Winterküsse im Leuchtturm - Karin Koenicke - E-Book

Winterküsse im Leuchtturm E-Book

Karin Koenicke

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Beschreibung

*Ein Leuchtturm als Rettung für Weihnachtsmuffel Mona? Leider wartet eine fiese Glitzerüberraschung auf sie ...* Endlich Urlaub! Wochenlang musste Mona im Engelskostüm neben dem Kaufhaus-Weihnachtsmann stehen und sich mit Jingle Bells beschallen lassen. Doch jetzt beginnt die weihnachtsfreie Zeit! Mit einer Ladung Actionfilme im Gepäck fährt sie an die Ostsee, wo sie sich eine Ferienwohnung im Leuchtturm gemietet hat. Nicht einmal der Schneesturm kann ihre Freude auf eine Woche ohne Glitzerdeko trüben. Um so entsetzter ist sie bei der Ankunft: Im Leuchtturm gibt es einen zweiten Mieter, Kai. Und der ist ausgerechnet ein Fan von Lichterketten, Glühwein und Last Christmas! Da der Schneesturm sie beide an den Leuchtturm fesselt, müssen sich die Streithähne wohl oder übel arrangieren. Die Rettung eines verletzten Kaninchens lässt Mona umdenken. Ist Kai vielleicht doch ein kleines Weihnachtswunder für ihr Herz? ***Romantisch, witzig, zum Träumen und Wohlfühlen. Komm mit nach Möwenitz, verlieb dich im Leuchtturm und verlier dein Herz an einen flauschigen Liebesboten.*** In sich abgeschlossen, mit viele Liebe und Humor, ein Wohlfühlroman, der perfekt zu Glühwein, Zimtsternen und gemütlichen Leseabenden passt. *** 2 Rezepte für Monas liebste Weihnachtskekse zum fröhlichen Nachbacken findest du am Ende des ebooks.

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Veröffentlichungsjahr: 2025

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Kurzbeschreibung
1. Die lustigen Lerchen
2. Resturlaub
3. Möwenitz
4. Chili-Nüsse und Wodka
5. Blitzeis
6. Der Hasenfuß
7. Heiteres Beruferaten
8. Kaninchenchaos
9. Käfiggedanken
10. Der Spaziergänger von Möwenitz
11. Tee für Anfänger
12. Quasimodos Schwester
13. Meergedanken
14. Das Fest der Feste
15. Erinnerungen
16. Stormys Geheimnis
17. Kurts Kombüse
18. Das Nest
19. Frühlingserwachen
Du willst erneut nach Möwenitz reisen und im Leuchtturm wohnen?
Himmelhoch verliebt Winterfunkelnd verliebt
Rezepte Weihnachtskekse
Kennst du auch meine anderen Buchreihen?
Impressum
Leseprobe von Liebeschaos im Leuchtturm

Winterküsse im Leuchtturm

von

Karin Koenicke

Kurzbeschreibung

Ein Leuchtturm als Rettung für Weihnachtsmuffel Mona? Leider wartet dort eine fiese Glitzerüberraschung auf sie ...

1. Die lustigen Lerchen

„Da bist du ja endlich, Mona! Jetzt gib aber mal Gas“, begrüßte mich meine Kollegin Jessica, als ich um kurz vor zehn Uhr morgens in die Personalumkleide rauschte.

Im Gegensatz zu mir, die ich meinen dicksten Steppmantel, Winterstiefel und einen Rollkragenpulli trug, stand sie in einem knallroten, sexy Engelskostüm samt Flügelchen vor mir. Das Schlimme dabei war, dass ein weiteres dieser Kostüme noch an einem Haken hing. Und darauf wartete, dass ich hineinschlüpfte.

„Die blöde Bahn hatte wieder mal Verspätung“, schimpfte ich und vergaß zu erwähnen, dass ich mich erst beim dritten Weckergebimmel aus den Federn gewälzt und dadurch eine Viertelstunde verloren hatte. Schuld war natürlich nur Pro 7, weil die gestern Abend ein Special mit den drei erfolgreichsten Bruce Lee-Filmen ausgestrahlt hatten.

„Die Bahn, soso.“ Jessica grinste. „Du schiebst ganz schön viel auf die Verkehrsbetriebe. Womöglich war ja ein ganz anderer Verkehr daran schuld, dass du so übernächtigt aussiehst?“

Sie zwinkerte mir vielsagend zu.

„Da liegst du total falsch. Mit Freddy ist es längst aus“, erwiderte ich, während ich mich in Windeseile aus meinen Klamotten schälte, mich ins knappe Kostüm presste und mir die blonde Rauschgoldengelperücke über die Haare stülpte.

„Und kein Neuer in Sicht?“ Sie tupfte Lipgloss auf ihren einladenden Himbeermund.

„Nope. Und ich will auch keinen. Mein einziges Ziel ist die Bude, die mir gehört. Und zwar eine völlig männerfreie! Nur ich, meine Stereoanlage, DVD-Sammlung und ein kleiner Balkon samt drei Hanfpflanzen, damit ich unseren Radetzky besser ertragen kann.“

Jessica lachte hell. „Der wird uns gleich zur Minna machen, wenn wir nicht um Punkt zehn Uhr neben dem Weihnachtsmannthron stehen. Los, leg einen Zahn zu!“

„Bin doch gleich fertig.“ Ich zog den Reißverschluss zu, während ich in die silbernen Pumps stieg, die das Engelskostüm vervollständigten. Anschließend sprintete ich, so schnell das Kostüm und die High Heels es zuließen, durch die Parfümerieabteilung und an den Schmuckvitrinen entlang, bis ich hinter Jessica die zauberhafteWeihnachtslandschaft, wie es im Prospekt unseres Hauses hieß, erreicht hatte.

Dort thronte Herbert bereits in seinem Sessel. Herbert war eigentlich Hausmeister hier im Kaufhaus Wenzel, aber dank seines Rauschebartes hatte ihn unser Geschäftsführer kurzerhand zum Weihnachtsmann auserkoren. Herbert ging total auf in seiner Rolle. Er liebte es, sich die Wünsche der Kinder anzuhören, sich mit einem Baby auf dem Schoß fotografieren zu lassen und sich von den Kolleginnen aus der Feinkostabteilung mit Heidelbeerglühwein samt Zimtsternen vollstopfen zu lassen, bis sein Kostüm über dem Keksbauch spannte.

„Da seid ihr ja, meine Engelchen“, rief er uns zu und schenkte uns ein strahlendes Lächeln.

„Immer zur Stelle, Herr Nikolaus“, neckte ich ihn. Ich war als Kind mal in Bayern gewesen und kannte die Bräuche dort. Herbert hingegen war Hannoveraner durch und durch. Er hasste alles Bayrische, insbesondere den FCB, denn er war glühender Hannover 96-Fan, egal, in welcher Liga die Jungs kickten.

„Ich geb dir gleich einen Nikolaus“, brummte er, aber seine Augen lachten.

Herbie war echt in Ordnung. Ich hatte den bärtigen Kerl schon immer gerngehabt und gönnte es ihm von Herzen, dass er hier in Wenzels Winter-Weihnachts-Wonderland jeden Tag einen ganz großen Auftritt hinlegte.

Ich hingegen hasste es. Nicht nur dieses peinliche Engelskostüm ging mir höllisch auf den Zeiger, auch die unerträglich süßliche Berieselung mit Schneeflöckchen, Weißröckchen oder Last Christmas brachte mich fast um den Verstand. Vom Geruch nach Glühwein, gerösteten Mandeln und frischen Vanillekeksen, die den Familien die Wartezeit in der Schlange vor dem Weihnachtsmann versüßen sollten, ganz zu schweigen.

„Anpfiff!“, kommentierte Jessica trocken das Öffnen der Kaufhauspforten. Wie jeden Tag in der Adventszeit standen die Kunden bereits vor zehn Uhr an den Türen und stürmten herein, sobald diese sich auftaten.

Da bereits die ersten Mütter mit ihren Sprösslingen auf die Winterlandschaft mit ihrem künstlichen Schnee, den Plüsch-Rentieren und den bunten Tannenbäumen zustürmten, nahmen Jessica und ich unsere Positionen als flankierende Engel neben unserem Santa Claus namens Herbert ein.

Dass wir blonde Engelslocken tragen mussten, konnte ich gerade noch verstehen. Aber wieso man uns ausgerechnet in Minikleidchen und High Heels stecken musste, war mir ein Rätsel. Ich vermutete, dass unser Geschäftsführer Rainer Rambowsky damit männliche Kundschaft ins Wenzel locken wollte. Wahrscheinlich hatte er penibel darauf geachtet, dass unsere Kleider mehrere Zentimeter kürzer waren als die der Engel im KaDeWe, seinem großen Vorbild. Er träumte garantiert jede Nacht davon, endlich mit dem berühmten Kaufhaus mithalten zu können. Das Wenzel war zwar ebenfalls riesig und das beliebteste Kaufhaus in Hannover, hatte aber längst nicht den Kultstatus des Kaufhaus des Westens, das man zudem über die Grenzen Berlins hinaus kannte.

Und da kam er auch schon angewackelt, der Herr Rambowsky. Wie immer in einem Designeranzug aus unserer Herrenmodeabteilung samt seidenem Einstecktuch und gestreifter Krawatte. Intern hatte sich der Name Herr Radetzky eingebürgert, weil er uns Mitarbeitern gern den Marsch blies. Wenn ihm das jemals ein Kollege flüstern sollte, würde es sicher Tote geben. Denn Rambowsky-Radetzky war eitel, ehrgeizig und komplett humorlos.

Ich setzte ein engelsgleiches Lächeln auf und kontrollierte eilig den Sitz der Flügelchen am Rückenteil meines Kleides. Das Lächeln rutschte mir allerdings aus dem Gesicht, als ich entdeckte, wer hinter ihm her watschelte.

„Das kann nicht sein Ernst sein“, japste ich und sah Jessica hilfesuchend an. „Bitte sag, dass das nicht wahr ist!“

„Heilige Scheiße“, entfuhr es ihr. Was zwar nicht recht zu dem aus allen Lautsprechern erklingenden Stille Nacht, heilige Nacht passen wollte, aber äußerst treffend war.

Hinter unserem Chef trabte nämlich eine Horde Kinder im Vorschulalter heran, und zwar angeführt von einer streng dreinblickenden Frau mit einem Schild, auf dem in bunten Lettern Die lustigen Lerchen stand.

„Er schleppt uns einen Kinderchor an?“ Ich konnte es kaum fassen. Natürlich hatte ich nichts gegen singende Kinder, ganz im Gegenteil. Mit der Tochter meiner Cousine trällerte ich gern den Titelsong ihrer Lieblingsserie Bibi und Tina, das fand ich wirklich wunderbar. Aber just diesen Lerchen-Chor hatte ich schon mal auf einem Weihnachtsmarkt erlebt und war immer noch traumatisiert. Die Leiterin hatte damals lauter Lieder ausgesucht, die viel zu schwierig für die Drei-Käse-Hochs gewesen waren, außerdem hatte es Blockflöten gegeben. Sehr viele Blockflöten. Sehr viele ungestimmte Blockflöten.

Ich war echt kein Musikprofi und hörte für mein Leben gern richtig rockige Nummern von Metallica, Linkin Park oder Black Sabbath. Selbst der gute alte Alice Cooper durfte gerade in der Adventszeit nicht fehlen. Aber diese Flöten hatten sogar meinen abgehärteten Ohren teuflisch zugesetzt.

„Der Kinderchor wird ein paar Stunden lang für weihnachtliche Stimmung sorgen“, erklärte Rambowsky stolz. „Erfahrungsgemäß kurbelt so etwas den Umsatz gewaltig an. Und wir können das Wenzel noch besser als familienfreundliches Haus präsentieren, das so viel mehr ist als nur ein Ort zum Shoppen.“

Sein glattrasiertes Gesicht strahlte mit seinen polierten Schuhen um die Wette.

Meine Fresse, dieser Kerl regte mich auf! Männer in Anzügen fand ich ja generell schon abtörnend. Ich mochte viel lieber coole Motorradfahrer mit Dreitagebart, Lederjacke und dem leisen Duft nach Whisky als einen Managerschnösel in Parfümwolke. Wenn ein Kerl dann aber noch so hochgestochen daherlaberte wie der Radetzky, war alles zu spät.

Doch natürlich riss ich mich zusammen. Erstens wollte ich meinen Job als Verkäuferin in der Abteilung für Unterhaltungselektronik gerne behalten. Und zweitens hatte er mir für den Sondereinsatz als beflügelter und miniberockter Engel eine saftige Bonuszahlung versprochen, die ich gut gebrauchen konnte. Ich sparte nämlich seit Jahren wie verrückt darauf, mir irgendwann mal eine kleine eigene Wohnung kaufen zu können. Es gab Ecken in Hannover, wo so etwas selbst mit dem Gehalt einer Fachverkäuferin möglich war – mit viel Glück und eisernem Sparwillen. Plus der kleinen Erbschaft einer Großtante als Startkapital.

„Oh, wie schön!“, rief Herbert unter seinem buschigen Weihnachtsmannbart hervor. „Meine Enkel singen auch in einem Chor. Stellt euch nur alle hier neben mir auf.“

Er strahlte wie ein rotwangiger Maikäfer und deutete auf die Seite, an der ich herumlungerte.

Da ich ein positiver Mensch war – zumindest außerhalb der Adventszeit – lächelte ich die Kinder an und redete mir ein, dass die Chorleiterin heute bestimmt eine bessere Liedauswahl getroffen hätte. Und dass die Kids doch sicher ohne Flöten hierher gekommen waren.

Doch da zogen die Mädchen in der ersten Reihe bereits bunte Plastikteile mit Löchern aus ihren mitgebrachten Lillifee-Rucksäcken. Sie schoben das Mundstück auf die Flöten, verzichteten auf das Stimmen derselben und bliesen auf Anweisung der Chorleiterin zum Angriff.

„Einfach herrlich!“, freute sich Rambowsky lautstark, während nun auch der Chor einsetzte und eine mehrstimmige Version von Es ist ein Ros‘ entsprungen anstimmte, die sämtlichen Kindern ungefähr eineinhalb Oktaven zu hoch war.

Eine Gänsehaut lief meinen Engelskörper rauf und runter, allerdings nicht, weil ich so ergriffen war.

„Wie lange singt der Chor hier?“, fragte ich den Chef über die zweite Strophe hinweg.

„Bis in den Nachmittag hinein“, erwiderte er stolz. „Allerdings mit Pausen. Die Kinder werden aufs Beste versorgt mit Kinderpunsch und Lebkuchen. Sie dürfen sich natürlich auch einen nehmen.“

Er nickte mir zu und erwartete sicher ein riesiges Dankeschön.

„Wie lieb von Ihnen“, presste ich hervor, würde aber jetzt, am neunzehnten Dezember, mein linkes Bein abgeben, wenn ich dafür hier im Weihnachtsreich eine Grillstation mit Pfefferwürsten samt Chilisoße bekommen könnte.

Da ich jedoch superprofessionell war, setzte ich mein freundlichstes Gesicht auf und wandte mich wieder den Wartenden zu. Ich winkte ein schüchternes Mädchen heran, das neben seiner Mutter ganz vorn in der Schlange stand.

„Komm ruhig näher“, sagte ich der Kleinen, die einen süßen, dunklen Lockenkopf und riesige Augen hatte. „Und erzähl dem Weihnachtsmann deine Wünsche.“

Sie war vielleicht fünf Jahre alt, schätzte ich, und hielt mir einen Zettel entgegen, auf den sie eine Puppe gemalt hatte. „Ich trau mich nicht recht“, sagte sie mit gesenktem Blick. „Kannst du ihm nicht den Zettel geben? Damit ich dann die Baby born kriege. Die mit dem Fläschchen, die auch Pipi macht.“

„Plus Windel und Töpfchen, nicht wahr?“, fragte ich, denn obwohl ich normalerweise Fernseher und HiFi-Anlagen verkaufte, war ich mittlerweile zur Spezialistin für Barbie, Bobby Car und Bob der Baumeister geworden.

„Das wäre prima“, hauchte sie.

„Komm, wir geben ihm den Zettel gemeinsam.“

Mit einem aufmunternden Lächeln nahm ich die Kleine an der Hand, gab ihrer Mutter ein Zeichen, mitzukommen, und ging mit ihr zu Herbert. Dem teilte das Mädchen schließlich mit bebender Stimme seinen Weihnachtswunsch mit. Herbie nickte dem Kind zu, schenkte ihm einen Schokololli und versprach hoch und heilig, sich persönlich um den Wunsch zu kümmern.

Sie strahlte so sehr, dass mir das Herz aufging. Ich war zwar überzeugter Single, hatte weder Lust auf eine Beziehung noch darauf, mich mit irgendeinem Typen fortzupflanzen, aber Kinder berührten mich immer ganz tief. Insbesondere, wenn sie keine Blockflöte in der Hand hielten.

„Wird sicher ein tolles Weihnachten für dich“, flüsterte ich der Kleinen zu, als sie mit ihrer Mutter den Rückweg antrat, und strich ihr kurz über die Locken.

Ein kleiner Stich in meiner Brust erinnerte mich an meine eigenen Weihnachten als Kind. Leuchtende Augen und ein fröhliches Miteinander hatte es in meiner Familie an den Feiertagen nie gegeben, ganz im Gegenteil. Schnell schob ich diese unerfreuliche Erinnerung beiseite. Die Mutter des kleinen Mädchens würde ganz gewiss dafür sorgen, dass es ein perfektes, harmonisches Fest würde. Das konnte ich deutlich fühlen.

Die angehende Puppenmama drehte sich zu mir um und musterte mich mit ihren riesigen Kinderaugen ganz genau. „Danke. Du bist ein total schöner Engel“, sagte sie ernst.

Das ging mir richtig nah. All der Stress, die nervenaufreibende Lautsprecherberieselung und auch mein lästiger Chef waren auf einmal vergessen. Wenn die Knirpse voller Ehrfurcht dem Weihnachtsmann gegenüberstanden, mit roten Wangen und leuchtenden Augen, wurde es mir ganz warm in der Brust. Und dann war es für kurze Momente auch gar nicht mehr schlimm, mit peinlichen Silberpumps und Rauschgoldengel-Haaren neben einem bärtigen Hausmeister herumzustehen. Wir machten Kinder glücklich, das gab dem ganzen Zinnober ein wenig Sinnhaftigkeit.

„Frau Schwartz!“, zischte mir jemand vorwurfsvoll zu. Jemand, den ich sofort als meinen Boss identifizieren konnte, sogar am tonlosen Zischen.

Ich fuhr herum und sah ihn fragend an. Mit streng erhobenen Augenbrauen deutete er auf den Stapel Prospekte, der neben mir auf einem Stuhl lag.

Verflixt! Ich hatte vor lauter Entzückung über das niedliche Mädchen total vergessen, der Mutter einen bunten Werbezettel unserer Spielwarenabteilung in die Hand zu drücken.

Rambowsky war mit der Zischerei noch nicht fertig. „Glauben Sie, ich bezahle Sie zum Spaß? Diese ganze teure Aufmachung in unserem Weihnachts-Wonderland dient dem Umsatz! Aber der steigt nur, wenn Sie die Kunden gefälligst auch zum Kaufen anregen. Und zwar, indem Sie ihnen die passenden Prospekte überreichen.“

Um seinen Anpfiff zu verstärken, drückte er mir einen ganzen Packen Puppenbroschüren in die Hand.

„Tut mir leid“, nuschelte ich kleinlaut. „Wird nicht wieder vorkommen.“

„Das will ich Ihnen auch raten, Frau Schwartz! Sonst muss ich Ihren Bonus wohl kürzen.“

Er zupfte sich einen Fussel vom makellosen Sakko, warf mir einen warnenden Blick zu und marschierte davon wie ein hutloser Napoleon.

„Das kann er doch nicht machen, oder?“ Unsicher wandte ich mich Jessica zu, die das Ganze natürlich mitbekommen hatte. Ich brauchte das versprochene Geld doch!

Sie zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung. Ich denke, er blufft nur. Aber ein Idiot ist er trotzdem.“

Da hatte sie absolut recht. Eilig ging ich zurück zum Weihnachtsmannsessel, lächelte den nächsten Familien brav zu und drückte den Eltern selbstverständlich sämtliche Prospekte in die Hand, die nur annähernd mit den Wünschen ihrer Kinder zu tun hatten. Ich verhielt mich wie der freundlichste aller Engel, verwandelte mich in ein himmlisches Marketinggenie und gab vielen Müttern zusätzliche Geschenketipps für ihre Männer, Brüder und Schwiegerväter – meist in Form von Produkten aus meiner Elektronikabteilung.

Ja, ich gab mir allergrößte Mühe, dass das Wenzel beim Weihnachtsgeschäft die Konkurrenz vom KaDeWe geradezu pulverisieren würde. Und ich verzog nicht mal die Miene, als Die lustigen Lerchen eine deutsche Version von Mariah Careys All I want for Christmas anstimmten und zu den windschiefen Blockflötenklängen aus voller Kehle trällerten: „Mach meine Wünsche waaaahr, ich will zu Weihnacht ’n neues Bobby Caaaar.“

2. Resturlaub

Am nächsten Tag drängten sich noch mehr Kunden durch die Kaufhausgänge als bisher. Weihnachten rückte mit jedem Tag näher und deshalb wurden die Menschen immer hektischer. Ich stand wie immer neben Herbert und starrte ungläubig auf eine Mutter im Designerfummel samt Louis Vuitton-Handtasche, die ihren Sprössling eiskalt an der Schlange der wartenden Familien vorbeischob.

„Sorry, wir haben es leider eilig. Friedrichs Chinesisch-Kurs beginnt in einer Viertelstunde“, rief sie den anderen Kunden zu.

Und - schwupps - stand sie schon vor dem Weihnachtsmann. Der bedauernswerte Friedrich war ungefähr fünf Jahre alt, trug einen strengen Seitenscheitel und ein hellblaues Hemd. Armer Kerl.

„Sie können doch nicht einfach die Schlange umgehen“, sprach ich die Frau an. Die Zwillingsmädchen mit den insgesamt vier Zöpfen, die jetzt eigentlich drangekommen wären, waren nämlich den Tränen nah, wie ich feststellte.

„Das geht schon in Ordnung“, erklärte sie mir. „Wir sind gute Bekannte von Herrn Rambowsky und haben hier VIP-Status.“

„VIP?“, wiederholte ich.

Doch natürlich gab die Dame sich nicht mit einer einfachen Angestellten wie mir ab. Um von ihr wahrgenommen zu werden, musste man Geschäftsführer oder mindestens Erzengel sein, vermutete ich.

Trotzig machte ich einen Schritt auf sie zu, um ihr ordentlich die Meinung zu geigen, da packte Jessica mich am Arm. „Lass sie“, zischte sie mir zu. „Du kriegst sonst nur Ärger.“

Ich schäumte innerlich. Die süßen Zwillingsmädels hatten sich schon so gefreut, dass sie jetzt drankamen! Und nun quetschte sich diese aufgetakelte Schnepfe dazwischen. Ihr geschniegelter Sohn stand jetzt vorm Weihnachtsmann und lächelte sofort leinwandreif los, als Mama das iPhone zückte und ihn ablichtete. Brav stellte ich mich wieder an meinen Platz. Wie nicht anders zu erwarten, wünschte sich Friedrich einen eigenen Plasmafernseher im Kinderzimmer. Ich verdrehte heimlich die Augen.

„Du bist echt urlaubsreif“, raunte Jessica mir zu. „Wird Zeit, dass du unseren Gutschein einlöst. Aber das geht im Moment natürlich nicht.“

Ich war im September dreißig geworden und hatte eine große Grillparty für meine Freunde geschmissen. Als Geschenk hatten sie mir einen Gutschein des Reisebüros überreicht, in dem Jessicas Schwester arbeitete. Denn sie wussten, dass ich jeden Cent für meine eigene Wohnung sparte und mir selbst garantiert keine Urlaubsreise leisten würde. Im Frühjahr wollte ich den Gutschein dann einlösen und mir irgendwo ein paar schöne Tage machen. Aber das lag noch in weiter Ferne, außerdem war ich gar nicht so scharf darauf, lange wegzufahren. Ich hatte keinen Reisepartner und allein wurde es irgendwann öde.

Die Schickimicki-Tante knipste noch ausgiebig Fotos von ihrem Sprössling neben dem Weihnachtsmann. Ich wollte sie gerade bitten, endlich die Fliege zu machen, weil auch noch andere Kinder warteten, da kam Rambowsky herangesegelt und begrüßte die beiden freundlich.

Zum Glück entführte er sie zum Small Talk in die Feinkostabteilung, also atmete ich auf. Die Erleichterung war allerdings von kurzer Dauer, denn nach einer Viertelstunde rauschte er schon wieder heran.

„Frau Schwartz!“, übertönte seine mahnende Stimme den gerade erschallenden Gassenhauer vom rieselnden Schnee.

Da ich mir ausnahmsweise keiner Schuld bewusst war, sah ich ihn fragend an.

„Lesen Sie die Mails der Personalabteilung nicht?“, fuhr er mich an.

„Äh, doch“, sagte ich. Nur nicht jedes einzelne Wort, fürchtete ich. Die waren immer ewig lang und schrecklich spröde formuliert, da konnte man schon mal was überlesen.

„Und wie kann es dann sein, dass Sie noch dreizehn Tage Urlaub für dieses Jahr übrighaben, obwohl es nur erlaubt ist, acht ins neue Jahr zu übernehmen?“ Er hielt mir einen Computerausdruck unter die Nase und wedelte damit herum.

Scheibenkleister. Daran hatte ich überhaupt nicht mehr gedacht.

„Dann, äh, nehme ich halt nach den Feiertagen frei“, schlug ich vor.

„Haben Sie schon mal in den Urlaubsplan gesehen?“, bellte er mich an. „Da steht nämlich Ihr Kollege drin. Außerdem reicht das nicht.“

Oh Mist! Jetzt fiel mir auch ein, dass Markus sich eingetragen hatte für die beiden letzten Tage im Jahr.

„Vielleicht könnten Sie eine Ausnahme machen?“ Ich schenkte ihm meinen allerbesten Hundeblick.

Offenbar war unser Radetzky aber dagegen resistent. „Wie stellen Sie sich das vor? Unser Abrechnungsprogramm kennt keine Ausnahmen, die würden das ganze System durcheinanderbringen. Außerdem will ich damit erst gar nicht anfangen. Dazu kommt, dass Sie sowieso nicht gerade die Freundlichkeit in Person sind. Eben erst hat mir meine liebe Freundin Lydia erzählt, wie unhöflich Sie zu ihr und ihrem Friedrich waren. Ich habe den Eindruck, Sie sind hier überfordert.“

Aber doch nur, weil mir stundenlang Süßer die Glocken nie kliiingeeen vorgedudelt wurde, so etwas haute die stärkste Frau um!

In mir schrillten sämtliche Alarmglocken. Und zwar gar nicht süß. Wollte er mich vom Engelsauftrag abziehen? Was würde mit meinem Bonus passieren?

„Was haben Sie denn vor?“, fragte ich atemlos.

„Nun“, sagte er gedehnt und schnippte einen Fussel von seinem Ärmel. „Unsere Auszubildende in der Kosmetik ist inzwischen volljährig geworden. Sie würde sich sehr gut als Engel machen, denke ich.“

„Mandy?“ Ich starrte ihn an. Die hatte schon ohne Perücke platinblonde Löckchen, außerdem das passende Fahrgestell. Also, nicht passend zu einem züchtigen Engel, sondern zur Dolly Parton-Frisur.

„Genau. Sie wird ab morgen für Sie übernehmen. Zeigen Sie ihr heute noch, wo das Kostüm dann hängt. Sie gehen ab morgen in den Urlaub.“

„Und mein Bonus?“, fragte ich kleinlaut.

„Den teilen Sie sich natürlich hälftig mit Mandy“, erklärte er, drehte sich zackig um und marschierte von dannen.

Shit. Das war himmelschreiend ungerecht, denn ich stand schon seit Ende November als Himmelswesen herum, während Mandy ja nur ein paar Tage durchhalten musste.

Total bedröppelt schlich ich zurück an meinen Platz. Jessica schüttelte den Kopf. „Dieser Mistkerl!“, schimpfte sie. „Der will einfach nur Frischfleisch. Um Mandy scharwenzelt er ja schon die ganze Zeit herum.“

„Na ja, sie ist jung, knackig, blond und widerspricht ihm nicht“, erwiderte ich geknickt. Ich war nichts davon. Okay, mit dreißig gehörte ich noch nicht zum alten Eisen, aber so knackig wie sexy Mandy war ich wahrscheinlich nicht mehr. Außerdem hatte ich dunkle Haare und ein vorlautes Mundwerk.

„Aber das mit dem halbierten Bonus ist eine Frechheit“, schimpfte Jessica. Sie sah mich an. „Was machst du denn jetzt mit den freien Tagen? Fährst du zu irgendwelchen Verwandten?“

„Um Gottes willen, nein!“, entfuhr es mir. Das blieb mir zum Glück schon seit Jahren erspart.

„Dann fahr endlich einmal ein paar Tage weg. Du hast doch sowieso noch unseren Gutschein. Lös ihn ein!“

Verreisen im Advent? Ausgerechnet dann? Ich lachte zynisch. „Nach Dresden, um dort über den Striezelmarkt zu schlendern? Oder zur idyllischen Bergweihnacht nach Österreich? Nein danke.“

Daheimbleiben war aber auch nicht besser. Wenn ich in meiner kleinen Mietwohnung aus dem Fenster sah, blinkten mich sieben bunte Sterne an, die die Leute im Wohnblock gegenüber an ihre Balkone und Fenster gehängt hatten. Und meine schwerhörige Nachbarin ließ ihre Lieblingslangspielplatte – Weihnachten mit Roy Black – in Discolautstärke laufen.

„Dann such dir doch was aus, wo du deine Ruhe hast“, schlug sie vor. „Ich kann ja leider nicht mit ins Reisebüro wegen der versetzten Pausen. Aber geh zu Inga, sie findet bestimmt etwas für dich.“

Inga war Jessicas Schwester und arbeitete in einem großen Reisebüro, das ein paar Straßen weiter eine Filiale hatte.

„Ich weiß nicht recht“, murmelte ich vor mich hin und drückte einer Mutter eilig ein paar Prospekte in die Hand.

Ein Baby weinte, ich kümmerte mich um die Familie und hatte dadurch Zeit, ein bisschen nachzudenken.

Hingehen konnte nicht schaden. Wenn Inga nichts Passendes hatte, war schließlich nichts verloren. Große Hoffnungen machte ich mir sowieso nicht, denn der Reisegutschein meiner Freunde belief sich auf 250 Euro. Ein Traumhotel auf einer garantiert weihnachtsfreien Südseeinsel war da eher unwahrscheinlich.

Ich legte meine Mittagspause auf zwei Uhr, zog mich um und stürzte mich ins Getümmel auf den Gehwegen. Als ich beim Reisebüro ankam, blinkten mir der unvermeidliche Tannenbaum und ein Rentier entgegen. Ich seufzte kurz und trat ein. Inga hatte noch einen Kunden, also wartete ich ein paar Minuten. Schließlich winkte sie mir fröhlich zu.

„Hallo, Mona, schön, dich zu sehen. Jessica hat mich schon angefunkt und dich angekündigt. Aber ich weiß noch nicht, was genau du willst.“

Ich ließ mich auf den Stuhl plumpsen und erklärte ihr, was ich suchte. „Eigentlich ganz einfach. Ich brauche eine Unterkunft für die nächsten Tage. Gern auch über die Feiertage. Und zwar ohne Last Christmas-Gedudel, Lichterketten und Tannenbaum. Erschwinglich sollte es auch sein, mehr als meinen Gutschein will ich nicht ausgeben.“ Ich legte ihn auf den Tisch.

Inga sah mich ein paar Sekunden an, dann brach sie in Lachen aus. „Du bist echt witzig. Aber jetzt mal im Ernst, was kann ich für dich tun?“

Meine Brauen sprangen in die Höhe. War das so schwer zu verstehen? „Das war todernst!“, stellte ich klar und erzählte ihr kurz, wie es zu meinem spontanen Urlaub gekommen war.

„Heute ist schon der zwanzigste“, sagte sie. „Du willst morgen fahren und über die Feiertage bleiben? Das ist echt kurzfristig, puh.“

Sie tippte wild auf ihrer Computertastatur herum, schüttelte aber immer wieder den Kopf. „Die großen Hotels sind sowieso ausgebucht. Bei ein paar kleineren könnte ich eine Chance haben, aber die machen natürlich Christmas Dinners oder Feiertagsmenüs.“

„Auf gar keinen Fall!“ Nicht noch mehr Gedudel und Zimtkeksduft!

„Flüge scheiden bei diesem Betrag sowieso aus, die Bahn ebenso. Die ist schweineteuer, wenn man so kurzfristig bucht.“

„Ich habe ja ein Auto.“ Okay, es war eher eine japanische Klapperkiste, aber das Ding fuhr. „Such mir doch einfach ein alleinstehendes Hexenhäuschen irgendwo im Wald. Gegen ungeschmückte Tannenbäume habe ich nichts.“

Inga grinste mich an. „Die schnuckligen Häuschen sind immer als allererste weg. Auf diese Idee kommen nämlich sehr viele Kunden. Die buche ich oft schon im Mai.“

„Na toll.“ Ich ließ den Kopf hängen. Eigentlich hätte ich mir denken können, dass so kurzfristig nichts mehr zu kriegen war. Würde ich eben daheim herumsitzen, die Rollläden herunterlassen, um mich den Blinkesternen zu entziehen, und gegen die Beschallung von nebenan meine gesamte Sammlung an Actionfilm-DVDs ansehen, natürlich in voller Lautstärke.

„Unsere einzige Chance wäre eine kurzfristige Absage“, erklärt mir Inga. „Manchmal wird jemand krank und dann kommt etwas zurück. Ich schaue mal, wie es da aussieht.“

Ihr schmalen Finger flitzten über die Tastatur.

„Hm“, machte sie irgendwann. „Nichts davon ist in deiner Preisklasse. Ah, warte! Ich glaube, da ist gerade etwas Frisches reingekommen.“

Sie klickte ein paar Mal, dann strahlte sie mich an. „Was hältst du von der Ostsee?“

Skeptisch wiegte ich meinen Kopf. „Sind da nicht alle Gassen mit Lichterketten geschmückt und in jeder Ecke singt ein Shantychor ein Weihnachtslied?“

„Wäre möglich. Aber du musst ja in keine Gasse und in keine Ecke. Ich habe nämlich etwas ganz Eckenfreies für dich.“ Sie grinste breit.

„Etwas Eckenfreies?“, wiederholte ich verständnislos.

Sie drehte den Bildschirm, sodass ich das Angebot sehen konnte.

Jetzt verstand ich das mit den fehlenden Ecken. Das war der Wahnsinn!

„Ein Leuchtturm?“, japste ich.

Inga nickte. „Genau. Normalerweise sind Wohnungen im Leuchtturm auf viele Monate ausgebucht. Aber bei diesem Anbieter gab es ein Storno. Eine Woche dort in Möwenitz kostet zweihundertachtzig Euro. Wow, das ist echt ein Schnäppchen!“

Ich beugte mich nach vorne, um die Bilder besser betrachten zu können. Der rot-weiße Turm stand auf einer kleinen Landzunge, zu der ein schmaler Weg führte. Die nächsten Häuser lagen ein Stück weit weg. Sah man aus den großen Fenstern, blickte man garantiert nicht auf eine rotblinkende Rentier-Rudolf-Nase, sondern nur aufs raue Meer. Ein Traum!

„Dort oben kann man wohnen?“, fragte ich atemlos.

Inga las die Beschreibung. „Wenn ich es richtig verstehe, ist oben im Leuchtturm das Wohnzimmer mit den Panoramafenstern. Ein Teil der Wohnung liegt aber in einem kleinen Anbau unten am Turm. Badezimmer, Küche und so.“

„Ich kann vom Sofa aus das Meer sehen? Dort oben in luftiger Höhe?“ Das war unglaublich!

Ich war ewig nicht mehr am Meer gewesen und merkte erst jetzt, wie sehr ich mich danach sehnte. Endlich würde ich die Großstadtluft hinter mir lassen, aus dem klimatisierten Kaufhaus ausbrechen und mir echten Meerwind um die Nase wehen lassen. Ich konnte es kaum mehr erwarten.

„Das nehm ich!“, beschloss ich spontan. Mein ganzer Körper prickelte plötzlich vor Vorfreude.

„Super“, freute sich Inga. „Dann buche ich es dir.“

Sie tippte etwas ein, stand kurz danach auf und holte einen Zettel aus dem Drucker. „Ich habe gleich mal reserviert, jetzt erfasse ich deine Daten.“

Inga zog den Gutschein zu sich hin und gab den Code ein, der darauf abgedruckt war. Plötzlich zog sie ihre Stirn kraus.

„Passt etwas nicht?“, fragte ich. „Ist der Gutschein abgelaufen?“

„Nein, nein, unsere Technik spinnt nur wieder. Manchmal hängt das System sich auf, da friert das Ganze ein und ich kann nichts mehr erfassen. Aber ich hatte es ja bereits klar gemacht. Dummerweise kann ich die Buchungsbestätigung nicht ausdrucken, ich muss den Computer neu starten. Reicht dir die Reservierungsbestätigung? Da steht die Adresse des Leuchtturms drauf. Und die Nummer für die Schlüsselbox schreibe ich dir einfach dazu. Die wurde mir zum Glück noch angezeigt.“

„Logo!“ Ich kramte meine Geldbörse heraus, legte drei Zehn-Euro-Scheine für den Mehrpreis auf den Gutschein und freute mich wie ein Schneekönig.

Inga schrieb mir die Adresse auf. Möwenitz war ein winziges Dorf in der Nähe des Ostseebads Rerik, erklärte sie, also in einer eher ruhigeren Gegend ohne Glamour und Touristenschwärmen. Neben der Tür zum Leuchtturm gab es ein Kästchen, in das ich vier Zahlen tippen und so die Schlüssel erhalten würde. Klang alles absolut fantastisch!

„Aber fahr morgen ganz früh los“, warnte mich Inga. „Es soll ein schlimmer Schneesturm aufziehen, gerade dort oben in der Rostocker Ecke.“

„Mach ich!“, versprach ich. Dann sprang ich auf. „Du, ich muss zurück. Mein Engelskostüm ruft. Vielen Dank dir für die tolle Leuchtturmwohnung!“

„Eine schöne Zeit wünsche ich dir.“

„Die werde ich haben!“

Oh ja, das würde ich. Eine grandiose Zeit würde ich haben. Eine absolut Christmas-wahnsinns-freie Zeit, in der ich einen Stirb-langsam-Marathon sehen, Chilichips verdrücken und knallharte Rockklassiker hören würde. Hurra, ich war ein Glückskind!

3. Möwenitz

Der nächste Morgen begann damit, dass ich kolossal verschlief. Was kein Wunder war, denn am Abend zuvor hatte ich mit Jessica eine vorgezogene Weihnachtsparty gefeiert. Wir hatten bei ihr zu Hause ordentlich Wodka gebechert und Pizza Diabolo verdrückt, außerdem uns gegenseitig mit einer DVD beschenkt, was schon Tradition war. Ich hatte für sie ein Scifi-Abenteuer ausgesucht, sie für mich den knallharten Thriller Bourbon, Blood and a ticking Bomb, was sehr vielversprechend klang. Dabei war es wie üblich spät geworden und deshalb zeigte mein Wecker schon zehn Uhr an, als ich endlich aus den Federn kroch.

Erst einmal braute ich mir einen starken Kaffee, schmierte mir ein Marmeladenbrot und gönnte mir eine ausgiebige Dusche. Anschließend zog ich meinen uralten Koffer aus dem Schrank und warf ihn aufs Bett. Grinsend stand ich vor meinem Kleiderschrank und streckte meiner Festtagsbluse die Zunge raus. „Ätsch, dich brauche ich nicht! Ich muss zu keiner langweiligen Weihnachtsfeier und brauche mich von niemandem dumm anreden zu lassen. Ich kann die ganze Zeit über in Jogginghosen herumlaufen!“

Das war sowieso das Drittbeste an dieser Leuchtturmsache: Ich konnte tagelang ungekämmt und in meinen bequemsten Klamotten herumhängen.

Das Zweitbeste war natürlich, dass ich nicht zu lästigen Firmenfeiern oder Familienbesuchen antreten musste.

Und das Allerbeste war, dass ich eine komplett weihnachtsfreie Zone genießen durfte.

Ich warf also eine Ladung Leggings in den Koffer, dazu ausgeleierte Sweatshirts, ein paar lockere Shirts, meine wärmsten Wollsocken. Dummerweise herrschte bei der Unterwäsche ziemlicher Notstand, weil ich vor zwei Wochen das letzte Mal gewaschen hatte. Also sammelte ich die Schmutzwäsche zusammen und trottete damit in den Keller, wo die Waschmaschinen standen. Das war eine Sache, auf die ich mich tierisch freute, wenn ich mal meine eigene Bude besitzen würde: eine Waschmaschine in der Wohnung, vielleicht sogar einen kleinen Balkon, auf dem ich mein Zeug trocknen konnte. Und nicht im Keller dem lüsternen Herrn Kohlhaas aus dem zweiten Stock über den Weg lief, der wahrscheinlich heimlich an meinen BHs schnupperte.

Um den Koffer trotzdem fertigpacken zu können, kramte ich im Schrank herum, fand eine Ladung Slips im Großformat, außerdem einen ausgeleierten Sport-BH. Heiße Dessous brauchte ich in meinem einsamen Leuchtturm nicht, also warf ich die Liebestöter in den Koffer.

Musste ich Handtücher mitnehmen? Oder gab es die dort? Echt doof, dass ich keinen Prospekt hatte. Da wäre vermerkt gewesen, ob ein Föhn, Handtücher oder eine Kaffeemaschine vorhanden waren. Die viel wichtigere Frage war natürlich, ob es dort Netflix gab. Oder überhaupt ein stabiles Netz. Sollte ich einen DVD-Player einpacken? Zumindest für meinen Laptop, denn der hatte kein Laufwerk.

Ich googelte erst einmal, ob ich vielleicht etwas fand über die Leuchtturmwohnung. Aber Fehlanzeige. Dann rief ich im Reisebüro an, erhielt jedoch dreimal die Ansage, dass leider alle Mitarbeiter in Kundengesprächen wären. Ach, egal. Auf Verdacht warf ich einige DVDs in den Koffer, aber ich wollte auch auf Nummer sicher gehen. Abende in einem einsamen Leuchtturm konnten lang sein, deshalb lud ich mir eine Reihe Filme von Netflix auf meinen Laptop. Da das Ding etliche Jahre auf dem Buckel hatte, dauerte das ein Weilchen, außerdem musste ich erst einmal Dateien löschen, weil der Speicher sonst keinen Platz hatte.

Weil ich sowieso auf die Wäsche warten musste, ging ich noch in den Supermarkt und kaufte einen Schwung Essbares ein, das ich mitnehmen würde. Dann würde ich den Leuchtturm in den ersten Tagen gar nicht verlassen müssen. Herrlich! Endlich mal Zeit für mich allein, keine lästigen Kunden, Verwandten, Radiosongs. Ich freute mich so irrsinnig auf meine Auszeit, dass ich am liebsten in karibischen Mamboschritten durchs winterliche Hannover getanzt wäre.

Als ich vollbepackt vom Supermarkt nach Hause schlurfte, fielen mir vereinzelte Schneeflocken auf die eisige Nase. Ich legte den Kopf in den Nacken und sah in den Himmel. Da gab es ein paar graue Wolken, aber von einem Schneesturm, wie Inga ihn prophezeit hatte, waren wir weit entfernt. Es gab also keinen Grund, sich abzuhetzen.

Ich kochte mir erst einmal einen weiteren Kaffee und löste ein Sudoku, das ich in einer Zeitschrift gefunden hatte.

Ein Blick auf mein Handgelenk verriet mir, dass es inzwischen schon nach zwei Uhr war. Allmählich sollte ich in die Gänge kommen. Ich kramte noch eine Weile herum, bis ich alles Wichtige beisammenhatte. Danach packte ich meine Lebensmittel in eine Schachtel und trug sie zum Auto. Die Wäsche hatte ich aufgehängt und hoffte, dass sie noch da wäre, wenn ich zurückkam. Nachdem ich mir aus den Resten im Kühlschrank ein Sandwich für unterwegs gebastelt und den Müll rausgebracht hatte, schleppte ich meinen Koffer nach unten und war endlich abfahrbereit.

Ich zuckelte mit meiner Reisschüssel durch den Nachmittagsverkehr und kam nicht weit. Dummerweise wohnte ich im Süden der Stadt, musste aber nach Norden. Und das war heute wieder mal eine Herausforderung. Zwei Autos waren ineinander gerauscht, die Straße dicht, alles stand. Als ich nach einer halben Stunde endlich weiterschleichen konnte, begann der Feierabendverkehr und ich brauchte eine Ewigkeit, um Hannover zu durchqueren.

Als ich endlich auf der A7 war, bauschten sich dunkelgraue Wolken auf und aus den süßen, einzelnen Schneeflocken waren tausende geworden, die gegen meine Windschutzscheibe prasselten. Je weiter nach Norden ich fuhr, desto heftiger wurde auch der Wind. Ich musste das Lenkrad mit beiden Händen festhalten, weil mein Kleinwagen immer wieder von heftigen Böen erfasst wurde.

Verflixt, ich hätte wirklich früher losfahren sollen! Jetzt wurde es allmählich dunkel, was das Fahren im dichten Schneetreiben nicht erleichterte. Dabei war ich noch nicht einmal in Hamburg! Der Schneefall wurde immer dichter, die Böen machten mir allmählich Angst. Als ich Lübeck hinter mir gelassen hatte und auf Wismar zufuhr, wurde immerhin der Verkehr weniger. Schließlich verließ ich die breite Bundesstraße, kämpfte mich über winzige Seitenstraßen voran und landete irgendwann in Möwenitz. Vom Ort konnte ich in der Dunkelheit und durch den Schneesturm kaum was erkennen, aber die kleine Landzunge zum Leuchtturm fand ich nach einigem Suchen.

Der schmale Kiesweg war zwar laut Schild für Autos gesperrt, aber ich war schließlich Anwohnerin, außerdem konnte ich bei diesem Wetter wohl kaum mein Gepäck herumschleppen.

Ich fuhr direkt auf den Leuchtturm zu. Er ragte wie eine unerschütterliche Festung in den aufgewühlten Himmel, schien völlig unbeeindruckt vom Sturm und der aufspritzenden Gischt. Mein Herz hämmerte wie verrückt, als ich ihn ehrfürchtig betrachtete. So unerschrocken wollte ich auch sein. So fest im Boden verankert und aufrecht. Egal, was kam.

Ein leichtes Zittern lief durch meinen Körper. Kam es von der Erschöpfung durch die lange Fahrt? Oder durch die Aufregung? Ich war noch nicht oft alleine in den Urlaub gefahren und fühlte mich ein klein wenig verloren. Andererseits war da dieses Licht. Dieses warme, den Schneesturm durchdringende Licht, das der Turm mir entgegensandte, und das irgendwie auch tief in mein Herz drang. Es stammte nicht vom Leuchtfeuer, das offenbar nicht mehr in Betrieb war, sondern kam aus der Wohnung. Ich nahm an, dass die Vermieter es extra für mich angelassen hatten, damit ich nicht einen stockfinsteren Turm betreten musste. Wirklich nett von ihnen und ein Start in meine Urlaubstage, der mich lächeln ließ.

Es war etwas Besonderes, hier wohnen zu dürfen, direkt in der rauen Natur. Ich fühlte mich gleichzeitig winzig klein und seebärenstark. Nur noch ein paar Minuten, dann würde ich dort oben in meinem Wohnzimmer sitzen und auf die brausende See hinaussehen!

Entschlossen stieg ich aus. Das heißt, ich versuchte es. Erst beim zweiten Mal schaffte ich es, die Fahrertür weit aufzudrücken, denn der Wind blies so dagegen.

Das waren echte Naturgewalten. Der Sturm blies mir Strähnen ins Gesicht, der Schnee durchnässte mich. Ich zerrte meinen Koffer aus dem Wagen und kämpfte mich mit eingezogenen Schultern bis zum Turm durch. Er hatte eine Tür, daneben war ein kleines Kästchen angebracht. Im Halbdunkel sah ich den Anbau auf der anderen Seite. Den würde ich später erkunden, erst einmal wollte ich in den Turm.

Mit eiskalten Fingern tippte ich die vier Zahlen ein, die Inga mir aufgeschrieben hatte. Es klappte! Die Schlüsselbox ließ sich öffnen und ich konnte den Schlüssel herausnehmen, der darin lag. Inga hatte zwar von zwei Schlüsseln gesprochen, aber egal. Ich reiste ja allein, mir reichte der eine.

Bevor der Sturm mich endgültig aufs weite Meer hinausblies, steckte ich den Schlüssel ins Schloss und drehte ihn. Die Tür öffnete sich widerwillig. Ich zerrte meinen Koffer hindurch und stand vor einer hölzernen Wendeltreppe. Auf der Rückseite war eine Tür, die führte sicher in den Anbau. Für mich hieß es aber: Ab nach oben!

Den Koffer mit mir schleifend, stieg ich die Wendeltreppe hinauf. Puh, die war verflixt hoch. Mein Arm, der den Koffer trug, wurde immer länger. Auch mein Pulsschlag beschleunigte sich, was aber nicht nur an den vielen Stufen lag. Nur noch ein paar Schritte, dann hatte ich es geschafft! Dann konnte meine actiongeladene, hardrockgeschwängerte, Last Christmas-freie Auszeit endlich beginnen!

Vor lauter Vorfreude sang ich in schrägen Tönen AC/DCs Thunderstruck vor mich hin, weil es wettermäßig perfekt passte und ich damit einen passenden Auftritt in meinem neuen Reich hinlegen konnte.

Die letzten beiden Stufen. Eine offenstehende Tür. Warmes Licht, das mich einlud, endlich ganz oben anzukommen und meine herrlich einsame Wohlfühlzeit zu genießen. Ich betrat mit meinem Koffer in der Hand den Raum – und fiel fast in Ohnmacht.

„Was ist denn das?“, keuchte ich.

---ENDE DER LESEPROBE---