Like me. Jeder Klick zählt - Thomas Feibel - E-Book

Like me. Jeder Klick zählt E-Book

Thomas Feibel

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Beschreibung

Jana, die Neue in Karos Klasse, ist ein richtiger Jungsmagnet. Außerdem hat sie ein iPhone, ist immer online und auf dem besten Weg, Moderatorin einer neuen Internet-TV-Show zu werden. Dafür muss sie nur möglichst viele Sympathiepunkte in dem Social-Media-Network "On" sammeln. Karo und ihr heimlicher Schwarm Eddi – der offensichtlich in Jana verknallt ist – helfen ihr dabei, indem sie die verrücktesten Dinge posten. Doch irgendwann wird aus dem Spiel bitterer Ernst – und nichts ist mehr so, wie es schien.

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Dies ist ein Roman. Alle Hinweise auf reale Personen oder Örtlichkeiten stehen in einem fiktiven Kontext. Namen, Charaktere, Orte und Geschehnisse entspringen der Fantasie des Autors und jede Ähnlichkeit zu tatsächlichen Ereignissen, Örtlichkeiten, lebenden oder verstorbenen Personen ist zufällig. Carlsen-Newsletter Tolle neue Lesetipps kostenlos per E-Mail!www.carlsen.de Alle Rechte vorbehalten. Unbefugte Nutzungen, wie etwa Vervielfältigung, Verbreitung, Speicherung oder Übertragung, können zivil- oder strafrechtlich verfolgt werden. In diesem E-Book befinden sich Verlinkungen zu Webseiten Dritter. Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass sich die Carlsen Verlag GmbH die Inhalte Dritter nicht zu eigen macht, für die Inhalte nicht verantwortlich ist und keine Haftung übernimmt. Veröffentlicht im Carlsen Verlag 2013 Copyright © 2013 Carlsen Verlag Umschlagbild: photocase.com © Shuwal | Leuchtspur.at / iStockphoto.com © Jimena Catalina Umschlaggestaltung: formlabor Corporate Design Taschenbuch: bell étage Satz und E-Book-Umsetzung: Dörlemann Satz, Lemförde ISBN 978-3-646-92514-2 Alle Bücher im Internet unterwww.carlsen.de

»MACH MIT, SAMMLE FREUNDE, SEI ON SHOW«

Ich muss dir etwas erzählen, aber es darf wirklich niemand erfahren. Nur dir kann ich noch vertrauen. Ich weiß, dass bei dir ein Geheimnis auch ein Geheimnis bleibt – und es nicht gleich die ganze Welt erfährt. Wenn du dich nicht mehr auf deine Freunde verlassen kannst, auf wen dann? Heute frage ich mich allerdings, ob Jana und ich jemals wirklich Freundinnen waren …

Jana kam nach den Sommerferien neu aus Hamburg zu uns in die Klasse. Seitdem sie auf dem freien Platz neben mir saß, sahen plötzlich alle Jungs ständig in unsere Richtung. Einige wagten nur heimliche Blicke, andere starrten und einem Teil schien erst durch Jana aufgegangen zu sein, dass es überhaupt so etwas wie Mädchen an der Joseph-Weizenbaum-Gesamtschule gab. Die Mädels dagegen ahmten sie entweder nach oder hassten sie.

Denn Jana-Maria Wolf sah einfach unglaublich gut aus. Ihre langen blonden Haare stylte sie immer wieder anders: mal offen und glatt, mal lockig, mal hochgesteckt oder mit eingeflochtenen, feinen Zöpfen. Sie schminkte sich jeden Tag und trug immer Schuhe mit hohen Absätzen. Ich schwöre dir: Unter zehn Zentimetern machte es Jana nie. Dabei überragte sie uns alle mit ihren 14 Jahren sowieso schon um einen halben Kopf. Ich dagegen hatte immer die gleiche braune Wuschelfrisur, die gleichen Ringelshirts, Jeans und Turnschuhe. Um eine Sache beneidete ich sie besonders: Während ich noch mindestens bis zu meinem dreizehnten Geburtstag gezwungen war meine feste Stacheldraht-Zahnspange zu tragen, hatte sie von Natur aus perfekt geformte, weiße Zähne, die sie beim Lächeln zeigte. Bloß lächelte Jana fast nie. Ganz im Gegenteil: Meistens wirkte sie total abweisend. Deshalb kam auch anfangs niemand so richtig an sie heran. Obwohl ich tagtäglich an ihrer Seite hockte, wechselten wir nur wenige Worte miteinander. Ein richtiges Gespräch mit ihr war ohnehin kaum möglich, weil sie ununterbrochen mit ihrem iPhone herumspielte, das in einer pinkfarbenen Schutzhülle mit falschen Edelsteinen steckte. Ich selbst besaß nur so eine alte, verschrammte Gurke. Wegen des strengen Handyverbots an unserer Schule lag sie meistens irgendwo ausgeschaltet tief in meiner Tasche vergraben. Aber Jana machte sich nichts aus Regeln. Andauernd ging sie mit dem Ding online. Sogar während des Unterrichts, ohne dabei jemals von einem Lehrer erwischt zu werden. Entweder hatte gerade irgendjemand auf ON etwas gepostet oder sie schrieb selbst ein paar Zeilen. Aber vielleicht hätte ich das ja ebenso gemacht, wenn ich nach einem Umzug meinen alten Freundeskreis vermisst hätte.

Jana und ich kamen uns erst näher, als ich mich zu Hause am Computer meiner Eltern auch auf dem sozialen Netzwerk ON anmeldete. Unter meinem Echtnamen Karo Lipschitz schickte ich ihr meine allererste Freundschaftsanfrage. Zu meiner Überraschung flatterte nur wenige Sekunden später eine Bestätigung von ihr herein. Jana hatte schon über 400 Freunde, während ich nach meinem ersten Tag auf ON gerade mal auf zwölf kam. Cousins und Cousinen, die ich nicht mal sonderlich leiden konnte, bereits mitgezählt. Neugierig klickte ich mich durch ihre endlosen Bildergalerien. Am meisten beeindruckten mich dabei die Fotos von ihrem Zuhause: Jana in einem parkähnlichen Garten mit Anlegeplatz und Segelboot, Jana an einem großen Swimmingpool. Und immer das iPhone in der Hand.

Kurz: Für mich war Jana das perfekte Mädchen, das alles hatte. Es gab in ihrem Leben nur einen echten Schönheitsfehler: Sie war in der Schule nicht gerade gut und in Sachen Mathematik sogar unglaublich schlecht.

»Warum hast du eigentlich keinen Nachhilfelehrer?«, erkundigte ich mich bei Jana nach der Schule.

»Mein Dad will das grundsätzlich nicht«, antwortete sie unkonzentriert und tippte eifrig auf ihrem iPhone herum. Dabei benutzte sie mich wie einen Blindenhund: Sie lief, wenn ich lief, und sie blieb stehen, wenn ich stehen blieb. »Er findet, dass ich es aus eigenem Antrieb schaffen muss. Ehrgeiz geht ihm nun mal über alles.«

»Meine Eltern ticken da völlig anders«, wunderte ich mich. »Die sparen immer an allem, doch sobald ich mit nur einer Drei nach Hause komme, suchen sie mir sofort eine Nachhilfe.«

Ich sah kurz zu Jana rüber. Da sie die ganze Zeit fleißig weiterschrieb, wusste ich nicht, ob sie mir überhaupt zugehört hatte.

»Na ja …«, antwortete sie mit einiger Verspätung, ohne aufzuschauen. »Es kann ihm ja auch als Besitzer einer international erfolgreichen Fotoagentur einfach total peinlich sein, dass seine Tochter nicht bis drei zählen kann.«

Das passte zu dem Angeber im dunklen Anzug, dachte ich insgeheim, der sie ab und zu im silbernen Porsche von der Schule abholte.

»Umso besser«, versuchte ich sie aufzumuntern, »dass wir jetzt unsere eigene Mathegruppe gegründet haben!«

Die Idee war mir kürzlich gekommen, als Jana nachmittags im Chat auf ON mal wieder über die bevorstehende Mathearbeit gejammert hatte. Ivo würde dabei sein und auch Eddi. Mindestens zweimal die Woche wollten wir üben, so jedenfalls unser Plan. Und das allererste Treffen sollte an diesem Tag bei mir stattfinden, da ich am nächsten an der Weizenbaum-Schule dran wohnte.

Jana blieb skeptisch. »Ich glaube ja nicht, dass mir das hilft. Die Welt der Zahlen verstehe ich so wenig wie chinesische Schriftzeichen. Ist es eigentlich noch sehr weit?« Sie schwenkte ihr Telefon in der Luft. »Mein Akku macht gleich schlapp.«

Tschüss Kinderzimmer

Ich war an diesem Tag ehrlich gesagt ganz schön aufgeregt. Noch nie hatte mich Jana besucht. Natürlich konnte mein Zimmer niemals mit ihrem mithalten. Die tollen Fotos auf ON gingen mir einfach nicht mehr aus dem Kopf: Ihre Eltern mussten ihr das komplette Dachgeschoss der Villa ausgebaut haben. Tja, an Geld schien es Familie Wolf nicht gerade zu mangeln. Meine neue Mitschülerin lebte praktisch in einer eigenen Wohnung voller stylischer Möbel und einem riesigen Bad mit frei stehender Wanne. So etwas kannte ich sonst nur aus den Luxus-Einrichtungszeitschriften im Architektenbüro meines Vaters.

Danach musste ja der anschließende Vergleich mit meinen eigenen vier Wänden vernichtend ausfallen: das reinste Kinderzimmer! Was war mir also anderes übrig geblieben, als meine sämtlichen Spielsachen in Kartons zu packen und sie höchstpersönlich in den Keller zu tragen. Auch hatte ich mich schweren Herzens von der vermutlich größten Katzenpostersammlung der Welt getrennt und anschließend meinen Vater bearbeitet, mit mir zusammen mein Zimmer am Wochenende zu renovieren. Er hatte mir dann sogar einen neuen Schreibtisch, ein Regal und einen bunten Läufer von IKEA spendiert und mir zur Krönung noch sein altes Notebook überlassen, auf das ich schon immer scharf gewesen war. Endlich musste ich weder ihn noch meine Mutter extra fragen und konnte jetzt auch mal unbeobachtet auf ON gehen.

Wie würde Jana jetzt darauf reagieren? Kritisch schaute sie sich in meinem frisch verwandelten Zimmer um, das immer noch ein wenig nach Farbe roch, und schlüpfte aus ihrem Sommermantel. Jana sah richtig elegant aus. Sie kannte jede Menge cleverer Tricks, um auch stinknormale H&M-Klamotten aufzupeppen. Zum Beispiel mit Gürteln, Ketten und Tüchern.

»Unglaublich«, rief sie schließlich und wies auf mein Bett. »Du hast immer noch Kuscheltiere?«

Ich starrte überrascht meinen rosa Hasen mit dem fehlenden Ohr an, der mitten auf dem Kopfkissen thronte. Den musste meine Mutter heute beim Bettenmachen dahin gesetzt haben.

Ich wollte rasch eine witzige, entschuldigende Bemerkung machen, aber bevor ich überhaupt ein Wort herausbringen konnte, machte Jana mit ihrem iPhone ein Foto. Stolz grinsend hielt sie mir den Schnappschuss hin: »Schau dir mal dein Gesicht an!« Zufrieden stöpselte sie ihr Gerät in die Steckdose, um es aufzuladen. »Super. Das Bild kannst du gleich als neues Profilfoto auf ON verwenden.«

Oh Mann, das hättest du sehen müssen: Passend zu den hektischen roten Flecken in meinem geschockten Gesicht leuchtete im Hintergrund mein Stoffhase in schönstem Rosa.

Dann klingelten die Jungs.

Mathe mit Ivo und Eddi

Vermutlich gibt es an jeder Schule diesen einen unglaublichen Schüler, der einfach in jedem Fach den absoluten Durchblick hat. Ihm leuchten selbst die kompliziertesten Dinge ein und oft verblüfft er sogar die Lehrer mit seinem Expertenwissen.

Bei uns hieß dieses Universalgenie Ivo Zlivac. Der 13-Jährige war praktisch Google auf zwei Beinen, was ihn aber nicht unbedingt beliebt machte. Die meisten Mädchen unserer Klasse ignorierten ihn mehr oder weniger, obwohl er an sich ganz okay aussah: dunkle Haare, nicht gerade groß, dafür jedoch durchtrainiert. Denn Ivo spielte Fußball im Nachwuchsverein von Hertha. Mehr Freunde brachte ihm das trotzdem nicht ein. Höchstens mit Eddi ging er ab und zu ins Kino. Er blieb nun mal ein waschechter Nerd ohne jeglichen Sinn für Humor, der immer alles einen Tick zu ernst nahm. Sicher kannst du dir vorstellen, dass es mir nicht leichtgefallen war, Ivo wegen der Mathenachhilfe zu fragen. Und dann auch noch persönlich, weil er sich schon aus Prinzip so Dingen wie ON und anderen sozialen Netzwerken komplett verweigerte. Erstens hatte ich bisher noch nie wirklich mit ihm geredet und zweitens wirkte sein Gesicht oft so ausdruckslos, dass es mich völlig verunsicherte. Ivo hatte mich eine Weile mit seinen dunklen Augen angesehen, die Lippen stumm aufeinandergepresst, bis sie ganz weiß wurden, und dann schließlich genickt. Du wirst lachen, aber so sah wirklich unser allererstes ›Gespräch‹ aus.

»Lasst uns lieber gleich anfangen«, drängelte Ivo sofort, als er mit Eddi mein Zimmer betrat. Er stellte seinen Rucksack und seine Sporttasche ab. »Ich habe nur wenig Zeit und muss nachher noch zum Training.«

»Keine Sorge, meine Damen.« Eddi zog seine rote Kappe vor uns und machte dazu eine affige Verbeugung, wobei ihm seine dunkelblonden Haare ins Gesicht fielen. »Mein Topmodel-Körper steht euch den ganzen Tag zur Verfügung.« Damit zog er sein grünes Totenkopf-T-Shirt bis zum Nabel hoch und streckte seinen an sich flachen Bauch zu einer unglaublichen Kugel heraus.

»Eddi«, stöhnte ich, »das ist voll peinlich!« Kaum zu glauben, dass wir beide gleich alt waren.

»Das ist nicht peinlich«, widersprach er strahlend, »sondern mein durchtrainierter Waschbärbauch.«

Eddi machte immer so seltsame Wortspiele. Er sagte zum Beispiel »Lötzinn« statt »Blödsinn« oder »Kakerlakak« statt »Papperlapapp«. Obwohl das eigentlich überhaupt nicht witzig war, lachte er sich dann über seine eigenen Sprüche kaputt – und das steckte an. Mich zumindest. Jana dagegen schenkte ihm keinerlei Beachtung. Vielleicht, weil sie seinen speziellen Humor noch nicht so gut verstand. Na ja, ich hatte dafür auch eine ganze Weile gebraucht und wurde sogar heute noch nicht immer aus ihm oder seinen merkwürdigen Scherzen schlau.

Zum Beispiel ging Eddi nie ohne seine riesigen, orangefarbenen Kopfhörer aus dem Haus. Darum wollte ich einmal von ihm wissen, was er so für Musik hörte.

Eddi: »Coole Musik.«

Ich: »Na toll. Und was ist coole Musik?«

Eddi: »Na, Musik, die ich höre.«

Und dann hatte er gegrinst. Unwiderstehlich gegrinst. Falls du verstehst, was ich meine.

So viel kann ich schon mal verraten: Ich mag Eddi.

Ich hatte ihn gleich nach Jana auf ON angeschrieben. Dort postete er ausschließlich Cartoons oder legte mit einem Comic-Programm irgendwelchen Leuten schräge Sprechblasen in den Mund.

Also gut, ich will absolut ehrlich zu dir sein: Eigentlich war die Mathegruppe für Jana bloß ein Vorwand, um mehr Zeit mit Eddi verbringen zu können. Damit er das nicht sofort durchschaute, musste eben noch Ivo mit. Ich hatte Eddi allerdings schon vorher auf ON gefragt, ob er unserer ›Mathegruppe‹ beitreten wolle. Denn obwohl er auf den ersten Blick wie ein unreifer Klassenkasper rüberkam, waren seine Noten gar nicht so übel. So weit mein ausgeklügelter Plan. Bloß schien mir leider eine winzige Kleinigkeit entgangen zu sein: Eddi stand auf Jana. Sogar auf ON war er bereits vor mir mit ihr befreundet gewesen. Aber bis mir aufging, dass er in der Schule immer wegen ihr und nicht wegen mir in der Nähe unseres Tisches herumhing, war es schon zu spät.

Jetzt schleuderte er seinen Rucksack quer über den Boden, so dass er durchs Zimmer schlitterte, bis er von meinem Bett gebremst wurde. Meinen peinlichen Hasen hatte ich gerade noch rechtzeitig unter das Kissen gestopft. Nur Jana hätte mich verraten können und genau in diesem Moment hielt sie uns allen ihr iPhone entgegen.

»Leute«, rief sie mit leuchtenden Augen und wurde in ihrer Begeisterung allein vom zu kurzen Stromkabel gebremst. »Das müsst ihr euch unbedingt ansehen.«

Aus ON wird »ON SHOW«

»Das glaubt ihr nie!«, platzte es aus Jana heraus. »Die machen jetzt eine eigene Fernsehsendung im Internet!«

»Wer die?«, hakte ich rasch nach, damit bloß nicht doch noch mein Stoffhase zur Sprache kam.

»ON natürlich«, klärte sie uns auf. »Hab ich’s doch gleich gewusst, dass etwas an den Gerüchten dran ist.«

Typisch Jana. Niemand besaß so ein unglaubliches Spezialwissen zu ON wie sie.

Wer nutzte alle Funktionen auf ON?

Jana.

Wer probierte immer die allerneuesten Funktionen auf ON aus?

Jana. Jana.

Wer konnte praktisch über nichts anderes mehr reden als über ON?

Jana. Jana. Jana.

Dabei kannte ihr Eifer keine Grenzen. Einmal hatte sie allen Ernstes unseren Klassenlehrer Dr. Archibald gefragt, ob er nicht in Zukunft seine Hausaufgaben über ON aufgeben könne. Und als er ablehnte, versuchte sie ihn auf SMS herunterzuhandeln. Natürlich vergeblich. Als Klassenlehrer ist Doc Archibald wirklich okay. Aber seinen Computer nutzt er anscheinend nur zum Schreiben, mit dem Internet kennt er sich jedenfalls nicht aus.

»Aus ON wird jetzt ON SHOW«, fuhr Jana fort. »Die ändern ihren Namen und werden noch cooler. Oder habt ihr schon von einem sozialen Netzwerk mit eigener Online-Show gehört?« Jana wartete unsere Antwort erst gar nicht ab. »Die machen weltweit in fast jedem Land ein Casting und wollen schon in drei Monaten auf Sendung gehen. Nur für Mitglieder!«

Sie verschränkte die Arme und klemmte dabei ihre langen, klimpernden Ketten ein. »Und jetzt ratet mal, wer in Deutschland der Star-Moderator der ON SHOW wird!«

Ratlos sah ich Ivo an, der bereits seine Mathesachen auspackte und auf mein Bett legte.

»Sponge Bob«, rief Eddi und lachte über seinen Einfall.

Jana überhörte ihn einfach. »Na ich!«, verkündete sie. »Wer denn sonst?!«

Für einige Sekunden verschlug es uns die Sprache. Mein Lächeln fror ein und selbst Eddi und Ivo blieben die Münder offen stehen.

»Wie sind die denn ausgerechnet auf dich gekommen?«, wollte ich wissen.

Jana schaute mich mit ihrem Du-Dummerchen-Blick an. »Noch gar nicht, Schätzchen.« Sie zerrte an dem viel zu kurzen Aufladekabel und hielt ihr iPhone hoch. »Ich weiß zwar, dass Jana Superstar das neue Gesicht von ON SHOW wird, nur die von ON SHOW wissen es noch nicht.«

Ich lachte verblüfft. Ihr unglaublich großes Selbstvertrauen erstaunte mich immer wieder. Schon damals beim Anmelden auf ON war ich über ihren Nutzernamen »Jana Superstar« gestolpert. Bescheidenheit sah anders aus.

»Hä?« Eddi schaute sie unsicher an. »Wie jetzt? Verarschst du uns?«

»Nein.« Jana deutete auf ihr Handy. »Ich hab’s zwar nur schnell überflogen, aber soweit ich das verstehe, darf sich jeder ON-Nutzer fürs Casting bewerben.« Sie drehte das Display, so gut es ging, zu uns. »Da steht’s: Du bist ON SHOW!«

»Meinst du mich?!« Eddi grinste. »Bin dabei.«

»Und ich auch«, fügte ich hinzu. »Was müssen wir denn machen?«

»Ihr?« Jana winkte spöttisch ab. »Gar nichts. Überlasst einfach mir das Feld.« Laut las sie die Teilnahmebedingungen vor:

Post the Most: Gesucht wird der ON-SHOW-Nutzer, der im Netz das öffentlichste Leben führt, die meisten ON-SHOW-Freunde gewinnt und den größten Zuspruch der ON-SHOW-Mitglieder erhält.

Sie nickte uns triumphierend zu. »Also ich.« Dann fuhr sie fort:

Die ON-Community wird zur ON-SHOW-Community und entscheidet mit Hilfe der brandneuen ON-SHOW-Punkte, wer der heiße Star-Moderator der Web-TV-Sendung ON SHOW wird. Sammle Fans, sammle Punkte und vergiss nicht: Post the Most!

Jana flatterte aufgeregt mit der freien Hand herum, als hätte sie ihre Fingernägel frisch lackiert. »Post the Most!« kreischte sie begeistert. »Das wird bestimmt der totale Knaller!«

»Post the Most?«, entgegnete Ivo trocken. »Das wird bestimmt der totale Beschiss.«

Und?! Habe ich es nicht gesagt? Ivo ist und bleibt einfach eine echte Spaßbremse.

Jana wurde auf der Stelle stocksauer. »Woher willst ausgerechnet du das denn wissen?«, fragte sie ihn gereizt. »Du bist doch nicht mal angemeldet!«

»Nur so ein Gefühl.« Ivo hob die Hefte hoch. »Fangen wir jetzt mit Mathe an?«

»Hey Jana«, meinte Eddi versöhnlich. »Lass dir nicht von Ivo die gute Laune verderben. Wir sind jedenfalls dabei. Stimmt’s, Karotte?«

Normalerweise ärgerte es mich total, wenn mich Eddi »Karotte« nannte, aber gerade jetzt war ich von der Idee, bei der ON SHOW mitzumachen, viel zu begeistert. »Vielleicht gewinnen wir ja alle zusammen«, rief ich, »und wir drei werden die Star-Moderatoren!«

»Wie denn?«, fragte Jana leicht genervt, als wollten wir ihr nur den Thron streitig machen. »Ihr habt ja nicht einmal ein iPhone. Wer das öffentlichste Leben führen will, braucht nun mal so ein Gerät«, belehrte sie uns. »Es ist wie ein digitales Tagebuch, das du ständig und überall einsetzen kannst. Einfach die Kamera draufhalten, Texte tippen, posten, fertig. Sonst habt ihr doch sowieso nicht die geringste Chance.«

Jana hatte Recht. Mit meinem alten Gurkenhandy würde ich keinen Blumentopf gewinnen. Von meinen Eltern war in dieser Hinsicht auch nichts zu erwarten, schon gar nicht, nachdem sie mir das alte Notebook überlassen hatten. Mein Vater fand sowieso, dass ich viel zu viel Zeit im Internet verbrachte. Der sollte erst mal Jana sehen! Die postete vermutlich sogar noch im Schlaf weiter. Und Geld besaß ich blöderweise auch keins mehr. Bei der Renovierungsaktion hatte ich mir gerade zwei Magnetwände bei IKEA gekauft. Der Rest war für Süßigkeiten, Zeitschriften und eben so Kleinkram draufgegangen. Ja, ich weiß schon, ich müsste mal dringend mit dem Sparen anfangen. Aber irgendwie klappt das einfach nie.

»Ich habe ja nicht einmal ein Handy«, gestand Eddi zerknirscht.

Jana wies auf den fetten Kopfhörer, der um Eddis Hals lag. »Und womit hörst du dann die ganze Zeit Musik?«

Verschämt zog er ein feuerzeuggroßes Ding aus seiner Hosentasche: »Mit meinem MP3-Player.«

»Wie jetzt! Du hast gar kein Handy?«, staunte Jana. »Auch noch nie eins besessen?!«

Offensichtlich war es ihr ein absolutes Rätsel, wie jemand auch nur einen einzigen Tag ohne iPhone überleben konnte.

»Doch«, antwortete er knapp. »So ein stinknormales. Das hab ich bloß verloren.« Er grinste breit. »Aber denk nur nicht, dass ich mich von solchen Kleinigkeiten aufhalten lasse. Meine Eltern haben mir schließlich auch ON verboten und ich mache es trotzdem. Und im Kontakteknüpfen bin ich sowieso Weltmeister.« Eddi lüftete kurz seine Kappe. »Schließen wir einen Pakt«, schlug er vor. »Wir drei wollen immer zusammenhalten und uns immer gegenseitig Punkte geben. Ganz gleich, was der andere postet.«

»Gute Idee«, befand Jana. »Also, falls ihr das irgendwie schafft. Wenn aber doch nur einer gewinnen kann oder einer von uns aufgibt, müssen die anderen demjenigen mit den besten Gewinnchancen ihre Punkte abtreten. Einverstanden?«

»Abgemacht«, sagte Eddi und hielt die Hand in die Mitte. »Post the Most!«

»Post the Most!«, schlugen Jana und ich ein.

Erwartungsvoll sahen wir zu Ivo. Der presste wie so oft die Lippen zusammen.

»Was ist?«, erkundigte sich Eddi. »Machst du jetzt mit?«

Ivo schüttelte den Kopf. »Leute, lasst mich da raus. Ich habe ein echt volles Programm. Schule und Fußball kosten mich sehr viel Zeit und Energie.«

»Ja, und?« Jana befreite ihre Hand aus Eddis Umklammerung. »Das Posten erledigst du doch praktisch nebenbei.«

»Das glaube ich kaum«, widersprach Ivo ernst. »Ich sehe es doch schon allein bei euch: ON verschlingt locker zwei Stunden am Tag. Mit ON SHOW und der neuen Punktejagd wird’s sogar noch mehr. Und das ist es mir nicht wert. Also was ist? Wollen wir jetzt Mathe üben oder was?«

»POSTE VIEL, POSTE ALLES«

Weißt du, was am Anfang mein größtes Problem auf ON beziehungsweise ON SHOW war? Ich hatte einfach viel zu wenige Freunde. Von der Sammelleidenschaft gepackt verbrachte ich Stunde um Stunde im Internet, auf der Jagd nach neuen Kontakten. Das fiel mir wahnsinnig leicht, weil sich ja die halbe Welt und vor allem die ganze Weizenbaum-Gesamtschule im großen ON-SHOW-Fieber befand: Jeder der über 800 Schüler addete einfach jeden. Bis auf das Universalgenie Ivo hatte ich unsere gesamte Klasse zu meinen Freunden gemacht – und sie mich. Dazu kamen unsere Parallelklasse und ein paar Schüler aus den höheren Stufen. Ich ging sogar noch einen Schritt weiter und gab im Suchfenster die Namen all unserer Lehrer ein. Doch einzig unsere junge, neue Kunstlehrerin Frau Olthoff fand ich noch auf ONSHOW. Das wunderte mich nicht. Schließlich war sie eine echte Ausnahmeerscheinung an unserer Schule: Zum Beispiel durften wir alle »Sabine« und »du« zu ihr sagen und allein ihr war zu verdanken, dass wir eine Klassenreise nach Paris planten, um dort den Louvre und seine Kunstwerke zu besuchen. Sabine hatte meine Anfrage mit den Worten »Gerne, Karo. Schön, dass wir uns auch hier sehen« sofort akzeptiert.

Bald konnte ich an nichts anderes mehr denken, als immerzu meinen Freundeskreis zu erweitern. Nichts schien mir zu peinlich. Ich schrieb sogar die Bekannten meiner Eltern und deren Kinder und auch noch meinen Kinderarzt an.