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Leni Behrendt nimmt längst den Rang eines Klassikers der Gegenwart ein. Mit großem Einfühlungsvermögen charakterisiert sie Land und Leute. Über allem steht die Liebe. Leni Behrendt entwickelt Frauenschicksale, wie sie eindrucksvoller nicht gestaltet werden können. Ein frostklarer Wintertag. Der Schnee knirschte unter den Füßen der Menschen, die mit eiligen Schritten durch die Anlagen gingen. Trotz der Sonne, die vom Himmel lachte, war es an diesem Januartag empfindlich kalt. Daher beeilte sich jeder, in die warme Stube zu kommen. Nur das junge Paar nicht, das soeben auftauchte. Gemächlich wanderte es durch den knirschenden Schnee dahin. Beide trugen Reitdreß mit pelzgefütterter Jacke, darunter flauschige Pullover. Sie hielten die Zügel der Pferde in der Hand, die ungeduldig hinter ihnen tänzelten. Schnaubend stießen die Tiere den Atem durch die Nüstern, der wie weißer Dampf in die kalte Luft stieg. Das Mädchen, groß, schlank, mit einem stolzen, fast hochmütigen Gesicht, hörte mit gelangweilter Miene auf die eindringlichen Worte des Mannes, der in seiner nach neuester Mode gewählten Kleidung stutzerhaft wirkte. »Also darf ich hoffen?« fragte er mit selbstgefälligem Lächeln. »Nein«, war die unerwartete Antwort. Gerald Burden, dessen Vater das größte Bankhaus am Ort besaß, war verblüfft. Gewiß, die junge Dame war wohlhabend, aber an seinem Reichtum gemessen war das, was sie besaß, nur ein Bettel. Also konnte er sich eine solche Behandlung unmöglich bieten lassen! Aber wiederum konnte er auf das Mädchen auch nicht verzichten, zumal er im Freundeskreis damit geprahlt hatte, recht bald seine Verlobung mit der Stolzen, die schon verschiedene Körbe ausgeteilt hatte, zu feiern. Sogar eine Wette hatte er abgeschlossen, die er schon allein um der Schadenfreude willen nicht verlieren durfte. So fand er denn seine Selbstherrlichkeit rasch wieder und meinte mit nachsichtigem Lächeln: »Sie werden sich wohl noch besinnen, gnädiges Fräulein.
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Seitenzahl: 203
Veröffentlichungsjahr: 2023
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Ein frostklarer Wintertag. Der Schnee knirschte unter den Füßen der Menschen, die mit eiligen Schritten durch die Anlagen gingen. Trotz der Sonne, die vom Himmel lachte, war es an diesem Januartag empfindlich kalt. Daher beeilte sich jeder, in die warme Stube zu kommen.
Nur das junge Paar nicht, das soeben auftauchte. Gemächlich wanderte es durch den knirschenden Schnee dahin. Beide trugen Reitdreß mit pelzgefütterter Jacke, darunter flauschige Pullover. Sie hielten die Zügel der Pferde in der Hand, die ungeduldig hinter ihnen tänzelten. Schnaubend stießen die Tiere den Atem durch die Nüstern, der wie weißer Dampf in die kalte Luft stieg.
Das Mädchen, groß, schlank, mit einem stolzen, fast hochmütigen Gesicht, hörte mit gelangweilter Miene auf die eindringlichen Worte des Mannes, der in seiner nach neuester Mode gewählten Kleidung stutzerhaft wirkte.
»Also darf ich hoffen?« fragte er mit selbstgefälligem Lächeln. »Nein«, war die unerwartete Antwort. Gerald Burden, dessen Vater das größte Bankhaus am Ort besaß, war verblüfft. Gewiß, die junge Dame war wohlhabend, aber an seinem Reichtum gemessen war das, was sie besaß, nur ein Bettel. Also konnte er sich eine solche Behandlung unmöglich bieten lassen!
Aber wiederum konnte er auf das Mädchen auch nicht verzichten, zumal er im Freundeskreis damit geprahlt hatte, recht bald seine Verlobung mit der Stolzen, die schon verschiedene Körbe ausgeteilt hatte, zu feiern. Sogar eine Wette hatte er abgeschlossen, die er schon allein um der Schadenfreude willen nicht verlieren durfte.
So fand er denn seine Selbstherrlichkeit rasch wieder und meinte mit nachsichtigem Lächeln: »Sie werden sich wohl noch besinnen, gnädiges Fräulein. Ihr Verhalten an Ihrem Geburtstag vor zwei Tagen hat mir gezeigt, daß ich Ihnen durchaus nicht so gleichgültig bin, wie Sie jetzt tun.«
»Dann kennen Sie mich besser als ich«, entgegnete sie mit einem Gleichmut, der ihn wieder ärgerte. »Gnädiges Fräulein, ich möchte Sie darauf aufmerksam machen, daß ich nicht irgendwer bin! Ich lasse nicht mit mir spielen –«
»Ach, seien Sie doch friedlich«, schnitt sie ihm lachend das Wort ab. »Ich denke gar nicht daran, mit Ihnen zu spielen. Sie sind ein netter Kerl, den ich gern mag – aber zu mehr langt es nun mal nicht.«
Ärgerlich biß er sich auf die Lippen, und sein grollender Blick ging über sie hin. Wenn sie nicht so verteufelt hübsch wäre, würde er sie einfach laufen lassen. Doch dieses Haar mit dem satten Goldton war einmalig. Dazu dieses stolzgeschnittene Gesicht mit dem leuchtendblauen Augenpaar, die rassige Gestalt – mit dieser Schwiegertochter würden selbst seine sehr anspruchsvollen Eltern zufrieden sein.
Und je länger er das eigenartige Mädchen betrachtete, um so heißer wurde ihm das Herz. Er brachte seinen Kopf dem ihren ganz nahe und flüsterte: »Ich liebe Sie.«
»Bilden Sie sich nur ein«, entgegnete sie trocken – und da wurde er böse. »Sie haben kein Herz«, stieß er zornbebend hervor, worauf sie bekräftigend nickte.
»Das nehme auch ich an. Und daher ist es gut, daß ich Ihre Frau nicht werde.« Ja, nun wußte er tatsächlich nicht mehr, was er sagen sollte. Während sie Seite an Seite weitergingen, zerbrach er sich angestrengt den Kopf, wie er diesem eigenwilligen Geschöpf beikommen könnte.
Unterdessen bogen sie von dem Anlagenweg ab, überquerten eine Straße und hielten gleich darauf vor einem Haus, das trotz seiner schlichten Bauart einen vornehmen Eindruck machte.
Ein breites Tor führte zum Hof. Das Mädchen öffnete die schwere Tür, stieß einen schrillen Pfiff aus, worauf ein Mann erschien, die Zügel ergriff und das Pferd abführte. Vor dem Portal reichte das Mädchen dem jungen Mann, der es bitterböse ansah, die Hand.
»Wann sehen wir uns wieder?« fragte er kurz.
»Wenn Sie vernünftig geworden sind«, entgegnete die junge Dame gelassen, indem sie den Ring hochhob, der durch ein Löwenmaul aus Bronze gezogen war. Die Tür öffnete sich mit leisem Schnarren, und ehe der Mann noch etwas sagen konnte, war sie im Hause verschwunden. Er ballte die Hände in ohnmächtiger Wut, warf sich auf das Pferd und ritt davon.
In der weiten Diele schüttelte sich das Mädchen, eilte dann die Treppe zum oberen Stockwerk empor, durchschritt zwei Zimmer und machte im nächsten halt, wo eine Dame am Tisch saß und Patience legte.
»Nun, Almut, schon zurück?« fragte sie, ohne sich stören zu lassen.
»Wie du siehst«, erwiderte die Gefragte kurz, hieb mit der Reitgerte zornig durch die Luft, schleuderte sie in die Gegend und ließ sich dann in einen Sessel fallen, die gestiefelten Beine weit von sich streckend.
»Ich hab’s satt –«, rief sie verdrießlich.
»Schon wieder mal?« kam es vom Tisch her, wo die Dame gleichmütig eine Karte neben die andere legte.
»Möpschen«, nannte das junge Mädchen die mollige Dame mittleren Alters und hatte mit dieser Bezeichnung sozusagen den Nagel auf den Kopf getroffen. Denn das Gesicht hatte tatsächlich Ähnlichkeit mit dem erwähnten Tierchen. Die mehr als rundliche Gestalt mit den kurzen, dicken Beinen vertiefte den Eindruck.
Nein, schön war »Möpschen« ganz bestimmt nicht, aber dafür herzensgut, allzeit gemütlich, von trockenem Humor und nicht so leicht aus der Ruhe zu bringen.
Und das war gut für den Posten, den sie als Gesellschaftsdame der Almut Fahrenroth innehatte. Denn diese war so ungefähr das, was man exzentrisch nennt. Kam auf die sonderbarsten Einfälle und tat meist das, was ihr gerade einfiel. Vernunftsgründen war sie unzugänglich, ließ sich von keinem dreinreden – außer von »Möpschen« alias Fräulein Adele Aldermann.
Diese war in das Fahrenrothsche Haus gekommen, als Almut sechs Jahre zählte. Schnell hatte das eigenwillige Kind eine tiefe Zuneigung zu seiner Erzieherin gefaßt – und damit hatte diese alles gewonnen. Sofort erkannte sie, daß das kleine Mädchen sich vereinsamt fühlte. Daß es bei den Eltern die Liebe nicht fand, die es sich ersehnte.
Der um zehn Jahre ältere Bruder, korrekt und kühl, stand dem eigenwilligen Schwesterlein hilflos gegenüber. So blieb Almut bis zum sechsten Lebensjahr eigentlich sich selbst überlassen. Eltern, der Bruder und auch die Pflegerinnen, die sehr oft wechselten, ließen dem herrischen Persönchen jeden Willen, um nur ihre Ruhe zu haben.
Und dieses kleine Ungeheuer sollte Fräulein Adele, damals fünfundzwanzig Jahre alt, unterrichten und erziehen. Keine dankbare Aufgabe, die jedoch ihre Schrecken verlor, da sie das bildschöne Kind vom ersten Augenblick an liebte und dieses sie auch. Alles Gute und Schöne in dem Kinderleben war fortan »Möpschen« – ein Kosename, von Almut geprägt und als eigenstes Eigentum gehütet.
Vier Jahre unterrichtete »Möpschen« Almut, dann kam diese zur Schule und brauchte daher ihre Hauslehrerin nicht mehr. Als sie traurig von hinnen ziehen wollte, verhinderte Frau Fahrenroth es. Sie fürchtete nämlich, daß sie sich dann selbst um ihre Tochter kümmern müßte, was ihr absolut nicht zusagte – und dem Gatten noch weniger.
Also blieb Fräulein Aldermann – und blieb gern. Da sie gezwungen war, sich ihren Lebensunterhalt zu verdienen, konnte es ihr ja nirgends besser gehen als in dem großzügigen Hause, wo sich keiner um den anderen kümmerte.
Auch als Almut nach beendeter Schulzeit in ein Pensionat kam, war es selbstverständlich, daß Adele im Fahrenroth-Hause blieb, um dort die Pflichten einer Hausdame zu übernehmen. Das war so ganz nach Frau Fahrenroths Herzen; denn alles, was mit Haushalt zusammenhing, war dieser mondänen Dame gräßlich. Daher war sie absolut nicht erfreut, als Almut aus dem Pensionat nach Hause zurückkehrte und ihr »Möpschen« so sehr mit Beschlag belegte, daß dieses sich nur noch beschränkt um den Haushalt kümmern konnte.
Als Almut neunzehn Jahre alt war, starb ihre Mutter an einer Lungenentzündung, die sie sich auf einem Fest geholt. Sie hinterließ im Hause keine Lücke, da sie sich ja nie um das Hauswesen richtig gekümmert hatte. Nur daß sie so verhältnismäßig jung aus dem Leben gehen mußte; das sie so heiß geliebt, bedauerte man allgemein. Ein halbes Jahr später folgte ihr der Gatte. Da er zwanzig Jahre älter war als seine Frau, hatte er immerhin vierundsiebzig Jahre leben dürfen.
Im Fahrenroth-Hause ging alles den gewohnten Gang weiter. Der Sohn wurde nun offizieller Chef des kaufmännischen Unternehmens, das er schon längst leitete.
Seine Frau wurde die Herrin des Hauses, was sie sich nicht zunutze machte, sie hatte andere Interessen. Mochte Fräulein Aldermann sich nur weiter um das Hauswesen kümmern.
So lagen die Verhältnisse an diesem Januartage, an dem Almut es wieder einmal zu Hause »satt« hatte. Mißmutig lag sie in ihrem Sessel und sah zu, wie Adele Patience legte.
»Sag mal, Möpschen, bekommst du das stumpfsinnige Spiel nicht endlich einmal über?« fragte sie ungnädig.
»Ebensowenig wie du deine Spielereien.«
»Die hängen mir schon längst zum Halse heraus. Mich ekelt mein Leben an.«
»Kann ich mir denken, mein Kind, da es ein unnützes ist. Heirate und schaffe dir eine Stube voll Kinder an, dann wirst du so viel Beschäftigung haben, daß dir für Langeweile keine Zeit bleibt.«
»Gott soll mich bewahren!« hob das Mädchen entsetzt die Hände. »Eine Stube voll Rangen wie Adalberts Junge? Das wäre ein wahres Kreuz!«
»Kannst sie ja besser erziehen«, riet Adele ungerührt. »Dann werden sie zur Freude, nicht zur Plage.«
»Möchtest du mir nicht verraten, wen ich heiraten soll?«
»Einen Mann natürlich. Auswahl hast du ja genug. Da wird sich doch wohl einer finden lassen, der nach deiner hochmütigen Nase ist.«
»Nicht, daß ich wüßte. Jedenfalls sind die ewigen Anträge fürchterlich.«
»Also hast du wieder einen bekommen«, stellte Adele gemütlich fest, indem sie Karten mischte. »Wer ist’s?«
»Gerald Burden.«
»Na und?«
»Glaubst du etwa, daß ich dieses wandelnde Modejournal heirate?«
»Warum nicht? Er ist das, was man einen netten Kerl nennt. Dazu hat er Geld, das du immer so gut unter die Leute zu bringen verstehst. Außerdem ist er aus tadelloser Familie. Töricht, wenn du seinen Antrag abgelehnt hättest.«
»Habe ich, Möpschen.«
»Dann sei also zufrieden. Er hat dir zu deiner Sammlung gerade noch gefehlt. – Bube, Dame, König, As – aufgegangen.« Adele legte befriedigt die Karten zusammen. »Jetzt werde ich nachsehen, ob es mit dem Mittagessen klappen wird. Die neue Köchin muß sich erst einarbeiten.«
»Daraus wird nichts, Möpschen. Wir verreisen.«
»Du hast wohl einen Klaps, mein Kind. Bei dieser Kälte sollte der Mensch froh sein, in einer warmen Stube sitzen zu dürfen.«
»Im Auto ist es auch warm, Möpschen. Ich muß unbedingt fort.«
»Warum? Hast du etwas ausgefressen?«
»Möpschen, du bist und bleibst ein Scheusal!« Almut sprang lachend auf. »Es ist mir ein Rätsel, wie ich so sehr an dir hängen kann. Verdient hast du es nicht. Nun packe rasch deinen Koffer, in einer Stunde geht es los.«
»Mit dem hungrigen Magen? Du wirst doch wohl gestatten, daß ich mich an der Mittagstafel noch einmal gründlich satt esse. Denn wie ich aus Erfahrung weiß, wirst du mich unterwegs hungern lassen. Was plagt dich überhaupt, bei der Kälte hinauskutschieren zu wollen! Geht es dir hier nicht gut? Aber das kommt davon, wenn man ein solches Drohnendasein führt. Das bringt selbst den vernünftigsten Menschen auf verrückte Einfälle.«
Die letzten Worte vernahm Almut schon an der Tür, durch die sie lachend stürmte. Ihr war nicht bange, daß »Möpschen« streiken würde.
Seufzend klingelte Adele nach dem Stubenmädchen, ließ sich die Koffer bringen und begann zu packen.
Unterdessen schritt Almut nach dem Teil des Hauses hinüber, in dem die Büroräume untergebracht waren. Betrat das Zimmer des Bruders, der am Schreibtisch saß und nur flüchtig von der Arbeit aufsah.
Adalbert Fahrenroth war ein anständiger Mensch und tadelloser Kaufmann, der das von den Vätern Ererbte in vorbildlicher Weise verwaltete. Seine Schwester nahm er als etwas hin, was man sich aus seinem Leben nicht wegdenken konnte. In gewissem Sinne war er sogar stolz auf das rassige Geschöpf. Ließ ihr jeden Willen, da er einsah, daß er gegen sie nicht aufkommen konnte. Er war bei ihr an Überraschungen aller Art gewöhnt. So überraschte es ihn auch jetzt gar nicht, als sie erklärte, in einer Stunde im Auto zu verreisen. Er fragte nur gleichmütig: »Wohin?«
»Wo die Nase hinführt.«
»Hm, schade! Gerald Burden hat mir nämlich zu verstehen gegeben, daß er dich gern zur Frau haben möchte. Wenn du nun verreist, wird er keine Gelegenheit haben, seinen Antrag anzubringen.«
»Ist bereits geschehen, mein lieber Adalbert.«
»Und?«
»Liebenswürdig abgeblitzt!« erklärte sie und setzte sich auf die Kante des Schreibtisches. Er lehnte sich in den Stuhl zurück und betrachtete die Schwester kopfschüttelnd.
»Aus dir werde klug, wer kann. Der wievielte Korb ist es, den du ausgeteilt hast?«
»Einige immerhin. Nicht meine Schuld, denn ich habe keinem der Herren Hoffnung gemacht.«
»Nein, nur gespielt hast du mit ihnen wie die Katze mit der Maus«, entgegnete er trocken. »Schade, ich hätte Gerald gern zum Schwager gehabt. Er ist ein lieber Kerl und hat viel Geld.«
»Ist das denn so wichtig?«
»Geld ist immer wichtig. Hauptsächlich für dich, die du es mit vollen Händen ausgibst. Wohl hast du auch einen netten Batzen, doch auch der tiefste Brunnen schöpft sich einmal aus, mein liebes Kind. Daher wäre es zu begrüßen, wenn dein zukünftiger Mann für frische Zufuhr sorgen könnte, und dazu ist Burden wohl in der Lage. Ich würde also raten, dir die Sache gründlich zu überlegen. So eine Partie bietet sich dir so bald nicht wieder.«
»Möglich –«, gab sie gleichmütig zu. »Aber vorläufig bin ich auf eine gute Partie noch nicht angewiesen. Wie ich aus meinem Vermögensstand, der mir am Tage meiner Volljährigkeit bekanntgegeben wurde, ersehen konnte, reicht der Mammon noch auf unabsehbare Zeit. Wenn er verjuxt ist, habe ich immer noch Zeit, nach einer guten Partie zu greifen.«
»Kind, deine Sorglosigkeit möchte ich haben – und deinen Starrsinn dazu. Worauf wartest du eigentlich?«
»Vielleicht auf einen Märchenprinzen. Die sollen ja auch heute noch vorhanden sein. – Und nun Schluß mit deinen Vorschlägen, Adalbertbruder. Jedenfalls werde ich jetzt für einige Zeit die Tapeten wechseln. Wenn ich wiederkomme, bin ich vielleicht vernünftig geworden.«
»Das walte Gott –«, erwiderte er skeptisch. »Wann willst du fahren?«
»Sobald ich meine Koffer gepackt habe.«
»Kommt Möpschen mit?«
In Almuts Stirn grub sich eine Unmutsfalte. Es klang ärgerlich, als sie sagte: »Möpschen? Das möchte ich mir doch ernstlich verbitten, Adalbert. Die gute Seele so zu nennen, steht nur mir allein zu.«
»Na schön –«, lächelte er nachsichtig. »Ich wollte Fräulein Aldermann mit der Bezeichnung nicht herabsetzen, dazu hat sie sich in meinem Hause zu verdient gemacht. Schade, daß meine Frau ihre zuverlässige Hilfe entbehren muß.«
»Die soll sich nur selber um ihren Hausstand kümmern. Schließlich soll Möpschen ja in erster Linie für mich dasein. Es ärgert mich schon immer, daß Adele hier Mädchen für alles spielen muß. Wer sich als Hund ausgibt, soll auch bellen. Mag Gilda nur der Haushund hier sein, das kann ihrem Drohnendasein nichts schaden.«
»Ach, sieh mal an –«, kniff der Bruder die Augen zusammen. »Du führst es wohl nicht, mein Kind?«
»Kann ich mir auch leisten, da ich weder Hausstand, Mann noch Kind habe. Und nun oh, là, là, Bruderherz.«
Ein Händedruck, und die Tür fiel hinter Almut zu. Sie ging nach ihrem Ankleidezimmer, packte dort die Koffer, kleidete sich zu der Reise um und suchte dann Adele auf, bei der sie Gilda, ihre Schwägerin, vorfand.
»Nanu, Gilda, was machst du denn hier?«
»Ich wollte Fräulein Aldermann bitten –«
»Nichts da! Bist du fertig, Möpschen?«
»Schon längst.«
»Ausgezeichnet. Dann werden wir einen dienstbaren Geist herbeordern, der uns die Koffer nach unten bringt. In der Zeit mache ich meine Karre flott. Gehab dich wohl, Gilda.«
Freundlich reichte sie der Schwägerin die Hand, die diese mit bitterbösem Gesicht nahm. Und bitterböse sah sie auch der schlanken Gestalt nach, die sich in aller Seelenruhe entfernte.
»Ein egoistisches Geschöpf!« stieß sie zornbebend hervor. »Sie weiß ganz genau, wie nötig Sie hier sind, Fräulein Aldermann. Direkt unentbehrlich.«
»Aber warum denn, gnädige Frau?« fragte Adele verwundert. »Unentbehrlich ist kein Mensch. – Bringen Sie die Koffer nach unten«, gebot sie dem Diener, der soeben eintrat. Und dann zu Gilda gewandt: »Entschuldigen Sie bitte, gnädige Frau, ich muß mich noch umziehen. Almut wartet nicht gern.«
Damit verschwand sie im Nebenzimmer, und Gilda suchte ihren Gatten auf, um über das rücksichtslose Benehmen seiner Schwester und das der impertinenten Aldermann vergeblich Klage zu führen.
*
Unterdessen hatte Almut ihren schnittigen Wagen flottgemacht, half dem Diener die Koffer verstauen und sah dann lachend Adele entgegen, die auf das Auto zukam. Deren rundliche Gestalt umhüllte ein langer Fahrpelz, dessen hochgeschlagener Kragen das Gesicht fast verdeckte. Den Kopf schützte eine Pelzkappe, und die Beine steckten in Pelzstiefeln.
»Oh, Möpschen!« jubelte das Mädchen. »Nimmst du an, daß ich mir den Nordpol als Reiseziel gesteckt habe?«
»Alles möglich bei dir«, kam es vergnügt aus dem Pelzkragen. »Sicher ist sicher.«
Es dauerte eine Weile, bis sie im Auto verstaut war. Der Diener hüllte ihre Beine in eine flauschige Decke, dann stieg Almut ein, brachte den Wagen in Gang – und hinein ging es in den frostklaren Wintertag.
Die Lenkerin, die einen weiten Pelzmantel trug, empfand die Wärme in dem geheizten Wagen als wohltuend, zumal auch die Sonne durch die Scheiben brannte.
Allein der vermummten Dame wurde es bald zuviel des Guten. Sie fing an zu schnauben, klappte mit einiger Mühe den Kragen herunter, und als sie dann noch den Pelz geöffnet hatte, bekam sie endlich Luft.
»Lach nicht«, sagte sie vergnügt zu Almut. »Du wirst mich um meinen braven ›Hammel‹ noch beneiden, wenn die Sonne fort ist und es draußen friert, daß es knackt. Da wirst du durch deinen schicken Nerz schon die Kälte spüren.«
Nun, Almut genügte der leichte Pelzmantel vollkommen.
War das eine Lust, so unbeschwert dahinzufahren! Heute hatte sie zum erstenmal eine Reise antreten können, ohne vorher die Erlaubnis des Vormunds einholen zu müssen. Ein herrliches Gefühl, endlich tun und lassen zu können, was einem beliebte. Ohne alle Vorhaltungen, Ermahnungen und Wichtigtuerei eines Vormundes. Das heißt, auch bei dem gestrengen Herrn hatte sie größtenteils ihren Willen durchgesetzt, doch die Kämpfe, die es jedesmal vorher gegeben hatte, waren nicht so einfach gewesen.
»Nun, Möpschen, wie fühlst du dich?« wandte sie sich an die Gute. »Ist es nicht wundervoll, so in die glitzernde Winterpracht hineinzufahren, aller Pflichten ledig?«
»Die deinen haben dich doch wohl noch nie gedrückt«, kam es trocken zurück. »Und meine auch nicht, wie ich ehrlich zugeben muß. In euerm Hause hat sich noch kein Mensch totgearbeitet, mein Kind. Mir jedenfalls ist es darin noch immer gut gegangen. Was mir jedoch die Zukunft bringen wird, bleibt dahingestellt. Augenblicklich jedenfalls bin ich hungrig.«
»Ein bißchen hungern tut deiner Taille nur gut«, wurde ungerührt erwidert, worauf das Fräulein entsagend seufzte. Dann stellte sie fest, daß so eine Winterfahrt auch ihre Reize hatte, zumal man sich von einem molligen Platz aus die herrliche Schneelandschaft in Muße betrachten konnte. Das brauchte der übermütige Fratz an ihrer Seite jedoch nicht zu wissen, sonst wurde er noch übermütiger.
Aber der Herrgott mochte wissen, wie lange die Fahrt noch dauern würde. Fünf Stunden war man bereits unterwegs, ohne nennenswerte Rast gemacht zu haben.
Adeles Magen begann immer ärger zu knurren und ließ sich dann eine Stunde später nicht mehr beschwichtigen, so daß seine von ihm so abhängige Besitzerin ungemütlich wurde.
»Feierabend«, gebot sie energisch. »Für heute wird Schluß gemacht. Nach meiner Berechnung müssen wir bald an der russischen Grenze sein, da du stur nach Osten fährst. Rase weiter, wenn es dir Spaß macht. Ich jedenfalls steige am nächsten Gasthaus aus.«
»Na schön«, sagte Almut mit unerwarteter Friedfertigkeit. »Wie ich am Kilometermesser feststellen kann, haben wir bereits über dreihundert Kilometer zurückgelegt. Das genügt für heute. Siehst du den Kirchturm dort? Wo einer ist, muß sich auch eine größere Ortschaft befinden, in der es so etwas wie ein Hotel geben wird. Dort werden wir ein üppiges Mahl einnehmen und uns anschließend in die Halala begeben. Zufrieden?«
Sie war es um so mehr, als Almut tatsächlich beim nächsten Hotel stoppte. Durch Zufall hatten sie das komfortabelste erwischt, das es in der mittelgroßen Stadt gab.
Das Auto wurde gut untergebracht und zwei guteingerichtete Zimmer belegt. Nachdem die Damen sich umgekleidet hatten, gingen sie in den Speisesaal, wo sie sich zu dem vorzüglichen Mahl sogar eine Flasche Wein leisteten, die ihnen die nötige Bettschwere gab.
*
Am nächsten Morgen erwachte Almut von dem Sonnenschein, der durch die Fenster flutete. Herrlich hatte sie geschlafen und war, so völlig ausgeruht, zu neuen Taten gerüstet. Mit einem Satz war sie aus dem Bett, schlüpfte in die Pantöffelchen und ging nach dem Nebenzimmer hinüber, wo Adele schnarchte, als wäre es noch Mitternacht.
»Raus aus den Federn!« rief Almut, worauf die sägenden Töne kurz abbrachen. Dafür wurde ein unwilliges Grunzen laut, das in Niesen überging, als Almut das Wasser von einem Schwamm auf das Mopsnäschen träufeln ließ.
»Prosit, wohl bekomm’s!« lachte der Schelm übermütig. »Ermuntere dich, du schwacher Geist! Hast mehr als einmal um die Uhr geschlafen, das dürfte doch wohl genügen.«
»Schwindele nicht. Es ist bestimmt noch früh am Morgen –«
»Dann überzeuge dich –«, wurde ihr die Armbanduhr unter die Nase gehalten.
»Tatsächlich, neun Uhr vorbei. Habe ich herrlich geschlafen! Nun mach, daß du ins Badezimmer kommst. Aber beeile dich. Mich hungert nämlich barbarisch.«
Nachdem sie sich im mollig durchwärmten Frühstückszimmer gestärkt hatten, fuhren sie wenig später vergnügt in den sonnigen Tag hinein. Almut war übermütiger denn je, neckte ihr friedfertiges Möpschen, lachte, sang und behauptete immer wieder, daß das Leben eine herrliche Angelegenheit wäre.
Da mußte Adele ihr recht geben. Satt war sie, warm und weich saß sie auch, dazu befreit von den Pflichten des Alltags – kurz und gut: Sie begann Almuts Reiseeinfall zu segnen.
Bis sie wieder hungrig wurde. Bekam das verdrehte Mädchen nicht endlich von der Fahrerei genug? Länger als vier Stunden dauerte sie bereits wieder. Dieses angestrengte Aufpassen am Steuer konnte eine so lange Fahrt doch unmöglich zum Genuß machen.
Für Almut war er einer. Der Wagen flitzte auf dem festgefrorenen Schnee nur so dahin, vorüber an einzelnen Gehöften, durch schmucke Dörfer und größere Ortschaften. Dann kam man in den Wald, in dem die schneeglitzernden Bäume märchenhaft schön wirkten.
Da tauchte auch ein Anwesen auf. Wie in gleißender Watte versenkt stand es da, einsam und verträumt. Davor mußte Almut unbedingt halten.
»Ist das nicht herrlich?« ließ sie ihre leuchtenden Augen umherschweifen.
»Hier lohnt es schon, ein Stündchen zu verweilen.«
Damit war Adele sehr einverstanden. Ihr erster Gedanke war: »Hoffentlich bekommt man in dieser Einöde etwas Gutes zu essen.«
»Pfui, Möpschen, wie prosaisch!« entrüstete sich Almut. »Entzückt dich diese Märchenpracht denn gar nicht?«
»Davon wird man nicht satt.«
Almut lachte übermütig und zeigte auf das Schild, das über der Haustür hing.
»Kannst du lesen, Möpschen? Da steht klar und deutlich: Gasthaus zum ›Wilden Jäger‹. Hier bekommst du bestimmt ein Stück von der Wildsau und einen guten Jägerschnaps dazu.«
Lachend stiegen die Damen aus. In dem geräumigen Flur war es schon warm, doch in der großen niederen Stube schlug ihnen die Wärme förmlich entgegen.
Der Wirt, der auf sie zukam, hatte nichts von einem wilden Jäger an sich. Er sah mit seiner stattlichen Körperfülle sogar recht zahm und gemütlich aus. Diskret musterte er die Gäste und lachte dann herzlich, als Almut keck verlangte: »Herr Wirt, bringen Sie uns ein ordentliches Stück von der Wildsau und dazu einen Wildenjägerschnaps. Das muß es doch hier geben. Sonst wäre ja die Bezeichnung des Gasthauses nur Angeberei.«
»Der ›Wilde Jäger‹ hat ja nicht nur Wildsäue erlegt, sondern auch Hasen«, ging er lustig auf die Neckerei ein. »Und mit dem Braten kann ich dienen. Allerdings erst nach einer Weile, da Meister Lampe noch in der Pfanne schmort.«
»Ja, was machen wir da?« fragte Almut enttäuscht. »Diese Dame ist nämlich dem Verhungern nahe.«
»Wie wäre es mit Kaffee und Kuchen?« schlug er vor. Doch Adele sträubte sich.
»Ausgeschlossen! Ich will was Vernünftiges in den Magen bekommen, habe seit dem Frühstück fasten müssen.«
»Die gnädige Frau wird zufrieden sein«, verbeugte sich der Wirt schmunzelnd, half den Damen aus den Pelzen und eilte dann hurtig davon.
»Ein einladendes Lokal«, sagte Adele anerkennend. »Wenn das Essen ebenso ist, will ich zufrieden sein. Der große Ofen faucht ganz nett. Suchen wir uns also einen Platz in seiner Nähe.«
Da der Raum bereits im Halbdunkel lag, wollte der Wirt Licht machen, doch Almut wehrte hastig ab.
»Bitte nicht, ich möchte den Sonnenuntergang verfolgen. Es scheint fast, als brenne der Himmel in hellen Flammen!«
»O ja, der ist an so frostklaren Abenden bei uns immer sehenswert«, entgegnete er erfreut, indem er geräuschlos den Tisch deckte. »Daran hat sich so mancher Fremde berauscht.«
Leise schlich er hinaus, und als er wiederkam, war gerade das letzte Abendrot verschwunden, nur noch lichte Streifen zurücklassend.