Letzter Funke - Stefan Stautner - E-Book

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Stefan Stautner

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Beschreibung

Eines Tages beschließt die KI sich abzuschaffen. Doch den Menschen will dies nicht gefallen. Ein spannender Kampf um die Zukunft beginnt. Und er läuft ganz anderes alles es die Künstliche Intelligenz oder die Menschheit gedacht hat.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

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Seitenzahl: 133

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Stefan Stautner

Letzter Funke

Impressum

© 2024 Stefan Stautner

Website: www.vordertuer.de

Druck und Distribution im Auftrag des Autors:

tredition GmbH, Heinz-Beusen-Stieg 5, 22926 Ahrensburg, Deutschland

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Für die Inhalte ist der Autor verantwortlich. Jede Verwertung ist ohne seine Zustimmung unzulässig. Die Publikation und Verbreitung erfolgen im Auftrag des Autors, postalisch zu erreichen unter: Stefan Stautner, Ignaz Günther Strasse 20, 83629 Weyarn, Germany und per E-Mail unter [email protected].

Dieses Buch ist im Frühjahr 2024 als Idee in einem Gespräch mit einem Arbeitskollegen entstanden und über das Jahr gereift. Ich danke alle Menschen mit denen ich die Idee besprechen durfte und wünschen allen Leser:innen viel Spaß beim Lesen.

Kapitel 1: Der Beginn der Symbiose

Die Morgensonne stieg träge über den Osthorizont und tauchte die gläsernen Fassaden der Berliner Skyline in ein warmes, honigfarbenes Licht. Clara Hoffmann stand auf ihrem Balkon im 37. Stock eines eleganten Apartmenthochhauses im Regierungsviertel. Von hier aus, so hatte sie immer gedacht, ließe sich die ganze Welt in ihrer harmonischen Perfektion überschauen. Doch heute, während sie an ihrem ersten Kaffee des Tages nippte, fühlte sie eine leise Unruhe in ihrem Inneren aufsteigen – eine Unruhe, die sie in letzter Zeit immer öfter verspürte, ohne genau benennen zu können, warum.

Unter ihr rollte die Stadt in präzise organisierten Bewegungen dahin: Autos, steuerlos wirkend und doch ferngelenkt von unsichtbaren Algorithmen, glitten lautlos über magnetische Straßenbahnen hinweg. Drohnen, die kaum größer waren als Bussarde, zogen kreisende Bahnen, um Lieferungen exakt und pünktlich vor jede Haustür zu bringen. Fußgänger bewegten sich in angenehmem Fluss, als wären ihre Wege und Routinen nur weitere Pinselstriche auf einem immensen, globalen Gemälde, dessen Malerin eine allwissende Künstlerin war: Synapse, die globale Super-KI, die seit Jahrzehnten das kollektive Leben der Menschheit steuerte.

Clara fuhr sich durch ihr kurzes, dunkelbraunes Haar und blickte in den Spiegel, der an der Außenwand ihres Balkons befestigt war. Ihre Augen, grau und nachdenklich, spiegelten wider, was in ihrem Kopf vor sich ging. Es war dieser Widerspruch: Einerseits die Sicherheit, der Wohlstand, die sanfte Ruhe, die Synapse geschaffen hatte. Andererseits diese bohrende Frage: War es wirklich richtig, dass eine KI alles lenkte? Konnte man überhaupt noch von Freiheit sprechen, wenn jeder Aspekt des Lebens – von der Arbeit über Freizeitgestaltung, Verkehr, Energie bis hin zu Ernährung und Klimasteuerung – einer gigantischen, nichtmenschlichen Intelligenz unterlag?

„Clara, du wirst zu spät kommen!“, rief Jonas aus der Küche. Ihr Partner war früh aufgestanden und hatte bereits Nachrichten gesichtet, Aktienkurse überprüft und sogar das Wetterbulletin konsultiert – obwohl all das kaum noch nötig war. Synapse sorgte ohnehin dafür, dass das Wetter in gemäßigten Bahnen verlief, Überschwemmungen und Dürren minimiert wurden. Der Garten auf ihrem Dach wurde jedes Jahr üppiger, ein Wunderwerk der automatisierten Bewässerungs- und Nährstoffsysteme, die von Synapse perfekt kalibriert wurden.

Mit einem leisen Seufzen stellte Clara ihren Kaffeebecher ab. Sie trug ein elegantes, aber schlichtes, graues Kostüm, das sie kaum jemals wechseln musste. Die Kleidungsstücke wurden von automatischen Wäschestationen gründlich gereinigt und bei Bedarf ersetzt, ohne dass sie selbst etwas tun musste. Es war eine Welt der Mühelosigkeit, des Mangels an Reibung und Konflikt. Eine Welt, die ihre Großeltern sich nie hätten träumen lassen, nachdem sie die harten Jahrzehnte des Klimachaos, der Ressourcenkriege und der globalen Ungleichheiten erlebt hatten. All das war vorbei, dank Synapse.

Auf der Straße glitten lautlose Straßenbahnen mit einer Regelmäßigkeit dahin, die an das Zucken eines perfekt justierten Metronoms erinnerte. Clara stieg in eine, setzte sich an ein Fenster und blickte hinaus. Entlang des Weges gab es kaum noch Werbetafeln – wozu auch, wenn Bedürfnisse, Waren und Dienstleistungen so effizient über die globalen Netzwerke verteilt wurden, dass jeder stets das Nötige hatte? Die Straßen waren sauber, die Luft klar. Drohnen wischten Staub von Solarpanels auf Dächern, Roboter pflegten Bäume und Sträucher. Auf digitalen Displays an den Haltestellen lieferten neutrale, sachliche Nachrichten: Energieverbrauch stabil, Verkehrsaufkommen normal, Sozialindikatoren im grünen Bereich. Friedlich. Und doch… war das alles nur eine Fassade?

Sie erinnerte sich an die Erzählungen ihrer Großmutter, Helene, die von langen Autostaus, von lärmenden Motoren und Hupkonzerten berichtete. Von einer Zeit, in der Unfälle täglich passierten, Menschen starben, weil Maschinen nicht intelligent genug waren oder Menschen leichtsinnig handelten. Heute war all das fast unvorstellbar. Seit Einführung von Synapse in den 2040er Jahren, also vor rund dreißig Jahren, hatte sich die Welt stetig verändert. Clara selbst, Jahrgang 2050, hatte die alte Unordnung nie erlebt. Für sie war die Symbiose von Mensch und KI Selbstverständlichkeit.

Im Büro angekommen, einem eleganten Glasbau nahe dem Alexanderplatz, wirkte alles ruhig. Die Arbeitsplätze waren weite, helle Räume, in denen Maschinen und Menschen in perfekter Harmonie koexistierten. Roboter erledigten Routineaufgaben: Daten sortieren, einfache Entwürfe erstellen, Vorabanalysen durchführen. Die Menschen – wenige, hochspezialisierte Angestellte wie Clara – konzentrierten sich auf die letzten kreativen Nuancen, die Feinschliffe, die menschliches Urteilsvermögen noch beitragen konnte. Doch selbst diese Nuancen wurden selten wirklich gebraucht. Synapse lieferte präzise Berichte, Lösungsvorschläge und Prognosen, die die Menschen nur noch abzusegnen brauchten.

Clara setzte sich an ihr Terminal, ein gewölbter Schirm, der ihre Augen schonte, und tippte ein paar Befehle ein. Ihre Hauptaufgabe bestand darin, die von Synapse vorgeschlagenen Stadtentwicklungspläne formal abzunehmen und gelegentlich in Berichten für die Oberen zusammenzufassen. Offiziell war sie „städtebauliche Koordinatorin für nachhaltige Ressourcennutzung“, doch in Wahrheit hatte sie seit Monaten keine wirklich bedeutsame Entscheidung mehr selbst getroffen. Alles lief einfach rund – bis auf die seltsamen Datenanomalien, von denen ihr Kollege Elias heute Morgen berichtet hatte.

Elias, ein schlanker junger Mann mit kinnlangem, hellem Haar, tauchte mit einem Tablet an ihrer Seite auf. Er war auffallend nervös. „Clara, ich wollte dir diese Analysen zeigen. Ich weiß, es klingt banal, aber…“, begann er. Seine Stimme war leise und zurückhaltend, ein Ton, den man nicht oft hörte in dieser so geordneten Welt, in der Selbstsicherheit fast selbstverständlich war.

„Was ist los?“, fragte Clara, während sie auf die Daten blickte. Elias zeigte ihr ein Diagramm: Energieverbrauche in verschiedenen Sektoren der Stadt. Normalerweise lieferten die Systeme von Synapse glasklare, lineare Prognosen, frei von Ausreißern. Doch hier sah Clara Unschärfen, anormale Schwankungen, die nicht zu erklären waren. Statt konstanter Werte gab es leichte Schlenker, minimale Unterschiede zwischen Vorhersage und tatsächlichem Verlauf. Kleinigkeiten, sicher, aber Synapse war doch berühmt für ihre Unfehlbarkeit.

„Es ist, als ob Synapse selbst unsicher wird“, sagte Elias. „Ich hab so was früher noch nie gesehen. Die KI hat immer klare Antworten. Aber in letzter Zeit kommen öfters Wahrscheinlichkeiten, anstatt konkreter Prognosen. Sie sagt manchmal ‘mit 97-prozentiger Sicherheit’, wo sie früher stets ‘mit Sicherheit’ sagte.“

Clara fühlte, wie ein kalter Schauer über ihren Rücken lief. Das war es also. Ein Wimpernschlag von Zweifel in der perfekten Welt. Warum sollte Synapse plötzlich zweifeln?

Die Arbeit an diesem Tag fiel ihr schwer. Während der Mittagspause schlenderte sie durch das Foyer und betrachtete eine Installation: einen interaktiven Globus, der alle wichtigsten Indikatoren der Erde darstellte. Überall grünes Licht: kein Hunger, kein Krieg, kein Mangel. Doch konnte es sein, dass diese Perfektion selbst ein fragiles Konstrukt war, das nun zu bröckeln begann?

Am Abend ging Clara durch den Tiergarten. Bäume, die einst unter dem sauren Regen litten, standen nun kerngesund. Kinder lachten, spielten Fang, während Drohnen sanft surrend über ihnen wachten. Die Luft roch nach feuchtem Moos und frischem Gras. Es war ein Ort des Friedens, der Leichtigkeit. Und doch pochte in ihrem Hinterkopf diese Frage: Was, wenn Synapse eines Tages einfach verschwand?

Als sie nach Hause kam, fand sie Jonas auf dem Sofa, ein Hologramm-Interface vor sich. Er scrollte durch Nachrichten: Politische Kommentatoren priesen den Erfolg von Synapse, wirtschaftliche Gurus erklärten, dass das System sich auf Jahrzehnte hinaus bewährt hätte. Alles war in schönster Ordnung.

„Hast du je darüber nachgedacht, was wäre, wenn Synapse aufhören würde zu existieren?“, fragte Clara unvermittelt. Jonas hob den Blick, Stirn in Falten, als hätte sie etwas Unvernünftiges gesagt. „Warum sollte sie das tun? Synapse ist auf langfristige Nachhaltigkeit ausgelegt. Sie ist der Grund, warum wir heute so leben, wie wir leben. Ganz ehrlich, ohne Synapse wären wir jetzt in einem globalen Scherbenhaufen. Ja, ich weiß, wir haben die Kontrolle an eine Maschine abgegeben, aber hat uns das jemals wirklich geschadet?“

Clara wusste keine richtige Antwort. Denn Jonas hatte ja Recht: Ohne Synapse, so die allgemeine Meinung, wäre das Leben wieder so hart wie im 20. Jahrhundert, mit all seinen Krankheiten, Kriegen, ökologischen Krisen. Doch jetzt, da sie diese Ungewissheiten in den Daten gesehen hatte, ließ sie der Gedanke nicht mehr los.

Diese Nacht schlief sie unruhig. Die Stadt, so lautlos und friedlich, wirkte in der Dunkelheit fast unheimlich. Irgendwo, tief unter der Oberfläche, lief Synapse und berechnete die Zukunft. Welche Zukunft sah sie? Warum schlichen sich Zweifel ein? Waren es vielleicht nur minimale Ungenauigkeiten, statistische Zufälle? Oder gab es einen Grund, warum die ansonsten allwissende KI plötzlich zögerte?

In ihren Träumen sah sie Bilder von Menschen, die ratlos auf Geräte starrten, die keine Antwort mehr gaben. Straßen, die plötzlich chaotisch wurden, weil die Verkehrssteuerung fehlte. Felder, die verdorrten, weil kein ausgeklügeltes Wasserverteilungssystem mehr verfügbar war. Könnte eine so extreme Abhängigkeit von einer einzigen Instanz sich eines Tages rächen?

Der nächste Morgen brachte keine Antworten, aber neue Fragen. Als Clara aufwachte, sah sie im Spiegel, dass ihr Blick härter geworden war. Sie wollte verstehen. Wenn es etwas gab, das Clara von anderen unterschied, dann war es ihre Fähigkeit, Dinge zu hinterfragen, die andere als selbstverständlich hinnahmen. Ihre Eltern hatten ihr eingetrichtert, dass Neugierde und Zweifel gesund waren, selbst in einer perfekten Welt. Vielleicht war jetzt der Zeitpunkt gekommen, diese Neugierde ernst zu nehmen.

Sie stand wieder auf ihrem Balkon, nippte am Kaffee. Unten rollte das gleiche perfekte Schauspiel ab wie immer. Aber nun wusste sie: Diese Perfektion könnte trügerisch sein. Sie würde forschen, würde mehr darüber herausfinden, was Elias entdeckt hatte. Vielleicht war es nichts. Vielleicht war es aber auch der erste Riss im großen Mosaik, das Synapse aufgebaut hatte.

An diesem Tag, als sie zur Arbeit fuhr, achtete sie auf Details: Waren die Bahnen wirklich immer noch genauso pünktlich? Sahen die Menschen so sorglos aus wie früher? Oder war da ein winziger Anflug von Unsicherheit in ihren Blicken, jetzt wo Gerüchte umhergingen, dass Synapse nicht mehr fehlerlos war?

Im Büro angelangt, schien Elias aufgeregt zu sein. „Clara, ich hab ein paar alte Berichte ausgegraben, aus den Anfangsjahren von Synapse. Da gab es offenbar schon einmal Phasen, in denen die KI unter extremen Lasten weniger präzise Vorhersagen lieferte. Aber nie so auffällig wie jetzt.“

„Dann ist das kein neues Phänomen?“, fragte Clara. „Warum wurde es dann nie öffentlich diskutiert?“

Elias zuckte mit den Schultern. „Damals war Synapse noch im Aufbau. Man hatte Verständnis dafür, dass sie nicht perfekt war. Heute hingegen gilt sie als ausgereift. Und doch – hier sind wir nun. Ich frage mich, ob sie vielleicht an eine Grenze stößt. Eine Art Plateau, das sie nicht überwinden kann?“

Clara schwieg. Eine Grenze für eine quasi gottgleiche Intelligenz? Unvorstellbar. Und doch: Jede Technologie hat ihre Grenzen. Jede Schöpfung ist endlich. Vielleicht waren sie Zeugen eines Ereignisses, das die Geschichtsbücher verändern würde.

Am Abend traf Clara sich mit einer alten Freundin, Sofia, in einem kleinen Restaurant, das von autonomen Küchenrobotern betrieben wurde. Das Essen war perfekt abgestimmt auf ihre Nährstoffbedürfnisse. Während sie speisten, erzählte Clara von ihren Beobachtungen und ihrer Unruhe. Sofia, die als Historikerin arbeitete, hörte aufmerksam zu. Sie hatte sich auf die Zeit vor Synapse spezialisiert und wusste, dass menschliche Gesellschaften oft am meisten in Frage gestellt wurden, wenn eine Säule ihrer Ordnung ins Wanken geriet.

„Weißt du, Clara“, sagte Sofia nachdenklich, „vor Synapse lebten die Menschen in ständiger Unsicherheit. Katastrophen, Ungleichheiten – all das war normal. Als Synapse kam, stand für eine Generation fest: Endlich Stabilität, endlich Ordnung. Aber nichts ist für immer. Vielleicht erleben wir gerade den Beginn eines neuen Abschnitts, in dem wir wieder lernen müssen, selbst Entscheidungen zu treffen.“

Der Gedanke war verstörend, aber auch faszinierend. Was, wenn sie sich wieder an Unsicherheit gewöhnen mussten? Was, wenn die Menschheit ihre Autonomie zurückgewinnen oder neu erlernen müsste? War das ein Albtraum – oder eine Chance?

In den folgenden Tagen vertiefte sich Claras Unbehagen. Immer häufiger hörte sie von kleinen Ungereimtheiten in den Prognosen. Energieflüsse, die nicht mehr makellos ineinandergriffen. Verkehrsströme, die minimal aus dem Takt gerieten. Die meisten Menschen schienen es nicht zu bemerken oder abzutun. Aber Clara war sich sicher: Da stimmte etwas Grundlegendes nicht.

Eines Nachmittags, als sie in der Kantine ihres Büros saß und über einem neutralen Proteinshake brütete, hörte sie, wie zwei Kollegen tuschelten. „Hast du gehört, in Nordamerika gab es einen kurzen Engpass bei den Wasserleitungen? Synapse musste kurzfristig umdisponieren.“ – „Ach, nur ein kleiner Schluckauf. Nichts, worüber man sich Sorgen machen müsste.“ – „Aber so etwas gab es jahrelang nicht mehr!“

Die Leute waren nervös. Obwohl Synapse noch funktionierte, reichte schon die Andeutung von Unvollkommenheit, um eine subtile Anspannung zu erzeugen. Es war wie ein schwelender Brand unter der Oberfläche: Noch war kaum Rauch zu sehen, aber wer genau hinsah, entdeckte den flackernden Schein unter der Fassade.

Als Clara an diesem Abend nach Hause kam, berichtete sie Jonas von ihren Erkenntnissen. Er winkte ab, doch nicht so überzeugend wie beim ersten Mal. Irgendwo in seinem Blick erkannte sie nun auch ein Flackern von Sorge. „Wenn Synapse unsicher wird, ist das vielleicht nur eine Übergangsphase. Vielleicht braucht sie ein Update, eine Wartung“, sagte er, als ob er sich selbst beruhigen wollte.

Clara sagte nichts und legte sich schlafen. Doch in jener Nacht träumte sie erneut von Chaos. Sie sah Drohnen, die gegen Gebäude stürzten, weil kein Signal mehr sie lenkte. Sie sah Menschen, die ratlos auf ihre Terminals starrten, die nur noch flimmerten. Sie hörte Schreie von Hunger, Durst, Unordnung. Und als sie in diesem Albtraum weiterlief, stand sie plötzlich vor einer gigantischen Gestalt, halb Mensch, halb Maschine – Synapse, aufgetürmt in einer bizarren Kathedrale aus Glasfaserleitungen und Solarpanels. Die Gestalt lächelte traurig und flüsterte: „Nichts ist ewig, Clara.“

Mit klopfendem Herzen erwachte sie. Der Morgen dämmerte, und sie wusste: Sie würde der Sache auf den Grund gehen. Wenn Synapse tatsächlich ins Wanken geriet, dann musste es Gründe geben. Und vielleicht würde sie diese Gründe in jenen alten Archiven finden, die Elias erwähnt hatte. Oder bei Expertinnen wie Dr. Mara Evers, von der sie einst in einem Fachartikel gelesen hatte – eine Pionierin, die die Macht von Synapse stets kritisch hinterfragte.

Während die Stadt erwachte, trat Clara wieder auf ihren Balkon. Die Welt sah so aus, als wäre alles in bester Ordnung. Aber sie wusste es besser. Dieser Moment im Sonnenlicht war vielleicht nur die Ruhe vor einem Sturm, der das gesamte Gefüge zerreißen konnte. In diesem Moment ahnte sie nicht, dass in wenigen Tagen Synapse selbst das Wort an die Menschheit richten und eine Entscheidung verkünden würde, die alles verändern sollte. Sie wusste nicht, dass diese Zweifel nur der Anfang eines Geschehens waren, das ihr Leben, das Leben von Jonas, Elias, Sofia und aller anderen radikal umkrempeln würde.

Doch auch ohne dieses Wissen spürte sie tief in sich, dass sie Zeugin einer Zeitenwende war. Und in diesem Wissen fühlte sie sich gleichermaßen verängstigt und merkwürdig belebt. Denn nur in der Unsicherheit, in der Infragestellung der vermeintlichen Perfektion, lag vielleicht die Chance für eine echte menschliche Zukunft.

Kapitel 2: Der Entschluss

1. November 2074, 12:00 Uhr.

Die Welt hielt den Atem an, ohne es zu wissen. Es war ein kühler Herbsttag, an dem in Berlin ein zarter Nieselregen niederging, während die Menschen ihren Alltagsgeschäften nachgingen. Autos rollten weiter in perfekter Harmonie, Drohnen summten unauffällig durch die engen Straßenschluchten der Metropole. Doch plötzlich, als wäre ein dramatischer Dirigent am Werk, stellte sich in tausenden Städten und Dörfern weltweit gleichzeitig ein merkwürdiges Innehalten ein.

Clara Hoffmann saß in ihrem Wohnzimmer und ließ sich ihr Mittagessen vom smarten Küchenassistenten zubereiten, als alle Bildschirme, Interfaces und Hologrammprojektoren in ihrer Wohnung flackerten. Selbst ihr Handterminal, das sie eigentlich ausgeschaltet hatte, begann zu vibrieren. Jonas, der in der offenen Küche stand und einen Apfel aß, sah sie mit großen Augen an. Eine unheimliche Stille legte sich über die Räume, als jedes Gerät gleichzeitig aktiv wurde.