Liebe ist kein Märchen - Bella Andre - E-Book

Liebe ist kein Märchen E-Book

Bella Andre

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Beschreibung

Christie Hayden floh nach Summer Lake, um ihr gebrochenes Herz heilen zu lassen. Dort fand sie allerdings viel mehr - einen Job als Gastwirtin, den sie liebt, eine eng verbundene Gemeinschaft von Freunden und die Chance einer wunderbar romantischen Zukunft, nach der sie sich immer gesehnt hat. Der Schein kann jedoch trügen, besonders was den umwerfenden Millionär Liam Kane angeht. Er platzt aus heiterem Himmel in ihr Leben ... und hebt es, samt ihrem Herzen, sofort aus den Angeln. Sobald Liam Kane Christie zu Gesicht bekommt, ist er hoffnungslos verloren. Er sollte sich von ihr fernhalten, weil er ihren Wunsch nach einer Liebe auf immer und ewig nicht erfüllen kann. Aber ihr Lächeln, ihr Lachen, ihre Liebenswürdigkeit - und ihre süßen sündhaften Küsse - bringen ihn zum ersten Mal im Leben um seine Selbstbeherrschung. Er hatte immer geglaubt, dass ihm eine Liebe wie ihre verwehrt sei, aber jetzt sehnt er sich mit jeder Faser danach. Zwanzig Jahre hat Liam ein Geheimnis bewahrt, das ihn beinahe zerstört hätte - und das auch seine Familie auseinanderreißen könnte. Christie will ihm aus reiner Liebe helfen, aber wird Liam bereit sein zu heilen? Oder werden sie beide zerbrechen und wird sie wieder die Scherben einsammeln müssen? "Die Sullivans"-Reihe *** Die Sullivans aus San Francisco *** Liebe in deinen Augen Ein verfänglicher Augenblick Begegnung mit der Liebe Nur du in meinem Leben Sag nicht nein zur Liebe Nur von dir hab ich geträumt Lass dich von der Liebe verzaubern Du gehst mir nicht mehr aus dem Sinn *** Die Sullivans aus Seattle *** Eine perfekte Nacht Nur du allein Deine Liebe muss es sein Dir nah zu sein Ich mag, wie du mich liebst Ohne dich kann ich nicht sein *** Die Sullivans aus New York *** Vier Herzen vor dem Traualtar Bilder von dir Weil es Liebe ist Die Süße der Liebe Das Beste kommt erst noch Liebe ist kein Marchen Wer Liebe sät "Die Maverick Milliardäre"-Reihe Verliebt bis über beide Ohren   Liebe ist nur was für Mutige  Keine Angst vor der Liebe  Keine Chance gegen die Liebe Grenzenlos verliebt

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Seitenzahl: 406

Veröffentlichungsjahr: 2019

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Liebe ist kein Märchen

Summer Lake 2

Ableger der Sullivans von New York

Bella Andre

Inhaltsverzeichnis

Bucheinband

Titelseite

Copyright

Über das Buch

Eine Anmerkung von Bella

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Epilog

Alle Bücher von Bella Andre in deutscher Sprache

Über die Autorin

Liebe ist kein Märchen

Summer Lake 2

Ableger der Sullivans von New York

© 2018 Bella Andre

Übersetzung Jo Schweiger – Language + Literary Translations, LLC

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Christie Hayden floh nach Summer Lake, um ihr gebrochenes Herz heilen zu lassen. Dort fand sie allerdings viel mehr – einen Job als Gastwirtin, den sie liebt, eine eng verbundene Gemeinschaft von Freunden und die Chance einer wunderbar romantischen Zukunft, nach der sie sich immer gesehnt hat. Der Schein kann jedoch trügen, besonders was den umwerfenden Millionär Liam Kane angeht. Er platzt aus heiterem Himmel in ihr Leben … und hebt es, samt ihrem Herzen, sofort aus den Angeln.

Sobald Liam Kane Christie zu Gesicht bekommt, ist er hoffnungslos verloren. Er sollte sich von ihr fernhalten, weil er ihren Wunsch nach einer Liebe auf immer und ewig nicht erfüllen kann. Aber ihr Lächeln, ihr Lachen, ihre Liebenswürdigkeit – und ihre süßen sündhaften Küsse – bringen ihn zum ersten Mal im Leben um seine Selbstbeherrschung. Er hatte immer geglaubt, dass ihm eine Liebe wie ihre verwehrt sei, aber jetzt sehnt er sich mit jeder Faser danach.

Zwanzig Jahre hat Liam ein Geheimnis bewahrt, das ihn beinahe zerstört hätte – und das auch seine Familie auseinanderreißen könnte. Christie will ihm aus reiner Liebe helfen, aber ist Liam bereit zu heilen? Oder werden sie beide zerbrechen und wird sie wieder vor einem Scherbenhaufen stehen?

Eine Anmerkung von Bella

Willkommen zurück in Summer Lake! Calvin Vaughn hat in Das Beste kommt erst noch seine Liebe für immer und ewig gefunden und jetzt ist Christie Hayden an der Reihe. Der Weg zur wahren Liebe ist selten geradlinig. Besonders für Christie.

Was Liam Kane angeht … nun, sagen wir einfach, dass ich mich ein bisschen in ihn verknallt habe. Er ist die Verkörperung der Helden, die ich liebe – nicht nur sexy und brillant, sondern auch ein Mann, der alles tut, um die Menschen, die er liebt, zu beschützen. Selbst, wenn ihn das möglicherweise zerstört.

Ich hoffe, Sie genießen es, Christie und Liam dabei zu beobachten, wie sie sich allen Widrigkeiten zum Trotz ineinander verlieben!

Und bereiten Sie sich dann auf Alec Sullivan vor, den Helden von Wer Liebe sät (Die Sullivans aus New York 3). Ich verspreche Ihnen, dass Sie im kommenden Herbst viel Spaß dabei haben werden, mitzuerleben, wie er versucht, sein Herz vor der einzigen Frau auf Erden zu schützen, der es vielleicht gelingt, sich heimlich hinter die Mauern zu stehlen, die er darum errichtet hat, und es ihm zu rauben.

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Viel Vergnügen bei der Lektüre!

Bella Andre

KAPITEL 1

„Du bist eine wunderschöne Braut.“ Christie Hayden glättete die Manschette von Sarah Bartows langärmeligem Hochzeitskleid und lächelte ihrer Freundin im Ganzkörperspiegel zu. Durch das große Fenster spiegelte sich in ihm auch der noch großteils zugefrorene und mit Schnee bestäubte Summer Lake.

Sarahs Augen waren voll Aufregung und Vorfreude auf ihre Hochzeit. „Danke für alles, dafür, dass du uns geholfen hast. Ich hätte das ohne dich niemals so schnell und so schön zuwege gebracht.“

Christie freute sich, dass die Hochzeitsvor­bereitungen so glatt gelaufen waren. Ihre letzte Kontrollrunde im Erdgeschoss vor einer halben Stunde bestätigte, dass das Summer Lake Inn vollkommen in eine geschmackvolle, elegante Hochzeitslocation verwandelt worden war.

„Ich habe es wirklich genossen, euch zu helfen“, sagte Christie. „Wir wissen aber beide, dass du in diesen zwei Wochen mit links ein Dutzend Hochzeiten hättest planen können und nebenbei noch eine Doppelseite in der Zeitschrift Bräute bekommen hättest.“

Sarah grinste. „Das war mein früheres Ich, bevor ich beschlossen habe, den ganzen Tag im Geschäft mit Garnen zu spielen.“

Christie ließ Sarah gerne sagen, was sie wollte. Es war schließlich ihr Hochzeitstag. Sie wussten aber beide, dass ihre Rückkehr nach Summer Lake und die Verlobung mit Calvin Vaughn Sarahs Innerstes nicht verändert hatte. Sie war immer ehrgeizig gewesen. Brillant. Und obendrein war sie auch einer der liebevollsten, einfühlsamsten Menschen, die Christie je das Glück hatte kennenzulernen.

Die Geschäfte im Lakeside Sticken und Stricken liefen besser denn je, seit Sarah das Geschäft für ihre Mutter und Großmutter führte. Nicht nur, weil Sarah eine fabelhafte Geschäftsfrau mit Erfahrung als Wirtschaftsberaterin war, sondern weil ihr sowohl Stricken als auch die Frauen, die in ihrem Laden einkauften, am Herzen lagen.

Als sich Sarah umdrehte, um sich im antiken Spiegel im Vorbereitungsraum für Hochzeiten zu betrachten, schien sie beinahe von dem Hochzeitskleid, den weichen Locken, die sich um ihr Schlüsselbein kringelten, dem hübschen Make-up und dem gestrickten Spitzenschleier überrascht zu sein, über den sie immer wieder voll Staunen mit den Fingern strich.

„Ich habe nie geglaubt, dass dieser Tag kommen würde“, sagte Sarah leise, „aber ich habe ihn mir immer gewünscht.“ Sie hob den Blick, um Christies Augen im Spiegel zu begegnen. „Ich habe Calvin mein ganzes Leben geliebt.“

Christie blinzelte schnell, um die Tränen zurückzudrängen, die hervorzuquellen drohten. „Du und Calvin verdient beide die Liebe, die ihr wiedergefunden habt. Zumal es dieses Mal für immer ist.“

Sie lächelte, als ihr Blick auf Sarahs leicht gerundeten Bauch fiel und der Kloß in ihrem Hals wurde von der Freude verdrängt, dass sie bald ein neues Baby herzen konnte. Die Finger ihrer Freundin legten sich in einer instinktiven beschützenden und fürsorglichen Geste über das in ihr heranwachsende Leben. Die Sehnsucht traf Christie so heftig wie ein Blitz, dass sie beinahe rückwärts gestolpert wäre.

„Christie?“ Sarah griff nach ihrem Arm. „Du weißt, dass du dich mir anvertrauen kannst, nicht wahr?“

Christie wusste, dass sie gerade zu viel von sich verraten hatte. Das tat sie immer. Manche Menschen hatten ein Pokerface, sie dagegen würde in einem Spielkasino alles verlieren, weil sie keinen Schimmer hatte, wie man das machte. Besonders, wenn es um die Liebe ging.

Sie wusste natürlich, dass sie auf keinen Fall ihre Ängste, ihre Verletztheit und den ganzen Ballast auf Sarah an ihrem Hochzeitstag abladen durfte, deshalb bemühte sich Christie, ihre Freundin von ihrem Kummer abzulenken und die Stimmung wieder aufzuheitern. „Ich werde immer so gefühlsduselig bei Hochzeiten. Du hättest mich bei den Feiern meiner Schwestern sehen sollen. Ich habe jedes Mal geheult wie ein Schlosshund. Die Gäste in meiner Reihe hätten Regencapes gebraucht, um von mir nicht völlig durchnässt zu werden.“

Aber Sarah lächelte nicht einmal. „Mir brauchst du nichts vorzumachen.“ Bedauern huschte über ihr Gesicht. „Seit ich schwanger bin, ist mein Gehirn so umnebelt und ständig möchte ich nur schlafen. Das muss der Grund sein, warum ich es nicht schon früher klar erkannt habe – wir hätten unsere Hochzeit nie für dieses Wochenende planen sollen.“ Sarahs Worte waren sanft und ohne einen mitleidigen Unterton, doch Christie glaubte, dass sie das nur ihrer engen Freundschaft verdankte.

Leider konnte die Tatsache nicht ignoriert werden, dass Christie an diesem Wochenende hätte heiraten sollen. Anstatt ein langes, weißes Kleid zu tragen und Ja, ich will, zu sagen, würde sie nun im Publikum sitzen und ihren Freunden zusehen, wie sie ihre Liebesgelübde austauschten.

Es war in diesen letzten drei Wochen nicht leicht gewesen, die Main Street entlangzugehen, im Lebensmittelgeschäft einzukaufen, im Café einen Kaffee zu trinken, denn sie wusste, dass die Leute über sie tuschelten. Natürlich lächelten sie alle und tauschten mit ihr Freundlichkeiten aus. Aber entweder tat sie ihnen leid oder sie versuchten herauszufinden, welch schreckliche Sachen sie wohl angestellt hatte, dass Wesley Kane die Hochzeit abgesagt hatte und sofort am nächsten Tag von Summer Lake verschwunden war, ohne irgendjemandem ein Wort zu sagen.

Auch nicht ihr.

Nur die Frauen von der Strickgruppe waren so wie immer. Warmherzig. Geschwätzig. Aber ohne je zu urteilen. Egal, wie viel sie zu tun hatte, die Montagabende hielt sich Christie immer frei, um im Lakeside Sticken und Stricken zu viel Wein zu trinken und gewöhnlich mehr zu plaudern und zu lachen als zu stricken.

Sie hatte in Summer Lake ihr Zuhause gefunden. Ihr gefiel die Vorstellung, auf einem Adirondack-Stuhl auf einer Veranda alt zu werden, während sie ihren zukünftigen Enkeln zusah, wie sie im klaren blauen Wasser spielten. Sie konnte den Gedanken nicht ertragen, dass sie die Einheimischen nur deshalb akzeptiert hatten, weil sie mit einem Mann verlobt war, dessen Familie seit Generationen hier lebte. Sie wollte glauben, dass sie um ihrer selbst willen dazugehörte, weil die Menschen sie mochten und dachten, dass sie einen wertvollen Beitrag für die Gemeinschaft leistete.

Egal, wie sehr sie sich jetzt nach dem Bruch aus dem Lot fühlte, auf keinen Fall wollte sie Sarahs Hochzeit auch nur im Geringsten zu trüben. „Es hat sich wirklich perfekt ergeben“, beharrte Christie. „Du hast kurzfristig einen Ort für deine Hochzeit gebraucht und ich hatte einen schon fix und fertig. Es sollte so sein. Ich bin ganz sicher.“

Jede andere hätte jetzt aufgehört zu reden, sich nicht weiter geöffnet und ihre restlichen Gefühle für sich behalten. Aber Christie hatte das noch nie gekonnt. Besonders, wenn eine liebe Freundin sie so zutiefst besorgt ansah. Außerdem hatte sie vor drei Wochen endlich aufgehört, sich selbst über ihren Ex-Verlobten zu belügen. Weshalb hätte sie sich jetzt mit Sarah zurückhalten sollen?

„Weißt du, Wesley und ich passten nicht zueinander. Wir waren nicht mehr als Freunde. In Wirklichkeit hatte ich viel mehr Spaß, die letzten Details für deine Hochzeit zu richten, als ich je hatte, während ich meine eigene vorbereitete.“ Christie schüttelte den Kopf. „Ich schätze, das hätte für mich der erste Hinweis sein sollen, dass etwas nicht stimmte. Nach all den Hochzeiten, die ich im Gasthaus ausgerichtet habe, nachdem ich Zeit mit Drake und Rosa und Suzanne und Roman verbracht hatte, wenn sie in der Stadt waren, und als ich dich und Calvin zusammen sah …“ Sie zwang sich zu lächeln. „Ihr beide hättet vor ein paar Wochen Tortenaufsätze aussuchen sollen, aber konntet nicht aufhören, euch in die Augen zu schauen. An jenem Tag war mir endlich bewusst geworden, dass ich Wesley nicht heiraten konnte. Und dass er mich auch nicht heiraten sollte.“ Nicht nur, weil sie auch eine solche Liebe wollte, sondern, weil es ihm gegenüber nicht fair war. „Und ich werde dir immer dankbar sein, weil du dazu beigetragen hast, dass mir ein Licht aufging.“

Sarah umarmte sie innig, und obwohl sich Christie danach sehnte, ihrer Freundin mehr zu erzählen – sie konnte schwören, dass ihre Geheimnisse ihr Inneres zerfraßen – gab es etwas, das sie niemandem sagen konnte.

Und zwar, was vor drei Wochen geschehen war, als sie und Wesley die Verlobung aufgelöst hatten.

KAPITEL 2

Vor drei Wochen …

Christies Kopf – und ihr Herz – war so durcheinander, dass sie ganz zu klopfen vergaß, bevor sie die Tür zu Wesleys Wohnbereich öffnete. Sie erstarrte wortwörtlich auf der Stelle, als sich Wesley und John, ein Freund von beiden vom College, so schnell voneinander lösten, dass sie beinahe glaubte, sie hätte sich ihre Umarmung nur eingebildet.

Ihren Kuss.

Wesley fluchte und kam mit ausgestreckten Händen auf sie zu, sein Gesichtsausdruck vor Schuld niedergeschmettert. „Christie, ich wollte dich nicht verletzen. Ich schwöre es.“

Sie wartete darauf, dass der Verrat sie schwer treffen, die Wut in ihr explodieren würde. Stattdessen fühlte sie nur Erleichterung. Weil das nur bedeuten konnte, dass auch Wesley sie nicht heiraten wollte.

Vielleicht hätte sie darüber schockiert sein sollen, dass er und John sich geküsst hatten. Aber das war sie nicht. Denn all die Alarmzeichen, alles, was vom ersten Mal, als Wesley sie um ein Date gebeten hatte, irgendwie ungereimt schien, ergab plötzlich einen Sinn.

Christie war immer mit großen, dunklen und mysteriösen Männern ausgegangen, die ihr Herz rasen ließen. Männer, die in ihrem Innersten etwas Gefährliches und Geheimnisvolles verbargen und die sie heilen wollte. Dagegen war Wesley sicher. Sanft. Ein ruhiger See anstelle eines tosenden Meeres. Er war ihr bester Freund seit ihrem ersten Studienjahr an der Kunstakademie, als sie im Seminar für Aktzeichnungen miteinander kicherten und sich anfreundeten. Viele Jahre später, als sie miteinander auszugehen begannen, waren ihre Küsse ehrlich gesagt ziemlich selten und nichts Besonderes. Sie sagte sich jedoch, dass Feuerwerke der Leidenschaft überschätzt wurden. Sie konnte weiß Gott ohne die Achterbahngefühle leben, die ihr ihre früheren Beziehungen beschert hatten.

Als sie jetzt in Wesleys Wohnzimmer stand, während John verlegen neben dem Fenster wartete, wurde ihr endlich bewusst, warum ihre Verlobung sich so verkehrt angefühlt hatte. Es war alles eine verzweifelte Lüge gewesen. Beide hatten an etwas glauben wollen, das keinen von ihnen je hätte glücklich machen können.

„Warum hast du es mir nicht gesagt?“ Sie war nicht wütend, aber als seine beste Freundin war sie verletzt, dass er geglaubt hatte, seine wahren Gefühle vor ihr verheimlichen zu müssen.

„Ich wollte unbedingt, dass es funktioniert. Du und ich sind so enge Freunde, dass ich glaubte, ich könnte mit dir zusammen sein, aber das Treffen mit John hat so viele alte Gefühle an die Oberfläche gebracht. Gefühle, von denen ich glaubte, sie wären verschwunden. Ich hatte mir eingeredet, dass es diese Gefühle überhaupt nie gegeben hat.“ Seine Augen blickten wirr, als stünde er kurz davor auszurasten. „Ich bin so verwirrt wegen allem. Du musst mich hassen. Aber ich schwöre, ich habe dich nicht betrogen. Nur dieser Kuss.“ Die über seine Wangen fließenden Tränen und seine Beichte brachen ihr das Herz. „Es tut mir leid, Christie. Sehr, sehr leid.“

„Bitte, Wes.“ Sie nahm seine Hände in ihre. „Weine nicht. Nicht wegen mir. Und glaube auf keinen Fall, dass ich dich hassen könnte. Zumal ich heute Abend hergekommen bin, um unsere Verlobung zu lösen.“

Seine Augen wurden vor Schreck groß. „Machst du Witze?“

„Nein.“ Sie schluckte schwer und gestand dann: „Ich hätte nie Ja sagen sollen, als du mich gebeten hast, dich zu heiraten. Ich hätte nie mit dir zusammen sein sollen. Wir haben doch beide gewusst, dass wir nie mehr als Freunde sein konnten.“

Er kniff die Augen eng zusammen, als versuchte er – ohne Erfolg – alles, was gerade geschah, zu verarbeiten. Als er sie wieder öffnete, sah er nicht ruhiger aus, im Gegenteil, seine Panik schien sich noch gesteigert zu haben.

„Bitte behalte mein Geheimnis für dich. Von diesem Kuss. Von John.“ Er umklammerte ihre Hände so fest, dass sie zusammenzuckte. „Ich muss mir selbst über alles im Klaren sein, bevor ich mit meiner Familie spreche. Mit unseren Freunden. Mit dieser Stadt.“

Beide wussten, dass sie sich schwertat, ein Geheimnis zu bewahren. Die Angst, der Schmerz, die Verwirrung in Wesleys Augen ließ sie aber versprechen: „Ich werde niemandem erzählen, was heute Abend passiert ist.“ Da sie wusste, dass er unbedingt jetzt nach ihrem Kuss – besonders, wenn es ihr erster war – mit John die Situation besprechen wollte, sagte sie: „Morgen überlegen wir uns, wie wir es allen sagen wollen. Dass wir beschlossen haben, einfach Freunde zu bleiben und die Hochzeit abzusagen.“

Aber am nächsten Morgen fand Christie zu ihrer Überraschung seine Nachricht.

Ich muss weg. Ich brauche etwas Zeit und Abstand von Summer Lake, um alles überdenken zu können. Ich komme nach Hause, sobald ich kann, aber bitte suche mich nicht.

Nur Minuten später stürzte seine Mutter Susan in den Empfangsraum des Gasthauses, in der Hand einen ähnlichen Brief. Tränen schimmerten auf ihren Wangen – und sie bemühte sich nicht, die Anschuldigungen in ihren Augen zu verbergen, als sie Christie ansah.

* * *

Heute …

Ein Vogel, der vor dem Fenster des Gasthauses zwitscherte, brachte Christie wieder zurück in die Gegenwart. In eine Gegenwart, in der sich Sarahs besorgter Blick in echte Sorge verwandelt hatte.

„Hast du schon etwas von Wesley gehört?“, fragte Sarah.

„Nein. Er hat sich noch bei keinem von uns gemeldet.“

„Er gehört zur Familie und du weißt, wie gern ich ihn habe“, sagte Sarah. Ihre Großmutter Olive und Wesleys Großmutter Jean waren Schwestern. „Das heißt aber nicht, dass ich ihn immer verstehe, weder ihn, noch seinen Bruder Liam, der nicht einmal auf unsere Hochzeitseinladung geantwortet hat.“

Christie wandte ihren Blick zum Fenster, als könnte sie Wesley da draußen irgendwie ausfindig machen, wenn sie nur angestrengt genug schaute. Aber sie ahnte, dass er nicht so bald zurückkommen würde. Er musste sich zurzeit mit vielen Dingen befassen, aber gelegentlich war sie ein bisschen angefressen, dass er sie hier zurückgelassen hatte und sie sich wer weiß, wie lange allein mit allem auseinandersetzen musste.

Sarah umklammerte ihre Hand enger und Christie fühlte, wie sie die Feuchtigkeit wieder in den Augen kitzelte. Nein. Die einzigen Tränen, die sie heute weinen würde, sollten Glückstränen sein.

In dem Augenblick läuteten die Kirchglocken. Christie öffnete die Tür und streckte ihrer Freundin die Hand entgegen. „Ich kann es nicht erwarten, Calvins Gesicht zu sehen, wenn du zum Altar schreitest. Er wird der glücklichste Mann auf Erden sein.“

* * *

Oh Gott. Was für eine wunderschöne Hochzeit. Jenseits von allem, worauf Christie sich hätte vorbereiten können.

Natürlich war die Braut atemberaubend und der Bräutigam sah gut aus. Rosa, weiße und rote Glashausrosen blühten überall im Raum. Aber Sarah und Calvin hätten in Jeans und T-Shirts inmitten eines freien Feldes stehen können und es wäre immer noch eine der schönsten Feiern gewesen, die Christie je miterlebt hatte, einfach weil die Liebe zwischen ihnen so groß und wahrhaftig war, dass sie alle im Raum umfing, als sie ihre Gelübde sprachen.

Sarah war stark und zugleich überaus verletzlich, als sie Calvin in die Augen blickte. „Calvin Vaughn.“ Sie lächelte, als sie seinen Namen sagte. Selbst, wenn sie heute nichts mehr gesagt hätte, so zeigten doch die starken, unverfälschten Emotionen, die ihre Worte beseelten, jedem im Raum, wie sehr sie ihn liebte. „Es gibt keinen Teil meines Lebens ohne dich. Als ich fünf Jahre alt war, warst du mit mir am Spielplatz und hast mich auf der Schaukel höher fliegen lassen, als ich glaubte, fliegen zu können. Als ich fünfzehn war, hast du mich zum ersten Mal geküsst und mich mehr fühlen lassen, als ich glaubte, fühlen zu können. Und auch, während ich zehn lange Jahre nicht hier war, warst du in jeder Sekunde, in der ich weg war, bei mir, in meinen Träumen, in meinen Hoffnungen … und in jeder Faser meines Herzens.“ Tränen strömten über ihre Wangen, aber Calvin fing sie auf und wischte sie mit seinem Daumen weg. „Meine Liebe zu dir ist bedingungslos. Meine Liebe zu dir ist atemberaubend und leidenschaftlich. Meine Liebe zu dir ist alles, was ich immer war, alles, was ich bin und alles, was ich sein will. Ich verspreche, dir alles zu geben, was du willst. Jedes Mal, wenn du verletzt bist, verspreche ich, dich zu heilen. Ich liebe dich Calvin Vaughn, jetzt und für immer.“

Alle hielten hörbar den Atem an, als er seinen Mund auf ihren senkte und ihr den süßesten Kuss der Welt gab. „Ich liebe dich, Sarah.“ Seine tiefe Stimme war erfüllt von grenzenlosen Gefühlen. „Ich kann mich an keine Zeit erinnern, in der ich dich nicht geliebt hätte – und ich weiß, dass es nie eine Zeit geben wird, in der ich dich nicht lieben werde. Deine Liebe war immer und wird immer der Grundstein dessen sein, was ich bin – und was ich sein will. Dein dich liebender Ehemann.“ Er legte eine Hand auf die leichte Wölbung ihres Bauches. „Der beste Vater auf der großen weiten Welt für unsere Kinder.“ Sie bedeckte seine Hand mit ihrer, als er sagte: „Und dein Partner in all den Abenteuern, die wir zusammen erleben werden.“ Er zog sie noch näher, so nahe, dass Christie wusste, er würde trotz all der Hochzeitsgäste, die ihnen zusahen, während sie ihre Eheversprechen sprachen, nur mehr seine Braut sehen. „Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft – du hast mein Herz.“

Christie bemühte sich nicht, ihre Tränen zu verbergen, da sich ja auch alle anderen im Raum die Augen abtupften. Zum Glück hatte sie wirklich alles vorhergesehen und kleine Kartons mit Papiertaschentüchern am Ende jeder Reihe aufgestellt. Diese Kartons wurden jetzt hin- und hergereicht, während Jordan, Calvins zehnjährige Schwester, in ihren Korb griff und Rosenblüten über ihren Bruder und ihre neue Schwägerin streute, während sie sich küssten und die Menge jubelte.

Die Gäste waren großteils Einheimische von Summer Lake mit ein paar von Sarahs aus der Stadt angereisten Freunden. Suzanne Sullivan war hier mit ihrem Freund Roman, Drake Sullivan mit seiner Freundin Rosa. Und Alec und Harry Sullivan waren ebenfalls gekommen, zusammen mit ihrem Vater William. Christie wunderte sich immer, dass die Sullivans, obwohl so viele von ihnen berühmt oder Milliardäre – oder beides – waren, ihre Freunde nie in den Hintergrund drängten. Stattdessen gelang es ihnen immer, sich in der kleinen Stadt in die Gruppe aller anderen einzufügen.

Genauso, wie Christie es sich so innig wünschte.

Während sie die Braut und den Bräutigam beobachtete, wie sie sich noch enger umarmten, um sich wieder zu küssen, konnte Christie nicht anders, als sich im Stillen auch eines Tages ein Happy End zu wünschen. Auch wenn alles darauf hindeutete, dass es der unmöglichste Traum der Welt war …

KAPITEL 3

Liam Kane hörte den Applaus und den Jubel, während er durch den Eingang des Gasthauses ging. Die Blütenblätter, die aus dem Veranstaltungsraum flatterten, ließen ihn leicht erraten, dass eine Hochzeit stattfand.

Es erschien ihm sofort sonderbar. Warum würde Wesley eine weitere Hochzeit im Gasthaus am selben Wochenende planen wie seine eigene? Und überhaupt, wie plante sein Bruder nach dieser Hochzeit alles aufzuräumen und immer noch Zeit zu finden, sein Probedinner für heute Abend zu organisieren?

Liam hatte vorgehabt, direkt nach oben in seine Suite zu gehen, um sich nach seinem Nachtflug aus China zu duschen. Er hatte irrsinnige drei Wochen mit ständigen Flügen und Hotelzimmern hinter sich, in die er kaum Zeit gehabt hatte einzuchecken, bevor er schon wieder zum nächsten Flughafen, zum nächsten Meeting unterwegs gewesen war. Er war aber schon so lange nicht mehr zum See zurückgekehrt, dass ihn die Neugierde dazu trieb, sein Gepäck hinter dem Empfangstresen abzustellen und zu dem großen Raum mit Seeblick zu gehen, um zu sehen, wer heiratete.

Er blieb an einer Seitentür hinter einer großen Topfpflanze stehen und war erstaunt zu sehen, dass Sarah Bartow, mit der er über seine Großmutter verwandt war, ein Hochzeitskleid trug und sich mit ihrem früheren Freund Calvin Vaughn an den Händen hielt.

Soviel er wusste, hatten sie sich nach Abschluss der Highschool getrennt. Wann hatten sie sich wieder zusammengetan? Und wie war es möglich, dass er keine Ahnung hatte, dass sie heute heirateten? Zugegebenermaßen war es ihm in den letzten Jahren nicht sonderlich gut gelungen, mit seiner Familie oder mit den Einheimischen von Summer Lake in Kontakt zu bleiben. Aber das bedeutete nicht, dass ihn Sarah absichtlich nicht auf die Gästeliste setzen würde, oder?

Es musste eine rationale Erklärung geben, warum er nichts von der Hochzeit wusste. Als Sarah und Calvin sich küssten, um ihr Gelübde zu besiegeln, jubelte das Publikum und Liam konnte sehen, dass sie sich wirklich liebten. Im Augenblick wenigstens. Was allerdings später sein würde – in zehn, fünfzehn, zwanzig Jahren, wenn sie einmal Kinder hatten und eine Familie mit Zusammenhalt bilden sollten, in der sich alle umeinander kümmerten – hielt er für völlig ungewiss. Tatsächlich wusste er mit Sicherheit nur, dass nicht nur der Mann und die Frau, die einmal an ihrem Hochzeitstag ihr Ehegelübde abgelegt hatten, leiden mussten, wenn die Liebe scheiterte. Nein, das zog viel weitere Kreise.

Deshalb hatte Liam während der fast zwanzig Jahre, in denen er mit Frauen ausging, nie heiraten wollen, war nicht einmal entfernt versucht gewesen, auf ein Knie zu sinken und eine Frau zu bitten, ihm zu gehören, bis dass der Tod sie scheidet.

Gewöhnlich gestattete er es solchen negativen Gedanken nie, die Oberhand zu gewinnen, deshalb drängte er sie tief hinunter, während er den Blick über das Publikum im Raum gleiten ließ. Es war lange her, seit er das letzte Mal in die Stadt zurückgekehrt war, aber er kannte fast alle. Den alten Fußballtrainer. Den Besitzer des Dorfladens. Verschiedene Leute, mit denen er in die Schule gegangen war. Die Sullivans, die er während der Sommer kennengelernt hatte, wenn sie an den See gekommen waren, um ihrem Vater beim Bau seines Holzhauses zu helfen.

Und dann fiel sein Blick auf das Aufblitzen einer Bewegung – und fesselte ihn.

Goldenes Haar glitt wie Seide über die Schultern einer Frau, die zuvor von einem großen, älteren Mann verdeckt gewesen war. Und als sie sich zu Liam umdrehte, blieb ihm der Atem wirklich in der Brust stecken. Ihre Augen glitzerten tränenfeucht, ihre Wangen waren gerötet. Sie biss sich auf die Lippe, die Hände bedeckten ihr Herz.

Und sie war die schönste Frau, die er je gesehen hatte.

Er hatte sich noch nie von einer so zarten Frau wie dieser angezogen gefühlt, die aussah, als könnte sie Feenflügel ausstrecken und davonfliegen. Er hatte sich die Frauen, die sein Bett teilten, immer sorgfältig ausgesucht und sichergestellt, dass sie so realistisch waren und nie den Fehler machten, sich in ihn zu verlieben oder zu glauben, dass sie ihn verändern konnten.

Er konnte allerdings seine elementare Reaktion auf diese Frau nicht verleugnen.

Die Braut und der Bräutigam begannen, den Gang heraufzukommen und den Raum zu verlassen. Er sollte mit dem übrigen Publikum zu ihnen gehen und sie beglückwünschen. Er konnte aber seinen Blick von der Frau nicht losreißen, die ihm den Atem nahm und gleichzeitig sein Herz schneller schlagen ließ.

Ihr grünes Kleid war gut geschnitten, aber überhaupt nicht protzig. Die Perlen an ihren Ohrläppchen und um ihren Hals waren elegant, aber nicht dazu bestimmt, den Blick eines Mannes anzuziehen. Ebenso wenig ihre silberfarbenen Schuhe mit den niedrigen Absätzen. Er hatte den Eindruck, dass sie nicht die Sorte Frau war, die gerne die Aufmerksamkeit auf sich lenkte.

Obwohl sie jedes Quäntchen seiner Aufmerksamkeit hatte.

Inzwischen waren alle Sarah und Calvin aus dem Raum hinaus und zur gegenüberliegenden Tür gefolgt, aber die Frau blieb zurück, bückte sich, um einige um ihren Sitz herumliegende Blütenblätter aufzuheben. Etwas tickte in seinem Gehirn, ein Prickeln, das mehr war, als nur die Wahrnehmung einer schönen Frau. Ein Signal, dass er sie von irgendwoher kannte. Aber woher?

Sie hob eine weitere Handvoll Blütenblätter vom Boden auf, als sie herüberschaute und ihn in der Seitentür stehen sah. Sie war jetzt näher, so nahe, dass er sehen konnte, welch zarte Gesichtszüge sie hatte, hohe Backenknochen, ein leicht spitzes Kinn und die Grübchen in ihren Wangen, als sie lächelte.

„Oh, hallo.“ Ein Strauß Blütenblätter fiel aus ihren Händen und flatterte zu Boden. Sie schenkte ihm ein entschuldigendes Lächeln, als sie sich bückte und sie wieder aufhob. „Sie riechen gut, aber schaffen eine Riesenunordnung.“

Liam wusste, dass sie erwartete, er würde etwas sagen, wer er war oder was er wollte, während er hier stand und sie anstarrte. Aber es hatte ihm die Sprache verschlagen.

Sie war die erste Frau in seinem Leben, die ihn sprachlos machte.

„Wegen der Hochzeit war ich nicht am Empfangstresen“, fuhr sie fort. Sie lächelte weiterhin ihr Willkommenslächeln. „Kann ich Ihnen irgendwie behilflich sein? Besuchen Sie vielleicht einen Gast hier im Gasthaus?“

Endlich sagte er zu ihr: „Ich bin Liam Kane.“

In einem Augenblick verschwand ihr Lächeln. Ihr Mund öffnete sich leicht und ihre Wangen erröteten. Sie machte einen schnellen Schritt zurück und stieß gegen einen der mit Stoff überzogenen Klappsessel.

Er wartete darauf, dass ihr Blick zu seiner Narbe wanderte und dort hängen blieb. Das war sicher der Grund für ihre plötzliche, übermäßige Reaktion. Aber ihre Augen wichen nie von seinen, streiften nie über seine Verletzung, die die untere Hälfte seiner linken Wange vom Ohrläppchen zum Kinn zweiteilte.

„Oh, Mann. Natürlich sind Sie Liam.“ Sie biss sich auf die Lippe und zog seine Aufmerksamkeit auf ihre volle, weiche Form. Trotz ihres klassischen Aufzuges, Kleid, Schuhe und Schmuck, schienen ihr voller Mund und die tiefgrünen Augen eine tieferliegende Wahrheit über sie zu verraten. Eine Sinnlichkeit, die sie nicht verbergen konnte. Eine Sinnlichkeit, die ihn schon allein bei seinem Namen auf ihren Lippen umfing. „Ich habe gewusst, dass Sie irgendwie bekannt aussehen. Ich hätte es schon vorher bemerken sollen, aber die Hochzeit muss mein Gehirn durcheinandergebracht haben. Sarah hat sich gefragt, warum Sie nicht auf ihre Einladung geantwortet haben, aber schließlich haben Sie es ja geschafft!“

Während sie redete, raubten ihm ihre großen grünen Augen seine Gehirnzellen, eine nach der anderen. Es fühlte sich an, wie ein Hammer der in seinem Kopf ballerte. Woher wusste sie genau, wer er war, während er um nichts auf der Welt draufkam, wer sie war?

„Ich war im letzten Monat ständig unterwegs“, erklärte er, „und ich nehme an, dass ihre Einladung versehentlich in dem Stapel meiner ungeöffneten Mails gelandet ist. Ich hatte wirklich keine Ahnung, dass sie geheiratet haben. Ich bin wegen der Hochzeit meines Bruders Wesley hier.“

Ihre Augen wurden noch größer. Und wenn er sich nicht irrte, ziemlich entsetzt. „Sie wissen nicht, was passiert ist?“

Der Hammer hämmerte noch heftiger, zugleich läuteten die Alarmglocken in seinem Gehirn, die ihm sagten, dass etwas entschieden danebengegangen war. Hatte er es nicht vom ersten Augenblick an, indem er ins Gasthaus getreten war, gewusst, als er sah, dass hier eine andere Hochzeit stattfand?

Etwas Schlimmes musste seinem jüngeren Bruder widerfahren sein, um den er sich immer gekümmert hatte, als sie noch Kinder waren. Allerdings war er in den letzten paar Jahren nicht in der Nähe gewesen, um nach ihm zu sehen. „Wie gesagt ich war ständig unterwegs und mein Handy funktioniert nicht immer zuverlässig in einigen der Länder, in denen ich war. Wenn Wesley versucht hat, mich über mein Personal zu erreichen, dann habe ich jedenfalls nichts davon erfahren.“ Die Sorge um seinen Bruder ließ ihn die Hände auf ihre Schultern legen, um sich ihrer ganzen Aufmerksamkeit zu vergewissern. „Was ist passiert? Wo ist Wesley?“

Ihre Augen waren jetzt so weit geöffnet, dass er sich unwillkürlich ihren genauen Grünton ins Gedächtnis prägte, das junge Grün auf den kahlen Bäumen im Frühling. „Ich weiß nicht, wo er ist.“

Plötzlich fühlte er, wie sie unter seinen Händen zitterte. Was zum Teufel fiel ihm ein, sie so grob anzufassen? „Ich hätte Sie nicht so heftig anfassen sollen.“ Er nahm seine Hände von ihr, als ihm plötzlich einfiel, warum sie ihm so bekannt vorkam. Er gab dem Nachtflug die Schuld, dass er so lange gebraucht hatte, um zu kapieren. „Sie sind Wesleys Verlobte.“

Wesley hatte seinerzeit, als sie ihre Verlobung ankündigten, ein Foto von ihr geschickt und Liams Sekretärin hatte es oben auf seine Geschäftsbriefe gelegt. Er war schon spät dran für ein Meeting und hatte kaum Zeit, sich das Foto anzusehen, bevor es abgelegt wurde – und dann war er in Asien, als sie ihre Verlobungsfeier hatten, deshalb hatte er keine Möglichkeit gehabt, die Verlobte seines Bruders früher kennenzulernen. Soweit er sich erinnern konnte, hatte sie auf dem Foto zwar hübsch ausgesehen, aber nichts an ihr hatte seine besondere Aufmerksamkeit geweckt.

Er konnte kaum glauben, dass diese Frau vor ihm dieselbe war, wie jene neben Wesley auf dem gestellten Foto. Dieselben Haare, dieselben Augen, dasselbe Gesicht, dieselben Züge – aber vollkommen anders. Als wäre sie, seit das Foto aufgenommen worden war, irgendwie ins Blickfeld gerückt.

„Ja“, sagte sie, „ich bin Christie. Ich war seine Verlobte.“

Er konnte das war nicht überhören. Das hatte sie auch nicht beabsichtigt. „Ihr hättet morgen heiraten sollen.“

„Ja“, sagte sie wieder, schüttelte aber den Kopf, obwohl sie ihm zustimmte. „Das hätten wir sollen, aber …“

Eine Tür wurde aufgerissen und Liam hörte die Stimme seiner Mutter. „Christie, hast du meine Stola gesehen? Ich glaube, ich habe sie auf meinem Si…“ Die Worte verebbten, als sie bemerkte, dass ihr ältester Sohn dastand.

Christie sprang so schnell von seinem Griff zurück, dass er schwören konnte, einen Stoß kalter Luft an der Stelle zu fühlen, wo sie gerade noch gestanden hatte.

„Liam?“ Seine Mutter näherte sich ihm. Ihr Blick wanderte sofort zu seiner Narbe und blieb dort mehrere Sekunden hängen. „Ach Liebling, ich bin so froh, dass du endlich zu Hause bist. Es war alles ein solches Desaster. Für uns alle. Dein Vater und ich versuchten dauernd, dich zu erreichen, aber deine Sekretärin sagte immer, du wärst in einer Sitzung oder irgendwo in einem Flugzeug.“ Sie senkte ihre Stimme. „Ich wollte nicht eine so persönliche Nachricht einer Fremden übergeben.“

„Also gibt es keine Hochzeit?“ Er richtete die Frage an Christie und nicht an seine Mutter.

„Nein“, sagte sie leise, „so ist es leider.“

„Warum?“ Wieder richtete er die Frage an Christie, aber bevor sie antworten konnte, griff seine Mutter nach seiner Hand, um seine Aufmerksamkeit zu erlangen.

„Wesley hat mir und deinem Vater eine Nachricht hinterlassen, in der er schreibt, dass er eine Weile weg müsse, um die Dinge zu überdenken. Er hat aber nicht erklärt, was dieses Dinge sind. Stimmt es, Christie?“

Christie hob ein wenig das Kinn, um seiner Mutter ins Gesicht zu sehen, die ein Stück größer war als sie. „Ja.“ Ihm fiel ihre beachtliche Stärke auf, als sie sich wieder ihm zuwandte. „Wesley und ich haben uns vor ein paar Wochen geeinigt, dass die Verlobung und die Hochzeit ein Fehler waren, aber dass wir weiterhin Freunde bleiben. Es gibt keine verletzten Gefühle zwischen uns. Überhaupt keine. Wir wollen nur, was für uns beide das Beste ist.“ Sie hielt inne. „Leider war er am nächsten Morgen weg.“

Ihre ernsthaften Worte schienen aufrichtig, aber Liam war noch nicht zufriedengestellt. Denn er spürte, dass es noch viel mehr gab, das sie ihm aber nicht sagte.

„Ich wünschte nur, dass Wesley mir das persönlich gesagt hätte“, warf seine Mutter ein, „anstatt einfach mitten in der Nacht zu verschwinden und uns eine Nachricht zu hinterlassen, dass er Christie die Verantwortung für das Gasthaus überließ. Ich habe einfach kein gutes Gefühl.“

Wieder stand die Frau, die in seinen Armen gezittert hatte, stark vor seiner Mutter, während sie sagte: „Wesley ist ein wunderbarer Mann. Ich bin sicher, dass er bald zurück sein wird und uns alle wissen lässt, was los ist.“

„Wann?“, fragte Susan. In den Ohren aller anderen war die Frage seiner Mutter einfach von Sorgen um ihren Jüngsten geprägt. Liam konnte allerdings den eisigen Unterton hören. Das Eis galt Christie.

„Ich wünschte, dass ich es wüsste, Susan. Aber ich weiß es nicht.“ Christie wandte sich wieder an ihn. „Sind Sie sicher, dass er nicht versucht hat, Sie zu erreichen, Liam?“

Sein Name auf ihren Lippen versetzte ihm einen weiteren Blitzschlag. Er sagte sich, dass er einfach jede der zwei Stunden Schlaf fühlte, die er während des Fluges geschafft hatte – oder besser gesagt die zweiundzwanzig, die er nicht geschlafen hatte. Er fuhr sich mit der Hand über das Gesicht, bevor er antwortete. „Soviel ich weiß, nicht.“

Verflucht, wenn Wesley in Schwierigkeiten war, warum hatte er sich nicht an seinen Bruder gewandt? War Liam so wenig für ihn in den letzten Jahren da gewesen, dass Wes nicht wusste, immer eine offene Tür bei ihm finden zu können? Wesley war der Mensch, den Liam immer von ganzem Herzen geliebt hatte. Der einzige Mensch, dem er voll und ganz vertrauen konnte.

Aber jetzt hatte sich sein Bruder einfach aus dem Staub gemacht.

„Er hat uns hier Briefe hinterlassen“, sagte Christie zu ihm. „Vielleicht ist Ihrer in der Post abhandengekommen.“

„Ich werde meine Assistentin bitten, meine Post – und E-Mails – heute Abend noch einmal durchzusehen.“

Die Tür quietschte wieder und das Klappern von High Heels erklang auf den Holzdielen. „Christie, ich hab einen Riss im Saum meines Kleides und habe mich gefragt, ob du …“ Sarah blieb abrupt im Laufen auf halber Strecke im Raum stehen und sah verdutzt – aber erfreut – aus, als sie Liam erblickte. „Du bist da!“ Sie warf ihm die Arme um den Hals. „Wir haben die Einladungen erst vor ein paar Wochen verschickt, aber als ich keine Antwort von dir bekam, war ich nicht sicher, ob du deine erhalten hast.“

„Hab ich nicht.“ Er glaubte vielleicht für sich selbst nicht an die Liebe, wenn Sarah aber an sie glaubte, na, dann war er verdammt glücklich für sie. „Ich bin aber froh, dass ich Glück hatte und trotzdem hier bin. Meine Glückwünsche, Sarah.“

„Danke.“ Ihr Lächeln war so voll Freude, dass er beinahe sehen konnte, wie es ein Loch in die Frustration im Raum schmelzen ließ. „Es ist ewig her, seit wir miteinander schwatzen konnten und ich will das wirklich gründlich nachholen, über alles, aber ich glaube, ich sollte besser mein Kleid flicken, bevor der Riss größer wird.“

„Ich habe Nähzeug oben“, sagte Christie. „Ich kann das gleich machen.“

„Danke, Christie!“ Sarah wandte sich wieder an Liam, um ihn noch einmal zu umarmen und sagte dann: „Komm, such mich während des Empfangs auf, damit wir reden können, bevor du wieder verreist.“

Nachdem Sarah mit Christie die Treppen hinaufgegangen war, standen Liam und seine Mutter allein in dem Raum voll leerer Stühle und Hunderten Rosenblättern.

„Es ist wirklich schön, dich wieder zu Hause zu haben, Liebling.“ Die Hand seiner Mutter fühlte sich kalt auf seinem Arm an. „Du hast uns allen gefehlt.“

In Wirklichkeit hatte er den See vermisst, die Berge, die klare Luft. Aber er hatte nicht vermisst, wie sich jedes Mal, wenn er hier war, der Knoten in seinem Magen zusammenschnürte und in ihm größer und härter denn je wurde.

Als er ein Kind war, waren die Arme seiner Mutter warm und er saß gerne bei ihr, wenn sie ihm Bücher vorlas oder Märchen vor dem Schlafengehen erzählte. Aber er war seit langer Zeit kein Kind mehr.

Und er hatte auf die harte Tour gelernt, nicht den Fehler zu begehen, an Märchen zu glauben.

Er wusste, dass sie sich wünschte, er solle ihr vergeben, was sie vor so vielen Jahren getan hatte, dass er ihr sagte, alles sei okay, dass das Vergangene nicht mehr zählte. Stattdessen fragte er: „Was genau stand in Wesleys Brief, Susan?“ In ihren Augen blitzte Schmerz auf, als er sie bei ihrem Vornamen ansprach. Er hatte sie seit er vierzehn war nicht mehr Mom genannt und alles war zum Teufel gegangen. Er würde aber nicht jetzt damit anfangen.

„Nur, dass es ihm leidtat und dass er und Christie beschlossen hatten, nicht zu heiraten. Und dass er ihr das Gasthaus während seiner Abwesenheit anvertraute und sie es nach eigenem Gutdünken führen konnte.“

Sie blickte zu schnell weg und seine Brust zog sich zusammen wie immer, wenn er mit seiner Mutter sprach. Nach all diesen Jahren, in denen er von Summer Lake weg gewesen war, hatte er geglaubt, dass er sich während Wesleys Hochzeits-Wochenendes perfekt kontrollieren können würde. Allerdings hatte er geglaubt, es würden nur ein paar Partys und die Feier sein.

Er war sich fast sicher, dass sie etwas vor ihm verbarg. „Stand sonst nichts in seinem Brief?“

Seine Mutter war eine attraktive Frau, aber während sie hier beisammenstanden, erlosch der Sonnenschein hinter einer Wolke. Sie sah müde und traurig aus. „Ich will dich nicht verletzen, Liebling. Weißt du das nicht? Ich wollte dich nie verletzen.“

Er antwortete nicht auf diese zusammenhanglose Aussage. Sie wussten beide, dass er nichts darauf sagen konnte, wenn sie wollte, dass er weiterhin ihre Geheimnisse für sich behielt, wie er es in den letzten zwanzig Jahren getan hatte.

Ihre Schultern sackten noch mehr zusammen, als sie seufzte. „Wesley schrieb, dass nichts Christies Schuld sei und wenn jemand verantwortlich war, dann er. Aber du und ich wissen, dass er keine Fliege verletzen würde. Er war immer ein sehr lieber Junge.“

Eine neuerliche Welle der Erschöpfung erfasste Liam. „Mach dir keine Sorgen“, sagte er schließlich zu ihr. „Ich werde herausfinden, was hier läuft.“

Sie wirkte erleichtert und ihr Blick kehrte zu seiner linken Gesichtshälfte zurück. „Deine Narbe sieht viel besser aus. Sicher verwendest du die Salbe, die ich dir geschickt habe. Ich weiß, wie sehr sie dich immer gestört hat.“

In Wirklichkeit hatte ihn die Narbe nie interessiert, aber welchen Sinn hatte es, die Dinge zwanzig Jahre nach dem Unfall, der sein Gesicht zerschnitten hatte, zu klären?

Bevor er antworten konnte, steckte sein Vater den Kopf durch die Tür. Offensichtlich suchte er seine Frau. „Liam!“ Henry Kane zog ihn in eine ungestüme Umarmung. „Willkommen zu Hause. Ich freue mich, dass du es letztendlich geschafft hast.“

Einen Augenblick später war seine Großmutter Jean da, küsste ihn auf die Wange, dann hielt sie ihn still, so dass ihre weisen Augen viel mehr von ihm sehen konnten, als er preiszugeben geplant hatte. Genauso, wie sie es immer tat.

„Ich habe Liam vor ein paar Minuten im Gespräch mit Christie gefunden“, erklärte Susan.

„Christie ist ein reizendes Mädchen“, sagte seine Großmutter lächelnd. Etwas in ihrem Gesichtsausdruck rüttelte ihn auf. Das Funkeln in ihren Augen sah beunruhigend nach Kuppelei aus.

„Du hast die Sache mit Wesley und der Hochzeit gehört, nehme ich an?“, fragte sein Vater.

Liam nickte. „Ich plante gerade, jetzt hinaufzugehen, um ein paar Anrufe zu machen und zu sehen, was ich herausfinden kann.“

„Kannst du nicht noch ein bisschen beim Empfang bleiben?“, schlug seine Mutter vor. Eine Spur Verzweiflung schwang in ihren Worten mit. „Sarah und Calvin hätten dich sehr gerne dabei.“

Er wusste, dass sie recht hatte, deshalb zog er sein Handy heraus und schickte eine rasche SMS an seine Sekretärin, damit sie nachsah, ob es eine Nachricht von Wesley bei ihm zu Hause oder in seinem Spamordner gab. Dann ging er Calvin zu seiner Hochzeit gratulieren.

Liam hoffte, dass sein Freund und seine Cousine das Unmögliche wahr machen konnten – und tatsächlich die Liebe andauern lassen würden.

* * *

„Gab es unten gerade dicke Luft oder war das nur mein Eindruck?“, fragte Sarah, während Christie sorgfältig das Loch in Sarahs Hochzeitskleid zunähte.

„Das fandest nicht nur du“, stimmte Christie ihr zu. „Zumal Liam nicht gewusst hat, dass Wesley und ich uns getrennt haben. Er ist nach Hause gekommen, weil er glaubte, wir würden morgen heiraten.“

Sarah pfiff leise. „Und natürlich musste Susan mitten hineinplatzen, nicht wahr?“

Christie biss sich auf die Zunge. Sie heiratete vielleicht jetzt nicht mehr in die Kane-Familie ein, aber es fühlte sich doch noch nicht richtig an, etwas darüber zu sagen, wie unbehaglich sie sich wegen Susan fühlte. Sie war nie besonders herzlich und liebevoll gewesen. „Susan macht sich bloß Sorgen um Wesley.“

„Ich weiß. Das machen wir uns alle. Ich verstehe es aber immer noch nicht“, sagte Sarah. „Du bist der Traum einer Schwiegertochter für jede Mutter. Sie hätte hocherfreut sein sollen, dass du und Wesley euch verlobt hattet, anstatt dir gegenüber immer so eigenartig und unterkühlt zu sein.“

Aber Christie hatte bemerkt, dass sich Susan auch mit Liam eigenartig benahm. Vollkommen anders als mit Wesley. Susan hatte sich immer um Wesley gekümmert, ja, war geradezu erdrückend fürsorglich. Mit Liam dagegen hatte sie angespannt gewirkt. Besorgt.

Da Christie weder ein künstliches Lächeln, noch eine ausweichende Antwort zuwege brachte, gab sie vor, den Faden auf Sarahs Seidenkleid abzubinden.

„Obwohl wir verwandt sind, habe ich Liam seit Jahren nicht mehr gesehen“, sinnierte Sarah, während Christie die Näharbeit beendete. „Aber Wesley und Liam standen sich immer nahe. Ich bin wirklich überrascht, dass er nicht wusste, dass die Hochzeit abgesagt wurde.“

„Ich auch.“

Das war alles, was Christie eingestehen würde. Bestimmt nicht, dass ihre Reaktion auf Liam, wie er dastand und sie anstarrte, stärker war als jegliche Reaktion auf einen anderen Mann.

Jemals.

Sogar zu wissen, dass er Wesleys älterer Bruder war, reichte nicht aus, um das Feuerwerk, das allein von seiner Gegenwart im selben Raum in ihrem Bauch abging, aufzuhalten. Ein Blick auf ihn und schon hatte sie eine ganze Handvoll Rosenblätter fallen gelassen. Und als er seine Hände auf sie legte …

Wieder bekam sie eine Gänsehaut, als sie daran dachte, wie elektrisierend seine Berührung war.

„Man kann nicht sagen, dass er inzwischen schlechter aussieht“, sagte Sarah. „Damals in der Highschool flogen praktisch alle auf ihn. Alle Mädchen der Stadt wollten mit mir befreundet sein, weil sie hofften, zu einem Familienfest eingeladen zu werden, obwohl er sich bei den Festen selten zeigte.“ Sarah glättete mit der Hand die Flickarbeit, die Christie auf ihrem Kleid ausgeführt hatte. „Ich schwöre, dass ihn die Narbe vom Autounfall für die Mädchen noch interessanter machte. Wahrscheinlich wegen all der Gefahr und des Geheimnisses, das ihn umgab.“

„Ich habe keine Narbe bemerkt. Wo ist sie?“

Sarah warf ihr einen überraschten Blick zu. „Auf seiner linken Wange. Im unteren Bereich. Sie ist schwer zu übersehen.“

Christie versuchte, sich jene Augenblicke wieder zu vergegenwärtigen, als er sie nahe an sich hielt und sie über Wesley ausfragte. Sie konnte sich aber nur an seine eindringlichen Augen erinnern, die in ihre blickten und dass sie nur Schmetterlinge fühlen konnte. So leichthin, wie sie nur konnte, fragte Christie: „War er in der Highschool ein großer Herzensbrecher?“

„Nein. Alle wollten ihn, aber er ist nie mit jemandem aus der Stadt zusammen gewesen.“ Sarah zuckte die Achseln. „Ehrlich gesagt Liam war immer schwer durchschaubar. Was natürlich nur dazu führte, dass die Frauen sein Herz erforschen wollten. Es ist die übliche Geschichte, die wir Tausende Male gehört haben – ein armes, hirnverbranntes Mädchen glaubt, sie würde diejenige sein, in die er sich verlieben würde. Der von der Liebe in die Knie gezwungene, bekehrte Ladykiller.“

„Entschieden hirnverbrannt“, stimmte Christie zu. Sie wusste aus erster Hand alles über solche Mädchen.

Denn sie war schon seit jeher eine von ihnen.

Mist, sie hatte sich so sehr gewünscht, dass die Geschichte mit Wesley funktionieren würde, und hatte tatsächlich seinen Heiratsantrag angenommen. Und vor Wesley … nun ja, da war sie sogar noch hirnverbrannter mit ihren früheren Freunden. Sie hatte nur das gesehen, was sie sehen wollte – und alle Warnzeichen ignoriert.

Nie wieder. Zumal die Warnzeichen größer und heller aufgeleuchtet hatten als je zuvor, während sie mit Liam sprach. Er war wirklich eindeutig Christies Typ.

Genau der Typ, der ihr jedes Mal das Herz aus der Brust riss und darauf herumtrampelte.

KAPITEL 4

Sechs Stunden später hatte Christie die Braut und den Bräutigam verabschiedet, die für ihre Flitterwochen zum Flughafen unterwegs waren und sagte den letzten Hochzeitsgästen Adieu – von denen viele nicht anders konnten, als die alle interessierende, bis jetzt unausgesprochene Frage endlich anzusprechen.

„Eine wirklich schöne Hochzeit, Christie. Es tut uns allen so leid, dass du morgen nicht auch hier stehst und Wesley heiratest.“

Pfui.

„Ach Liebling, es muss wirklich schwer sein, in deinem Alter nochmals von Neuem anfangen zu müssen. Wir werden uns alle überlegen, welche ledigen Männer wir dir vorstellen können.“

Doppelpfui.

„Du musst ja total überfordert sein, das Gasthaus ohne Wesley führen zu müssen. Ich habe gehört, dass Liam zurück ist, um zu helfen.“

Himmel, nein.

Liam war nicht nach Hause zurückgekommen, um ihr im Gasthaus zu helfen. Zehn Minuten mit ihm im selben Raum genügten und schon drehte sich alles in ihrem Kopf und ihr Herz raste. Mit ihm zusammenzuarbeiten würde sie bestimmt vollkommen zur Strecke bringen.

Nur William Sullivan hatte die richtigen Worte gefunden. „Es ist unwichtig, was alle anderen denken. Es zählt einzig und allein, dass du glücklich bist. Lass mich wissen, wenn du ein bisschen mit meinem Ruderboot hinausfahren willst. Manchmal gibt es nichts Besseres, als mitten in einem ruhigen See zu sitzen, umgeben nur vom Wasser, den Vögeln und den Bergen.“

Sie hatte ihn so heftig umarmt, dass es ihn wohl ziemlich überraschte. Er hatte jedoch keine Ahnung, wie sehr ihr seine gutmeinenden Worte halfen.

Endlich war sie wieder in ihrem Zimmer und sehnte sich dringend nach einem langen, heißen Bad.

Sie griff nach dem Reißverschluss ihres grünen, knielangen Satinkleides, das die Sonnenseiten ihrer Figur betonte und die Schattenseiten verbarg. Sie hatte niemandem gesagt, dass es ihr Probedinner-Kleid hätte sein sollen. Sie fand angesichts der Unsumme, die sie dafür bezahlt hatte, dass sie es besser für diese Gelegenheit nutzen sollte, und hatte beschlossen, es heute zu tragen.

Nachdem sie mehr als zehn Stunden darin herumgelaufen war, konnte sie es nicht erwarten, in ein Paar Leggings und ein T-Shirt zu schlüpfen. Aber, als sie versuchte, den Reißverschluss hinunterzuziehen, blockierte er. Sie zog und zog, bis ihr Zeigefinger von dem kleinen Metallplättchen wund gerieben war.

War das Kleid verflucht?

Gerade, als sie das dachte, begann das Fenster in ihrem Schlafzimmer, das auf die Main Street ging, zu beben. Sie hatte den Wind zuvor am Nachmittag nicht bemerkt – im Gegenteil, es war ungewöhnlich ruhig draußen auf dem Wasser – aber das Wetter schwang so schnell um in den Adirondack Mountains, dass der Himmel von strahlend blau in Sekunden zu niederprasselndem Hagel umschwenken konnte.

Im Mondlicht konnte sie sehen, dass sich die Baumwipfel nicht bewegten. Auch die Fahne auf dem Rathaus war schlaff. Aber eigenartigerweise bebte das Fenster immer noch.