Liebe, Lügen, Lichterglanz - Alexandra Fabisch - E-Book
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Liebe, Lügen, Lichterglanz E-Book

Alexandra Fabisch

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Beschreibung

Weihnachten zu hassen war noch nie so romantisch.
Luisa liebt Weihnachten. Um ihre Familie finanziell zu unterstützen, beginnt sie bei Nikolaus & Sohn zu arbeiten, einem Unternehmen für Weihnachtsprodukte, das mehr auf Gewinn als auf Weihnachtsfreude setzt. Sie erhält den Auftrag, den Juniorchef Ben zurückzuholen, der sich in ein abgelegenes Dorf abgesetzt hat.
Das Problem: Ben hasst Weihnachten. Mit einer Gruppe Gleichgesinnter plant er, fernab von allem Weihnachtlichen eine alte Werkstatt zu restaurieren. Luisa schließt sich der Gruppe an, die nicht erfahren darf, dass sie im Auftrag der Firma handelt.
Anfangs fühlt sie sich unwohl, doch nach und nach lernt sie die Gruppe und ihre Geschichten kennen. Sie findet Gefallen an dem gemeinsamen Projekt – und an Ben. Doch wie soll sie ihre wachsenden Gefühle mit ihren wahren Absichten in Einklang bringen?

“Liebe, Lügen, Lichterglanz” von Alexandra Fabisch ist ein humorvoller Liebesroman über weihnachtliche Geheimnisse und unerwartete Gefühle.

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Veröffentlichungsjahr: 2024

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Liebe, Lügen, Lichterglanz

Alexandra Fabisch

Verlag:

Zeilenfluss Verlagsgesellschaft mbH

Werinherstr. 3

81541 München

_____________________

Texte: Alexandra Fabisch

Cover: Zeilenfluss

Satz: Zeilenfluss

Korrektorat:

Johannes Eickhorst, Nadine Löhle - Goldfeder Texte

_____________________

Alle Rechte vorbehalten.

Jede Verwertung oder Vervielfältigung dieses Buches – auch auszugsweise – sowie die Übersetzung dieses Werkes ist nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlags gestattet. Handlungen und Personen im Roman sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

_____________________

ISBN: 978-3-96714-361-4

Prolog

Träume werden nicht wahr. Und wenn du es doch wagst, daran zu glauben, reißt dir die Explosion, wenn sie platzen, den Boden unter den Füßen weg.

Deshalb lasse ich das Träumen dort, wo es hingehört: in der Weihnachtszeit.

– Tagebuch von Luisa, dreizehn

Kapitel1

6. Dezember vor zwanzig Jahren

Die Hand meines Vaters, noch schwach vom Schlaganfall, streicht liebevoll über die blankgeputzten Backformen. Unsere kleine Konditorei liegt im stillen Dunkel, draußen tanzen Schneeflocken im hellen Lichterglanz. Ich drehe das Türschild auf ›Geschlossen‹, ein allerletztes Mal. Die Endgültigkeit dieser Geste drückt mir die Luft ab. Meine Mutter schluchzt leise, ich höre ihre Träume bersten.

Die Konditorei war ihr Leben wie auch meines. Ich bin in dem kleinen Eckgeschäft mit der gemütlichen Backstube aufgewachsen, inmitten von Teigschüsseln und Vanilleduft. Meine Eltern hatten nie viel Zeit für mich, dafür umso mehr Liebe. Ich erinnere mich noch genau daran, wie ich mit meinem Vater zuckersüße Mäuse buk. Mit Zipfelmütze, Stiefeln und Jutesack. Ich durfte das Schnäuzchen und die Ohren mit Schokolade verzieren. Obendrauf kamen bunte Streusel. Exakt so hatte ich sie skizziert, die Zutaten sorgfältig berechnet und meine Eigenkreation dann meinen Eltern vorgestellt: die Nikomäuse. Sie waren der Renner! Besonders die Kinder liebten sie, allen voran mein Bruder und ich.

Ich hatte eine schöne Kindheit. Doch die ist jetzt vorbei.

Der Druck auf meiner Brust wird unerträglich, es ist, als würde ich zusammen mit der Konditorei begraben. Gedankenverloren streiche ich über das glatte Holz des Verkaufstresens, an dem ich oft gesessen und gemalt habe. In den letzten Monaten stand ich jeden Nachmittag dahinter und half meiner Mutter, während mein Vater in der Reha wieder laufen lernte. Sein Schlaganfall hat uns alle hart getroffen. Das Hoffen und Bangen um sein Leben, dazu die Arbeit in Laden und Backstube. Meine Mutter hat in dieser Zeit kaum eine Nacht geschlafen, bis heute nicht. Im letzten Licht des Tages sieht sie aus wie ein Schatten, der kurz davor ist, sich gänzlich aufzulösen. Mein Vater nimmt sie in den Arm, mit dem anderen stützt er sich auf seinen Gehstock. Ich spüre, wie groß ihre Liebe ist. Gleichzeitig sehen die beiden so zerbrechlich aus. Mein Herz läuft über, Tränen rinnen heiß meine Wangen hinunter.

Ich wische sie weg und richte mich auf.

Von nun an muss ich die Starke sein. Ich werde meine Familie unterstützen, für sie da sein, wo ich kann, für immer.

Mein Bruder stürmt zur Tür herein, eiskalte Winterluft fegt durch den Laden. Ich atme tief durch und fange den kleinen Wirbelwind auf.

»Hey, du Weihnachtswichtel!« Ich bremse ihn und zupfe die rote Pudelmütze von seinem Kopf. Seit ich denken kann, passe ich auf Tom auf, spiele mit ihm und halte ihn von den Sorgen der Großen fern. Er ist nur drei Jahre jünger als ich, aber heute fühlt es sich an, als lägen Welten zwischen uns. Ich bin über Nacht erwachsen geworden.

Obwohl mir nicht danach ist, setze ich ein unbeschwertes Lächeln auf und kitzele ihn mit der nassen Bommel an der Nase.

»Lass das!«, beschwert er sich. Seine blauen Augen glänzen hell wie Sterne, ein untrügliches Zeichen dafür, dass er aufregende Neuigkeiten hat, die er sofort erzählen muss.

»Ich weiß jetzt, was ich mir zu Weihnachten wünsche: Ein Offroad-Skateboard!«, platzt er prompt heraus. »Die Dinger sind ultracool.«

Und teuer. Das weiß ich von meiner Freundin, sie hat so eins.

»Das geht nicht«, sage ich leise und hoffe, dass meine Eltern es nicht hören.

»Aber es ist mein einziger Wunsch«, protestiert Tom.

»Er ist zu groß.«

»Wir schauen mal, okay?«, sagt meine Mutter und klingt dabei noch bedrückter als zuvor.

Tom nickt unsicher. Er spürt, dass etwas nicht stimmt. Freiwillig geht er hoch in unsere Wohnung, um Hausaufgaben zu machen. Dass wir umziehen werden, weiß er noch nicht. Ich habe Angst, wie er darauf reagieren wird. Ich selbst habe zwei Nächte durchgeweint, jetzt habe ich es akzeptiert. Was habe ich auch für eine Wahl? Man kann sich im Leben nicht alles aussuchen, sagt meine Mutter – viel zu oft in letzter Zeit. Die Resignation in ihrer Stimme macht mich fertig. Ich wünsche mir so sehr, dass sie wieder glücklich ist. Nur, wie soll das gehen?

Morgen kommt der Makler, er hat eine ebenerdige, behindertengerechte Wohnung nicht weit von hier gefunden. Im Tausch gegen unser Zuhause.

Eine Welle der Verzweiflung erfasst mich. Alles ist kaputt. Nichts wird mehr sein, wie es war.

Mein Blick fällt auf den Lichterbaum, der auf dem Platz vor unserem Haus steht. Kinder fangen Schneeflocken mit ihren Zungen, der Duft geschmolzener Schokolade zieht aus der Backstube zu mir herüber. Meine Mutter kocht Trostkakao, dunkel und süß, mit Sahne und Streuseln.

Nicht alles wird sich ändern, denke ich. Weihnachten bleibt. Eine Zeit der Träume.

Und ich werde dafür sorgen, dass sie wahr werden.

Das Telefon klingelt, es ist meine Freundin. Sie möchte sich mit mir und ein paar anderen auf dem Weihnachtsmarkt treffen. Ich sage ihr ab. Denn ich will mir einen Job suchen. Tom wird sein Skateboard bekommen. Und meine Eltern neue Hoffnung.

Kapitel2

6. Dezember, heute

Es ist kurz vor sieben. Schneeregen klatscht gegen das Fenster, im Radio laufen Weihnachtssongs. Ich singe leise mit, während ich meine schulterlangen Locken hochstecke. Sie sind schokobraun wie meine Augen. Die Lippen schminke ich weihnachtsapfelrot. Übermütig schmeiße ich meinem Spiegelbild einen Luftkuss zu. Die Schneeflocken-Stecker an meinen Ohren glitzern im Lichterkettenschein. Jetzt fehlt nur noch die Bluse mit dem Zuckerstangen-Print.

Meine Weihnachtsliebe ist ungebrochen. Es ist eine magische Zeit, in der alles möglich scheint.

Natürlich ist mir klar, dass Wünsche sich nicht von selbst erfüllen. Man muss hart dafür arbeiten. Und realistisch bleiben.

In den vergangenen Jahren konnte ich viele kleine Träume für meine Familie verwirklichen. Ein Auslandssemester für meinen Bruder Tom, ein komfortables Auto für meine Eltern, einen Urlaub in der Sonne für uns alle.

Heute, endlich, wird mein eigener großer Weihnachtswunsch wahr, heute ist mein erster Arbeitstag bei Nikolaus & Sohn,der Traditionsfirma für handgefertigte Weihnachtsartikel. Ich werde ab jetzt jeden Tag, das ganze Jahr über, Weihnachten feiern. Ist das nicht traumhaft?

Ganz so romantisch ist mein Job natürlich nicht, ich bin für die internationale Strategie des Unternehmens zuständig. Ein typischer Managerposten, recht nüchtern und vor allem zahlenlastig. Trotzdem wird es etwas ganz Besonderes sein, sich um niedliche Holzengel und opulente Christbaumkugeln zu kümmern.

Seit ich ein Kind bin, kann ich vom Weihnachtszauber einfach nicht genug bekommen. Ich bin verrückt nach Kerzenschein und Tannengrün, Märchenfilmen und Lebkuchenherzen. Und weil ich die schönste Zeit des Jahres seit meinem Abschluss in Betriebswirtschaftslehre meist in unpersönlichen Büroräumen verbracht habe, fange ich schon im August mit der Adventszeit an. Ich backe Haselnussplätzchen und dekoriere meine Dachgeschosswohnung mit Leuchtsternen und Glitzerkugeln. Damit ich in den wenigen Stunden zuhause ganz viel Weihnachtsatmosphäre tanken kann.

Aber in diesem Jahr wird alles anders. Kein nerviges Herumreisen zu Klienten, keine Übernachtungen in monotonen Hotelzimmern. Ich kann mich abends nach der Arbeit auf meiner geliebten Couch einkuscheln, romantische Serien gucken und heißen Kakao schlürfen. Und tags kümmere ich mich um süße Weihnachtswichtel und Schneeflocken aus Stroh. Nikolaus & Sohn steht seit über hundert Jahren für hochwertige Weihnachtsdekoration, und ich werde ab heute Teil dieser Erfolgsgeschichte sein. Luisa West, die neue rechte Hand der Geschäftsführung, bestehend aus Kornelius Nikolaus, dem Senior, und Ben Nikolaus, seinem Sohn. Zunächst für sechs Monate. Der Seniorchef schenkt einem nichts, nicht mal die Probezeit. Bin gespannt, wie ich mit ihm zurechtkomme. Er wirkt etwas direktiv, diplomatisch ausgedrückt. Seinen Sohn habe ich noch nicht kennengelernt, er war bei meinem Bewerbungsgespräch nicht da. Hoffentlich kommt er nach seiner Mutter.

Jedenfalls, wenn es gut läuft, gibt es eine feste Anstellung und das ganze Jahr über Weihnachten für mich. Ich darf es bloß nicht vermasseln.

Aber was soll schon passieren? Ich bin ein Vollprofi, darum habe ich den Job auch bekommen.

»Lasst uns froh und munter sein«, summe ich in meine Kaffeetasse, nehme einen letzten Schluck, stelle sie beiseite und streife meinen Mantel über. Er ist nagelneu, ein sündhaft teures Schmuckstück, das ich mir zum Jobantritt gegönnt habe. Wie eine Prinzessin auf dem Weg zur Hochzeit schreite ich in den jungen Morgen.

Normalerweise nehme ich den kürzesten Weg zur Arbeit und erledige nebenher erste Telefonate. Zeit ist kostbar, die Uhr läuft schnell. Wer mithalten will, muss Gas geben.

Heute jedoch genehmige ich mir einen Abstecher in die Bäckerei. Die Zimtschnecke schmeckt himmlisch, fast wie die meiner Mutter. Ich genieße den saftigen Teig, den Lichterglanz in den Schaufenstern, und danke dem Universum dafür, dass Nikolaus & Sohn expandieren wollen.

Als ich den Firmensitz, ein Fachwerkhaus mitten in der Altstadt, erreiche, bekomme ich Herzklopfen. Ehrfürchtig betrachte ich den Messingweihnachtsmann über dem Eingang. Wie oft bin ich hier vorbeispaziert und habe gehofft, dass irgendwann ein passendes Stellenangebot für mich dabei ist. Immer wieder habe ich die Webseite durchstöbert, ohne Erfolg. Doch dann, vor vier Wochen, ich buk gerade Vanillekipferl, kam die E-Mail von einem Headhunter.

Am liebsten hätte ich meinem Lebenslauf einen selbstgebastelten Weihnachtsengel beigefügt. Stattdessen habe ich alle Daumen und sogar die Großzehen gedrückt, dass sie sich für mich entscheiden. Was soll ich sagen: Es hat geklappt! Und jetzt stehe ich hier. Meine Hand zittert etwas, als ich die kunstvoll verzierte Klinke drücke und die schwere, alte Holztür aufschiebe.

Jetzt wackeln sogar meine Knie, ich bin aufgeregt wie vor meinem allerersten Date. Dabei berate ich seit Jahren börsennotierte Unternehmen, Nikolaus & Sohn gehören bisher nicht dazu, noch nicht. Ich werde das ändern. Deshalb bin ich hier.

»Willkommen«, begrüßt mich eine rundliche Frau am Empfangstresen und stellt sich mir mit Vornamen vor – sie heißt Petra. Ihr Lächeln ist warmherzig, an ihren Ohren baumeln kleine Christbaumkugeln. Wir sind auf einer Wellenlänge, das lässt mich aufatmen.

Petra, ich schätze sie auf Ende Fünfzig, zeigt mir die Garderobe und führt mich dann herum. Sie ist meine Ansprechpartnerin für Geschäftsreisen, von denen ich möglichst wenig machen will, sie organisiert Firmenevents und hilft im Sekretariat aus.

»Es gibt eine Menge zu tun«, sagt sie, während wir aus dem Fahrstuhl steigen. »Der Chef kann es kaum erwarten, dass Sie loslegen.«

»Geht mir genauso«, erwidere ich und sauge die besondere Atmosphäre des Gebäudes auf. Fast komme ich mir vor wie in einem Museum. In dezent beleuchteten Vitrinen stehen Kurrenden und Holzpyramiden, jede für sich ein Kunstwerk. Ich kann mich an den zartgoldenen Engelsflügeln und niedlichen Eichhörnchen nicht sattsehen. Ein Seufzer des Entzückens kommt mir über die Lippen. Das wird das beste Weihnachten aller Zeiten! Und es wird nie enden.

Wenn ich es schaffe, die Umsätze zu verdoppeln.

Plötzlich werde ich nervös. Ob es mir wohl gelingt?

Bisher habe ich Versicherungen, Energieerzeuger, Hautpflegeunternehmen und eine Wurstfabrik beraten. Ich liebe meinen Beruf und bin gut darin. Kreativ, zielstrebig und durchsetzungsstark, so werde ich von meinen Klienten oft beschrieben. Kurz: Ich schaffe Probleme aus der Welt, die sonst keiner anpacken mag.

Nur, kann ich das auch, wenn das Produkt Weihnachten heißt? Ist es möglich, Besinnlichkeit und Nächstenliebe mit Gewinnmargen und Marktanteilen zu vereinen?

Zwar bin ich keine große Kirchgängerin, aber Weihnachten ist nicht irgendein Fest, es ist heilig. Für mich ist es eine Insel im rauen Meer des Seins, ein Zufluchtsort, in dem alles warm und watteweich ist. Ich weiß, ich bin in diesem Punkt hoffnungslos verträumt.

Besser, ich mache mir darüber nicht allzu viele Gedanken. Produkt ist Produkt. Ob nun Wurst oder Weihnachtsengel. Und der Engel von Nikolaus & Sohn wird auf der Spitze eines jeden Baumes sitzen, dafür werde ich sorgen.

»Bevor es losgeht, trinken wir eine heiße Schokolade. Was meinst du?«, unterbricht Petra meine Überlegungen.

Damit bin ich sehr einverstanden.

Wir nehmen den Durchgang zum Innenhof. Er ist überdacht, in der Mitte steht ein Christbaum, drum herum naturbelassene Holzbänke und ein Stand wie auf dem Weihnachtsmarkt. Meine Augen beginnen zu leuchten: Sieht das herzig aus!

»Zwei Kakao mit Kardamom und Sahne«, bestellt Petra.

Ich kann mein Glück kaum fassen.

»Himmel auf Erden, ist der gut«, entfährt es mir, als ich den ersten Schluck nehme. Ich steuere eine der Holzbänke an, um diese Köstlichkeit in Ruhe zu genießen, aber Petra möchte mir rasch noch mein Büro zeigen, bevor ich zum ersten Meeting mit dem Senior muss. Also schlendern wir zurück ins Hauptgebäude und rauf in die Chefetage.

»Hier ist es.« Petra deutet auf einen Raum mit der Bezeichnung ›2.4., Besprechung‹. Zeitgleich öffnet sich eine Tür am Ende des Gangs.

»Denk über meinen Vorschlag nach. Lizenzprodukte sind beliebt, vor allem bei den Kindern. Ben wird mir da zustimmen«, säuselt eine Stimme. Sie gehört einer rothaarigen Schönheit, die kurz darauf an uns vorbeirauscht, stoppt, sich gekonnt auf ihren hochhackigen Schuhen umdreht und mich mit ihren eisblauen Augen von oben bis unten mustert. Ihr Blick bleibt an meiner Zuckerstangenbluse hängen, eine Augenbraue hebt sich, ihr Mund verzieht sich spöttisch, offensichtlich hält sie mich für verkitscht und folglich inkompetent.

Das fängt ja gut an. Ich ignoriere diese nonverbale Ohrfeige und setze ein professionelles Lächeln auf. Sie erwidert es nicht.

Petra räuspert sich. »Darf ich vorstellen: Luisa West, unsere neue Strategieexpertin. Luisa, das ist …«

»Ann-Kristin von Unna«, fällt der Rotschopf Petra ins Wort. »PR und Marketing.«

»Freut mich«, lüge ich und reiche ihr die Hand. Sie nimmt sie nur flüchtig und deutet dann mit ihrem makellos manikürten Zeigefinger auf meinen Kakaobecher.

»An Ihrer Stelle würde ich als Erstes diese Schokolade abschaffen. Überflüssige Kosten und Kalorien.«

»Vielen Dank für die Anregung«, erwidere ich kühl. Ich bin es gewohnt, dass jeder und jede eine Meinung hat, was zu tun ist. Meist ohne Faktenbasis. Darauf lasse ich mich nicht ein. »Ich mache mir gern selbst ein Bild –«

Petra fällt mir hitzig ins Wort, ihre Wangen glühen: »Den Kakaostand hat Firmengründer Wilhelm Nikolaus eingeführt. Diese Tradition kann man nicht einfach wegrationalisieren!«

Ich lege ihr beruhigend die Hand auf den Arm, ich habe nicht vor, die Schokolade zu streichen. Ebenso wenig wie Arbeitsplätze.

Das gehört aber nicht in ein Flurgespräch, schon gar nicht, bevor ich überhaupt angefangen habe, meine Arbeitsfelder zu erkunden.

Doch Ann-Kristin lässt nicht locker. »Mit Gefühlsduselei gehen wir im globalen Markt unter, Petra. Am Ende hast du weder Kakao noch einen Job.« Ihre makellosen Zähne blitzen, sie erinnert mich an eine Raubkatze, die mit einer Maus spielt, kurz bevor sie sie verschlingt.

Ich lege mich fest: Ich mag sie nicht. Demonstrativ trinke ich einen großen Schluck Schokolade und springe Petra bei: »Sie werden mir jedoch zustimmen, Frau von Unna, dass ein gutes Betriebsklima und die Identifikation mit dem Unternehmen und seinen Werten die Basis für gesundes und nachhaltiges Wachstum sind.«

»Bravo. Genau das ist es, was wir wollen!«, antwortet statt Ann-Kristin eine feste Stimme hinter ihr. Sie gehört einem großen Mann mit kantigen Schultern und grauem Kurzhaarschnitt. Akkurater Seitenscheitel, eckige Brille, Maßanzug: Nikolaus senior. Er lächelt charmant, sein Blick jedoch ist hart. »Frau West, wunderbar. Ich schlage vor, Sie kommen gleich zu mir.« Er hält mir die Tür auf.

»Gern«, erwidere ich und verabschiede mich von Ann-Kristin mit einem Lächeln, das wohl eher einem Zähnefletschen gleicht. Meine neue ›Lieblingskollegin‹ macht ein missbilligendes Geräusch.

Nikolaus senior räuspert sich. Es klingt wie ein Befehl. Er ist offenbar ein Mann, der gewohnt ist, dass man tut, was er sagt. Und zwar sofort. Das sehe ich an den Kiefern, die er ungeduldig aufeinanderpresst, weil ich immer noch nicht in seinem Büro sitze.

Ich lasse ihn nicht länger warten. Er bietet mir einen Ledersessel an, in dem ich versinke, als säße ich auf einem Marshmallow.

»Wie ich sehe, haben Sie die Cafeteria schon kennengelernt«, stellt er fest. Sein Tonfall ist nicht wohlwollend.

Unauffällig stelle ich den Kakaobecher weg. Ich fühle mich wie ein Schulkind, das vom Direktor beim Schwänzen erwischt wurde. Mit Nikolaus senior zusammenzuarbeiten, wird kein Zuckerschlecken.

»Sie wissen, warum ich Sie eingestellt habe?«, fährt er ohne Umschweife fort.

Ja, ich nicke, schlage meine Beine übereinander und bemühe mich um eine souveräne Ausstrahlung. Offenbar habe ich mich von meiner Weihnachtsvorfreude etwas zu sehr mitreißen lassen. Ab sofort bin ich aber voll im Arbeitsmodus. Nur weil es sich um Weihnachtsartikel handelt, verhält sich der Markt nicht romantisch, das ist mir klar. Trotzdem werde ich versuchen, den Kakao aus etwaigen Sparplänen rauszuhalten. Schon allein wegen Petra, und ein klein bisschen auch wegen mir. Der Gewinn an Arbeitsqualität dürfte die Kosten bei weitem übersteigen.

»Wir brauchen frischen Wind in den Turbinen, moderne Konzepte, mehr Gewinn«, fasst mein neuer Chef zusammen, was alle Geschäftsführer wollen.

Ich erinnere mich an das Vorstellungsgespräch mit ihm und rattere ein paar Fakten aus dem Gedächtnis herunter. Dazu bringe ich einige innovative Ideen an und erkläre, wie ich vorgehen will. Ich bin gut vorbereitet, das ist mein Markenzeichen.

Während ich rede, steht er am Fenster und blickt auf den Marktplatz unter ihm. Ab und an nickt er, mit einem Teil seiner Gedanken scheint er aber weit weg zu sein.

Als ich bei neuen Vertriebsstrategien angelangt bin, meldet sich sein Smartphone. Er wirft einen Blick darauf, wird rot und zischt dann: »Das darf doch nicht wahr sein!« Wütend tippt er eine Nummer ein. »Wer hat diesen Termin zugesagt?«, brüllt er, sobald die Verbindung steht.

Ich verhalte mich derweil unauffällig und warte auf ein Zeichen, ob ich bleiben soll oder entlassen bin.

Doch nichts geschieht.

Nikolaus senior scheint meine Anwesenheit völlig vergessen zu haben. Nachdem er mehrere Runden um seinen Schreibtisch herumgetigert ist und dabei offenbar erfahren hat, dass man da nichts machen kann, legt er auf und fährt sich mit der Hand über das Gesicht. Er atmet schwer. Die lila Flecken auf seinen Wangen gefallen mir nicht. Ich biete ihm von dem Wasser an, das für Besucher bereitsteht. Erst jetzt nimmt er mich wieder wahr.

Gedankenversunken nimmt er das Glas entgegen, trinkt jedoch nicht. Einen ungemütlichen Moment lang fixiert er mich. Dann sagt er etwas, das ich nicht verstehe.

»Pardon?«

»Sie müssen meinen Sohn finden!«

Ich habe mich also nicht verhört. Kapieren tue ich dennoch nichts.

»Ihren Sohn finden?«, wiederhole ich perplex.

Kornelius Nikolaus wirft mir einen scharfen Blick zu. Ich beschließe, kein weiteres Mal nachzufragen. Stattdessen konzentriere ich mich darauf, Ruhe zu bewahren und behutsam herauszufinden, um was es hier eigentlich geht.

»Wo hält sich ihr Sohn denn derzeit auf?«

»Wenn ich das nur wüsste«, murmelt er, zieht eine Schreibtischschublade auf und holt einen Ausdruck hervor. »Das ist der einzige Hinweis zu seinem möglichen Aufenthaltsort, den wir haben.« Er drückt mir das Papier in die Hand.

Es ist ein Kontoauszug. Eine Abbuchung über 95,23 Euro, getätigt am 1. November dieses Jahres, wurde hervorgehoben. Empfänger ist eine Tankstelle in einem Örtchen namens Moorbach, von dem ich noch nie gehört habe.

»Das liegt in Sachsen, an der Grenze zu Tschechien«, klärt der Senior mich auf.

Okay, irgendjemand, vermeintlich Ben Nikolaus, der Juniorchef, hat im Nirgendwo getankt. Die Transaktion ist über einen Monat alt. Er wird sicher nicht mehr an der Zapfsäule stehen und darauf warten, dass ihn jemand abholt. Unschlüssig halte ich den Ausdruck in den Händen.

»Was erwarten Sie von mir?«

»Sie machen sich sofort auf den Weg und bringen meinen Sohn hierher zurück«, bestimmt mein neuer Chef.

Wie bitte?

Gestik und Mimik nach zu urteilen bin ich mir zwar sicher, dass er nicht scherzt. Ernst nehmen kann ich seine Aussage dennoch nicht. Ben Nikolaus ist kein Kind mehr. Und ich bin weder Detektivin noch Babysitterin.

»Bei allem Respekt, aber ich bezweifle, dass ich für diese Art von Aufgabe die richtige Qualifikation mitbringe.«

Eine scharfe Falte schneidet zwischen die dominanten Augenbrauen meines Gegenübers. Das sieht nicht gut für mich aus.

»Das Einzige, was Sie brauchen, ist etwas gesunden Menschenverstand. Und den haben Sie doch?« Er blickt mich stechend an.

Was kann ich anderes tun, als zu nicken?

»Fein. Sie sind ab heute meine rechte Hand, ich zähle auf Sie. Suchen Sie meinen Sohn, das hat oberste Priorität.« Und keine Widerrede, sagen seine stahlgrauen Augen. »Überflüssig zu erwähnen, dass ich maximale Diskretion in dieser Angelegenheit erwarte.«

Ich sacke zusammen. Die Zuckerstangen auf meiner Bluse sehen plötzlich wie Fragezeichen aus. Vieles hatte ich mir von meinem ersten Arbeitstag erhofft, einiges gefürchtet, aber damit habe ich nicht gerechnet.

Kann ich mich weigern? Natürlich. Aber dann bin ich mit Sicherheit den Job los. Und das will ich nicht.

»In genau einer Woche kommen unsere zukünftigen Geschäftspartner aus New York. Home & deco, Marktführer für Wohnaccessoires in den USA, kennen Sie bestimmt«, spricht Nikolaus senior weiter. »Das ist eine Riesenchance für uns, den amerikanischen Markt zu erobern. Ben darf als mein Nachfolger bei dem Meeting nicht fehlen.«

War ich bis eben nur überrumpelt, bin ich jetzt überfahren. Ich schnappe hörbar nach Luft: Nikolaus & Sohn sind bereits mitten in Verhandlungen mit den Amerikanern? Davon wusste ich nichts. Ich kenne weder die Vertragspartner noch die Konditionen. So kann ich nicht arbeiten. Ich brauche alle Unterlagen, ich muss an meinen Laptop. Und nicht zu einem versumpften, mückenverseuchten Wassergraben – oder was auch immer Moorbach sein mag.

»Können wir ihn nicht anrufen? Oder ihm eine dringliche Mail schicken? Irgendwie muss er doch erreichbar sein!«

Mein letzter verzweifelter Versuch, den verlorenen Sohn nicht persönlich aufspüren zu müssen, scheitert.

»Wenn das so einfach wäre, würden wir dieses unerfreuliche Gespräch nicht führen«, erwidert Nikolaus senior. Ein bitterer Zug liegt um seinen Mund. »Ben hat sich eine ›Auszeit‹ unbestimmter Dauer genommen. Offline.« Er betont das zynisch, geradezu verächtlich. Als wäre es eine Ungeheuerlichkeit.

Ganz unrecht hat er nicht. Kein normaler Arbeitnehmerkann es sich leisten, einfach so abzutauchen, ohne seine Angelegenheiten vorher zu regeln. Ben Nikolaus nimmt sich die Freiheit. Privilegierter Unternehmersohn eben. Wobei ich mir nicht vorstellen kann, dass sein Vater bei der Erziehung Samthandschuhe getragen hat.

»Wie auch immer, ich erwarte Sie und Ben spätestens am Dreizehnten, vor zwölf Uhr.« Punkt. Er pocht mit dem Zeigefinger auf den mächtigen Schreibtisch, der vermutlich seit Firmengründung hier steht. Dann wendet er sich seinem Rechner zu. Ich bin entlassen.

Wie in Zeitlupe erhebe ich mich und gehe. Mein Winterweihnachtstraum ist geplatzt, es ist der reinste Horror. Statt bei einer schönen Tasse Kardamomkakao smarte Konzepte zu erarbeiten, werde ich auf zugigen Bahnhöfen stehen und in Tankstellen herumschnüffeln. Ich könnte heulen vor Frust.

Sobald ich aus der Höhle des Löwen raus bin, stürme ich ins nächste Bad, bevor jemand meine Enttäuschung sehen kann. Mein Spiegelbild gibt mir den Rest. Ich trage einen lächerlichen Kakaoschnauzer. Womit habe ich das bloß verdient?

Kapitel3

Immer noch 6. Dezember, kurz vor Mitternacht

Seit Stunden schon packe ich meinen Koffer. Ein und wieder aus. Ich fühle mich betrogen. Selbst wenn man meine Weihnachtsverliebtheit außen vor lässt, sind solch absurden Aufgaben nicht Teil meines Stellenprofils.

Trotzig schmeiße ich meine Schneesternsocken quer durch den Raum. Und hole sie kurz darauf wieder hinter dem Schrank hervor. Nur, um sie wütend zu zerquetschen.

Warum muss immer alles so schwierig und anstrengend sein?

Dass das Leben kein Wunschkonzert ist, weiß ich. Ich habe stets meine Hausaufgaben gemacht, war fleißig, habe hart gearbeitet, bin keine Risiken eingegangen. Habe ich es nicht verdient, dass mir einfach mal etwas geschenkt wird?

»Das ist nicht fair!« Ich schmeiße mich aufs Bett, triefend vor Selbstmitleid, und warte drauf, dass ich darin versinke, bis die Sonne wieder lacht.

Aber dafür bin ich nicht der Typ, ich kümmere mich um meine Angelegenheiten selbst. Wer sonst sollte es für mich tun?

Also los, Luisa, du bist weit gekommen! Wirf die Chance, das ganze Jahr über Weihnachten feiern zu dürfen, nicht weg!

Mühsam raffe ich mich auf, stopfe die Socken in den Koffer und falte meinen Rentierpulli. Wenn ich schon verreisen muss, dann nehme ich wenigstens ein Stück Weihnachten mit.

Ob Nikolaus junior mich in niedlichem Rotnasenhirschstrick auch ernst nimmt? Vielleicht sollte ich etwas Seriöseres tragen, Polizeiuniform zum Beispiel.

Ha. Ha.

Sarkasmus hilft mir leider auch nicht. Ich atme gegen die aufkommende Wut an.

Kurz bevor ich meinen Koffer erneut auskippe, klingelt mein Handy. ›Jingle Bells‹ tönt es heiter durch den Flur, mir zerfetzt das fröhliche Gebimmel den letzten Nerv.

Gereizt gehe ich ran.

»Ist da das Sekretariat von Knecht Ruprecht?«, meldet mein Bruder sich.

»Witzig.«

»Wie war dein erster Tag als Weihnachtswichtel?«, stichelt er weiter. Er liebt es, mich zu provozieren. Es ist eine Art Spiel unter uns. Wer am Ende den lustigsten Konter bringt, hat gewonnen. Aber heute ist mir nicht nach Lachen zumute.