Letzte Erzählungen - William Trevor - E-Book

Letzte Erzählungen E-Book

William Trevor

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Beschreibung

Das Vermächtnis und geniale Abschiedsgeschenk eines großen Schriftstellers William Trevors Erzählungen beleuchten die Abgründe menschlichen Daseins und werfen Licht auf Momente von existentieller Bedeutung. Da ist etwa das Mädchen, dessen tot geglaubte Mutter sich als höchst lebendig und kerngesund herausstellt. Oder die Klavierlehrerin, die die Diebstähle ihres Schülers stillschweigend hinnimmt, weil er so wunderbar spielt. Und der italienische Cafébesitzer in London, der sein Café nach der Frau benennt, die ihn verlassen hat. Einfühlsam, tiefgründig und mit stilistischer Raffinesse erzählt Trevor von den Leben ganz gewöhnlicher Menschen in einer Welt, in der das Glück vorübergehend und nur unter Vorbehalt zu genießen ist, in der die Vergangenheit die Gegenwart bestimmt und zufällige Begegnungen die Einsamkeit für einen Moment vertreiben können.

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Seitenzahl: 253

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William Trevor

Letzte Erzählungen

Aus dem Englischen von Hans-Christian Oeser

Hoffmann und Campe

Der Schüler der Klavierlehrerin

»Der Brahms?«, fragte sie. »Wollen wir uns durch den Brahms kämpfen?«

Der Junge, der gerade seine erste Stunde bei Miss Nightingale nahm, sagte nichts. Doch als er auf das stumme Metronom schaute, lächelte er ein wenig, so als behage ihm dessen Stummheit. Dann berührten seine Finger die Klaviertasten, und sobald die ersten Töne erklangen, wusste Miss Nightingale, dass sie sich in der Gegenwart eines Genies befand.

Mittlerweile Anfang fünfzig, schlank, mit sanfter Stimme und von einer ruhigen Schönheit, die ihre Züge auszeichnete, fand Miss Elizabeth Nightingale, dass sie sich glücklich schätzen durfte. Nach dem Tod ihres Vaters hatte sie ein Haus geerbt und konnte, ohne geizen zu müssen, von ihren Einkünften als Klavierlehrerin leben. Sie hatte die Leidenschaft der Liebe kennengelernt.

Vielleicht hätte sie heiraten können, doch das hatten die Umstände nicht erlaubt: Stattdessen war sie sechzehn Jahre lang von einem Mann aufgesucht worden, der sich, wie sie glaubte, von der Ehefrau, die ihm nichts bedeutete, eines Tages befreien würde. Das war nicht geschehen, und als die Liebschaft endete, hatte Miss Nightingales dies zwar schmerzlich bedauert, doch nachgetragen hatte sie es ihrem Geliebten nicht, denn immerhin blieb ihr die Erinnerung an ein Glück.

Miss Nightingales Vater, ein Chocolatier, der gleich nach ihrer Geburt Witwer geworden war, hatte seine Tochter allein großgezogen. Sie wurden Gefährten und blieben es bis zu seinem Tod, wenn er auch von der Affäre, die sich während seiner täglichen Abwesenheit im Haus über so lange Zeit hingezogen hatte, nie etwas ahnte. Jene Liebe und die Aufopferung ihres Vaters waren Erinnerungen, die Miss Nightingales jetzige Einsamkeit aufhellten und ihrem Leben Kontur verliehen. Die Erregung jedoch, die sie empfand, als ihr neuer Schüler ihr vorspielte, gehörte der Gegenwart an, war frisch und neu und heftig: Nie zuvor hatte sie in einem Kind Genialität verspürt.

»Nur ein bisschen zu schnell.« Die Bemerkung machte sie erst, als das Stück, das sie vorgeschlagen hatte, zu Ende war. »Und denk an das Pianissimo.« Um zu verdeutlichen, welche Stelle sie meinte, berührte sie die Noten mit der Spitze ihres Bleistifts.

Der Junge antwortete nicht, sondern lächelte nur, genau wie zuvor. Sein dunkles, nicht allzu kurz geschnittenes Haar trug er in einer Ponyfrisur. Seine Haut war zart, makellos, weiß wie Papier. Auf die Brusttasche seines Blazers war ein Abzeichen aufgenäht, ein langschnabeliger Vogel, der seine Jungen fütterte. Der Blazer selbst war marineblau, das Abzeichen rot, in den Augen von Miss Nightingale alles eher hässlich.

»Du wirst es etwas langsamer einüben, nicht wahr?«, sagte sie.

Sie sah zu, wie der Junge aufstand und nach den Noten griff. Er ließ sie in seine Mappe fallen.

»Nächsten Freitag?«, fragte sie und erhob sich ebenfalls. »Zur gleichen Zeit?«

Er nickte mit einer Beflissenheit, die bloße Höflichkeit hätte sein können; doch sie spürte, dass dem nicht so war. Seine scheue Art war ihr eine Freude, ganz anders als das endlose Geplapper ihrer langweiligeren Schüler. Seine Mutter hatte gesagt, er habe bereits mehrere Klavierlehrer gehabt, und dabei selbst so schnell geplappert, dass Miss Nightingale kaum verstand, weshalb er von einem zum nächsten geschickt worden war. Sie hatte sich ganz professionell danach erkundigt, jedoch nichts in Erfahrung bringen können.

Sie ging voran aus dem Zimmer und reichte dem Jungen von der Garderobe seine Mütze, die das gleiche Vogelemblem aufwies. An der geöffneten Tür blieb sie einen Augenblick stehen und beobachtete, wie er die Gartenpforte hinter sich schloss. Sie fragte sich, ob ihm wohl kalt war in seiner kurzen Hose. Seine Knie über den grauen Wollsocken, an deren Saum sich das Blau und Rot seines Blazers und seiner Mütze wiederholte, wirkten verletzlich und zerbrechlich. Er winkte, und sie winkte zurück.

An diesem Abend kam kein weiteres Kind mehr, und Miss Nightingale war froh. Sie räumte das Wohnzimmer auf, nahm es nach all den Besuchern unter der Woche wieder in Besitz. Bis Montagmorgen um zehn Uhr, wenn die begriffsstutzige Francine Morphew kommen würde, wäre es wieder ihr Eigen. Klavier, Sofa und Sessel drängten sich in dem kleinen Raum. Auf dem Kaminsims paradierten zu beiden Seiten einer Reiseuhr Soldatenfiguren aus Staffordshire-Porzellan. Zwischen Aquarellen und Fotografien zierten Gefäßdeckel und gerahmte Gießformen für Pralinen, die ihr Vater gesammelt hatte, die Wände. Auf dem Couchtisch und auf dem Eckregal bei der Tür standen Vasen mit Osterglocken.

Nachdem sie aufgeräumt hatte, schenkte sich Miss Nightingale ein Glas Sherry ein. Falls die Mutter anrief, um sich nach den Fortschritten des Jungen zu erkundigen, würde sie ihr nichts verraten. Es war ein Geheimnis, das sie mit niemandem als dem Jungen selbst teilen wollte, eine stillschweigende Übereinkunft zwischen ihnen beiden, etwas, das nicht an die große Glocke gehängt werden durfte. Die Mutter war eine einfältige Frau.

Nachdem Miss Nightingale eine Weile dagesessen hatte, schaltete sie den elektrischen Heizofen ein, denn der Aprilabend war kühl geworden. Sie fühlte sich warm und glücklich, es schien, als wären Jahre der Ermunterung und der Unterweisung – meist Kindern ohne Talent oder Interesse offeriert – endlich von Erfolg gekrönt. So bescheiden sein Auftreten war, in diesem Jungen steckten ungeschriebene Symphonien, Suiten, Konzerte und Oratorien. Sie wusste es; sie brauchte nicht einmal nachzudenken.

Während es dunkler wurde, ihr zweites Glas Sherry war fast gänzlich zur Neige gegangen, blieb Miss Nightingale noch ein paar Minuten länger sitzen. Ihr ganzes Leben, so dachte sie oft, hatte sich in diesem Zimmer abgespielt, wo ihr Vater sie als Kleinkind verhätschelt, sie durch die Stürme der Adoleszenz geleitet hatte, wohin er ihr aus seinen Küchen allabendlich eine eigens für sie kreierte neue Praline mitgebracht hatte. Hier hatte sich ihr Geliebter auf sie gepresst und geflüstert, wie schön sie sei, hatte geschworen, ohne sie nicht leben zu können. Und nun war, in ebendiesem Zimmer, ein Wunder geschehen.

Durch das Halbdunkel tastete sie sich zum Lichtschalter an der Tür. Gewiss würde das Zimmer, so reich an Echos und Erinnerungen, auch von diesem Nachmittag beeinflusst werden. Wie könnte es das alte bleiben?

Doch als Miss Nightingale das Licht anknipste, hatte sich nichts verändert. Erst als sie die Vorhänge zuzog, bemerkte sie einen Unterschied. Auf dem Tisch am Fenster fehlte die kleine Schnupftabakdose mit dem fremden Wappen.

Am nächsten Freitag verschwand ein Porzellanschwan, danach der Gefäßdeckel mit einer Szene aus Große Erwartungen und schließlich ein Ohrring, den sie abgenommen hatte, da der Verschluss beschädigt war. Ein Schal, zu dünn, um für einen Jungen von Nutzen zu sein, hing, als sie eines Samstagmorgens nach ihm suchte, nicht mehr an seinem Garderobenhaken. Zwei der Soldaten aus Staffordshire-Porzellan waren fort.

Sie wusste nicht, wie er es anstellte. Sie ließ ihn nicht aus den Augen, sah aber nichts. Sie sagte auch nichts, und der Junge selbst war so ungerührt von dem, was vor sich ging, so unbeeindruckt von seinem eigenen Verhalten, dass sie sich zu fragen begann, ob sie sich womöglich täuschte, ob nicht einer ihrer weniger reizvollen Schüler der Langfinger sein könnte; oder gar, ob sie erst jetzt das Fehlen von Dingen bemerkt hatte, die ihr über einen längeren Zeitraum entwendet worden waren. Doch nichts davon ergab Sinn, und ihre halbherzigen Ausflüchte zerfielen. Als er die Préludes von Chopin zu spielen begann, war der Briefbeschwerer mit dem Rosenblütenblatt noch da. Nachdem sie ihn an der Tür verabschiedet hatte, war er verschwunden.

Mit ihm zusammen war sie keine Lehrerin, denn es gab so wenig, was sie ihn lehren konnte, und doch wusste sie, dass er ihre Gegenwart schätzte, dass sie ihm als Ein-Personen-Publikum mehr bedeutete als die Kommentare, die sie abgab. Sie fragte sich sogar, ob er sich womöglich zu Dingen verhalf, weil er sie als Honorar für seine Darbietung ansah? Derart kindische Phantasien waren nichts Ungewöhnliches, hatte sie doch selbst zu Vorspiegelung und Verstellung geneigt. Doch auch das schloss sie aus, weil sie spürte, dass es nicht zutraf.

Nachts lag sie wach; war sie endlich eingeschlafen, nährten ihre Bestürzung und ihre Fassungslosigkeit unbarmherzig lebhafte Träume. In diesen war der Junge unglücklich, und sie wollte ihn trösten, ihn, wenn er seine Stücke zu Ende gespielt hatte, dazu bringen, mit ihr zu reden. In endloser Wiederholung versuchte sie ihm anzuvertrauen, dass sie der besonderen Schachtel ihres Vaters einmal eine Praline entnommen hatte, vermochte es aber nicht; und wenn sie, wieder wach, in der Dunkelheit dalag, merkte sie, dass sie nie gekannten Gedanken anheimfiel. Sie fragte sich, ob ihr Vater wirklich so gewesen war, wie er nach außen gewirkt hatte, ob der Mann, den sie so lange bewundert und geliebt hatte, ihre Zuneigung ausgenutzt hatte. Waren die Pralinen ihres Vaters ein Anreiz gewesen, bei ihm im Haus zu bleiben, war es verkappter Eigennutz? Hatte der Mann, der seine Frau betrogen hatte, auch seine Geliebte betrogen, weil Betrug zu seinem Wesen gehörte? Waren in die Leidenschaft, die es zweifellos gegeben hatte, Lügen eingestreut gewesen?

In der Dunkelheit schob sie all dies von sich, ohne zu wissen, woher es kam oder weshalb es mit den jetzigen Vorfällen verknüpft schien; und doch kehrte es immer wieder zurück, so als werfe eine Wahrheit, die sie nicht begriff, ihr Licht auf Schatten, die sie früher getäuscht hatten. War Diebstahl belanglos? Die entwendeten Gegenstände waren so klein, und es blieb so viel zurück. Falls sie es ansprach, würde ihr Schüler nicht mehr wiederkommen, selbst wenn sie sogleich hinzufügte, dass sie ein so geringfügiges Vergehen verzeihe. So wenig sie auch sonst wusste, dessen war sie sich sicher; und oft schaute sie gar nicht erst nach, um herauszufinden, was fehlte.

Der Frühling jenes Jahres wich dem Sommer, einer Hitzewelle staubtrockener Tage, die bis zu den Regenfällen im Oktober anhielt. Die ganze Zeit hindurch klingelte es freitagnachmittags an der Tür, und dann stand er da, der stumme Junge, der seine Mütze auf die Garderobe legte, sich an ihr Klavier setzte und sie mitnahm ins Paradies.

Auch Miss Nightingales andere Schüler kamen und gingen, doch nur der Junge bat nie um einen anderen Tag, eine andere Uhrzeit. Nie hatte er einen Brief dabei, nie brachte er eine Ausrede vor, nie stellte er Unfug an, den sie ohnehin gleich durchschaut hätte. Graham erzählte von seinen Haustieren, um das Vorspielen eines Stückes hinauszuzögern, das er nicht geübt hatte, Diana weinte, Corins Finger schmerzten, Angela gab auf. Und dann kam, im gleichmäßigen Verlauf der Zeit, ein weiterer Freitag und nahm als glückseliger Nachmittag seinen Platz im Zentrum ihres Lebens ein. Doch jedes Mal, wenn der Junge gegangen war, lag eine Art Spott in der leise nachhallenden Musik.

Die Jahreszeiten wechselten, dann wechselten sie ein weiteres Mal, bis der Junge eines Tages nicht mehr wiederkam. Den Klavierstunden und seiner Schule war er entwachsen und wohnte inzwischen woanders.

Sein Ausbleiben bescherte Miss Nightingale Gelassenheit; und auch das Fortschreiten der Zeit besänftigte ihre Unruhe. Falls ein einsamer Vater ein selbstsüchtiger Mann gewesen war, so wog der Gedanke mittlerweile weniger schwer als früher, als er noch roh gewesen war. Falls ein geliebter Liebhaber die Liebe missachtet hatte, so wog im tröstlichen Rückblick auch dies weniger schwer. Auch ein Opfer des Jungen war sie gewesen, der ihr eine andere Art Fingerfertigkeit vorgeführt hatte. Sie war ein Opfer ihrer selbst gewesen, ihrer fahrlässigen Gutgläubigkeit, ihres Wunsches, dem Augenschein zu trauen. All dies, spürte sie, traf zu. Irgendetwas aber quälte sie noch immer. Fast glaubte sie ein Anrecht darauf zu haben, es besser zu begreifen.

Lange danach kehrte der Junge zurück – grober, größer, ruppiger, in ungelenker Adoleszenz. Er kam nicht, um ihr ihr Eigentum zurückzugeben, sondern stiefelte geradewegs herein, setzte sich hin und spielte ihr vor. Das Mysterium der Musik lag auch in seinem Lächeln, als er endete und auf ihre Billigung wartete. Und als sie ihn anschaute, begriff Miss Nightingale, was sie zuvor nicht begriffen hatte: Dieses Mysterium war ein Wunder in sich selbst. Sie hatte kein Recht darauf. Als sie zu begreifen versuchte, wie sich menschliche Hinfälligkeit mit Liebe verband oder mit jener Schönheit, die den Begabten innewohnte, hatte sie zu viel angestrebt. Jetzt war ein Ausgleich gefunden; das war genug.

Der verkrüppelte Mann

»Also, das wäre eure Arbeit, wenn ihr wollt«, sagte der verkrüppelte Mann. »Um die Fassade muss sich schon lange jemand kümmern. Ihr müsstet den Putz ausbessern.«

Die beiden Männer, die zu dem Gehöft gekommen waren, berieten sich miteinander, ohne zu reden, nickten und gestikulierten nur. Dann nannten sie einen Preis für den Anstrich der Außenwände, doch der verkrüppelte Mann meinte, das sei ihm zu teuer. Er nannte eine geringere Summe und sagte, so viel habe es beim letzten Mal gekostet. Die Männer, die auf Arbeitssuche waren, erwiderten nichts. Der Größere zog seine Hose hoch.

»Wenn das so ist, kommen wir uns auf halbem Wege entgegen«, sagte der verkrüppelte Mann.

Die beiden Männer sagten noch immer nichts, sondern schüttelten nur den Kopf.

»Dann schert euch davon«, sagte der verkrüppelte Mann.

Aber sie gingen nicht, so als hätten sie nicht verstanden. Das war eine Masche von ihnen: so zu tun, als würden sie nicht verstehen, die Stirn in Falten zu ziehen und Verwirrung vorzutäuschen, denn in jedem Gespräch war es manchmal vorteilhaft, ratlos zu wirken.

»Sprechen wir von zwei Anstrichen?«, erkundigte sich der verkrüppelte Mann.

Der Große bejahte. Er wirkte älter als sein Kollege, in seinem Haar zeigte sich das erste Grau, aber das war verfrüht: Beide waren noch jung, in ihren Zwanzigern.

»Kommen wir uns auf halbem Wege entgegen?«, schlug der verkrüppelte Mann erneut vor. »Zwei Anstriche, und wir treffen uns in der Mitte?«

Der jünger aussehende der Männer, mit einem runden Mondgesicht und einer Drahtbrille, nannte eine andere Summe. Er starrte auf die grauen, ziemlich rissigen Steinplatten des Küchenbodens und wartete auf eine Antwort. Der Große, der seine Arme herabhängen ließ, locker und schlaksig wie sein ganzer Körper, saugte an seinen Zähnen, das war eine seiner Angewohnheiten. Wenn es neunzehn Jahre her sei, dass das Haus gestrichen wurde, sagte er, wäre die Bezahlung niedriger, als dass es sich für sie noch lohnen würde. Dass es neunzehn Jahre her war, war ihnen gesagt worden.

»Seid ihr Polen?«, fragte der verkrüppelte Mann.

Sie bejahten. Manchmal gaben sie das zur Antwort, manchmal nicht, je nachdem, was sie vorher über die Anwesenheit anderer Polen in der Gegend in Erfahrung gebracht hatten. Sie waren Brüder, auch wenn sie nicht wie Brüder aussahen. Sie waren keine Polen.

Eine schwarze Katze schlich auf der Suche nach Insekten oder Mäusen in der Küche umher. Hin und wieder attackierte sie ein Stück Borke, das vom Brennholz abgefallen war, oder einen Schatten. Die Malerarbeiten würden vierzehn Tage in Anspruch nehmen, sagte der Jüngere, sie würden auch sonntags arbeiten; dann ging es wieder um den Lohn. Man einigte sich auf einen Preis.

»In Scheinen«, sagte der Große und rieb Daumen und Zeigefinger gegeneinander. »In bar.«

Auch darauf einigte man sich.

Martina fuhr langsam, wie immer auf dem Rückweg von Carragh. Mehr als einmal hatte der alte Dodge auf dieser Strecke versagt, und sie hatte zu Fuß zu Kirpatrick’s Garage gehen müssen, um Hilfe zu holen.

Jedes Mal sagte ihr derselbe Mechaniker, ihr Auto gehöre zur Oldtimerbrigade und hätte schon vor vierzig Jahren aus dem Verkehr gezogen werden müssen. Aber der uralte Dodge gehörte zu ihren Lebensumständen; weil er unerlässlich war, musste sie sich mit ihm abfinden. Und wenn sie langsam fuhr, brachte er sie meist ans Ziel.

Um das halbe Pfund voll zu machen, wie er sagte, hatte Costigan zwei Scheiben durchwachsenen statt mageren Speck dazugetan, dabei aber mageren berechnet. Sie hatte nichts erwidert; bei Costigan tat sie das nie. »Kommen Sie mit zum Schuppen, dann schauen wir mal«, hatte er früher immer gesagt, dann war sie mit ihm zum Schuppen gegangen, wo die Tiefkühltruhe stand, um sich ein gefrorenes Schweinesteak oder Geflügelkeulen auszusuchen, deren Anblick ihr zusagte, und er hatte sie begrapscht. Inzwischen forderte er sie nicht mehr auf, ihn zur Tiefkühltruhe zu begleiten, doch die Tage, als er sie noch dazu eingeladen hatte, standen immer zwischen ihnen, und nie aß sie ein Schweinesteak oder Hähnchenschlegel, ohne daran erinnert zu werden, wie er hinterher, wenn sie bezahlen wollte, das Geld zurückschob und sie es im Bauernhaus in einer Gold-Flake-Dose versteckte.

Sie fuhr an den Tinkern am Cross vorbei, wo die Kinder in ihren Lumpen umherliefen, barfüßig, kurzgeschoren. Die Frau, wie immer vom Motorgeräusch des Dodge herausgelockt, starrte wie versteinert und blieb so lange stehen, bis der Wagen vorbeigefahren war, ein regloses Bild im Rückspiegel. »Viereinhalb, weil Sie’s sind«, hatte der Mann bei Finnally’s gesagt, als sie sich nach dem Preis des Elektroherds erkundigte, der noch immer im Schaufenster stand. Keine Chance, hatte sie gedacht.

Früher einmal hatte Martina, die fast fünfzig war und stärker zunahm, als ihr lieb war, noch gewusst, was sie wollte, jetzt aber war sie sich nicht mehr so sicher. In ihrem früheren Leben war eine leichtsinnige Ehe zerbrochen, und sie hatte kein Dach über dem Kopf gehabt. Kinder hatte es keine gegeben, obwohl sie sich welche gewünscht hatte, und seither dachte sie oft, dass es ihr trotz der Verpflichtung, für sie zu sorgen, besser ergangen wäre, wenn Kinder ihrem Leben einen Mittelpunkt gegeben hätten.

Sie fuhr durchs Moor. An den Torfstichen stand eine Maschine von Bord na Móna, ein abgekoppelter Anhänger war mit einem Keil versehen, damit er nicht davonrollte. Niemand arbeitete, an den Torfstichen hatte sich seit gut neun Monaten nichts getan. Die mangelnde Aktivität konnte einem die Laune verderben, dachte sie jedes Mal, wenn sie sah, dass die Stelle noch genauso aussah wie beim letzten Mal.

Bei Laughil bog sie ab; die Straße war dunkel wegen der überhängenden Bäume. Sie konnte sich nicht daran erinnern, wann sie auf dieser Strecke zuletzt einem anderen Auto begegnet war. Sie versuchte es gar nicht erst. Es spielte auch keine Rolle.

Die beiden Männer fuhren davon, froh, Arbeit gefunden zu haben, und unterhielten sich über den Mann, der ihnen, als sie anklopften, zugerufen hatte, sie sollten eintreten. Die ganze Zeit über war er in seinem Sessel am Herdfeuer sitzen geblieben, und als man sich auf den Lohn geeinigt hatte, hatte er gesagt: Geht in die Spülküche und holt den Whiskey. Als sie nicht gleich verstanden, hatte er ungeduldig gestikuliert, die Faust an den Mund gehoben, den Kopf zurückgeworfen und die Faust dabei mitgeführt, bis sie begriffen, was er meinte.

Danach war er fröhlich; und sie bemerkten die Gläser auf der Anrichte und sahen ihm zu, wie er sie auf den Tisch stellte. Einen Moment lang waren sie unsicher, dann schraubte einer von ihnen den Verschluss der Flasche ab.

»Von Polen haben wir gehört«, sagte er. »Ein katholisches Volk. Trinken wir auf die Arbeit?«

Als er ihnen sein Glas hinhielt, schenkten sie ihm noch einen Whiskey ein. Auch sie tranken noch einen, bevor sie gingen.

»Wer war hier?«

Während sie sprach, stellte Martina die Einkaufstaschen auf den Tisch. Dort stand die Whiskey-Flasche, außerhalb seiner Reichweite, daneben zwei leere Gläser; sein eigenes, gleichfalls leer, hielt er in der Hand. Er streckte ihr das Glas entgegen, so bat er sie, ihm nachzuschenken. Jetzt würde er nicht mehr aufhören, dachte sie; er würde weitertrinken, bis die Flasche leer wäre, und sie dann fragen, ob sie noch eine volle hätten, und sie würde verneinen, obwohl sie durchaus noch eine hatten.

»Ein blauer Lieferwagen«, sagte sie und goss ihm ein, weil es keinen Sinn hatte, sich zu weigern.

»Weiß ich doch nicht, welche Farbe er hatte«, erwiderte er.

»Auf dem Feldweg war ein blauer Lieferwagen.«

»Hast du alles bekommen?«

»Ja.«

Er habe Besuch gehabt, sagte er, als ob er das Thema wechselte. »Brave Jungs, Martina.«

»Wer?«, fragte sie wieder.

Er wollte die Einkaufsliste zurückhaben und die Quittung. Mit seinem Bleistiftstummel, den er eigens zu diesem Zweck besaß, strich er die Artikel durch, die sie aus den Einkaufstaschen nahm. Früher, als Costigan noch munterer gewesen war, hatte sie diesen Moment der Täuschung genossen, hatte das genau abgezählte Wechselgeld auf den Tisch gelegt und das, was sie eingespart hatte, in ihrer Kleidung verborgen, bis sie nach oben gehen konnte, zu der Gold-Flake-Dose.

»Polnische Burschen«, sagte er. »Sie werden das Haus streichen.« Zwei Anstriche, fügte er hinzu, es werde vierzehn Tage dauern.

»Bist du wahnsinnig geworden?«

»Brave katholische Jungs. Wir haben darauf getrunken.«

Sie fragte, wo das Geld herkommen solle, und er fragte zurück, von welchem Geld sie spreche. Das war so seine Art, und ihre Art war es, ausnahmslos jede Geldquelle in Frage zu stellen: War das Thema erst einmal angeschnitten, blieb es meist dabei.

»Wie viel haben sie dir abgeknöpft?«, fragte sie.

Mit gespielter Geduld erklärte er ihr, er sei nur für das Material aufgekommen. Wenn die Arbeit zufriedenstellend ausfalle, werde er nach Erledigung des Auftrags zahlen, was er schuldig sei.

Martina kommentierte dies nicht. Ärgerlich zog sie eine der beiden Schubladen der Anrichte auf, fasste nach hinten und holte ein Bündel Euroscheine hervor, Fünfer und Zehner in getrennten Gummibändern, Zwanziger, Fünfziger, einen Hunderter. Sie wusste sofort, wie viel er gezahlt hatte. Sie wusste, dass er die Anstreicher aufgefordert haben musste, sich das Geld selbst zu nehmen, da er nicht hinlangen könne. Sie wusste, dass sie den dort verwahrten Betrag gesehen hatten.

»Wozu sollten sie ein Haus anstreichen, wenn sie nur hereinzukommen und sich zu bedienen brauchen?«

Er schüttelte den Kopf. Erneut sagte er, die Anstreicher seien anständige katholische Jungs. In einem noch immer Geduld heuchelnden Tonfall wiederholte er, die Arbeit werde binnen vierzehn Tagen erledigt sein. Im ganzen Land rede man über die Fertigkeiten, die polnische Jungs nach Irland brächten. Eine göttliche Fügung, sagte er. Sie werde ihre Anwesenheit nicht einmal bemerken.

Sie kauften die Farbe in Carragh, wo sie sich erkundigten, was das Beste für Hauswände sei. »Kalkfarbe«, sagte der Mann und zeigte auf das Wort auf einer Dose. »Bei Außenarbeiten nehmt ihr am besten Kalkfarbe.«

Sie verstanden. Sie erklärten, das Geld für Material hätten sie vorab bekommen, und zahlten die Summe, die er ihnen aufschrieb.

»Seid ihr Polen?«, fragte der Mann.

Ihre Geschichte war ungewöhnlich. Hineingeboren in eine Gemeinschaft staatenloser Überlebender in den Bergen Kärntens, wurden sie oft für Zigeuner gehalten. Ihre Muttersprache war ein Dialekt, der mit Wörtern aus einem Dutzend anderer Dialekte versetzt war. Sie erinnerten sich einer Kindheit, in der sie durch namenlose Orte zogen, ein Dasein in Zelten und stumme nächtliche Grenzüberquerungen, stets auf der Suche nach etwas Besserem. Ohne es je zu bedauern, hatten sie sich mit, wie sie vermuteten, dreizehn und vierzehn Jahren von ihrer Familie getrennt. Seither bestand ihr Leben darin, was aus ihnen geworden war: wissen, was man tut, wie man’s am besten anstellt, sich beschaffen, was beschafft werden muss, über die Runden kommen. Wo immer sie sich aufhielten, machten sie einen großen Bogen um das System. So nannten sie es zwar nicht, da sie das Wort nicht kannten; aber was es bedeutete, wussten sie und wussten, dass sie, wenn sie erst einmal in seine Fänge gerieten oder es auch nur zeitweise akzeptierten, ihrer Freiheit beraubt würden. Ihr unmittelbares Ziel war das nackte Überleben, in der Hoffnung, irgendwo könnte es ein Leben geben, das besser wäre als das, welches sie bisher gekannt hatten.

Auch Pinsel und Terpentinersatz kauften sie, weil der Mann gesagt hätte, dass sie das alles benötigten, und Spachtelmasse, weil ihnen gesagt worden war, dass sie sich um den Putz kümmern müssten. Sie hatten noch nie ein Haus gestrichen und wussten nicht, was Putz war.

Ihr Lieferwagen war verbeult, ein helles Blau, das in einem dunkleren Farbton leicht nachgebessert worden war, unversteuert und unversichert, obschon die üblichen Plaketten an der Windschutzscheibe klebten. In diesem Lieferwagen schliefen sie auch, zwischen Werkzeugen aller Art, die sie sich organisiert hatten, zwischen Bechern, Tellern, Spüle, Kasserolle, Bratpfanne, Lebensmitteln.

In dem Dialekt, der ihre Sprache war, fragte der ältere Bruder, ob sie genügend Sprit hätten, um zu den Ruinen zu fahren, wo sie sich gerade eine Behausung bauten. Der jüngere Bruder, der am Steuer saß, nickte, und sie fuhren hin.

In ihrem Schlafzimmer schloss Martina den Deckel der Gold-Flake-Dose und sicherte ihn mit einem Gummiband. Sie trat vom Schrankspiegel zurück und musterte sich kritisch. Sie war beschämt, wie sehr sie sich hatte gehen lassen; zwar war sie nicht ganz fettleibig, aber doch fast, ihre hellblauen Augen – früher ihr bestechendstes Merkmal – lagen halb verborgen in fleischigen Wülsten. Als sie das erste Mal auf das Gehöft kam, war sie in ihren Dreißigern gewesen; damals hatte sie noch auf Aussehen und Kleidung geachtet. Sie wischte sich den Lippenstift ab, der von Costigans grober Umarmung verschmiert war, als sie sich für ein paar Minuten allein mit ihm im Laden aufgehalten hatte. Sie richtete ihre Unterwäsche, die er in Unordnung gebracht hatte. Der Geruch des Ladens – eine Mischung aus Speck, Fliegenspray und den Hähnchen, die Costigan am Spieß briet – war schon vor Jahren von seiner Kleidung auf ihre übergegangen. »Ach, das ist nur der Laden«, pflegte sie zu sagen, wenn sie in der Küche danach gefragt wurde, ohne mehr preiszugeben.

Sie waren entfernte Verwandte, lebten schon, seit seine Mutter vor zwölf Jahren gestorben war und sein Vater im Winter darauf, zusammen auf dem Gehöft. Ein anderer Verwandter hatte zu dieser Verbindung geraten, da Martina alleinstehend war und nur gelegentlich Arbeit fand. Andernfalls wäre ihr Cousin – denn sie hatten sich darauf geeinigt, dass sie Cousins waren – in ein Heim gebracht worden; und sie selbst hatte nur wenig zu verlieren, wenn sie auf einen Bauernhof käme, dessen Weideland aufgeteilt worden war und gegen jährliche Zahlungen verpachtet wurde und wo man hin und wieder ein weiteres Feld verkaufen konnte. Martinas Cousin, der schon von Geburt an behindert war, hatte für Martina den Vorzug einer vertraglichen Vereinbarung: Irgendwann würde sie erben, was ihm noch geblieben war. Oft vermuteten die Leute, er sei längst gestorben, die Leute in Carragh und die Leute aus der weiteren Umgebung, die den Bauernhof nie besuchten; wenn man mit ihnen redete, konnte man es geradezu spüren. Martina selbst erwähnte ihn nie von selbst, es sei denn, sie wurde auf ihn angesprochen. Es gab einfach nichts zu sagen, weil nichts sich verändert hatte, nichts, wozu sie sich hätte äußern können.

Als sie nach unten kam, war er vor lauter Whiskey eingeschlafen, und er schlief durch, bis ihn um sechs Uhr Geschirrgeklapper und das Brutzeln des Pfannenfrühstücks weckte. Sie wollte, dass er sich an bestimmte Zeiten hielt, und richtete sich auch selbst danach. Den Wecker auf der Anrichte zog sie immer wieder auf; morgens und abends nach dem Radio gestellt, ging er auf die Minute genau. Als Erstes sammelte sie die Eier ein, die in der Nacht gelegt worden waren. Sobald sie den Frühstückstisch gedeckt hatte, holte sie ihren Cousin aus dem hinteren Zimmer in die Küche. Wenn er gefrühstückt und sie das Geschirr gespült hatte, machte sie die beiden Betten. An Tagen, an denen sie nach Carragh fuhr, verließ sie das Haus um Viertel nach zwei; das hatte sie sich so angewöhnt. Normalerweise war er um diese Zeit vor dem Herd eingeschlafen, es sei denn, er hatte einen Streit vom Zaun gebrochen. War das der Fall, konnte es den ganzen Tag so weitergehen.

»Die Polen werden uns lästig fallen.« Weil in der Pfanne Leberscheiben brutzelten, musste sie die Stimme heben. Beim geringsten Geräusch – Geschirrklirren oder Kochgeräusche, das Klappern des Kesseldeckels – behauptete er, sie nicht hören zu können. Doch sie wusste, dass er es konnte.

Auch jetzt sagte er, er könne sie nicht hören, aber sie ignorierte ihn. Er sagte, er wolle noch einen Schluck Whiskey, und auch das ignorierte sie.

»Die werden uns schon nicht lästig fallen«, sagte er, »Jungs wie die.«

Er sagte, sie seien sauber, man brauche sie nur anzuschauen. Er sagte, sie würden ihr Gesellschaft leisten.

»Du bekommst doch kaum mal jemanden zu Gesicht, Martina. Das weiß ich, Mädel. Weiß ich das nicht schon die ganze Zeit?«

Sie schlug das erste Ei in die Fettlache, die sich beim Kippen der Pfanne gebildet hatte. Sie konnte mit einer Hand ein Ei aufschlagen und den Inhalt in die Pfanne geben. Jeder bekam zwei.

»Es braucht einen Anstrich«, sagte er.

Sie ließ den Satz unkommentiert. Sie sagte nicht, dass er das gar nicht wissen könne; wie sollte er, da sie es nicht mehr schaffte, ihn nach draußen auf den Hof zu bringen? Das hatte sie schon seit Jahren nicht mehr geschafft.

»Er tut mir gut«, sagte er. »Der alte Tropfen Whiskey.«

Sie stellte das Radio an, und es erklang Musik aus früheren Zeiten.

»Furchtbares Zeug«, bemerkte er.

Auch diesen Satz ließ Martina unkommentiert. Als die Leberscheiben gebräunt waren, hob sie sie aus der Pfanne und tat sie zusammen mit den Eiern auf die Teller. Sie brachte ihn zum Tisch. Er habe schon genug Whiskey getrunken, sagte sie, als er um mehr bat, und in der Küche wurde kein Wort mehr über das Thema verloren.

Als sie gegessen hatten, brachte sie ihn zu seinem Bett, aber eine Stunde später schrie er, und sie ging zu ihm. Sie dachte, es sei ein Traum, aber er sagte, es seien seine Beine. Sie verabreichte ihm Aspirin und Whiskey, denn wenn er beides bekam, ließen die Schmerzen nach. »Komm ins Bett und wärme mich«, flüsterte er, und sie sagte nein. Sie fragte sich oft, ob die Schmerzen ihn verrückt gemacht hatten, ob sein Gehirn angegriffen war, wie so viele andere Körperteile auch.

»Weshalb haben sie dich Martina genannt?«, fragte er immer noch flüsternd. Der Name eines Mannes, sagte er; weshalb haben sie das getan?

»Ich hab dir davon erzählt.«

»Du hast mir viel erzählt.«

»Jetzt schlaf.«

»Ist die Pacht für das Weideland schon eingegangen?«

»Jetzt schlaf weiter.«

Die Malerarbeiten begannen an einem Dienstag, denn am Montag hatte es unablässig geregnet. Der Dienstag war schön, sonnig, mit einer sanften Brise, die die Farbe trocknen würde. In Carragh liehen die Anstreicher zwei Leitern aus und verbrachten den Tag damit, die Stellen zu spachteln, wo der Putz abgebröckelt war.

Am Vormittag brachte die Frau des Hauses, von der sie annahmen, dass sie die Frau des verkrüppelten Mannes war, Scones und Tee nach draußen, und als sie sie fragte, was für sie – morgens und nachmittags – der beste Zeitpunkt sei, zeigten sie auf die Uhr des älteren Bruders: elf und halb vier. Punkt halb vier brachte sie ihnen Kekse und Tee. Sie blieb eine Weile und unterhielt sich mit ihnen. Sie erklärte ihnen, wo sie in Carragh Dinge für den täglichen Bedarf kaufen könnten, und stellte ihnen Fragen. Ihr Lächeln war müde, aber sie hatte Geduld mit ihnen, wenn sie etwas nicht verstanden. Als sie wieder an die Arbeit gingen, sah sie ihnen zu, und als sie fragten, was sie von ihnen halte, antwortete sie, sie seien so gut wie nur irgendwer. Am Abend hatten sie die Ausbesserung des Putzes abgeschlossen.

Für Mittwoch war Regen vorhergesagt, und tatsächlich fiel am Nachmittag ein starker Regenguss, aus dem Westen herbeigeweht von einem bedrohlichen Sturm. Die Arbeit