Liebe im Doppelpack - Annegrit Arens - E-Book

Liebe im Doppelpack E-Book

Annegrit Arens

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Beschreibung

Witzig und warmherzig: Die turbulente Komödie "Liebe im Doppelpack" von Erfolgsautorin Annegrit Arens jetzt als eBook bei dotbooks. Lisas Bilderbuch-Leben als Ehefrau und Mutter endet, als sie erfährt, dass Jonas gar nicht der Vorzeige-Ehemann ist, für den sie ihn gehalten hat: Er liebt Frauen offenbar so sehr, dass er gleich mehrere auf einmal braucht. Enttäuscht und wütend setzt sie ihn vor die Tür. Gut, dass sie Kaspar hat – einen Freund fürs Leben! Endlich ein Mann, der ihr zuhört und sie respektiert. Nach und nach muss Lisa sich eingestehen, dass sie Schmetterlinge im Bauch hat. Nur mit einem hat sie nicht gerechnet: Jonas wird eifersüchtig und fordert eine zweite Chance … Jetzt als eBook kaufen und genießen: "Liebe im Doppelpack" von Annegrit Arens. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Seitenzahl: 566

Veröffentlichungsjahr: 2016

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Über dieses Buch:

Lisas Bilderbuch-Leben als Ehefrau und Mutter endet, als sie erfährt, dass Jonas gar nicht der Vorzeige-Ehemann ist, für den sie ihn gehalten hat: Er liebt Frauen offenbar so sehr, dass er gleich mehrere auf einmal braucht. Enttäuscht und wütend setzt sie ihn vor die Tür. Gut, dass sie Kaspar hat – einen Freund fürs Leben! Endlich ein Mann, der ihr zuhört und sie respektiert. Nach und nach muss Lisa sich eingestehen, dass sie Schmetterlinge im Bauch hat. Nur mit einem hat sie nicht gerechnet: Jonas wird eifersüchtig und fordert eine zweite Chance …

Über die Autorin:

Annegrit Arens hat Psychologie, Männer und das Leben in all seiner Vielfalt studiert und wird deshalb von der Presse immer wieder zur Beziehungsexpertin gekürt. Seit 1993 schreibt die Kölner Bestsellerautorin Romane, Kurzgeschichten und Drehbücher. Fünf ihrer Werke wurden für die ARD und das ZDF verfilmt.

Annegrit Arens veröffentlichte bei dotbooks bereits folgende Romane: »Der Therapeut auf meiner Couch«, »Die Macht der Küchenfee«, »Aus lauter Liebe zu dir«, »Die Schokoladenkönigin«, »Die helle Seite der Nacht«, »Ich liebe alle meine Männer«, »Wenn die Liebe Falten wirft«, »Bella Rosa«, »Weit weg ist ganz nah«, »Der etwas andere Himmel«, »Der geteilte Liebhaber«, »Wer hat Hänsel wachgeküsst«, »Venus trifft Mars«, »Süße Zitronen«, »Karrieregeflüster«, »Wer liebt schon seinen Ehemann?«, »Suche Hose, biete Rock«, »Kussecht muss er sein«, »Mittwochsküsse«, »Lea lernt fliegen«, »Lea küsst wie keine andere«, »Väter und andere Helden«, »Herz oder Knete«, »Verlieben für Anfänger«, »Liebesgöttin zum halben Preis«, »Schmusekatze auf Abwegen«, »Katzenjammer deluxe«, »Ein Pinguin zum Verlieben«, »Absoluter Affentanz«, »Rosarote Hundstage«, »Die Liebesformel: Ann-Sophie und der Schokoladenmann«, »Die Liebesformel: Anja und der Grüntee-Prinz«, »Die Liebesformel: Tamara und der Mann mit der Peitsche«, »Die Liebesformel: Susan und der Gentleman mit dem Veilchen«, »Die Liebesformel: Antonia und der Mode-Zar« und »Die Liebesformel: Ann-Sophie und il grande amore«.

Die Autorin im Internet: www.annegritarens.de

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eBook-Neuausgabe Juli 2016

Dieses Buch erschien bereits 1995 unter dem Titel »Der nächste Mann ist auch nicht anders« im Bastei-Verlag Gustav H. Lübbe GmbH & Co.

Copyright © der Originalausgabe 1995 by Annegrit Arens und Bastei-Verlag Gustav H. Lübbe GmbH & Co., Bergisch Gladbach

Copyright © der Neuausgabe 2016 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von shutterstock/Oranzy

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH

ISBN 978-3-95824-646-1

***

Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

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Annegrit Arens

Liebe im Doppelpack

Roman

dotbooks.

Kapitel 1Ein Kaktus heiratet

Von weitem sah es wie eine Lokomotive aus dem Bilderbuch aus: glänzend schwarz mit knallroten Rädern und dicken weißen Dampfwolken. Aber Gehäuse und Laufwerk waren in Wirklichkeit bunt lackiertes Sperrholz, und der Dampf war eine mit Watte beklebte Schablone. Jedesmal, wenn die Tür im Führerstand aufging, kam eine junge Frau in weißem T-Shirt und mit rotem Käppi heraus.

»Paß auf!« brüllte eine Kinderstimme. Eine Spielzeugfeuerwehr schoß blitzschnell auf Lisa zu. Sie tat einen Satz, der Stapel Zellstofftücher rutschte ihr vom Arm und das rote Käppi vom Kopf.

»Hui! Das war knapp!« Lisa bückte sich und rieb sich das Bein.

Ein kleiner Junge krabbelte auf sie zu, grabschte nach der Feuerwehr und ließ sie mit Schwung in die entgegengesetzte Richtung fahren. »Nix passiert!« sagte er.

»Doch!« widersprach Lisas Kollegin, die am Empfang der Kinderarztpraxis saß. Sie zeigte auf die Schramme an Lisas Schienbein.

Die Tür im Führerstand der Lok klappte wieder auf. Ein weißgekleideter Mann streckte den Kopf heraus: »Keine Passagiere mehr da?«

»Du bist dran«, sagte Lisa zu dem Jungen. »Die Feuerwehr darfst du mit reinnehmen!«

Sobald der Junge mit seiner Mutter in der Lok verschwunden war, markierte Lisas Kollegin drei Kreuzzeichen über ihrer Brust: »Bälger! Ich überleg’ mir das noch mit eigenen Kindern.«

»Ich nicht. Ich möchte ein halbes Dutzend haben.« Lisa faltete die Zellstofftücher neu zusammen.

»Und dein Jonas?« fragte die andere.

»Na ja«, Lisa drehte nachdenklich an ihrem Haarzopf, »zwei tun’s vielleicht auch.«

Dann ertönten gleichzeitig Telefon und Türgong. Lisas Kollegin hob den Hörer ab und zeigte beschwörend auf ihre Armbanduhr und von dort zur Tür.

Lisa schüttelte den Kopf. »Und wenn’s nun ein Notfall ist?« Sie öffnete, ein Zwillingspärchen stürmte herein, wenig später folgte die aufgeregte Mutter:

»Wir haben Läuse im Kindergarten. Haben Sie Erfahrung mit Läusen?«

»Nicht direkt!« Lisa kratzte sich am Kopf. Plötzlich juckte ihre Kopfhaut. Bei ihren langen Haaren wären Läuse eine Katastrophe. Jonas war vernarrt in ihre langen Haare, besonders wenn sie sie offen trug. Natürlich steckte sie ihre Haare in der Praxis zusammen oder flocht sich einen Zopf.

»Haben SIE Erfahrung mit Läusen?« wiederholte Lisas Kollegin in den Telefonhörer, schwieg dann einen Moment lang und fügte kichernd hinzu: »Aber vielleicht heute abend. Ihre Freundin kratzt sich schon. – Lisa, für dich!«

»Ich bin gefangen«, rief Lisa. Die beiden Kinder hatten sich rechts und links an sie gehängt und produzierten Indianergeheul, während ihre Mutter auf sie einredete, was aber das Zerren und Kichern nur noch verstärkte. »Sag Jonas, daß es später wird, okay?«

»Ich soll sagen, daß es spät wird und Lisa von einem halben Dutzend Kindern träumt, falls sie die Läuse und deren Besitzer überlebt.«

Lisa tippte sich gegen die Stirn, ihre Kollegin tippte auf ihre Armbanduhr, die Zwillinge johlten, ihre Mutter schrie gegen das Johlen an.

Die nächste Stunde war Lisa vollauf mit ihren kleinen Patienten beschäftigt. Der Junge wollte die Feuerwehr nicht wieder hergeben, und die Zwillinge wollten lieber Verstecken spielen, als ihre Köpfe nach Nissen absuchen zu lassen. Die beiden büchsten immer wieder aus, die Mutter jagte hinterher, zwischendurch steckte Lisas Kollegin den Kopf durch die Lokstandtür und zeigte über den vorgewölbten Rücken ihres Chefs hinweg in Fingersprache an, wie spät es schon war. Erst als Lisa sich ein Kind zwischen die Knie klemmte, kam Ruhe auf. Das Mädchen hörte auf zu zappeln und lehnte sich wohlig zurück, während Lisas Finger systematisch die Haare teilten und der Arzt mit der Lupe kontrollierte. Leider wurde er nur bei einem Zwilling fündig, woraufhin der andere Zwilling kollerte, weil er keine Laus vorzuweisen hatte. Die Mutter erregte sich ebenfalls, allerdings über die vorhandenen Nissen beim ersten Zwilling, der mit allen Anzeichen des Triumphs aus der Praxis stolzierte: »Ich hab’ Läuse und du nicht!« Es folgten Geheul und das ›Psst!‹ der Mutter, dann fiel unten die Haustür ins Schloß.

»War das komisch!« Lisa kicherte.

»Gar nicht komisch! Das war schon die dritte Überstunde diese Woche«, schimpfte ihre Kollegin, während sie aus ihren Gesundheitssandalen in Pumps überwechselte und das weiße T-Shirt gegen eine knapp sitzende Corsage austauschte. »Kommst du noch mit ins Connection?«

»Geht nicht!« Lisa zog sich einen weiten Baumwollpulli über den Kopf: »Ich muß noch bei meiner Schwiegermutter die Blumen gießen. Sie ist verreist.«

»Hat das Familienministerium sich schon bei dir gemeldet?«

»Wieso?«

»Zur Ordensverleihung für die beste Schwiegertochter-in-spe und die fadeste Verpackung. Wenn ich deine Figur hätte, würde ich anders rumlaufen.«

»Tust du ja!« Lisa warf einen anzüglichen Blick auf den Stretchstoff, der die üppige Figur ihrer Kollegin naturgetreu abmalte.

Einen Augenblick lang überlegte Lisa, wie Jonas wohl reagieren würde, wenn sie selbst so daherkäme. Er äußerte sich selten zu dem, was sie trug. Eigentlich waren sie beide Modemuffel, und in seiner Kieferklinik lief Jonas sowieso ständig im weißen Arztkittel oder im grünen OP- Dreß herum. Kleider waren nicht weiter wichtig! Der nächste Urlaub war wichtig. Und eine eigene Wohnung. Solange Jonas noch im Haus seiner Mutter wohnte und Lisa nur ihr möbliertes Zimmer hatte, würde es nie so sein, wie es sein könnte. Lisa stellte sich vor, wie es wäre, sich jeden Abend an Jonas zu kuscheln, zusammen mit ihm einzuschlafen und wieder mit ihm aufzuwachen. Es müßte herrlich sein! Manchmal war es am Wochenende so, wenn Jonas nicht in die Klinik mußte und sie beide das Haus seiner Mutter für sich allein hatten. Lisa wußte schon genau, wie ihre gemeinsame Wohnung aussehen sollte: Sehr hell und mit vielen Blumen, sie liebte Blumen. Jonas fand Blumen auch schön, aber er kümmerte sich nicht um sie, weshalb seine Mutter diesmal Lisa für die Zeit ihrer Abwesenheit einen Hausschlüssel gegeben hatte: »Sei so lieb, Lisa! Sonst sind meine Margeritenbäumchen wieder hin.«

Also stieg Lisa, als sie die Praxis verließ, auf ihr Rad und fuhr Richtung Zollstock zum Haus von Agnes Bell. Wenn Jonas wie heute wußte, daß es bei ihr später wurde, fand er gewöhnlich auch noch etwas in der Klinik zu tun oder ging auf ein oder zwei Bier mit den anderen Assistenzärzten in die nächste Kneipe. Seit neuestem gehörte auch eine Frau zum Team, eine Silvie Irgendwas. Ganz kurz stellte Lisa sich ein Wesen in knallengem Stretch vor, aber dann konzentrierte sie sich wieder auf den Verkehr auf dem Raderthalgürtel. Jonas mochte es nicht, wenn sie eifersüchtig war: »Unsere Liebe ist ein Dauerbrenner, weißt du doch!« Jedesmal, wenn er das sagte, mußte Lisa lachen. Ein bißchen traurig war allerdings, daß dieser Dauerbrenner nach drei Jahren noch immer kein festes Zuhause hatte, und ein Freundschaftsring war kein Ehering. Lisa schwang ihren langen Haarzopf zurück und trat kräftiger in die Pedale. Wahrscheinlich war sie für ihre vierundzwanzig Jahre wirklich verdammt altmodisch. Wenn Jonas wüßte, daß sie die dicke Mappe mit den Bildern von Traumhochzeiten und Brautkleidern und Vermählungsanzeigen und sogar Speisekarten von Hochzeitsmenüs noch immer aufbewahrte, würde er sie nur auslachen.

Lisa fuhr langsamer. An der Ecke lag das belgische Eiscafé, dessen Besitzer die Eiswaffeln noch selbst buk. – Soll ich? Soll ich nicht? – Lisa entschied, zuerst die Blumen zu gießen, heimzufahren und auf Jonas zu warten. Zusammen mit ihm schmeckte sogar das Eis besser. Joghurteis und Stracciatella, immer dieselbe Sorte und immer Jonas. Sie würde ihn schon noch in einen schwarzen Anzug bugsieren! Zu einem weißen Brautkleid gehörte nun mal ein dunkler Anzug! Ganz kurz wunderte Lisa sich über das Gartentörchen am Haus von Agnes Bell, das offenstand. Sie würde Jonas daran erinnern, daß er es morgen zuzog, weil sonst wieder der Hund von nebenan die Beete umwühlte. Lisa schloß die Haustür auf. War da Musik? Jonas mußte heute morgen reichlich zerstreut gewesen sein, wenn er das Gartentörchen und die Musikanlage vergessen hatte. Lisa griff sich die Gießkanne und lief die Treppe hoch. Die Musik war tierisch laut. Techno! Lisa mochte dieses harte Bumpern nicht, das ihr Bauchfell vibrieren ließ. Sie klinkte mit der freien Hand die Tür zu Jonas’ Zimmer auf.

Der Rhythmus stampfte. Der Bewegungsbildschirm des PCs zeigte bunte Schmetterlinge. Der Drehstuhl wies nun mit der Lehne zum Monitor. Jonas saß auf dem Stuhl.

Den Jeans und dem karierten Hemd und der Figur nach zu urteilen, mußte es sich um Jonas handeln. Sonst war nicht allzuviel von ihm zu erkennen, weil die Frau, die hinter ihm stand, mit schwingenden Brüsten und Haaren über ihm hing. Einen Moment lang bemerkten die beiden nicht einmal, daß sie nicht mehr allein waren. Einen Moment lang stand Lisa wie erstarrt mit der Gießkanne in der Hand. Dann schwang der Haarvorhang vor ihr hoch, das Gesicht einer fremden Frau in körperbetontem und tief dekolletiertem Stretch folgte, Jonas starrte Lisa an.

Lisa holte aus. Kräftig! Ihre Hand hinterließ ein rotes Mal in seinem Gesicht, und aus der Gießkanne schoß gleichzeitig ein Wasserstrahl, der den Teppichboden und die Pumps der anderen erwischte. Die schrie. Jonas schrie auch. Lisa machte kehrt und rannte los. Die Treppe hinab, aus dem Haus, an ihrem Fahrrad vorbei, die Markusstraße entlang, am Südfriedhof und an dem Eiscafé mit den selbstgebackenen Waffeln vorbei, immer weiter. Sie war gut durchtrainiert, weil sie zweimal die Woche zum Jazztanz und außerdem jeden Mittwochnachmittag ins Fitness-Studio Bodyline ging. Sie hörte das Rufen hinter sich und hörte es auch wieder nicht. Sie mußte einfach weiterlaufen. Sie wartete nicht einmal, bis die Ampel umschaltete. Sie hörte auch nicht auf das wütende Hupen eines Autofahrers. Laufen, laufen, laufen und nicht nachdenken. – Roter Stretchstoff, daraus kullerten diese fremden Brüste, darunter Jonas. – Und sie goß seiner Mutter die Blumen! – ›Hat sich das Familienministerium schon gemeldet?‹ – Aus! Vorbei!

Jonas holte Lisa erst kurz vor dem Haus ein, in dem sie zur Untermiete wohnte. Er packte ihren Arm und keuchte. Lisa keuchte auch.

»Du brauchst mir gar nichts zu erklären!« japste sie.

»Ich erklär’ dir nichts! Du bist wahnsinnig!« japste er.

»Ich?«

»Du?«

»Wer macht zwischen fremden Titten rum?«

»Wer prügelt wild um sich?«

»Ich hab’ nicht geprügelt. Das war eine Ohrfeige. Wohlverdient!«

»Ich hab’ nicht rumgemacht. Das war sie.«

»Und du warst das Opfer?«

»Na ja, nicht ganz! Eigentlich wollte ich ihr nur was auf meinem PC zeigen.«

»Briefmarken?«

»Krieg dich ein! Silvie ist ’ne heiße Nudel, und ich bin ein Mann und kein Ehekrüppel.«

»Dann nudel mal schön!« Lisa zog den Schlüssel aus ihrer Tasche, doch da wurde die Tür schon von innen geöffnet. Lisas Hauswirtin war sehr hellhörig und sehr auf den Ruf ihrer Wohnung bedacht. Für Jonas hatte sie allerdings ein Faible. Jetzt ließ sie ihn hinter Lisa ins Haus ein, obwohl er nicht mehr dazugehörte.

Lisa wartete, bis die Tür ihres möblierten Zimmers geschlossen und die Schritte der Frau verklungen waren.

»Wer hat dir erlaubt…?« flüsterte sie und zeigte auf die Tür.

»Ich will mit keiner anderen nudeln!« flüsterte Jonas zurück.

»Ich bin keine nur zum Nudeln! Merk dir das!«

Jonas sah sich kurz um, faßte nach dem winzigen Kaktus auf der Fensterbank und ging in die Knie: »Ich frage dich, Lisa Schmitter …?« Er grinste lausbübisch zu Lisa hoch und hängte ein »Besser so?« an.

Lisa verzog keine Miene. »WAS fragst du mich?«

»Muß ich wirklich?«

»Du mußt gar nichts!«

Jonas zwängte eine Hand in die Tasche seiner Jeans, zerrte ein Päckchen Tempotaschentücher heraus, faltete eines davon auseinander, legte es wie einen Schleier über den kugeligen Stachelkopf des Kaktus und hielt sich den winzigen Topf vor das Gesicht: »Ich frage dich, Lisa Schmitter, willst du meine Frau werden, in guten und schlechten Zeiten mit mir nudeln und meine Socken stopfen, dann sage ›Ja‹!«

Lisa griff nach der Hand von Jonas, die den Topf festhielt, und tippte dagegen, so daß der Kaktus nach vorn nickte: »Ich will! Bis auf das Sockenstopfen, das überleg’ ich mir noch.«

»Dann hilf mir wenigstens hoch! Diese Holzdielen sind ’ne Zumutung für meine spitzen Knie.«

Lisa streckte eine Hand aus und zog. Der Schwung reichte aus, um beide zusammen in die Nähe der Bettcouch stolpern zu lassen, die Jonas geschickt mit einer Fußspitze ausklappen ließ.

»Meine Wirtin«, protestierte Lisa.

»In allen Ehren!« Jonas massierte demonstrativ seine Knie und zog dann an dem Sweatshirt von Lisa. »Mußt du dich eigentlich so vermummen?«

»Ich bin keine Stretchnudel! Und falls du meinst, du könntest mich mit ’ner Kaktushochzeit einwickeln, bist du schief gewickelt.« Lisa stemmte sich heftig gegen Jonas, der stieß gegen den Tisch, der Schleierkaktus fiel auf den Holzboden. PÄNG!

Prompt klopfte es von draußen gegen die Tür: »Ist alles in Ordnung?«

»Bestens! Alles bestens!« rief Jonas.

»Aber es hat etwas geklirrt.«

»Polterscherben!« rief Lisa.

Jonas tippte sich gegen die Stirn: »Bist du noch ganz gescheit, jetzt haben wir sie am Hals!«

Womit er recht behielt. Frau Kreuser verwahrte in ihrem Kühlschrank immer eine Flasche Sekt für besondere Anlässe auf, außerdem hatte sie es ja längst geahnt. Jonas schaffte es in letzter Sekunde, die Bettcouch mit einem kräftigen Tritt zusammenzuschieben. Dann durfte er im Wohnzimmer nebenan die Flasche entkorken. Dem zaghaften PLOP nach zu urteilen, mußte die Flasche schon sehr lange auf einen besonderen Anlaß warten. Lisa lächelte. Frau Kreuser lächelte. Jonas lächelte auch und leerte in einem unbemerkten Augenblick blitzschnell sein Glas in den Topf des Gummibaums neben sich.

»Der arme Ficus!« flüsterte Lisa.

»Der arme Jonas!« flüsterte er.

Schon griff Frau Kreuser nach der Flasche, schenkte nach und hob Jonas ihr Glas entgegen:

»Natürlich habe ich nichts dagegen, wenn Sie heute bei Ihrer Braut bleiben wollen. Schließlich leben wir nicht mehr im vorigen Jahrhundert.«

»Wie wahr!« Jonas stieß mit Lisas Zimmerwirtin und dann mit Lisa selbst an, wobei er ihr »Glücklicher Jonas!« ins Ohr flüsterte. Das Flüstern am Ohrläppchen fand wiederum Frau Kreuser sehr romantisch. Es fiel ihr deutlich schwer, sich von dem Brautpaar zu trennen. Erst als die Flasche geleert war, durften die beiden gehen.

Mit einem Seufzer der Erleichterung betätigte Jonas erneut die Bettcouch: »Wenn sie uns noch einmal stört, bringe ich sie um!«

»Wenn du noch einmal mit ’ner Stretchnudel rummachst, bringe ich dich um!«

»Wenn du mich noch einmal ohrfeigst, lasse ich mich scheiden!«

»Okay! Aber dazu müssen wir erst mal heiraten. Wann?«

»Bald!«

»Wie bald?«

»Denk an die Wohnungsnot! Ein verheirateter Kollege von mir wohnt im Container. Willst du im Container füttern?«

Lisa schüttelte den Kopf.

Nachdem Jonas dann doch heimgefahren war, weil er keine frische Wäsche dabeihatte und Lisas Bettcouch zu unbequem fand, stand sie noch einmal auf, öffnete ihren Kleiderschrank und zog die dicke Mappe mit den Hochzeitsbildern unter einem Stoß Bettwäsche hervor. Sie blätterte Seite für Seite um. Mittendrin hörte sie plötzlich auf und klappte die Mappe energisch wieder zu. Sie würde nicht im Container füttern und nicht in einem praktischen Vielzweckkleid heiraten und nicht auf ein Wunder warten. Sie würde das Wunder selbst in die Hand nehmen. Gleich morgen!

Kapitel 2Kutscherhaus in der Großstadt

Vorsichtig begann Lisa, die quer in den Raum gelegte Riesenkaktee von dem Bambusstock loszubinden. Dabei behielt sie die Tür zur Diele hin im Auge. Kaum tauchte der Schatten von Jonas hinter dem Türglas auf, rief sie warnend: »Achtung!«

»Wieso Achtung?« Die Tür schwang auf, stieß gegen die am Boden liegenden grünen Wülste und stoppte. Jonas reagierte erst, als sein Hosenbein an den Stacheln eines Pflanzenarmes hängenblieb.

»Himmel, Arsch und Zwirn!« fluchte er.

»Nee!« widersprach Lisa. »Sie heißt Königin der Nacht.«

»Und was treibt die Königin auf dem Wohnzimmerteppich meiner Mutter?«

»Ich topfe sie um. Deine Mutter wird jubeln.«

»ICH jubele nicht.«

»Wetten, daß die Königin in diesem September auch wieder blüht?«

»Meinetwegen kann sie auch twisten oder abnibbeln. Wir sehen’s sowieso nicht, weil wir im September en la calle Erdnüsse mampfen oder in Baja California in einer Hängematte schaukeln werden.« Jonas klopfte auf die Bücher, die er sich unter den Arm geklemmt hatte.

»Mexikanisch kannst du auch schon?« fragte Lisa und löste vorsichtig Stachel für Stachel von Jonas’ Hosenbein.

»Por favor!« Jonas hob stolz die andere Hand mit dem Wörterbuch darin. »›En la calle‹ heißt übrigens ›auf der Straße‹. In Mexiko kannst du dich für ein paar Pesos auf der Straße satt futtern und für lau an Traumstränden in den Schlaf schaukeln. Haben wir unsere alte Hängematte eigentlich noch?«

»September ist Regenzeit in Mexiko!« Lisa zeigte auf das befreite Hosenbein. »Por favor!«

»Muchas gracias!« Jonas strich prüfend über den Jeansstoff und fuhr dann fort: »Warmer Sommerregen! Du kannst den Bananen und Papayas beim Wachsen zusehen.«

»Und Montezumas Rache ernten?«

»Nicht bei Schalenobst! Was ist los? Hast du keine Lust mehr?«

»Schon!« Lisa faßte nach den Wurzelballen. »Heb mal mit an!«

»Ich hasse Gummiköniginnen, die einmal im Jahr nachts blühen und mich pieksen.«

»Stell dir vor, es wäre ’ne Gumminudel in rotem Stretch! Hauruck!« Lisa stemmte, Jonas stemmte auch, zusammen hievten sie das Pflanzenungetüm in von den Lisa mit frischer Erde gefüllten Tonkübel, preßten und drückten, bis die Königin der Nacht in ihrem neuen Bett Halt gefunden hatte.

»So!« Lisa wischte sich zufrieden die Erdkrümel an ihrer Hose ab.

Jonas säuberte sich ebenfalls, fluchte kurz über ein Fitzchen Blumenerde an seinen Reiseführern, wischte mit dem Ärmel über das Deckblatt des zuoberst liegenden Buches und schlug es dann auf.

»Weißt du eigentlich, wo ›Santa Rosalia‹ liegt?«

»Hm!« Lisa sammelte Bastfäden und Gartenwerkzeug auf.

»Hör zu! ›In Santa Rosalia trifft die MEX 1 auf die Küste des Mar de Cortès. Am Fuße des erloschenen Vulkans Très Virgenes‹, das bedeutet drei Jungfrauen, ›schlängelt sich die Straße an rostroten Lavafeldern und Kakteen vorbei‹. Hörst du, deine geliebten Kakteen wachsen dort in freier Natur!«

»Hm!« Lisa verknotete sorgfältig zwei Zipfel von dem Plastiksack mit Kakteenerde.

»Es gibt in Santa Rosalia sogar eine von Gustave Eiffel entworfene Kirche«, fuhr Jonas eifrig fort.

»Sie wurde zuerst in Brüssel aufgebaut und dann wieder zerlegt und in Einzelteilen nach Mexiko gebracht. Hast du das gewußt?«

Lisa richtete sich auf. »Brüsseler Straße«, sagte sie lebhaft.

»Brüssel! Nicht Brüsseler Straße!«

»Ich meine aber die Brüsseler Straße hier in Köln. Du weißt doch, gleich um die Ecke vom Gonzales & Gonzales.«

»Belgisches Viertel«, brummte Jonas.

»Dort gibt es noch ein echtes Kutscherhaus der Familie Rothschild.«

»Das hat garantiert nicht Gustave Eiffel entworfen, und es ist bestimmt auch nicht in Einzelteilen nach Mexiko verfrachtet worden.«

»Zum Glück nicht!«

»Okay! Am Sonntag sehen wir es uns an. Also, dieses Santa Rosalia…«

Lisa sprang hoch. Der Sack mit Blumenerde kippte wieder um, der Knoten löste sich, es rieselte braune Krümel. Lisa kümmerte sich nicht tun die Erde, sondern fiel Jonas um den Hals: »Du bist ein Schatz! Ich hab’s ja gewußt. Die wollen sage und schreibe nur siebenhundertfünfzig kalt für das Kutscherhaus haben. Mitten in der Stadt! Echt Rothschild! Wir werden sehr glücklich dort sein.«

»Kein Museum?« fragte Jonas irritiert.

»Witzbold! Ich habe unser Traumhaus gefunden.«

Lisa redete noch beim Abendbrot und beim Abendspaziergang und nach den Nachrichten von dem Kutscherhaus: Zwei Zimmer mit Schräge unterm Dach, die Stellfläche im Parterre konnten sie sich selbst einteilen, sogar ein eigenes Stück Hof gehörte dazu.

Jonas suchte nach dem Pferdefuß, weil niemand ein ganzes Haus für siebenhundertfünfzig Mark hergab. Erst recht nicht im Belgischen Viertel, wo schon früher die Großkopferten residiert hatten.

»Traumprinzessin, das gibt’s nicht! Du bezahlst doch schon für deine lausige Kammer ohne Bad dreihundertfünfzehn.«

»Wetten!« widersprach Lisa. »Der Hausbesitzer hat das Kutscherhaus an einen Bildhauer vermietet, der nach Frankreich zieht und uns seinen Zehnjahresvertrag mit Festmietklausel überlassen würde, weil ich seine Zwillinge gebändigt habe.« Das kostenlos zu stellende Logis bei Köln-Besuchen des Künstlers sowie das Unterstellen von Skulpturen verschwieg Lisa vorsichtshalber noch.

Jonas zeigte auf den Fleck an Lisas Schienbein, der mittlerweile grün-gelb changierte. »Die beiden waren das?«

»Nein«, sagte Lisa, »die Zwillinge waren die mit den Läusen.«

»Okay, der Läuse-Vater ist dir was schuldig. Nur gehört ihm das Haus nicht, und falls der echte Besitzer auf die Idee kommt, seine Pferdegarage abzureißen und ein Bürohaus hochzuziehen, bist du dran.«

»Appartementhaus«, verbesserte Lisa. »Der Hausbesitzer will alles abreißen und sechs Appartements dorthin bauen.«

»Toll!« Jonas lehnte sich bequem zurück. »Und so etwas wolltest du mieten?«

»Der Clou ist, daß ich weiß, daß es keinen Abriß geben wird.« Lisa berichtete von ihrem Weg zum Amt für Denkmalschutz und dem netten Konservator, der bereits alles Nötige in die Wege geleitet hatte. »Wir brauchen nur noch als Untermieter von Kaspar Troll zu unterschreiben. Kaspar Troll ist der Bildhauer.«

»Hast du schon mal was von Mietterror gehört? Der Hausbesitzer würde uns aus Wut die Scheiben einschlagen lassen.«

»Glaub’ ich nicht. Er ist nämlich Stammgast in deiner Klinik. Der Herr mit dem Überbiß und dem doppelten Adelstitel.« Lisa zog die Nase kraus und schob die obere Zahnreihe über die Unterlippe.

»Du solltest dir ein Beispiel an Herrn von und zu Überbiß nehmen!« Jonas tippte gegen Lisas Schneidezahn, der leicht schief gewachsen war. »Außerdem bist du ganz schön ausgekocht! Irgendwie hab’ ich immer gedacht…«

»Ja?« Lisa kuschelte sich an ihn.

»Ich hab’ eben immer gedacht, daß du sehr süß und romantisch und eigentlich zu gut für diese Welt bist.«

»Nee«, lachte Lisa, »ich bin j a nicht blöd. Ich bin romantisch und alles, aber wenn man nicht selbst dran dreht, dann passiert auch nichts.«

»Hm!« Jonas stand auf, ging zur Anrichte und zog den Stöpsel aus einer Kristallkaraffe. »Ich glaube, ich brauche jetzt Mutters Spezialmedizin. Wie war das noch mit deiner Ohrfeige und dem Schleierkaktus? Hast du dabei auch gedreht?«

»Die Ohrfeige hattest du dir redlich verdient, und die Idee mit dem Kaktus war deine eigene und total süß. Das war der originellste Heiratsantrag des Jahrhunderts.«

»Es hätte ja auch bloß ein Joke sein können.« Jonas schnupperte an dem Glasstöpsel und äugte angestrengt durch die Öffnung des Karaffenhalses.

»Ach so!« Lisa stand auf.

»Aber so war’s natürlich nicht.« Jonas faßte rasch nach Lisas Arm. Er zog sie an sich und preßte sie zusammen mit dem Likör an seine Brust: »Natürlich ist dein Kutscherhaus auch wahnsinnig originell. Als Idee!« Jonas beugte sich vor und nibbelte an der zarten Haut von Lisas Hals.

»Übersetz mal ganz schnell ›Habitación individual para dos personas!‹« murmelte er in die warme Kuhle über dem Schlüsselbein.

»Ich liebe dich«, schlug Lisa vor und schloß die Augen, weil dieses zarte Zupfen sich sehr gut anfühlte.

»Nicht ganz«, grinste Jonas, »wörtlich heißt das Einzelzimmer für zwei Personen‹ und bedeutet, daß wir in Mexiko zwischen unserer Hängematte und einem Doppelbett zum halben Preis hin und her pendeln können. Hin und her!« Jonas glitt mit den Lippen von der rechten Halsseite zur linken und wieder zurück. Hin und her, es machte Lisa total schwach. Sie ließ sich auf das Sofa zurückziehen, wo sie beide nun zusammen die bunten Bilder in den Reiseführern durchblätterten, Likörmedizin tranken, die Königin der Nacht und Mexiko und dann ihre Liebe hochleben ließen. Auf ihre Liebe stießen sie so oft an, bis in der Karaffe nur noch ein Bodensatz zu sehen war und Lisa mit den S-Lauten kämpfte. Alle Wörter, die mit ›S‹ anfingen, hatten es plötzlich auf diesen einen Schneidezahn abgesehen, der aus der Reihe sprang und auf der einen Seite eine Ecke vor seinen Zahnkollegen schob, dafür aber zur anderen Seite hin einen winzigen Spalt freiließ. Der Spalt ließ jedes ›S‹ zischen.

»Zeiße«, sagte Lisa.

»Eben«, sagte Jonas zärtlich. »Wann läßt du dir endlich diesen schiefen Zahn von mir richten? Die Leute müssen ja glauben, ich verstünde nichts von meinem Handwerk.«

»Wann siehst du dir mein Kutscherhaus an?«

Jonas seufzte. »Meinetwegen am Sonntag.«

»Prima! Herr von und zu Überbeißer schwärmt übrigens förmlich von dir. Als deine Frau und Mieterin von seinem Kutscherhaus könnte ich glatt in Zugzwang geraten und mir die Sache mit meinem schiefen Zahn überlegen.«

»Drehst du schon wieder?« fragte Jonas mißtrauisch.

»Zehe iss so aus?« zischelte Lisa und achtete darauf, daß jedes ›S‹ frontal gegen den bewußten Zahn prallte, während ihre Hand zärtlich an der Knopfleiste von Jonas’ Jeanshemd zugange war.

Diesmal fand er ihre S-Laute nur noch niedlich. Und Lisa war überzeugt davon, daß niemand außer Jonas in der Lage wäre, ihr die panische Angst vor der Betäubungsspritze und dem Bohren und Feilen in ihrem Mund zu nehmen. Wenn überhaupt einer, dann würde Jonas den vermaledeiten Schneidezahn richten!

Ob sie Jonas schon einmal auf die unterentwickelte Sanitärkeramik und das Heizungsproblem und die Kaution vorbereiten sollte? – Besser nicht!

Lisa rief den Künstler Kaspar Troll gleich am nächsten Morgen von der Praxis aus an und vereinbarte einen Termin für den Sonntag vormittag. Jonas fände die Idee, in einem echten Kutscherhaus zu wohnen, auch wahnsinnig toll, sagte sie. Was nicht einmal gelogen war, denn schließlich hatte Jonas wortwörtlich von ihrer wahnsinnig originellen Idee‹ geredet.

Danach wog und maß Lisa wieder wie gewohnt Säuglinge, zog Impfspritzen auf und desinfizierte aufgeschlagene Knie. Allerdings hatte sie heute Mühe, sich auf ihre kleinen Patienten zu konzentrieren, weil ihre Gedanken immer wieder zum kommenden Sonntag voreilten. Sie stellte sich vor, wie sie Jonas durch das schmiedeeiserne Gitter am Vorderhaus über das buckelige Hofpflaster zu der Remise führte, die jetzt im Frühjahr einem Biotop glich: Überall rankte Knöterich, in Tonkübeln wuchsen Tomatenstauden und Oleanderbüsche, eine Art Regentonne war zum Fischbassin umfunktioniert worden, sogar zwischen den Pflastersteinen wucherten Grashalme und Gänseblümchen. Es war die absolute Idylle und würde auch Jonas begeistern. Zum Glück verbarg das üppige Grün die zahlreichen Risse und die feuchten Rostspuren, auf die Kaspar Troll sie hingewiesen hatte. Was waren schon ein paar Mauerrisse und feuchte Stellen gegen ein Haus ganz für sie beide allein mitten in der Stadt?

»Sie werden doch nicht etwa krank?« fragte Dr. Meusling.

»Wie?« Lisa war in Gedanken gerade bei dem Konservator angelangt, der ihr eine preiswerte Adresse für das Abziehen der Holzdielen besorgen wollte. Denkmalschutz ließ sich steuerlich prima absetzen, das mußte sie unbedingt Jonas sagen, der bald seinen Facharzt machen würde und dann dringend absatzfähige Unkosten brauchte, um nicht voll in die Steuerprogression zu geraten. Zusammen mit dem Ehesplitting würden sie beide eine Menge Geld sparen.

»Ob mit Ihnen alles in Ordnung ist, wollte ich wissen«, wiederholte Dr. Meusling. »Sie sind heute so still.«

»Mit mir ist alles bestens«, versicherte Lisa. »Ich war einfach so in Gedanken.« Sie faltete das Tuch auf der Untersuchungsliege ordentlich zusammen und legte es oben auf den Stapel sauberer Zellstofftücher im Regal.

»Das Tuch!« Dr. Meusling zeigte auf die Untersuchungsliege.

»Habe ich gerade eingeräumt.«

»Eben«, sagte Dr. Meusling, »es war doch schmutzig.«

Lisa spürte die Wärme in ihrem Gesicht. Hinter ihr kicherte ihre Kollegin Elke. Elke war eine blöde Kuh, und ihre Vorliebe für bis zum Bauchnabel dekolletierte Stretchschläuche war geradezu peinlich. Elke hatte es nötig! Immerhin hatte ihr Chef das richtige Feeling für die falschen Töne von Lisas Kollegin.

»Haben Sie mit meinem Sohn die Therapie für heute nachmittag abgesprochen?« fragte er nämlich in dieses alberne Kichern hinein. Seinem Tonfall nach zu urteilen, erwartete er, daß Elke die Sondertermine für den Freitag nachmittag wieder einmal verschwitzt hatte. Letzten Freitag hatte sie auch vergessen, die geänderten Anfangszeiten für das Babyturnen an die betreffenden Mütter weiterzugeben. Heute sollte der Sohn von Dr. Meusling, der HNO-Arzt war, über diphterische Entzündungen der Schleimhaut des Kehlkopfs beim Kleinkind referieren. Lisa drehte sich lächelnd zu Elke um. Jetzt kam’s!

»Selbstverständlich habe ich alles mit Ihrem Sohn abgesprochen.« Lisas Kollegin lächelte auf eine Weise, die sonst dem lockenköpfigen Pharmareferenten und dem Barkeeper im ›Connection‹ Vorbehalten waren.

Etwas ist im Busch, dachte Lisa. Dann fiel ihr ein, daß der junge Meusling stets Wert auf eine Assistentin legte, um Erste Hilfe bei Kruppanfällen demonstrieren zu können. »Und wer hilft Dr. Meusling junior heute abend?«

»Ich«, sagte Elke und vertiefte ihr Lächeln. »Ich helfe Dr. Meusling junior.« So, wie sie das Wort ›junior‹ in ihrem Mund rundlutschte, mußte Alexander Meusling etwas von einem Sahnekaramellbonbon an sich haben. Immerhin war er ledig und im heiratsfähigen Alter.

»Dann viel Spaß!« Lisa zog das irrtümlich weggeräumte Vliestuch aus dem Regal und stopfte es in den Müllsack. Sie hatte jedenfalls gleich frei und würde wie abgesprochen zwei Kinokarten besorgen. Heute abend gingen sie in ›True Lies‹ mit Schwarzenegger, weil Jonas ein Fan von diesem Kraftpaket war, und am Sonntag besichtigten sie das ›Rothschild-Kutscherhaus‹, in dem sie selbst die Hauptakteure sein würden.

»Übrigens hat dein Jonas eben angerufen«, sagte Elke in Lisas Rücken.

Lisa fuhr herum. »Und wieso hast du mich nicht gerufen?«

»Dein Süßer meinte, das wäre nicht nötig. Ich soll dir nur ausrichten, daß aus eurer Hausbesichtigung am Sonntag nichts wird, weil er Dienst hat.«

»Toll!« Lisa rubbelte über ihr makellos weißes T-Shirt.

»Vielleicht solltest du doch etwas an deinem Outfit ändern! Männer, die goldene Ringe und Häuser kaufen sollen, brauchen einen gewissen Anreiz!« Elke zurrte einen roten Gürtel um ihre Taille fest, der den Trikotstoff oben und unten abschnürte und ihrer Figur die Proportionen einer Eieruhr verlieh.

»Wer finanziert denn deine Immobilien und Preziosen?« fragte Lisa anzüglich.

»Alexander?« Elke dehnte den Namen in die Länge und betonte ihn höchst eigentümlich. »Hieß jener große Eroberer nicht zufällig auch Alexander?«

»Spielst du zufällig Gordischer Knoten?«

»Kluges Mädchen!«

»Weiß Alexander Meusling der Jüngste schon, daß er der Eroberer mit dem dicken Portemonnaie ist?«

»Heute abend ist er klüger.«

»Ich denke, es geht um diphterische Schleimhauterkrankungen?«

»Auch«, kicherte Elke. »Und denk mal über meinen Rat nach! Männer mögen’s nett verpackt.«

»Danke vielmals, aber Jonas ist von einem anderen Kaliber.« Lisa griff nach dem Telefonhörer, wählte die Nummer von Kaspar Troll, entschuldigte sich vielmals und fragte, ob er vielleicht schon heute Zeit hätte. Er hatte. Lisa bedankte sich, holte tief Luft und tippte als nächstes die Nummer der Kieferklinik ein. Sie wurde zuerst mit dem Vorzimmer des Chefs und dann mit der Ambulanz verbunden, wo sich ausgerechnet jene Silvie Irgendwas meldete und sehr bedauerte, im Moment nicht mit Jonas dienen zu können. Lisa sah rot. Dann hörte sie zu ihrem Erstaunen ihre eigene Stimme sehr cool die dringende Nachricht für Jonas Bell hinterlassen, daß seine Braut ihn um achtzehn Uhr statt im Cinedom zwecks vorgezogener Hausbesichtigung in der Brüsseler Straße Haus Nummer zehn erwarte. Punktum! Silvie Irgendwas verstummte schlagartig. Lisa malte sich aus, wie alles an dieser Person zusammenfiel, die aufgedonnerten Haare und das vorgestülpte Dekolleté. Silvie Irgendwas hatte es nicht besser verdient. Nachdem Lisa den Hörer aufgelegt hatte, sah sie das Gesicht von Jonas beim Erhalt ihrer Nachricht vor sich. Sie zupfte und knibbelte an ihrer Unterlippe. Wenn Elke sie nicht so genervt und Jonas ihre Verabredung nicht einfach so über Dritte aufgekündigt und nicht ausgerechnet diese Person sich am Telefon gemeldet hätte, wäre sie niemals so weit gegangen. Nie im Leben!

Lisa räumte ihren Schreibtisch auf, vertauschte ihre weißen Gesundheitssandalen für die Praxis gegen ein ähnliches Modell in Marineblau für draußen und wünschte allseits ein schönes Wochenende. Als sie ihr Fahrrad bestieg, fiel ihr Blick auf das Birkenstock-Blau an ihrem Fuß. Sie besaß schlanke Füße, sie war überhaupt schlank. Nur glichen ihre Füße im Moment blauen Klumpen, und ein Blick in die Glasscheibe der Konditorei nebenan überzeugte sie davon, daß ein Fremder schon viel Phantasie brauchte, um hinter ihrem Flatterhemd eine schlanke Taille und appetitliche Brüste zu vermuten. Natürlich würde sie niemals in solchen Stretchgummischläuchen herumlaufen, das war schlicht ordinär, aber gegen ein neues Kleid wäre nichts zu sagen, oder? Lisa hatte Mühe, sich darauf zu besinnen, wann sie sich zuletzt ein Kleid gekauft hatte. Sie besaß zwei Jeans, zwei Bermudas, ein Kostüm und einen schwarzen Rock für gut, außerdem ein halbes Dutzend T-Shirts und Pullis in Übergröße.

»Was man nicht selbst angeht, wird auch nichts!« murmelte Lisa vor sich hin. Ein Jüngling mit Hühnerbrust, Hosenklammern und Sturzhelm neben ihr fragte »Wie bitte?«, woraufhin Lisa den Kopf schüttelte und stehenblieb, bis der Radler weitergefahren war. Dann zog sie sich blitzschnell ihren eigenen Sturzhelm wieder aus, zupfte das Gummi aus ihren straff auf dem Hinterkopf zusammengebundenen Haaren und zog ihre Hosenbeine nach unten. Sie fuhr nie ohne Helm, und um nicht mit den Aufschlägen ihrer Jeans in den Speichen hängenzubleiben, krempelte sie diese einfach bis zur Wade hoch. Hochwasserhosen wirkten kaum flotter als Hosenhalter! Lieber schob sie heute ihr Rad über den Bürgersteig, als mit diesem Bild von sich als weibliches Pendant jenes zwanzigjährigen Opas loszuradeln. »Männer mögen’s nett verpackt!« hatte Kollegin Elke eben noch gesagt. Frauen auch, dachte Lisa und mußte spontan an eine Werbung für etwas in Saharabeige denken, die sie neulich in einer Illustrierten gesehen hatte. Das Fotomodell war ihr vom Typ her nicht einmal unähnlich gewesen, zumindest wie es da mit dunkelblonden Haaren bis zur Taille und vielen kleinen Sommersprossen auf der Nase in einem Mohnfeld hockte. Den Klatschmohn und die Modellpose mußte sie sich natürlich wegdenken, aber das schmalgeschnittene Kleid von dem Foto stünde ihr garantiert auch. Lisa beschloß, sich jetzt gleich auf die Suche zu machen. Bis sechs Uhr hatte sie noch vier Stunden Zeit.

Lisa entdeckte das Kleid, das sie suchte, in einem kleinen Laden in der Brinkgasse. Vor der Entstehung des Eroscenters am Schlachthof hatten hier die leichten Mädchen Kölns ihre Freier empfangen. Mittlerweile bummelten Punks, flippige junge Leute und brave Hausfrauen an den schmalbrüstigen Häusern vorbei und begutachteten Designerklamotten, Liebeskugeln, Lederdessous und Sonderangebote für die neue ultraleichte Damenbinde. Es roch nach Fischfrikadellen und Abgasen. Lisas Nase hatte Mühe, sich auf die blumigen Düfte in der Boutique umzustellen. Bestimmt war sie die einzige Kundin, die unparfümiert und ungeschminkt Bügel für Bügel über die Metallstangen ratschen Heß. Vermutlich war sie auch die einzige, die sich wunderte, warum ein ärmelloses Sommerkleid einen Rollkragen besaß. Trotzdem war es genau die Art Kleid, die Lisa suchte: Schmal geschnitten, naturfarben, der T-Shirtstoff fühlte sich gut an. Zu teuer war es auch nicht.

»Kann ich das bitte mal anprobieren?« frage Lisa.

Die Verkäuferin zeigte mit einem schwarzlackierten Fingernagel auf eine Kabine. Lisa nickte dankbar und zog den Vorhang hinter sich zu, obwohl sie sich dabei spießig vorkam, weil rechts und links von ihr völlig ungeniert Haut und Dessous blitzten. Die meisten Kundinnen hier gingen oben ohne, aber dafür benutzten sie Parfüm und Make-up. Lisa dachte, daß sie kaum flotter rüberkäme, wenn sie ihren Büstenhalter blitzen ließ, der weiß und bieder mit drei Häkchen am Rücken war.

»Kommen Sie zurecht?« fragte eine gedämpfte Stimme vor dem Vorhang.

»Ich weiß nicht«, antwortete Lisa und begutachtete skeptisch die beiden breiten BH-Träger, die zwischen dem halsfernen Rollkragen und ihren Schultergelenken hervorlugten.

Ratsch! Der Vorhang wurde energisch zur Seite geschoben, ein schwarzlackierter Fingernagel zeigte auf das biedere Weiß: »Das muß natürlich weg!«

»Natürlich!« sagte Lisa. Weil die Verkäuferin keine Anstalten machte, die Kabine zu verlassen, nestelte Lisa durch den Stoff an den diversen Häkchen und Gipsen ihres BHs. Unter etlichen Verrenkungen gelang es ihr schließlich, ihren Büstenhalter loszuwerden, ohne das Kleid dabei auszuziehen. Die andere beobachtete sie interessiert.

»Das hätten Sie einfacher haben können«, sagte sie, als Lisa fertig war. »Darf ich?«

Lisa nickte ergeben.

Diesmal stießen zwei Hände gleichzeitig auf sie zu.

Zehn schwarzlackierte Krallennägel hatten etwas Bedrohliches, fand Lisa, und gab sich Mühe, ihre eigenen kurzgeschnittenen und natürlich naturbelassenen Nägel nicht sichtbar werden zu lassen. Sie spürte, wie der Rollkragen zuerst ihren Hals und dann ihr Brustbein freigab.

»He!« japste Lisa und vergaß ihre braven Kinderhände. Die Person zog sie glatt aus.

»So trägt man das! Sehen Sie?« Die Stimme klang höchst zufrieden.

Vorsichtig drehte Lisa sich zu dem Spiegel in ihrer Kabine um. Der ehemalige Rollkragen legte sich nun wie eine Stulpe um ihre Oberarme und bedeckte nur noch knapp ihre Brüste. Trotzdem sah es nicht übel aus. Gar nicht übel! Verglichen mit den kümmerlichen Erbsen der Kundin nebenan machten sich ihre eigenen Brüste sogar total sexy, fand Lisa. Obwohl sie natürlich so nicht herumlaufen konnte. Jonas würde sie steinigen.

»Geht’s auch ein bißchen höher?« fragte sie.

»Diese neue Form können Sie beliebig variieren.« Die schwarzen Fingernägel führten den dehnbaren Stoff höher und tiefer, der Kragenwulst zeigte mal wenig und mal viel Dekolleté. »Bei Ihrer Figur können Sie aber problemlos die ›Pull-down-Variante‹ tragen«, sagte die Besitzerin der zehn makellosen schwarzen Fingerkrallen. Lisa glaubte förmlich, die eifersüchtigen Blicke ihrer Geschlechtsgenossin rechts mit dem erbärmlichen Erbsendekolleté zu spüren.

Als Lisa die Boutique mit einer flippigen Tragetüte verließ, fühlte sie sich auch ohne Make-up und völlig unparfümiert sehr flippig. Mitleidig musterte sie eine Gestalt in einem Mammutshirt vor sich: So mußte Frau wirklich nicht rumlaufen. Dann entdeckte sie die blauen Klumpenfüße des bedauernswerten Geschöpfs und hielt die Luft an. Vor ihr war ein Schaufenster mit Spiegelfolie, das Unglücksgeschöpf war sie selbst. Einen Augenblick lang war Lisa sehr irritiert, aber dann fühlte sie den Kordelgriff in ihrer Hand und wippte fröhlich mit der Tüte vor und zurück. Sie hatte den Dreh heraus, dieses Bild vor ihr war quasi schon düstere Vergangenheit.

Zu Hause zog Lisa das neue Kleid an und ließ ihre Haare offen über den Rücken fallen. Notfalls konnte sie die Haare auch nach vorne schwenken, falls das Gefühl ihrer nackten Brüste unter dem Kleiderstoff ihr allzu fremd oder Jonas allzu pikiert sein sollte. Was sie allerdings nicht glaubte, weil die rote Stretchgumminudelverpackung von Silvie Irgendwas Jonas schließlich auch nicht abgestoßen hatte. Im Gegenteil!

In der Brüsseler Straße erwartete Kaspar Troll sie schon vor dem Kutscherhaus auf seiner schwarzlackierten Holzbank, die auf vier feuerroten Löwentatzen ruhte. Lisa bemühte sich, die grünwuchernde Idylle mit Jonas’ Augen zu sehen, und fand nichts auszusetzen. Nach einem Glas Wein war sie sogar davon überzeugt, daß Jonas hellauf begeistert sein müßte. Jeder, der hier nicht blind Zugriff, mußte einen Dachschaden haben.

»Aber sagen Sie bitte nichts von den Mauerrissen und so«, flüsterte Lisa, als sie Jonas durch das schmale Gittertor treten sah, welches in die Backsteinmauer eingelassen war, die das Vorderhaus mitsamt Fahrradständern, Teppichstange und Müllcontainern von der Remise abteilte.

»Verstehe«, flüsterte der Bildhauer zurück. Dann begrüßte er den Neuankömmling mit einem Glas in der Hand und soviel Charme, daß Jonas spontan fragte, ob Kaspar denn gebürtiger Franzose sei und nun endlich in seine Heimat zurückkehrte.

»Nee, nee«, antwortete Kaspar Troll breit, »ich bin waschechter Kölner. Aber meine Frau kommt aus Saint- Die und will heim. Die Läuse im Kindergarten haben ihr den Rest gegeben, außerdem hofft sie, aus mir in einer ordentlichen Umgebung einen ordentlichen Menschen machen zu können. Prost!« Der Mann hob sein Glas.

»Prost!« respondierte Lisa und hob ihr Glas so schwungvoll, daß etwas von der leuchtend roten Flüssigkeit hochspritzte und überlief.

»Attention!« Der Bildhauer schob blitzschnell seine breite Hand unter Lisas Glas, wobei seine Fingerspitzen zufällig gegen den enganliegenden T-Shirt-Stoff von Lisas neuem Kleid stießen. Der Wein tropfte in seine Handmulde. Lisa lächelte ihn dankbar an und zupfte mechanisch an dem Kragenwulst. Um ein Haar wäre ihr neues Kleid ruiniert gewesen. Kaspar Troll schien der wandernde Rollkragen zu gefallen, jedenfalls hafteten seine Augen fest auf Lisas Dekolleté.

»Schade«, meinte er, »Sie wären genau das richtige Modell für eine Büste, aber ich bin ja nicht aus der Welt, und wenn Sie sowieso demnächst meine Untermieter sind …«

»Wären«, unterbrach Jonas, »schließlich kenne ich die Räumlichkeiten hier noch überhaupt nicht, von der Bausubstanz ganz zu schweigen.«

Kaspar Troll stand von seiner Gartenbank auf und stieß die Tür zum Kutscherhaus auf. »Sehen Sie sich nur um! Wie gesagt, es müßte ein bißchen renoviert werden, aber sonst ist es ein Traum.«

»Echt Rothschild, ich weiß.« Jonas schabte über den blättrigen Türanstrich. Als sein Finger dabei genau die Stelle ansteuerte, wo das undichte Rohr lag und sich unter dem buschig wuchernden Knöterich ein nasser Placken verbarg, schob Lisa sich geschwind vor die Hausmauer.

»Wie findest du eigentlich mein neues Kleid?« fragte sie und zog hastig an dem halsfernen Rollkragen.

»Sehr luftig«, erwiderte Jonas und zupfte ebenfalls an dem Stoffwulst, aber in die entgegengesetzte Richtung.

Immerhin hatte Lisa es geschafft, ihn von der feuchten Mauer abzulenken.

»Ist hier unten nicht herrlich viel Platz?« Lisa zeigte einmal rundherum und dann auf den Holzboden: »Der ist noch massiv.«

Jonas folgte Lisas Arm mit den Augen: Rund fünfzig Quadratmeter maß der Raum, die Wände waren weiß gekalkt, der Boden, die Deckenbalken, die Treppe und die Fenstersprossen waren aus dunklem Holz. Jonas stellte sich auf die Zehenspitzen, federte mit dem Kopf hoch und tippte, als er noch immer keinen Widerstand spürte, mit den Fingerspitzen gegen die Holzdecke: »Bißchen niedrig, wie?«

»Zwei Meter dreißig«, antwortete der Bildhauer.

»Und oben?« fragte Jonas.

»Zweineunzig unterm Spitzgiebel.« Kaspar Troll grinste. »Brauchen Sie auch noch die Höhe unter der Fensterbank?«

Jonas schüttelte den Kopf. »Da sind ja hoffentlich die Heizkörper!«

»Da können Sie Ihre Heizkörper hinstellen. Sie können sie überall hinstellen, wo eine Steckdose in der Nähe ist. Wir haben hier nämlich seit dem letzten Herbst Nachtspeicherheizung.«

»Teuer!« sagte Jonas.

»Praktisch!« erwiderte Kaspar. »Die ersten vier Jahre hatten wir Propangas.«

»Mit zwei kleinen Kindern?«

»Zuerst hatten wir Propangas, dann haben wir uns warmgekuschelt, und dann kamen die Zwillinge. Hätten Sie vielleicht auch lieber Gas?«

»Weder – noch«, erwiderte Jonas. »Und wie sieht es bei Ihnen mit der Sanitärhygiene aus?«

»Funktioniert!« Der Bildhauer zeigte auf eine mit Bildern behängte Wand im Hintergrund. Ein sehr großes, längliches Bild entpuppte sich bei näherem Hinsehen als Einstiegsluke, durch die man in ein Kabinett trat, wo es aus einem Wasserhahn in ein wuchtiges Porzellanbecken tröpfelte.

Sobald Jonas die beiden Knebel der Armatur betätigte, fauchte und zischte es. »Fließend eiskalt und lauwarm«, verkündete er und trat einen Schritt zurück. »Gibt es zufällig auch eine Dusche oder eine Wanne? Ein WC wäre auch nicht übel.«

Der Bildhauer zeigte auf eine Statue mit einem ausgehöhlten Bauch, in dem sich Klopapierrollen stapelten. Jonas umrundete die Figur, die von vorne eine Frau und von hinten einen Mann darstellte. In die männliche Rückpartie war eine Klobürste integriert worden, daneben stand das Klosett, über dem eine Kette mit einem Zuggriff in Entenform baumelte.

»Sehr originell!« sagte Jonas und zog an der Metallkette. ›Alle meine Entchen …‹ ertönte. Bei der Stelle ›Köpfchen in das Wasser‹ übertönte das Gurgeln und Rauschen in der Kloschüssel die Leierkastenmusik. Nach dem ›Schwänzchen in die Höh!‹ wurde es still. Nur die Klobürste vibrierte noch.

»Alles meine Erfindung«, erklärte Kaspar Troll.

»So kindgerecht«, erwiderte Jonas, »und so komfortabel. Eigentlich vermisse ich Ihre Zwillinge und Ihre Frau.«

»Ich auch!« seufzte der Künstler und massierte seinen Magen.

»Ihre Familie ist also auf und davon?« fragte Jonas zufrieden.

»Logisch! Die drei sind schon in Saint-Die. Meine Frau kann nicht ohne einen vernünftigen Herd auskommen. Sie ist eine begnadete Köchin, und ich bin ein begnadeter Feinschmecker.« Die Magenmassage wurde heftiger.

»Äh ja!« Jonas deutete durch die Tür auf den Holztisch im Hauptraum, wo aus zahlreichen Konservendosen Meißel, Feilen, Pinsel und Tuben in allen Größen ragten. »Ravioli in Tomatensoße, Ravioli in Fleischsoße, Tortellini in Sahnesoße«, las er laut von den Banderolen ab.

»Meine Frau wäre hier wahnsinnig geworden«, gestand der Bildhauer. »Ich werd’s bald auch.«

»Ich denke, Sie haben in diesem Traum fünf Jahre lang glücklich und in Freuden gelebt?«

»Gearbeitet«, verbesserte Kaspar Troll. »Gewohnt haben wir mehr in meiner alten Studentenbude ein paar Häuser weiter, aber der Besitzer hat uns wegen Überbelegung gekündigt. Nach einer Konservenwoche hier hat meine Frau mich vor die Wahl gestellt.«

»Und die Liebe hat gesiegt«, warf Lisa hastig ein, »wie romantisch!«

»Na ja!« Kaspar Troll rieb sich erneut den Bauch. »Kennen Sie Kalbskopf in Weißkohl mit Linsen? Das ist eine Spezialität meiner Frau. Wenn Sie das einmal gegessen haben, kommen Sie nicht mehr davon los. Also habe ich mich gegen die Ravioli entschieden.«

»Ich glaube nicht, daß ich einen Kalbskopf kochen möchte.« Lisa schüttelte heftig den Kopf.

»Meine Braut kocht überhaupt nicht«, ergänzte Jonas. »Sonst wäre sie ja wohl auch nicht auf die Idee gekommen, sich für eine Wohnung ohne Küche zu interessieren.«

»Ich koche wohl!« protestierte Lisa. Die Art, wie er das Wort ›Braut‹ betonte, hörte sich keineswegs liebevoll an.

Jonas klappte den Daumen hoch: »Ravioli«. Der Zeigefinger folgte, »Pizza«. Dann kam eine Pause.

»Das ist gemein!« erregte sich Lisa.

»Pardon, ich habe die Frühstückseier, die Suppenwürfel und den Nescafé vergessen. Wasser gibt’s hier ja.« Jonas zeigte auf die tröpfelnde Armatur.

»Dann ist doch alles bestens«, lächelte Kaspar Troll. »Wenn das so ist, brauchen Sie ja nicht mal eine Küche einzubauen.« Er wandte sich an Jonas: »An der Ecke können Sie übrigens preiswert essen, gutbürgerlich, und der Gyros-Grill einen Block weiter ist auch okay.«

»Nichts ist bestens«, widersprach Lisa. »Ich würde nämlich leidenschaftlich gern kochen, nur daß das bei der Hauswirtin, wo ich zur Untermiete wohne, nicht erlaubt ist. Natürlich brauche ich eine Küche.«

»Das dürfte hier schwierig sein, Liebling!« Jonas zeigte auf die Mann-Frau-Statue, welche das WC abschirmte: »Oder wolltest du dieses Kunstwerk gegen einen Herd austauschen?«

»Nee, nee, so schlimm ist das nicht!« mischte sich der Bildhauer ein. »Nebenan ist noch eine Rumpelkammer. Sie brauchen nur die Anschlüsse durchzuziehen, die Wände sind bis auf die Außenmauern sowieso Pappmache.«

»Eben ein Traumhaus!« sagte Jonas.

»Bis zum ›Gonzales & Gonzales‹ ist es ein Katzensprung.« Lisa sah Kaspar Troll hilfesuchend an. Ihr Traum zerrann ihr zwischen den Fingern, und alles nur wegen ein paar provisorischen Pappmachewänden und einem Wasserhahn, der verlegt werden mußte. Dafür gab es im Belgischen Viertel jede Menge mexikanische Cantinas und Taquerias, das ›Gonzales & Gonzales‹ war gleich um die Ecke. Jonas schwärmte von den ›Margaritas‹, den ›Black-Angus‹-Steaks und den südamerikanischen Rhythmen beim doppelten Gonzales. Manchmal überkam es ihn mitten in der Nacht, und er schlüpfte in seine Jeans und radelte hierher. Vom Haus seiner Mutter bis zum Belgischen Viertel brauchte er eine Dreiviertelstunde, die öffentlichen Verkehrsmittel konnte man nach Mitternacht sowieso vergessen, und von einem Parkplatz auf der Aachener Straße konnte man nur träumen. Die Tex-Mex-Szene gleich vor der Haustür war Lisas letzte Trumpfkarte gewesen.

»Heiß«, assistierte Kaspar Troll, »was hier im Viertel mittlerweile läuft, ist echt heiß.« Er warf einen anzüglichen Blick auf die Hosenklemme, die Jonas an seinem rechten Hosenbein vergessen hatte: »Mit der Sanitärhygiene steht es in den schnöselfreien Schuppen allerdings nicht zum besten. Die meisten Besucher verzichten gern auf Marmorurinale, wenn die Atmosphäre stimmt.«

Jonas beugte sich vor und zerrte an der Hosenklemme, während Lisa dem Künstler erklärte, daß Jonas neuerdings in der Klinik Hosen mit Bügelfalten trüge, weil sein Chef das verlangte.

Kaspar Troll nickte mitleidig. »Bestimmt braucht er dann auch eine Adresse im Vorderhaus, weil sich das auf der Visitenkarte besser macht. Schade!«

»Wieso schade?« Jonas ließ die Hosenklemme in seiner Sakkotasche verschwinden. »Wir müßten ja immerhin mit dem Hausbesitzer reden. Schließlich bedarf ein Vertrag zur Untermiete immer auch der Zustimmung des Hausbesitzers, nicht wahr?«

Kaspar Troll nickte. »Wenn Sie meinen! Der Hausbesitzer ist Herr von und zu Verstetten.«

»Ich kenne den Hausbesitzer«, sagte Jonas.

Kaspar Troll grinste. »Stimmt! Sie haben ihm ja die Überbeißerchen gerichtet. Moment!« Er trat aus dem Haus, steuerte auf die Backsteinmauer zu und rief durch das Tor: »Herr von und zu, kommen Sie mal rüber?«

»Wie wäre es mit einer Partie Schach?« rief es von jenseits der Mauer zurück.

»Später«, brüllte Kaspar Troll, »ich habe nämlich Besuch. Eine hübsche junge Dame mit ihrem Verlobten, den kennen Sie auch. Was halten Sie von einem Zahnklempner im Hinterhaus?«

Der Deckel einer Mülltonne schepperte, dann tauchte der Hausbesitzer in dem schmalen Durchgang zur Remise auf. Während er noch umständlich seine Hände an einem riesigen Taschentuch abrieb, strahlte er Jonas an. »Sie sind das wirklich? Eigentlich habe ich schon mit dem Gedanken gespielt, das Rauchen anzufangen, nur damit dieses vermaledeite Kutscherhaus eine reelle Chance hat, abzufackeln. Der Stadtkonservator hat mich mit seinem Denkmalschutz um ein Vermögen betrogen. Ich hätte hier sechs Appartements stehen haben können, statt dessen bekomme ich eine Plakette neben die Eingangstür und jede Menge Auflagen. Aber bei Ihnen drücke ich ein Auge zu, wo doch jetzt meine gesamte Familie bei Ihnen in Behandlung ist.«

Lisa fuhr sich automatisch mit der Zunge über die Schneidezähne, während sie sich eine ganze Sippe von blaublütigen Überbeißern vorstellte.

»Ihr Verlobter ist nämlich ein Genie«, erklärte der Hausbesitzer an Lisa gewandt. »Sie hätten mich vor der Operation sehen sollen.«

»Die Kaninchen haben ihn Papa genannt«, grinste Kaspar Troll.

»Schlimm!« bestätigte Herr von Verstetten, »ganz schlimm war das. Ich bin ein völlig neuer Mensch. Darauf trinken wir. Darauf und auf Sie als neue Mieter. Wer hat schon seinen eigenen Kieferchirurgen im Hinterhaus sitzen?«

Mit lautem Ho-ho verschwand der Mann und kam wenig später mit einer Flasche Rotwein und vier Gläsern zurück. Er hielt die Flasche gegen das Licht und streichelte über das Etikett: »Kennen Sie Zacetecas?« fragte er Jonas mit Verschwörermiene.

Jonas bekam leuchtende Augen. »Mexiko. Norden Zentrales Hochland. Hervorragende Weinbauregion.«

»Gratuliere!« Herr von Verstetten schien ehrlich begeistert zu sein. »Sie sind der erste, der auf Anhieb Bescheid weiß. A su salud!«

»A su salud!« Diesmal hob auch Jonas sein Glas und trank. Später holte Herr von Verstetten noch eine zweite Flasche. Es wurde dämmrig, und Lisa begann auf der schwarzlackierten Bank mit den roten Löwentatzen zu frösteln.

»Soll ich Ihnen eine Decke holen?« fragte der Bildhauer besorgt und berührte zart Lisas nackte Schulter.

»Nicht nötig!« Jonas legte einen Arm um Lisa. Sie kuschelte sich an ihn und sah viele, viele laue Frühlingsabende auf sich zukommen, an denen sie hier genauso wie jetzt mit Jonas sitzen würde. Jonas unterschrieb den Vertrag, ohne auch noch ein einziges Mal die mangelhafte Sanitärhygiene, die fehlende Küche und die teure Nachtspeicherheizung zu erwähnen. Statt dessen unterhielt er sich mit seinem Patienten angeregt zuerst über Überbißkorrekturen und dann über Bier. Gemeinsam wetterten die beiden gegen den Bildhauer, der grundsätzlich nur Kölsch trank.

»Schließlich bin ich Kölner«, sagte Kaspar Troll, »und überhaupt ist deutsches Bier viel hochwertiger als mexikanisches, und billiger sowieso.«

Woraufhin Jonas und Herr von Verstetten einmütig die Nase rümpften, mit viel Sachverstand das dunkle ›Negro Modelo‹ gegen das helle ›Dos Equis‹ abwogen und beim Abschied beschlossen, den Einzug der Beils ins Kutscherhaus mit einem Zug durch die Tex-Mex-Gemeinde zu begehen.

»Und wann ziehen wir ein?« fragte Lisa auf der Heimfahrt.

»Mal sehen«, erwiderte Jonas, »schließlich treibt uns nichts und niemand. Bei der niedrigen Miete können wir uns viel Zeit mit dem Renovieren lassen.«

Darauf entgegnete Lisa nichts. Für heute hatte sie genug erreicht. Es wäre doch gelacht, wenn es unter ihren Bekannten niemand gäbe, der ihr ein paar Rohre verlegen konnte. Morgen!

Kapitel 3Stell dir vor!

Am Montag war Lisa in Gedanken so intensiv mit der Renovierung des Kutscherhauses beschäftigt, daß sie die Sturmsignale bei ihrem Chef glatt übersah. Erst als Dr. Meusling es strikt ablehnte, sich von Elke beim Anlegen eines Gipses helfen zu lassen und nach Lisa verlangte, wurde sie stutzig.

»Ist was?« Lisa übergab Elke hastig die Metallschüssel mit den Instrumenten, die sterilisiert werden mußten.

»Und ob!« lächelte Elke. Ihr Dehnen und Recken in dem heute weißen Stretchschlauch wirkte alles andere als unschuldsvoll. Schlagartig fiel Lisa der Freitag nachmittag ein. Elke hatte Dr. Meusling junior offensichtlich nicht nur bei den diphterischen Schleimhäuten assistiert, was wiederum Meusling senior nicht zu passen schien.

Nachdem Lisa Gips angerührt, Bandagen gereicht, die Mutter des kleinen Jungen mit dem Grünholzbruch getröstet hatte und in den Vorraum zurückkam, säuselte Elke gerade in den Telefonhörer.

»Ist das ein Patient?« fragte Dr. Meusling, der Lisa gefolgt war und nun sehr energisch auf das Empfangspult zuschritt, hinter dem Elke lässig in ihren Drehstuhl gelehnt saß und telefonierte.

»Psst!« Elke schüttelte abwehrend den Kopf.

»Was heißt hier ›pssst‹? Sie befinden sich in einer Kinderarztpraxis. Falls es Ihnen entfallen sein sollte: Ich bin immer noch Dr. Meusling und Ihr Chef.«

Elke lauschte in den Hörer, dann streckte sie den Arm mit dem Telefonhörer aus. »Ihr Sohn Dr. Meusling möchte Sie sprechen, Herr Dr. Meusling.«

»Sparen Sie sich die albernen Wortspiele und stellen Sie durch!« Der Arzt machte kehrt. Elke schickte drei schmatzende Kußlaute in die Sprechmuschel, der Rücken in dem weißen Arztkittel zuckte dreimal zusammen, dann schloß sich die ›Lokstand‹-Tür, und Elke tippte auf eine Taste.

»Ihr Gespräch auf Amtsleitung zwei, Herr Dr. Meusling!« Sie legte auf und strahlte Lisa an: »Na, wie habe ich das gemacht?«

Lisa musterte den weißen Stretchschlauch. »Vielleicht solltest du etwas an deiner Verpackung ändern.«

»Wieso?« Elke räkelte sich zufrieden. »Der Fisch hat angebissen. Und wie er angebissen hat. Den habe ich fest an der Angel.«

»Seinen Vater hast du nicht an der Angel. Schwiegerväter haben es gerne etwas seriöser.«

»Wetten, ich heirate vor dir?«

»Vielleicht! Aber das Geld für die Facharztpraxis kommt von dort.« Lisa zeigte auf die Tür in der bunten Lokomotive aus Sperrholz.

Das selbstgefällige Lächeln verschwand schlagartig aus Elkes Gesicht. »Du meinst…?«

»Hm! Soll ich dir vielleicht mit etwas seriöser Garderobe aushelfen?« Lisa griff an dem verdutzten Gesicht ihrer Kollegin vorbei nach dem Telefon, wählte und bat ihre Zimmerwirtin, die sich meldete, ihrem Sohn Toni doch bitte auszurichten, daß es bei dem Termin heute in der Brüsseler Straße bliebe. Die Preise für sechs Quadratmeter Titanzinkprofile habe sie auch schon, und statt Kupferrohr wolle sie doch lieber Kunststoffrohre nehmen, weil das viel billiger wäre.

Elke tat nicht einmal so, als ob sie weghörte. Ihr Gesicht rückte, während Lisa sprach, immer näher an das Telefon heran. Sie betrachtete den grünen Kasten, als ob es sich um die Kugel einer Wahrsagerin handelte. Kaum hatte Lisa aufgelegt, fragte sie atemlos: »Du hast ihn wirklich rumgekriegt?«

»Wieso rumgekriegt?« fragte Lisa.

»Spann mich nicht auf die Folter! Ihr nehmt das Haus?«

»Jonas ist begeistert.«

»Und wann heiratet ihr?«

»Bald. Wenn wir mit Renovieren fertig sind.« Lisa überlegte, ob sie es noch schaffte, sich vor dem Treffen mit Toni Kreuser die weiße Leinenhose und das rote Top zu kaufen. Heute morgen war sie geradezu widerwillig in ihre ausgebeulten Jeans und das Mammutshirt gestiegen. Die alten Sachen konnte sie beim Renovieren auftragen. Zusammen mit Toni Kreuser würde sie das Kutscherhaus in ein Schmuckkästchen verwandeln. Der Sohn ihrer Zimmerwirtin war ein Allround-Genie, er verlegte Rohre und Fliesen und Dämmplatten. Für Drecksarbeiten waren ihre alten Klamotten gerade richtig. Ansonsten würde sie umsteigen. New look! New house! Nur der Mann, den sie liebte, war der alte. Fast der alte. So wie gestern hatte sie Jonas nämlich noch nie erlebt. Hölzern, launisch, eifersüchtig, besitzergreifend! Eifersüchtig auf den Künstler Kaspar Troll, dessen Augen an Lisas Pull-down-Verpackung geklebt hatten. Das neue Kleid hatte Jonas ein Stück Lisa gezeigt, das er noch nicht kannte. In gewisser Weise hatte Lisa das Gefühl, daß sie diese andere Lisa auch noch nicht kannte. Eine, die mal eben so beschloß, an zwei Tagen hintereinander Geld für einen schicken Fummel aus dem Fenster zu werfen, obwohl sie jetzt doch eigentlich jeden Pfennig für das neue Heim und die Hochzeit sparen sollte. Quatsch! widersprach die neue Lisa der alten Lisa. Ohne ›pull down‹ gäb’s vielleicht gar keinen Mietvertrag. So etwas nannte man Investition in die Zukunft!

Als Lisa um halb acht heimkam, erwartete Frau Kreuser sie schon im Hausflur. »Ihr Verlobter hat schon dreimal angerufen. Sie sollen sofort zurückrufen.«

»Er holt doch seine Mutter vom Flughafen ab«, wunderte Lisa sich. Sie hatte absichtlich den Termin mit Toni Kreuser auf heute verlegt, weil sie wußte, daß Jonas nach Frankfurt fuhr, wo seine Mutter landete. Agnes Bell war Künstlerin, sie bemalte Porzellan nach Originalmustern von Meißen. Seitdem sie ihre Kunst in Kursen an sonnenmüde Feriengäste auf den Kanaren und in anderen Urlaubsparadiesen weitervermittelte, boomte das Geschäft. Heute kam sie aus Lanzarote zurück. Sie sollte erst kurz nach acht landen. Komisch!

»Bitte«, sagte Frau Kreuser, »Sie können gerne meinen Apparat benutzen.«

Lisa nickte, weil sie nicht unhöflich sein wollte. Lieber wäre sie in die Telefonzelle an der Ecke gegangen. Es meldete sich Agnes Bell.

»Du bist schon da?« fragte Lisa erstaunt. »Ich dachte, dein Flieger landete erst um acht Uhr irgendwas.«

»Wir haben die frühere Maschine genommen«, antwortete Agnes Bell.

»Und Jonas? Ich meine, hat er dich verpaßt?«

»Wir haben ihn zu Hause überrascht. Er wollte die Autoschlüssel aus dem Sekretär holen, und voilà …!«

»Und voilà«, wiederholte Lisa. Etwas stimmte nicht. Dieses Wörtchen ›wir‹ stimmte nicht. Wieso redete Jonas’ Mutter auf einmal im Plural von sich. »Ehr?« fragte sie zögernd.

»Kinderüberraschung!« kicherte Agnes Bell. Dieses Kichern und die Geheimnistuerei wirkten auf Lisa nicht weniger befremdlich.

»Könnte ich denn mal Jonas sprechen?« fragte sie.

»Er ist schon zu dir unterwegs. Der arme Junge ist völlig durcheinander. Danke übrigens für die Blumenpflege, die Königin der Nacht ist ein Traum. Wetten, daß sie dieses Jahr wieder blüht? Beeil dich und mach dich hübsch!«

»Wieso?« Lisa überlegte, ob sie etwas verpaßt hatte. Sie kam nicht mehr mit. Wieso sollte sie sich beeilen und hübschmachen?

»Kinderüberraschung! Bis gleich!«

Lisa lauschte auf das Knacken im Telefonhörer. Ob Agnes Bell getrunken hatte? Eigentlich trank sie so gut wie nie Alkohol. Lisa schlüpfte hastig aus ihren alten Kleidern, wusch sich, zog die neue weiße Leinenhose und das rote Top an, kämmte ihre langen Haare aus und sprühte etwas von dem neuen Parfüm auf. Gerade, als sie sich die Lippen mit Lip-gloss betupfte und überlegte, ob soviel Neues nicht zuviel wäre, hörte sie es an der Haustür klingeln. Diesmal stürmte Jonas ins Zimmer, ohne Lisas ›Komm rein!‹ abzuwarten.

»Es ist die Höhe!« sagte er statt einer Begrüßung.

»Hallo!« sagte Lisa und fand, daß Jonas wenigstens zur Kenntnis nehmen könnte, wie sie aussah. Oder funktionierte das nur in Gegenwart von männlichen Konkurrenten?

»Hallo!« Jonas streifte Lisas Wange, dann ließ er sich auf die Couch fallen. »Du glaubst es nicht!«

»Deine Mutter ist früher gelandet«, half Lisa ihm weiter.

»Sie ist doppelt gelandet.« Jonas hieb auf das Polster, woraufhin die mürbe Federung laut quietschte und jaulte.

»Pssst!« warnte Lisa erschrocken. »Was soll denn Frau Kreuser von dir denken. Du bist kaum gekommen, da quietscht schon die Schlafcouch.«