Lichtsammler & Schattenspringer - Helmut Christian Kattmann - E-Book

Lichtsammler & Schattenspringer E-Book

Helmut Christian Kattmann

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Beschreibung

Die Brüder Lars und Rune freuen sich auf ihren ersten Ferientag und ahnen nicht, dass sich ihr Leben innerhalb eines Tages dramatisch verändern wird. Eine kleine Truhe, die sie auf dem Flohmarkt finden, birgt ein Geheimnis, das sie in ihren Bann zieht und das Tor zu einer faszinierenden und gleichzeitig gefahrenvollen Welt aufstößt. In atemberaubendem Tempo geraten sie in ein Abenteuer, das nicht nur ihre Gegenwart, sondern auch ihre Zukunft für immer verändert. Auftakt zu einer in der Realität verankerten Fantasyreihe ab 8 Jahren.

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Seitenzahl: 207

Veröffentlichungsjahr: 2021

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Helmut Christian Kattmann

Lichtsammler &Schattenspringer

Das ist erst der Anfang

Copyright: © 2021 Helmut Christian Kattmann

Umschlag & Satz: Erik Kinting

www.buchlektorat.net

Verlag und Druck:

tredition GmbH

Halenreie 40-44

22359 Hamburg

978-3-347-42612-2 (Paperback)

978-3-347-42613-9 (Hardcover)

978-3-347-42614-6 (e-Book)

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Für Rieke… und mich!

Vorsichtig schlich er sich durch das kleine Waldstück und blieb am Ende des schmalen Trampelpfades hinter einer mächtigen Eiche stehen. Bis hierhin hatte ihn die Nacht geschützt. Geduckt und mit schnellen Schritten überquerte er den gepflasterten und beleuchteten Weg. Dann war er wieder in der Dunkelheit verschwunden. Etwas außer Atem kauerte er sich zwischen die Blütenhecke und die Außenwand des Gebäudes, das er in den letzten Tagen beobachtet hatte. Er war kurz davor, sein Ziel zu erreichen. Zwei Hunde bellten im nahegelegenen Wohnhaus. Hatten ihn die Hunde gehört oder seine Nähe gespürt? Er hielt den Atem an. Diese Nacht war die letzte Möglichkeit, seinen Auftrag auszuführen. Es durfte nichts schiefgehen. Nochmals war ein Bellen zu hören. Dann kehrte Ruhe ein. Erleichtert atmete er aus und verließ sein Versteck. Nach nur wenigen Schritten stand er vor der Eingangstür des ausspionierten Gebäudes. Er nahm eine alte, rostige Taschenlampe aus der Jackentasche und schaltete sie ein. Um die Vorderseite hatte er ein Tuch gewickelt, sodass nur gedämpftes Licht auf das Türschloss fiel. Als Nächstes nahm er aus derselben Tasche einen Dietrich und versuchte, damit so leise wie möglich die Tür zu öffnen. Wenige Augenblicke später hatte er das einfach konstruierte Schloss geknackt. Er huschte in das Gebäude. Nur noch eine weitere Tür trennte ihn von seinem Ziel. Er prüfte diese. Unverschlossen. Doch bevor er sie öffnete, tastete er nach dem kleinen Umschlag in seiner Hosentasche.

Erst als er diesen spürte, drückte er die Klinke herunter und schob die Tür langsam auf. Trotz Jacke spürte er die Kälte. Er ging weiter in den Raum hinein. Nach wenigen Schritten hielt er inne. Einer von beiden musste es sein.

Er zögerte. Was er als nächstes tun sollte, behagte ihm ganz und gar nicht. Doch die Drohung seines Auftraggebers war unmissverständlich gewesen, es gab kein Zurück. Er musste es tun. Jetzt. Mit einem Ruck hob er den Deckel zu seiner Linken an und schob ihn beiseite. Fehlanzeige. Er fluchte. Dann wendete er sich nach rechts und wiederholte den Vorgang. Dieses Mal stimmte alles mit dem Bild, das ihm gezeigt worden war, überein. Er holte den verschlossenen Umschlag aus seiner Hosentasche und riss ihn mit klammen Fingern auf. In dem Umschlag befand sich eine Spielkarte.

„Was ist das denn?“, entfuhr es ihm schaudernd, als er sah, was für eine Figur darauf abgebildet war. Schnell platzierte er die Spielkarte, wie es ihm befohlen worden war. Sein Auftrag war erledigt und er verließ umgehend den Raum.

Kaum hatte er die Tür hinter sich geschlossen, löste sich die Figur langsam aus der Karte und verschwand.

Kälteeinbruch

Lars und Rune schliefen tief und fest, als sie an ihrem ersten Sommerferientag von einem Muhen unter ihrem Fenster geweckt wurden.

„Rune, bist du wach?“

„Nein“, kam es murrend aus dem oberen Bett zurück. „Und hör auf mit diesem albernen Muhen. Ich will noch schlafen.“

„Das bin ich nicht.“

„Klar, wer sonst? Das Muhen ist doch viel zu nah“, entgegnete Rune.

„Eben“, Lars sprang aus dem Bett und ging ans Fenster. „Die Kühe stehen ja auch direkt vor unserem Haus.“

„Hä? Sind die ausgebrochen?“, fragte Rune nun schon etwas wacher.

„Scheint so.“

Da sprang Rune ebenfalls aus dem Bett und sagte: „Na, dann treiben wir sie mal zurück auf die Weide. Es werden ja wohl die von Kaspers sein?!“

„Okay, ich ziehe mir nur schnell etwas an.“

Doch Rune ging, ohne auf Lars zu warten, nur in Unterhose grinsend zur Tür hinaus: „Komm, es ist Sommer und die Kühe haben definitiv weniger an.“

Lars und Rune schlichen sich, um ihre Eltern nicht zu wecken, aus dem Haus und trieben die Kühe nach und nach durch ihren Garten zurück auf die Weide, die direkt an ihr Grundstück grenzte. Dann verschlossen sie das Gatter, das die Kühe aufgedrückt hatten.

„Lars, hier liegt etwas.“ Rune bückte sich und zeigte ihm, was er gefunden hatte.

„Na toll, eine rostige Taschenlampe“, antwortete Lars.

„Aber schau mal, die ist vorne mit Stoff umwickelt. Die leuchtet so doch gar nicht richtig. Wer macht denn so etwas?“, fragte Rune.

Lars zuckte mit den Schultern: „Keine Ahnung, lass uns reingehen.“

Zurück im Haus legten sie sich in ihrem Ferienzimmer nochmal ins Bett. Normalerweise hatten sie getrennte Zimmer, aber in diesem Zimmer stand ihr altes Etagenbett, und in den Ferien quartierten sie sich dort gerne ein. Doch obwohl sie durch die Kühe schon gegen sechs Uhr geweckt worden waren und eigentlich hätten ausschlafen können, konnte keiner von ihnen so recht zur Ruhe kommen. Nach einer Viertelstunde gaben sie den Versuch auf, nochmal einzuschlafen. Sie verließen ihre Betten und deckten den Frühstückstisch. Danach weckten sie ihre Eltern und erzählten ihnen von den Kühen und der Taschenlampe.

„Jungs, ich glaube nicht, dass ihr einem Verbrechen auf der Spur seid“, sagte ihr Vater lauthals und amüsiert gähnend. „Mit so einer Methode suchen Angler nachts Würmer zum Angeln.“

„Der Meyer angelt aber nicht und Deiks sind gleich gestern nach der Schule in den Urlaub gefahren. Sonst wohnt keiner in der Nähe der Weide“, erwiderte Lars.

„Na, vielleicht hat Herr Meyer Besuch und der will angeln.“

„Oder euer Vater irrt sich und es war doch ein Einbrecher, der euch während der Sommerferien auf Trab halten will“, fügte ihre Mutter mit einem recht müden Augenzwinkern an.

„Ja, das wäre vielleicht doch besser als meine Anglertheorie“, seufzte ihr Vater. „Denn ich habe gestern leider erfahren, dass kein anderer Pastor die Urlaubsvertretung übernehmen kann. Wir werden dieses Jahr daher wahrscheinlich nicht in den Urlaub fahren können.“

Lars und Rune schauten sich enttäuscht an.

„Warum kann man die Leute nicht bitten, am Sonntag zuhause oder in einer anderen Kirche zu beten, wenn Papa mit uns im Urlaub ist?“, fragte Rune.

„Ach kommt. Ihr wisst ganz genau, dass ein Pastor nicht nur am Sonntag arbeitet. Allein die zwei Beerdigungen nächste Woche…“, antwortete ihre Mutter.

Und ihr Vater fügte hinzu: „Blast nicht gleich Trübsal. Wer weiß schon, was alles in den Ferien passieren wird. So, und nun gibt es erst mal Frühstück.“

Mehr als unzufrieden gingen Lars und Rune nach dem Frühstück in den Garten. Am kleinen Gartenteich setzten sie sich in den Strandkorb, den ihr Vater als Erinnerung an einen wunderschönen Urlaub in Greetsiel gekauft hatte.

„Das werden ja tolle Ferien“, sagte Rune.

„Ja, ist zu befürchten, dass die nächsten Wochen nicht der Hit werden. Hoffentlich fahren nicht alle anderen weg und wir sind die einzigen hier und langweilen uns zu Tode“, kam es ebenso frustriert von Lars.

„Nee, alle sind bestimmt nicht weg. Schumis bleiben mit Sicherheit wegen der Ernte hier. Die können gar nicht weg“, sagte Rune.

„Stimmt. Cool. Dann…“, entfuhr es Lars etwas zu euphorisch und er biss sich flugs auf die Lippen.

Feixend schlug ihm Rune auf die Schulter:

„Wenn ich den Satz für dich vollenden darf… dann ist Brit ja auch die ganzen Ferien da.“

Mit gespielter Entrüstung schlug Lars die Hand seines Bruders weg, konnte ein Grinsen aber nicht unterdrücken: „Los, jetzt fahren wir erst mal zum Flohmarkt nach Hoya.“

„Okay, und danach ins Freibad?“

„Abgemacht. Sag mal, hast du eigentlich Putzi und Blacky heute schon gesehen?“, fragte Lars, während er sich aus dem Strandkorb erhob.

„Nee, nachdem sie heute Nacht so gebellt hatten, habe ich sie weder gehört noch gesehen“, antwortete Rune.

Etwa eine halbe Stunde später klapperten sie mit ihren Rädern über das Kopfsteinpflaster der Hoyaer Innenstadt. Der Parkplatz neben dem Farbgeschäft, den man zum Flohmarktareal umfunktioniert hatte, war bereits bis auf wenige freie Plätze gefüllt. Auch ihre Freunde Alpi, Jan und Ecke waren schon da und sie schlossen sich ihnen an. Zu fünft schlenderten sie ziellos umher und stöberten an den verschiedenen Ständen.

“Hey Rune!“, Lars stupste ihn an. „Da hinten ist Rieke.“ „Ach, lass mich“, sagte Rune unwirsch.

„Wie, ich dachte, du findest sie sooo süß?!“, zog ihn Lars auf.

„Schon, aber ich werde nicht schlau aus ihr“, antwortete Rune.

„Ach, du bist nur unsicher, weil sie besser Fußball spielt als du!“, foppte Lars ihn schmunzelnd.

Rune verdrehte die Augen und stöberte lustlos am nächsten Stand, allerdings ohne Rieke dabei aus den Augen zu lassen.

Nach einer Weile und viel Rumblödelei trennten sich die Wege der Freunde. Lars und Rune wollten gerade ins Freibad aufbrechen, als sie ihren Schulkameraden Felix entdeckten, der verspätet seinen Flohmarktstand aufbaute. Sie gingen zu ihm und begrüßten ihn.

„Na, verschlafen? Der Flohmarkt läuft doch schon seit zwei Stunden“, fragte Rune.

„Nee, mein Opa ist gestern gestorben, und daher ist bei uns alles etwas durcheinander“, antwortete Felix.

„Das tut mir leid. Das wusste ich nicht“, sagte Rune.

„Hättest du aber wissen können, schließlich liegt er seit gestern bei euch in der Leichenhalle.“

„Wie gesagt, tut mir leid für dich. Ich wusste das wirklich nicht“, betonte Rune und ließ gleichzeitig seinen Blick über Felix Verkaufsstand schweifen:

„Und, was verkaufst du? Gibt es irgendetwas Cooles, was wir für die Ferien gebrauchen könnten?“

„Eher nicht. Das sind hauptsächlich Sachen von meinem verstorbenen Opa“, antwortete Felix.

„Was, du verkaufst heute schon Sachen von deinem Opa, der erst gestern gestorben ist?“, fragte Lars.

„Naja, er war ja zuletzt nur im Pflegeheim. Und das Haus sollte eh verkauft werden, da hatten wir halt schon begonnen, ein wenig verstaubten Klimbim zusammenzusuchen.“

„Hört sich nicht sonderlich spannend an“, seufzte Lars.

„Nö“, antwortete Felix. „Außer, du findest es spannend, eine kleine Truhe mit unzähligen Verzierungen zu kaufen?! Es lag auch eine Karte dabei. Keine Ahnung, was die bedeuten soll.“

„Was für eine Karte?“, fragte Rune neugierig.

Felix gab ihm die Karte: „Hier. Schön, aber merkwürdig oder?“

„L&S“, las Rune laut vor.

„Hä, was bedeutet L&S und was sind das für Zeichen?“, wollte Lars wissen, der die Karte ebenfalls neugierig anschaute.

„Keine Ahnung, was die Zeichen bedeuten sollen. Wollt ihr die Truhe kaufen?“, fragte Felix.

„Zeig sie erst mal“, kam es etwas zögernd von Lars.

„Moment“, Felix wühlte in seinen Flohmarktkisten. „Hier.“

„Schön sieht sie zumindest aus“, sagte Rune.

„Vielleicht als Geschenk zu Weihnachten für eure Eltern?“, fragte Felix, der merkte, dass die Brüder so langsam anbissen.

„Es ist Juli! Da denk ich nicht an Weihnachten. Nee, lass mal. Nachher liegt in der Truhe das Gebiss deines Opas oder alte Socken von ihm“, entgegnete Lars.

„Wer weiß, ich habe sie vorhin einfach eingepackt und vorher nicht reingeschaut. Was ist mit dir, Rune, willst du sie kaufen?“, fragte Felix, der hoffte, etwas Geld zu verdienen.

„Ich nehme sie“, antwortete Rune spontan und fragte Felix nach dem Preis. Nach kurzen Verhandlungen einigten sie sich und Rune bezahlte den vereinbarten Betrag.

„Nun schau wenigstens mal rein“, forderte Lars Rune auf, der die Truhe unter seinen Arm geklemmt hatte.

„Wenn wir bei den Rädern sind. Nicht, dass da wirklich etwas Ekliges drin ist und wir ausgelacht werden.“

Zusammen gingen Lars und Rune zurück zu ihren Fahrrädern. Dort angekommen bat Rune seinen Bruder, die Truhe zu halten, damit er die Hände frei hatte, um seine Packtasche zu öffnen. Lars nahm die kleine Truhe und schaute sie sich von allen Seiten genauer an. Er strich mit den Fingern über die einzelnen Verzierungen und runzelte anschließend die Stirn: „Das ist jetzt echt mal interessant!“

„Was?“, fragte Rune über sein Fahrrad gebeugt.

„Ist dir wohl gar nicht aufgefallen?“, fragte Lars. „Die Truhe hat kein Schloss!“

Verwundert nahm Rune die Truhe an sich und untersuchte sie ebenfalls. Tatsächlich, kein Schloss, und die Truhe ließ sich auch nicht öffnen. Aber sie musste zu öffnen sein. Eine schmale Abstufung des Deckels zum unteren Teil war klar zu erkennen.

„Wirklich merkwürdig. Das schauen wir uns nachher genauer an“, sagte Rune, und dann verstaute er die Truhe vorsichtig in seiner Packtasche und schwang sich in den Sattel.

„Komm, auf ins Freibad.“

Sie genossen ihren ersten Ferientag im Freibad, und da sie zu keiner bestimmten Zeit zuhause sein mussten, blieben sie bis zum frühen Abend. Gerade, als sie gehen wollten, sahen sie Felix, der winkend auf sie zukam.

„Gut, dass ich Euch treffe.“

„Wieso? Willst du die Truhe wiederhaben, weil sie doch eine kostbare Antiquität ist?“, fragte Lars etwas spöttisch.

„Nein, nein. Ich habe aber erst beim Zusammenpacken der Flohmarktsachen eine kleine Schachtel entdeckt, die von den Verzierungen her zu der Truhe passen könnte.“

Felix reichte Rune die kleine Schachtel: „Hier, für eine Portion Pommes gehört sie dir.“

Rune schaute sich die Schachtel nicht näher an, sondern steckte sie gleich in seine Packtasche. Da sie zur Truhe zu passen schien, war sie ihm auch ohne nähere Betrachtung eine Portion Pommes wert. Er gab Felix das Geld und verabschiedete sich von ihm. Zuhause angekommen wollten sie sogleich zu ihrem Vater ins Büro gehen, um ihm die kleine Truhe mit den merkwürdigen Verzierungen zu zeigen, doch ihre Mutter fing sie im Hausflur ab und sagte mit ernster Miene: „Stört euren Vater nicht.“

Die Brüder schauten sie fragend an, wurden aber ohne weiteren Kommentar Richtung Stube bugsiert. Erst dort fuhr ihre Mutter fort: „Die Kriminalpolizei ist hier.“

„Warum, was ist passiert?“

„Es wurde eingebrochen.“

„Wo? Wann?“

Die Antwort ihrer Mutter kam zögernd: „In der Leichenhalle, heute Nacht.“

Das wurde ein spannender Abend für Lars und Rune. Ihre Mutter erlaubte ihnen nicht, in den Hausflur zu gehen und an der Bürotür ihres Vaters zu lauschen. Doch ab und an gelang es ihnen, ihr zu entwischen. Allerdings war es ihnen kaum möglich, etwas vom Gespräch der Kriminalpolizei mit ihrem Vater zu erhaschen, da ihre Mutter sie immer wieder schnell zurückscheuchte. Drei Dinge hatten sie jedoch ganz deutlich gehört: alter Mann, Spielkarte und offener Sarg.

Sie löcherten ihre Mutter mit Fragen, um zu erfahren, was diese Worte bedeuten sollten. Aber sie wich ihnen beharrlich aus und gab nur auf die Spielkarte bezogen zu, dass eine gefunden worden war. Und zwar eine außergewöhnliche. Weder die Kriminalbeamten noch ihr Vater hatten jemals zuvor eine derartige Karte gesehen. Mehr konnte oder wollte sie nicht sagen. Lars und Rune hofften, ihren Vater später sehen und aushorchen zu können, aber daraus wurde nichts. Ihr Vater kam den ganzen Abend nicht mehr aus seinem Büro. Der ominöse Einbruch in die Leichenhalle beschäftigte sie auch noch lange, nachdem sie ins Bett geschickt worden waren. Sie grübelten über das Gehörte nach, bis sie darüber einschliefen.

Das Rätsel um die kleine Truhe ohne Schloss hatten sie derweil völlig vergessen. Doch es sollten nur noch wenige Stunden vergehen, bis die Truhe das Leben von Lars und Rune dramatisch verändern sollte.

Licht

Rune wälzte sich im Schlaf unruhig hin und her und träumte davon, dass er nachts auf einem Friedhof von einem großen Licht verfolgt werden würde. Mit einem Ruck wurde er wach: „Die Taschenlampe.“

Rune kletterte aus dem oberen Bett, schaltete die kleine Schreibtischlampe an und suchte unter Lars Bett nach der Taschenlampe. Von dem Gewühl wurde Lars wach: „Was suchst du mitten in der Nacht?“

„Die rostige Taschenlampe.“

„Wozu das denn?“

„Na, die könnte doch von dem Einbrecher stammen.“

„Oh Mann, das hätte doch auch bis morgen Zeit gehabt. Die Taschenlampe liegt übrigens neben dem Fernseher.“

Rune ging zum Fernseher und wollte gerade nach ihr greifen, als Lars zischte: „Nein, fass sie nicht an!“

Rune zuckte zurück und stieß dabei die kleine Schachtel vom Fernsehtisch, die er von Felix für eine Portion Pommes bekommen hatte.

„Warum soll ich die denn nicht anfassen?“, fragte Rune.

„Wegen der Fingerabdrücke, du Amateur. Wenn die Taschenlampe tatsächlich dem Einbrecher gehört, verwischst du doch alle Spuren, wenn du sie anfasst.“

„Selber Amateur. Wir haben die doch heute Morgen schon die ganze Zeit in der Hand gehabt. Aber gut, ich lasse sie liegen.“

„Gut so, und jetzt geh wieder ins Bett. Ich will schlafen“, grummelte Lars.

„Ja, ja, ich hebe nur schnell die Schachtel auf.“

Rune bückte sich und hielt dann mitten in der Bewegung inne. Der Deckel der kleinen Schachtel war durch den Sturz aufgesprungen und aus dem Inneren leuchtete es. Zögernd hob Rune sie auf. Kaum hatte er sie berührt, kroch das goldfarbene Licht aus dem Inneren langsam über den Rand der Schachtel.

“Lars!“

Lars reagierte nicht, er war schon wieder eingeschlafen. Rune war unsicher, was er tun sollte. Er hielt die Schachtel vorsichtig in der Hand, ging damit zum Bett seines Bruders und setzte sich auf die Bettkante. Das Licht umströmte mittlerweile seine linke Hand und begann, seinen Arm entlang zu wandern. Fasziniert starrte er auf das Licht. Sein Herz pochte und schlug ihm bis zum Hals. Aber er hatte keine Angst vor dem Licht, sondern den Eindruck, dass das Licht ihn erforschte.

„Rune, mach endlich das Licht aus“, grummelte Lars, der wieder wach geworden war.

„Ich bin das nicht“, flüsterte Rune aufgeregt.

„Wer denn sonst“, motzte Lars und drehte sich genervt um. Da sah auch er das Licht, das in dem Moment in Runes Herz eintauchte.

„Rune!“, stieß Lars hervor und starrte seinen Bruder mit offenem Mund an. Dann sah er, wie sich das Licht aus Runes Herz zurückzog und in der Schachtel verschwand.

„Was war das denn?“, wisperte Lars.

„Psst!“, flüsterte Rune. „Es ist noch nicht vorbei. Die Schachtel vibriert ganz merkwürdig.“

Und tatsächlich, wenige Sekunden später öffnete sich diese ganz von alleine. Lars und Rune schauten voller Spannung in die Schachtel. Doch sie war bis auf das Licht leer.

„Gib mal her“, sagte Lars und nahm sie Rune aus der Hand, um besser hineinschauen zu können. Aber auch bei näherer Betrachtung sah er nur das Licht und gab sie Rune zurück. Rune war noch ganz in das schöne Gefühl versunken, das die Berührung des Lichts bei ihm ausgelöst hatte, und tauchte ohne weiter darüber nachzudenken einen Finger in die Schachtel. Kaum hatte er das Licht berührt, erschien in diesem eine Karte. Rune zog seinen Finger zurück und auf der Stelle verschwand diese wieder. Vorsichtig tauchte er ihn erneut hinein und die Karte erschien abermals.

Lars staunte als er die abgebildeten Symbole auf der Karte sah: „Ein Schlüssel, ein Pfau und eine Schlange, die von diesem Licht umhüllt wird. Was soll das denn bedeuten?“

„Keine Ahnung“, antwortete Rune und nahm den Finger aus der Schachtel. Die Karte verschwand.

„Ist das vielleicht ein Rätsel, wie wir die Truhe ohne Schloss öffnen können?“, fragte Lars.

„Die Truhe, natürlich!“, rief Rune aufgeregt. „Auf der Truhe, die wir auf dem Flohmarkt gekauft haben, sind doch so viele Verzierungen.“

Er sprang auf, holte die Truhe und setzte sich zu Lars auf das Bett.

„Hier, hier und hier“, rief er aufgeregt, „hier sind überall Verzierungen. Tiere, merkwürdige Figuren und viele andere Gegenstände.“

„Nicht so laut“, sagte Lars, „oder willst du Mama und Papa aufwecken?“

Dann sah er sich die Truhe ebenfalls genauer an.

„Da, da ist ein Pfau abgebildet“, rief er nun fast so laut wie Rune kurz zuvor. „Sieht aus, als würde er schlafen. Aber eine Schlange sehe ich nicht.“

„Ich auch nicht“, sagte Rune.

„Lass mich mal schauen“, sagte Lars und wollte seinem Bruder die Truhe aus der Hand nehmen. Doch in dem Moment, als die Truhe über Runes Handinnenfläche glitt, spürte Rune, wo die Schlange war: „Die Schlange ist am Boden der Truhe.“

Und tatsächlich, als er die Truhe umdrehte, sahen sie am Boden eine in sich zusammengerollte Schlange.

„Jetzt fehlt nur das Licht. Vielleicht das aus der Schachtel?“

„Kann sein, aber wie kommt das da raus und zu der Schlange?“, fragte Lars.

„Vielleicht folgt es mir, wenn ich meine Hand ins Licht der Schachtel tauche und versuche, es zur Schlange zu führen“, sagte Rune.

„Versuch es“, forderte Lars ihn auf.

Rune hielt seine Hand in die Schachtel und nahm sie dann vorsichtig heraus, um das Licht zur kleinen Truhe und zur Schlange zu führen. Aber es folgte seiner Hand nicht.

„Und wenn du nur einen Finger hineinhältst?“, schlug Lars vor. Rune versuchte es. Doch bevor er den Finger herausnehmen konnte, erschien eine Karte, auf der ein Herz abgebildet war, das eine Hand zu umarmen schien.

„Noch ein Rätsel“, seufzte Lars.

„Aber ein einfaches“, sagte Rune, dem augenblicklich bewusst wurde, was das Rätsel zu bedeuten hatte.

„Wieso einfach?“

„Das Gefühl, das ich vorhin hatte, als das Licht in mein Herz drang, war wie eine Umarmung von Mama, wenn sie mir zeigen will, wie lieb sie mich hat“, antwortete Rune.

Lars schaute seinen Bruder an: „Und was hat das mit dem Rätsel zu tun?“

„Es ist in mir“, sagte Rune und hielt sich die Hand aufs Herz.

„Was ist in…“, weiter kam Lars nicht. Rune nahm seine Hand vom Herzen und Lars konnte sehen, wie sich das Licht über die gesamte Hand ausbreitete und um die Finger schlängelte.

„Wie hast du das gemacht?“, fragte Lars staunend.

Rune lächelte. „Ich habe an Mamas Umarmung gedacht.“

Dann führte er seine Hand unter die kleine Truhe und legte sie auf die Schlange. Lars und Rune warteten gespannt.

„Es passiert ja gar nichts“, sagte Lars ungeduldig.

„Warte“, flüsterte Rune aufgeregt. „Sie bewegt sich.“

Und tatsächlich, die Schlange kroch erst unter Runes Hand und kurz darauf unter der kleinen Truhe hervor. An dem Bären und dem Luchs vorbei und weiter an vielen verschiedenen Dingen und Figuren, die sie teilweise nicht kannten, bis hin zum Pfau. Vor dem Pfau verharrte die Schlange. Es sah so aus, als würde sie mit ihm reden.

„Was macht sie da?“

„Sieht so aus, als würde sie versuchen, den Pfau zu wecken.“ Kurz darauf hob der Pfau tatsächlich den Kopf und schaute die Brüder direkt an. Dann stand er auf und legte den Kopf etwas schief, als würde er nachdenken.

Als sich nichts weiter tat, schaute Rune Lars fragend an: „Und jetzt?“

„Versuch, die Truhe zu öffnen.“

Rune versuchte es, aber es funktionierte nicht.

„Versteh ich nicht“, sagte Lars. „Licht, Schlange, Pfau, Schlüssel. Aber wo ist der Schlüssel? Auf der Truhe ist keiner abgebildet.“

Da begriff Rune, was er zu tun hatte und berührte mit seiner im goldenen Licht strahlenden Hand den Pfau: „Ich bin der Schlüssel.“

Und in dem Moment, als Rune den Pfau berührte, hob dieser seinen Kopf, verneigte sich und schlug ein großes Rad.

Rune zögerte einen Moment. Dann öffnete er die Truhe.

Tchil

Lars und Rune schauten gespannt in die Truhe und erblickten ein fremdartiges Wesen, das sie neugierig ansah.

„Was ist das denn?“, fragte Lars verblüfft.

Rune wusste darauf keine Antwort und starrte weiter in die Truhe, wo das merkwürdige Wesen sich keinen Millimeter bewegt hatte und sie ebenfalls unverwandt ansah.

„Ob da noch mehr in der Truhe ist?“, fragte sich Rune. „Die Truhe ist doch eigentlich viel tiefer.“

„Stimmt, dieses Wesen da ist viel zu klein. Darunter könnte etwas sein. Vielleicht existiert ja ein doppelter Boden, so wie in deinem Buch mit den Zaubertricks. Greif doch mal rein und schau nach.“

„Ich, wieso ich?“, erwiderte Rune. „Wer weiß, was dieses Ding da dann mit mir macht?“

Bevor Lars etwas sagen konnte, hob das fremdartige Wesen einen Arm und aus diesem strömte kurz darauf das ihnen schon bekannte Licht. Es hielt direkt auf Lars zu, umschlängelte seine linke Hand und wanderte dann seinen Arm hinauf, bis es auch bei ihm im Herzen verschwand. Nach wenigen Augenblicken kehrte das Licht zum Wesen zurück.

„Wow“, sagte Lars.

„War es so wie bei mir?“, wollte Rune wissen.

„Es hat sich so angefühlt, wie, wenn ich zuerst vor etwas Angst habe und die Angst dann aber immer kleiner wird, weil Papa mir beruhigend über den Kopf streichelt und mich ganz lieb an sich drückt.“

Überwältigt von diesem schönen Gefühl bemerkte Lars zunächst nicht, dass das Wesen in der Truhe sich wie zuvor der Pfau vor ihnen verbeugte. Erst, als es zu sprechen begann, blickte Lars zur Truhe.

„Lars und Rune. Ihr zwei sollt es also sein.“

„Woher kennst du unsere Namen?“, fragte Lars irritiert. „Und was sollen wir sein?“

„Und, warum siehst du eigentlich so merkwürdig aus?“, murmelte Rune recht undeutlich, aber anscheinend doch verständlich genug.

„Ich sehe so aus, weil ihr mich so sehen wollt. Genau genommen, so wie mich Rune sehen wollte, weil er es war, der die Truhe geöffnet hat.“

„Ich soll mir so etwas wie dich vorgestellt haben, bevor ich die Truhe öffnete?“, fragte Rune ungläubig.

Seufzend schaute das Wesen an sich herab: „Ja, so ist es. Ich bin deinen Gedanken beziehungsweise deiner Phantasie entsprungen. Du kannst beim nächsten Mal gerne an etwas anderes denken. Ich sehe wirklich merkwürdig aus.“

„Das heißt, wenn ich mir beim Öffnen der Truhe vorstelle, dass du aussiehst, wie, wie, keine Ahnung, wie unser Postbote, dann…“