Lieben und lügen - Penelope Mortimer - E-Book

Lieben und lügen E-Book

Penelope Mortimer

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Beschreibung

Mrs. Armitage will mehr. Sie ist mit Anfang Dreißig in den besten Jahren, hat eine beträchtliche Anzahl von Kindern, ihr vierter Mann ist erfolgreicher Drehbuchautor, und doch fehlt etwas. Vielleicht noch ein Kind? Ihr Mann ist strikt dagegen und schickt sie zum Psychiater, um ihr diesen Wunsch ausreden zu lassen. Nach und nach entfaltet sich dort die Geschichte einer Frau, die sich als Mutter, Partnerin und Hausfrau an den großen und kleinen Zumutungen des Alltags abarbeitet, bis ihr schließlich nach einem Zusammenbruch bei Harrod's die Erkenntnis dämmert, dass Ehe und Familie nicht die Antwort auf alle Fragen des Lebens sind. Mit Scharfsinn, unerschrockenem Humor und großer Offenheit führt Penelope Mortimer in die Abgründe eines ganz normalen Frauenlebens.

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Seitenzahl: 281

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Penelope Mortimer

Lieben und lügen

Roman

Aus dem Englischenvon F. G. U. Glass

DÖRLEMANN

Die englische Originalausgabe »The Pumpkin Eater« erschien 1962 bei Hutchinson.   Trotz intensiver Nachforschung konnte der Verlag keinen Kontakt zum Übersetzer herstellen. Wir bitten, berechtigte Ansprüche dem Verlag zu melden.   Alle deutschsprachigen Rechte vorbehalten Copyright © The Estate of Penelope Mortimer, 1958 © 2024 Dörlemann Verlag AG, Zürich Umschlaggestaltung: Mike Bierwolf unter Verwendung einer Grafik von Art Kovalenco/Shutterstock Porträt von Penelope Mortimer auf Seite 5: © Ida Kar, National Portrait Gallery, London Satz und eBook-Umsetzung: Dörlemann Satz, Lemförde ISBN 978-3-03820-889-1www.doerlemann.ch

Inhalt

CoverTitelei und ImpressumInhaltPorträtMotto12345678910111213141516171819202122232425Ich habe mich immer als Drilling gefühlt -Penelope Mortimer und ihr Roman Lieben und lügenZur Autorin und zu ihrem ÜbersetzerZum Buch

Penelope Mortimer

 

Peter kann sein Weib nicht zähmen,

Peter lutscht nur Kürbis aus,

Muss sein Weib gefangen setzen

In dem leeren Kürbishaus.

1

»Also gut«, sagte ich. »Ich will es versuchen. Ich will ehrlich versuchen, ehrlich zu Ihnen zu sein, obwohl ich glaube, Sie sind gerade daran interessiert, dass ich nicht ehrlich bin. Sie verstehen wohl, was ich meine.«

Der Doktor lächelte leichthin.

»Als ich ein Kind war, hatte meine Mutter eine Schublade für ihre Wolle. Es war die unterste Schublade in einer Kommode im Esszimmer, und in die tat sie jedes Wollendchen, das sie besaß. Wissen Sie, Reste, die uralt waren, von Pullis, die sie mir gestrickt hatte, als ich zwei war. Manche dieser Reste waren nur ein paar Zentimeter lang. Also diese Schublade war ganz voller Wolle, in allen Farben, und an jedem regnerischen Nachmittag ließ sie mich ihre Wollschublade aufräumen. Sie verstehen gewiss, warum ich Ihnen das alles erzähle. Es hatte gar keinen Sinn, die Schublade aufzuräumen. Die Wolle war ganz nutzlos. Man hätte aus der ganzen Wolle noch nicht einmal einen Teewärmer stricken können – jedenfalls nicht, ohne eine Engelsgeduld dabei zu haben. Sie ließ mich nur aussortieren, damit ich etwas zu tun hätte. So wie man Gefangene Löcher graben lässt, die sie dann wieder zuschütten müssen. Sie verstehen doch, was ich meine?«

»Sie möchten irgendwie von Nutzen sein«, sagte er ernsthaft, »so wie ein Teewärmer nützlich ist.«

»So einfach ist das aber nicht.«

»O nein. Es ist gar nicht einfach. Aber es gibt doch noch andere Sachen, die Sie aus Wolle machen können.«

»Zum Beispiel?«

»Überzüge für Wärmflaschen«, sagte er ohne Zögern.

»Wir benutzen keine Wärmflaschen. Bälle könnte man machen für Babys. Oder kleine Stofftiere.«

»Worauf Sie hinauswollen, ist also, dass es eine nutzlose und vielleicht sogar unmögliche Beschäftigung ist, Wolle auszusortieren?«

»Ja.«

»Aber Sie sind ein menschliches Wesen. Die Folgen Ihrer – Verwirrung sind schwerwiegender. Der Vergleich, sehen Sie, stimmt nicht.«

»Möglich, aber ich fühle es so«, sagte ich.

»Wenn Sie weinen – fühlen Sie es dann so? Hoffnungslos?«

»Ich möchte nur einfach meinen Mund aufmachen und weinen. Weinen möchte ich und nicht denken.«

»Sie können nicht bis ans Ende Ihres Lebens weinen.«

»Nein.«

»Und Sie können sich auch nicht bis ans Ende Ihres Lebens quälen.«

»Nein.«

»Was quält Sie denn, Mrs. Armitage?«

»Der Staub«, sagte ich.

»Wie bitte?«

»Der Staub. Verstehen Sie? Der Staub.«

»Aha«, sagte er und schrieb eine Weile auf einen langen Streifen Papier. Dann lehnte er sich zurück, faltete die Hände und sagte: »Erzählen Sie mir davon.«

»Das ist ganz einfach. Jake ist reich. Er verdient fünfzigtausend Pfund im Jahr; ich nehme an, dass Sie das reich nennen würden. Aber alles ist voller Staub.«

»Bitte, fahren Sie fort.«

»Natürlich sind es zum Teil auch die Abbrucharbeiten. Überall um uns herum werden die Häuser abgerissen, da muss man sich schon mit etwas Staub abfinden. Mein Vater mietete das Haus für uns, als wir heirateten, das war vor dreizehn Jahren.«

»Sie sind seit dreizehn Jahren verheiratet«, sagte er und schrieb es auf.

»Mit Jake, ja. Der Mietvertrag lief noch dreizehn Jahre, als mein Vater ihn übernahm. Er bekam ihn für eintausendfünfhundert Pfund, und wir bezahlen nur eine lächerlich geringe Miete. Sie sehen, wir hatten da großes Glück. Na ja. Ich wollte Ihnen das mit dem Staub erzählen.«

»Ihr Mietvertrag läuft also in diesem Jahr ab.«

»Ich glaube. Wir bauen jetzt einen Turm auf dem Lande.«

»Einen Turm?«

»Ja.«

»Sie meinen … ein Haus?«

»Nein, einen Turm. Na ja, vielleicht kann man es auch ein Haus nennen. Es ist aber doch ein Turm.«

Er legte vorsichtig seinen Federhalter hin, mit beiden Händen, so, als ob er zerbrechlich wäre. »Und wo ist dieser … Turm?« fragte er.

»Auf dem Lande«, sagte ich.

»Das ist mir klar, aber …«

»Er steht auf einem Hügel, und unten im Tal ist eine Scheune, in der lebte ich, ehe ich Jake heiratete. Dort haben wir uns kennengelernt. Können wir jetzt wieder auf den Staub zurückkommen, denn –«

»Selbstverständlich«, sagte er und nahm wieder seinen Federhalter.

Ich versuchte zu denken. Ich starrte ihn an, seine Silhouette, die sich gegen den Netzvorhang vor dem Fenster des Sprechzimmers abhob. Ich hörte das Ticken der Uhr und das Zischen der Gasflamme.

»Ich habe vergessen, was ich sagen wollte.«

Er wartete. Die Uhr tickte. Ich starrte in das Feuer.

»Jake will keine Kinder mehr«, sagte ich.

»Haben Sie Kinder gern, Mrs. Armitage?«

»Was soll ich auf eine solche Frage antworten?«

»Ist es vielleicht eine Frage, die Sie nicht beantworten möchten?«

»Ich dachte, ich würde hier auf der Couch liegen und Sie würden kein Wort sagen. Aber es ist ja wie die Inquisition oder so was. Wollen Sie mir einreden, dass ich im Unrecht bin? Das tue ich doch schon selbst.«

»Glauben Sie, dass es unrecht wäre, Kinder nicht zu mögen?«

»Ich weiß nicht. Ja. Ich denke, ja.«

»Warum?«

»Weil Kinder einem kein Leid antun.«

»Vielleicht nicht direkt. Aber indirekt …«

»Wahrscheinlich haben Sie keine«, sagte ich.

»Aber ja. Drei. Zwei Jungen und ein Mädchen.«

»Wie alt sind sie denn?«

»Sechzehn, vierzehn und zehn.«

»Und Sie haben sie gern?«

»Meistens ja.«

»Gut. Das ist auch meine Antwort: Meistens habe ich sie gern.«

»Aber Sie haben …« Er sah auf den Streifen Papier und sagte nur: »… eine beträchtliche Anzahl. Sie scheinen bestürzt zu sein, weil Ihr Mann keine mehr will. Das klingt nicht nach jemandem, der seine Kinder ›meistens gernhat‹. Das klingt eher wie …«

»Eine fixe Idee –?«

»Das Wort würde ich nicht gebrauchen. Überzeugung, das träfe es besser.«

»Ich dachte, ich sollte auf einer Couch liegen und über alles reden, was mir gerade in den Sinn kommt.«

»Ich bin kein Psychoanalytiker, Mrs. Armitage. Ich möchte einfach herausfinden, wie ich Sie am besten behandeln kann.«

»Behandeln … wogegen?«

»Das wissen wir eben noch nicht, oder?«

»Weil ich noch ein Kind haben will? Hat mich Jake deshalb zu Ihnen geschickt? Will er, dass Sie mich dazu überreden, kein Kind mehr zu bekommen?«

»Ich bin nicht dazu da, um Sie zu irgendetwas zu überreden. Sie sind doch freiwillig zu mir gekommen.«

»Dann tue ich also alles ganz freiwillig. Weinen, mich über den Staub aufregen. Sogar Kinder bekommen. Aber das glauben Sie doch selbst nicht, oder?«

»Ich bin nicht dazu da, um Ihnen zu glauben, Mrs. Armitage. Darum geht es nicht.«

»Sie erklären immer wieder, Sie seien nicht dazu da, um dies oder das zu tun. Wozu sind Sie denn eigentlich da?«

»Vielleicht«, hier erschien wieder sein fahles Lächeln, »um herauszufinden, warum Sie, zumindest in diesem Augenblick, mich so sehr hassen. Oh, ich meine nicht mich persönlich, selbstverständlich. Aber Sie hassen doch irgendetwas – nicht nur den Staub, oder?«

»Tut das nicht jeder?«

»Was war das Erste, das Sie in Ihrem Leben gehasst haben – können Sie sich daran noch erinnern?«

»Es war nicht etwas, es war ein Mann. Mr. Simpkin …«

»Ja?«

»Und ein Mädchen namens … Ireen Douthwaite, als ich ein Kind war. Und eine Frau, die Philpot hieß. Ich erinnere mich nicht mehr …«

»Und Ihre früheren Ehemänner?«

»O nein. Nein. Die mochte ich.«

»Und Ihren jetzigen Mann? … Jake?«

»Nein!«

»Erzählen Sie mir von Jake.«

»Ihnen erzählen …?«

»Ja, natürlich. Erzählen Sie mir von Jake.« Es hörte sich so an, als wolle er mich herausfordern. Ich lachte, streckte meine Hände aus und betrachtete sie.

»Also, was … was wollen Sie wissen?«

»Alles, was Sie mir erzählen mögen.«

»Also, Jake … es ist unmöglich, Ihnen etwas über Jake zu erzählen.«

»Versuchen Sie es.«

Ich holte tief Atem. Mir war, als müsste ich nur einfach den Mund öffnen, und die Worte würden ungehemmt herausströmen. Mir war, als könnte ich mein Herz öffnen, es buchstäblich aufschließen und weit aufreißen. Nun würde die Wahrheit gesagt werden. Dann ging mir der Atem aus. Ich sagte nichts. Er wartete.

»Dieses Haus, in dem wir leben«, fing ich an, »das Wohnzimmer liegt nach Süden, es hat riesige Fenster, Schiebefenster. Immer, wenn die Sonne scheint, ist es da wie in einem Treibhaus, wirklich sehr heiß. Bei Sonne sieht man natürlich den Staub erst recht. Wenn Leute das erste Mal ins Wohnzimmer kommen, sagen sie immer, was für ein wundervoller Raum es ist, und dann, nach einer Weile, sehe ich, wie sie Einzelheiten bemerken. Natürlich meistens die Frauen, aber Männer auch. Jemand hat einmal einen Artikel über Jake geschrieben, in dem hieß es, er kaufe Bücher, keine Jachten. Nun, er kauft natürlich keins von beiden. Er kauft überhaupt nichts. Was die Leute bemerken, das sind die Brandlöcher im Teppich und die Flecken an den Wänden. Jake trank eine Zeit lang dieses Bier aus Blechdosen, Sie wissen ja, wie das herausspritzt, wenn man Löcher in die Dosen macht. Dann die Kinder. Ja, aus irgendeinem Grund sind die Wände nie abgewaschen worden, jedenfalls nicht in den zwei Jahren, seit sie zuletzt gestrichen wurden. Natürlich ist es ein wundervoller Raum. Ich bin da jetzt die meiste Zeit, ich lebe richtig darin. Ich kenne ihn sehr gut. Da hängt ein Bild an der Seitenwand, gerade wenn man zur Tür hineinkommt. Ein schreckliches, gelbes und grünes Ding, ein abstraktes. Es gehört Jake. Wir werden es nicht los, obwohl es das teuflischste Bild ist, das Sie je gesehen haben. Dann sind da auch noch Stöße von Illustrierten. Wir werden die Sachen nicht los. Es stehen immer noch Fahrräder im Schuppen, die wir vor Jahren vom Land mit hereingebracht haben. Völlig nutzlos. Und nirgends ist Platz für die neuen. Jedenfalls, Jake hat unten ein Studio, dort arbeitete er sehr viel, bis er sein Büro bekam. Sein Büro ist im Stadtzentrum, in St. James, dort arbeitet er jetzt. Ich bin lange nicht dort gewesen. Er hat nie gern daheim in seinem Studio gearbeitet, er fühlte sich jedes Mal einsam. Dann kam er immer herauf, um mit jemandem zu sprechen, mit den Kindern, mit mir oder sonst jemandem, der gerade im Haus war. Er kochte oft für sich, er war immer hungrig, er war gern in der Küche. Jake war ein einziges Kind. Ich auch. Wir haben acht Schlafzimmer, aber nur ein Badezimmer. Ich weiß nicht, was ich Ihnen sonst noch erzählen soll.«

Langes Schweigen. Ich dachte schon, er wäre eingeschlafen. Dieses Gasfeuer macht jeden schläfrig; er müsste eine Schale mit Wasser davorstellen.

»Soll ich weitermachen?«

»Bitte.«

»Ist es nicht Zeit, aufzuhören?«

»Nur, wenn Sie es wünschen.«

»Wissen Sie, Sie sollten eine Schale mit Wasser vor dem Gasfeuer haben.«

»Ist es Ihnen zu heiß?«

»Das Ärgerliche ist, dass die Leute ihre abgebrannten Streichhölzer hineinwerfen, die schwimmen dann tagelang drin herum. Dann verdunstet das Wasser.«

»Sie hassen alles … was Unordnung und Durcheinander ist, nicht wahr?«

»Ja, das ist etwas, was ich hasse.«

»Sie haben Angst davor.«

»War …«, er schaute auf sein Blatt Papier, »Mr. Simpkin so ein Stück Durcheinander?«

»Ja«, sagte ich. »Für mich war er das grässlichste Stück Durcheinander, das es überhaupt geben kann. Hilft Ihnen das weiter?«

Er stand auf, stützte sich auf den Tisch wie jemand, der nach dem Essen eine Rede halten will. »Ich denke«, sagte er, »wir werden Fortschritte machen.«

2

Jakes Vater sagte: »Ich nehme an, du weißt, was du tust. Was sagen die Kinder dazu?«

»Die …«

»Wir haben es nicht direkt mit ihnen besprochen«, sagte Jake, »es sind schließlich Kinder, weißt du. Wir müssen sie doch nicht um Erlaubnis fragen.«

»Ach wirklich?«, sagte sein Vater. »Ich hätte gedacht, das sei das Wichtigste.«

»Ich verstehe nicht, warum du Jake eigentlich heiraten willst«, fuhr er fort und biss dabei mit Wohlbehagen in eine Käsestange, »ich verstehe es einfach nicht.« Er lächelte mir zu und hielt die Käsestange für den nächsten Bissen bereit.

»Ich weiß, wir sind schrecklich viele, aber …«

»Oh, darüber mache ich mir keine Sorgen, nicht die geringsten. Ich nehme an, dass deine früheren Ehemänner etwas zum Unterhalt und dergleichen beitragen?«

»Ein bisschen«, log ich.

»Bis jetzt hast du es geschafft. Und so, wie du aussiehst, wirst du es auch weiter schaffen. Warum aber ausgerechnet Jake? Er wird ein fürchterlicher Ehemann sein.«

»Moment mal …«, sagte Jake.

»O ja, ein fürchterlicher Ehemann. Nimm mal an, du wirst krank. Von ihm kannst du nicht das geringste Mitgefühl erwarten, er hasst Krankheiten. Er hat kein Geld und ist stinkfaul. Außerdem trinkt er zu viel.« Er lächelte Jake zuckersüß und aufmunternd zu.

»Man könnte meinen, er hasst mich«, sagte Jake.

»Unsinn, mein Junge. Sie weiß genau Bescheid. Gib ihr noch einen Sherry, aber für dich keinen Scotch mehr, der muss mir bis Dienstag reichen. Also. Wo wollt ihr denn zum Beispiel leben?«

»Das wissen wir noch nicht …«

»Schön, das ist natürlich ganz und gar eure Angelegenheit. Wenn ich ein hübsch eingerichtetes Haus mit Möbeln auf dem Lande hätte – ich setze voraus, du hast Möbel –, mit allen Annehmlichkeiten, dann würde ich das ganz gewiss nicht für Jake aufgeben. Er ist völlig unzuverlässig – ist er immer gewesen. Mir ist auch nie aufgefallen, dass er Kinder mag. Hast du«, erkundigte er sich freundlich bei Jake, »Kinder gern?«

»Selbstverständlich. Ich bin verrückt nach Kindern. Bin ich schon immer gewesen.«

»Ach wirklich? Sehr merkwürdig. Mir kam es immer so vor, als ob sie dich entsetzlich langweilten. Hast du eigentlich viele Kinder richtig kennengelernt?«

»Siehst du«, sagte Jake, »ich habe es dir ja gesagt. Er ist unmöglich.«

»Du trinkst doch nicht etwa meinen ganzen Scotch aus?«

»Ich hole dir eine neue Flasche.«

»Woher denn? Heute ist Donnerstag, früher Ladenschluss.«

»Ich gehe vor dem Essen runter in die Kneipe und besorge dir eine neue, in Ordnung?«

»Du sorgst dafür, dass er es tut, ja?«, bat mich der alte Herr. »Er plündert mich aus, weißt du. Beim letzten Besuch hat er sich mit meinem Rasierapparat davongemacht –«

»Du lieber Himmel«, sagte Jake, »du hattest sechs davon.«

»Ich brauche sechs Rasierapparate. Ich hoffe, du hast ihn wieder mitgebracht.«

»Nein, hab ich nicht.«

»Meine Liebe, könntest du ihn mir vielleicht schicken? Es ist so ein kleiner, den man aufschrauben kann. Ich glaube, er kostet ungefähr fünf bis sechs Schillinge.«

»Ich werde sehen, ob ich ihn finde. Wenn nicht, kaufen wir Ihnen natürlich einen neuen.«

»Das wäre nett. Es ist für mich ein absolut unentbehrlicher kleiner Apparat – um an die kniffligen Stellen zu kommen, du weißt schon. Jake, hör endlich auf, so herumzulungern. Gib ihr noch etwas Sherry. Seine Manieren sind nicht die besten, doch ich nehme an, dass du das schon herausgefunden hast.«

»Die Sache ist nämlich«, sagte ich mit verkrampften Zehen und leicht quiekender Stimme, »die Sache ist nämlich, ich liebe ihn.«

»Ich bin überzeugt davon. Das tue ich ja auch.«

Wir lächelten uns herzlich zu.

»Du bist ein tapferes Mädchen«, sagte er.

»O nein. Jake ist es … der tapfer ist.«

»Blödsinn. Der nimmt sich, was er kriegen kann. Bildschöne Frau, die kochen kann, eine fix und fertige Familie, eine komplette Einrichtung. Er wird eine Menge von dir erwarten!«

Ich griff nach Jakes Hand: »Das macht mir nichts aus!«

»Er war viel zu früh selbstständig. Meine Frau konnte keine Kinder mehr bekommen, wir haben ihn verzogen. Weißt du schon, dass er es nicht leiden kann, wenn man seine Hemden in die Wäscherei gibt?«

»Großer Gott«, sagte Jake. »Ich bin neunundzwanzig Jahre alt und erwachsen.«

»Noch dazu ist er entsetzlich jähzornig. Wann habt ihr vor zu heiraten?«

»Nächsten Monat«, stammelte ich. »Wenn die Scheidung durch ist.«

»Ach ja, die Scheidung. Geht alles glatt?«

»Ich denke schon, es tut mir leid, dass Jake …«

»Er ist der Scheidungsgrund, natürlich. Ich muss schon sagen, mein Junge, ich hätte nie geglaubt, dass so was in dir steckt. Nun ja, das wäre alles, denke ich. Wir brauchen diese Erörterung wohl nicht weiter fortzusetzen, oder? Wie wäre es, wenn du mir jetzt meinen Scotch holtest?«

»Ich hoffe, Sie werden kommen«, sagte ich. »Ich meine, wir möchten Sie gerne dabeihaben, wenn Sie kommen mögen.«

»Oh, ich glaube kaum. Ich danke dir, meine Liebe, aber ich glaube kaum. Ich hasse Bahnfahrten, und wenn ich mir Williams nehme, um in die Stadt zu fahren, können wir nie irgendwo einen Parkplatz finden. Und außerdem ist da das Problem mit dem Mittagessen für Williams. Nein, das ist alles zu umständlich. Aber ihr habt selbstverständlich all meine Segenswünsche.«

»Was das Hochzeitsgeschenk betrifft –«, sagte Jake, »so hätten wir gerne einen Scheck.« Seine Gesichtsfarbe war ganz zart grünlich und seine Oberlippe zu einem versteinerten Grinsen verzogen.

»Einen Scheck«, sagte der alte Herr. Er erstarrte. Ein Sonnenstrahl spazierte durchs Zimmer, suchte sich etwas vom Silber und den Kristallgläsern aus, ließ die polierten Schuhkappen des alten Herm aufblitzen und glitt über die Lederstühle. Er nahm sich noch eine Käsestange, wog sie zwischen den Fingern. »Wofür?« Das konnten wir nicht beantworten. Er wartete, dann biss er säuberlich in die Käsestange. »Ich werde euch einen Scheck geben. Nicht viel, verstanden, denn ich bin ein armer Mann. Ihr wollt sicher eine kleine Party geben, nach dem Ereignis, denke ich – mit ein paar Flaschen Champagner und so weiter. Ich werde euch fünfundzwanzig Pfund geben, unter der ausdrücklichen Bedingung, dass ihr das Geld dafür ausgebt. Habt ihr mich verstanden?«

»Aber wir können nicht –«, fing ich an.

Er sah mich zum ersten Mal scharf an. »Ich habe mir’s überlegt«, sagte er, »bestellt alles in einem Delikatessenladen. Und schickt mir die Rechnung.«

Mein Vater sagte: »Da wären noch ein paar praktische Punkte, die ich gerne geklärt haben möchte. Setzen Sie sich, Armitage, soll ich Ihnen eine Zigarette drehen?«

»Danke, nein«, sagte Jake. Er ließ sich auf einem abgeschabten ledernen Sitzkissen mit dunkelblauen und roten Karos nieder. Mein Vater drehte sich mit dem Stuhl zum Schreibtisch und richtete den Schein der Lampe direkt auf die Tischplatte. »Gießt du uns den Tee ein, meine Liebe?«, fragte er.

»Tee?«, fragte ich Jake. Wir hatten gerade Würstchen mit Kartoffelbrei und Bananencreme zum Abendessen gehabt.

»Nein, nein, danke.«

»Es ist noch etwas Holunderwein in der Speisekammer«, sagte mein Vater. »Liebling, lauf und hol den Holunderwein.«

»Nein, danke«, sagte Jake. »Wirklich nicht.«

»Also gut – hiermit erkläre ich die Sitzung für eröffnet.« Er drehte sich uns wieder zu und lächelte Jake aufmunternd an. »Wir wollen jetzt nicht nach dem Warum, Wieso und Weshalb fragen. Ihr seid beide erwachsen und wisst, was ihr tut. Ich für mein Teil muss schon sagen, für einen jungen Mann, der sein Leben noch vor sich hat, scheint es mir der reine Wahnsinn, sich mit einer Horde von Kindern und einer Frau zu belasten, die so eindeutig hilflos ist wie diese meine Tochter da. Der reine Wahnsinn! Das einzige Gute dabei ist, dass sie sich endlich einen Mann ausgesucht hat und nicht irgend so einen … Fiedler oder Schreiberling, wie es die anderen waren. Sie gefallen mir, Armitage. Ich finde, Sie sind ein Narr, aber ich möchte Ihnen gerne über den Anfang hinweghelfen. Was meinen Sie? In Ordnung?«

»Danke vielmals«, sagte Jake, »sehr fair von Ihnen.«

»Wenn ich euch Starthilfe gebe, glauben Sie, dass Sie dann allein weitermachen können?«

»Das hoffe ich.«

»Das hoffe ich auch. Zunächst müssen wir mal die Lasten etwas verteilen. Ich schlage vor, wir schicken die älteren Kinder ins Internat. Ich habe hier Auskünfte über einige Schulen, vielleicht schauen Sie sich das mal durch?«

Er reichte Jake zwei Prospekte, lehnte sich zurück und klopfte mit dem Bleistift auf die Schreibtischkante. »Sie liegen nur ein paar Kilometer voneinander entfernt«, sagte er, »beide an der See. Natürlich ist es nicht gerade Harrow oder Roedean, aber es wird den Kindern die Chance gegeben, ein Stipendium zu bekommen, wenn sie nur genug Grips haben. Was halten Sie davon?«

»Nein!«, sagte ich. »Auf keinen Fall. Wir können sie nicht wegschicken, sie sind zu jung. Außerdem können wir es uns nicht leisten – und überhaupt –«

»Halt den Mund, meine Liebe«, sagte mein Vater schroff. »Das ist Jakes Angelegenheit und nicht deine. Ich werde eine Schulversicherung aufnehmen, damit ist die Schule für die nächsten fünf Jahre bezahlt. Dann werden sie …«, er sah auf ein Blatt Papier auf dem Schreibtisch, »vierzehn, beziehungsweise zwölf und elf Jahre alt sein. Zu dem Zeitpunkt dürften wir wissen, ob sie befähigt sind, weiterzukommen. Und Jake wird bis dahin die Gelegenheit gehabt haben, sich auf eigene Füße zu stellen. Was meinen Sie dazu?«, fragte er Jake.

»Ich finde, das ist eine sehr gute Idee.«

»Nein«, sagte ich.

»Komm, sei vernünftig«, sagte Jake. »Sie werden davon begeistert sein, und es wird ihnen guttun.«

»Nein, das wird es nicht, und sie werden es hassen. Warum kannst du uns nicht einfach das Geld geben?«

»Weil das nicht der springende Punkt ist«, fuhr mich mein Vater an. »Ich will nicht, dass du diesen Jungen hier vom ersten Augenblick an durch Verantwortung erdrückst. Er trägt jetzt davon schon mehr, als er verdauen kann, und er wird wie ein Sklave schuften müssen, um es zu schaffen. Ich weiß so gut wie nichts über dieses … Filmgeschäft, und, um die Wahrheit zu sagen, ich habe nicht viel Vertrauen dazu. Aber ich will nicht, dass du mir in fünf Jahren nach Hause gezogen kommst mit noch einem halben Dutzend Kindern mehr und einer weiteren geplatzten Ehe. Tut mir leid, dass ich so grob bin, aber genau so sieht es doch aus. Es ist höchste Zeit, dass du Vernunft annimmst, mein Kind.«

So hatte er noch nie mit mir gesprochen. »Jake«, sagte ich. »Jake.«

»Dein Vater hat ganz recht«, sagte Jake. »Es würde alles viel leichter machen.«

Sie saßen ungerührt da und sahen mich an.

»Was ist mit den Ferien? Sie werden Ferien haben.«

»Sie können hierherkommen«, sagte mein Vater. »Du weißt, dass deine Mutter sich freut, sie hier zu haben.«

»Du meinst … sie werden für ganz fortgehen. Für immer. Das meinst du doch, nicht? Warum lassen wir sie nicht gleich von irgendjemandem adoptieren? Warum schenken wir sie nicht einfach weg?«

Mein Vater stieß einen tiefen Seufzer aus und drehte sich wieder seinem Schreibtisch zu. »Das macht ihr beiden besser zwischen euch aus«, sagte er. »Mein Angebot steht, das ist alles, was ich zu sagen habe. Nun … zum nächsten Punkt. Wo wollt ihr leben?«

»Es wird wohl auf dem Land sein müssen«, sagte Jake.

»Sie können wohl auf dem Land nicht arbeiten?«

»Im Augenblick geht es noch. Später müsste ich dann sowas wie ein Zimmer in der Stadt haben.«

»Das ist nicht gut«, sagte mein Vater. »Ein Mann braucht regelmäßige Mahlzeiten und jemanden, der nach seinen Sachen sieht. Es hat keinen Zweck, es sich extra schwer zu machen. Sie haben auch so schon genug auf dem Buckel.«

»Ich sehe aber keine andere Möglichkeit, Sir.« Dieses »Sir« war verblüffend. Mein Vater war sowieso schon verändert und nicht mehr der Mann, den ich immer gekannt hatte; jetzt schien er mir plötzlich ins Ungeheure, Bedrohliche und Allmächtige zu wachsen.

»Wir haben immer auf dem Land gelebt«, sagte ich, aber keiner von beiden hörte mir zu.

»Ein guter Freund von mir ist zufällig Häusermakler«, sagte mein Vater. »Er hat Verbindungen zu einer Firma in London. Man scheint eine Menge von Neubauten zu planen, und es besteht die Möglichkeit, eins dieser alten Häuser für ein paar Jahre zu einem ganz vernünftigen Preis zu mieten. Dieses hier zum Beispiel. Sehen Sie sich das mal an. Ich werde zwar eine Menge Federn lassen müssen, aber besser, ihr habt es jetzt, wo ihr es braucht, anstatt zu warten, bis ich tot bin.«

»Ich weiß nicht, warum Sie das tun sollten …«

»Wenn ich einen Sohn gehabt hätte«, sagte mein Vater, »dann hätte ich gewusst, wie ich ihn erziehen soll. Kein Problem! Bei diesem Mädel haben wir versagt. Keine Frage, wir haben versagt. Höchste Zeit, dass sie eine feste Hand am Steuer spürt, und ich bin mir sicher – Sie sind der Bursche, der es richtig packt.«

»Ich bin doch auch noch da«, sagte ich. »Warum kannst du nicht mit mir sprechen?«

Mein Vater beugte sich hinüber und klopfte Jake auf die Schulter. »Viel Glück«, sagte er. »Viel Glück, mein Junge. Du kannst es brauchen.«

Nach der Hochzeit gaben wir eine Party. Der Delikatessenhändler hatte Hühnersandwiches, andere Kleinigkeiten und Champagner geschickt. Alle waren sehr glücklich. Meine Mutter weinte, wie üblich. Mein Vater drückte Jake stumm die Hand, als sei er drauf und dran, zu einer Weltraumfahrt zu starten. Die Kinder, die für diesen Tag von Mrs. Norris, Mutters Hausgehilfin, versorgt wurden, schickten Glückwunschtelegramme. Zwei Wochen später kamen die drei Ältesten ins Internat.

Wir zogen in das Haus ein, das Vater für uns gefunden hatte, und die übrig gebliebenen Kinder kamen mit dem Zug. Sie hatten eine Menge Gepäck, weil ich darauf bestand, dass sie alles mitbringen sollten: Kleider und Stöcke, Spielsachen, Eimer, Bücher, Tagebücher, Hufeisen, Schlagballspiele, Bänder, Schnüre und einen ganzen Schuppen voll Fahrräder mit durchlöcherten Reifen. Sie überschwemmten die Schulen der Umgebung, wo sie kollektiv als »Die Armitagekinder« bekannt wurden. Der Einfachheit halber und aus Kameradschaftlichkeit änderten diejenigen, die Postsparbücher besaßen oder Gutscheine für versilberte Teelöffel eingeschickt oder an Preisausschreiben teilgenommen hatten, bei denen man Ponys gewinnen konnte, ihre Namen. Und die Kleinsten bekamen ihre Namen durch die Geschwister abgeändert und gewöhnten sich, wie sie heranwuchsen, daran, auf jeder Liste, bei jedem Namensappell und bei jeder Zählung fast unter den Ersten zu sein.

Nur die drei im Internat blieben für sich; abgeschnitten von den andern wuchsen sie unter ihrem alten Namen heran. Sie waren meine ersten Kinder, und obwohl sie immer mürrisch gewesen waren und es schwer war, ihnen eine Freude zu machen, fühlte ich mich elend ohne sie. Ein dumpfer Groll brannte in mir, Groll – gegen wen, gegen was? Es war doch nur zu ihrem Besten: Der Junge und die beiden Mädchen auf den richtigen Weg gebracht, in Flanell und Wollstrümpfen für Jesus und das erfolgreiche Abschlusszeugnis, möglichst leicht gekleidet bei Ballspielen in bitterster Kälte. Es war das Richtige für Jake, dass sie fort waren. Langsam, nach und nach, beinahe unmerklich ließ ich sie von mir weggleiten, bis sich nur noch unsere Fingerspitzen berührten, dann noch nach einander griffen und nichts mehr fanden. Wir ließen die Hände sinken und wandten uns ab. Die jüngeren Kinder blieben ihnen immer herzlich zugetan, diesen drei traurigen Konservativen, die in unversöhnlichem Hass gegen Jake aufwuchsen. Mit der Zeit schlossen sie auch mich in diesen Hass ein. Sie waren meine ersten Feinde. Meine Mutter schickte jedem von ihnen zu Beginn jeder neuen Schulzeit zehn Schillinge, die sie mit goldenen Sicherheitsnadeln an den Briefen befestigte.

Mit Jakes Kind ging ich zum ersten Mal in eine Klinik. Jake war dreißig und fing an, sich Sorgen um seine Haare zu machen. Er baute leicht ab, war nervös und überreizt. Er arbeitete an seinem ersten großen Drehbuch und erzählte mir, dass er eines Tages einen Turm aus Ziegelsteinen und Glas bauen würde, der das ganze Tal überschauen würde, wo wir uns zuerst getroffen hatten.

3

»Ich weiß nicht, was mit mir los ist«, sagte Philpot, »manchmal zittre ich am ganzen Leibe, und manchmal habe ich neununddreißig Grad Fieber. Und manchmal könnte ich stundenlang ununterbrochen heulen.«

»Warum gehst du nicht zu einem Doktor?«

»Die sagen doch nur, dass das vom Kummer kommt. Und gegen Kummer kann man doch nichts tun, oder?«

»Na ja«, sagte ich, »ich weiß nicht.« Ich machte die Küchenregale sauber, ein Zeichen von innerer Unruhe. Das Mädchen – tatsächlich war sie eine junge Frau von vierundzwanzig Jahren, mit dem Nachnamen Philpot – hatte gesagt, es gäbe doch sicher irgendetwas für sie zu tun. Ich hatte ihr die Pfannendeckel mit Stahlwolle zu putzen gegeben. Sie saß auf dem Rand des Spülbeckens und fuhr langsam immer wieder auf den verbeulten Deckeln herum, als ob es Gesichter wären.

Ich nahm die neuen Becher mit Motiven von der Krönung vom Regal, in jeder Hand einen Henkel, und stellte sie auf den Boden. Dann bat ich Philpot, sich woandershin zu setzen, weil ich zur Wasserleitung wollte. Sie zog sich auf den Eisschrank zurück und breitete ihren Rock über ihn aus.

»Du lieber Gott«, sagte sie, »was für eine Menge Becher. Poppy hat auch einen bekommen. Sind sie nicht einfach himmlisch?«

»Ich finde sie abscheulich«, sagte ich. »Aber wir haben dutzende von Löffeln bekommen.«

»Ja«, sagte sie. »Poppy hat auch einen Löffel bekommen.« Sie sah aus dem Fenster in den Garten, wo einige von den jüngeren Kindern und Poppy, jedes für sich, in einem Pappkarton saßen und – soweit ich sehen konnte – absolut nichts taten. Sie seufzte schwer. »Ich möchte wissen, ob es jemals wieder eine Krönung geben wird … ich meine, so lange wir leben?«

»O bestimmt.« Ich fühlte, sie brauchte Beruhigung. »Warum? Hat dir diese so gut gefallen?«

»O ja, wahrhaftig. So herrliche Partys. Poppy blieb bei meiner Tante.« Ich kratzte Butterrestchen von sechs Untertassen auf einen Teller und scheuchte Philpot vom Eisschrank herunter. Sie ließ sich wie eine große Ente auf dem Herd nieder. »Und für mich war es einfach eine wundervolle Zeit, obwohl ich die wichtigsten Ereignisse im Fernsehen verschlafen habe. Soll ich dir die Becher hinüberreichen?«

»Nein«, sagte ich, »es geht schon.«

»Also, natürlich endete alles mit einer Katastrophe. Tut es bei mir immer. Die Frauen von den Leuten sind manchmal so empfindlich. Und dabei kann ich sie gut leiden, das ist ja das Komische. Ich kann sie wirklich besser leiden als ihre Männer. Manchmal frage ich mich, ob ich ganz normal bin. Ich meine, man hat mir schon gesagt, ich wäre frigid, aber ich begreife nicht, wie man das wissen kann. Also wirklich, wie kann man das wissen?«

»Ich würde nie denken, dass du’s bist«, sagte ich. »Lässt du mich mal zum Ofen?«

»Ich bin dir im Weg, natürlich bin ich das. Es muss für mich doch irgendetwas zu tun geben. Ich komme mir so unnütz vor. Und du arbeitest wie ein Galeerensklave.«

»Jedenfalls siehst du nicht frigid aus«, sagte ich und versuchte leicht verzweifelt, in die fettige Höhle des Ofens vorzudringen. »Und was Besseres kann man doch nicht sagen.«

»Es tut mir ja so gut, mit dir zu sprechen«, sagte sie von fern her. »Es ist wunderbar, mit jemandem zu sprechen, der wirklich Bescheid weiß. Ich kann mir nicht vorstellen, wie du das alles schaffst, ohne jede Hilfe und mit all den Kindern. Jake ist natürlich ein ganz prächtiger Vater, das sieht man ja. Poppy ist verrückt nach ihm. Natürlich, weil sie keinen Vater hat, ist sie nach jedem Mann verrückt, armes, kleines, süßes Ding. Aber nach Jake ist sie besonders verrückt. Ich wünschte wirklich, ich hätte nur halb so viel Glück wie du. Natürlich weiß ich, dass es nicht einfach nur Glück ist, du bist so intelligent und anziehend und begabt und so, du verdienst das alles und mehr.«

Es gab eine lange Pause. Da ich zum Teil im Ofen steckte, konnte ich mir nur ihren sehnsuchtsvollen Blick und die blassrote Haarsträhne vorstellen, die sie nervös über die blauen Augen zerrte.

»Aber Gott weiß«, sagte sie, »ich beneide dich.« Ich kann mich nicht erinnern, wie es dazu kam, dass wir Philpot kennen lernten. Aber damals kannten wir viele kleine Leute aus der Filmwelt; sie muss wohl zu irgendeinem von ihnen gehört haben. Ich mochte sie, weil sie einsam und exzentrisch war und sich immer von neuem in kleinen Attacken auf das Leben versuchte, die, wie sie von vornherein wusste (wenigstens schwor sie das), zum Scheitern verurteilt waren. Vielleicht beneidete ich sie auch in gewisser Weise. Sie war wie die Mädchen in der Schule, die Brüder hatten, aber keine Liebe kannten.

In jenem Sommer erschien sie jeden Tag und schlenderte bei uns im Haus herum, schob ihre unbeholfene Kleine hinaus in den Garten und blieb selbst drinnen, um in sich aufzusaugen, was sie Familienleben nannte. Sie war ängstlich darauf bedacht, Jake nicht zu stören, ging aber auf Zehenspitzen an der Tür seines Arbeitszimmers vorbei, wobei sie einen derart intensiven Gardenienduft hinter sich ließ, dass er nach wenigen Augenblicken schnuppernd herauskam und sich zu uns gesellte, in der Küche oder im Wohnzimmer, das mit Schnittmustern und Stecknadeln übersät war, da wir uns zu dieser Zeit gerade der Schneiderei widmeten. Er räkelte sich auf dem Sofa, den einen Arm um mich geschlungen, während Philpot ihn nach seiner Arbeit ausfragte. Sie wusste über alle Details Bescheid. Jeden Tag erkundigte sie sich nach den einzelnen Personen seines Films, so als könnte während der Nacht ein Unglück über sie hereingebrochen sein, gegenüber dem Jake machtlos war. Sie trug gestreifte Blusen und weite Röcke und hielt den Kragen gewöhnlich mit einer Art Kameebrosche zusammen. Sie hatte eine Schwäche für Kameen, Porzellanfiguren, Briefbeschwerer, ausgestopfte Vögel und samtene Fotorahmen. Gelegentlich ging sie für einige Tage mit jemandem auf und davon, der gerade nach Exmoor, Cardiff oder Leeds fuhr. Dann nahmen wir Poppy zu uns, wenn auch ohne große Begeisterung, da niemand von uns sie besonders leiden konnte. Die Jungen kamen sich ihretwegen lächerlich vor, da sie sie andauernd hänselte, und die Mädchen langweilte sie durch ungenaue Schilderungen von Liebesdingen.

4

»Warum muss Philpot bei uns wohnen?«, fragten sie.

»Weil man sie aus ihrer Wohnung geworfen hat.«

»Aber warum muss sie bei uns wohnen? Wir sind doch schon genug Leute.«

»Sie sieht sich nach einer neuen um.«

»Ich habe noch nie gemerkt, dass sie sich umgesehen hat. Sie tut nichts, als die ganze Zeit im Bett zu liegen, wenn du es wissen willst.«

»Noch dazu in meinem