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In ihrem Roman "Let's go Jenseits" nimmt Serafinia Gabrielli unsere Angst vor dem Tod herrlich respektlos auf die allerletzte Schippe. Mit Charme, Witz und Poesie gewährt sie uns einen Blick durch die Mottenlöcher des himmlischen Vorhangs, direkt hinein ins geheimnisumwitterte Jenseits. Dabei lässt sie dieses so verführerisch aus der wolkenweißen Wäsche hervorblinzeln, dass man es kaum erwarten kann, endlich selbst den Löffel abgeben zu dürfen. Wer stirbt, ist noch lange nicht tot. Und die Untoten im Himmel haben auch so ihre Problemchen. Wie gut, dass Mr. Dot das Zeitliche segnet. So kann er die einmalige Chance ergreifen, als Seelenflüsterer berühmten dahingeschiedenen Persönlichkeiten unter die Arme zu greifen. Nachdem eine ungewöhnlich unerotische Venus ihm Nachhilfestunden in Empathie gegeben hat, stürzt er sich auf die Arbeit. Saturn erteilt er Starthilfe bei tollpatschigen Flirtversuchen, Gevatter Tod verpasst er mit bonbonfarbenem Rouge ein jungenhaft nahbares Image und Schwellfuß Ödipus macht er Medusas haarsträubende Werte schmackhaft. Ebenfalls Schlange für einen Behandlungstermin stehen: Queen Elizabeth II., Lady Di, Napoleon Bonaparte, Sigmund Freud und weitere, am Rande des Nervenzusammenbruchs balancierende Verstorbene. Selbst der liebe Gott ist nur schwer wieder von der Therapiecouch herunterzubekommen.
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Seitenzahl: 504
Veröffentlichungsjahr: 2024
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SERAFINIA GABRIELLI
oder Venus auf derhimmlischen Couch
1Aber nicht so bald!
Sämtliche Personen und Inhalte sind frei erfunden, und jede
etwaige Ähnlichkeit mit lebenden Personen ist rein zufällig.
eISBN 978-3-911008-10-5
Copyright © 2024 mainbook Verlag
Alle Rechte vorbehalten
Covergestaltung: Guido Klütsch, Köln
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Für Dich, V. U.,
mein geliebter Seelengefährte.
Unauslöschlich im Herzen, niemals vergessen.
Verabredet in der Ewigkeit.
Prolog
Let’s go gucken
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 35 1/2
Kapitel 36
Kapitel 37
Kapitel 38
Kapitel 39
Epilog
Himmlisch höllische Charaktere auf Fürchtegott Dots Therapiecouch Wilma
Fürchtegott Dot höchstpersönlich, des Himmels heiß geliebtes Früchtchen
Bis vor Kurzem trieb Fürchtegott noch als ehemaliger Liverpooler Waisenjunge und ausgebuffter Nervenarzt in Nordfriesland sein Heilwesen. Der Umzug aus heiterem Himmel rauf aufs Wölkchen, über welchem bereits sein Lichtbild nebst Steckbrief schwebt, lässt ihn buchstäblich über sich selbst hinausfliegen. Wie gut, dass der Herrgott in ihm die furchtlose Koryphäe für seelische Leiden jedweder Couleur erkennt. So erfreut sich Früchtchens unorthodoxes Werkeln als himmlischer Therapeut schon bald großer Beliebtheit. Übrigens legt sich zuweilen sogar Fürchtegott gern mal auf seine Therapiecouch Wilma.
Therapiecouch Wilma
Die Mutter Teresa aller mehrsitzigen gepolsterten Ruhebänke und Liegemöbel. Mit ihrem gütigen Federkern und ihrem ergonomischen Sitzkomfort samt tadellos samtener Samtpolsterung mutiert sie alsbald zur beliebten Anlaufstelle für Früchtchens Patientinnen und Patienten.
Der liebe Gott, einschlägigen Kreisen als Dexter vertraut
Tapferer Held aller nördlich von Mutter Erde gelegenen Lokalitäten inklusive des Himmels. Sich hingebungsvoll um jedes Herzeleid kümmernd, balanciert unser Herrgott tagtäglich am Rande eines Nervenzusammenbruchs. Trost spenden ihm die Aussicht auf ein Sabbatical im feurigen Paradies Hotties, selbstredend ohne Adams Schlange Eva, und Therapiesondersitzungen bei seinem neusten graumelierten Schäfchen Fürchtegott Dot.
Hottie, Luzifers begabtester Sprössling
Erfolgreicher Unternehmer, Eigentümer und Hausmeister der Hölle in einer Person sowie feuriger Bewunderer des Berliner Dialekts. Als Big Buddy von Vincent van Gogh mutiert des Teufels Sohn nicht nur aufgrund seiner Hirnstamm-Aura zu einer der schillerndsten Figuren im schwitzigen Süden des Himmels.
Jesus, teurer Sohn Gottes, Repräsentant des Göttlichen
Ein kluger, tiefenentspannter Ovo-Lacto-Vegetarier mit glänzenden, zum lässigen Pferdeschwanz gebundenen Bob Marley-Dreadlocks, ausbaufähigem Talent zum Schreinern und goldigem Humor, der seinem Vater, wenn es nötig ist, hilfsbereit unter die Achselhöhlen greift.
Mercurius, römischer Gott aller diebischen Händler, von Früchtchen mütterlich auf Mercelchen getauft
Ewig junger Götterbote sowie des Himmels charmantester Schlawiner. Schenkt man zwielichtigen Quellen Glauben, soll er bereits im Säuglingsalter den Panzer einer überrumpelten Schildkröte kurzerhand zu einem Resonanzkörper umfunktioniert haben. Sein stolzes Väterchen spendierte generös ein paar Saiten dazu und fertig war die erste Leier der Weltgeschichte. Einmal in Schwung, erfand Mercurius zudem der Hirten Flöten, die Tonleiter und unser aller ABC. Fürchtegott, zu Beginn noch mit den neuen Flughilfen hadernd, kommt erst durch die schicken geflügelten Zehentrenner des Götterboten auf den Geschmack. Allmählich findet er so Gefallen an seinen eigenen Tragflächen.
Venus, römische Liebesgöttin der Anmut und der ungewöhnlich unerotischen Verführung
Anfangs vom lieben Gott als Dozentin beauftragt, Früchtchens Aversion gegen Empathie, soziales Engagement und Selbstreflexion an den Rollkragen zu gehen, mutiert Venus aufgrund ihres leicht mit einem Drillbohrer zu verwechselnden Herzens zu seiner herausforderndsten Patientin. Die freundlichste Bloggerin auf Stargram, dem sozialen Netzwerk des Himmels, kämpft täglich gegen ihre Anorexie, während sie hauptberuflich Saturn den Hof macht und auf diese Weise zu seiner Star-Stalkerin avanciert.
Freddie-Maus, Freddielein oder einfach der gutmütige, allseits verkannte Fred, unser aller Gevatter Tod
Ein warmherziges, rührend tapsiges Skelett, das selbst Verstorbene auf Anhieb lieb gewinnen. Freddie-Maus leidet zutiefst unter seinem miserablen Image und seinem wenig gewinnenden Äußeren. Vermutlich resultiert sein trostloses Single-Dasein aus der Quersumme dieser Minuspunkte. Binnen kürzester Zeit wächst er Fürchtegott Dot inniglich ans Herz. Als beste Buddies kämpfen sie sich in jeder noch so totgefahrenen Situation Seite an Seite durchs Jenseits.
Saturn (Kronos) alias Ashley, imposanter Hüter der Zeit, Staranwalt für Scheidungsrecht, Darling aller Paragrafinnen
Saturns Vorname Ashley gereicht ihm zur Ehre. Wo er auftaucht, staubt es gewaltig. Im Himmel auch als Kronos gefürchtet, achtet er bei der Ausübung seiner Berufung penibel auf Ackuratesse. Unüberhörbar Recht und Ordnung einklagend, schreibt er sich, aus purer Eifersucht auf Venus’ Follower, unter die Hornbrille, jede Herzlichkeit aus Stargram, dem sozialen Netzwerk des Himmels, zu tilgen. Die fragwürdige Auszeichnung Drakoner des Jenseits (drakonisch wird hier durch die erboste Venus zum Substantiv gekrönt) hat er sich redlich verdient. Venus’ hartnäckige Avancen nötigen seinem nüchternen Herzen so einiges an Gefühlsschluckaufen ab und lösen ihn peu à peu vom Rockzipfel seines Eheweibs Medusa.
Medusa, Töchterchen dreier griechischer Meeresgottheiten
Als ehemals verstörende Schönheitskönigin wurde ihr in der Mythologie übel mitgespielt. Die missgünstige Pallas Athene verwandelte sie in ein Schreckgespenst mit reptilienartigem Angesicht, Schlangenhaarschopf, gewaltigen Schweinswalhauern, freudlos schuppigem Panzer, bronzenen Ellenbogen und wie Braunkohle glühenden Augen. Der Belag ihrer herausgestreckten Zunge dient Albert Einstein bis heute zum unerreichbaren Vorbild. Bedauerlicherweise nehmen sich ihre inneren Werte mehr und mehr ein Beispiel an den äußeren geschmacklosen Attributen. Medusa ist mit Saturn verheiratet, der sie ehrfürchtig Mutti nennt.
Ödipus, Spitzname Schwellfuß, spielt eine mikroskopische, aber kriegsentscheidende Rolle
In schwierigen sozialen Verhältnissen aufgewachsenes Bürschlein. Zieht es vor, über sein Elternhaus Stillschweigen zu bewahren. Die Sternlein munkeln, sein untoter Vater sei bis heute vor ihm auf der Flucht, indes seine Mutter seit der Scheidung von ihrem Sprössling unermüdlich versuche, den vermaledeiten Ehering aus dem Kaugummiautomaten endlich von ihrem Mittelfinger herunter zu bekommen. Ödipus himself wird während seiner Suche nach the next big love zum Schrecken sämtlicher Seniorinnen. Kein Betreutes Wohnen darf sich mehr vor ihm sicher fühlen.
Psyche, Griechenlands originellste, flatterhafte Göttin
Sie begegnet Fürchtegott erstmalig als unwiderstehliches, ihm endgültig seine Unberührbarkeit raubendes Schmetterlingswesen. Glücklicherweise beruht die liebevolle Wertschätzung auf Gegenseitigkeit. Noch bevor sein Charakter sie für ihn einnehmen kann, verfällt sie als Liebhaberin antiker Raritäten unwiderruflich seinem Meer aus Falten.
Ihr Gastspiel im Himmel haben:
Hypnos, der Gott des Schlafes
Fräulein Demokratie
Morpheus, der Gott der Träume
Otto Eduard Leopold von Bismarck-Schönhausen
Carmen, rasant feuriges Stiefmütterchen, welches mehr als nur ein Auge auf Freddie-Maus, unseren Gevatter Tod, wirft
Die einzig wahre Queen Elizabeth die II.
Diana, Princess of Wales
Napoleon Bonaparte
Jojo, unser geliebter Mond
… und viele weitere Persönlichkeiten.
„Erde zu Erde, Asche zu Asche, Staub zu Staub, hüstel, hüstel und ... aus die Maus.“
„Och nö, darf denn this be true sein?“, wende ich mich entgeistert an die stoisch auf Gartenbänken sitzende Gemeinde. „Der Dorfpastor ist offensichtlich schon wieder bekifft. Seine Worte dürften frühestens dann zu vernehmen sein, wenn er ein Schäuflein Mütterchen Erde auf mein Grab wirft. Much too early!“, rufe ich verzweifelt aus. Nach meiner zugegebenermaßen für mich eher suboptimal verlaufenen Kollision mit der Heidelberger Straßenbahn – ein ganz bezauberndes Werbebanner hatte mir, mein Köpfchen verdrehend, einen Genickbruch beschert – hänge ich nun als immaterielles Wesen am offenen Sarg ab, mustere pikiert meinen eigenen Leichnam und versuche, die Tragik in ihrer Gesamtheit zu erfassen.
„Look! What is this?“, quält mich mein Verstand mit seiner Wissenslücke. Weder ihm noch mir erschließt sich, worum es hier eigentlich geht. Als Geist, oder was immer ich jetzt sein mag, geselle ich mich zu den Trauergästen und stolpere direkt über meine eigene Brut, meines Leibes Früchte. Gar nicht hinsehen mag ich: Zwilling number one führt südlich eines brutal enganliegenden Muskelshirts inklusive aufgesticktem Totenkopfmotiv Tennissocken aus. Dieses Outfit verspricht seiner glutäugigen Freundin Klothilde aber wirklich mehr, als er jemals wird halten können. Von seinen grashüpfergrünen Badelatschen bekommt mein Stilempfinden einen Weinkrampf. Und wieso kombiniert er dazu Schwiegermamas Anglerhose? Vielleicht, weil er fürchtet, durch eine Pfütze aus Tränen waten zu müssen? Zwilling number two trägt einen lilienweißen Jogginganzug, dessen Kapuze cartoonhaft mächtige, samtige Koala-Ohren verunstalten. Putzig, huldigt er doch seit seiner Geburt dem trägen Lebensstil dieser auf Eukalyptus fixierten Leckermäuler. Jedenfalls geht er total in der Rolle des nordfriesischen All-inone-Pseudo-Regisseurs auf und filmt die gesamte Trauerchose. Alle drei Minuten reckt er seinen rechten Schnappdaumen in die Luft, glotzt eingebildet in die Kamera, fährt sich durch die Föhnfrisur und blökt: „Cool.“ Einmalig doof sieht das aus. Hoffentlich schneidet er die Abschiedsszenerie nicht für eine Reality Show mit. Zuzutrauen wäre ihm das. Wie makaber.
Wo ist denn nur mein Eheweib Gertrud abgeblieben, wundere ich mich. Ach, dort steht sie ja, fröhlich kichernd über das Blumenbouquet aus Kohldisteln, Karotten, Gänseblümchen und Löwenzähnen gebeugt. Wumms. Mit einem deftigen Klatschen schlage ich schockiert die Handflächen über meinem Kopf zusammen. Der unangemessene Grabschmuck gaukelt mir vor, ein Mümmelmann würde zu Grabe getragen. Die Trauerrede hält mein Nachfolger, Big Ulf, der aus Genf emigrierte Klempner vom Abwasserkanal gegenüber. Ich glaube, ich spinne. Den hatte ich zu Lebzeiten schon nicht gemocht, dieses Wachtelhirn. Unglamouröser könnte meine Beerdigung schwerlich über die Bühne schlappen. Und wie schlecht ich aussehe. Unsäglich deprimiert und gänzlich unfrisiert. Liebevoll gebe ich mir selbst einen Nasenstüber und flüstere: „Hey, Sweetie, höchste Zeit aufzuwachen!“
„Wenigstens meine drei Haarsträhnen hätte mir Zwilling number two – wie ist noch mal gleich dein Vorname, Bengel? – über den sonst arg kahlen Schädel drapieren können“, flüstere ich in die ausgelassene Stimmung hinein. Sir, können Sie sich so etwas Nebensächliches wie den Rufnamen Ihres Erstgeborenen merken? Igitt! Meine Hornfäden stehen ab wie Antennen. Im Sarg liegt ET. Und wieso werde ich im verwaschenen Blaumann in dieser ollen Sarg-Discounterware bestattet? Womöglich, weil Schwergewicht Ulf meinem besten Smoking gerade so einiges abverlangt. Die Nähte ächzen und krächzen wie Krähen. Die Metapher passt. Hoffentlich trägt er Unterwäsche. Sonst wäre es Schweinkram. Lüstern schielt er zum Grill hinüber, von wo aus ihm ein Grüppchen Wiener Würstchen bäuchlings zuzwinkert. Dass man die nicht grillen darf, weil sich durch hohe Temperaturen gesundheitsschädigende Stoffe bilden, weiß jedes Kind. „Hau rein, Kapelle!“, wünsche ich ihm im Stillen. Das heißt so viel wie „Lass es dir schmecken! Haha.“ Ob ich wohl zu maliziös für diese Welt war?
Auf dem Rasen, unweit der morschen Hollywoodschaukel, erspähe ich eine Armee aus zitroneneiscremefarbenen Luftballons, kecken konfettibunten Partyhütchen und mit grienenden Schlümpfen bedruckten Maxi-Girlanden. Es ist wie an Karneval, dabei haben wir Mai, o mei! Wieso wohnte ich eigentlich all die Jahre direkt neben dem Krematorium? Vielleicht aus praktischen Gründen? Damit könnte ich richtig liegen. Ein laues Lüftchen umschmeichelt meine violetten Lippen, als würde mir die Windsbraut höchstselbst neuen Odem auf eben diese hauchen wollen. „Much too late!“, murmle ich ergriffen. Ich könnte einer Depression anheimfallen. „Aber merke auf! Horch, horch!“ Aufmunternd klopfe ich mir aufs morsche Schlüsselbein. „What is that?“ Ein Schluchzer schmeichelt meiner verletzten Eitelkeit. Gerührt folge ich dem verzweifelten Laut unverstellter Trauer. „Ach, guck mal einer guck.“ Terrierdame Buttercup, mit spiegeleigelben Triefaugen und gallenschwarzer Samtschleife um den Hals – immerhinque –, erliegt der Versuchung, eine besonders schmucke Karotte aus dem Blumenbouquet ihrem Verdauungsprozess anzuvertrauen. Ihren floralen Rufnamen verdankt sie übrigens ausschließlich ihrer Leberzirrhose. Wie das Leben so spielt. Well, ein übertrieben penibler Zuschauer dieser anrührenden Szenerie könnte schlaumeiern, Buttercup schluchze nicht, sondern würge an einer zweijährigen krautigen Pflanze mit verblüffend hohem Nitratgehalt. „Gute Reise ins Nirwana!“, wünsche ich der Pflanze.
Oh no, da stehe ich nun neben einem einzigen Gepäckstück und verabschiede mich von mir selbst, respektive von meinem irdischen Sein. So wie es aussieht, nehme ich bedauernswerte Wurst aber wenigstens meine erstaunlich intakte Pelle mit. Der Abgesang wäre zum Verzweifeln, wenn, ja wenn ich den dohlenschwarzen Koffer rechter Hand meines Hühnerauges nicht als untrügerisches Zeichen dafür deuten würde, dass meine ungewöhnliche Nachspielzeit gerade erst begonnen hat. Ich sage „Bye, bye“ zu meinem Korpus, gebe mir einen letzten Schmatzer auf die gipsweiße Stirn und rezitiere ... nee, keinesfalls Goethe, ich allein zeichne verantwortlich für die mutmaßlich würdevollste Grabrede aller Zeiten. Ich und die durchscheinende Schönheit, die gleich dort hinten an der gravitätisch dreinblickenden Buche lehnt, womöglich eine meiner Musen? Öhrchen aufgesperrt:
„Die Zeit vergießt im samt’nen Kleidgar wehmutsvolle Tränen,des Frühlings Früchtchen* gilt alleinihr bittersüßes Sehnen.So lebe wohl, ein Abschiedstrankim wilden Knospenreigen,wo Licht in Schwermut tiefer sank,hört Nordwind Nebel schweigen.“
Ich, ein Dichter. „Lovely!“, raune ich, meine Hände andächtig zum Gebet faltend. Was mich im Himmel wohl erwarten wird? Gedanken an das Fegefeuer ignoriere ich Optimist vorerst lieber. Auf Nimmerwiedersehen, liebe Erde. Ob wir uns wirklich für ewig voneinander werden verabschieden müssen?
*Erklärt sich später von allein, versprochen.
Liebe Mylady,
lieber Sir,
hat sich eigentlich schon mal ein charmanter Schmetterling unter Ihren Rock oder Ihr Beinkleid verirrt? Nein? Unter meines bislang auch noch nicht. Ein Wölkchen hingegen sehr wohl. Präziser formuliert, ein Cirrocumulus aus Eiskristallen. „Du flauschiger, schamloser Wattebausch du, der mich frösteln lässt.“ Hey, verabreichen Sie beim Nachsprechen des Wörtleins Cirrocumulus Ihrem echauffierten Gesprächspartner ebenfalls eine Dusche aus Myriaden filigraner Speicheltropfen, die seinen Körper in einen ätherischen Mantel aus H2O hüllen? Gratulation, dann gehören Sie höchstwahrscheinlich zur Familie der Kamele und sind ein menschliches Lama. Vermutlich punkten Sie dafür mit Geduld, Friedfertigkeit und dem Ansammeln allerfeinsten Karmas. Kein Anlass also für Schamesröte. Yep, dieses Problem ist mir vertraut. Die Sternlein erblassen und verlassen mich so oft wie möglich, wenn ich meiner Verbalisierung von Wörtern das Kommando „Feuer frei“ erteile. Das ist jedoch kein Ungemach, das Frau oder Mann not aus the Welt schaffen könnte. Mein Tipp als Mediziner Ihres Vertrauens: Entschleunigen Sie Ihr Sprechtempo. Yes, versuchen Sie, Ihre Stimme zu beruhigen. „Hush, hush a bye, Lullaby“, wie ich als britischer Nordfriese gern anzumerken pflege. Vergessen Sie nicht zu schlucken. Brav, well done! Sollten meine Tipps versagen, dann empfiehlt Ihnen Professorin Lavendel Sumpfstendelwurz ihre ureigene Kollektion von Wirkstoffpflastern. Sir, ich rede hier mitnichten von Doping. Was Sie gleich denken. Die in den Pflastern enthaltenen Pflanzenwirkstoffe übermitteln den gehorsamen Speicheldrüsen lediglich das Signal „Hey, you, stop it!“ Vor lauter Obrigkeitshörigkeit stellen die Probanden unter den Drüsen unverzüglich ihre Produktion ein. Nebenwirkungen? Eine an die Wüste Gobi gemahnende Mundschleimhaut, ein engmaschiger Schleier vor den Pupillen, auf welchen Scheherazade klugerweise verzichtet hat, oder, mein persönlicher Favorit, kurioserweise sogar eine Verschlechterung des Status quo. Well, ich sage „Liverpooler Medicine School“. Was die dort alles erfinden. Prust. Nicht Marcel Proust, nur prust. Oh, sorry, jetzt ahmte ich meine potente Dot’sche Beregnungsanlage nach. Bitte, trocknen Sie sich mit meinem Taschentuch das Gesicht. I can wait. Mein kostenloser Rat, von mir für Sie: Sir, verabreden Sie sich als menschliches Lama zum ersten Date vorzugsweise an einem malerischen, wolkenverhangenen Regentag. Verzichten Sie auf einen schnöden Schirm und vertrauen Sie der Magie Ihrer Augen. Die holde Weiblichkeit liebt es, an ihrem Busen das Lügenmärchen zu nähren, in den Augen eines Mannes lesen zu können wie in einem Liebesroman. Ha! Sollten Ihre Fenster zur Seele allerdings so gefühlvoll wie die Höhlen des Grauens wirken, womöglich, weil Ihr Köpfchen emsig bemüht ist, den genügsamen Romantikquotienten eines Koboldhais in den Schatten zu stellen, empfehle ich Ihnen: „Stay with Mum. Bleiben Sie bei Mutti wohnen ...“
Moment! Gestatten Sie mir überhaupt, Sie mit Mylady und Sir anzureden? I really hope so. Ich wäre überglücklich, würden Sie mich auf meiner Reise durch die überirdischen Gefilde begleiten. Ich bin jetzt einfach mal so vermessen, hier von einer tückenlosen Win-win-Situation zu sprechen. Warum? Na, weil ich liebenswerte Gesellschaft hätte, und Sie einen soliden Einblick in das erhielten, was Sie in … Jahren erwartet. Lassen Sie sich bitte in keiner Weise von den drei Pünktchen verrückt machen. Die können von … bis alles bedeuten. Erweisen Sie mir also die Ehre?
Übrigens werde ich Sie, Mylady, 88 Mal mit Mylady ansprechen und Sie, Sir, 139 Mal; also mit Sir, nicht mit Mylady, Sir. Ich bin ja nicht total meschugge. Werden Ihre Nerven diese Tortur aushalten? Aber möglicherweise habe ich mich ja zu Ihren Gunsten verzählt … Hopefully.
Hochachtungsvoll,
Ihr Fürchtegott Dot,oder schlichtergreifend Ihr zukünftiges Lieblingsfrüchtchen
„Wo das Herz weint, spannt der Glaube den Regenschirm auf.“
„Wer raunt mir diese poetischen Zeilen in meine linke Ohrmuschel?“, frage ich ergriffen.
„Ich, deine Muse.“
„Oh, na denn man tau, du anmutiges, durchscheinendes Dingeling. Wo bleibt bloß mein Paraplü?“
„Fürchtegott Dot! Hier ist eine Vorladung für dich.“ Die Christel von der Himmelspost überreicht mir eine Art Einladung. Oops, der liebe Allvater hat meinen Brief an Sie, aus dem ich Ihnen ja eben vorgelesen habe, zur Kenntnis genommen. Und nein, he is not amused. Seinem Schreiben nach zu urteilen, bin ich ihm zu cheeky, zu frech. Apropos amüsiert. Da schwelge ich doch gleich in Erinnerungen an die Queen. Great Britain, das waren noch herausfordernde Zeiten. Mein unverhofftes Glück ist es, die Queen in Hörweite wohnen zu haben. Da werden unzensierte Jugendträume wahr. „You are welcome, your Royal Highness“, rufe ich euphorisch von meinem Wölkchen zu ihrem Wölkchen herüber. „Huhu, Lizzy, long time no see.“ Ja, lange ist es her, dass ich sie in der königlichen Soapopera ge(t)adelt habe. „Howdy!“, erwidert sie freundlich, mir huldvoll vom Nachbarwölkchen aus zuwinkend.
„Wie es mir geht? Great geht es mir. Na ja fast“, antworte ich. „Yo, your himbeerrotes Kostüm harmoniert by the way vorzüglich mit your zitronenfaltergelben Gladiator-Sandalen.“ Sie lächelt. Mein Lob kommt aus tiefstem Herzen.
„Thank you, Darling.“ Wie charmant sich die Queen bedankt. Ihr Lieblingscorgi bleckt seine gebleachten Zähne. Lächelt er mir etwa ebenfalls zu? Ich bin geblendet. Übrigens dürfte selbst einem detektivisch ungeschulteren Blick als meinem nimmerdar entgehen, dass dieser Hund kürzlich enorm viele Wiener Würstchen verspeist haben muss. Wenn ich mir so seine Körperform betrachte …
*
Jedoch, ich schweife ab, zurück zum eingangs erwähnten Wölkchen. Gerade schleicht es sich vom linken Fußknöchel aus über mein Möndchen, so nenne ich neckisch meinen Meniskus, in Richtung Oberschenkel. Brrr, ist das kalt. Wo es nur hin will? Well, die verflixte Sache mit der verbalen Kommunikation. Die liegt mir einfach nach wie vor nicht so richtig, und die Sache mit der Himmelspforte im Grunde genauso wenig. An selbige musste ich ja viel zu früh anklopfen. Dank meines Fürsprechers, dem hilfreichen Jesus, hat mich nach meinem Ableben nicht etwa Luzifer von der Straße aufgeklaubt, nein, vielmehr ein Engel mit echtem Prüfsiegel und Heiligenschein. Das habe ich logischerweise abgecheckt, da könnte sonst jeder kommen. Oh my God, war der liebe Gott anfangs schlecht auf mich zu sprechen, ja mei o mei, und das im Wonnemonat Mai, aber das sagte ich wohl bereits. Nachdem ich mich auf Erden sogar als den Schlaf ins Visier nehmender Psychiater pompös danebenbenommen hatte, wäre ich um ein Haar zum Gesellen des Teufels gekürt worden. Fegefeuer, Hitze, büßende Seelen. You know what I mean? Zum Glück mag der liebe Gott Jesus, der für mich ein versöhnliches Wörtchen aus der Bibel eingereicht hat. Deshalb drückte er noch mal eines seiner vergiss-mich-nicht-blauen Äuglein zu. Somit bin ich auf Bewährung. Wie sich das anhört.
Die freudige Nachricht indes ist: Ich, Fürchtegott Dot, bin zurück im Spiel. Welcome back, sozusagen. Wahrhaftig, es gibt eine Nachspielzeit im Himmel. Wer hätte das gedacht? Übrigens hege und pflege ich meine frühere Leidenschaft, zu gegebenem Anlass von mir selbst in der dritten Person zu sprechen, rücksichtsvollerweise nurmehr seltenst. Wenngleich sie mir einst ermöglichte, in Situationen, die mir zu sehr unter die Gänsehaut fuhren, ein wenig auf Distanz zu gehen, verwirrte sie den einen oder anderen Zeitgenossen erheblich. Unter uns: Die Ladys waren da nur unwesentlich plietscher. Ha, diese meine Leidenschaft erschuf somit das Leiden der Fehlkommunikation, wenn Mann so will. Themenwechsel. Mag sein, Sie möchten es nicht wissen, aber als Schlafforscher verehre ich sogar hier oben unbeirrbar Hypnos, den Gott des Schlummers. Früher schrieb ich regelmäßig meine Träume um und verpasste ihnen – zack – ein handwerklich recht passables, nüchternes Outfit. Kastrierte ich etwa meine Sehnsüchte? Vermutlich. Well, niemals hätte ich so stiefväterlich mit meinen Träumereien verfahren dürfen. Ein Engel flüsterte mir zu, alsbald würde ich in den Fächern Empathie, Liebe, Hilfsbereitschaft und so weiter und so fort nachsitzen und mir, Abbitte leistend, die Vergebung meiner Schuld regelrecht erarbeiten müssen. Himmel, versucht der Himmel mich etwa auf berührbarere Latschen zu stellen? Versuchsweise bin ich in den ersten Tagen meines überirdischen Daseins zu Morphies Gehilfen aufgestiegen, oder eher aufgeschwebt: Ich trage jetzt Flügel. Für einen ehemaligen Liverpooler Gassenjungen wie mich waren diese Flughilfen anfangs gewöhnungsbedürftig und irgendwie peinlich. Wenn Morpheus, der mächtige Gott der Träume, spitzbekommt, dass ich ihn verniedliche, gibt es tüchtig eins aufs spitze Näschen.
Tja, was soll ich berichten? Meine erste Mission im Alleinflug verlief suboptimal. Morpheus’ Anordnung lautete, den großen und den kleinen Erdenkindern im Schlaf zu erscheinen. Ich sollte den Verzweifelten Mut zusprechen, den Einsamen mein schlechtes Gehör schenken, den von Venus Vergessenen (wirklich unansehnliche Kreaturen, hässlich, wie der Hades finster) vorgaukeln, es zählten nur die inneren Werte, und den Schüchternen Selbstvertrauen einflößen. Momentchen, ich genehmige mir mal eben ein Schlückchen von Heras göttlicher Muttermilch, yummy, lecker. Mylady, Sir, sollte es Sie geringfügig verwirren, dass ich hier ungeniert mehrere Religionen vermische, wie Martha Stewart ihre inbrünstig geliebten Backzutaten – eingangs die christliche Dreifaltigkeit (Jesus und Gott), jetzt die griechische Mythologie mit Hera und Morpheus auf dem Gepäckträger – haben Sie mein unbegrenztes Verständnis. Aber im Himmel wird in praxi jede Glaubensrichtung respektiert, solange Liebesgott Amor ihr Taufpate sein darf. Beautiful, isn’t it? Nun ja, jedenfalls reiste ich per Anhalter auf einer herabsegelnden Sternschnuppe auf die Erde, um dort meinen ersten Schützling im (Alb)Traum heimzusuchen. Nein, Sir, nicht mit „p“, das schreibt man jetzt mit „b“. Hier oben ist nicht nur Mann up to date. Mein Auftraggeber bat mich, der Erdenbewohnerin verbindliche Grüße ihres vorausgeeilten Hamsters Schröder auszurichten. OMG, war das ein Spektakel. Die hochbetagte Jungfer machte mir die Hölle heiß. Aus dem Schlummer emporschreckend, jagte sie mich mit einer BH-Schleuder um den erschrockenen Nierentisch herum, nackt, wie unser aller Schöpfer sie vor hundert Jahren erschuf. Really. Sie war lediglich mit einer Betthaube ausstaffiert und, ja, dem ausgeleierten Büstenhalter. Wir drehten Runde um Runde. Wehmütig gedachte ich des Bredstedter Kreisverkehrs. Zu Lebzeiten, als ich noch in Nordfriesland wohnhaft war, lief ich im selbigen ja mit Vorliebe Rollschuh.
Offengestanden hatte ich total versäumt, den mich unsichtbar werden lassenden Nupsi zu drücken, sodass Fräulein Wilhelmine fürchtete, Räuber Hotzenplotz wäre bei ihr eingebrochen, um ihr die verjährte Unschuld zu rauben. Sir, einen Nupsi kennen Sie, oder? Ein Nupsi ist eigentlich ein Piepser und ein Piepser wiederum ist ein Pager. Aber zurück zu meiner Crimestory: Ich weiß nicht, wer vor Schreck lauter aufschrie, sie, ihre Betthaube oder ich. Alle drei krakeelten wir um die Wette wie Husumer Ferkel am Spieß. Mylady, hierbei handelt es sich um meine heiß geliebten nordfriesischen Schweinchen. Es dauerte ein geraumes Weilchen, bis ich auf der göttlichen Fernbedienung endlich das mit Sternen übersäte Knöppeken entdeckte, um auf dem Rückgrat des Windes Richtung Wolken davonzuzischen. Wuuusch. Hernach saß das Fräulein Wilhelmine an fünf Werktagen vor ihrer sprachlosen, vor Neid erblassenden Frauenärztin, sich ein Rezept für die Antibabypille erbetend. Am Samstag bestellte sie sich online ein herzblutrotes, amaryllisfarbenes Negligé mit dem Schriftzug „All yours“ und verzichtete künftig auf das Verriegeln der Haustür, in der trügerischen Hoffnung, mein Malheur möge sich wiederholen. Vermutlich wird sie bis an ihr Lebensende beim Seniorenkaffeeplausch mit der Fantasy-Story über den hinreißenden Schurken, dem sie im Nachhinein gern ihre Jungfräulichkeit anvertraut hätte, glänzen. Hihi, die Vergangenheit pinselt mit Goldlack.
*
Yep, hier oben ist das „Leben“ in Gänsefüßen auch kein Zuckerschlecken. Stante pede wurde mir von Morpheus fristlos gekündigt. Seinen Unbill konnte ich ihm am Nussknackerkinn ablesen, welches er versnobt Richtung Norden reckte. Mit luftigem Handgepäck fand ich mich auf der Milchstraße wieder. Bei Bond, James Bond, wirkt jede Mission wesentlich gazellenhafter und erheblich ersprießlicher. Apropos Sprießen. Sollte es mir misslingen, der Himmelsmacht meine Qualitäten als Psychiater zeitnah schmackhaft zu machen, würde ich offenkundig zwischen drei Jobs wählen müssen. Eben gehe ich mit dem sich solidarisch erklärenden Jesus die Jobangebote durch. Mit wohltönender Stimme liest Jesus sie mir vor:
„Hilfsgärtner im Garten Eden! Fürchtegott, im vormals irdischen Paradies würde dir die Pflege der Buchsbäumchen obliegen.“
„Diese platzen hier wie Unkraut aus dem Boden. Lovely.“ Ich nicke.
„Interessiert?“, klopft Jesus auf den Busch.
„Obwohl mich diese Challenge an meinen aktiven Dienst im Militärkrankenhaus zurückdenken lässt – der Park dort punktete mit Laubbäumen wie sonst nur die Tropischen Regenwälder – muss ich dankend ablehnen.“
„Postbote! Laut Inserat freut sich die Himmelspost allzeit über frische Aushilfskräfte“, sagt Jesus.
„Frisch?“, necke ich Jesus. „Hä? Witzig! No, thanks.“
„Küchenjunge! Unsere Kaltmamsell sucht nach einem männlichen Diener, der in der Küche ehrenhafte Arbeiten verrichtet.“
„Lieber Jesus, glaubst du etwa an die Mär Vom Tellerwäscher zum Millionär?“
„Bei Lichte besehen … nein.“
„Nein? Genau wie ich. Darum, um Gottes willen danke, nein danke.“
„Törööö“, posaunt nicht nur der in der Patsche sitzende Elefant aus den früheren Kinderbüchern meiner auf Erden zurückgelassenen Zwillinge Owen und Connor, sondern auch meine Wenigkeit, die nach einem zielführenden Lösungsansatz kramt. Übrigens wandelt meine Brut gerade quietschvergnügt im nordfriesischen Rainbüll umher und betet, ihr Herr Papa möge in Frieden ruhen. R. I. P. usw. Von wegen ruhen! Mein sieben missglückte Reanimationsversuche vor mir aufgeschlagener Minigolfsportsfreund Poodle the Bagpipe – ehemaliger Dudelsackspieler mit ’nem unruhigen Händchen für Gebrechliches und mittlerweile für die Restauration des Himmelsgewölbes zuständig – erinnert mich jetzig an meine Vorladung, ich nenne sie Audienz, bei meinem Namensvetter, dem Chef höchstpersönlich. Unangenehm hilfsbereite Type. Poodle, nicht unser Herrgott. Darum gebeten habe ich nämlich nicht. Ich muss also wahrhaftig beim lieben Gott antanzen.
*
„Allmächtiger, in Eurem Büro geht es zu wie in einem Schlaraffenland für Daunen“, schmeichle ich Kulleraugen machend.
„Die werden hier oben gehegt und gepflegt.“ Der liebe Gott nickt. „Ich sage bloß: Streichelzoo. Eine kuschelige Strato-, nein Atmosphäre verweichlicht mir den mitunter recht harten Arbeitsalltag.“
Ein Chor aus Gänsen und Enten schmettert: „Wir lobpreisen den Herrn, dem wir helfen so gern.“
„Gans nett“, stimme ich zu. „In meinen postpubertären Flegeljahren war ich als studentische Aushilfskraft dreiundzwanzig Stunden lang für den Fabrikverkauf von Daunendecken zuständig.“
„Schändlich, ich weiß.“ Verdrossen studiert der Weltenlenker meine Vita. „Hier oben schreiben wir den TIERSCHUTZ groß. Niemand sonst im Jenseits besitzt derart altruistische Eigenschaften wie dieses liebe Federvieh. Jedes bedaunte Lebewesen, ob Gans, ob Ente, steht mir höchstens vier Stunden täglich zur Seite, um sodann flugs von ihrer Kollegin abgelöst zu werden. Qualitytime sei allen gegönnt.“
„Yes!“, gebe ich zurück. „Fluffig leicht wie Erdbeer-Joghurt-Cupkakes und kuschelig wie Betty Goosefeather …“
„Wer ist jene mir unbekannte gepriesene gefederte Gans?“,
möchte der Herr im Himmel wissen.
„… sind sie bei den Eskimos überaus beliebt“, beende ich zügig meinen Satz. „B. G. ist meine ehemalige Sandkastenliebe aus
Old England.“
„Was du nicht sagst.“
„Betty wog so viel wie Netty, ihre Schwester. Die wiederum erinnert noch heute an die unwiderstehliche mehrstöckige Variante eines Cheeseburgers. Einst waren sie Liverpools prächtigste
Exportschlager. Eine satte Woche lang war Betty meine On-Off-Liebe. Letztendlich war ich ihr leider zu hager.“
„Poor you“, tröstet mich der liebe Gott.
„Thank you. Bis heute versuche ich diese Abfuhr zu verkraften. Leider vergeblich.“
„Fürchtegott Dot, setz dich doch!“, empfiehlt der Schöpfer.
„Wir sind hier nicht in der Schule, mein Junge, noch musst du nicht in der Ecke stehen.“ Oh, der Herrgott spricht Klartext.
„Pardon?“ Plötzlich umärmelt mich die Schüchternheit. Mit Redegewandtheit kann ich gerade nicht aufwarten.
Das hinter ihm auf und ab schreitende Häuflein Asche – ist das etwa der sagenumwobene Saturn? – grinst hämisch, als sei er die linke Hand von OMG.
„Wie darf ich dir helfen?“, fragt mich der liebe Gott.
„What? Eine gewählte Ausdrucksweise klingt anders, ich weiß“, übe ich Selbstkritik.
Der himmlische Vater lächelt milde. „Ein Vögelchen hat mir gezwitschert, die Eingewöhnung falle dir noch schwer, alle Jobangebote schlugest du in den armen Wind. Der aber kann nun als Letzter etwas dafür.“
„Hat Poodle mich etwa verpetzt?“
„Gemach, gemach, ich würde es weniger scharfzüngig formulieren. Übrigens haben Saturn und ich nichts anderes erwartet“,
vertraut er mir an.
„Schule? Ich knabbere noch an Eurem Satz mit der Bildungsanstalt herum.“ Zzzzzz. „Ist das etwa eine Säge? Jawohl, ich höre eine Säge sägen.“ Zzzzzz. „Eure Exzellenz, es liegt fern meines Wesens, ketzerisch anmutig sein zu wollen oder so ähnlich, egal, aber Petrus sägt, just in diesem Momentchen, an Eurem Stuhl. Der Hierarchienneid verschont selbst Euch nicht, was?“
Der liebe Gott merkt auf. „Fürchtegott, dein Unglaube ist ja zum Fürchten. Mein Sohn Jesus hat den Stuhl eigenhändig gezimmert und es dabei mit einem Bein zu gut gemeint, Petrus kürzt es gerade auf die passende Länge.“
„Ach Gottchen, spricht’s Lottchen, da bin ich aber beruhigt.“
„Wie bitte?“
„Eure Exzellenz“, nun werde ich meinem Nachnamen Dot gerecht und komme direkt auf den Punkt, „ich habe die wohlwollenden Job-Offerten geduldig geprüft und muss mir zugestehen, dass ich weder den Blümchen noch den Briefen und dem feinsten friesischen Porzellan gleich gar nicht zuzumuten bin. Wenngleich mein Alleinflug neulich zugegebenermaßen wenig Anlass zu ausgelassenen Freudensprüngen gab – Morphie meidet mich, wo er kann – möchte ich Euch dennoch mein Bittgesuch ans Herz legen, mir noch einen Versuch zu gewähren. Ich sei, gewährt mir die Bitte, in Eurem Verein hier … Herrje, jetzt rezitiere ich tatsächlich Schiller.“ Ich sammle mich kurz. „Kurzum, als Seelenklempner verstehe ich mein Handwerk, ob auf Erden oder in schwindelerregenden Höhen …“
Der Herrgott hebt die rechte Hand. „Halte ein! Ist dir eigentlich bewusst mein Sohn, wie abfällig solch ein hässliches Substantiv klingt? Seelenklempner! Menschen sind keine Wasserrohre, geschweige denn eine Toilettenspülung.“
„Äh.“
„Ich bitte um Ruhe! Du erwecktest bei deiner Willkommensparade den angenehmen Eindruck, als reisest du geläutert an. Sollte ich mich so getäuscht haben?“
„Nö, das Glockengeläut habe ich vernommen, bin ich doch bei meiner Trauerfeier als ausgedienter Komparse dabei gewesen; mickrige glanzlose Veranstaltung.“
„Mein Junge, wie würde es dir gefallen, dich bei uns als Seelenflüsterer einzubringen? Orpheus könnte dich zeitweilig mit seinem Engelsgesang begleiten. Poodle the Bagpipe ist der Ansicht, Nerven in Schieflage seien dein Spezialgebiet.“
„Wenn Poodle das sagt. Yes, na, und ob sie das sind, das meinte ich eben, und genug Engagement brächte ich hierfür unbedingt mit.“
„Ja, mein Sohn, das steht zu befürchten. Recte, in Ordnung, einen Versuch ist es wert. Aber vorher wirst du noch die Schulbank drücken, bitte vorsichtig, sie ist antik. Fräulein Venus wird dir im Unterrichtsfach Warmherzigkeit bebalzt Empathie Nachhilfe geben.“ „Die zwei Turteltäubchen haben ein Date?“, forsche ich verdutzt nach.
Sollte der Engel mit seiner nebulösen Verkündigung also recht behalten haben? „Stopp!“ Meine Gedanken schleudern ein Stoppschild in die Luft. Da ist es wieder: Empathie! Dieses unschuldige Wörtlein, dieser Panther im Schafspelz, bestehend aus drei Silben, vor denen ich mein Leben lang davongerannt war. Wilson Kipsang Kiprotich, der weltbekannte Marathonläufer, ist nothing gegen mich. Oh, der Allgütige spricht noch:
„... eventuell wird es zu gegebener Zeit eine Nachschulung dieser Nachhilfe geben.“
„What?“
„Bei untadeliger Führung wird dich Jüngling Mercurius in wenigen Jahren die Kunst des Unsichtbarwerdens lehren und wie du an deinem neuen Wohnort, unserem Himmel, materialisiert startest, um am Zielort, der Erde, dematerialisiert Gutes zu verrichten …“
Aufgeregt falle ich dem Allmächtigen ins Wort. „Hat Morphie mir noch nicht vergeben?“
„Ich fürchte …“, sagt der Herrgott.
„Oh!“ Ich werde abgelenkt. „Ahoi, ich freue mich, dich kennenzulernen“, begrüße ich Mercurius. Aus dem Hinterhalt hervorgleitend lächelt der weltbekannte Götterbote mir aufmunternd zu.
„Die Freude ist ganz auf meiner Seite“, entgegnet er höflich.
„Pst!“ Mein neuer Chef fährt mit seiner Unterweisung fort. „… ohne, wie ich betone, Inkorrektheiten zu begehen. Plane vorerst bitte nur Theoriestunden ein. Fürchtegott, leider wirst du nicht bei jedem deiner späteren Einsätze auf einer Sternschnuppe anreisen können. Kostenreduzierung, du verstehst?“
„Ha, wie Gertrud und ihr übertriebener Fimmel mit dem Haushaltsbuch.“
Saturn, das gestrenge Finanzgenie, mustert mich abschätzig, so von oben bis unten, wie ich es ja von meinem ehemaligen Eheweib Gertrud zur Genüge kenne. Oller Staublappen.
„Heiliges Kanonenrohr, ich, Fürchtegott Dot, ehemaliger Liverpooler Waisenjunge, werde in die hohe Kunst des Feinbeamens eingeweiht. Potz Blitz“, rufe ich erregt aus. Wie bestellt blitzt und donnert es gewaltig.
„Fürchtegott Dot.“ Oops, mein Oberbefehlshaber klingt ungehalten. „Halte dich mit Wortspielereien zurück und bemühe um keinen Preis leichtfertig die Naturgewalten! Weitere Lehrfächer sowie für diese verantwortlichen Pädagoginnen und Pädagogen findest du auf deinem Stundenplan.“ Mit spendabler Geste händigt er mir selbigen aus.
„Verbindlichen Dank. Das wäre doch nicht nötig gewesen.“ Ich staune.
„Jeden Morgen wirst du nach dem Ausschütteln der Wassertröpfchen meine aktuell gültige Weisung empfangen.“
„Wie famos, dass ich auf einem Wölkchen schlummern werde. Hurra! Donnerlittchen, die Weisung flattert mir wie Brieftäubchen um die Ohrläppchen?“, hake ich wissbegierig nach.
„Ssshhh! Im Theorieunterricht darfst du deinen Dienst an der Menschlichkeit optimieren. Und bitte höre damit auf, Morpheus nachzustellen. Er möchte vorerst komplett auf dich verzichten.“ „Das dachte ich mir“, flüstere ich geknickt. „Also wird es vorerst wohl keine weiteren gemeinsamen Reisen mit ihm geben.“
„Exakt. Fürchtegott, folge abwechslungshalber doch mal deiner eigenen Empfehlung. Ich meine jene weichherzige, die du nach deinem Tod in einem Anflug von Weisheit an einen ominösen lieben Sir gerichtet hast.“
„Ha!“, rufe ich aus. „Mein Moment der Schwäche plumpst mir nunmehro auf meine nackten großen Onkel. Aua! Oje, kurz nach meinem Ableben, gefühlsmäßig noch zwischen Leben und Tod, hatte ich de facto lauthals herumgetönt, was ich in meinem Leben alles hätte besser machen wollen, sollen, müssen.“
„Bemüht er hier den Konjunktiv II?“ Saturn spöttelt über meinen inneren Aufruhr.
*
„Great, alright, danke.“ Kehrt marsch. Ich mache keinen Diener, no, dafür einen wackligen Knicks, und das ist wirklich mehr als nichts. „Puh.“ Lächelnd nimmt mich Jesus in Empfang. „Ruhig, Rostbrauner“, redet er mir beschwichtigend zu, wie einem abgehalfterten, nordfriesischen Klepper, der nicht gleich zur Salami verarbeitet wird, sondern stattdessen für sein Gnadenbrot erst noch malochen darf. Atlas saust uns über den Weg. Er hat es eilig. „Huch, wer stützt jetzt unser Himmelsgewölbe?“, erkundige ich mich mit flatterndem Herzen. Jesus lächelt und murmelt etwas von „die lieben Neulinge“. Ich würde Atlas ja befragen, ob er verstehen kann, wie ich mich fühle, aber just entschwindet er hinter Jupiter.
So quecksilbrig ich mich seit meinem ausgefallenen Einstand auch aufgeführt haben mag, so abgekämpft schleiche ich an Jesu Seite zu meinem flauschigen Wölkchen. Ein Päuschen käme mir sehr gelegen. Yes, insgeheim bete ich einen Rosenkranz, dass ich den lieben Gott nicht enttäuschen werde.
Poodle the Bagpipe verspricht mir, mich um Punkt 19.30 Uhr zu wecken. „I will wück you auf!“ Unmöglich klingt das. Die Theateraufführung, natürlich, die zu versäumen wäre ein Jammer. Mylady, sollte Sie die Frage quälen, weshalb Poodle Poodle heißt, so sorge ich gern für Linderung: Stellen Sie sich einen mit schottischem Akzent kläffenden Pudel vor, der obendrein, mit Gewichtsproblemen kämpfend, einen Dudelsack malträtiert. Voilà, jetzt dürften Sie Poodle the Bagpipe vor Ihrem geistigen Auge sehen. Poodle zieht jeden verfügbaren Vokal in die Länge, einem qualitativ hochwertigen Kaugummi vergleichbar, und besonders oft überbemüht er ein unschuldiges „ü“. My poor ears, meine armen Lauscher.
„Die Zeit ist ein Rennpferd und ich bin ein miserabler Jockey.“ Solche durchgeistigten Zeilen hätte mein Hirn sich früher niemals zugetraut. Allmählich gewinne ich meine poetische Ader richtig lieb.
„Füüürchtegott, Füüürchtegott!“ Ich albträume, ich bin im Himmel. Wie realistisch. „Huch.“ Ein lauter Platsch leitet mein Erwachen ein. „What is this?“, verhöre ich mein Kopfkissen. „Poodle, bist du denn des Wahnsinns fette Beute?“ Poodle knabbert listig grinsend an einem Amerikaner herum – nicht an einem Bürger der Vereinigten Staaten, nein, an einer saftigen Leckerei aus Puddingpulver mit mindestens sieben Schichten Fondant in herrlichsten Regenbogenfarben.
„Wüllst du was abhaben?“
„Nein!“ Pitschenass drohen das Wölkchen und ich ihm mit erhobenen Zeigefingern.
„Du warst partout nicht aufzuwecken“, verteidigt sich mein personalisierter Wecker. „Kannst du mir meine Wasserbombenattacke da etwa verdenken?“ Hurtig lege ich mich trocken, um sodann flink in einen nachthimmelblauen, mit pinkfarbenen Sternen aus Strass bestickten samtenen Smoking zu schlüpfen. „Wieso muss ich jetzt an Dolly Parton denken?“, interviewe ich mein Spiegelbild.
„So kann ich mich mit dir sehen lassen“, belobigt mich Poodle schmatzend. Er hingegen steckt in einem geschmacklosen Ensemble aus Polyester fest.
„Pass auf, dass sich in deiner Nähe niemand einen Zigarillo anzündet“, rate ich ihm. „Sonst wirst du zum Fireball.“
„Glucks.“ Poodle nimmt mich mit Humor.
*
20.00 Uhr. Englein lüften den Vorhang aus Nebelschwaden. Das Päuschen hat mir gutgetan. Gott verhütet, dass ich mit verdrehten Äuglein einnicke, während die jenseitigen Darsteller ihr Bestes geben, um meinem niedrigen Bildungsniveau den „Erdgeist“ schmackhaft zu machen. Der Chef hat mir einen vierfachen Espresso spendiert. Leider steht heuer keinesfalls Dantes „Göttliche Komödie“ auf dem Spielplan.
„Amüsiere dich prächtig, mein Junge“, wünscht mir Gott.
„Ich versuche, nicht zu prahlen, aber bislang hat meine Schläfrigkeit weder im Theater noch in der Oper jemals den Kürzeren gezogen“, prahle ich munter drauflos.
„Der Espresso wird obsiegen“, meint unser Heiliger Vater völlig überzeugt.
„Bravo“, ich applaudiere. Die Vorführung ist ausverkauft, ja, sogar überbucht. Die Platzkarte für das bescheidene Plätzchen direkt an der meinem Herzen abgewandten Seite wurde versehentlich an drei Weibsbilder gleichzeitig verhökert. Das einfältige Spiel aus meiner Kindheit, das da heißt „Mein rechter, rechter Platz ist frei, ich wünsche mir (nur Gott weiß wen) ... herbei“ kann gegenwärtig also nicht realisiert werden. Hier habe ich kein Mitspracherecht und muss nehmen, wer kommt. Poodle kichert. Apropos kommen: Es kommt zu tumultartigen Turbulenzen. Was für ein Theater. Die hoch betagten Weibsbilder, die Methusalem frisch wie den jungen Morgen aussehen lassen – er sitzt direkt in der Reihe vor mir – kämpfen neben mir um den besorgt dreinblickenden Stuhl. Psychologisch versiert sehe ich diesem an der Lehne an, wie sich ihm vor Unbehagen die hölzernen Fußnägel hochrollen. Mein Herz pocht durchaus für schwächere Individuen, als ich es bin, weshalb ich, für das Sitzmöbel Partei ergreifend, als eine Art Schlichter auftrete.
Unerschrocken begibt sich mein Geist in den Untiefen meines mythologischen Fundus auf Spurensuche. Wen habe ich da vor mir? Beim Stöbern wird er tatsächlich fündig: Hoppla, er stolpert über die Erinnyen. „Good evening, how nice, Sie kennenzulernen“, begrüße ich die gackernden Streithühner. Das mit dem nice ist glatt gelogen, trotzdem zeige ich mich redlich bemüht, den Streit zwischen diesen Furien zu schlichten. Meine solide durchbluteten Handinnenflächen ersetzen mühelos ein Warnschild. Kraftvoll bitte ich: „Haltet ein!“ Dabei ziehe ich das „a“ an dessen nicht vorhandenen Ärmeln dermaßen in die Länge, als sei es in der Kochwäsche eingelaufen. Färbt Poodle etwa auf mich ab? „Wo ist die Trillerpfeife, wenn ich sie brauche?“, schreie ich lauthals heraus. Ruckartig wenden sich drei furchterregende Häupter meiner Person zu. Fuchsteufelswild ob der Störung fauchen sie mich zornig im Kanon an:
„Troll dich, du Troll!“
„Pfiffige Ouvertüre.“ Patzig kann ich auch.
Der hinter mir in der Reihe sitzende Old moon kringelt sich vor Lachen, bis er aussieht wie ein überaus sympathischer Bagel. No Sir, not Beagle, das wäre ein kompakter Snoopy, aber nie und nimmer der von der Queen, der heißt nämlich Corgi. Im Unterschied zu mir scheint Old moon mit der griechischen Mythologie bestens vertraut zu sein. Respektvoll hält er Abstand. Die am wenigsten gebrechliche Alte der drei Furien trägt einen Schal aus Schweinsfledermausschwingen um ihren Flughundhals.
„Du musst Tisiphone sein!“, rate ich beherzt.
Die Mittlere, die mir unaufhörlich mit ihrem linken, abgenagten Zeigefinger in die Leber zu stechen versucht, ist laut dem gebildeten Jesus eindeutig Alekto. Demnach dürfte die Letzte im Trio infernale Megaira sein. Aus Eifersucht auf deren Plätze beschimpft sie verängstigte Sterne: „Ihr Sitzenbleiber.“
Verblüfft sehe ich mich den drei Rachegöttinnen gegenüber. Das Pack trägt depressionsgraue Gewänder und müffelt einvernehmlich nach verwesenden Blütenblättern. Mein beschwichtigender Versuch, diese weiblichen Gottheiten mit ihren eigenen, aus der Mythologie überlieferten charakterlichen Schwächen zu konfrontieren, um eine Therapie einleiten zu können, geht gewaltig nach vorne los. Und ich stehe vorne! „Autsch!“ Erst als Saturn die Erinnyen mit seinem berüchtigten Wave-bye-bye-toinsects-Blick in die Knie zwingt, treten zwei von ihnen sichtlich eingeschüchtert, die hässlichen Köpfe eingezogen, den Rückzug an, während Alekto, die Siegerin, selbstbewusst platzt. Will sagen, die Unaufhörliche nimmt ihren Platz ein.
*
Nun beginnt die eigentliche Vorführung, während derer mich trotz Espressi in schöner Regelmäßigkeit Hypnos zu bezirzen versucht. Offensichtlich handelt „Der Erdgeist“ vom kometenhaften Aufstieg eines freizügigen Mädchens namens Lulu, gespielt von der verführerischsten Venus, die Sie sich vorstellen können. Yep. Die zügellose Lulu verführt alles, was kreucht, und lässt es nicht mehr entfleuchen. Wann immer mich gedankenloser Szenenapplaus aus meinem Nickerchen reißt, ertappe ich mich bei einem neidischen Blick auf den Medizinalrat Dr. Goll. Rafft diesen doch eine schlagartig auftretende Malaise des Gehirns dahin, just in dem Moment, als er die flatterhafte Lulu in flagranti mit Maler Klecksel ertappt. Wilhelm Busch, Sir, do you remember? Dr. Golls kleines Zipperlein ermöglicht ihm einen rasanten Bühnenabgang. Husch, ab saust er. Glück im Unglück. Ich nutze den Applaus, um mir an dem Entschwinden des Doktors, tadellos dargestellt von Draufgänger Mars, ein Beispiel zu nehmen. Wie man die Sternlein munkeln hört, soll der in der Blüte seines Lebens agierende Mars im nächsten Theaterstück einen Fliegenpilz geben. Tja, die Kollateralschäden der Pubertät. Mit Jesu Einverständnis („Geh mit Gott!“) wanke ich, eingehakt beim Allmächtigen, schlaftrunken die Milchstraße entlang nach Hause. Das ist wieder so ein Satz, bei dem ich früher geschworen hätte, ihn im Leben nie von mir zu geben. Ach herrje, habe ich auch nicht. Stimmt ja, ich bin im Jenseits. Sachen gibts. Nun, da ich auf Mutter Erde zu denen gehöre, über die nie mehr schlecht gesprochen werden darf, tropft er mir wie Honigmilch von meinen Lippen.
In meiner neuen Homebase angekommen, klettern wir mit einer Teleskopleiter auf mein Wölkchen. Home, sweet home! „Sleep well, mein Sohn“, wünscht mir mein Schöpfer, streift kuschelige Schlafsocken über meine sich genierenden Füße, reicht mir ein Becherglas heiße Lavendelmilch mit Honig und deckt mich sodann sorgfältig mit einem Schäfchen zu. Das Schäfchen stellt sich mir als Flocky vor. Es kümmert sich um eine angenehme Schlaftemperatur. Ich rolle mich wie ein entstiefelter Kater zusammen, hoch erfreut darüber, dass mir die theatralische Fortsetzung vom „Erdgeist“, das Unheil verkündende Versprechen, die Büchse der Pandora öffnen zu wollen, erspart geblieben ist. Übrigens habe ich vorhin kurz mit der holdselig Liebreizenden geplaudert. Sie versicherte mir, ihre Unart auf der Erde zurückgelassen zu haben.
Ich gähne herzhaft. Wenn ich an meinen morgigen Stundenplan denke, wird mir bänglich zumute. Hypnos schleicht sich an mich heran, und prompt werde ich noch müder. Meine Gehirnzellen indes werkeln weiter. Wird die erste Nacht als Patin für weitere Nächte zur Verfügung stehen? Ob ich wohl im Himmel endlich den Schlaf der Gerechten werde nachholen dürfen? Zu Lebzeiten war ich ein bemerkenswert miserabler Schläfer, beichte ich noch den Sternen, bevor ich, an der elysischen Matratze horchend, einschlafe.
„Das Jenseits versinnbildlicht einen Modeschöpfer, dessen Kollektion du mit Verve tragen solltest“, sporne ich mein entgeistertes Spiegelbild an. Was „Verve“ heißt, Sir? Ist das Ihr Ernst? Es schmeichelt mich, halt, mir, dass Sie mich für einen Deutschlehrer halten.
„Elan oder Schwung“, zischelt mir meine Souffleuse, die Muse, ins für solcherlei Hilfe empfängliche Trommelfell. „Und bitte, unterlasse Provokationen.
„I agree. Thank you very much“, danke ich ihr.
„Good morning“, begrüße ich die strahlende Sonne. Ein neuer Tag im Himmel. Punkt 8.00 Uhr drücke ich, Fürchtegott Dot, brav wie ein Lamm die Schulbank, vorsichtig, sehr vorsichtig, und das im zarten Alter von … Oje, die Pünktchen gefallen mir bedeutend besser als die brutale Zahl an sich. Ich erlaube meinem rechten Däumchen, um mein linkes zu kreisen. Kreise sind hohlköpfige Dots, also Punkte oder, um es liebevoller auszudrücken, Punkte, die ungeduldig darauf warten, dass ich sie mit meiner neu erworbenen Fantasie ausmale. Das gefällt einem Fürchtegott. Punkte beruhigen mich. Sie erinnern mich an meinen Familiennamen Dot, lassen mich meine Wurzeln keinen Augenblick vergessen. Yeah, mit dieser leichten Fingerübung gelingt es mir mühelos, mich selbst zu hypnotisieren. Mein augenblickliches Schielen ist erst der Auftakt. Oh, verstohlen linse ich zu den anderen Erstklässlern hinüber: Vier Totengräber, sechs Sargträger, fünf Leichen und zwei Bestatter unterhalten sich lebhaft gestikulierend mit Thanatos, dem griechischen Gott des Todes, der mit nur einem Vertreter im lebensverneinenden Grau einer leidenschaftslosen Staubmilbe aufwartet. „Wie viele Gevatter Tode es wohl geben mag? Hätte ich noch einen Puls, würde ich mir jetzt Sorgen machen“, vertraue ich der Schulbank an. Im Gedenken an meinen geliebten Bredtstedter Kreisverkehr lasse ich weiter die Däumchen kreisen. Ich verhalte mich mucksmäuschenstill. Mittlerweile zeigt die Totenkopfuhr 8.10 Uhr an. Mit Pünktlichkeit kann meine Lehrerin, die hoch gerühmte Venus, offensichtlich nicht punkten. Ah, da ist sie ja. Resolut wird die Tür zum Klassenzimmer von wie Speckschwarten glänzenden Bikerboots aufgetreten und … meine Däumchen stellen abrupt ihr Kreisen ein, denn was sich jetzig ereignet, zieht zu weite Kreise, als dass meine sensiblen Däumchen es mit einer schnöden Imitation des nordfriesischen Kreisverkehrs aufarbeiten könnten. Ich, häufig um einen respektablen Spruch verlegen, heiße unsere Lehrerin mit der traditionellen Begrüßung „Grüß Gott, tritt ein, bring Glück herein!“ willkommen. Normalerweise sorgt solch ein Sprüchlein bereits auf der Türschwelle für überbordende Stimmung. Der Gast freut sich, der Gastgeber weiß überhaupt nicht mehr, wohin vor lauter Frohsinn und fängt ehrerbietig an, Rhabarber-Nougat-Törtchen, Biskuitröllchen und Eierlikör aufzufahren. In meinem Liverpool aus Kindertagen gab es so etwas leider nicht. Bei Ihnen aber gewiss, Mylady, oder? Hm, diesen „Gast“ hatte ich nicht erwartet. Venus trägt einen grauhörnchengrauen Umhang, kirschkernfarbene Flügel und eine bitterböse Miene zur Schau. Sie umkreist uns Erstklässler – summa summarum – wie ein bedrohlicher Mäusebussard seine nagetierischen Opfer. Im gestrigen Theaterstück wirkte sie noch so lieblich, wenngleich keineswegs gänzlich unverdorben. Von den Täubchen, der Muschelschale, dem Spiegel und dem sozialverträglichen Delfin, die Überlieferungen zufolge Venus begleiten wie Nebelschwaden den Monat November, ist keine Spur zu sehen.
„Libby, ahoi, klasse, dich bei uns zu haben!“ Eine der Leichen überschlägt sich vor Wiedersehensfreude. Sogar die Totengräber, mit einer Visage wie ein Jahrhundert Graupelschauer, ringen sich ein gruseliges Lächeln ab. Sie wirken regelrecht wie muntere Spätblüher in der Nachblüte ihres Lebens. Blüte hin, Blüte her, mir wird blümerant. Ich vermag mir nicht auszumalen, wie dieses düstere Geschöpf mir Empathie und Sinn für Ästhetik eintrichtern soll. Zudem treibt mich die Unkenntnis um, wann aus Leichen Untote werden. Dass Libbylein (wieso eigentlich Libbylein?) mich wohl niemals wird leiden können, sehe ich ihr an der verrußten Nasenwarze an. Sie wirft mir abschätzige Blicke zu, während sie ungeniert mit einem Sargträger flirtet. „Ugh! What a fun party. Hihi!“ Meine Nerven sind kurz vorm Durchdrehen.
„Fürchtegott!“ Wie aus heiterem Himmel taucht Morphie vor mir auf und zieht mir die Ohrläppchen lang. „Mr. Blindfisch! Was hast du hier verloren?“, verhört er mich.
„Hä?“ Mein salopper Ausruf verrät meine Verwirrtheit.
Vier Totengräber, sechs Sargträger, fünf Leichen und zwei Bestattungsunternehmer betrachten mich sensationslüstern.
„Aua, my ears. Please don’t pull my Lauscher. Ich bin der neue Schüler von Venus“, raune ich Morphie zu. Rührend, wie ich ihm so vertrauensselig meinen Stundenplan unter sein imposantes Riechorgan halte.
Morphie gluckst und belehrt mich: „Mr. Blindfisch, da steht sargschwarz auf lilienweiß: Wolke sieben, nicht Wolke dreizehn.“
„Venus ist Venus“, wage ich einzuwenden.
„Was für ein Unfug. Du bist bei Signora Libitina gelandet, der römischen Herrscherin über den Tod.“
„Sieh an, deshalb deutet Thanatos unentwegt einen Diener an.“
„Ausschließlich in wenigen, nachlässigen, miserablen Überlieferungen wird sie mit Venus verglichen“, belehrt mich Morphie. „Ist dir denn nichts aufgefallen?“
„Nun ja …“
„Hier wird die Lehre von des Jenseits Schattenseite unterrichtet, zudem, wie am besten gegen die Preispolitik der Sarg-Discounter vorzugehen ist und wie man die Verwaltung der Sterberegister mit minimalst möglichem Aufwand in den Griff bekommt.“
„Aha. Das ist absolutes Neuland für mich“, gestehe ich Morpheus beklommen.
Libby und eine skelettierte Fledermaus lachen herzhaft auf. Ihr Gelächter klingt, als spielten sie mit zwei Leichen samt Sargdeckeln Topfschlagen. „Ach je, die spielen tatsächlich. Schauderhaft, wirklich schauderhaft.“
Aufatmend und still wie ein Säugetier bei Sichtung eines Mäusebussards trete ich, Libitina fest im angsterfüllten Blick, meinen Rückzug an. Hier möchte nicht einmal ein hart gesottener Fürchtegott Dot lernen, so viel steht fest.
„Der Liebe Glanz verirrte sich, du suchtest nicht, doch fandest mich, unverzeihlich liebenswert, einen Pfifferling gar wert.“
Meine Muse ist in Topform. Ihr zufolge könnte die leibhaftige Venus genauso von mir denken. Ist da etwa Love in the air?
Himmel, das Elysium. Auf Wölkchen sieben geht es sehr viel weniger machiavellistisch zu als auf Wölkchen dreizehn. Selbst als Lehrerin ist Venus eine wahre Augenweide. Alle weiden sich an ihrer Anmut. Schööön. Meine frühere Lieblingsschlafschülerin, mit der ich zu Lebzeiten um ein Haar ein Techtelmechtel gehabt hätte, erhält hier nicht zu vernachlässigende Konkurrenz. Ich bekomme chilirote Bäckchen, so aufgeregt rutsche ich auf meinem Allerwertesten hin und her; eierschalenbraune Wängelchen habe ich obendrein. Pigmentflecken, Mylady. Yes, beinahe wie aus der Rotkäppchenwerbung. Verschämt drapiere ich meine drei rostbraunen Haarsträhnen mit Spucke über mein Oberhaupt. How smart ist das denn ... Sadly, not at all. Mit über siebzig darf Mann aber ruhig so herumlaufen. Sir, sollten Sie mit Mitte dreißig schon so umherschleichen, willkommen im Klub. Bei den Aufnahmekriterien will ich mal nicht so pingelig sein.
Venus doziert heute über Mildtätigkeit.
„Was versteht ihr denn unter diesem viersilbrigen Wort?“, fragt sie uns Neuzugänge freundlich.
„Beruhigend, dass du nicht deutsche Grammatik unterrichtest“, murre ich leise. Geistesabwesend mustere ich Venus’ Rundungen und vergleiche diese mit denen von Eheweib Gertrud. Mittlerweile hockt meine von der glücklichen Fügung beschwipste Witwe auf Klempner Ulf und pokert, was Ulfs Sparsau hergibt. Meine Gedanken schwofen weiter umher …
„Fürchtegott, Darling. Ich freue mich, dich als Schüler begrüßen zu dürfen.“ Das klingt hübsch. „Was sagt dir Mildtätigkeit?“ „Wie bitte?“ Ehrlicherweise denke ich dabei an Melitta-Kaffee. Sein Jasmin/Holunder/Paprika-Aroma verlockt meine Nasenflügel zum vorfreudigen Erbeben. Da ich ungern den Lügenbold geben will, um mein Karma nicht weiter in schwindelerregende Tiefen zu stürzen, krächze ich Unhold errötend:
„Kaffee! Nee, ne?“ Alle Mitschüler amüsieren sich köstlich. „Das ist wenig solidarisch.“
Neben mir läuft Pelé, einen seiner geschätzten Fußbälle vor sich her dribbelnd. In vorauseilendem Gehorsam meldet er sich zu Wort: „Barmherzigkeit, Gnade, Nachsicht, Nächstenliebe ...“ „Da hat aber jemand eifrig seine Hausaufgaben gemacht, was?“, mische ich mich kiebig ein.
„... darf ich die Bedeutung dieser angenehm klingenden Substantive an einem Beispiel erläutern, werte Venus?“, vergewissert sich Pelé, bevor er loslegt.
„Hört, hört“, lästere ich. Nervös kaue ich an meinen Fingernägeln. Umgekehrt, also nagten diese an mir, wäre das zu Freddy Krueger-mäßig.
„Sehr gern, Pelé, nur zu.“ Anmutig lehnt sich Venus in ihrem Chefinnensessel zurück. Mit heraushängender Zunge signiert Pelé seinen Fußball. Strahlend überreicht er ihn unserer Venus. „Wenn wir ihn dem Himmelskindergarten schenkten, könnte uns dies als mildtätige Geste gedankt werden.“ Was für ein Streber. Mein rechter Daumen verliert justament den Norden seines Nagels an den Laminatboden. „Autsch.“ Ich stelle meinen linken Fuß darauf. Anmutig in ihre feingliedrigen Hände klatschend, applaudiert unsere Lehrerin.
„Hat dir meine OP etwa gefallen?“, inquiriere ich leise. Nö, das Drama um meinen rechten Daumennagel scheint sie völlig ungerührt zulassen. Sie meint Pelé. Er ist aber auch ein Netter.
*
Keine Dreiviertelstunde später erfolgt eine „Buße“ nach meinem Geschmäckle, jawohl. „Fürchtegott, ich fürchte, ich werde dir Nachhilfe geben müssen. Einzelunterricht. Was meinst du?“ Venus höchstselbst verspricht mir Förderunterricht?
„Ei der Daus, ich bin im Himmel“, rufe ich berauscht aus.
Venus lächelt. „Ich werte dies mal als Zustimmung.“
*
In dieser Nacht schlummere ich vor lauter Erregung öffentlichen Ärgernisses very wenig. Ich fantasiere von trauter Zweisamkeit mit der Göttin der Schönheit: Sie auf mir, ich auf ihr, welch ein Glück, yes, welch Pläsier. Ob Venus wohl von mir (alb)träumt? Einziger Wermutstropfen an der Romanze – Korbblütler mochte ich sowieso noch nie: Ich werde mich emotional berühren lassen müssen! Igittigitt. Allein bei der Vorstellung wird meiner Gänsehaut höchst unwohl zumute. Die erste Himmelslektion, die zugleich meine erste Himmelserektion zur Konsequenz hat, lautet: Zeig Gefühl! Das wäre ein Novum sozusagen. So ähnlich muss sich Twiggy gefühlt haben, als es hieß: Zeig her deine Beine. Im Himmel munkeln die Schwalben, früher sei sie am liebsten in geräumigen Latzhosen auf knorrigen Apfelbäumen herumgeklettert. Meine bisherige Maxime, um nicht verletzt zu werden, lautete: Beischlaf ja, Gefühle nein. Ob ich sensibel bin? Und wie! Nur ein einziges Mal hat ein Erdenmädchen mit dem Namen eines Himmelskörpers zu gleicher Zeit Feuer in meinen Lenden und in meinem Herzen entfacht, sonst gibt es in dieser Hinsicht wenig auszuplaudern. Ach ja, des Weiteren soll ich versuchen, Venus bei einem Problemchen zu helfen. Jesses, was kann eine Göttin wie sie schon für Nöte haben?
„In meinem Herzen ist für dich ein Wunder versteckt, hole es dir!“, spornt mich meine Muse an.
„Hui, du busselst mich, was das Zeug hält. Und mein Zeug hält so einiges aus, wenn ich da mein Leibchen aus verknittertem Leinen kritisch beäuge. Yeah, ich mutiere zu deinem Liebling.“
„Wie du meinst.“ Meine Muse schmunzelt.
Well, meine dröge wie Trockenobst vor sich hin trödelnden Hormone freuen sich auf den Anblick der Schaumgeborenen.
„Törööö!“, trompete ich in den halbwüchsigen Morgen hinein. No Mylady, ich habe mich nicht etwa über Nacht in den meiner Einschätzung nach auf kindlicher Entwicklungsstufe sitzen gebliebenen Elefanten aus den Bilderbuchtagen meines Erstgeborenen verwandelt. Mitnichten. Mir sickert nur soeben sonnenklar ins Bewusstsein, dass ich mir für die heranrauschende „Unterrichtsstunde“ eine dickere Haut werde zulegen müssen. Wenngleich sich meine TO-Hormone auf den Live-Gig der Schaumgeborenen freuen, wünsche ich keineswegs verführbar zu wirken. Lektion hin, Lektion her. Jawohl, ich habe vor, Lektion eins auszusitzen, um auf die eventualiter weniger gefährliche Lektion zwei zu hoffen.
O weh! Mylady setzen Sie hinter das O vor weh niemals ein h! Niemals! Das wäre, unter uns, eine völlig inkorrekte Schreibweise. Also: O weh! Nachher werde ich den Mann für gewisse Stunden geben und dafür gilt es sich unter allen Umständen zu wappnen. Da Richard Gere sich bis dato noch sträubt, in die himmlischen Gefilde einzutauchen, werde ich ihn schwerlich um Rat bitten können. Leider heißen weder ich noch der Morgen den diestägigen Abschnitt zwischen Mitternacht und Mittag taufrisch willkommen und erst recht nicht mein unausgeschlafenes Gehirn. Dieses betrachte ich seit Neuestem als Kabinett, welches an Sonntagen – Obacht! – selten jedoch an sonnigen, geschweige denn an Venustagen aus einer herausragend agierenden Ministerriege besteht. Deren Regierungschef stelle ich dar. Ja, mein Verstand lässt an Frische zu wünschen übrig, nur so ist es zu entschuldigen, dass ich am späten Vormittag in Gottes Lieblingseinkaufszentrum alteingesessene Herrenausstatter mit folgendem, respektlosem Gesuch quäle: „Gott ist gut, jeden Tag, jaja, aber führen Sie vielleicht durch Gerbung chemisch haltbar gemachte Tierhaut im Angebot? (Ich hätte mich auch einfach erkundigen können, ob Ledermäntel vorrätig sind.) Und deren Faserstruktur sollte bitte weitestgehend erhalten geblieben sein.“ Herrenausstatter eins, zwei und drei blicken gepeinigt. Ein Licht geht ihnen aber nicht auf. Tja, die Körperhülle, keinesfalls -fülle eines Büffels erscheint mir als ein passabler Ersatz für meine eigene fehlende Dickhäutigkeit. Venus’ Vorhaben, mein Herz, ja, mein gesamtes Seelchen der Gefühlswelt zu öffnen, jagt mir Schauer des Entsetzens über mein beinahe buckelfreies Rückgrat. Vom Tag der offenen Tür halte ich rein gar nichts.
Die mit der Akquise betuchter Kundschaft betrauten Fachkräfte wirken wie Pilger auf den Spuren des Plemplemismus. Mangels eines geschulten Intellekts mit dem eintönigen Verkauf von Manschettenknöpfen (inklusive Petrus’ Konterfei) überlastet, irren sie wahllos umher. Auf mein sozialverträglich vorgebrachtes Ersuchen hin, sprechen sie in schnippischem Tonfall zu mir. Yes, diese ip-, pi-Laute bringen es auf den Punkt. Sie führen sich beinahe auf, als wollte ich sie mit einem unmoralischen Angebot vom Pfad der Tugend fortlocken. Ich hingegen bin überwältigt von meiner Erleuchtung, so viel Scha(r)fsinn hätte ich mir nach so wenig Schlaf kaum zugetraut und die lammfrommen Schafsnasen gleich gar nicht. Ich sehe eben nicht aus wie ein die Lederindustrie subventionierender Herr. Umhüllend beschützt von einer abweisenden hochwertigen Lederpelle wird es der über Suchtpotential verfügenden Venus schwerer fallen, mir auf die selbige zu rücken. Ts, als ob sie das vorhätte. Allmählich werde selbst ich plemplem.
Die Theorie kommt glänzend daher stolziert und lässt die Praxis vergleichsweise ungelenk herumhumpeln. Der für meine Bedürfnisse abkommandierte Herrenausstatter Nummer drei mit dem bemerkenswert unambitionierten Vor- und Zunamen Heinrich Heinrich schleppt realiter einen Ledermantel nach dem anderen herbei. Jeder Einzelne von denen soll so viel kosten wie ein Wolkenkuckucksheim. „Zwanzig Prozent des Umsatzes fließt in die Restauration des Himmelsgewölbes, welches so einiges an Geld verschlingt“, verkündet Heinrich monoton. „Ah, sogar hier oben wurden die Preise heraufgesetzt“, kritisiere ich. Bei jedem Mantelexemplar schüttele ich ablehnend mein enttäuschtes Haupt – habe ich doch nur wenig Taschengeld zur Verfügung – klatsche aufmunternd in die Hände und rufe „Heda!“, um neue Vorschläge aufzuscheuchen. Apropos Moneten. Die zur höchsten Güteklasse herangereiften Kommunisten unter uns haben durchgesetzt, dass jedem Himmelsbewohner von Matze höchstpersönlich – vielen vertrauter als Karl Marx – das gleiche Taschengeld ausgehändigt wird. Aber zurück zum Klatschen. Dies nützt mir wenig, da der überlastete zweifache Heinrich mit seinem Latein am Ende ist. Heinrich bringt mit letzter Kraft „Ab imo pectore, ich kann nicht mehr“ über seine blutleeren Lippen, um sodann egoistisch auf dem Klappstuhl neben der Umkleidekabine zusammenzuklappen. Während er sich im Sitzen abwartend dem betulichen Prozess der zögerlich einsetzenden Reanimation hingibt, flüstert er schamhaft errötend: „Lude?“
Ich, ernsthaft in Sorge um den Geisteszustand dieses gebrechlichen Mannes, frage betont höflich und teilnahmsvoll: „Wie meinen?“ Keine Reaktion. Eine willkommene Ablenkung zieht mich in ihren Bann. „Oooh, mein lieber Mann, da drüben malt ja Liebermann“, rufe ich überschwänglich aus. „Huhu, Max!“ Hochgestimmt winke ich dem bedeutenden deutschen Maler des Impressionismus zu und verspreche: „Bis später!“ Mäxchen, seine Staffelei samt Farbpaletten zusammenraffend, eilt behänder Zehe Richtung Notausgang. Offensichtlich fasst er mein harmloses „Bis später!“ als Drohgebärde auf. Empfindsamer Geist! Zurück ins Hier und Jetzt. „Was hat denn die französische Stadt Le Lude“ – der offensichtlich fern von Bildung aufgewachsene Verkäufer spricht den Städtenamen peinlicherweise wie Bude nur mit einem L anstelle eines Bs aus – „mit meinem textilen Bedürfnis zu tun? He?“ Energisch stupse ich Heinrich an.
Abermals bekomme ich „Lude?“ entgegengenuschelt.
Ein umherhuschender pubertierender Auszubildender, ausstaffiert mit einer limettenfarbenen Krawatte, auf welcher aus Gründen der Solidarität rötlich entzündete Pünktchen herumtoben, rafft eilfertig die verschmähten Mäntel zusammen. Beispiellos setzt er sich für deren Retoure ein. Scheinbar kam er nicht umhin, unser Geplauder mit anzuhören. Engagiert greift Pimple – welche Eltern verfallen auf solch einen üblen Rufnamen? – in die verfahrene Situation ein. Hilfsbereit klärt er mich auf. „Werter Kunde, offensichtlich hält Sie mein verunsicherter Kollege für eine Person, die eine andere Person, meist eine ihren Körper anpreisende Frau, ausbeutet, einen Luden eben.“
„What makes him think that?“ Für eine Sekunde schwinden mir meine Sinne. „Ich, ein Zuhälter?“ Schwankend wie ein Schilfrohr halte ich mich an einer mit Asteroiden übersäten Yucca-Palme fest. Diese versucht vergeblich, exotisches Flair in den verstaubten Laden zu bringen. Resigniert sieht sie dem Geschehen zu. Gemessen an dem heillosen Durcheinander, das ich verursacht habe und welches sich vornehmlich gentlemanlike über den konservativen Kröpfen abspielt, fallen meine Abschiedsworte förmlich unterkühlt aus: „So long, ihr Pappnasen. Ich werde mir gleich die obere Hälfte meines Verdauungstraktes zuhalten, meinen Mund ergo, um etwaige Gemeinheiten für mich zu behalten.“ Während ich den Rückzug antrete, spreche ich noch eine nett gemeinte Empfehlung an Pimple, den Lehrling, aus: „Dear boy, pubertäre Primäreffloreszenzen und erdbeerrote Pünktchen würde ich nur am 11.11. um 11.11 Uhr miteinander kombinieren. Sonst nie. Ich rate dir dringend, dich auf eines von beiden zu beschränken.“ Manchmal bin ich böse, fürchte ich. Ob mein Vorname daher rührt?
*
Nach dieser unerquicklichen Odyssee schlappe ich, der weltentrückte Mr. Dot, geknickt meinem angeschlagenen Selbstbewusstsein hinterher. Wir zwei Oldies steuern ein Café auf dem Uranus Boulevard an. Ein Päuschen, you know? Hier ruhen sich in wenig Privatsphäre bietenden Nischen Frauen mit einer Art sittsamem