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*Männer? Nein Danke! Jessica ist wild entschlossen, Single zu bleiben. Sie hat aber nicht mit einem kreativen Kunstschmied gerechnet - und mit der stursten Katze der Welt!*
Her mit der Schere! Jessica ist zum x-ten Mal auf einen Kerl reingefallen, der sich nur mit ihrem Äußeren schmücken wollte. Bevor sie vor Wut ihre blonde Mähne absäbeln und ihre Miniröcke verwüsten kann, verordnet ihr eine Freundin eine Auszeit in einer abgeschiedenen Leuchtturmwohnung.
Als Jessica warm eingemummelt am Strand spazieren geht, begegnet sie Arne, der seine Katze Tiki sucht. Sie bleiben telefonisch in Kontakt und Jessica fühlt sich immer mehr zu Arne hingezogen. Er ist einfach wunderbar! Als er Jessica vor ihrem zweiten Treffen verrät, dass er aufgetakelte Frauen nicht mag, gerät sie jedoch in Panik. Ein Date ohne Minikleid und Lockenpracht? Was kann sie einem spannenden Mann wie Arne überhaupt bieten? Katze Tiki verfolgt währenddessen ganz eigene Pläne ...
Romantisch, witzig, zum Träumen und Wohlfühlen. Komm mit nach Möwenitz, verlieb dich im Leuchtturm und verlier dein Herz an einen flauschigen Liebesboten.
In sich abgeschlossen, mit viele Liebe und Humor, ein Wohlfühlroman, der gemütlichen Lesespaß verspricht.
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Veröffentlichungsjahr: 2025
von
Karin Koenicke
Männer? Nein Danke! Jessica ist wild entschlossen, Single zu bleiben. Sie hat aber nicht mit einem kreativen Kunstschmied gerechnet – und mit der stursten Katze der Welt!
„Fräulein!“, dröhnte es unheilvoll aus der Umkleidekabine. „Sie haben mir die Anzughose in der falschen Größe gebracht!“
Hatte ich definitiv nicht.
Der Kunde – ein arroganter Endfünfziger mit grauen Haaren und ebenso grauem Chefbürogesicht – hatte darauf bestanden, den Armani-Anzug in Größe 52 anzuprobieren. Dabei hatte mein geübtes Herrenmode-Verkäuferinnen-Auge beim Anblick seines Rettungsrings messerscharf kombiniert, dass sein Astralleib mindestens eine 54 benötigte. Doch der Herr hatte es besser gewusst.
Da die oberste Regel hier im Kaufhaus Wenzel allerdings lautete Der Kunde hat immer recht, nahm ich die Schuld natürlich auf mich.
„Tut mir sehr leid“, säuselte ich brav. „Ich bringe Ihnen sofort eine andere Hose.“
Ich eilte zum entsprechenden Kleiderständer, zog zwei Hosen heraus und reichte sie ihm durch den Schlitz zwischen Vorhang und Umkleide.
„Bitteschön, mein Herr. Diese hier sollten Ihnen passen, entschuldigen Sie meinen Fehler.“
„Wieso denn nicht gleich so?“, knurrte er. „Heutzutage gibt es nirgends mehr fähiges Personal, ein Drama ist das!“
Wie immer biss ich mir auf die Zunge. Die Klappe zu halten und dem Kunden gegenüber niemals – wirklich niemals! – anzudeuten, dass sein eigener Currywurstfriedhof für das Kneifen der Hose verantwortlich sein könnte, war in meinem Beruf lebenswichtig.
Wobei ich mit diesem Schlipsträger hier noch Glück hatte, denn er ließ den Vorhang zu. Erst heute Vormittag war einer da gewesen, der den Sichtschutz für komplett überflüssig gehalten hatte. Beim Anprobieren von Hemden war ich es ja gewöhnt, auf Bürohengst-Oberkörper zu blicken, denen seit Jahren kein Sonnenstrahl begegnet war. Der untersetzte Typ heute Vormittag hatte allerdings den Vogel abgeschossen, weil er unbedingt topmodische Slips anprobieren wollte. Und zwar ausgerechnet Stringtangas. Er hatte die bunten Schnürchen also über seine Boxershorts gezogen, mir sein Hinterteil präsentiert und mich gefragt, ob ebendieser darin jugendlich knackig aussähe. Wunschgemäß hatte ich bestätigt, dass seine tolle Figur im Tanga perfekt zur Geltung käme. „Wissen Sie, ich gehe auf Geschäftsreise“, hatte er mir verschwörerisch zugeraunt. „Mit meiner neuen Sekretärin.“
Daraufhin hatte ich ihm noch zwei sündhaft teure Seidenpyjamas angedreht und versprochen: „Da schmilzt jede Frau dahin.“ Ich vermutete zwar, dass die Sekretärin eher an der Platincard interessiert war, mit der er bezahlt hatte. Aber das konnte mir schnurzegal sein, Hauptsache mein Umsatz stimmte, damit mein Chef nicht wieder herummotzte.
„Das ist nicht das Richtige“, hallte es nun erneut aus der Umkleide. „Ich dachte, Sie sind hier im Wenzel auf höchste Ansprüche eingestellt? Auf mich wirken Sie nicht so, Fräulein.“
„Ich werde mir mehr Mühe geben“, versprach ich und griff eilig zu zwei weiteren Anzügen. „Schlüpfen Sie doch mal in Brioni. Die perfekte Marke für charismatische Führungskräfte wie Sie.“
Sein zustimmendes Brummen verriet mir, dass er sich geschmeichelt fühlte. Immerhin.
Nach fünf weiteren Versuchen hatte er endlich einen anthrazitfarbenen Anzug gefunden, der ihm gefiel. Ich verkaufte ihm dazu zwei Hemden in Hellblau und drei passende Krawatten. Er schob mir an der Kasse seine Karte hin, ohne mich auch nur eine halbe Sekunde lang anzusehen. Wahrscheinlich wäre es ihm nicht mal aufgefallen, wenn ich eine rote Clownsnase und Vampirzähne getragen hätte. Aber das war ich gewöhnt. Für viele der Kunden waren wir Verkäuferinnen nur gesichtslose Angestellte, die keinen Blick wert waren. Manchmal gab ich mich Tagträumen hin und stellte mir vor, von einem dieser Kunden wirklich wahrgenommen zu werden. Oder mehr noch, so behandelt zu werden, als befänden wir uns auf Augenhöhe. Aber das waren Wolkenschlösser, die ich schnell beiseiteschob. Ich bekam an jedem Monatsersten zuverlässig mein Gehalt ausbezahlt und hatte mit Mona eine Kollegin, die zur Freundin geworden war. Mehr durfte ich von einem Job nicht erwarten.
Inzwischen war es zwanzig Minuten nach acht Uhr, die Eingangstüren des Kaufhauses hatten sich bereits geschlossen, meine Arbeitszeit war längst vorbei. Ich geleitete den Kunden also hinaus, bedankte mich in aller Ruhe für seinen Einkauf – und flitzte danach wie von der Tarantel gestochen zur Personalumkleide.
Dort warf sich Mona gerade die Tasche über die Schulter.
„Himmel, Jessica, was treibst du denn so lange?“, fragte sie. „Hast du heute nicht ein Date mit Kevin?“
„Genau“, keuchte ich und riss die Tür zu meinem Spind auf, um den Lockenstab herauszuholen. „So ein Businesstyp hat mich ewig aufgehalten. Du weißt schon: Einer von der Sorte, die uns total von oben herab behandeln. Fräulein hier, Fräulein da, ätzend!“
„Kenn ich.“ Mona nickte. „Obwohl die bei mir in der Abteilung selten aufschlagen. Dafür hängen ständig Elektronik-Nerds herum, die mir Löcher in den Bauch fragen und am Ende dann doch online kaufen.“
Mona war wie ich schon viele Jahre im Kaufhaus Wenzel, dem größten Kaufhaus von Hannover, angestellt. Da die Abteilung für Herrenmode an die Abteilung für Unterhaltungselektronik angrenzte, konnten wir hin und wieder einen kleinen Tratsch abhalten. Aber wir trafen uns natürlich auch oft außerhalb der Arbeit, um einen bunten Cocktail mit Schirmchen zu schlürfen.
„Ich muss jetzt Gas geben, damit ich rechtzeitig fertig bin. Kevin trifft auf der Party diesen neuen Geschäftsfreund, mit dem er was aufziehen will. Irgendeine große Sache, so genau weiß ich das gar nicht.“
Mona sah mich skeptisch an. „Hängt das mit der geheimnisvollen Reise nach Polen zusammen, für die du Urlaub eingetragen hast?“
„Genau.“ Ich löste die Klammer, mit der ich meine dunkelblonden Haare während der Arbeit immer brav hochsteckte. Unser Chef, Herr Rambowsky, wollte das so, damit ich möglichst seriös rüberkam. Wir nannten ihn nicht ohne Grund Radetzky, denn er blies seinen Angestellten gerne den Marsch. Jetzt rückte ich jedoch der ersten Strähne mit dem Lockenstab zu Leibe, während ich meine Schminksachen aus einem Beutel schüttelte.
„Mona, kannst du mir das Kleid an den Spind hängen? Es ist in der Tüte“, bat ich und trug dramatischen dunklen Lidschatten auf.
„Herrje, das ist ja ultrakurz“, stellte sie fest. „Du wirst der Hingucker sein auf der Party.“
Ich grinste. „Genau das ist der Plan. Schließlich soll Kevin stolz auf seine Freundin sein.“
Vorsichtig wickelte ich die nächste Strähne um den heißen Lockenstab und kramte nach einem blutroten Lippenstift, der farblich mit dem Kleid harmonierte.
Monas Blick lastete schwer auf mir. Ich versuchte, ihn zu ignorieren, aber sie konnte hartnäckig wie ein Terrier sein, der sich in einer Postbotenwade festbiss. „Du bist auch ohne den ganzen Schnickschnack schön“, sagte sie. „Gib dich doch mal natürlich!“
Ihre übliche Predigt.
„Quatsch, da sieht mich keiner an“, widersprach ich. „Ich merke doch, wie mich die Kunden behandeln, wenn ich nur ein nichtssagendes Mäuschen bin. Ich fühle mich einfach viel wohler, wenn ich mich schick zurechtmache.“
Mona blieb skeptisch. „Ja, schon. Aber dann gerätst du immer an so doofe Typen, die nur aufs Äußere achten.“
„Ach was, die entdecken dann schon meine inneren Werte.“
Ich lachte, aber in mir zog sich alles zusammen. So richtige innere Werte besaß ich nämlich nicht. Zumindest keine, mit denen man bei Männern punkten konnte. Klar, ich war halbwegs beliebt, half allen Freunden beim Schleppen von Umzugskartons und hatte ein offenes Ohr für jeden, den Rambowsky mal wieder einen Kopf kürzer gemacht hatte. Ich konnte solide Hausmannskost kochen, drei Arten von Muffins backen und besuchte regelmäßig meine Oma, um mit ihr Mühle zu spielen, wobei ich sie immer gewinnen ließ. Was nicht schwer war, weil sie schummelte wie ein Hütchenspielbetrüger am Ballermann. Aber genau das liebte ich an ihr, sie hatte trotz ihrer dreiundachtzig Jahre ein herrlich spitzbübisches Lachen drauf. Mit einer kleinkriminellen Oma und Bananen-Schoko-Muffins lockte man natürlich keinen Mann hinterm Ofen hervor. Das schaffte ich ausschließlich mit meinem Aussehen.
Entschlossen drehte ich die nächste Strähne zu einer weichen Locke und tuschte mir erneut die Wimpern.
Dummerweise hielt Monas Blick mich fest wie ein Schraubstock. „Du weißt, dass das stimmt, oder?“, fragte sie. „Du hast eine Menge innerer Werte und bist für jeden Mann ein toller Fang, selbst wenn du in einem Kartoffelsack herumläufst statt in diesem eng anliegenden Fummel.“
Mein Hals wurde seltsam trocken. Ich räusperte mich, um die Brösel wegzubekommen, die ich plötzlich darin spürte. Dabei hatte ich seit morgens nichts gegessen.
„Ja, natürlich“, behauptete ich und zwang mich zu einem Lächeln. „Ich weiß, dass ich einiges zu bieten habe. Aber mit blonden Locken erkennen das die Jungs trotzdem leichter, die denken nämlich mit den Augen.“
Oder mit einem anderen Körperteil. Für diesen Fall trug ich einen Push-up.
Ich zwinkerte Mona zu und hoffte, dass sie meine Aussage schluckte. Sie war eine tolle Freundin, auf sie konnte ich immer zählen. Und ich liebte ihre Ehrlichkeit. Aber sie war anders als ich. Schlauer. Talentierter. Tausendmal mutiger. Und mehr Tiefgang hatte sie auch. Kein Wunder, dass sich sogar ein Architekt in sie verliebt hatte, als sie über Weihnachten Urlaub in einem kleinen Leuchtturm an der Ostsee gemacht hatte.
„Du, ich muss los“, sagte Mona jetzt. „Pass auf dich auf, Jessica, okay? Sei vorsichtig mit Kevin und seinen komischen Geschäftchen.“
„Ja, Mama“, neckte ich sie, streckte ihr die Zunge heraus und griff zum Rouge.
„Du verrücktes Huhn!“ Sie lachte und verschwand.
Als sie weg war, senkte sich eine drückende Stille über den Raum. Ihre Worte schienen nachzuhallen und wie Pingpong-Bälle in meinem Kopf herumzuhüpfen. Mist, das konnte ich jetzt überhaupt nicht brauchen, ich musste mich schleunigst fertigmachen!
Eilig schminkte ich mich mit der rechten Hand fertig, während ich mit der linken die letzte Strähne zu einer verführerischen Locke brutzelte. Anschließend zwängte ich mich in das rote Minikleid, stieg in meine Pumps, verstaute die alten Klamotten im Spind und machte mich auf den Weg.
Die Bar, in der die Feier von Kevins Freund stieg, lag fast um die Ecke. Obwohl ich spät dran war und ich unter meinem dünnen Mantel fror, blieb ich an einem Schaufenster hängen, an dem ich vorbeikam. Es war ein Laden für Fotografiebedarf. Von der Kamera in der Auslage träumte ich schon so lange wie Mandy aus der Kosmetikabteilung von einer Begegnung mit Bradley Coopers Sixpack. Ich wollte wetten, die Leica M11 würde sich in meinen Händen hundertmal besser anfühlen als der Traumbody des Hollywoodstars. Und wie wunderschön sie war in ihrem schlichten, klassischen Design!
Allerdings kostete diese Leica M11 dreimal so viel wie mein klappriger Opel Corsa, also würde sie immer ein Traum bleiben. Und meine gebrauchte Nikon D850 verrichtete gute Dienste. Aber man durfte ja träumen. Und wer weiß, vielleicht scheffelte Kevin mit dieser neuen Geschäftsidee so viel Kohle, dass er mir die Leica locker zum Geburtstag schenken konnte.
Beschwingt stöckelte ich weiter. Da ich gleich da sein würde, öffnete ich schon mal meine Mantelknöpfe. Als ich an einem Luxushotel vorbeikam, trat ein Mann aus der Lobby. Irgendwie kam er mir bekannt vor. Na klar, das war der Typ von vorhin, der mich immer Fräulein genannt und kaum angesehen hatte! Jetzt jedoch fiel sein Blick auf mich und blieb an mir kleben wie eine Fliege am Honigglas. Der Typ straffte umgehend die Schultern, packte sein charmantestes Lächeln aus und sah mich an, als würde er mich gern auf ein Glas Champagner an der Hotelbar einladen.
„Guten Abend, Lady in red“, raunte er mir zu und verlieh seiner Stimme einen vermeintlich sexy Unterton.
Alles klar. Kaum trug ich ein Minikleid, High Heels und blonde Locken, war ich kein gesichtsloser Lakai mehr, sondern eine Lady.
Ich reckte mein Kinn nach oben. „Gute Nacht, Grandpa“, gab ich zurück und stolzierte eilig weiter, wobei ich vor mich hin grinste.
Das würde ich morgen Mona erzählen! Ein erneuter Beweis, dass ich als Frau nur dann wahrgenommen wurde, wenn ich mich nett herausputzte, ätsch.
Nach wenigen Metern hatte ich die Bar erreicht und betrat sie. Ein paar Köpfe fuhren herum, ich lächelte selbstbewusst – und freute mich, als Kevin auf mich zuschritt und seine Arme ausbreitete, um mich zu begrüßen.
„Du siehst rattenscharf aus, Babe“, flüsterte er mir ins Ohr. „In dem Kleid bist du der totale Hingucker. Alle Kerle hier beneiden mich, weil mir so ein Hottie gehört. Schafft schließlich nicht jeder!“
Kevin zwinkerte mir zu und legte den Arm um meine Taille. Ich konnte es nicht leiden, wenn er davon sprach, dass ich ihm gehörte. Ja, wir waren seit fünf Monaten ein Paar. Aber diese Ausdrucksweise ärgerte mich und das würde ich ihm nach der Party auch sagen.
Jetzt allerdings stellte er mich einigen Freunden vor, drückte mir ein Glas Prosecco in die Hand und ging mit mir schließlich zu einem Tisch, an dem zwei Männer um die fünfzig saßen. Sie hatten ihre Haare nach hinten gegelt, trugen protzige Armbanduhren und teure Anzüge, wie ich sofort erkannte. Doch irgendetwas an ihnen gefiel mir nicht, sie wirkten verschlagen.
„Das sind meine neuen Geschäftsfreunde“, stellte er sie mir vor.
Anschließend gab er mir einen Klaps auf den Hintern. „Und das hier ist Jessy, mein zweitliebster Zeitvertreib nach dem Autofahren.“
„Und dem Autohandeln“, ergänzte einer der schmierigen Gesellen mit hartem Akzent und musterte mich mit unverhohlen lüsternem Blick.
Mir kroch eine Gänsehaut den Rücken hinunter. Kevin war der Sohn eines zwielichtigen Autohändlers und träumte schon lange davon, richtig groß rauszukommen. Wollten diese schrägen Vögel es ihm ermöglichen? Mir stellte sich bei der Vorstellung das gesamte Gefieder auf.
Da einer der beiden offenbar das Geburtstagskind war, setzte ich aber eine freundliche Miene auf und gratulierte ihm. Ich wollte ein wenig Small Talk betreiben, doch Kevin unterbrach mich.
„Babe, wir haben ein paar ernste Sachen zu besprechen. Das ist nichts für dich. Hol mir lieber noch ein Bier.“
Ich starrte ihn an. Ernsthaft? Er schickt mich weg, als wäre ich eine Kellnerin?
Wütend baute ich mich vor ihm auf und holte tief Luft, um ihm mal ordentlich die Meinung zu geigen, doch ich kam nicht zum Reden. Die Herren standen nämlich auf, um in einen Nebenraum zu gehen. Kevin folgte ihnen, ohne auf mich zu achten. „Gut, dann besprechen wir jetzt endlich alles wegen der Polenreise“, sagte er zu einem der Kerle. „Das wird eine tolle Tour mit uns dreien.“
Wie bitte?
Ich machte ein paar schnelle Schritte auf ihn zu und hielt ihn am Ellbogen fest. „Wieso redest du von unsdreien? Was ist denn mit mir?“
Kevin sah mich verständnislos an. „Wieso solltest du mitkommen?“
„Weil wir ein Paar sind! Du hast mir von der Reise erzählt, ich habe extra Urlaub eingetragen. Das habe ich dir doch gesagt!“
Jetzt lachte er einfach los. „Jessy, du plapperst so viel, da höre ich doch nicht immer zu! Das hier ist eine Geschäftsreise und wichtig für mich. Da kann ich dich nicht brauchen.“
„Ach so!“, zischte ich. „Weil ich nicht wichtig bin, oder was?“
Das Lachen verschwand aus seinem Gesicht. Er verengte die Augen und funkelte mich an. „Hör auf, herumzuzicken. Du bist nett anzuschauen und der Sex mit dir ist okay. Aber das war es auch schon. Und jetzt lass mich in Ruhe.“
Er riss seinen Arm los, den ich immer noch festgehalten hatte, und schüttelte ihn, als wollte er eine lästige Spinne loswerden, die hochgekrabbelt war.
Vollkommen erstarrt blieb ich stehen und sah ihm hinterher. Er lachte fröhlich, klopfte einem der Kerle auf die Schulter, drehte sich nicht nach mir um.
Ließ mich einfach hier stehen, als wäre ich ein verdammtes Möbelstück. Oder eben ein achtbeiniges Krabbelmonster, das man vom Ärmel wischte und nicht mehr darüber nachdachte. Dieser Mistkerl! Ich hatte zwar nur zwei Beine, aber die waren durchaus vorzeigbar. Und eine Kommode, die man in einer Ecke übersah, war ich ebenfalls nicht. Oder trugen Kommoden sexy High Heels und mühsam gebrutzelte Locken?
Mein Hals schnürte sich immer enger zusammen. Mein Mund war trocken, mein Blut rauschte in den Ohren.
Ich kannte dieses verfluchte Gefühl, nicht gut genug zu sein, schon seit vielen Jahren. Und erlebte es tagtäglich bei meinen Kunden, die mich ebenfalls nicht wirklich beachteten. Außer als namenloser Laufbursche, um ihnen neue Hosen, Hemden, Sakkos an die Umkleide zu hängen.
Gott, wie ich das satthatte!
Und wie dämlich ich wieder einmal gewesen war.
Nur mit Mühe gelang es mir, Luft in meine Lungen zu pressen. Die Blicke der anderen Gäste, die die kleine Szene mitbekommen hatten, lagen auf mir.
Hektisch sah ich mich um, suchte nach einem Loch im Boden, in das ich versinken konnte, um nach Hause zu krabbeln und mich unter der Daunendecke zu verstecken. Aber nicht der kleinste Spalt war zu sehen. Verflixt!
Ich setzte ein Lächeln auf, das meine Coolness demonstrieren sollte, aber wahrscheinlich schwer verrutscht daherkam. Danach warf ich die Haare zurück, reckte das Kinn selbstbewusst nach oben und wollte so tun, als wäre nichts passiert. Krone richten und so. Blöderweise hatte mein hocherhobenes Prinzessinnenhaupt zur Folge, dass ich nicht auf den Boden sah, mit meinen Stilettos an einer Bodendiele hängenblieb – und direkt in eine Gruppe Kerle krachte. Einer fing mich im letzten Moment auf, wobei er völlig zufällig seine Hände gegen meine Brüste presste.
„Da hat aber jemand Temperament, das mag ich“, säuselte er mit einem schmierigen Grinsen. „Und auch noch andere Vorzüge.“ Er starrte mir ungeniert ins Dekolleté, kaum dass ich mich aufgerappelt hatte.
„Blödmann“, fauchte ich, riss mich los und rannte aus der Bar.
Heiße Tränen drängten nach oben, und es gelang mir leider nicht, alle hinunterzuschlucken. Ich eilte den Gehweg entlang, sah nicht nach rechts und links, fluchte nur ununterbrochen vor mich hin. „Ihr verdammten Bastarde, ich habe euch alle so satt!“, schimpfte ich. „Ihr sollt allesamt die Windpocken kriegen, dazu Haarausfall, Hühneraugen und Sackflöhe. Ja, Horden von Sackflöhen wünsche ich euch!“
Ich hatte zwar keine Ahnung, ob es solche Tiere wirklich gab, aber egal. Männer waren echt das Letzte! Zumindest die, die mir über den Weg liefen. Immer wieder fiel ich auf Idioten herein. Und wieso? Weil ich einfach null Menschenkenntnis hatte. Und den schlechtesten Männergeschmack der Welt.
Meine Gedanken purzelten wild durcheinander, während ich heimlief. Ich hatte Blasen an den Fersen, denn die High Heels waren nicht für lange Spaziergänge gedacht, aber das Gehen half mir, vieles klarer zu sehen.
Als ich endlich daheim angekommen war, kickte ich die Schuhe von den Füßen, schlüpfte aus dem Kleid und warf den Push-up-BH über einen Stuhl. Ich zog mir eine ausgeleierte Jogginghose und einen alten Pulli an, fummelte mir die Kontaktlinsen aus den Augen und fiel aufs Sofa. Ich fühlte mich, als hätte mich ein Lastwagen überfahren.
Verdammt, wieso lief immer alles so schief bei mir? Das hatte ich doch gar nicht verdient!
Ich musste mit jemandem reden. Mit Mona. Schwerfällig stand ich auf, um mein Handy zu holen.
„Ich hasse alle Männer“, sagte ich, kaum, dass sie sich gemeldet hatte.
„Ach, Jessica, was ist denn los?“ Monas Stimme war warm und weich, es tat gut, sie zu hören.
„Ich bin wieder einmal total blöd gewesen“, schimpfte ich über mich selbst und erzählte von dem Abend, während ich in meiner kleinen Wohnung auf und ab tigerte.
„Kevin hatte also nie geplant, dich zu dieser Reise mitzunehmen?“, fragte Mona.
„Richtig. Weil ich für ihn nur eine nette Deko bin. Oh Mann, ich habe diese verdammten Kerle so satt! Immer reduzieren die mich nur auf mein Äußeres!“
„Na jaaa“, sagte Mona langgezogen. „Ein klein wenig bist du aber auch selber schuld. Immerhin takelst du dich immer auf wie verrückt.“
„Aber ich ...“ begann ich, hielt aber inne.
Bei meiner Wohnungswanderung war ich beim Spiegel im Flur angekommen. Ich musterte mich. Sah mich mit einem Mal an wie eine Fremde. Meine Lippen waren noch immer knallrot, die Augen dramatisch geschminkt, die Haare mühsam zu Locken gedreht.
Ja, ich war ein Hingucker. Aber für wen? Für den nächsten Idioten, der mich als sein Hottie titulierte?
Ich wollte das alles nicht mehr: Diese Hoffnung, die immer wieder zerstört wird. Die Enttäuschung, das gebrochene Herz. Das Gefühl, nicht gut genug zu sein.
Ich wollte generell keinen Typen mehr in meinem Leben!
„Du hast total recht, Mona“, sagte ich.
Meine Stimme klang plötzlich ganz anders, fiel mir auf. Tiefer. Ernsthafter. Und wild entschlossen.
„Und ich fange gleich mit der Veränderung an“, sagte ich, drehte mich vom Spiegel weg und ging in die Küche. Dort riss ich eine Schublade auf, und da lag sie, meine Eintrittskarte in ein besseres Leben: eine große, leicht angerostete Küchenschere.
„Jessy?“ Monas Stimme schrillte aus dem Handy, das ich abgelegt hatte. „Was machst du? Was klappert da so?“
Ich hob das Telefon wieder an mein Ohr. Die Küchenschere hielt ich in der anderen. Langsam und ehrfürchtig bewegte ich mich auf den Spiegel zu. Das war ein wichtiger Schritt und den würde ich würdevoll durchführen.
„Es gibt eine ganz einfache Lösung, damit ich erst gar nicht wieder in die Versuchung komme, mich zu verlieben“, erklärte ich meiner Freundin. „Haare ab, Brille statt Kontaktlinsen, Miniröcke in die Altkleidersammlung. Und ich fange sofort damit an. Wenn ich einen selbst geschnittenen Kurzhaarschnitt habe, schaut mich garantiert kein Mann dieser Welt mehr an.“
Mit wilder Entschlossenheit hob ich die Schere.
„Um Gottes willen, warte!“, dröhnte es aus dem Handy. „Wenn du aussiehst wie eine durchgeknallte Hexe, wirft Rambowsky dich hochkant raus. Dann bist du nicht nur alle Männer los, sondern auch noch deinen Job. Du tust jetzt gar nichts, hörst du? Ich komme zu dir.“
„Aber ich ...“
„Keine Widerrede! Du lässt die Schere liegen. Versprich mir das! Ich bin in einer Viertelstunde bei dir, dann reden wir. Und ich kann dir notfalls helfen, deine Blondmähne zu stutzen. Aber du gehst da nicht selbst ran, verstanden?“
„Okay“, nuschelte ich und legte auf.
Mona musste im Nürburgringtempo durch Hannover gerast sein, denn sie klingelte tatsächlich nach einer knappen Viertelstunde bei mir Sturm.
Als ich noch allein gewesen war, hatte ich mich stark gefühlt. Aber jetzt, während Mona mich gleich im Flur umarmte, kämpften sich dämliche Tränen nach oben.
„Dieser blöde Mistkerl“, schniefte ich. „Er hat mich einfach da stehen lassen, als wäre ich ein verdammter Kinderhochstuhl!“
„Ein Kinderhochstuhl?“, wiederholte sie fragend.
„Ja. So ein Ding, dass in Lokalen immer in der Ecke herumsteht, weil man es nur selten braucht, und das immer ein bisschen bekleckert ist.“
Mona sah mich nur an. „Wie kommst du nur auf solche Vergleiche? Das stimmt doch kein bisschen!“
Wir gingen ins Wohnzimmer und setzten uns auf meine alte Couch.
„Ach, Jessy. Es tut mir so leid. Kevin ist einfach ein Bastard. Du trauerst ihm hoffentlich nicht nach, sondern bist wütend, weil er dich so mies behandelt hat. Deine große Liebe war er sowieso nicht, schätze ich.“
Ich putzte mir geräuschvoll die Nase.
Liebe. Das war doch nur so ein Wort. Und die große Liebe war sowieso eine Erfindung von Netflix-Romanzen oder rosa Romanen mit kitschigen Herzchen auf dem Cover.
Verliebt sein, ja, das kannte ich. Das hatte ich schon oft erlebt. Es war aufregend, ich fühlte mich dann wie eine Prinzessin, konnte nicht schlafen und sah die Welt in bonbonbunten Farben.
Aber diese sagenumwobene und viel besungene wahre Liebe war mir noch nicht über den Weg gelaufen. So richtig glaubte ich nicht daran. Bei anderen Paaren mochte es das geben. Bei Mona und ihrem Kai vielleicht. Aber mal ehrlich – wie viele richtig glücklich Paare gab es? Bei den meisten hing nach kurzer Zeit der Haussegen schief, dann kamen die Enttäuschungen, der Kampf ums Müllraustragen, die Eifersucht und der Streit darüber, ob seine Freunde wirklich jeden Donnerstag im Wohnzimmer lungern, extrascharfes Chili mampfen und die Bude vollpupsen mussten.
Nee, also echt. Darauf konnte ich gerne verzichten.
„Er war nicht meine große Liebe“, sagte ich ruhig. „Die gibt es sowieso nicht für mich. Er war nur ein kleiner, schmieriger Autofuzzi, der mich nicht verdient hat. Und auf so etwas habe ich keine Lust mehr. Gar nicht. Männer können mir gestohlen bleiben.“
„Es sind nicht alle wie Kevin“, sagte Mona warm.
„Alle, die ich treffe, schon. Nein, ich will gar keinen Kerl mehr. Die verarschen einen doch nur. Ich habe extra Urlaub eingetragen, weil ich davon ausgegangen bin, dass ich mit ihm nach Polen fahre. Und nun sitz ich dumm rum. Mich kotzt das alles so an!“
Ich sprang auf, stiefelte in die Küche und holte eine Packung Vanille-Eis aus dem Kühlschrank. Um diese Uhrzeit aß ich sonst nie Kohlehydrate, aber das war jetzt vorbei!
Mona sagte nichts, sondern schien nachzudenken.
Also drückte ich ihr einen Löffel in die Hand und sprudelte weiter.
„Alles Blödsinn mit dem Lowcarb-Zeug und so. Ewig habe ich mir alles Süße verkniffen, bin joggen gegangen, obwohl ich das gar nicht leiden kann. Nur, damit ich in meine engen Outfits passe. Die wandern jetzt alle in den Container!“
Ich schaufelte Eis in mich hinein, schluckte dazu ein paar Tränen hinunter und fühlte mich gleich viel besser.
„Und mit der neuen Frisur fange ich auch gleich an“, rief ich, sprang auf und holte die Schere.
„Halt!“, rief Mona laut.
Sie sah mich an wie Rambowsky, wenn er mir etwas Mörderwichtiges mitteilen wollte. Ihr Blick war so entschlossen und ihre Stimme so hart, dass ich die Schere vor lauter Schreck sinken ließ.
„Du setzt dich jetzt wieder hin, lässt die Schere liegen und löffelst in Ruhe dein Eis. Ich habe nämlich eine Idee“, sagte mein neuer Drill Instructor.
Mona zog ihr Handy hervor.
„Willst du eine Friseurin anheuern, die Hausbesuche macht?“, fragte ich.
Doch sie antwortete nicht. „Du hast ab Montag Urlaub eingetragen, stimmt`s?“, fragte sie stattdessen.
Verwirrt nickte ich. „Ja, für zehn Tage. Weil Kevin gesagt hat, dass er sich auch noch was von der Umgebung anschauen will.“
Bei der Erinnerung an den Mistkerl kochte gleich wieder die Wut in mir hoch. Ich könnte doch wenigstens das Minikleid zerschneiden? In winzigkleine Stücke? Die ich ihm dann in die Tanköffnung seines Angeberschlittens stopfte, damit der Motor verreckte. Oder müsste ich dazu noch Zucker reinschütten? Das konnte ich sicher leicht googeln.
Skeptisch sah Mona auf ihre Armbanduhr. „Hm, es ist zehn. Vielleicht ein bisschen spät, aber ich versuche es trotzdem. Vielleicht ist er noch wach.“
In mir schrillten sämtliche Alarmglocken. Sie wollte einen Mann anrufen? Damit der mich tröstete oder was? Nur über meine Leiche! Dem nächsten Kerl, der in meine Nähe kam und mir auf den Busen starrte, würde ich die Schere in die Weichteile rammen!
„Untersteh dich!“, zischte ich. „Du verschaffst mir jetzt kein Tröste-Date. Ich habe die Schnauze endgültig voll von Typen.“
Doch Mona lachte.
„Ich glaube nicht, dass Hinnerk in dein Beuteschema passen würde. Er ist um die siebzig, hat einen Bart, ein Faible für eingelegte Bratheringe und eine Frau namens Hedi.“
„Hinnerk?“ Ich starrte sie verständnislos an. „Ist das jemand aus diesem Örtchen an der Ostsee, von dem du immer schwärmst, als hätten die dich als Touristenbotschafterin angestellt?“
Sie nickte grinsend. „Ganz genau. Kai und ich waren erst neulich dort und haben ihn besucht. Da hat er gesagt, dass er selten vor elf ins Bett geht. Ich probier‘s jetzt einfach mal. Er verwaltet den Leuchtturm.“
„Himmel, Mona! Was zum Henker soll ich in einem Leuchtturm?“
Ich wollte Mona klarmachen, dass ich nicht das geringste Interesse an einem verschlafenen Ostsee-Nest hätte, doch sie hatte bereits ihr Handy am Ohr.
„Moin, Hinnerk, hier ist Mona. Ich habe dich hoffentlich nicht aufgeweckt?“, hörte ich sie sagen.
„Gut“, sprach sie nach seiner Antwort weiter. „Hör mal, ich habe eine Frage. Du und Hedi, ihr kümmert euch doch um die Wohnung im Leuchtturm. Ist die zufällig nächste Woche frei? Eine liebe Freundin von mir braucht dringend eine Auszeit.“
„Brauche ich nicht!“, widersprach ich lautstark. „Gar nicht! Nur ein neues Outfit, eine dicke Brille und eine Menge Oversize-Pullis!“
Doch Mona beachtete meinen Einwand gar nicht, sondern lauschte ihrem Gesprächspartner.
„Oh, super!“ Sie zwinkerte mir freudig zu. „Ihre Schwester arbeitet sowieso im Reisebüro, die kann das dann buchen. Und du kümmerst dich ein wenig um Jessica?“
Ich schnappte nach Luft. Herrje, ich war doch kein Kleinkind, das einen Babysitter brauchte!
Mona bedankte sich und legte auf, ein breites Grinsen im Gesicht.
War sie von allen guten Geistern verlassen?
„Hast du einen Vogel?“, rief ich. „Was in drei Teufels Namen soll ich denn in einem Leuchtturm?“
„Na, das ist doch klar!“, erwiderte Mona in einem Ton, als würde sie mir erklären, dass der Schnee weiß war.
Sie stand auf, ging zu meinem Sideboard und nahm meine Kamera in die Hand. Mit der Nikon kam sie zurück und legte sie auf den Couchtisch.
„Fotografieren sollst du dort“, sagte sie. „Du bist doch Spezialistin für ungewöhnliche Bilder. War da nicht dieser Traum einer eigenen Ausstellung? Sogar einen Titel hast du dir schon ausgedacht. The other side of things you know. Richtig?“
„Dein Elefantengedächtnis macht mir manchmal Angst“, gab ich zurück.
Vor einigen Wochen hatte ich mit Mona herumgealbert, eine Flasche Aperol Spritz geleert und Wolkenschlösser gebaut. Neben dem völlig verrückten Hirngespinst von einem Ehemann samt Haus, Familie und Golden Retriever war da auch diese Sache mit meinen Fotografien gewesen. Ich liebte es, ungewöhnliche Motive abzulichten. Das neue Rathaus von Hannover knipste jeder Tourist. Doch ich suchte stets nach verborgenen Ecken, nach abgeschabten Kanten, nach Rissen im perfekten Schein. Ich liebte es, die Stadt als Reflexion in Regenpfützen abzulichten. Ich hatte ein Auge für die Schönheit im Kleinen, den Zauber des Alltäglichen. Deshalb hingen an meinen Wänden Fotografien von einer heruntergefallenen Eiswaffel auf dem Asphalt. Von einer mittelgrauen Taube, die im hellgrauen Nebel über ein dunkelgraues Bürogebäude segelte. Von einem Bushäuschen mit halb heruntergerissenen Plakaten, dessen Kratzer in der Plexiglasscheibe durch die Abendsonne aufleuchteten.
„Du hast in Möwenitz die besten Motive, die man sich nur vorstellen kann“, sagte Mona. „Jetzt im März sind da noch keine Touristen. Und auch kein strahlender Sonnenschein, den du ja bekanntlich nicht magst zum Fotografieren.“
„Was du alles weißt über mich!“, maulte ich verwundert. „Aber trotzdem – ich allein im Leuchtturm?“
Das konnte ich mir nicht vorstellen. Mit Lesen hatte ich nur selten etwas am Hut, mit Sockenstricken noch viel weniger. Was sollte ich dort den lieben langen Tag tun?
„Der Ausblick ist der Hammer“, legte Mona nach. „Du bist auf einer Landzunge, hast Fenster rundherum. Bist mitten in den Wolken. Und vor dir die raue Ostsee. Also echt, Jessy, andere Fotografen würden garantiert morden für so eine Chance!“
Ich neigte meinen Kopf. „Sag mal, was zahlen die dir für diese Werbung? Kriegst du pro Tag ein Krabbenbrötchen umsonst, wenn du dort bist? Pro neu geworbenen Gast?“
Sie lachte und schüttelte den Kopf. „Ich wette, es wird dir dort gefallen. Wirklich! So eine Auszeit kann Wunder wirken.“
Noch immer war ich skeptisch. „Und dieser Hinnerk hat ganz sicher keinen Sohn, den du mir andrehen willst?“
„Großes Indianerehrenwort“, schwor sie. „Ich will dir niemanden vermitteln. Ganz im Gegenteil. Ich finde, du musst mal zu dir selbst finden. Und das geht an der wilden Ostsee ganz hervorragend.“
„Jetzt klingst du wie ein Seelenklempner“, murmelte ich.
„Den brauchst du nicht. Alles, was du nötig hast, ist eine Auszeit. Einen Tapetenwechsel. Und unglaubliche Fotomotive. Du wirst mir noch die Füße küssen, wenn du zurückkommst, stundenlang!“
„Darauf würde ich nicht wetten.“
„Ich schon“, verkündete sie überzeugt. „Falls es dir dort nicht gefällt, backe ich dir einen Mohnzopf, obwohl mich Hefeteig immer an den Rand des Wahnsinns treibt. Außerdem lade ich dich ins Heureka Tokyo ein, färbe mir die Haare rot und sage Rambowsky, dass sein neues Parfüm unerträglich ist.“
„Zwei Mohnzöpfe“, handelte ich sie hoch. „Und du musst Gyros Sushi essen. Mit Knoblauch-Wasabi.“
Das Heureka Tokyo war der neuste Schrei unter den In-Lokalen von Hannover. Sie kombinierten dort griechische und japanische Küche, waren immer ausgebucht und schweineteuer. Und das süße Aftershave von unserem Radetzky war tatsächlich unerträglich.
„Meinetwegen sogar Moussaka mit Udon Nudeln und Pak Choi.“ Mona schüttelte sich vor gespieltem Ekel. „Ich tue alles, um dich zu überzeugen, dass du im Leuchtturm die Fotografen-Zeit deines Lebens haben wirst.“
„Du bist immer so herrlich undramatisch“, seufzte ich und nickte. „Also gut. Wenn dein Seelenfrieden davon abhängt, fahre ich eben nach Möwenitz und knipse ein paar Silbermöwen.“
Mona klatschte in die Hände und strahlte. „Wunderbar! Lass deine Kontaktlinsen daheim, die Miniröcke im Schrank und vergiss die Schere. Du wirst sowieso in einer warmen Jacke versteckt sein und eine Mütze über die Ohren ziehen müssen. Und wahrscheinlich keiner Menschenseele begegnen.“
„Auch keinem Kerl?“, hakte ich schmunzelnd nach.
„Ganz besonders keinem Kerl! Die treiben sich da doch überhaupt nicht herum. Es wird ein komplett ruhiger, sorgenfreier, total aufregungsloser Urlaub werden, das spüre ich!“
Die Scheibenwischer bewegten sich im Takt zu einem Radiosong, als ich am Montagnachmittag in Richtung Ostsee unterwegs war. Seltsamerweise war es eine Nummer, die ich vor Jahren in Endlosschleife gehört hatte: NewSoul von Yael Naim. Ich lauschte dem Text eine Weile. Irgendwie passte das Lied zu meiner Situation, ich war jetzt auch eine neue Seele, brach in eine unbekannte Welt auf. Und hatte, genau wie im Lied beschrieben, bisher wahrscheinlich jeden möglichen Fehler gemacht.
Aber damit war jetzt Schluss. Keine Männer mehr, keine Fehler, keine Enttäuschung. Easy! Darauf hätte ich viel eher kommen sollen.
Kurz nach Hamburg hatte Nieselregen eingesetzt, graue Wolken hingen träge am Himmel herum, die Märzsonne hatte heute offenbar keine Lust gehabt, aus ihrem Daunenbett zu kriechen.
Ich hatte damit kein Problem. Der Frühling ließ sich noch Zeit damit, die Natur aufzuwecken und überall bunte Farbkleckse zu verteilen. Das hatte den Vorteil, dass weniger Menschen sich zu Ausflügen oder langen Spaziergängen hinreißen ließen. Konnte mir also nur recht sein.
Meine Schwester Inga, die im Reisebüro arbeitete und den Leuchtturm damals auch an Mona vermietet hatte, war mehr als überrascht gewesen, dass ich dort hinwollte.
„Du willst allen Ernstes in ein Kaff fahren, wo es weder schicke Clubs noch Cocktailbars oder Einkaufszentren gibt?“, hatte sie gefragt, als ich ihr davon erzählte.
„Yes. Genau das will ich.“
Von Kevin hatte sie nie viel gehalten, deshalb hatte die Nachricht von unserer Trennung sie nicht übermäßig entsetzt. Dieser ominöse Hinnerk, der als eine Art Verwalter fungierte, hatte offenbar einen Freundschaftspreis ins System eingegeben. Jedenfalls belastete der Urlaub meinen mageren Kontostand nicht allzu sehr, das war praktisch.
Nun war ich also unterwegs nach Möwenitz. Und konnte es selbst kaum glauben. Wahrscheinlich würde ich nach spätestens drei Tagen die Krise kriegen und mich nach dem Großstadtlärm sehnen. Würde ich überhaupt schlafen können ohne vorbeirauschende Autos, grölende Kneipengänger und dem regelmäßigen Jaulen eines Krankenwagens, der in die nahe Klinik raste? An all diese Geräusche war ich seit über dreißig Jahren gewöhnt. Und ich hatte keinen Schimmer, ob ich mit der Stille eines einsamen Leuchtturms klarkommen würde.
Nun ja. Wenn es wirklich so unerträglich war, konnte ich einfach nach den ersten Tagen einen heimlichen Abgang machen. Musste ich Mona ja nicht auf die Nase binden, die würde mir sonst die Hölle heißmachen. Falls ich mich dort in der Einsamkeit null erholen konnte – was durchaus realistisch war – würde ich still und leise abreisen, mich zu Hause in der Wohnung verstecken, mir einen Wellnesstag im Schwimmbad gönnen und schließlich an die Arbeit zurückkehren, um von der tollen Zeit in Möwenitz zu schwärmen.
Oder so ähnlich.
„Echt kein schlechter Plan“, murmelte ich vor mich hin und drehte das Radio lauter, weil jetzt das herrlich melancholische I still haven’t found what I’m looking for lief. Ich sang mehr schlecht als recht mit, weil ich nur den Refrain auswendig konnte. Beim Rest musste ich summen. Ich bog von der Bundesstraße ab und fuhr jetzt auf einer kleinen Küstenstraße.
Als die letzten Takte verklangen, rief ich dem U2-Sänger fröhlich zu: „Schau, Bono, ich hab dir was voraus! Ich habe nämlich gefunden, was ich suche.“
Zumindest, was die Geografie anging. Bei meinem Leben hingegen fehlte mir das große Ziel, auf das ich zusteuern wollte. Aber Möwenitz hatte ich gefunden, das stand schon mal fest. Ich passierte nämlich soeben das Ortsschild.
Als wollte mich das Wetter auf besonders gastfreundliche Weise begrüßen, hörte der Nieselregen auf. Ich bog ein paar Mal ab, dann befand ich mich auf der kleinen Straße, die in einen Schotterweg überging und direkt zum Leuchtturm führte, genau wie von Mona beschrieben.
Und da war er auch schon!
Mein Herz klopfte mit einem Mal wie wild, als ich ihn sah. Ich nahm den Fuß vom Gas und ließ meinen alten Corsa am Straßenrand ausrollen.
War das wirklich echt? Der Anblick war atemberaubend. Obwohl ich noch hundert Meter zu fahren hatte, würgte ich den Motor ab und stieg aus. Meine Hände zitterten leicht, keine Ahnung, wieso. Doch – eine kleine Ahnung hatte ich: So ein Panorama hatte ich noch nie gesehen.
Auf Postkarten oder in Bildbänden war ich natürlich schon oft über stolze Leuchttürme gestolpert. Die glänzten dann im goldenen Abendlicht über sanften Dünen. Oder sie lockten im strahlenden Sonnenschein fröhliche Radfahrer zu einem Halt an ihren rot-weißen Ringen an.
Dieser Leuchtturm jedoch hüllte sich in unscheinbares Grau. Er hatte sich einen matten Mantel übergeworfen und strebte offenbar an, mit dem Hintergrund zu verschmelzen. Sogar eine dunkle Regenwolke hatte er überreden können, sich direkt hinter ihm aufzubauschen, sodass er darin fast verschwand. Der Himmel zeigte fünfzig Schattierungen von Grau, die Felsen der Landzunge passten sich farblich an, selbst das Gras neben meinen Füßen war irgendwie farblos. Es war, als hätte die Natur beschlossen, für den ersten Eindruck einen Schwarz-weiß-Filter über sich zu legen und ausschließlich mit Abstufungen von nebelgrau, Felsanthrazit, Gewitterwolkendüster und Möwensilber zu punkten.
Ich fand es absolut grandios!
Staunend stand ich vor dem Panorama und konnte mich nicht entscheiden, ob ich die geheimnisvoll dunkle Ostsee bewundern, den Zug der Wolken am Himmel beobachten oder mich an der matten Eleganz des in Grau gehüllten Leuchtturms erfreuen sollte. Ich hörte das Donnern der Wellen gegen die Steilküste, die heiseren Schreie der Möwen. Eine Gänsehaut kletterte meinen Rücken hinab. Eisiger Wind blies mir ins Gesicht, Haarsträhnen wirbelten herum, mir war kalt. Aber ich konnte mich von diesem sensationellen Anblick einfach nicht lösen.
Auch wenn ich fror wie ein Schneider, weil ich zum Autofahren meine Jacke ausgezogen hatte: Ich musste das Bild festhalten! Eilig kramte ich auf dem Rücksitz nach meinem Kamerakoffer, zog meine Nikon heraus und schoss eine Handvoll Fotos.
„Ist auch bei Schietwetter schön, nicht wahr?“, rief eine Stimme hinter mir.
Vor Schreck ließ ich fast die Kamera fallen. Ich fuhr herum und erkannte einen Mann im Wollmantel, mit robusten Winterstiefeln und einer Fellkappe auf dem Kopf. Sein struppiger, grauer Seeräuberbart verdeckte fast das gesamte Gesicht, nur die hellblauen Augen blitzten hervor. Dazu ein fröhliches Lächeln.
„Moin“, sagte er. „Ich bin Hinnerk. Du musst die Freundin von Mona sein, sie hat dich angekündigt. Schön bei uns, oder?“
Ich nickte. „Wunderschön! Diese Stimmung ist der Hammer, ich liebe so etwas. Ich bin Jessica, guten Tag.“
Er drückte meine Hand, die ich ihm entgegenstreckte, so fest, dass mir alle Finger wehtaten. Aber sein Lächeln entschädigte locker dafür.
„Ich war gerade auf meiner üblichen Runde“, erklärte er mir. „Bin bei jedem Wetter draußen, das hält fit. Da habe ich dein Auto gesehen und dachte, ich komme her und zeig dir alles.“
„Oh, das ist aber nett!“, freute ich mich.
„Ja, so sind wir hier in Möwenitz. Na ja, nicht zu allen. Aber Freunde von Mona sind auch meine Freunde.“ Er zwinkerte mir zu.
Ich mochte den alten Herrn auf Anhieb. Wenn er der einzige Mann blieb, den ich hier traf, würde das vielleicht doch noch ein Traumurlaub werden.
„Fahr deinen Porsche nach vorne zum Turm“, sagte er schmunzelnd. „Ich komme hin.“
„Aye, aye, Käpt’n!“ Ich lachte gut gelaunt und stieg in meinen Boliden.
Einige Minuten später stand Hinnerk vor dem Leuchtturm und deutete auf die Umgebung. „Wir sind hier so ziemlich der einzige Ort, der keinen kilometerlangen Sandstrand mit lustig bunten Strandkörben hat, sondern Felsen und einen Haufen Steine am Strand. Nur dort drüben gibt es ein Stück typischen Ostseestrand. Hat den Vorteil, dass die Touristen uns zum größten Teil in Ruhe lassen. Die beschweren sich in Nienhagen sogar, dass der Hundestrand steinig ist! Hier werden die nicht glücklich, das ist uns nur recht. Dafür freuen wir uns über Ausnahmen wie dich.“
„Passt perfekt! Ich bin nämlich heilfroh, wenn ich nicht ständig Horden von Urlaubern über den Weg laufe. Außerdem gefällt mir genau das Raue hier. So ein ewiglanger Sandstrand kann doch ganz schön langweilig sein.“
„Ich sehe, wir verstehen uns!“ Hinnerk nickte zufrieden und schloss die Holztür des Turms auf. Wir betraten ihn. „Da hinten geht es in den Anbau, dort hast du dein Schlafzimmer, das Bad und die Kombüse.“
Grinsend deutete er nach links. „Aber jetzt gehen wir erst mal nach oben.“
Puh, die Wendeltreppe sah aus, als würde sie zu Petrus persönlich führen. Aber da Hinnerk so forsch voranschritt, stieg auch ich schleunigst die Treppe hinauf. Oben angekommen blieb mir keine Zeit, richtig durchzuatmen, denn der Ausblick von hier war phänomenal.
„Wow“, flüsterte ich und machte ein paar Schritte auf die Fenster zu. „Das ist der Wahnsinn! Jetzt verstehe ich, was Mona meinte. Man ist wirklich mitten im Himmel. Und über dem Meer. Und ganz nah an den Wolken dran. Schau, da fliegt eine Möwe! Ich muss sofort meine Kamera holen!“
„Mach mal langsam, min Deern!“ Hinnerk hob die Hände, um mich auszubremsen. „Hier gehen die Uhren anders als bei dir in der Stadt. Es läuft nichts davon. Du kochst dir jetzt erst mal einen schönen Tee und knabberst ein paar Kekse, die auf deinem Küchentisch liegen. Sind von Hedi, meiner Frau.“
Ich riss die Augen auf. „Du hast mir selbstgebackene Kekse gebracht?“
„Mona hat gesagt, ich soll nach dir sehen. Also habe ich dir das Notwendigste in den Kühlschrank und in die Küche gestellt. Da gehören Kekse dazu, Tee ist sowieso immer da.“
Verwundert sah ich den alten Mann an. Er trug immer noch seine Fellmütze mit den Ohrenklappen, sein Bart sah kratzig aus und sein Mantel roch ein wenig nach Mottenkugeln – aber ich hätte ihn am liebsten umarmt. Dank seiner herzlichen Begrüßung fühlte ich mich sofort willkommen hier in Möwenitz und in meinem Turm.
Hinnerk erzählte mir einiges über den Ort und zeigte mir von oben einen tollen Wanderweg an der Küste entlang. Mir fiel es schwer, meine Augen hin und wieder auf ihn zu richten, denn mein Blick hatte sich mit dem stärksten Kleber aller Zeiten am Panorama festgeheftet.
Als Hinnerk das bemerkte, grinste er nur breit und zwinkerte mir zu. „Du wirst dich hier wohlfühlen, keine Frage. Eigentlich wäre die Wohnung für zwei Wochen vermietet gewesen, aber das Pärchen musste schon nach ein paar Tagen abreisen. Notfall in der Arbeit. So ein Unsinn! Wegen irgendeines Tüdelkrams lässt man doch den Urlaub hier nicht sausen.“ Er verdrehte die Augen.
„Da hatte ich ja richtig Glück, dass die solche Workaholics sind“, sagte ich.
Er strich sich über den Seebärenbart. „Glück? Ach, weißt du, manchmal ist das einfach Schicksal. So wie die Doppelbuchung bei Mona und Kai.“
„Hm“, machte ich. An solche Dinge glaubte ich ebenso wenig wie an die Existenz von Heinzelmännchen, die nachts meine Küche blitzblank wienerten, wenn ich ihnen nur ein Schälchen Tiramisu in den Flur stellte.