe über das Gebäude huschen. Sie sah schmucklose weißgetünchten Mauern, in der Mitte eine Tür und zu beiden Seiten je zwei Fenster. Neben der Tür war ein weißes Emailleschild angebracht, auf dem in schwarzer Schrift »Doktor Al­brecht Winard, praktischer Arzt« zu lesen war.

Alles in allem war es ein schmuckloses, sehr nüchtern wirkendes Haus, das die junge Frau enttäuschte.

Plötzlich, ihr selbst unverständlich, packte sie eine unsinnige Angst, und als Winard nun die Tür öffnete und sie über seine Schulter hinweg in den dunklen Flur schaute, war ihr, als ob etwas Drohendes, Unheimliches sie anspringen wollte. Zitternd schmiegte sie sich an den Gatten, der zu ihr trat und sie in den nun erhellten Flur zog.

*

Durch ein schrilles, anhaltendes Klingeln schreckte Karola aus tiefem Schlaf auf. Mit einem Ruck saß sie aufrecht im Bett und sah mit Befremden, wie das Licht aufflammte und der Gatte nach dem Hörer des Fernsprechers griff, der auf dem Nachttisch stand. Er sprach nur wenige Worte, dann sprang er mit einem Satz aus dem Bett.

»Albrecht, wo willst du denn hin?«

»Zu einer Kranken, Liebling.«

»Jetzt, mitten in der Nacht?«

»Gewiß doch. Deine kindische Furcht vor dem Alleinsein mußt du endlich lassen«, entgegnete er mit leichter Ungeduld, während er sich eilig ankleidete. Seine Gedanken waren schon bei der erkrankten Frau, die seine Hilfe brauchte.

Er drückte einen raschen Kuß auf das blonde Gelock seiner jungen Frau und eilte hinaus, ohne sich um ihr heftiges Schluchzen zu kümmern. Karola starrte ihm enttäuscht nach, und das verwöhnte Geschöpf konnte es nicht fassen, daß es etwas geben könnte, was dem Gatten wichtiger erschien als sie. Sie kam sich unglücklich vor, schluchzte sich in einen unruhigen Schlaf und schreckte auf, als im Nebenraum gesprochen wurde.

Albrecht war immer noch nicht zurück. Bang schlug Karola das Herz in der Brust. Sie fürchtete sich plötzlich vor allem, worauf sie sich gestern noch gefreut hatte; vor dem Heim des geliebten Mannes und vor seinen Kindern, denen sie fortan die Mutter ersetzen sollte. Eine heftige Sehnsucht nach ihrer erst kürzlich verstorbenen Mutter stieg in ihr auf. Nach dem behaglichen, gepflegten Heim, das sie noch vor wenigen Wochen mit der liebsten und besten aller Mütter geteilt hatte. Ihr tränenverdunkelter Blick schweifte im Zimmer umher und blieb an einem Bild hängen, das eine Frau zeigte. Das muß Lydia sein, schoß es ihr in den Sinn, die erste Frau Albrechts, meine Vorgängerin. Ein wenig ansprechendes Gesicht war es, mit kleinen, ausdruckslosen Augen und einem verkniffenen Zug um den Mund. Es war nicht schwer zu erkennen, daß diese Frau kleinlich und engherzig gewesen sein mußte.

Es war natürlich Unsinn – aber Karola war es, als ob der Mund sich jetzt zu einem höhnischen Lächeln verzog und die Augen boshaft zu ihr herabblickten.

Schaudernd drückte sie das Gesicht in die Kissen und verharrte so regungslos, bis der Gatte an ihr Bett trat.

»Schläfst du noch, Karola?« fragte er behutsam.

Da wandte sie ihm ihr blasses, übernächtigtes Gesicht zu.

»Du bliebst so lange fort, Albrecht«, klagte sie.

»Das klingt ja so sehr kläglich«, lachte er fröhlich. »Und dabei ist das liebe, süße Fraule noch am Leben, kein böser Nachtgeist hat es geholt und verschlungen.«

»Dein Spott tut mir weh, Albrecht.«

Da lachte er nicht mehr, sondern zog sie liebevoll in die Arme. »Liebstes, wie kann man nur so furchtsam sein. Und wie kann man nur so traurige Augen haben – am vierten Ehetag! Freust du dich denn gar nicht, zu Hause zu sein?«

»Doch – ja. Ich muß mich jedoch erst einleben –«

»Das wirst du, sobald die Möbel aus deinem Elternhaus hier stehen werden«, tröstete er. »Dann wirst du dich sofort heimisch fühlen. Aber jetzt hopp, heraus aus dem Bett, kleine Langschläferin! Meine Mädel brennen darauf, ihre neue Mutti kennenzulernen. Zieh dich rasch an, nach einer Weile hole ich dich ab.«

Karola war nun doch auf ihre nähere Umgebung gespannt. Sie beeilte sich mit dem Ankleiden, so daß sie dem Gatten, der schon nach einer Viertelstunde wiederkam, in das Nebenzimmer folgen konnte, das einen genauso nüchternen und unbehaglichen Eindruck machte wie alles, was sie bisher in diesem Haus gesehen hatte.

Am Eßtisch saß eine Frau, die sich bei Karolas Eintritt langsam erhob. Und als die junge Frau der älteren ins Gesicht sah, da wußte sie sofort, daß sie die Mutter ihrer Vorgängerin vor sich hatte. Es war Zug um Zug das Gesicht auf dem Bild – nur älter und der Ausdruck noch verkniffener.

»Hier, liebe Mama, bringe ich dir meine Karola«, sagte Al­brecht in herzlichem Ton. »Ersetze ihr ein wenig die Mutter, die sie erst vor wenigen Wochen hat hergeben müssen.«

Karola ergriff die Hand, die sich ihr widerwillig entgegenstreckte – und die ihr sofort wieder drucklos entzogen wurde.

»Hier sind auch die beiden Töchterchen«, erklärte Winard fröhlich, wobei er Karola zwei Mädchen von ungefähr sechs Jahren hinschob. Sie glichen sich so auffallend, daß ein Fremder sie unmöglich auseinanderhalten konnte. Und als der Vater schmunzelnd vorstellte: »Dieses ist die Eleonore, und das die Dorothee«, da schüttelte Karola verblüfft den Kopf.

»Wie weißt du das denn, Albrecht?«

»Ich werde doch meine Kinder kennen!« lachte er herzlich. »Und du wirst sie auch bald unterscheiden lernen, Liebstes.

So – nun begrüßt artig die Mama«, ermunterte er die Zwillinge, die Karola neugierig musterten. Sie hatten etwas in den Augen, das der jungen Frau mißfiel.

Sie war von den Kindern überhaupt enttäuscht. Ihr hatten zwei liebreizende Geschöpfchen vorgeschwebt – und nun standen diese beiden Kleinen vor ihr, die keine Spur von Schönheit aufzuweisen hatten.

Hastig bückte Karola sich zu ihnen nieder.

»Ihr seid also meine Töchterchen«, sagte sie, so herzlich sie konnte. »Werdet ihr mich auch ein wenig lieb haben?«

»Nein!« kam es ohne Zögern aus dem einen Kindermund. »Du bist doch nur unsere Stiefmutter!«

»Dorothee!« verwies der Vater den kleinen Naseweis entrüstet. »Ich will nie wieder eine ähnliche Bemerkung hören!«

»Aber Albrecht, du wirst doch nicht etwa ernst nehmen, was ein so kleines Kind sagt?« mischte sich nun die Großmutter, Frau Boseit, ein. »Du weißt doch, daß Dorli immer einen vorlauten Mund hat –«

»Was du natürlich entschuldigen mußt, Mama«, kam es unwillig zurück. »Das laß die Mädel sich nur gut merken, daß ich jede Dreistigkeit der neuen Mama gegenüber verbiete. Habt ihr mich verstanden, Kinder?«

O ja, den Ton verstanden sie gut. Sie wußten auch, daß der Vater ihnen nie mit leeren Drohungen kam, daß er nachdrücklich strafte, wenn sie es verdient hatten.

*

»Frau Boseit sieht mich immer so böse an – und deine Kinder–«, flüsterte Karola eines Tages.

»Das bildest du Närrchen dir nur ein«, unterbrach der Mann sie lächelnd. »Meine Schwiegermutter ist wohl nicht sehr liebenswürdig, aber sonst eine prachtvolle Frau. Du wirst dich schon noch mit ihr verstehen – und das mußt du unbedingt, Karola. Ich verdanke dieser Frau so viel, daß ich den Dank in meinem ganzen Leben nicht abtragen kann.

Wie rackert sie sich schon allein in der Wirtschaft ab! Keine Ruhe gönnt sie sich, immer ist sie auf dem Posten. Es ist gewiß nicht leicht für sie, hier alles in Ordnung zu halten.«

»Es ist aber doch gar nichts in Ordnung hier«, wagte Karola einzuwenden. »Die Zimmer sind so kahl – so – so –«

Sie schwieg verlegen unter seinem seltsamen Blick.

»Ach so, dir ist es hier nicht fein genug. Ja, Kind, wir sind leider nicht sehr wohlhabend, das weißt du ja. Du wirst dich schon damit abfinden müssen, die Frau eines schlichten Landarztes zu sein, der verflixt rechnen muß, um allen an ihn gestellten Anforderungen gerecht zu werden«, sagte er merklich kühl.

»Albrecht, du verstehst mich falsch –«

»Kindchen, ich verstehe dich schon richtig«, wehrte er ab. »Ich weiß wohl, daß unser Haus alles andere als vornehm eingerichtet ist. Schließlich bin ich von meinem Elternhaus her auch an mehr Schönheit und Behaglichkeit gewöhnt. Aber es wäre ja töricht, wenn ich mir wegen Dingen, die doch nicht zu ändern sind, das Leben unnötig schwer machen wollte. Ich habe bisher eben das Geld nicht gehabt, um mein Heim eleganter einrichten zu können. Ich habe dir ja auch nicht verschwiegen, daß in meinem Hause gerechnet werden muß.«

»Das mußte meine Mutter doch auch«, erklärte Karola hastig. »Und es ist auch nicht die Einrichtung des Hauses. Ich kann dir das nicht so erklären, weißt du«, setzte sie verlegen hinzu.

»Na, laß nur«, winkte er ab. »Ich werde schon dafür sorgen, daß es bei uns bald besser wird. Wenn meine Schwägerin Malve erst mit ihrem Studium fertig ist und meine Unterstützung nicht mehr braucht, dann steht uns beträchtlich mehr Geld zur Verfügung, das ich dann zuerst zur Verschönerung des Hauses benutzen werde. Denn eine Schönheit wie du braucht den entsprechenden Rahmen.«

»Albrecht, so ist es doch nicht«, entgegnete sie vorwurfsvoll. »Ich will ja auch mit allem zufrieden sein – wenn mir nur deine Liebe bleibt.«

»Um Gott, Kind! Wer sollte sie dir wohl nehmen können?« fragte er erschrocken.

»Ich weiß es nicht, Albrecht – aber mir ist so bang.«

»Närrchen du!« sagte er zärtlich »Als ob ich dich nicht immer und ewig lieben müßte. Als ob ich jemals von dir loskäme. Warum mußte ich dich wohl haben, mein Liebstes, wie? Weil es – Nun, Herzliebstes –?«

»Weil es dein Herz verlangt«, lachte sie nun glücklich auf.

»Na also! Und nun hinein mit dir ins Bett, damit du erst einmal ordentlich ausschläfst. Da weiß ich dich wenigstens gut untergebracht, wenn ich Sprechstunde abhalte.«

»Dann mußt du wieder weg? Wann nimmt für dich die Arbeit überhaupt ein Ende?«

»Für einen Arzt nie, Kindchen. Der muß Tag und Nacht auf dem Posten sein.«

Er küßte sie zärtlich und ließ sie dann allein.

Aber sie konnte zuerst keinen Schlaf finden. Das Bild an der gegenüberliegenden Wand störte sie. Sie bildete sich nun einmal ein, daß die Augen mit tückischem, verschlagenem Blick zu ihr niedersahen, daß der Mund höhnisch lächelte. Kurz entschlossen stand sie auf und drehte das Bild mit der Oberfläche zur Wand. Erst dann schlief sie beruhigt ein.

*

Frau Boseit war in der Küche mit dem Zubereiten des Mittag­essens beschäftigt, als die Zwillinge aufgeregt zu ihr gelaufen kamen.

»Oma, komm bloß schnell mal sehen, was die Stiefmutter gemacht hat!« schrie Lorli empört. »Wir wollten sehen, was sie im Schlafzimmer so eigentlich macht – und – und – und nun schläft sie und – und das Bild von unserer Mutti ist mit dem Gesicht nach der Wand gedreht.« Die Kinderstimme zitterte bedenklich. Vier kleine Hände griffen nach der Großmutter und zogen sie zum Schlafzimmer hin.

Leise öffnete Dorli die Tür so weit, daß Frau Boseit das Bild sehen konnte.

Um den verkniffenen Mund huschte ein böses Lächeln und in den Augen glühte es auf. Behutsam schloß sie die Tür, dann ging sie mit den Mädchen zur Küche zurück, wo sie ihrer Empörung in nicht gerade gewählten Worten Luft machte. Dann ließ sie sich auf den Küchenstuhl fallen, drückte die Schürze vor das Gesicht und brach in lautes Schluchzen aus.

Augenblickslang standen die Kleinen mit offenen Mäulchen da. Doch dann liefen sie fast gleichzeitig hinaus und zum Sprechzimmer hin, wo der Arzt gerade den letzten Patienten entließ.

»Papa – Papa! Komm bloß einmal schnell nach der Küche!« schrie Lorli aufgeregt. »Dort sitzt die Oma und weint.«

»Weil die Stiefmutter das Bild von unserer Mutti umgedreht hat!« schrie Dorli dazwischen.

»Mal sachte, Kinder«, verlangte der Vater energisch. »Wenn ihr durcheinander schreit, kann ich nicht klug daraus werden. Was erzählt ihr da für Märchen von einem umgekehrten Bild?«

»Wenn du uns nicht glaubst, kannst du ja selber nachsehen«, war Dorli gekränkt. »Die böse Stiefmutter!«

»Dorothee, ich verbitte mir diesen Ausdruck!« schrie er das Kind an, das trotzig den Kopf zurückwarf.

»Ist sie es etwa nicht, wenn sie das Bild unserer Mutti –«

Nun weinte die Kleine und das war für Lorli das Signal, sofort mitzuweinen.

»Nun hau uns bloß noch«, kam es schluchzend aus dem Kindermund. »Das könnte der Stiefmutter noch so passen! Sie soll wieder weg. Es war viel schöner, als sie noch nicht hier war.«

»Kinder, ich kann und will solche Bemerkungen nicht mehr hören«, verwies der Vater wohl in etwas milderem Ton, doch immer noch ernst und bestimmt. »Die Mama bleibt hier, und ihr werdet artig und lieb zu ihr sein. Wehe, wenn sie über euch Klage führt!

Und nun kommt, ich will einmal die Oma sprechen. Aus eurem­ aufgeregten Gestammel kann ich nicht recht klug werden.

Mama, was ist denn geschehen?« fragte er, als er die Küche betrat und die weinende Frau erblickte. »Du weinst, die Kinder weinen –«

»Da soll man nicht weinen, wenn man so etwas erleben muß!« kam es schluchzend hinter der Schürze hervor. »Das hat meine arme Tochter doch gewiß nicht verdient, daß nun ihr Bild… Ach, ich sehe es schon kommen, es wird hier bald kein Platz mehr für mich sein – wo – wo man das Bild meines armen Kindes so verächtlich abtut.«

»Was sprichst du da eigentlich, Mama?«

»Komm!«

Sie erhob sich und ging Albrecht voran zum Schlafzimmer. Dort öffnete sie leise die Tür und zeigte stumm auf das Bild.

Winard warf einen Blick darauf – und wußte nun endlich Bescheid. Ärgerlich biß er sich auf die Lippen, indem er hastig die Tür schloß.

»Das mußt du doch nicht so tragisch nehmen, Mama«, sagte er leise und eindringlich. »Karola hat dich damit bestimmt nicht kränken wollen. Ihr hat wahrscheinlich das Bild an sich nicht gefallen. Es ist auch tatsächlich nicht hübsch.«

»Na ja«, meinte Frau Boseit, und ihre Lippen wurden noch schmaler. »Wie soll dich das auch kränken? Du hast Lydia eben nie geliebt, während du dieses – Luxusgeschöpf vergötterst.«

»Mama, nun werde nicht ungerecht!« fuhr er unwillig auf. »Die ganze Sache ist es nicht wert, daß du dich so sehr darüber erregst. Karola wird dir nachher erklären, daß es ihr gewiß ferngelegen hat, dich zu kränken.«

Er strich ihr über die Wange und eilte dann davon, weil die Flurglocke anschlug. Wahrscheinlich fand sich ein verspäteter Patient ein.

Die Schwiegermutter sah ihm mit einem bösen Blick nach und fuhr den Kleinen über die Köpfe, die sich an sie schmiegten.

»Paß bloß auf, Oma, er tut der Stiefmutter nichts«, sagte Lorli enttäuscht.

»Bestimmt nicht«, bestätigte die Großmutter verbissen. »Weil er die viel lieber hat.«

Winard kam erst am Abend dazu, seine Frau zu sprechen. Als er sie aufsuchte, sah sie ihm aus klaren Augen entgegen.

Er hatte sich eigentlich vorgenommen, wegen des Bildes ernst und eindringlich mit ihr zu reden. Nun er jedoch das schöne Geschöpf sah, das ihn mit den tiefblauen Augen so ver­gnügt anlachte, da war sein Vorsatz vergessen. Voll heißer Liebe zog er seine Frau in die Arme und hatte ganz andere Worte für sie, als vorwurfsvolle, tadelnde. Erst als sein Blick die Stelle an der Wand streifte, an der das Bild bisher gehangen hatte, fiel ihm die unangenehme Aufgabe wieder ein.

»Was hast du mit dem Bild Lydias gemacht, du böses Mädchen?« fragte er vorwurfsvoll. »Hast du denn keine Ahnung, wie sehr es meine Schwiegermutter und die Kinder kränken muß, wenn du das Bild einfach umkehrst?«

»Es störte mich sehr«, bekannte sie kleinlaut. »Wo ist es jetzt? – Hat sie das umgekehrte Bild bemerkt?«

»Ja, Karola – und sich bitter darüber gekränkt. Das war sehr unvorsichtig von dir, Liebes. Du kannst die Mama nicht schwerer kränken, als wenn du an ihren Töchtern etwas auszusetzen findest. Und gar noch an Lydia, die nun tot ist.

Sie hat für ihre beiden Mädel gehungert, damit sie ihnen eine gute Erziehung zuteil werden lassen konnte; denn das Gehalt, das ihr Mann als kleiner Beamter bezog, war sehr gering. Beide Töchter sollten Ärztin werden, das hatte sie sich nun einmal in den Kopf gesetzt. Lydia war jedoch körperlich viel zu schwach, das anstrengende Studium überstehen zu können. Sie mußte schon nach dem zweiten Semester damit aufhören.«

»Ach so –«, nickte Karola. »So war das. Und da wurde das Geld dann zu deinem Studium verwandt?«

»Ja. Mein Vater, der als pensionierter Medizinalrat sein Ruhegehalt bezog und mich davon unterhalten hatte, starb, bevor ich mit dem Studium fertig war. Meine Schwester, die damals gerade kurz vor ihrer Heirat stand, beanspruchte für sich die Möbel, die Wäsche, kurzum die ganze Wohnungseinrichtung. Vermögen war nicht vorhanden – also stand ich vor dem Nichts. Ich hätte mein Studium aufgeben müssen, wenn ich nicht von der Universität her mit Lydia Boseit befreundet gewesen wäre. Sie bot mir ihr Geld an und ich griff zu. Was blieb mir auch anderes übrig? Nun mußte ich natürlich meinen bisherigen Wunsch, einmal Schiffsarzt zu werden, aufgeben, denn gleich nach dem Examen heiratete ich Lydia, und es hieß nun rasch eine Praxis gründen. Das verschlang so viel Geld, daß auch das Kapital, welches für das Studium meiner Schwägerin Malve bereitlag, angegriffen werden mußte. Da ist es ja nun erklärlich, daß ich ihr Studium jetzt bezahle, daß ich mich überhaupt ihr und ihrer Mutter zu großem Dank verpflichtet fühle.«

Karola hatte seiner Erzählung mit Befremden gelauscht. »Sag einmal, Albrecht, warum hast du vorher nie so ausführlich über diese Angelegenheit mit mir gesprochen?«

»Erlaube, Karola, ich habe dich über meine Verhältnisse gewiß nicht im Unklaren gelassen, obgleich ich damit rechnen mußte, daß du verwöhntes Persönchen Bedenken haben würdest, meine Frau zu werden.

Karola, ich will ja schuften und arbeiten von früh bis spät, damit ich dir recht bald ein Leben bieten kann, wie du es von zu Hause gewohnt bist. Aber ich mußte dich haben – mußte! Du weißt doch auch, Liebstes, warum:

Ich liebe dich in Leid und Lust, in Glück und Schmerz!

Ich liebe dich, weil ich dich lieben muß,

ich liebe dich, weil es verlangt mein Herz.«

*

Der nächste Tag war ein Sonntag. Der einzige Tag in der Woche, an dem der vielbeschäftigte Arzt sich Ruhe gönnte, sofern es keine schwierigen Krankheitsfälle für ihn gab.

Diesen Tag benutzte Winard nun, um Karolas Möbel, die bereits angekommen waren, mit Klinkeits Hilfe aufzustellen. Die bisherigen Möbel wurden auf den Boden gebracht und an ihre Stelle kamen nun die wertvollen, gediegenen Stücke aus Karolas Elternhaus. Sie hatte nur Schlaf- und Speisezimmereinrichtung kommen lassen, da Albrecht ihr schon vorher gesagt hatte, daß für die andern Möbel kein Platz in dem kleinen Haus wäre. Daher waren die überzähligen Sachen wohlverpackt auf einen Speicher gegeben worden, von dem man sie später, wenn man erst ein größeres Haus hätte, nachkommen lassen wollte.

Nur der kostbare Flügel kam noch mit den beiden Zimmereinrichtungen mit; das hatte Winard ausdrücklich gewünscht. Er hörte Karola so gern spielen und singen und wollte nun diesen Genuß so oft wie möglich haben.

Bis zum Mittag war die Arbeit geschafft, und die beiden Zimmer waren nicht wiederzuerkennen. Die Dielen waren durch große Teppiche fast verdeckt, und die Wände füllten die schweren, kostbaren Möbel. Auch die passenden Gardinen, gute Bilder und die vielen Kleinigkeiten fehlten nicht, die ein Heim erst behaglich machen. Der Mittagstisch war mit einem feinen Damasttuch, dünnem, teuerem Porzellan und schweren Silberbestecken gedeckt, so daß der Hausherr lachend meinte, daß nun auch immer dementsprechende Mahlzeiten auf den Tisch kommen müßten.

Er sah dabei das verkniffene Gesicht seiner Schwiegermutter nicht – aber Karola sah es, und tiefe Unruhe stieg in ihr auf. Sicherlich war es dieser Frau nicht recht, daß die Möbel der zweiten Frau hier standen, wo einst ihre Tochter gewohnt hatte.

Sie sprach darüber mit Albrecht, doch der wehrte lachend ab: »Kleines, hast du eine Ahnung! Stolz ist unsere Oma, daß es nun so wunderschön bei uns ist. Nein, Kind, da verkennst du diese biedere, ehrliche Frau ganz und gar.«

Karola war wohl anderer Meinung, allein, sie schwieg, weil sie dem Gatten nicht zeigen wollte, wie unsympathisch ihr Frau Boseit war. Es tat ihr bereits leid, daß sie ihre Möbel hatte kommen lassen, als sie die Kinder mit ihren schmutzigen Schuhen auf den Gobelinstühlen umherklettern sah.

Allerdings wurden sie deswegen vom Vater angefahren, was Frau Boseit nun wieder als persönliche Kränkung aufnahm.

»Dann können wir ja fortan in der Küche essen, wenn wir uns in dem feinen Zimmer nicht zu benehmen verstehen«, erklärte sie spitz.

»Davon kann keine Rede sein, Mama«, gab Winard unwillig zurück. »Die Kinder müssen auf das, was sie nicht richtig machen, unbedingt aufmerksam gemacht werden.«

»Bisher hast du an dem Benehmen der Kinder nie etwas auszusetzen gehabt, Albrecht.«

»Na ja, ich habe mich vielleicht zu wenig um sie gekümmert.«

Wie gottergeben senkte die alte Frau den Kopf – und da tat sie Winard leid.

»Mama, ich mache dir doch keinen Vorwurf«, sagte er herzlich. »Zur Kindererziehung gehört nur eine straffere Hand, als du sie für deine geliebten Enkelchen hast. Nun ist aber Karola da, die dich in der Erziehung der Kleinen unterstützen wird.«

Demnach schien er zu wissen, daß die Töchterchen durchaus keinen Engeln glichen. Was für kleine Rüpel sie jedoch waren, das ahnte er nicht im entferntesten.

*