Liebe ist wie Pfannkuchen - Lin Teuber - E-Book

Liebe ist wie Pfannkuchen E-Book

Lin Teuber

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Beschreibung

Ein Jugendroman über die Liebe, Freundschaften und das Leben. Carli, Jen und Liz - seit Jahren unzertrennliche Freundinnen - stellen sich gemeinsam dem turbulenten letzten Schuljahr, bevor es in die große weite Welt hinaus geht. Das Motto der drei lautet: Gute Noten, keine Ablenkungen! Doch dann kommt alles anders. Intrigen, besitzergreifende Exfreunde, Familientragödien, Geheimnisse und ein gutaussehender aber rätselhafter Austauschschüler stellen die Freundschaft der drei Mädchen sowie ihr Motto auf eine harte Probe...

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Seitenzahl: 285

Veröffentlichungsjahr: 2022

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Charaktere:

Melissa Geiger (Erzfeindin von Carli, Jen und Liz)

Natalie Fecker (Freundin von Melissa)

Frau Maria Wilkes (Hauswirtschaftslehrerin)

Herr Sanders (Sportlehrer)

Frau Walter (Sportlehrerin)

Herr Braun (Klassenlehrer)

Herr Mang (Physiklehrer)

Inhaltsverzeichnis

Charaktere:

Prolog

Ein halbes Jahr später…

Shane

Liz

Carli

Shane

Carli

Shane

Carli

Shane

Liz

Shane

Carli

Shane

Carli

Shane

Carli

Pat

Carli

Liz

Carli

Jen

Shane

Jen

Shane

Carli

Shane

Carli

Shane und Carli

Shane

Carli

Shane

Ben

Jen

Carli

Shane

Carli

Shane

Carli

Shane

Carli

Carli und Shane

Shane

Carli

Liz

Carli

Shane

Carli

Shane

Shane und Carli

Shane

Carli

Shane

Carli

Carli und Shane

Ben

Carli

Shane

Ben und Melissa

Shane

Carli

Shane und Carli

Shane

Liz

Jen, Liz und Carli

Shane

Carli

Ben

Carli

Liz, Jen und Carli

Carli und Shane

Ben und Shane

Shane

Nik

Carli, Jen und Liz

Epilog

Prolog

Carli

Es ist Montagmorgen, vier Uhr und ich kann nicht schlafen. Ich liege wach im Bett und denke an das vergangene halbe Jahr. Wie ein Traum kommt es mir vor. Langsam beginnt sich die Zeit zurückzudrehen. Und ich reise mit in die Vergangenheit.

Es war der letzte Tag der Schulferien. Morgen würde das letzte Schuljahr beginnen…

„Keine Partys! Keine Jungs! BÜFFELN!“

Carli ließ den Stift sinken. Ziemlich trostlose Aussichten, was sie sich da fürs kommende Schuljahr vorgenommen hatte. Sie stand von ihrem Bett auf und heftete ihr neuestes Ziel an die Pinnwand über dem Schreibtisch. Sie blickte nachdenklich auf den rot leuchtenden Klebezettel. Sie hatte sich nicht wirklich angestrengt im vergangenen Jahr. Viel zu häufig waren die vielen Partys geworden. Das ganze Wochenende nur durchgefeiert. Manchmal ging es Donnerstagabend schon los, freitags wurde geschwänzt. Und der Alkoholkonsum war enorm geworden. Sie hatte nur ihm zuliebe damit angefangen. Er fand es lässig, wenn ein Mädchen trank. Ben.

Ein gutaussehender Typ – groß, muskulös, braungebrannt, helles halblanges Haar und eisblaue Augen. Der Mädchenschwarm schlechthin.

„So ein Mistkerl“, schimpfte Carli leise.

Nur widerwillig dachte sie an vergangenes Wochenende zurück. Wieder so eine Sauf-Tour.

Ben hatte immer schön nachgeschenkt und Carli hatte getrunken und getrunken. Sie erinnerte sich nur bruchteilhaft an das, was danach passiert war.

Mit Schädelbrummen war sie halbbekleidet im Wohnwagen der Band aufgewacht…

Ach ja, Leadsänger war er auch noch in ihrer gemeinsamen Band „FireBirds“. Oder besser gesagt: Ex-Band. Carli schüttelte den Kopf. Wie konnte sie nur so blind gewesen sein!

Sie hatte ihn zur Rede gestellt. Doch er hatte nur mit einem dreckigen Grinsen im Gesicht geantwortet.

Das war´s! Keine Partys mehr, keine Jungs mehr – nur noch büffeln – Abschluss machen, eine angesehene Hotelfachschule besuchen und die Beste werden. Am liebsten die Schule in Wien.

Das wäre zwar verdammt weit weg, aber gerade das fand Carli so attraktiv an der Sache.

Abgesehen davon würden ihr dann alle Türen offenstehen! Sie hätte die Chance als Catering-Leitung bei den ganz großen Hotels zu landen.

Ihr Traumjob. So oder so ähnlich sah der Schlachtplan aus.

Und eines war sicher, und zwar so sicher, wie der Kochlöffel in der Küche: Ben kam in ihren Zukunftsplänen nicht mehr vor!

Klopf, klopf… unterbrach es Carlis Zukunftsvisionen.

„Ja?“, fragte Carli halblaut, in der Hoffnung, dass die Türklinke nicht gedrückt würde.

„Geh jetzt lieber schlafen, mein Schatz. Morgen geht´s wieder früh raus“, brummelte eine gedämpfte Stimme.

„Is gut, Dad. Gute Nacht.“

Kurze Pause.

„Ich liebe dich.“

Sie antwortete nicht.

Sie hatten in letzter Zeit viele Auseinandersetzungen. Zu viele.

***

Schon 3 Minuten zu spät! Carli war immer pünktlich. Liz und Jen, ihre beiden Freundinnen, nahmen es mit der Zeit nicht so genau. Sie hatten beschlossen bis zum Herbst mit dem Fahrrad zur Schule zu fahren. Nach Riedlingen war es nicht weit, vielleicht acht Kilometer. In 20 Minuten konnte man es locker schaffen. Wenn die beiden noch länger auf sich warten lassen würden, könnte es allerdings knapp werden.

Liz kam in Sicht. In einer Seelenruhe radelte das rothaarige Mädchen in den Kreisverkehr, nahm die Ausfahrt, die zum Radweg führte und hielt neben Carli.

„Guten Morgen“, grinste sie.

„Gut??? Gut wäre um zehn!“

„Mit dem falschen Bein aufgestanden?!“ Das Grinsen blieb.

„Du bist zu spät“, antwortete Carli knapp.

„Immerhin noch früher als Jen“, verteidigte Liz sich.

„Verdammt! Jetzt sind es schon fünf Minuten!

Wo bleibt sie?“, fragte Carli ungeduldig.

„Komm runter, wir werden schon nicht zu spät kommen…“

Überzeugt klang Liz aber nicht. Eher nervös.

Schweigen… Eine Minute später zückte Liz ihr Handy und wählte. Es klingelte… vier Mal…

„Hi, hier is Jennifer Koch. Bin momentan leider nicht erreichbar. Hinterlass mir ne Nachricht, ich ruf zurück! Danke!“ Die Mailbox…

Liz legte den Kopf schief und klappte ihr Handy wieder zu.

„Es reicht – ich fahr jetzt!“ Carli drehte energisch um und fuhr im Kreisverkehr die Ausfahrt Richtung Dürmentingen hoch. Liz folgte wenige Sekunden später.

„Muss das sein?“, fragte sie keuchend. „Ich hasse diesen Berg… Was hast du vor?“

Keine Antwort. Dass Carli sich neuerdings in Schweigen hüllte, war sonderbar. Ihr neues Markenzeichen? Liz verdrehte die Augen, strampelte aber so schnell sie konnte hinterher.

Endlich im Oberdorf angekommen, ging die Fahrt müheloser voran. Carli fuhr immer zügiger und Liz hatte ihre liebe Not mitzuhalten.

Wunderschön angelegte Gärten, in denen nie auch nur eine Menschenseele zu sein schien, rauschten an ihnen vorbei.

Da, Hausnummer 17.

Carli und Liz preschten über die steinerne Hofeinfahrt. Sie stiegen von ihren Rädern ab.

Carli eilte ums Haus zum Schlafzimmerfenster von Jen. Auf keinen Fall wollte sie Daniel in die Arme laufen, falls er zu Hause wäre. Schließlich ist er Jens älterer Bruder. Kein Schulabschluss, kein Job, nur ein fauler Sack, der seiner Mom auf der Tasche rumliegt. Und er schwärmte seit einiger Zeit für Carli…

Klopf, klopf… Keine Reaktion.

Carlis Klopfen wurde immer lauter und schließlich hämmerte sie mit einer Faust an die Scheibe.

„Komm schon…“, murmelte sie.

Liz kam um das Hauseck. „Niemand da?“, fragte sie verwundert.

In dem Moment wurde das Fenster geöffnet.

Frau Koch blickte genervt heraus.

„Caroline, Elisabeth…“

Frau Koch nannte sie immer bei ihren vollen Namen. Sie hasste Spitznamen. Schließlich gaben Eltern sich immer sehr viel Mühe bei der Namensgebung ihrer Kinder und das sollte man respektieren. Wirklich eigenartige Ansichten.

Doch die Mädchen hielten sich in ihrer Gegenwart peinlichst genau daran.

„Ich wollte euch eben Bescheid geben, dass ihr nicht auf Jennifer zu warten braucht.“

„Geht’s ihr denn nicht gut?“, wollte Liz wissen.

Frau Koch schaute kurz über ihre Schulter. „Sie hat Bauchschmerzen, das ist alles.“

„Können wir bitte reinkommen?“

Carli warf Liz einen verschwörerischen Blick zu.

Sie glaubten beide zu wissen, woher die Bauchschmerzen kamen.

Frau Koch zögerte. „Ähhm… ihr kommt doch sicher zu spät, wenn ihr jetzt nicht fahrt?“

„Ach, Elisabeth gibt ihrem Dad kurz Bescheid, dann wird das schon…“, winkte Carli ab.

„Äh… was?!“ Liz schaute Carli verblüfft und verärgert zugleich an.

Frau Koch schloss zögernd das Fenster.

„Du weißt genau, dass ich mir keine Freiheiten rausnehmen soll… darf… kann… wie auch immer! Nur weil mein Vater zufällig der Rektor unserer Schule ist, heißt das noch lange nicht, dass ich tun und lassen kann was ich will! Schon gar nicht, dass ich zum Unterricht kommen kann, wann ich will! Und dass ihr meine Freundinnen seid, ist auch kein Freibrief für euch, Carli!!!“, schimpfte sie.

Carli schaute mitleidig drein.

„Na schön“, gab Liz nach. „Ich ruf ihn an…“

Liz litt schon immer sehr darunter, dass ihr Vater Rektor der Schule war, die sie besuchen. Es war von Anfang an schwierig für sie gewesen, richtige von falschen Freunden zu unterscheiden. Lange hatte sie deshalb überhaupt keine Freunde gehabt. Sie wusste ja, dass Carlis Bemerkung lediglich eine Ausrede für Frau Koch war. Aber nervig war es trotzdem. Sie gingen zur Terrassentür, die Frau Koch ihnen geöffnet hatte. Schnell schlüpften sie ins Haus und verschwanden in Jens Zimmer. Von Daniel keine Spur – ein Glück.

Jen saß auf ihrem Bett, die Haare zerzaust, die Wangen gerötet, dunkle Ringe um die vom Weinen aufgequollenen Augen. Sie war fertig für die Schule angezogen; ihre Tasche lag neben ihr.

Sie schluchzte.

Carli trat verlegen von einem Bein aufs andere.

Liz übernahm – sie war die Einfühlsamere.

„Ach Süße, weine nicht. So schlimm wird es bestimmt nicht… Komm, wir sind doch bei dir!“

Carli fand, dass Liz übertrieb. Jen war doch kein Kleinkind mehr!

„Ok, du hast jetzt noch zirka fünf Minuten, um dich vollends fertig zu machen und dann fahren wir los!“, bestimmte sie.

„Carli!“, rief Liz entsetzt.

„Was?! Soll das etwa ewig so weitergehen? Und wenn sie heute zu Hause bleibt, um ihm nicht zu begegnen, glaubst du dann, dass sie es morgen eher schafft, zur Schule zu gehen?!“

An Jen gewandt fuhr sie fort: „Du musst dich jetzt zusammenreißen. Er ist doch nur ein Kerl.

Er ist nicht gut genug für dich und du musst ihn endlich vergessen. Du weißt, dass ich Recht habe!“

„Carli, du machst es nur noch schlimmer!“, ärgerte sich Liz.

„Ich sag ihr vielleicht nicht unbedingt das, was sie hören will aber wenigstens das, was der Wahrheit entspricht!“, gab Carli trotzig zurück.

„Die Wahrheit?! Die Wahrheit ist, dass Jen in Josh verliebt ist und…“

„Hört sofort auf!“, meldete Jen sich mit brüchiger Stimme endlich zu Wort.

„Ich komme ja schon!“

Sie stand schnell auf, nahm ihre Tasche und stapfte aus ihrem Zimmer zur Wohnungstür.

Carli grinste Liz schief an und gab ihr im Vorbeigehen einen High-Five.

„Es hat funktioniert“, triumphierte sie.

Die beiden wussten, wie sehr Jen es hasste, wenn sich jemand stritt und sie Gegenstand der Diskussion war. Das hatte sie jahrelang mit ihren Eltern mitgemacht – auch lange nachdem die Scheidung durch gewesen war. Ein Sorgerechtsstreit, der kein Ende nehmen wollte, bis Jens Vater eine 15 Jahre jüngere Frau heiratete und mit ihr einen Sohn bekam. Von da an waren Jen und Daniel Schnee von gestern für ihren Vater.

Vielleicht war es nicht die fairste Methode, Jen aus dem Teufelskreis von Selbstmitleid zu holen.

Bislang war es aber die Einzige, die funktionierte.

Dieses Mal ging es um Jonas – Josh – ein guter Kumpel von Ben und Bandmitglied bei den „FireBirds“. Er hatte am letzten Schultag vor den Ferien mit Jen Schluss gemacht. Offenbar gab es eine andere, mit der er die Ferien verbringen wollte.

Carli hasste Josh dafür und war deshalb der Band untreu geworden, um ihm aus dem Weg zu gehen. Sie hatte Ausreden erfunden, um nicht zu den Bandmeetings kommen zu müssen.

Auch einige Auftritte hatte Carli Jens wegen verpasst. Sie konnte ihre Freundin schließlich nicht derart verraten.

Jen hatte jeden einzelnen Tag der Sommerferien mit Trübsal blasen verbracht. Sie war nur selten vor die Tür gegangen und hatte dabei alle Orte gemieden, an denen sie Josh zufällig hätte begegnen können. Und nun bekam sie Bauchschmerzen bei dem Gedanken, ihn wieder zu sehen.

Carli konnte mit ihr fühlen. Sie zeigte es nicht.

Aber alles, was sie Jen so unsanft an den Kopf geworfen hatte, waren indirekt Worte, die sie an sich selbst richtete. Sie hatte den Mädchen nichts davon erzählt, was zwischen Ben und ihr vorgefallen war. Sie würden es noch früh genug erfahren. Carli schluckte – in weniger als ein paar Stunden vermutlich.

„Aber was soll´s, ich muss Jen ein gutes Beispiel geben“, dachte sie bitter und trat in die Pedale.

Während der Fahrt verloren sie kein Wort mehr.

In der Schule angekommen, schlossen sie ihre Fahrräder im Unterstand ab und eilten zum Haupteingang. Jens Haare waren immer noch zerzaust aber ihre Augen waren bis auf die Ringe wieder in ihrem Normalzustand. Niemand würde etwas von ihrem morgendlichen Ausbruch ahnen.

Immer zwei Stufen auf einmal nehmend hüpften sie hoch ins 1. OG.

Zehntklässler kamen in das obere Stockwerk, vermutlich um sich ungestört auf die Prüfungen vorbereiten zu können. Im rechten Seitenflügel vom Haupteingang gesehen, befand sich ihr neues Klassenzimmer. Das hatte Carli im Vorbeigehen auf der Anschlagtafel am Pfeiler gesehen. Niemand mehr war auf dem Gang zu sehen. Der Unterricht hatte vor acht Minuten begonnen.

Zimmer 104. Carli klopfte, drückte die Klinke und sie traten ein.

„… zählt zur Hälfte der Gesamtnote.“ Herr Braun verstummte und beäugte die drei kritisch. Er blickte stumm auf seine Armbanduhr und dann die Mädchen fragend an.

„Sorry… sind etwas zu spät… der Gegenwind…“

Carli hob erklärend ihren Fahrradhelm hoch.

„Dann setzt euch doch bitte und erholt euch ein wenig von euren morgendlichen sportlichen Strapazen“, antwortete Herr Braun langsam mit einem süffisanten Lächeln. Er fuhr mit seinem Monolog über die Notengebung fort.

Carli beschloss, ihren neuen Klassenlehrer nicht zu mögen.

In der ersten Reihe waren noch drei Plätze frei.

Typisch…

Sie setzten sich, holten Stifte und Blöcke hervor und schrieben mit.

Jen registrierte, wie Josh schräg hinter ihr mit seinem Sitznachbarn tuschelte und dabei in ihre Richtung sah. Sie beschloss sich voll und ganz auf Herrn Braun zu konzentrieren.

Liz drückte sanft ihre linke Hand.

Wir sind bei dir, sollte es heißen. Jen lächelte dankbar.

***

„Was ´ein beschissener Stundenplan“, maulte Jen. Sie hatte die erste Begegnung seit der Trennung mit Josh heil überstanden und langsam kehrte ihr Selbstbewusstsein, zumindest das bisschen, was sie davon besaß, zu ihr zurück.

„Wenigstens habt ihr nicht zwei Mal die Woche nachmittags bei meinem Dad Nachhilfe…“, seufzte Liz.

Die Arme. Das war die Strafe dafür, dass sie am ersten Tag zu spät gekommen war. Herr Dr. Mayer konnte echt hart sein.

Andererseits tat er sonst alles für seine Kleine.

Carli erinnerte sich an eine hässliche Geschichte aus der 5. Klasse. Damals hatten Liz und ihre ehemalige beste Freundin MELISSA Geiger – inzwischen Schul-Diva und Oberzicke – einen üblen Streich an einer Lehrerin verübt. Sie hatten ihr ein Glas voll krabbelndes Ungeziefer in die Tasche gekippt. Frau Menzel war vor lauter Panik hysterisch schreiend auf den Schulhof gerannt, nachdem ihr die Tierchen aus ihrem MÄPPCHEN entgegen gekrabbelt waren.

Man munkelte, dass sie aufgrund dieses Vorfalls in psychiatrische Behandlung gekommen war.

Melissa hatte sich damals geschickt aus der Affäre gezogen und Liz war am Ende als die HAUPTSCHULDIGE dagestanden. Doch der Rektor hatte so lange auf Frau Menzel eingeredet, bis diese sich am Ende sogar bei Liz entschuldigt hatte.

„Carli… Du bist so still. Ist alles in Ordnung?“, unterbrach Liz ihre Gedanken.

„Hmm? Ja, … nein, ich meine, … alles gut. Ich wollte eigentlich fragen, ob dein Vater wohl etwas dagegen haben würde, wenn ich mich zu euren Nachhilfe-Nachmittagen dazu gesellen würde?“, fragte Carli zögerlich.

„Ist das dein Ernst???“, fragte Liz mit hochgezogener Augenbraue zurück. „Ich meine, ich würde mich natürlich riesig freuen aber… was ist mit den Bandproben?“

„Ich bin nicht mehr in der Band“, erwiderte Carli knapp. „Also was meinst du? Soll ich deinen Vater fragen, oder übernimmst du das für mich?“

Liz ignorierte Carlis Überlegungen zur Nachhilfe.

„Du bist – was?! Carli, du kannst doch nicht einfach aussteigen! Hast du sie noch alle? Das war deine Chance groß rauszukommen! Die Jungs haben den Plattenvertrag so gut wie in der Tasche! Außerdem ist deine Stimme einfach der Hammer! Wie kannst du deine Zukunft nur so mit Füßen treten??? Was machen die nur ohne dich? Und am allerwichtigsten: Warum erfahren Jen und ich heute zum ersten Mal davon?!“

Liz steigerte sich gern in etwas hinein. Sie besaß ein Talent dafür aus einer Mini-Mücke einen Mega-Elefanten zu machen.

„Und was sagt Ben dazu?“, setzte Jen noch eins obendrauf.

„Okaaaay…“, sagte Carli gedehnt. „Genau aus diesem Grund erfahrt ihr erst jetzt davon… weil ihr ausrastet! Leute, ich werfe doch nicht meine Zukunft weg. Ich werde mich dieses Jahr voll einsetzen: Kochkurse belegen, einen Hammerabschluss hinlegen, die angesehenste Hotelfachschule überhaupt erobern und dann stehen mir alle Türen offen. Ich kann in den besten Hotels der Welt unterkommen und das ist es, was ich will… nicht auf einer Bühne stehen und albern rumhopsen…“

Liz schüttelte fassungslos den Kopf.

„Sie ist irre…“, sagte sie an Jen gewandt.

„Weißt du, tief in mir drin hab ich es schon immer gewusst, aber jetzt hast du es endgültig bewiesen. Ich erkläre dich hiermit offiziell für verrückt!!“

Sie lachte und fiel Carli um den Hals. „Aber ich hab dich trotzdem lieb.“

Ein fetter Schmatzer landete auf Carlis Wange.

Sie lachte und drückte Liz an sich. „Ich hab dich auch lieb.“

Jen stand still daneben. Immer noch mit der einen Frage beschäftigt:

„Und was sagt Ben dazu?“

Langsam löste Liz sich von Carli und schaute diese prüfend an. Sie sagte nichts, drehte sich zur Seite.

„Echt jetzt?? Er weiß es auch noch nicht?! Du lieber Himmel, Carli! Wenn es einen Wettbewerb in Heimlichtuerei gäbe, wärst du der Champ!“

„Ich bitte dich!! Ihr würdet mich lynchen, wenn ich zuerst irgendeinem dahergelaufenen Typ so etwas Gewichtiges erzählen würde und dann erst euch“, gab Carli mit gespielter Empörung zurück.

„Möglich… aber zum einen ist er ja nicht irgendein dahergelaufener Typ und zum anderen: was sagt er?“ Jen war genervt, weil sie immer noch keine Antwort auf ihre Frage bekommen hatte.

Jetzt war der Zeitpunkt gekommen. Carli musste es ihnen beichten.

„Es ist nicht nur die Band, die ich verlassen habe.

Es ist vorbei mit Ben“, sagte sie gerade noch laut genug, dass es für das menschliche Gehör wahrnehmbar war.

Liz und Jen sahen sich entgeistert an. Für einen Moment lang sagte keiner was.

Carli und Ben waren so was wie das Liebespaar Nummer Eins der Schule gewesen. Zumindest nach außen hin. Ben legte sehr viel Wert auf Image.

Carli fasste sich schnell wieder.

Noch bevor die anderen beiden ihr Mitleid bekunden konnten, erklärte sie schnell: „Mir geht es absolut gut damit, ihr braucht euch keine Sorgen zu machen. Es ist wie meine Mom immer gesagt hat: Mit der Liebe ist es wie mit Pfannkuchen – der erste geht meistens schief.

So weit so gut – weiter ausführen müssen wir das Thema nicht, ok?“

Sie versuchte es mit ihrem aufheiternden schiefen Grinsen.

„Du vergleichst deine erste Liebe echt mit Pfannkuchen?“, fragte Jen ein wenig irritiert.

Carli zuckte mit den Schultern. „Warum denn nicht?“

„Ich dachte immer du liebst Pfannkuchen?“, stellte Jen immer noch verwirrt fest.

„Jep. Ich hab ja grundsätzlich auch nichts gegen die Liebe. Aber die erste Liebe ist eben verdammt dazu, schief zu gehen. Wie der erste Pfannkuchen eben. Verstehste?“

„Ähhh… nich wirklich…“

Carli schnaufte gespielt genervt aus.

„Dann nochmal von vorne: Zum Pfannkuchen backen braucht man viel Liebe, viel Zeit und genau das richtige Verhältnis an Zutaten, damit sie gelingen. Auch wenn du all das hast, wird der Erste meistens trotzdem nichts… Wie bei der Liebe. Es braucht richtiges Timing, zwei nette Leutchen, viel Liebe, viel Verständnis, Ehrlichkeit und so weiter. Was halt eben alles so dazu gehört. Und… bei Ben und mir waren weder die passenden Zutaten vorhanden noch das richtige Timing. Also konnte es nichts werden. Der erste Pfannkuchen ist angebrannt, zerfleddert, nix geworden… Verstehst du jetzt?“

„Ich versteh nicht, wieso wir über Pfannkuchen reden aber nicht über das, was passiert ist…“, antwortete Jen langsam.

„Ok - geht klar“, schaltete sich Liz ein. „Wenn du nicht drüber reden willst, dann ok… aber wenn es tatsächlich vorbei ist und Ben auch davon weiß, warum sieht er dich dann an, als wärst du ein riesengroßer Fleischklops, der nur darauf wartet, von ihm verspeist zu werden?“, fragte Liz und deutete mit einem Kopfnicken auf die Jungens-Runde an der gegenüberliegenden Sitzbank.

Der Pausenhof war mit imaginären Grenzen versehen. Jede Clique hat ihren eigenen „Standort“ – die über den gesamten Schulhof angebaute in Sitzbänken eingefasste junge Eschen-Bäume. Diese Grenzen wurden nur gelegentlich wegen Liebschaften aufgehoben.

Ein echtes Problem an dieser Schule- dieses Cliquen-Ding.

Carli linste vorsichtig zu der Gruppe, die ungefähr zehn Meter entfernt stand. Ben sah sie tatsächlich ziemlich unverhohlen an. Carli hasste diesen Blick, wenn ein Kerl anfing, ein Mädchen mit seinen Augen auszuziehen. Einfach ekelerregend. In Zukunft würde sie sich nur noch mit Schlabber-Look in der Schule zeigen.

Nur weite Shirts.

„Ich finde nicht wie ein Fleischklops… eher als wäre Carli ein riesiger Schoko Muffin mit Glasur und flüssigem Kern…“, überlegte Jen laut.

Carli öffnete entrüstet ihren Mund.

„Was ist nur los mit euch? Habt ihr Hunger, oder was?!?“

Sie wollte nicht weiter über diesen Dreckskerl reden oder auch nur an ihn denken. Sie wandte sich wieder ganz den Mädchen zu.

„Du hast doch mit den Pfannkuchen angefangen…“, murmelte Jen.

„Er kommt her“, warnte Liz.

„Tut er nicht?!“, hoffte Carli laut.

„Doch, tut er…“, machte Liz Carlis Hoffnungen zunichte.

„Oh Mist…“

´Ok Carli… bleib ganz ruhig… Alles wird gut´, beruhigte Carli sich selbst in Gedanken. Nach außen hin ließ sie sich nichts anmerken.

Innerlich war sie aufgewühlt wie ein Sturm auf hoher See.

Ben stellte sich neben sie.

„Hi!“ Ben: Lässig und smart – wie immer.

„Hallo.“Carli: Kurz angebunden und kühl – seit neuestem.

„Also… wir haben am Samstag ein Vorspiel am See. Wir rechnen mit dir, klar?“

Es klang nicht wie eine Frage, eher wie ein Befehl.

Carli sagte nichts. Sie sah in die andere Richtung.

„Ach komm schon, Süße. Willst du mir ewig böse sein?“ Er nahm ihre Hand.

Carli zog sie sofort weg.

„Kein Interesse!“, zischte sie.

Ben wich ein Stück zurück. „Woah! Noch angefressen? Ok, dann beruhig dich einfach bis dahin und dann sehen wir uns dort. Alles klar, Süße?“

„Die Süße kannst du dir sparen!“

Sie ging betont langsam und cool an Ben vorbei.

´Jetzt nur nicht die Nerven verlieren`.

Liz warf Ben noch einen warnenden Blick zu, Jen zuckte nur gleichgültig die Achseln und machte sich ebenfalls auf den Weg Richtung Haupteingang.

***

***

Ben stand da wie ein begossener Pudel. Was lief hier gerade?!

„So ne miese kleine Tuss…“

Sie war also immer noch sauer wegen letztem Wochenende. Klar, sie hatte nicht auf seine Nachrichten oder Anrufe reagiert aber, dass sie ihn, Ben, öffentlich auf dem Schulhof zurückwies – das ging zu weit. Sie hatte wohl vergessen, mit wem sie es zu tun hatte. Sie war nicht nur seine Freundin. Sie war sein Eigentum. Es wurde höchste Zeit, ihr das klarzumachen. Nur zu blöde, dass seine Kumpels alles mit angesehen haben mussten. Vorsichtig schaute er über die Schulter. Nein, sie waren in irgendein dämliches Spiel vertieft. Moment, doch… Raf grinste schäbig. Er musste es beobachtet haben.

Wahrscheinlich heckte er jetzt schon einen Plan aus, selbst an Carli ranzukommen. Ben wusste, dass viele Jungs eifersüchtig auf ihn waren. Sie wären selbst gern mit Carli zusammen. Aber das würde Ben niemals zulassen. Keiner sollte sie küssen, streicheln oder mit ihr ins Bett gehen. Er selbst hatte es ja noch nicht einmal geschafft.

Carli war noch nicht so weit… Immer diese Ausreden. Eigentlich hatte er schon gar keinen Bock mehr auf sie. Sie war zwar wirklich heiß und begehrt - das hübscheste Mädchen der Schule. Aber sie war auch der Typ Mädchen, der was Ernsthaftes wollte. Tja und er war jemand, der mit den Mädels einfach nur spielte. Ein paar Wochen zuvor hatte Carli fast etwas von seiner Affäre mit Sina mitbekommen.

Die Schul-Schlampe. Sie hatte bestimmt schon mit dem halben Jahrgang geschlafen. Er konnte es gerade noch hinbiegen. Er war es leid ihr etwas vorzumachen. Aber fallen lassen konnte er sie auch nicht. Zum einen würde sie das gar nicht verkraften. Zum anderen war da die Wette… Josh… er musste sich Josh vornehmen. Er würde ihm beibringen, seine Klappe zu halten.

***

„Carli! Warte doch!“

Liz eilte mit Jen hinter ihr her.

Als sie Carli eingeholt hatten, standen sie schon vor den Toiletten.

„Hmm?“, machte Carli mit gleichgültiger Miene.

„Nach ´vorbei´ sah das aber nicht gerade aus – zumindest nicht aus Ben´s Sicht.“

„Doch, glaub mir. Es ist vorbei. Vorbeier geht’s gar nicht!“

Liz kniff die Augen zusammen. „Hör auf damit!“

„Womit denn?“, grinste Carli frech.

„Du weißt genau womit! Das Wort gibt es gar nicht. Ich hasse es, wenn du deine erfundenen Wörter so gebrauchst, als gäbe es sie tatsächlich.“

Liz brauste bei diesem Thema immer auf.

Jen schaute einfach nur belustigt drein.

Sie fand die Wortgefechte der beiden immer höchst amüsant.

„Genau genommen, ist es die Steigerung von ´vorbei´, die es nicht gibt, aber das kratzt mich wenig bis gar nicht.“

„Es kratzt sie nicht!“, höhnte Liz. „Sie ist die Beste im Fach Deutsch aber sprechen tut sie diese Sprache bestimmt nicht!“

„Ich find´s lustig“, kicherte Jen.

„Das ist nicht lustig … das ist… das ist… ist einfach nur FALSCH!“, platzte es aus Liz heraus.

„´Sprechen tuen´ ist auch nicht unbedingt deutscher… Abgesehen davon ist es kein Fehler mehrere Sprachen zu beherrschen“, verteidigte sich Carli.

Jetzt lachte Jen richtig los. Sie lachte immer lauter und herzhafter. Die ganzen Ferien über hatte sie nicht mehr so gelacht. Carli freute sich darüber.

Ihre Jen war endlich wieder da.

„Carlisisch braucht kein Mensch“, maulte Liz vor sich hin.

„Doch, die Leute, die mit mir befreundet sind“, neckte Carli sie.

Liz beschloss, das Thema fallen zu lassen – bis zum nächsten carlisischen Wort.

Um nicht ein zweites Mal an diesem ersten Schultag zu spät zum Unterricht zu erscheinen, liefen sie schnell Richtung Küche – am Technikraum vorbei.

Die Jungs warteten dort schon auf ihren Fachlehrer. Ben zwinkerte ihnen zu.

´Der Kerl ist wohl schwer von Begriff…`, dachten sich alle drei Mädchen.

Hauswirtschaft – das beste Fach überhaupt, wie Carli fand. Zumindest das Halbjahr, in dem sie kochen durften. Das andere Halbjahr stand Nähen auf dem Plan.

Die Küche war mit vier Kochzeilen ein wenig kleiner als das, was Carli aus ihrer Ferienarbeitszeit gewohnt war. Sie arbeitete in den Ferien immer im nahegelegenen Seniorenwohn- und Pflegeheim. Nicht für Geld, sondern freiwillig, weil ihr einfach die Arbeit in der Großküche gut schmeckte. Buchstäblich sogar. Das Essen dort war gigantisch. Und sie lernte viel dazu, was ihr für ihre künftige Ausbildung nützlich sein würde.

Frau Wilkes, ihre Hauswirtschaftslehrerin der letzten drei Jahre, kam ohne großes Vorwort gleich zur Sache.

„Heute fangen wir mit etwas Einfachem an: Zaubert mir ein Gericht mit Hackfleischklößen in Tomaten-Paprika-Sauce. Als Beilage Reis, Nudeln oder irgendeine Kartoffelvariante.

Macht das innerhalb eurer Gruppe aus. Und zum Nachtisch Schoko Muffins nach französischer Art.“

„Oder wir verspeisen einfach Carli“, flüsterte Jen.

Die drei Mädchen stimmten gleichzeitig in lautes Gelächter ein.

***

Als Carli heimkam, war sie zufrieden mit dem Verlauf des Tages. Wenn man einmal davon absah, wie der Tag angefangen hatte, hatte er doch ein gutes Ende genommen. Liz, Jen und sie hatten das Jahr gemeinsam begonnen und sie war dankbar, dass sie die beiden an ihrer Seite wissen konnte. Letztendlich hatten sie sogar Carlis Entscheidung bezüglich ihrer Zukunft akzeptiert. Nicht nur das, sie wollten Carli in ihren Träumen unterstützen, so gut sie konnten.

Die Lernnachmittage unter der Aufsicht von Rektor Dr. Mayer, würden sie zu dritt bei Liz aussitzen.

„Wahre Freunde sind kostbarer als alles Geld der Welt“, hatte ihre Mutter immer gesagt.

Wie wahr.

Sie fehlte ihr. Alles an ihr: Ihr Lachen, ihre unkomplizierte und witzige Art, ihre gemeinsamen Kochsessions, ihre Umarmungen.

Und wie immer, wenn Carli an ihre Mama dachte, durchzuckte sie ein fieser Schmerz. Eine Träne rollte über ihre Wange.

Es klopfte.

Schnell wischte sich Carli die Augen mit dem Handrücken trocken, blickte kurz in den Spiegel - `alles ok´- und rief dann: „Komm rein!“

Patrick, ihr vier Jahre älterer Bruder, öffnete die Tür.

„Hey“, sagte er und trat, die Hände in den Hosentaschen vergraben, einen Schritt weit in ihr Zimmer ein.

„Hi.“

Sie sahen sich nur kurz an. Sie musste ihm nicht sagen, woran sie eben gedacht hatte. Er kannte sie besser als sonst irgendjemand. Und andersherum.

„Du weißt, dass es nicht deine Schuld ist, oder?“

Zum Millionsten Mal hörte sie wohl diesen Satz aus seinem Mund.

Sie sagte nichts. Pat verstand sie wie sonst keiner.

„Wollt eigentlich nur nachschauen, ob du ok bist…“

Er setzte sich neben sie aufs Bett, streichelte ihr langsam über den Rücken.

„Es geht schon.“ Sie lächelte ihn dankbar an.

„Ich hab deinen Streit mit Dad gestern gehört…“

Sie nickte.

„Carli, hör nicht auf für deine Träume zu kämpfen. Weißt du, ich glaube Dad sieht einfach immer noch das kleine Mädchen in dir und er hat Angst davor dich zu verlieren, wenn du nächstes Jahr deinen Abschluss machst und dann vielleicht für immer verschwindest.“

„Das ist nicht fair. Bei dir hatte er diese Ängste nicht.“

„Ich sehe auch nicht aus wie Mom“, rutschte es Pat heraus.

Sofort erntete er einen bösen Blick.

„Sorry…“, murmelte er zerknirscht.

Sie lächelte.

Pat konnte sie nicht lange böse sein. Das wusste er auch und manchmal nutzte er es gnadenlos aus.

„Du kannst es wieder gut machen“, sagte Carli lauernd.

Pat zog eine Augenbraue fragend hoch.

„Leih mir ein paar von deinen Shirts.“

Diese Bitte war so ungewöhnlich und grotesk, dass er einfach nur lachend nickte. „Geht klar, Kleine.“

***

Ein halbes Jahr später…

Carli

Ich seufze. Ist es wirklich schon wieder so lange her?

Manchmal denke ich, die Zeit rennt mir davon.

Und ich muss mich abhetzen, um mithalten zu können.

Der Wecker bestätigt es. Sechs Uhr. Zeit zum Aufstehen.

Ich setze mich langsam im Bett auf. Erstmal strecken, gähnen und ein Blick zu meiner Pinnwand. Die Rechnung ist erstaunlicherweise gut aufgegangen. „Keine Partys“ – kein Problem, weil Liz und Jen voll mitziehen.

Auch was das „Büffeln“ angeht – wir lernen immer zu dritt.

Tja und… Punkt drei der Zielsetzung: „Keine Jungs“, kann ich ebenfalls abhaken.

Bens Interesse an mir hat mit der Zeit nachgelassen. Anfangs hat er mich gestalkt und mit Nachrichten bombardiert. Doch je schlabbriger mein Look geworden ist, desto mehr hat er mich in Ruhe gelassen. Wenn ich es richtig mitbekommen habe, hat er sogar schon eine Neue. Melissa hängt auffallend oft mit ihm in den Pausen rum. Die beiden geben bestimmt ein tolles Paar ab beim Abschlussball. Dieser Gedanke lässt mich zufrieden lächeln.

Ich stehe auf und ziehe die Sachen an, die ich am Vorabend zurechtgelegt habe.

Ein giftgrünes Shirt von Pat mit lustigem Aufdruck und eine Bluejeans aus eigenem Schrank. Zweifelnd schaue ich mich im Spiegel an, drehe mich kurz um meine eigene Achse und zucke mit den Schultern. Besser bekomm ich es wohl nicht hin.

„Du sahst nie heißer aus“, kommt es witzelnd von der Tür. Pat lugt herein.

„Danke“, lache ich ihm zu. „Zu freundlich von dir aber könntest du das nächste Mal bitte anklopfen?“

„Ich hab dich schon oft in Unterwäsche gesehen, Schwesterlein. Das schockt mich nicht mehr.“

„Du Schuft!“

Pat zieht lachend die Tür wieder hinter sich zu, als er sieht, dass ein Kissen von meinem Bett in seine Richtung geflogen kommt.

Mein Blick fällt auf die eingerahmte Fotografie, die neben der Tür hängt. Ein Familienbild.

Obwohl der Anblick des Bildes mir heftigen Schmerz bereitet, habe ich es nie fertiggebracht, es abzuhängen. Dad sieht so glücklich aus darauf. Ganz anders als jetzt. Ihn haben wir das letzte halbe Jahr nur wenig gesehen. Ich vermute, er geht mir aus dem Weg. Genau genommen, seit ich ihm Ende der Sommerferien von meinen Zukunftsplänen erzählt habe. Er zeigt mir unmissverständlich, dass er nicht begeistert davon ist.

Patrick hält in diesem Punkt fest zu mir. Zur Strafe wird er ebenfalls gemieden.

Dad schiebt die Arbeit als Alibi vor. Untertrieben ist das ausgedrückt. Er hat sich tief in seine Arbeit hineingestürzt. Mein Vater ist ein hervorragender Restaurantkritiker und freier Journalist. Auf seine Meinung geben viele etwas.

Aber leider hat uns die Prominenz meines Vaters bei Rektor Dr. Mayer auch nicht weitergeholfen.

Wir haben versucht, Liz´ Vater davon zu überzeugen, dass es für alle Beteiligten das Beste wäre, wenn wir im 2. Halbjahr ebenfalls kochen dürfen, statt zu nähen. Immerhin ein einziges Gespräch hat mein Vater zu diesem Thema mit dem Rektor geführt – aber ohne Erfolg.

Auch Liz hat mehr als einmal ihr Glück versucht: „Aber Dad! Carli braucht unbedingt gute Noten in Hauswirtschaften. Hast du schon mal ihre Näharbeiten gesehen?!“

Und Frau Wilkes hat den Rektor ebenfalls mehrfach darum gebeten. Sie weiß nur zu gut, wie es um die Nähkünste ihrer Hauswirtschaftsgruppe steht.

Wahre Meisterköche sind wir ja; aber bei aller Liebe – Nähen können wir nicht; auch nicht nach drei Jahren Schulung.

Die Antwort des Rektors war immer die Gleiche: Der Lehrplan sieht eine halbjährige Nähschulung vor. Dieser kann nicht so einfach nach Schülerwünschen umgestaltet werden. Die Befugnis dazu obliege ihm nicht… Meiner Meinung nach alles faule Ausreden. Das ändert allerdings nichts an der Tatsache, dass wir uns alle damit abfinden müssen.

Ich schnappe meine Tasche und verlasse das Zimmer. Mit Gepolter komme ich die Treppe runter. Mama hat mich immer als Elefant bezeichnet. Ganz ehrlich, ich konnte noch nie leise Treppensteigen. Auch heute kann ich es noch nicht. Selbst wenn ich es versuche. Muss ein Gendefekt sein.

Ein kurzer Blick ins Arbeitszimmer meines Vaters verrät mir, dass er nicht zu Hause ist. Vermutlich macht er wieder einmal Überstunden, dass es kracht.

„War ja klar“, murmle ich und schlendre in die Küche.

„Kaffee-Kaffee-Kaffee!“, begrüße ich meinen Bruder, der bereits in voller Arbeitsmontur an der Kochinsel gelehnt steht.

„Du trinkst zu viel von dem Gebräu“, stellt er nüchtern fest und reicht mir eine Tasse mit heißem Kaffee.

„Was denn?! Ich brauche Kaffee! Kaffee ist überlebenswichtig, besonders wenn man morgens keine Socken findet!“, verteidige ich meine Sucht und deute dabei auf meine nackten Füße.

Er nickt nur.

„Kein Vortrag über das Unterstützen einer konsumgesteuerten Gesellschaft und die verheerenden Folgen davon?“, frage ich provokant grinsend.

„Nein“, lächelt Pat.

„Wirklich?“, hake ich ungläubig nach.

„Ich kenne dich inzwischen gut genug, um zu wissen, dass ich eine Diskussion mit dir über zu hohen Kaffeekonsum so früh am Morgen verlieren würde.“

„Da hast du wohl Recht. Vielleicht solltest du noch einen trinken, dann hättest du eventuell den Hauch einer Chance.“

„Nein danke, ich bleibe dabei. Du bekommst deinen Kaffee und ich verliere keine Diskussion mit meiner kleinen Schwester. So gewinnen wir beide.“ Er zwinkert mir zu.