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Es war einmal in einem mächtigen Königreich ein kleiner Straßenjunge, der sich einem Zirkus anschloss, um eine weite Reise zu machen. Doch zuvor erzählte ihm Salim die Geschichte von der Prinzessin, die nie lachte. Ein Märchen gefolgt von einer Kurzgeschichte direkt aus einem Traum, auf der Schwelle zwischen Schlaf und Erwachen: Tibor lebt in einer merkwürdigen Welt, in der die Männer jeden Tag mit ihren Schlüsselbunden unzählige Türen aufschließen, doch keiner hat ihm den Sinn dieser Tätigkeit erklärt. Eines Tages findet er eine merkwürdige Tür, die aus einer anderen Zeit zu stammen scheint.
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Veröffentlichungsjahr: 2013
Ouahid war einer der unzähligen obdachlosen Jungen aus Damaskus, der weder etwas über seine Eltern noch seinen Geburtstag wusste. Sogar seinen Namen hatte er sich selbst gewählt. Eines Tages rief eine reiche Frau auf dem Marktplatz nach ihrem Sohn. Damals war Ouahid noch ein kleines Kind gewesen, und der prächtig gekleidete Junge, welcher auf diesen Namen gehört hatte, war ihm sehr groß und schön erschienen. Von diesem Tage an hatte Ouahid sich genauso nennen lassen. Wenn ihn jemand nach seinem Namen fragte, war es zu seiner Angewohnheit geworden, stolz seine magere Brust zu blähen und zu antworten: “Mein Name ist Ouahid, Ouahid aus Damaskus!“ Wenn er damit auch mehr als einmal spottendes Lachen geerntet hatte, genoss er es, seinen geborgten Namen laut auszusprechen.
In Damaskus wimmelte es von Straßenjungen wie Sand am Meer. Ouahid hatte sich nie geschämt, zu ihnen zu gehören, doch mittlerweile war er zu einem jungen Mann herangewachsen und entschloss sich, auf andere Weise seinen Lebensunterhalt zu verdienen, nicht mehr wie ein aussätziger Hund in den engen Gassen herumzurennen und sich seine Lebensmittel und Klamotten zu klauen. Er wusste genau, dass es unmöglich für ihn war, bei einem Kaufmann oder Handwerker eine Stelle zu finden, weil es keinen Anwohner in dieser Stadt gab, der ihn empfehlen könnte.
Für einen Kutscher wollte er nicht arbeiten. Einige seiner Freunde hatten das versucht, einem waren bei einer Schlägerei um einen Kunden zwei Zähne verloren gegangen, ein anderer war nach seiner ersten Reise nie wieder gesehen worden.
Möglich war, dass sein Freund sich in einer anderen Stadt niedergelassen hatte, aber Ouahid mochte die grimmigen Gesichter der unverfrorenen Kutscher nicht.
Beim heimlichen Belauschen eines Gesprächs zweier Händler hatte Ouahid zur Kenntnis genommen, dass sich seit einigen Tagen am Stadtrand ein prächtiger Zirkus aufhielt. Ouahid hatte nicht die geringste Ahnung, was er sich darunter vorstellen sollte, aber er hatte aus den Worten entnommen, dass er dort Künstler, Jongleure, Akrobaten und wundervolle Tiere finden würde. Seit seiner frühsten Kindheit mochte er die mutigen Menschen beobachten, welche auf dem Marktplatz mit Feuer spuckten oder bunte Bälle durch die Luft wirbeln ließen. Außerdem hatte er Tiere gern und wusste, dass dort wo Vieh gehalten wurde, immer eine fleißige Hand gebraucht wurde.
Noch am selben Tag verließ er die Stadt, ging mutig auf die bunten Zelte zu und lernte den Direktor Salim kennen. Ein großer Mann mit einem mächtigen Bauch und einem dunklen Vollbart musterte ihn mit kritischen Augen. Ouahids Schultern waren schmal für sein Alter, doch Salim bemerkte die Unerschrockenheit in den Augen des Straßenjungen, mit einem Kopfnicken des Direktors wurde seine neue Einstellung im Zirkus als Helfer besiegelt.
Faris, der Löwendompteur war verantwortlich für den Neuling in der Gemeinschaft und wies ihn ein, zeigte ihm alles, was er von morgens früh bis spät in den Abend erledigen musste. Ouahid war es nicht gewohnt, so hart zu arbeiten und fiel jede Nacht erschöpft in einen tiefen, traumlosen Schlaf. Aber er war glücklich über seine Entscheidung und sein neues Leben. Er half beim Füttern und Putzen der schönen Pferde, reichte dem mürrischen Koch die von ihm gesäuberten Pfannen und Kessel, putzte die Schuhe des Direktors, räumte die Utensilien der Jongleure ordentlich auf und wurde bald von Faris gebeten, ihm beim Füttern der Löwen zu helfen.
In wenigen Tagen hatte es Ouahid geschafft, sich einen richtigen Platz zwischen den unterschiedlichen Menschen aus der kleinen Zirkuswelt zu erarbeiten. Zweimal am Tag nahm er rasch eine einfache, aber sättigende Mahlzeit mit ihnen ein und lauschte ihren Geschichten und Erzählungen, wobei sein Blick immer wieder auf die junge Seiltänzerin Zaide fiel. Still und freundlich saß sie mit gesenkten Augenlidern zwischen ihren Gefährten und aß wie ein Vögelchen. Ihre Haut war weiß wie wertvoller Alabaster und zart wie kostbare Seide, sie hielt ihren Körper stets aufrecht mit natürlicher Würde und jede ihrer Bewegungen war langsam und bedacht. Das Herz des jungen Mannes schien vor Freude zu zerspringen, wenn er einen scheuen Blick aus ihren schwarzen Augen erhaschte. Umrahmt von dunklen Wimpern waren Zaides Augen von unbeschreiblicher Tiefe, dass er alles gegeben hätte, um ihre Aufmerksamkeit zu gewinnen. Allerdings wusste er sehr gut, dass er nichts besaß, und beschränkte sich auf seine Existenz als stiller Verehrer.
Es störte auch niemanden weiter, wenn er ab und zu bei Zaides zaghaften Übungen zuschaute, sie setzte geschmeidig wie eine Katze ihre feinen Füße auf das Seil, doch Ouahid hatte sofort begriffen, dass sie noch viel lernen musste, wenn sie eines Tages in der Arena zwischen all den atemberaubenden Darbietungen der Künstler auftreten wollte. Ihm war ebenfalls aufgefallen, dass sie nie ein Wort sprach, obwohl es geschehen konnte, dass sie aus vollem Herzen lachte und ihre Stimme dabei, wie das Plätschern eines klaren Baches klang. Ouahid hatte in seinem Leben solche Gewässer wohl noch nie mit eigenen Augen gesehen, aber davon in Geschichten und Erzählungen gehört.
Der strenge aber gutmütige Direktor Salim hatte eine weise Entscheidung getroffen, den Straßenjungen in seine Truppe als Helfer aufzunehmen, denn bald war von ihm beschlossen worden, die Stadt Damaskus zu verlassen und eine lange Reise mit seinem Zirkus anzutreten.