Liebesglück auf Rezept (5 in 1) - Amy Ruttan - E-Book

Liebesglück auf Rezept (5 in 1) E-Book

Amy Ruttan

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Beschreibung

NUR LIEBE RETTET DEIN HERZ von AMY RUTTAN
Ihr größter Traum ist zum Greifen nah! Nur noch einen Sanitäter muss Samantha schulen, dann wartet auf sie ein neues Leben als Pilotin. Doch ausgerechnet dieser letzte sexy Rettungssanitäter lässt sie mit seiner heißen Liebe an ihrem Weg zweifeln …

SCHWESTER ELLIES TRAUM VOM GLÜCK von EMILY FORBES
Schwester Ellie weiß, dass sie nach einer Enttäuschung von Ärzten die Finger lassen sollte. Aber dann bittet ausgerechnet der neue Chirurg James Leonardi sie um ein Date. Ein Traummann, in den sie sich glatt verlieben könnte! Obwohl sie nie etwas mit einem Kollegen anfangen wollte …

ZWEITE CHANCE FÜR DR. WEST von ANNIE CLAYDON
Mit ihm wäre Thea bis ans Ende der Welt gegangen - doch Dr. Lucas West ist vor sieben Jahren ohne ein Wort aus ihrem Leben verschwunden. Jetzt muss sie mit ihm in Indien arbeiten - und weiß nicht, ob sie seinen Beteuerungen, dass er sie immer noch liebt, glauben kann …

DR. GALLAGHER UND DIE EISPRINZESSIN von KATE HARDY
"Die Verabredung mit Abigail geht an …" Abigail stockt der Atem. Warum ersteigert Dr. Lewis Gallagher bei der Tombola ein Date mit ihr? Die Frauen stehen doch Schlange, um mit dem attraktiven Playboy auszugehen. Ihr Typ ist er allerdings überhaupt nicht … oder?

GEFÄHRLICHES SPIEL MIT DR. PRICE von LOUISA GEORGE
Partygirl Daniella Danatello will eins ganz bestimmt nicht: Noch einmal mit einem Skandal in die Schlagzeilen kommen! Also Finger weg von den Jungs aus Daddys Rugbyteam. Aber Mannschaftsarzt Zac Price gehört ja nicht dazu, oder? Denn mit ihm würde Dani am liebsten spielen …

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Seitenzahl: 961

Veröffentlichungsjahr: 2022

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Amy Ruttan, Emily Forbes, Annie Claydon, Kate Hardy, Louisa George

Liebesglück auf Rezept (5 in 1)

IMPRESSUM

Nur Liebe rettet dein Herz erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

Redaktion und Verlag: Postfach 301161, 20304 Hamburg Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0 Fax: +49(0) 711/72 52-399 E-Mail: [email protected]
Geschäftsführung:Katja Berger, Jürgen WelteLeitung:Miran Bilic (v. i. S. d. P.)Produktion:Jennifer GalkaGrafik:Deborah Kuschel (Art Director), Birgit Tonn, Marina Grothues (Foto)

© 2014 by Amy Ruttan Originaltitel: „Dare She Date Again?“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe JULIA PRÄSENTIERT ÄRZTE ZUM VERLIEBENBand 108 - 2018 by HarperCollins Germany GmbH, Hamburg Übersetzung: Michaela Rabe

Umschlagsmotive: GettyImages_Kuzmichstudio

Veröffentlicht im ePub Format in 02/2020 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783733729776

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:BACCARA, BIANCA, JULIA, ROMANA, HISTORICAL, TIFFANY

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1. KAPITEL

Nur noch eine einzige Schulung.

Zwei weitere Monate, dann war Schluss.

Samantha Doxtator holte tief Luft und schaute auf den Dienstplan. Noch einen angehenden Notfallsanitäter musste sie durch den praktischen Teil seiner Ausbildung begleiten, dann konnte sie ihren Mentorenjob hier in der Stadt an den Nagel hängen und sich der Luftrettung in Thunder Bay anschließen.

Thunder Bay war schon lange ihr Traum. Sie hatte sich dort ein Haus gekauft. Endlich würde sie ihrem Sohn das Leben bieten können, das er verdiente. Und am allerbesten war, dass sie dort mit dem Flugzeug zu Notfällen eilen konnte!

Gut gelaunt ging Samantha zu Lizzie Bathurst hinüber, der Einsatzkoordinatorin, die gerade dabei war, die Personalunterlagen der künftigen Notfallsanitäter an die Mentoren zu verteilen.

„Morgen, Lizzie.“

Lizzie antwortete nicht, aber das war bei ihr nicht ungewöhnlich.

„Also, wer ist mein allerletzter Schüler?“ Samantha rieb sich erwartungsvoll die Hände.

Es zog sie so sehr nach Thunder Bay, hoch oben im Norden. Die meisten aus ihrer Familie waren nach dem Tod ihres Vaters dort hingezogen. Ihr Sohn Adam würde zusammen mit seinen Cousins und Cousinen aufwachsen. Und er könnte in einem großen Garten spielen, anstatt auf der Terrasse ihrer Erdgeschosswohnung.

Sie war als Kind auf dem Land aufgewachsen, immer an der frischen Luft gewesen, und genau das konnte Adam nun auch bald genießen.

Adam hatte zwar seinen Dad nicht mehr, aber er würde eine schöne, liebevolle Kindheit haben. Thunder Bay war ihr Traum und der ihres verstorbenen Mannes gewesen, seit sie vor vierzehn Jahren ihre Ausbildung zu Notfallsanitätern begonnen hatten.

Samanthas Ausbildung hatte viel länger gedauert als geplant. Zuerst hatte Adams Geburt für eine Unterbrechung gesorgt – und dann war Cameron gestorben …

Denk jetzt nicht daran.

Auch wenn ihr Cameron immer noch fehlte, so lag sein Tod doch schon viele Jahre zurück. Sie dachte gern an ihn, aber heute musste sie einen klaren Kopf bewahren.

Heute hatte sie einen Job zu erledigen, und sie wollte ihn perfekt erledigen, damit sie in bester Erinnerung blieb.

Ihre Arbeit, bei der sie alles gab, hatte Samantha geholfen, die schweren Jahre nach Camerons Tod durchzustehen. Sie hatte keinen anderen Weg gewusst, oder zumindest hatte sie sich keinen anderen vorstellen können.

Sie versuchte, ihre Gedanken wieder in positive Bahnen zu lenken, und zwang sich zu einem Lächeln. In wenigen Monaten würde sie ein Flugzeug fliegen dürfen.

„Wie heißt denn nun mein glorreicher letzter Schüler?“, fragte sie.

Lizzie blickte über den Rand ihrer halbmondförmigen Lesebrille. „Glorreicher Schüler?“

Samantha runzelte die Stirn. „Bekomme ich diesmal einen besonders schwierigen Fall?“

Lizzie grinste. „Du bist die Beste. Du knackst jede Nuss.“ Sie reichte Samantha die Akte, und Samantha ergriff sie mit einem unguten Gefühl. Sie öffnete sie und las.

„George Atavik. Der Mann hat es aber weit nach Hause.“ Samantha war beeindruckt. Bislang hatten sie noch nie jemand von so weit her aus dem Norden Kanadas gehabt. „Hör mal, hier steht, dass er ein erfahrener Pilot ist. Wieso will er unbedingt in einem Rettungswagen arbeiten?“

„Ich habe doch gesagt, er ist eine harte Nuss. Sein Lebenslauf ist echt beeindruckend, und ich will, dass er wieder fliegt. Du musst ihn davon überzeugen, dass er die Ausbildung zum Notfallsanitäter nutzen soll, um bei der Luftrettung zu fliegen. Ich hasse es, wenn jemand sein Talent vergeudet!“

Samantha biss sich auf die Unterlippe. Verdammt. Warum konnte ihr letzter Schüler nicht ein ganz normaler sein? Andererseits hatte sie nie die 08/15-Absolventen bekommen. Manchmal vermutete sie Absicht dahinter …

„He, ich bekomme den Mann doch nicht etwa, weil wir beide von kanadischen Ureinwohnern abstammen?“, neckte Samantha sie.

Lizzie sah sie scharf an. „Komm mir nicht damit. Du willst einfach nur einen anderen, gib es doch zu.“

Samantha lachte auf. „Okay, du hast mich ertappt.“

„Du bist die Beste, Samantha. Die mit der allergrößten Erfahrung, was Rettungswagen betrifft.“

„Ach, du schmierst mir nur Honig um den Mund. So nett bist du sonst nie.“

Lizzie grinste, doch dann wurde sie wieder ernst. „Ich weiß nicht, warum er nicht fliegen will.“

Samantha warf einen Blick auf die Unterlagen. „Vielleicht sieht er das Ganze nur als eine Art Zusatzausbildung. Dort oben in Nunavut gibt es nicht viele Rettungswagen.“

„Health Air and Land würde diesen Mann am liebsten als Piloten einstellen, aber wenn du ihn nicht überzeugen kannst, übernehmen wir ihn auf jeden Fall auch für Notfalleinsätze per Krankenwagen. Es gibt zu wenig Notfallsanitäter in Thunder Bay. Wenn er am Ende seiner Ausbildung dorthin kommt, wird man sich ihn sofort schnappen! Übrigens arbeitest du allein mit ihm.“

„Allein? Normalerweise arbeiten wir doch immer zu dritt.“

„Normalerweise ja, aber George Atavik hat Erfahrung, da ist eine dritte Person nicht nötig. Außerdem, wie ich schon sagte, bist du die Beste.“

Samantha nickte. „Okay. Ich versuche es.“

„Du sollst es nicht versuchen, du sollst es tun! Und nun raus mit dir. Die anderen neuen Schüler lernen auch gerade ihre Übungsleiter kennen.“

Samantha klemmte sich die Akte unter den Arm und ging in den Nebenraum, wo sich gerade die Teilnehmer und ihre Mentoren versammelten.

Sie entdeckte ihren neuen Schützling gleich auf den ersten Blick, obwohl sie nur seine Rückseite sah. Er stand etwas abseits von den anderen und war der Einzige, der völlig entspannt wirkte und nicht im Geringsten nervös.

„George Atavik“, rief Samantha laut.

Er drehte sich um, und sie hielt unwillkürlich den Atem an. Auch er stand einen Moment wie vom Donner gerührt da, während sie sich beide anstarrten. Doch dann lächelte er und zeigte zwei Grübchen, die seine strahlend weißen Zähne noch brillanter erscheinen ließen. Groß und schlank war er, breitschultrig, durchtrainiert. Dazu die blitzenden dunklen Augen, die glatte kupferfarbene Haut und das leicht zerzauste schwarze Haar – ein Bild von einem Mann in weißem Hemd und marineblauer Hose, dem Outfit der Notfallsanitäter.

Samantha hoffte, dass sie ihn nicht mit offenem Mund angestarrt hatte. Es war schon länger her, dass ihr ein gut aussehender Mann überhaupt aufgefallen war. Wirklich lange. Als alleinerziehende Mutter hatte man nicht oft Gelegenheit zu einem Date.

Er kam zu ihr herüber und hielt ihr die Hand hin. „Ich bin George Atavik.“

Samantha leckte sich unwillkürlich die Lippen, klemmte die Akte fester unter den Arm und ergriff ungeschickt seine ausgestreckte Hand. „Doxtator … Samantha. Ich bin Samantha Doxtator.“

„Freut mich, Sie kennenzulernen“, entgegnete er höflich, fast reserviert.

Gut. Vielleicht war er doch nicht so schwierig wie erwartet.

Sag irgendetwas. Du starrst ihn ja nur an.

„Legen wir los?“, fragte er und sah sie an, als wäre sie nicht ganz bei Trost.

Samantha räusperte sich. „Tut mir leid, war ein hektischer Tag.“

George nickte. „Ich vermute, Sie sind einer der Mentoren, denen ich zugeordnet bin.“

„Ja, ich bin Ihre Mentorin. Ihr einziger Mentor.“

Er schaute sich um. „Wieso haben die anderen zwei?“

„Weil Sie mehr Erfahrung haben.“ Wieder räusperte sie sich und öffnete seine Personalakte. „Wir beide werden also die nächsten acht Wochen bei Ihrer Ausbildung zum Notfallsanitäter im Rettungswagen zusammenarbeiten. Da Sie eine Pilotenlizenz haben, wären Sie allerdings schneller fertig, wenn Sie …“

„Daran bin ich nicht interessiert“, unterbrach er sie, und das Funkeln in seinen Augen war verschwunden.

„Warum denn nicht? Sie sind Pilot, und …“

„Das tut nichts zur Sache. Ich bin hier, weil ich im Rettungswagen arbeiten will.“ Er verschränkte die Arme vor der Brust, und Samantha verstand. Er wollte nicht weiter darüber sprechen.

„Okay.“ Sie nahm ein paar Papiere zur Hand. „Lesen Sie sich bitte diese Erklärungen durch, füllen Sie sie aus, und dann machen wir unsere erste Fahrt.“

George nickte, sie gab ihm die Formulare, und er setzte sich damit an den nächsten Tisch. Samantha trat ein paar Schritte zurück. Diskretionsabstand.

Sie beschloss, sich einen Kaffee zu holen, und warf kurz einen Blick auf George. Wieso hörte ein Pilot mit so vielen Flugstunden einfach mit dem Fliegen auf? Er hatte mehr Stunden als sie, und sie konnte sich überhaupt nicht vorstellen, aufzuhören.

Was hielt ihn bloß davon ab?

Als würde er spüren, dass sie ihn beobachtete, sah er auf, und ihre Blicke begegneten sich. Einen Moment lang blieb sie wie angewurzelt stehen, wandte sich dann aber rasch ab und tat so, als ignoriere sie ihn. Deutlich fühlte sie seinen prüfenden Blick im Rücken. Ihr stieg die Röte in die Wangen, und sie wünschte, sie hätte ihre Haare nicht zum Pferdeschwanz zurückgebunden, denn sie spürte, wie auch ihr Nacken warm wurde.

Ihr verstorbener Mann hatte ihr Erröten immer reizend gefunden. Sie konnte es einfach nicht kontrollieren, und das ärgerte sie manchmal maßlos. Selbstbeherrschung war ihr ungemein wichtig.

Als sie wieder zu George Atavik hinschaute, hatte er sich über die Unterlagen gebeugt. Er war ernst und konzentriert. Das gefiel ihr.

Sie musste sich zusammenreißen. Sie war seine Ausbilderin. Es war ihre Aufgabe, aus diesem Notfallhelfer, der bisher vor allem als Pilot gearbeitet hatte, einen erstklassigen Notfallsanitäter zu machen, der perfekt mit einem Rettungswagen umgehen konnte.

Vielleicht würden ein paar rasante Fahrten ihn dazu bringen, seine Meinung, was das Fliegen anging, zu ändern?

Wo er herkam, gab es nicht viele Straßen. Nur Flugzeuge und Schneemobile oder Quads, wenn man von einem Ort zum anderen kommen wollte. Anders als hier.

Sie lächelte in sich hinein und setzte ihren Kaffeebecher ab.

Wichtig war nun, herauszufinden, wie gut er fahren konnte. Ob er mit einem Krankenwagen zurechtkam oder nicht, würde darüber entscheiden, ob er ein solches Gefährt fahren durfte. Und wenn es ihm nicht gefiel, würde er vielleicht auch wieder fliegen.

Natürlich wollte sie nicht heimlich darauf hinarbeiten, aber sie war sich ziemlich sicher, dass jemand, der nicht an viel Verkehr gewöhnt war, wenig Spaß am Krankenwagenfahren hatte. Es war sicher nur eine Sache der Zeit, bis er wieder im Flugzeug saß.

„Beeilung, Atavik!“

„Wie bitte?“ George blickte auf und sah Samantha an.

Es fiel ihm schwer, sich zu konzentrieren. Er hatte einfach nicht mit einer verführerischen Ausbilderin gerechnet.

Verführerisch, George? Wirklich? Nur mühsam unterdrückte er ein frustriertes Aufstöhnen.

Er war nicht sicher gewesen, was ihn im Health Air and Land – Trainingscamp in London, Ontario erwarten würde. Nur dass er seine Mentoren kennenlernen und loslegen würde. Die anderen Ausbilder waren Männer. Große, bullige Männer, und genau so einen hatte George auch für sich erwartet.

Aber nicht eine attraktive Frau wie Samantha Doxtator.

Er war hier, weil er Frauen vergessen und sich auf seine Karriere konzentrieren wollte. Um ein guter Notfallsanitäter zu werden, ein sehr guter. Er hatte beschlossen, sich weiterzubilden und gleichzeitig eine neue Richtung einzuschlagen, um endlich wieder eine Arbeit zu haben, die ihn voll und ganz ausfüllte. Und dabei konnte er keinerlei Ablenkung gebrauchen.

Ablenkungen wie zum Beispiel diese heiße Lady.

Sie war groß und schlank, aber mit sinnlichen Rundungen an den richtigen Stellen. Es kostete George seinen ganzen Willen, Samantha in ihrer eng anliegenden Sanitäteruniform nicht unentwegt anzustarren.

Schwarzes, rötlich schimmerndes Haar, ein makelloser dunkler Teint und mandelförmige Augen, strahlend blau, wie er es noch nie bei einer Frau gesehen hatte. Sie bewegte sich anmutig und selbstsicher, und die straffe Körperhaltung verriet, dass sie es mit ihrem Fitnesstraining sehr genau nahm.

Wieso beeindruckten ihn eigentlich immer die Alphafrauen?

Es war sein Fluch.

Vielleicht, weil er mit dynamischen Frauen aufgewachsen war. Seine Schwestern waren Workaholics. Entspannen, Ausruhen, ein Nickerchen machen? Reine Zeitverschwendung!

Seine Freundin auf dem College war auch ein Alphatyp gewesen, doch unter der spröden Oberfläche hatte sich heiße, explosive Leidenschaft verborgen.

Zu schade, dass ihr die Karriere und ein Leben in Toronto wichtiger gewesen waren als er.

Andererseits … er war nicht wirklich am Boden zerstört gewesen, als es zu Ende war.

Bei seiner letzten Freundin aber schon. Er hatte sie heiraten wollen. Sie zu verlieren hatte ihm das Herz gebrochen.

Er wollte nicht an Cheryl denken. Nicht an die einzige Frau, mit der er sich eine gemeinsame Zukunft hatte vorstellen können. Die Frau, die ihn bei seinen Lufteinsätzen hätte begleiten sollen – als Ersatz für seinen Partner Ambrose, der vorgehabt hatte, wegzuziehen …

Die Gedanken an Cheryl erinnerten ihn nur wieder daran, warum er nicht mehr fliegen wollte und warum er den Frauen abgeschworen hatte. Und eine Beziehung mit einer Notfallsanitäterin kam schon gar nicht infrage! Das letzte Mal hatte es kein gutes Ende genommen.

Mayday. Mayday. Mayday. Iqaluit Centre. Hier spricht Medic Air 1254. Wir haben einen Motorschaden. Ich wiederhole, Motorschaden. Wir versuchen eine Notlandung zwanzig Kilometer nördlich. Höhe 4000 Fuß, sinkend …

Er spürte, wie ihm der Schweiß auf der Stirn ausbrach.

„Atavik, ist Ihnen nicht gut?“ Samantha musterte ihn besorgt.

George lächelte schwach. „Entschuldigung.“ Er nahm seine Papiere, stand auf und drückte sie Samantha in die ausgestreckte Hand.

„Alles in Ordnung?“

„Ja, klar.“

„Sicher?“

„Mir geht’s gut, wirklich!“, fuhr er auf. Er wollte und brauchte ihre Besorgnis nicht. Er war hier, um seinen Job zu machen.

Samantha warf ihm einen skeptischen Blick zu. „Okay“, sagte sie dann. „Also los. Bereit?“

Er war es nicht. Verstohlen warf er einen Blick auf die anderen Lehrgangsteilnehmer, die jeder zwei Mentoren hatten. Männliche Mentoren, die keinerlei Verlockung darstellten. George wünschte sich eine dritte Person im Rettungswagen.

Er wollte nicht in Versuchung geraten. Er musste sich zusammenreißen.

„Also, sind Sie bereit?“, fragte Samantha ein zweites Mal.

„Absolut.“

„Großartig.“

In ihren Augen tanzten kleine Teufelchen. Was hatte sie mit ihm vor?

„Ich bringe kurz die Unterlagen weg, dann können wir starten.“ Sie verschwand im Büro und kehrte eine Minute später zurück. „Wir nehmen Wagen 7.“

„Ein guter Wagen?“, fragte er, als er ihr zur Garage hinausfolgte. Ihrer Miene nach zu urteilen, durfte er das bezweifeln.

Sie lächelte wissend. „Sie werden es sehen.“

„Sie haben vor, mich zu quälen, oder?“, murmelte er unterdrückt, aber sie hatte es wohl doch gehört, denn sie öffnete den Mund, um zu antworten. Doch in dem Moment heulte bei dem Wagen, der neben ihrem stand, die Sirene los. Blaulicht blitzte auf.

„Kommt in die Hufe, Samantha. Auf dem Highway 401 hat es einen schweren Unfall gegeben“, brüllte jemand über den ohrenbetäubenden Lärm hinweg.

„Los, Tempo!“ Samantha rannte zu ihrem Wagen. „Mal sehen, was Sie draufhaben.“

George schluckte den Angstkloß im Hals herunter und schlüpfte neben Samantha auf den Beifahrersitz. Kaum hatte er die Tür geschlossen, ließ sie den Motor an und gab Vollgas.

„Drücken Sie den roten Schalter“, rief sie dabei und deutete aufs Armaturenbrett.

Kaum hatte George es getan, heulte die Sirene auf, das Blaulicht begann zu blitzen.

Es war schon beeindruckend. An seinem Flugzeug hatte es weder Blaulicht noch Sirenen gegeben.

„Alles klar, Atavik?“, schrie sie über den Lärm hinweg.

„Bestens.“

Was gelogen war.

Er war ziemlich durch den Wind. Ob es an dem heftigen Schaukeln des Wagens lag, mit dem sie in halsbrecherischem Tempo zur Unfallstelle rasten, konnte er nicht sagen. Oder war er nervös, weil er nicht wusste, was ihn dort erwartete?

In Nunavut gab es keine Massenkarambolagen.

Als er zuerst in den Süden Kanadas kam, hatten ihn die vielen vierspurigen Highways richtig eingeschüchtert. London insgesamt wirkte einschüchternd auf ihn, auch wenn Charlottes Ehemann Quinn sich rührend um ihn kümmerte, seit er hier war.

Fahren konnte George, aber er bevorzugte eben Nebenstraßen. Und obwohl Quinn darauf bestanden hatte, dass er den Stadtverkehr kennenlernte, hatte George mit den Highways noch seine Probleme.

Ihm schmerzten die Ohren von der heulenden Sirene. Er war so etwas nicht gewohnt. Er wusste nicht einmal, ob er sich jemals an den normalen Straßenlärm gewöhnen könnte.

Sein Flugzeug war dagegen leise gewesen.

Bis …

Denk nicht daran.

George lächelte Samantha mühsam an und wischte sich mit dem Ärmel den Schweiß von der Stirn.

„Ist wirklich alles okay mit Ihnen?“, fragte sie teilnahmsvoll. „Ich möchte nicht, dass Ihnen gleich am ersten Tag schlecht wird.“

„Kein Problem.“

„Hoffentlich liegt es nicht an meiner Fahrweise.“

Nein, es liegt an Ihnen! hätte er am liebsten gesagt.

„Es geht mir gut!“, fuhr er sie stattdessen an und bedauerte es im nächsten Moment.

„Voraussichtliche Ankunft am Unfallort in fünf Minuten.“

George atmete einmal tief durch.

Du hast so etwas schon öfters erlebt. So viele Male. Auch wenn es kein Massenzusammenstoß war.

Dennoch, die Vorstellung, als Notfallsanitäter in einer großen Stadt zu arbeiten, machte ihn unruhig. Aber er konnte nicht zurück nach Cape Recluse. Nach dem Unglück hatte die Armee dort eine Luftbasis errichtet.

Womit sein Job weggefallen war.

War es dumm gewesen, in den Süden Ontarios zu ziehen und zu versuchen, im dichten Verkehr einer fremden Stadt in einem Rettungswagen zu arbeiten? Würde er hier seinen Traum verwirklichen können, wieder Leben zu retten?

Er war älter als die anderen Lehrgangsteilnehmer.

Dreiunddreißig.

Was mache ich hier eigentlich?

George hoffte, durch diese Ausbildung das besondere Gefühl wiederzufinden, das ihn bis zu dem Absturz erfüllt hatte: mit Leidenschaft Leben zu retten, voller Elan nichts unversucht zu lassen, um Menschen neue Hoffnung zu geben.

Im Moment funktionierte er nur. Zwar gut, aber die vertraute Passion fehlte.

Der Wagen fuhr langsamer, und George reckte den Hals, als sie die Zufahrt zum Highway hinunterrollten.

Deutlich konnte er den Rauch sehen, der von den Unfallfahrzeugen aufstieg. Streifenwagen mit rotierenden Lichtern standen da, auch die Feuerwehr war schon vor Ort. Als er nach hinten blickte, sah er weitere Krankenwagen heranrasen.

„Bereit, Atavik?“ Samantha berührte sein Knie und drückte es kurz. Ein Kribbeln, wie von einem elektrischen Schlag, durchfuhr ihn. Er mochte es, wenn sie ihn berührte, und wusste gleichzeitig, dass es falsch war.

„Bereit.“

Samantha lenkte den Wagen an den Straßenrand. „Also dann, auf geht’s!“

Als sie ausstieg, lächelte sie ihn aufmunternd an.

George sprang vom Wagen und verschaffte sich einen Überblick. Adrenalin schoss ihm durch die Adern bei dem Bild, das sich ihm bot. Der Highway gehörte zu den Hauptverbindungsstraßen der Provinz Ontario. Kilometerweit staute sich der Verkehr zu beiden Seiten. Mehr als fünf Fahrzeuge waren in den Unfall verwickelt, einschließlich eines Tanklastzugs, der auf der Seite lag, quer über alle vier Fahrspuren.

Eine herausfordernde Aufgabe lag vor ihm. Er würde seinen Job machen, aber außer der nervlichen Anspannung spürte er nichts. George fühlte sich, als ob etwas in ihm gestorben wäre.

2. KAPITEL

„Wir müssen räumen – dieser Tanklaster ist instabil.“ Der Einsatzleiter der Feuerwehr deutete auf das Fahrzeug.

Samantha nickte. „Wir haben fast alle Verwundeten aus der Gefahrenzone geschafft.“

„Der Verkehr auf beiden Seiten des Staus wurde inzwischen umgeleitet“, meldete der Polizeieinsatzleiter.

Samantha schaute sich beunruhigt um. Solche Unfälle gingen ihr immer an die Nieren. Zwar hatte sie George geneckt, weil ihm sichtlich schlecht war, aber auf dem Weg zu solchen Massenkarambolagen war auch ihr jedes Mal mulmig zumute.

Cameron hatte seinen Rettungswagen zu Schrott gefahren, indem er ohne ersichtlichen Anlass rückwärts und mit Vollgas in ein leeres Gebäude gerast war. Die anschließende medizinische Untersuchung ergab, dass er einen Gehirntumor hatte. Seitdem erinnerte jeder Autounfall Samantha wieder an jenen schrecklichen Tag, der ihr Leben für immer verändert hatte.

Während die anderen noch diskutierten, was zu tun sei, fiel Samanthas Blick auf George. Er wirkte ruhig, konzentriert, kümmerte sich um Verletzte, so als würde er den Lärm, den Rauch und die Rufe gar nicht richtig wahrnehmen. Fast wie eine Maschine.

Anfangs hatten sie zusammengearbeitet, aber anders als die Schulungsteilnehmer, die sie sonst anleiten musste, wusste George genau, was zu tun war.

So ließ sie ihn selbstständig arbeiten. Sie hatte in den vielen Jahren gelernt zu unterscheiden, wo sie gebraucht wurde und wo nicht.

Im Moment hockte er neben einer älteren Dame und verband ihre Kopfwunde. Er unterhielt sich mit ihr, und sie lächelte trotz ihrer blutenden Verletzung.

Selbst aus der Entfernung war ersichtlich, dass er sie beruhigen konnte.

Atavik hatte das richtige Gespür. Samantha gegenüber mochte er distanziert und kühl sein, aber mit den Patienten ging er gut um.

Er war der geborene Notfallsanitäter.

Trotzdem wäre es zu schade, wenn er nie wieder fliegen würde. Vielleicht schaffte sie es ja, ihn bis zum Ende der Ausbildung vom Gegenteil zu überzeugen.

Wenn man so lange geflogen ist wie Atavik, geht es einem in Fleisch und Blut über, dachte sie.

George bedeutete ihr mit einer Handbewegung, dass er fertig war. Sie schob die Rollliege zu ihm hinüber, und er stand auf.

„Ich glaube, sie ist die Letzte.“ Er wandte sich an die Frau. „Können wir Sie jetzt von hier wegbringen? Sind Sie bereit, Mrs. Walker?“

„Mehr als das, Georgieboy.“

Samantha zog die Brauen hoch. Georgieboy?

George lächelte Mrs. Walker nur an, als er ihr auf die Rollliege half. „Gut, dann fahren wir Sie ins Krankenhaus.“

Da ihr eigener Wagen durch einen Streifenwagen blockiert war, brachten sie Mrs. Walker zu einem freien Wagen. Nachdem sie die Patientin hineingeschoben hatten, schlug George gegen die geschlossene Tür, ein Zeichen an den Fahrer, dass es losgehen konnte. Der Wagen fuhr davon.

Die Feuerwehrleute waren inzwischen dabei, die Menschen vom Tanklastzug wegzuscheuchen, da Rauch von ihm aufstieg.

„Wir sollten auch sehen, dass wir hier wegkommen“, meinte Samantha zu George. „Der Tanklaster kann jeden Moment explodieren.“

„Ich denke, das ist …“

Der gellende Schrei einer Frau unterbrach sie. „Mein Baby!“

Samantha fuhr herum und sah ein kleines Mädchen, zwei, höchstens drei Jahre alt, den Highway entlang auf den rauchenden Tanklaster zulaufen, ohne dass die Feuerwehrleute es bemerkten.

Die Mutter schrie herzzerreißend den Namen ihrer Tochter, konnte sich aber nicht rühren, da sie bereits für den Transport auf einer Liege angeschnallt war.

Ein Blick auf die Kleine, und George sprintete los.

Samantha wollte ihn zurückhalten, aber es gelang ihr nicht. George rannte zwischen aufregt rufenden Feuerwehrleuten und Polizisten hindurch, hinter dem Mädchen her.

„Atavik, hiergeblieben!“, schrie Samantha und lief ebenfalls los, wurde aber von einem der Feuerwehrmänner am Arm gepackt.

„Sie können da nicht hin!“

„Ich muss. Er ist mein Partner. Mein verrückter Partner.“ Samantha deutete auf George.

Der Mann wirbelte herum. „Oh nein!“

Samantha schlug das Herz im Hals, das Blut rauschte ihr in den Ohren, als sie von kräftigen Händen fortgezerrt wurde.

Warum schien in solchen Situationen alles in Zeitlupe abzulaufen?

Als George noch auf das Mädchen zuraste, ging der Tanklaster plötzlich in Flammen auf. Das Kind wurde zurückgeschleudert. Im nächsten Moment war George bei ihm, hob es hoch und hastete aus der Gefahrenzone. Feuerwehrleute mit Wasserschläuchen rannten an ihm vorbei auf den Tankwagen zu, der in loderndes Feuer eingehüllt war.

George hielt die Kleine an die Brust gepresst, eine Hand schützend um ihren Kopf gelegt, und brachte sie in Sicherheit.

Samanthas Puls beruhigte sich wieder ein wenig, und sie schob den Feuerwehrmann von sich, als George nun direkt auf sie zukam. Er keuchte schwer, das Gesicht war rußgeschwärzt, sein Arm von Brandwunden bedeckt.

„Sie haben sich am Arm verbrannt.“

„Ich weiß.“ George lief an ihr vorbei zur Mutter, die ihr schluchzendes Kind in die Arme schloss.

„Danke“, sagte sie weinend immer wieder. „Vielen, vielen Dank …“

George lächelte nur und tätschelte dem Mädchen den Kopf.

Als zwei Sanitäter Mutter und Tochter davonrollten, warf George einen Blick auf seinen Arm und fluchte unterdrückt.

Samantha stand nur da, die Arme vor der Brust verschränkt, und starrte ihn an.

„Sieht so aus, als hätten wir noch einen Patienten, der ins Krankenhaus muss. Steigen Sie in den Krankenwagen, Atavik.“

George zuckte zusammen, als die Ärztin in der Notaufnahme seinen Arm mit Brandsalbe bestrich und anschließend einen Verband anlegte.

„Sie sind ein echter Held, habe ich gehört“, meinte sie. „Sie können froh sein, dass Sie sich nicht schwerer verbrannt haben.“

„Sie an meiner Stelle hätten sicher genauso gehandelt.“

Sein Blick fiel auf Samantha, die sichtlich verärgert im Flur auf und ab marschierte. Das kannte er nur zu gut – von seiner Schwester Charlotte!

Ein Polizist ging zu ihr, fragte sie etwas und machte sich Notizen.

Verdammt! Hoffentlich bekam er nicht gleich am ersten Tag Ärger. George wollte unbedingt im Lehrgang bleiben. Die Teilnehmer sollten eigentlich nicht auf explodierende Tanklastzüge zulaufen oder Ähnliches tun.

Da tauchte noch jemand auf, und George verdrehte die Augen. Du hast mir gerade noch gefehlt!

„George!“ Quinn trat auf ihn zu.

Die Ärztin wandte sich um. „Sind Sie ein Familienmitglied?“

„Ja, sein Schwager.“

„Zum jetzigen Zeitpunkt sind nur Ärzte hier erlaubt“, entgegnete sie bestimmt und stellte sich halb vor George.

„Ich bin Arzt. Dr. Quinn Devlyn.“ Quinn schob sich an ihr vorbei.

„Hi, Devlyn“, sagte George.

„Ich habe gehört, was du angestellt hast.“ Quinn fuhr sich mit den Fingern durchs Haar. „Wie soll ich das Charlotte und Mentlana erklären?“

„Behalt es doch für dich“, erwiderte George lakonisch.

„Zu spät.“

„Wie zum Teufel haben sie davon erfahren? Hat meine Partnerin dich angerufen? Nichts für ungut, aber du bist nicht meine Kontaktadresse für den Notfall.“

Quinn drückte Daumen und Zeigefinger gegen seine Nasenwurzel. „Du bist landesweit auf allen Kanälen, George.“

Verflucht.

„Ehrlich? Dann stecke ich in Schwierigkeiten.“

„Das hast du recht. Charlotte hat mich bereits drei Mal angerufen und verlangt, dass ich hierherkomme und dir kräftig in den Allerwertesten trete – aber dich auch küsse, weil sie stolz auf dich ist. Das kommt natürlich nicht infrage!“

George lachte. „Mir nur recht.“

„Sie hat gesagt, sie will nicht, dass Liv ohne ihren Onkel aufwächst.“

„Würde sie mich lieber in Noppenfolie eingepackt im Dienst sehen?“

„Deine Schwestern machen sich Sorgen um dich“, sagte Quinn. „Und deine Partnerin sieht auch nicht gerade begeistert aus.“

George blickte über Quinns Schulter zu Samantha hin, die ihm keine besonders freundlichen Blicke zuwarf. Verdammt, verdammt.

„Wann fliegst du nach Nunavut zurück?“, erkundigte er sich bei seinem Schwager.

„Morgen – warum?“

„Vielleicht komme ich mit.“ George bewegte seinen bandagierten Arm und stöhnte auf.

„Ist die Brandverletzung so schwerwiegend?“ Quinn sah Dr. Inkpen an.

„Nein, eigentlich nicht.“ Sie schrieb einen Entlassungsschein aus. „Nehmen Sie Ibuprofen gegen die Schmerzen, und halten Sie die Wunde trocken und sauber. Ich denke, Sie wissen, was Sie zu tun haben, George.“

George nahm den Schein entgegen. „Danke, Doktor.“

Er schob den Schein in seine Tasche und stand vom Stuhl auf, als die Ärztin hinausging.

„Die sieht süß aus“, bemerkte Quinn und versetzte ihm einen Rippenstoß.

„Willst du mich etwa verkuppeln?“

Quinn grinste, wurde aber schnell wieder ernst. „Wir machen uns alle Sorgen um dich. Es ist jetzt ein Jahr her.“

George seufzte. Ihm war schmerzlich bewusst, dass es ein Jahr her war.

„Ich will jetzt wirklich nicht darüber nachdenken.“

„Tut mir leid.“

„Schon gut. Was hältst du davon, mir einen auszugeben, bevor du weg bist?“

„Du trinkst doch nichts.“

George schnaubte. „Ich könnte ja damit anfangen.“

„Da hast du aber Glück. Ich glaube, es gibt eine Menge Leute, die dir heute Abend gern ein Glas spendieren möchten.“

Als George den Flur betrat, umringten ihn sofort applaudierende Ärzte, Polizisten und Feuerwehrleute.

Es war überwältigend. Dabei hatte er doch nichts Besonderes getan. Er hatte ein Menschenleben gerettet.

So wie alle hier es gelernt hatten.

George lächelte, obwohl es ihm schwerfiel. Er hoffte, dass niemand ihm etwas anmerkte, während er zahlreiche Hände schüttelte. Aber die Aufmerksamkeit war einfach zu viel für ihn!

Ich sollte nicht hier sein.

Samantha hatte es sich immer wieder gesagt, aber dann ließ sie sich doch überreden, mit in den O’Shea’s Pub zu gehen, nachdem George aus dem Krankenhaus entlassen worden war.

Im Pub angekommen, scharten sich alle um George, und viele wollten ihm einen Drink ausgeben. Samantha seufzte. George sollte eigentlich machen, dass er nach Hause kam und sich ausruhte.

Du bist nicht seine Mutter.

Sie dachte an ihren Sohn. Ich sollte nach Hause gehen. Auch wenn Adam noch bei ihren Schwiegereltern war und erst in gut drei Stunden nach Hause kommen würde.

Ich sollte wirklich Hause nach gehen. Aber dort war niemand. Und es war manchmal schon schwer genug zu ertragen, dass auch nach zehn Jahren noch ihre Abende leer und endlos lang waren.

Sie hatte Probleme beim Einschlafen.

Samantha bestellte sich einen zweiten Whisky Sour und starrte auf den Fernseher an der Wand. In den Nachrichten wurde gerade über die Massenkarambolage und Georges spektakuläre Rettungsaktion berichtet. Dass die Presse vor Ort gewesen war, hatte Samantha gar nicht mitbekommen.

„Ich nehme noch einen Eistee“, sagte eine tiefe Männerstimme.

Samantha wandte den Kopf. George stand hinter ihr. „Eistee?“

Er zuckte mit den Schultern. „Ich trinke nicht, und selbst wenn, sollte ich es wegen der Brandwunden nicht tun.“

Sie war beeindruckt. „Wo ist Ihr Schwager?“

„Quinn? Er ist ins Hotel zurückgefahren. Sein Flug nach Iqaluit geht morgen ziemlich früh.“ George bedankte sich beim Barkeeper und wollte ihm einen Fünf-Dollar-Schein zuschieben.

„Nee, Kumpel, der geht aufs Haus“, wehrte der Mann ab.

„Danke.“ George setzte sich neben Samantha. „Sind Sie immer noch sauer genug auf mich, um mich aus dem Kurs zu werfen?“

„Nein.“ Sie lachte leise.

George grinste und trank einen Schluck. „Sie wollen mir doch nicht erzählen, dass Sie nicht genauso gehandelt hätten?“

Da musste sie ihm recht geben. Wenn George nicht da gewesen wäre und sie das Kind auf den Tanker hätte zurennen sehen, hätte sie ebenfalls versucht, das kleine Mädchen zu retten. Doch dieser Gedanke löste sofort Gewissensbisse aus. Wegen Adam. Ihr Sohn hatte schon keinen Vater mehr, sie durfte eigentlich nicht die gleichen Risiken eingehen wie George oder andere Leute.

Adam stand für sie an allererster Stelle.

„Ich hätte das Gleiche getan wie Sie.“ Samantha trank einen Schluck von ihrem Whisky Sour. „Entschuldigung, Sie hätten dafür wirklich eine Auszeichnung verdient. Ich bedaure es, dass ich Sie angefahren habe.“

George schüttelte den Kopf. „Wozu eine Auszeichnung? So etwas gehört zu meinem Job. Ich bin kein Held. Weit gefehlt.“

Samantha musterte ihn. Er wirkte auf einmal angespannt. Irgendetwas machte ihm zu schaffen, und sie fragte sich, warum er absolut nicht mehr als Rettungsflieger arbeiten wollte. Was verbarg er?

Vorsicht, Samantha.

Sie hatte keine Zeit, sich für jemanden zu interessieren. Nicht nur, weil sie alleinerziehende Mutter mit einem fordernden Job war, sondern auch, weil sie die Stadt bald für immer verlassen würde. George war tabu für sie, sie durfte ihren Seelenfrieden nicht aufs Spiel setzen. Sie hatte schon einmal geliebt und verloren. Das wollte sie nicht ein zweites Mal erleben.

„Gefällt Ihnen London bis jetzt?“, wechselte sie das Thema.

„Es ist groß.“

Samantha lächelte. „Im Vergleich zu Iqaluit schon, denke ich.“

„Hier ist alles billiger.“

„Das hört sich komisch an.“

George lachte, und sein Lachen gefiel Samantha. „Was ist denn hier billiger?“

„Toilettenpapier. In Iqaluit kostet es ein Vermögen, aber hier bekommen Sie es einfach in jedem Supermarkt, ohne dass es Sie Ihr halbes Erbe kostet.“

Jetzt musste sie auch lachen. „Sie wollen ernsthaft mit mir über Toilettenpapier reden?“

Seine dunklen Augen funkelten vergnügt. „Sieht ganz so aus.“

Samantha lächelte und schwenkte langsam den Whiskycocktail in ihrem Glas. „Bisher hat noch kein Mann versucht, in einer Bar mit mir ins Gespräch zu kommen, indem er über den Preis für Toilettenpapier redet.“

„Es gibt immer ein erstes Mal.“ Er hielt ihren Blick fest, sah sie unverwandt an.

„So ist es wohl.“ Samantha spürte, wie ihr Puls beschleunigte.

Nicht flirten, dachte sie. Hör auf zu flirten.

Was hatten Männer wie George nur an sich? Samantha wurde heiß. Cameron war ähnlich gewesen, humorvoll, ein bisschen draufgängerisch …

Männer wie George warfen ihre Pläne über den Haufen. Das ärgerte sie einerseits, aber andererseits war es aufregend.

„Sollten wir uns nicht auch noch über Rabattcoupons unterhalten?“, meinte er trocken.

Samantha prustete los und lachte, bis ihr das Zwerchfell wehtat. Sie konnte sich nicht erinnern, wann sie zuletzt so herzhaft gelacht hatte.

George war gefährlich. Sehr gefährlich.

„Sie haben wirklich ein hübsches Lächeln, wenn Sie richtig lächeln“, sagte er, verstummte dann abrupt, räusperte sich und fügte ernst hinzu: „Tut mir leid, das wollte ich nicht sagen.“

Samantha errötete, Schmetterlinge tanzten in ihrem Bauch. „Schon okay … und danke.“

Sie fühlte sich zu ihm hingezogen. Eindeutig.

Für Dates habe ich keine Zeit, sagte sie sich wieder. Außerdem war sie seine Ausbilderin und würde London bald verlassen. Jede Beziehung konnte nur kurzfristig sein, und wegen ihres Jungen war eine solche kurze Romanze unmöglich. So etwas durfte sie Adam nicht zumuten.

Und es ging nicht nur um Adam. Sie wollte auch deshalb keine flüchtige Affäre, weil es für ihr Herz viel zu riskant war.

Sie musste dringend raus hier.

„Stimmt etwas nicht?“, erkundigte sich George.

„Nein, alles in Ordnung. Wieso fragen Sie?“

„Ihr Gesichtsausdruck.“

„Es war ein anstrengender Tag.“

Georges Lächeln verblasste, und er trank einen Schluck Tee.

Ich muss hier raus. „So, ich mache mich jetzt besser auf den Heimweg.“ Sie stürzte den Rest Whisky Sour herunter und stand auf.

„Wie kommen Sie nach Hause?“

„Mit dem Bus“, erwiderte Samantha. „Ich wohne im Süden der Stadt.“

„Ich begleite Sie nach draußen.“

„Das müssen Sie nicht …“

„Ich möchte es aber.“ Seinem Tonfall nach zu urteilen, war Widerspruch zwecklos.

Als sie zur Tür gingen, rief jemand: „Schon los, Atavik?“

George drehte sich um. „Nein, ich bringe nur Doxtator hinaus, dann komme ich zurück.“

Samantha stöhnte innerlich auf. Alle sahen sie an. Natürlich könnte sie George sagen, er solle bleiben, aber wahrscheinlich wäre das vergeblich. Der Mann ließ sich nichts sagen, wenn er sich einmal etwas in den Kopf gesetzt hatte.

Er legte ihr die Hand auf den Rücken, als sie hinausgingen.

Es war Mai, die Luft war warm, während im Westen schon die Sonne am Horizont versank. Langsam legte sich die Abenddämmerung auf die Stadt, die ersten Straßenlaternen leuchteten auf.

„Ganz schön heiß“, meinte George. „Ich glaube, an diese Hitze werde ich mich nie gewöhnen!“

Samantha lächelte. „So wie viele von uns sich nie an die Kälte bei Ihnen gewöhnen werden.“

George erwiderte ihr Lächeln, aber wie so oft verschwand es auch rasch wieder. „Wollen Sie wirklich nicht noch bleiben?“

„Nein, danke. Ich muss nach Hause.“

„Warum?“

„Adam kommt bald.“

Sie bemerkte, wie sich sein Ausdruck veränderte. Das passierte ihr öfter, wenn sie Männern gegenüber Adam erwähnte. Auch Georges Miene verriet flüchtig so etwas wie Eifersucht, gemischt mit Enttäuschung. Dann wurde sein Gesicht wieder ausdruckslos.

Wer ist Adam? war sein erster Gedanke, und der zweite: Was geht es dich denn an?

Es ging ihn wirklich nichts an. Eine schöne Frau wie Samantha hatte sicherlich einen Ehemann oder Freund. Außerdem war sie tabu für ihn – daran sollte er sich immer erinnern.

Er war nicht interessiert. Er würde sich mit keiner Frau einlassen, das war viel zu riskant. Dennoch konnte er nicht verhindern, dass das grüne Eifersuchtsmonster bereits sein hässliches Haupt erhob. Samantha war wunderschön, verlockend, und er wünschte, sie wäre nicht seine Ausbilderin. Er wünschte, sie wäre Single und er würde sie gerade kennenlernen.

Aber wem wollte er eigentlich etwas vormachen? Cheryl hatte diese Seite in ihm abgetötet. Er hatte geschworen, nie wieder jemand zu lieben, niemals mehr sein Herz einem Risiko auszusetzen. Das hatte er sich im Krankenhaus damals versprochen.

Warum sollst du nicht einmal wieder ein Date haben, George? Du musst nach vorn blicken. Das ist dein gutes Recht.

George vertrieb die Worte seiner Schwester Mentlana aus dem Kopf. Nein. Er wollte keine Liebe mehr. Er verdiente sie nicht. Und er wollte sie nicht.

Warum befasste er sich überhaupt damit? Es war doch dumm. Sicher, Samantha faszinierte ihn, aber das hieß nicht, dass zwischen ihnen etwas passieren musste.

Allerdings war sie seit Cheryl die erste Frau, die er wirklich anziehend fand …

Sie gingen nebeneinander die Straße entlang zur leeren Bushaltestelle.

„Morgen Punkt sieben haben Sie eine Übungseinheit. Wir sehen uns erst am Nachmittag“, sagte Samantha. „Teilen Sie das auch den anderen Teilnehmern mit, wenn möglich.“

George lachte. „Ich werde es versuchen.“

Samantha schob die Hände in die Taschen. „Sie können jetzt wieder ins O’Shea’s zurück.“

George schüttelte den Kopf. „Nein, ich warte hier mit Ihnen.“ Er wusste, es war gefährlich, aber er konnte der Versuchung nicht widerstehen.

Ihre Wangen färbten sich rosa.

Er räusperte sich und sah sie an. Sie war so schön. Er musste schleunigst das Weite suchen. Sofort.

Aber er konnte sich nicht bewegen. Er blieb stehen, dicht bei ihr. Zu dicht.

Lauf.

George rührte sich nicht, fragte sich sogar, wie es wäre, sie zu küssen. Ihre vollen Lippen sahen samtig weich aus, und vielleicht schmeckten sie so süß, wie er es sich vorstellte.

„Ich sollte gehen. Sie haben recht. Ihr Freund Adam wird froh sein, wenn Sie wohlbehalten zu Hause sind.“

Samantha sagte immer noch nichts. Der Bus kam. Seine Türen öffneten sich. Sie setzte einen Fuß auf die Stufe.

Du bist ein Idiot, Atavik.

George wartete auf ein Wort von ihr. Irgendeins. Und sei es Verschwinde!

Stattdessen lächelte sie, ihre Wangen waren noch immer gerötet. „Ich habe keinen Freund. Adam ist mein Sohn.“

Zischend schlossen sich die Türen, und George sah dem davonfahrenden Bus nach.

Er grinste, erleichtert, dass Adam ihr Sohn war – aber nicht lange. Wo ein Kind ist, ist auch ein Vater.

Sie war tabu.

Er würde Abstand halten müssen. Das wollte er eigentlich nicht, aber es war besser so. Er war hier, um zu lernen, und nicht, um sich zu verlieben. Er hatte einmal versucht, zu lieben, und war daran fast zerbrochen.

Einen solchen Fehler würde er kein zweites Mal begehen.

3. KAPITEL

Samantha hatte gedacht, George würde sie küssen. Als er es nicht tat, war sie erleichtert gewesen – und enttäuscht zugleich.

Es war schon lange her, dass ein Mann sie geküsst hatte. Aber wieso war sie überhaupt enttäuscht? Sie hatte George doch gerade erst kennengelernt und war zudem seine Ausbilderin. Dennoch, er hatte in ihr Gefühle geweckt, die sie ganz kribbelig machten. Und die ihr Angst einjagten.

Sie sah ihn wieder den Highway entlanglaufen, das kleine Mädchen auf dem Arm, für das er sein Leben aufs Spiel gesetzt hatte. In dem Moment hatte er ihr Herz berührt.

Ha, deine mütterlichen Instinkte spielen dir einen Streich! dachte sie. Du findest ihn nicht anziehend, du bewunderst ihn, weil er das Kind gerettet hat!

Sie durfte sich nichts vormachen. Als sie Cameron heiratete, hatte sie gedacht, er würde ihr erster und letzter Mann sein. Sie konnte ja nicht ahnen, dass der letzte Kuss so schnell kommen würde. Nicht erst in fünfzig oder sechzig Jahren, wie sie gedacht hatte, sondern nach nicht einmal fünf.

Ihre gemeinsame Zeit war viel zu kurz gewesen!

Und jetzt tauchte George auf und stellte ihr Leben auf den Kopf, weckte in ihr ungeahnte Wünsche. Aber wäre es klug gewesen, ihn zu küssen?

Ein Jahr nachdem Cameron gestorben war, hatte ihr seine Mutter Joyce geraten, nach vorn zu blicken, wieder zu leben. Sie sei zu jung, den Rest ihres Lebens allein zu verbringen.

Die Vorstellung, diesem Rat zu folgen, hatte Samantha erschreckt. Sie wollte keinen anderen Mann kennenlernen, geschweige denn sich verlieben.

Inzwischen waren seit Camerons Tod zehn Jahre vergangen. Und sie dachte inzwischen tatsächlich daran, endlich nach vorn zu blicken, auch wenn es ihr Angst machte, wieder einen Mann in ihr Leben zu lassen.

Sie berührte ihre Lippen, die immer noch vor Erwartung prickelten. Selbst jetzt noch nahm sie Georges männlichen Duft wahr. Er war ihr so nahe gewesen, und allein der Gedanke daran, was hätte passieren können, verwirrte sie.

Nimm dich endlich zusammen. Er hat kein Interesse an dir. Du fantasierst.

Es musste an den Drinks liegen. Sonst war sie nicht so aufgedreht. Ja, das musste es sein. Der Alkohol war schuld – auch wenn sie nicht viel getrunken hatte. Aber es war eine gute Ausrede.

Sie ging ins Bad, drehte den Kaltwasserhahn auf und spritzte sich Wasser ins Gesicht. Vielleicht konnte sie einfach alles abspülen! Samantha trocknete sich das Gesicht ab und zog das Zopfgummi aus dem Haar. Sie dachte immer noch an George. Sie war seine Ausbilderin. Es würde nicht leicht werden, ihre Gefühle im Zaum zu halten.

Als ihre Schwiegereltern Adam nach Hause brachten, bedankte sie sich und unterhielt sich mit ihnen über dieses und jenes. Aber mit ihren Gedanken war sie nicht bei der Sache.

Daran war nur George schuld.

Camerons Eltern kannten sie gut. Anscheinend ahnten sie, dass etwas nicht stimmte, denn sie fragten immer wieder nach, ob alles in Ordnung sei. Schließlich gelang es ihr, sie damit zu beruhigen, dass sie nach dem Einsatz auf dem Highway sehr müde sei. Damit gaben sie sich zufrieden und verabschiedeten sich bald.

Adam allerdings verstand gar nicht, warum sie so geistesabwesend war. „Was ist denn heute mit dir los, Mom?“, fragte er und sah sie prüfend an.

„Nichts. Alles in Ordnung. Wieso fragst du?“

Adam zuckte mit den Schultern. „Du siehst komisch aus.“

„Mir geht es gut“, bekräftigte sie. „Wirklich.“

Das schien ihren Sohn zu beruhigen. „Mom, kann ich noch zu Ameer rübergehen?“

„Nein. Du musst morgen früh zur Schule. Komm, mach dich bettfertig.“

„Muss ich?“

„Ja.“

Als sie nicht viel später selbst im Bett lag und das Licht ausmachte, war sofort die Sehnsucht nach einem Kuss von George wieder da. Die Nächte waren nie einfach für sie. Ihr Bett fühlte sich selbst nach dieser langen Zeit immer noch schrecklich leer an.

Samantha konnte lange nicht einschlafen. Als es ihr endlich gelungen war, wachte sie im Lauf der Nacht immer wieder auf und wälzte sich unruhig von einer Seite auf die andere. Am Morgen würde sie einen starken Kaffee brauchen!

Schließlich stand sie um fünf auf, bereitete das Frühstück vor und weckte Adam. Auf dem Weg zum Dienst brachte sie ihn in den Hort der Schule.

Als sie zur Arbeit kam, konnte sie sich nicht erinnern, welchen Weg sie genommen hatte. Das ist nicht gut, ärgerte sie sich über sich selbst. Samantha verlor nicht gern die Kontrolle.

Nimm dich endlich zusammen!

„Hi, Samantha, wie war der erste Tag?“

Was? Sie starrte auf den Pappbecher in ihrer Hand, als wäre die Stimme aus dem Kaffee gekommen. Verlor sie langsam den Verstand?

„Hallo! Erde an Sam! Wie war dein Tag mit dem Neuen?“

Samantha drehte sich um und entdeckte Lizzie, die sie mit seltsamer Miene betrachtete. „Was ist?“

Lizzie verschränkte die Arme vor der Brust. „Ich habe gefragt, wie dein erster Tag gewesen ist.“

„Wieso fragst du mich das so?“

„Wie so?“

„So … komisch.“

Lizzie grinste. „Ich weiß, was passiert ist. Der Krankenhausbericht über die Brandwunden eines gewissen angehenden Notfallsanitäters an die Versicherung liegt inzwischen vor.“

Sie griff nach einer Zeitung und hielt sie hoch. Auf der Titelseite prangte ein großes Foto. Es zeigte George, wie er zwischen den heranstürmenden Feuerwehrleuten hindurchlief, in den Armen das Kleinkind, während hinter ihm Flammen loderten.

Heldenhafter Lebensretter, lautete die Überschrift.

Samantha nahm Lizzie die Zeitung ab und überflog rasch den Artikel darunter.

„Das nennt man einen erfolgreichen ersten Tag.“ Lizzie lehnte sich über den Tresen. „Nicht jeder neue Teilnehmer unseres Programms wird gleich zum Helden.“

„Ja, er hat einen klasse Job gemacht.“ Samantha gab ihr die Zeitung zurück. „Hoffentlich steigt ihm der Ruhm nicht zu Kopf.“

„Das kann ich mir bei Atavik kaum vorstellen. Du?“

Nein, bestimmt nicht. „Ist er schon da?“

„Ja, hinten im Nebenzimmer.“

Samantha begab sich zum Aufenthaltsraum. George saß an der Wand gegenüber, konzentriert über sein Lehrbuch gebeugt.

„Guten Morgen!“, grüßte sie ins Zimmer, ohne George direkt anzusehen. Wenn sie das tat, würde sie wieder rot werden.

Und das wollte sie auf keinen Fall. Es war schon so schlimm genug, dass sie in seiner Nähe nervös wurde. Er brauchte nicht zu wissen, wie heftig sie auf ihn reagierte.

Verlegenes Schweigen breitete sich aus, und sie spürte Georges Blick fast körperlich. Prompt stieg ihr das Blut in die Wangen.

Verdammt. Kopf hoch, du hast alles im Griff.

„Sind Sie gut nach Hause gekommen?“, fragte sie mit fester Stimme, nachdem sie sich geräuspert hatte, weil sie fürchtete, sonst vielleicht wie ein Teenager im Stimmbruch zu klingen.

George nickte. „Ja, danke.“ Das freche Grinsen von gestern Abend war verschwunden. Er wirkte professionell, und sie war froh darüber. Nun ja, nicht ganz. Widerwillig gestand sie sich ein, dass ihr sein geschäftsmäßiges Verhalten doch etwas ausmachte, nachdem es gestern Abend zwischen ihnen so stark geknistert hatte.

Wieder herrschte Schweigen, wurde mit jedem Moment drückender.

Sag etwas. Irgendetwas.

„Okay, heute Nachmittag steht ein Krankentransport an.“ Wieder räusperte sie sich. „Es ist eine ziemlich lange Fahrt.“

„Wohin geht’s?“

„Wir holen in Goderich eine Patientin ab.“ Samantha schenkte sich noch einen Kaffee ein.

„Wie weit ist das von hier?“

Sie zog eine Augenbraue hoch. „Haben Sie noch etwas vor?“

„Nein, bin nur neugierig.“

Samantha nahm ihm nicht ab, dass das der wahre Grund war. Es schien ihn zu beschäftigen, dass er mit ihr allein sein würde.

„Je nach Verkehrsaufkommen brauchen wir nach Goderich ungefähr zwei Stunden. Vom dortigen Krankenhaus hängt es ab, wann wir wieder loskommen, aber ich vermute, dass uns der Trip den Rest des Tages beschäftigen wird.“

George nickte, stand auf und schwang sich seinen Rucksack über die Schulter. Dabei fiel Samanthas Blick auf seinen bandagierten Arm.

„Was macht der Arm heute Morgen?“

„Schmerzt noch ein wenig.“

Samantha stellte ihren Becher ab und ging zu George. Behutsam griff sie nach seinem Arm. „Darf ich ihn mir einmal ansehen?“

„Ja, natürlich.“

Ja, natürlich?

Warum willigte er ein, dass Samantha ihn berührte?

Er hätte Nein sagen sollen, denn die letzte Nacht hatte er kein Auge zugemacht, und das nicht wegen der Schmerzen am Arm.

Sondern ihretwegen.

Samanthas Duft stieg George in die Nase, während sie neben ihm stand. Ihr Parfüm erinnerte ihn an Heidekraut und den Sommer in der Tundra.

Gestern Abend hätte er sie beinahe in die Arme gezogen und geküsst. Und als sie gestern Abend Adam erwähnte, war er eifersüchtig gewesen.

Und dann hatte sie ihm erzählt, dass Adam ihr Sohn sei.

Er hatte keine Ahnung gehabt, dass sie Mutter war.

Nicht, dass das alles andere unwichtig gemacht hätte. Ganz bestimmt nicht. Er war einfach nur überrascht gewesen.

Wenn noch ein Sanitäter mit ihnen nach Goderich gefahren wäre, hätte er sich besser gefühlt. Aber das war leider nicht der Fall. Nun würde er stundenlang neben Samantha in der Fahrerkabine sitzen. Er konnte sich etwas Besseres vorstellen, weil es die reinste Quälerei werden würde, Abstand zu halten.

Du bist hier, um einen Job zu erledigen.

Nichts lag ihm ferner als eine romantische Beziehung. Und vor allem war er nicht auf der Suche nach einer Frau, mit der er den Rest seines Lebens verbringen konnte. George wollte so viel wie möglich lernen. Er wollte am Ende des Kurses in Thunder Bay gute Arbeit leisten.

Allerdings lag der Ort längst nicht so weit nördlich, wie George es sich wünschte. Um hoch oben im Norden zu arbeiten, müsste er aber wieder in ein Flugzeug steigen, und das war ausgeschlossen. Der Flug hierher war schon schlimm genug gewesen, obwohl er noch nicht einmal selbst geflogen war. Auch das Beruhigungsmittel hatte nicht geholfen.

George schloss die Augen, als die Erinnerungen an den Absturz ihn überfielen.

Das Pfeifen des Windes, das angespannte Horchen nach Eisbären, während er seinen kraftlosen Körper über den Schnee schleppte, um sich einen Unterschlupf zu suchen … Er war sicher gewesen, sterben zu müssen.

Er holte tief Luft und versuchte sich zu entspannen.

„Tue ich Ihnen weh?“

Da erst wurde ihm bewusst, dass Samantha immer noch seinen Arm hielt.

Für einen Moment hatte er vergessen, dass sie seine Wunde inspizierte. Ihre langen, schlanken Finger strichen so zart und federleicht über seine Haut, dass sein Puls sich beschleunigte.

„Nein. Die Wunde ist zwar noch empfindlich, aber Sie tun mir nicht weh.“

„Wie ich sehe, wenden Sie die Salbe an. Das ist gut.“ Sie lächelte zu ihm hoch.

„Meine Adoptivschwester ist Ärztin, sie würde mir kräftig den Kopf waschen, wenn ich die ärztlichen Anordnungen nicht befolgen würde.“

Samantha lachte leise, verband die Wunde wieder und stand auf. „Ich hatte ganz vergessen, dass Sie Ärzte in Ihrer Familie haben. Ist das die Schwester, die mit Dr. Devlyn verheiratet ist?“

„Ja.“ George rollte seinen Hemdärmel wieder herunter und knöpfte die Manschette zu. „Charlotte war die Tochter unseres Dorfarztes, doch er starb, als sie noch klein war. Da sie keine weiteren Angehörigen hatte, haben wir sie in unsere Familie aufgenommen. Sie wurde Ärztin wie ihr Vater und zog nach Cape Recluse, um dort zu praktizieren. Ich bin ihr Rettungshelfer gewesen.“

„Es ist wohl eine eingeschworene Gemeinschaft dort oben.“

„Ja.“ Wenn du wüsstest, wie sehr …

Samantha strich sich eine widerspenstige Strähne hinters Ohr zurück. „Machen wir uns besser auf den Weg. Wir werden den größten Teil des Tages unterwegs sein.“

„Sicher. Gehen wir.“

Samantha, die ihn immer noch nicht anblickte, drehte sich auf dem Absatz um, und George folgte ihr hinaus in die Garage, wo die Rettungswagen standen.

Es würde ein langer Tag werden.

Ein langer Tag mit vielen Versuchungen. Er würde Verlockungen widerstehen müssen, von denen er gedacht hatte, dass Cheryl sie ihm für immer genommen hatte.

Es war eine Tortur, mit George im Rettungswagen zu sitzen. Samantha sagte nichts, weil es so besser war. Professionell.

Es war schrecklich.

Er saß so dicht neben ihr. Während sie seine Wärme spürte, beschleunigte ihr Puls, und sie kam sich vor wie ein Teenager, der noch nie geküsst worden war. Jede seiner Bewegungen ließ ihr Herz einen Schlag aussetzen, ihren Körper heftig reagieren. Und sie fragte sich, ob er sie wohl einfach in die Arme nehmen und das tun würde, was sie sich sehnlichst wünschte …

Du lieber Himmel!

Vielleicht war es doch nicht das Richtige gewesen, sich so lange ausschließlich auf ihre berufliche Karriere zu konzentrieren. Vielleicht hätte sie sich vorher schon mit Männern verabreden, öfters ausgehen sollen, dann würde sie nicht so wie jetzt reagieren. Aber sie hatte einfach kein Bedürfnis danach gehabt. Männer interessierten sie nicht mehr.

Bis George in ihrem Leben auftauchte.

„Wie heißt dieser See?“, fragte George und sah sie von der Seite an.

„Lake Huron.“

„Das Wasser ist unglaublich blau!“

Samantha lächelte. Goderich lag auf einer Anhöhe, und von einigen Stellen aus konnte man den Lake Huron sehen. Auch nachdem die Stadt durch einen Tornado schwer verwüstet worden war, war er immer noch der hübscheste Ort im Umkreis von vielen Meilen. Ihrer Ansicht nach zumindest.

„Welche Farbe haben Sie denn erwartet?“

„Ich weiß nicht …“ George grinste schief. „Wahrscheinlich grau.“

„Grau?“

„Der erste der Großen Seen, an denen ich vorbeikam, war der Lake Ontario. Ich besuchte damals meine Schwester in Toronto, wo sie Medizin studierte. Kann sein, dass ich gedacht habe, sie hätten alle die gleiche Farbe.“

„Ach, dann gehören Sie zu denen, die ein Buch nach dem Einband beurteilen?“

George verdrehte die Augen und schüttelte den Kopf. Samantha lachte auf. Er war im Moment so locker. Normalerweise war er wortkarg und distanziert! Unwillkürlich fragte sie sich, welche Seite von ihm wohl die echte war.

Die des reservierten, höflichen Mannes oder die des charmanten, humorvollen Draufgängers mit den funkelnden dunklen Augen, die sie so sehr verwirrten?

Was verbarg er hinter der zurückhaltenden Art? Oder wollte er andere Menschen einfach nur auf Abstand halten?

Sie erreichten die Stadt, fuhren direkt zum Krankenhaus und hielten vor der Notaufnahme.

„Haben Sie die Papiere?“, fragte Samantha, als sie ihren Sicherheitsgurt löste.

„Ja, hier.“ George hob das Klemmbrett und stieg aus.

Sie folgte ihm, aber noch bevor sie das Krankenhaus betreten konnten, kam ihnen ein Arzt entgegen.

„Wollen Sie Doris Hallman abholen?“, erkundigte er sich.

„Ja“, erwiderte Samantha. „Wir sollen sie nach London bringen.“

„Es tut mir leid, aber Sie waren bereits losgefahren, und Ihre Leute konnten Sie nicht erreichen. Mrs. Hallman ist heute Morgen verstorben.“

„Das tut mir leid.“ Samantha fragte sich, was mit ihrem Funkgerät los war, denn die Zentrale hatte sich nicht bei ihnen gemeldet.

George bat den Arzt, die entsprechenden Papiere zu unterzeichnen, dann machten sie sich wieder auf den Rückweg.

Außerhalb der Stadt grifft George nach dem Funksprechgerät und versuchte die Zentrale zu erreichen. Vergeblich. Es war nicht einmal ein statisches Rauschen zu hören.

„Das ist seltsam.“ Samantha runzelte die Stirn. „So etwas habe ich noch nie erlebt.“

„Was könnte die Ursache sein?“ George hängte das Gerät wieder in seine Halterung.

„Keine Ahnung …“ Sie sprach nicht weiter, da eine Warnleuchte am Armaturenbrett aufleuchtete und im selben Moment dunkler Rauch aus dem Motorraum quoll.

Sie fluchte unterdrückt, fuhr an den Straßenrand und schaltete die Warnblinkanlage ein. Als sie den Schalthebel auf Parken stellte, gab es ein schrecklich knirschendes Geräusch vom Getriebe her, und der Motor erstarb in einer Qualmwolke.

Na, wunderbar!

„Da haben wir wohl die Antwort“, meinte George lakonisch.

Er sprang aus dem Wagen, und Samantha entriegelte die Motorhaube, ehe sie ihm hinausfolgte.

„Was mag der Grund sein?“, fragte sie und wedelte den dichten Rauch fort.

„Ölverlust vielleicht. Aber warum auch noch das Funkgerät ausgefallen ist, ist mir schleierhaft.“

„Kennen Sie sich mit Reparaturen aus?“

George kratzte sich am Kopf. „Bei Flugzeugen ja, aber nicht bei Rettungsfahrzeugen. Und selbst wenn – wenn der Motor kaputt ist, könnte ich auch nichts machen.“

Samantha stöhnte. Großartig. Nun würde sie Adam erst viel später bei seinem Babysitter abholen können. Dabei hatte sie ihm versprochen, heute Abend pünktlich zu sein.

Sie holte ihr Handy heraus. Auch das war tot. Verdammt. Sie hatte vergessen, das blöde Ding aufzuladen.

„Es funktioniert nicht. Der Akku ist leer.“ Samantha steckte es wieder ein. „Können Sie mir kurz Ihr Handy leihen?“

„Ich besitze keins.“

„Sie haben kein Handy?“, rief sie ungläubig aus.

„Sehen Sie mich nicht so an.“ George lachte leise. „In meinem Apartment steht ein Festnetztelefon. Das genügt mir vollauf.“

„Ich kann nicht glauben, dass Sie kein Handy haben.“

„Warum nicht?“

„Jeder hat eins.“

„Offensichtlich nicht.“

Sie sah ihm an, dass ihm die Situation auch nicht gefiel. Er fuhr sich mit der Hand über den Kopf und fluchte leise. Ihr war ebenfalls danach, zu fluchen. Aber sie saßen hier fest, und einer von ihnen musste wohl losmarschieren.

Da tauchte ein Pick-up auf und blieb auf der anderen Straßenseite stehen. Ein Farmer mit verwittertem Gesicht kurbelte gemächlich das Seitenfenster herunter. „Brauchen Sie Hilfe?“

„Könnten wir vielleicht einmal Ihr Handy benutzen?“, bat Samantha.

George beugte sich zu ihr herüber. „Glauben Sie im Ernst, dass er ein Handy hat …“

Samantha unterdrückte ein Lächeln, als ihr der Farmer sein Smartphone entgegenstreckte. Sie ging hinüber und nahm es.

„Danke.“ Rasch wählte sie die Nummer der Zentrale.

Glücklicherweise meldete sich Lizzie. „Health Air and Land. Womit kann ich Ihnen helfen?“

„Ich bin es, Doxtator, Ambulanz 29956.“

„Samantha, was ist los? Wir versuchen schon die ganze Zeit, Euch zu erreichen.“

„Das Funkgerät ist ausgefallen, wir haben einen Motorschaden und stehen hier am Straßenrand. Und mein Handy ist nicht aufgeladen.“

„Kurz nachdem ihr losgefahren seid, hat das Krankenhaus angerufen. Aber ihr habt euch nicht gemeldet.“

„Tut mir leid.“

„Schon gut, ihr könnt ja nichts dafür. Wir sind froh, dass es euch ansonsten gut geht. Wo genau seid ihr?“

„Ungefähr fünf Kilometer südlich von Goderich auf dem Highway 21.“

„Okay, wir schicken einen Abschleppwagen und jemand, der euch aufsammelt.“

Samantha bedankte sich und beendete das Gespräch. Sie gab dem Farmer sein Handy zurück. „Vielen Dank für Ihre Hilfe.“

„Kein Problem. Soll ich Sie mitnehmen?“

„Nein, danke, das Abschleppkommando ist schon unterwegs.“ Sie deutete über die Schulter. „Wir müssen beim Rettungswagen bleiben.“

Der Farmer tippte an seinen Hutrand. „Freut mich, dass ich helfen konnte.“ Er winkte und fuhr davon, und Samantha kam über die Straße zurück.

George stand an einen Zaun gelehnt und kaute auf einem Grashalm. Sie lachte leise.

„Was gibt’s zu lachen?“

„Sie sehen aus wie ein typischer Hinterwäldler.“

„Dafür halten Sie mich doch sowieso schon, weil ich kein Handy besitze.“ Kurz spielte ein Lächeln um seine Lippen, und sie widerstand der Versuchung, ihm zu sagen, dass er ihr so gelöst viel besser gefiel, als wenn er sich so ernst gab.

Samantha mochte den jungenhaften Charme, den er ab und an zeigte. Ernste, bedrückende Dinge hatte es in ihrem Leben schon genug gegeben.

Das große Glück, das sie bei Cameron gefunden hatte, löste sich in nichts auf, als er an einem Tumor erkrankte. Der geliebte Mann, mit dem sie viel gelacht und den Alltag genossen hatte, veränderte sich völlig.

„Diese Behandlung wird helfen. Glaub mir.“ Sie wollte seine Hand berühren, aber Cameron riss sie zurück.

„Fass mich nicht an. Lass mich einfach zufrieden.“ Das Funkeln in seinen Augen war längst erstorben. Sie waren schwarz gerändert, lagen tief in den Höhlen. Sein Körper war schwach und knochig, all sein Humor verschwunden, aufgefressen vom Tumor …

„Und wieso sehe ich aus wie ein Hinterwäldler?“, durchbrach George ihre Gedanken.

„Der Grashalm in Ihrem Mund.“

George spuckte ihn aus. „Was sagt die Zentrale?“

„Sie schicken einen Abschleppwagen und einen Rettungswagen, der uns mitnimmt.“

„Wie lange wird das denn dauern?“, fragte er unerwartet brüsk, seine charmante Seite war wieder verschwunden.

„Keine Ahnung. Haben Sie es eilig?“

„Nicht unbedingt.“

Schweigen breitete sich aus. Samantha fühlte sich seltsam unwohl, verstand aber nicht, warum.

Zerbrich dir nicht den Kopf deswegen.

Da lachte George leise in sich hinein, und die Spannung löste sich.

„Was ist denn so lustig?“, fragte sie.

„Ich hätte wirklich nicht gedacht, dass der Mann ein Handy dabei hat, geschweige denn ein Smartphone.“

„Er hat’s Ihnen gezeigt, nicht wahr?“ Samantha zwinkerte ihm zu. „Für mich sind Sie der seltsame Typ, der nicht einmal ein Handy besitzt.“

Er zuckte mit den Schultern. „Ich will keins, und ich brauche keins.“

Samantha seufzte, als ihr etwas einfiel. „Oh, wie blöd, ich hätte meinen Babysitter anrufen und Bescheid geben können, dass ich mich verspäte.“

„Wer auch immer uns abholt, wird ein Handy haben, das Sie sich ausleihen können. Hoffentlich sind sie bald da.“ George warf einen Blick zum Himmel. „Immerhin haben wir gutes Wetter.“

„Stimmt. Es könnte ja auch regnen.“

„Sagen Sie nichts, sonst fängt es noch an zu gießen. Auf uns scheint heute ein Fluch zu liegen.“ Seine Augen blitzten humorvoll, und ihr wurden die Knie weich. So, wie George sie anblickte, fühlte sie sich wieder unbeschwert und jung. Auch wenn sie mit dreiunddreißig nun wirklich noch nicht zum alten Eisen gehörte …

„Na, vielen Dank!“ Wieder seufzte sie. „Zu dumm, dass die Panne nicht schon in der Stadt passiert ist.“

„Wieso denn? Es ist doch nett hier draußen. Weite Felder und der Blick aufs blaue Wasser.“

Samantha lachte. „Sie und Ihr blaues Wasser.“

„Es ist ja nicht so, dass ich kein blaues Wasser kenne. Nur, dass es dort oben im Norden eben Salzwasser ist.“ Er drehte sich um und breitete die Arme aus. „Ehrlich gesagt, finde ich es hier ziemlich beeindruckend.“

Ich glaube, wo du herkommst, ist die Landschaft auch ziemlich beeindruckend. Aber sie behielt den Gedanken für sich und fragte stattdessen: „Warum sind Sie eigentlich ausgerechnet hierhergekommen?“

„Ich möchte lernen, einen Rettungswagen zu fahren, und nach der Ausbildung als Sanitäter in einer Stadt arbeiten. Möglichst in Thunder Bay.“

„Sie wollen im Norden bleiben?“

George nickte. „Ja, ich glaube, der Norden liegt mir einfach im Blut.“

„Aber warum werden Sie dann nicht …?“

„Ich will nicht fliegen.“ Und da war sie wieder, die fast feindselige Anspannung.

„Tut mir leid, ich wollte Ihnen nicht zu nahe treten. Es ist nur so, dass der Norden von Ontario größtenteils allein mit dem Flugzeug zu erreichen ist.“

„Das weiß ich“, erwiderte er ruhig. „Aber meine Entscheidung ist gefallen.“ Er entfernte sich ein paar Schritte von ihr und kickte dabei Kiesel fort.

Samantha bedauerte es, das Thema wieder angesprochen zu haben, andererseits war sie unglaublich neugierig. Er wollte im Norden arbeiten, war mit Leidenschaft bei seinem Job, und er hatte einen Pilotenschein. Aber er wollte partout nicht mehr fliegen.

War während eines Fluges irgendetwas passiert?

Es musste etwas Dramatisches gewesen sein.

Aber steht es ausgerechnet mir zu, nachzubohren?

Wohl kaum.

Camerons Tod hatte sie am Boden zerstört. Es dauerte lange, bis sie sich wieder gefangen hatte. Jahrelang lebte sie nur dahin. Manchmal fragte sie sich, ob diese Phase überhaupt schon vorbei war. Sie hatte sich so sehr daran gewöhnt.