Like You and Me - Kim Nina Ocker - E-Book

Like You and Me E-Book

Kim Nina Ocker

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Beschreibung

Willkommen an der Upper East Side, wo Geld, Macht und Status zählen ... und nicht das, was dein Herz dir sagt

Lexie Clark ist jung, tough und ehrgeizig. Ihr großes Ziel ist es, ihren Modeblog bekannt zu machen und in die elitären Kreise der Upper East Side aufzusteigen. Denn sie wünscht sich nichts sehnlicher, als endlich die finanziellen Mittel zu besitzen, um sich um ihre Familie kümmern zu können. Ablenkung kann sie gerade überhaupt nicht gebrauchen - vor allem nicht, wenn sie in Form eines Barkeepers namens Trip Young kommt. Doch Trip hat sich in ihr Herz geschlichen, bevor sie etwas dagegen tun konnte. Dabei hat er keine Ahnung von den dunklen Geheimnissen, die sie mit sich herumträgt ... und die ihre Liebe - da ist Lexie sich sicher - früher oder später zerstören werden.

Band 2 der Upper-East-Side-Reihe


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Inhalt

TitelZu diesem BuchWidmung123456789101112131415161718192021222324252627282930313233343536DanksagungDie AutorinKim Nina Ocker bei LYX.digitalImpressum

KIM NINA OCKER

Like You and Me

Roman

Zu diesem Buch

Willkommen an der Upper East Side, wo Geld, Macht und Status zählen – und nicht das, was dein Herz dir sagt …

Lexie Clark ist jung, tough und ehrgeizig. Ihr großes Ziel ist es, ihren Modeblog bekannt zu machen und in die elitären Kreise der Upper East Side aufzusteigen. Denn sie wünscht sich nichts sehnlicher, als endlich die finanziellen Mittel zu besitzen, um sich um ihre Familie kümmern zu können. Ablenkung kann sie gerade überhaupt nicht gebrauchen – vor allem nicht, wenn sie in Form eines Barkeepers namens Trip Young kommt. Doch Trip hat sich in ihr Herz geschlichen, bevor sie etwas dagegen tun konnte. Dabei hat er keine Ahnung von den dunklen Geheimnissen, die sie mit sich herumträgt … und die ihre Liebe – da ist Lexie sich sicher – früher oder später zerstören werden.

Für Tarik

DONNERSTAG, 13. JULI

Die Wohnung war besorgniserregend still, als ich aufschloss und den schmalen Flur betrat. Unsere Zwei-Zimmer-Bruchbude in Hell’s Kitchen war zugig und vor allem hellhörig. Doch nichts rührte sich. Es war spät und ziemlich wahrscheinlich, dass Dad bereits ins Alkoholkoma abgedriftet war, allerdings hätte er sich in diesem Fall niemals die Mühe gemacht, Lichter und Fernseher auszuschalten. Dass ich weder ihn noch den Fernseher hörte, ließ mich vor Angst einen Moment innehalten. Mechanisch stellte ich meine Tasche auf dem Boden ab und löste meine Armbanduhr, nahm meine Ohrringe heraus, streifte mir die Ringe von den Fingern und band meine Haare nach hinten. Eine Prozedur, die ich mir im Laufe der letzten Jahre angewöhnt hatte, was den Verdacht in mir weckte, dass ich allmählich eine Zwangsneurose entwickelte. Doch nachdem ich bei meinen zahlreichen Dad-Rettungsaktionen sowohl büschelweise Haare als auch ziemlich viel Schmuck hatte einbüßen müssen, ging ich auf Nummer sicher.

»Dad?«, rief ich und lief durch den Flur. Unsere Wohnung bestand aus einem Korridor, einem Wohn-Schlaf-Esszimmer, einem Bad und einem Schlafzimmer. Ich brauchte nicht lang, um jeden Raum abzuchecken. Das Wohnzimmer war leer, genau wie das Bett und der Fußboden davor. Ab und an schaffte der Mann es nicht einmal mehr auf die Matratze und pennte einfach auf dem Laminatboden ein.

Mit klopfendem Herzen ging ich zurück ins Wohnzimmer. Vielleicht war Dad von der Couch gerollt und ich hatte ihn von der Tür aus nicht gesehen. Nichts. Der Fernseher war ausgeschaltet und die übliche allabendliche Verwüstung war anscheinend ausgeblieben. Was bedeutete, dass Dad schon seit ein paar Stunden nicht mehr in der Wohnung war.

Ich legte meinen Modeschmuck auf die abgegriffene Küchentheke und öffnete den oberen Hängeschrank. Er konnte es nicht gefunden haben, unmöglich. Ich versteckte das Geld jeden zweiten Tag an einer anderen Stelle, wenn ich es nicht sogar mit mir herumtrug. Seit meine Mutter einmal sämtliche gemeinsamen Konten hatte sperren lassen, war ich ein wenig paranoid und behielt mein Geld lieber in bar. Gestern hatte ich das Bündel zusammengerollter Scheine in einer Dose unter den Teebeuteln vergraben. Dad trank niemals Tee.

Mit zitternden Händen holte ich die unscheinbar wirkende Dose mit Blumenmuster zu mir herunter und starrte sie ein paar Sekunden lang an. Dann hob ich den Deckel und kippte den Inhalt neben meinem Schmuck aus. Teebeutel fielen heraus und landeten mit einem leisen Rascheln auf den Dielen zu meinen Füßen. Keine Scheine.

»Fuck!«, schrie ich und schleuderte die Dose zur Seite. Mit einem Scheppern prallte sie von der Wand ab und landete auf dem Fußboden. Die war hinüber, doch das war im Moment wirklich nicht mein Problem.

Ich kämpfte gegen den Drang an, auf etwas einzuschlagen, und atmete ein paarmal tief durch. Ich musste nachdenken. Dad war aus, hatte das Geld mitgenommen und er war sicherlich nicht zum Wochenmarkt gegangen. Er war wie ein Trüffelschwein, nur dass er auf der Suche nach Schnaps war. Er würde meine Haushaltskasse innerhalb von ein paar Stunden verschleudern.

Ich musste ihn finden, so viel stand fest. Nicht nur wegen des Geldes, auch um seinetwegen. Gott allein wusste, was ihm alles passieren konnte, wenn er betrunken und mutterseelenallein in einer Stadt wie New York herumrannte. Sie war wie ein wütendes Untier, die die Schwachen verschlang, sobald sie die Gelegenheit dazu bekam, während die Schönen und Reichen verehrt wurden. Leider hatten Aktionen wie diese mir in der Vergangenheit bewiesen, dass ich meinen Vater nicht allein nach Hause bringen konnte, selbst wenn ich ihn fand. Dad mochte ein Wrack sein, doch sobald es um Alkohol ging, entwickelte er beinahe übermenschliche Kräfte.

Hektisch atmend zog ich mein Handy aus der Hosentasche. Ich versuchte mich zu konzentrieren, während meine Sicht verschwamm. Meine Finger wischten über das Display, bis mein Handy die Nummer ausspuckte, die ich suchte. Lenas Gesicht tauchte vor meinen Augen auf, Sanders, dann Kaitos. Lena und Sander, die in den hochkarätigen Kreisen der Upper East Side verkehrten. Kaito, der nur so vor Energie und Lebensfreude sprühte, als hätte er in seinem Leben niemals auch nur einen Anflug von Dunkelheit erlebt. Nein, ich konnte keinen von ihnen anrufen. Konnte nicht riskieren, dass sie mich nach diesem Abend ansahen, als wäre ich ein kleines gebrochenes Mädchen.

Blieb nur noch einer.

Bevor ich es mir anders überlegen konnte, drückte ich auf den grünen Hörer und hielt mir das Handy ans Ohr. Mit klopfendem Herzen lauschte ich dem Freizeichen, dann klickte die Leitung.

»Lexie?«

Allein beim Klang seiner Stimme schien sich mein Herz zu beruhigen. Ich räusperte mich und betete inständig, dass meine Nerven noch ein paar Minuten an meiner Seite bleiben würden. »Trip«, würgte ich hervor und zwang mich durchzuatmen. »Hilf mir.«

1

Zwei Wochen zuvor

Lena war zehn Minuten zu spät und allmählich wurde ich ungeduldig. Meine neue Freundin, die ich während der Arbeit als Gärtnerin im hochangesagten WEST-Hotel kennengelernt hatte, war niedlich. Niedlich und ein wenig naiv, wie ich befürchtete. Doch das machte nichts, immerhin war sie noch nicht lange in New York. Diese Stadt formte einen, wenn man ihr nur genug Zeit gab. Machte einen erwachsen. Das würde auch Lena noch erleben. Und genau heute Abend würde sie einen weiteren wichtigen Schritt in diese Richtung machen, denn ich würde mit ihr eine der angesagtesten Adressen besuchen, wo man höchstwahrscheinlich einem Mitglied der geschätzten New Yorker Upper East Sider begegnete. Ich war neugierig, ob Lenas Arbeit als Praktikantin in einem der renommiertesten Hotels in Manhattan ihr nicht vielleicht ein Türchen zur Welt der Schönen und Reichen geöffnet hatte. Ich hatte vor, sie ein bisschen auszuhorchen über die Gäste, die im WEST ein und aus gingen. Man musste schon gute Kontakte haben, um New Yorks Prominenz zu erwischen, und die brauchte ich, wenn ich meinen kleinen Modeblog vorantreiben wollte. Außerdem mochte ich Lena irgendwie. Als kleine Küchenkraft arbeitete sie nicht unbedingt im Mittelpunkt des Geschehens, doch es bestand immerhin eine Chance, dass sie interessanten Hotelklatsch aufschnappte. Nun gut, die Chance war klein, aber die Hoffnung stirbt ja bekanntlich zuletzt. Das Schlimmste, was passieren konnte, war, dass ich einen netten Abend ohne super Blog-technisch verwendbare Begegnungen verbrachte. Kalkulierbares Risiko.

Am liebsten wollte ich schon reingehen, doch ich hatte Lena versprochen, dass ich draußen auf sie warten würde. Also trat ich von einem Fuß auf den anderen, fuhr mir mit der Hand durch die Haare und ließ die eintrudelnden Gäste nicht aus den Augen. Hin und wieder nickte ich jemandem zu oder lächelte. Die Herzlichkeit meiner Begrüßung stand in direkter Relation zum sozialen Status meines Gegenübers. In der Auswahl meiner gesellschaftlichen Kontakte hatte ich strenge Prinzipien. Ich konnte es mir nun einmal nicht leisten, allzu viel Zeit mit Menschen zu verbringen, die mir nicht nützlich waren. Und ja, ich weiß, wie das klingt: oberflächlich, arrogant, hochnäsig … all diese Eigenschaften waren mir in den letzten Jahren häufig an den Kopf geworfen worden. Doch sie prallten von mir ab. Mir war bewusst, dass ich auf andere so wirkte, und es gefiel mir sogar. Das Leben konnte einen eben in eine Richtung schubsen, die man im Grunde seines Herzens nicht vorgesehen hatte. Genau so war es bei mir gewesen. Ich hatte niemals geplant, zu einer derart berechnenden Person zu werden. Das Leben hatte mich dazu gemacht und ich war dankbar dafür. Ich steckte meine Ziele hoch und hatte keine Scheu, diese mit allen Mitteln zu verfolgen. Andernfalls wäre ich vermutlich schon längst in irgendeiner Gosse an einer Überdosis gestorben.

Seufzend zog ich mein Handy aus der Handtasche und machte ein paar Fotos von der Kulisse und meinem Outfit. Seit beinahe einer Woche hatte ich keinen Partybericht mehr auf meinem Blog gepostet, es wurde Zeit, dass ich ihn ein wenig fütterte. The Apple Diaries hatte ich während der ersten Tage meines Modejournalismus-Studiums gegründet und der Blog war im Grunde das Einzige, was von meiner Studienzeit noch übrig geblieben war. Er war mein Plan B bis Z. Mein Weg aus der Gosse.

Lenas blonder Haarschopf tauchte in der Menge auf. Einen Moment lang ließ sie ihren Blick ein wenig unschlüssig wandern, dann entdeckte sie mich und kam mir lächelnd entgegen. Okay, sie war wirklich nett. Möglicherweise würde ich bei ihr eine Ausnahme machen und den Abend über Spaß haben, selbst wenn sie mir nicht beim Kontakteknüpfen helfen konnte.

Wir umarmten uns kurz und ich zog sie mit hinein auf das üblicherweise verlassene Gelände des Freibads. Wobei »verlassen« schon seit Jahren nicht mehr die passende Umschreibung war. Vor einer Weile war die Partyszene auf das geschlossene Freibad aufmerksam geworden und seitdem wurden hier hin und wieder mehr oder weniger geheime Veranstaltungen organisiert. Ich war mir ziemlich sicher, dass das hier völlig legal und angemeldet war, doch die wohlbetuchte Gesellschaft kam in Scharen, nur des Gefühls wegen, sie täten etwas potenziell Verwegenes. Und ich folgte ihnen bereitwillig.

Wir schlängelten uns durch die wartenden Menschen. Spannung lag in der Luft. Die Leute warteten auf das Startsignal, auf den Schaum, darauf, endlich die Hüllen fallen lassen zu können und Spaß zu haben.

Ich brauchte als Erstes Alkohol. Hinter der Bar stand ein Kerl in einem wirklich interessanten Outfit. Er trug eine Anzughose, die ihm wie angegossen auf den Hüften saß, eine schwarze Fliege und eine ebenfalls schwarze Melone. Sonst nichts. Doch ich wollte mich nicht beschweren, denn dieser Kerl konnte es sich zweifellos leisten, oben ohne herumzulaufen. Die Muskeln an seinen Armen und seiner Brust waren beeindruckend, und die Tattoos machten das Gesamtbild perfekt. Sie zogen sich über seine Schulter, ein Stück seinen Hals hinauf und wieder hinunter bis zu seinem rechten Handgelenk. Mein Blick wanderte über seine nackte Haut hoch zu seinem ebenfalls ziemlich attraktiven Gesicht: eine gerade Nase, ein breiter Kiefer, die Andeutung eines Bartes, dunkelbraune Augen und braune Haare. Jop, der Kerl könnte gut und gerne Model sein. Warum er sich die Zeit mit Bier ausschenken vertrieb, war mir ein Rätsel.

»Zwei Bier und zwei Tequila«, bestellte ich und konnte nicht verhindern, dass meine Stimme ein klein wenig rauchig wurde. Die Andeutung eines Lächelns zuckte um seine Mundwinkel, als er den Blick anerkennend über meinen Körper wandern ließ. Ich trug das gelbe Sommerkleid, das meine eigentlich nicht so üppig vorhandene Oberweite vorteilhaft betonte. Bingo! Seine Augen verweilten kurz auf meinem Ausschnitt, bevor er sich abwandte und sich um meine Bestellung kümmerte. Unwillkürlich musste ich grinsen.

Als er die zwei Schnäpse vor uns abstellte, zwinkerte er mir zu. Ich hob lediglich die Brauen und drehte mich mit den Kurzen zu Lena um. Erstens, weil sie nervös wirkte, und zweitens, weil ich es dem Kerl auf keinen Fall zu einfach machen wollte. Ein Barkeeper war zwar nicht gerade das, was ich mir von diesem Abend versprochen hatte, doch er würde auf jeden Fall einen hervorragenden Plan B darstellen. Ich flirtete gern und viel, was jeder gute Psychologe vermutlich als Kompensation für meinen Mangel an Freundschaften deuten würde.

»Prost!«, sagte ich, grinste Lena zu und kippte den Shot hinunter. Ich wollte mich nicht betrinken, aber ein bisschen Alkohol half, meine Gedanken lahmzulegen. Neben dieser ganzen Sehen-und-gesehen-werden-Sache war das mein oberstes Ziel gewesen, als ich Lena angerufen und überredet hatte, mit mir herzukommen. Mein Vater hatte heute wieder ganze Arbeit an meinem anstehenden Nervenzusammenbruch geleistet, also brauchte ich Ablenkung. Ich warf einen Blick auf den Barkeeper. Und vielleicht ein bisschen Spaß.

Wir tranken noch eine weitere Runde Schnaps und suchten uns dann einen freien Stehtisch, von dem aus wir einen guten Überblick hatten. Hinter uns lag der Hudson River und hätte der ganzen Szenerie vermutlich etwas Malerisches verleihen können, wenn die Schönheit New Yorks mich nach all den Jahren, die ich hier lebte – nämlich seit meiner Geburt –, mich noch in irgendeiner Art und Weise hätte berühren können. In kleinen Grüppchen standen die Menschen herum und warteten auf den Beginn der Veranstaltung. Ich ließ meinen Blick schweifen, sah nichts als bekannte Gesichter. Leute, die mir jedes Wochenende über den Weg liefen und an denen ich kein Interesse hatte. Das gängige Partyvolk: Studenten und Gruppen von Mädels, die ihren Spaß haben wollten. Vielleicht würden die wirklich interessanten Gäste erst später dazustoßen. Oder aber mein Instinkt hatte mich im Stich gelassen und ich war an der falschen Adresse. Ich hatte es vor allem auf Mitglieder der Mode- oder Medienszene abgesehen. Mein Blog vegetierte momentan vor sich hin und aktuell sah ich zwei Möglichkeiten, das zu ändern: Entweder wurde ich entdeckt, was ziemlich unwahrscheinlich war, oder ich lernte irgendjemanden kennen, der mich irgendjemandem vorstellen konnte, der irgendwie wichtig war. Das Einzige, was mir fehlte, war der eine Kontakt zur Modeszene. Einer der Gründe, warum ich jedes Wochenende ausging und Bekanntschaften sammelte wie andere Leute Briefmarken.

»Und wie ist das Leben im noblen WEST?«, fragte ich Lena grinsend und versuchte, mich auf meine Begleitung zu konzentrieren. Sie wirkte irgendwie zu höflich und zurückhaltend für New Yorker Verhältnisse. Damit passte sie nicht wirklich in die Welt, in die sie da anscheinend hineingestolpert war. Immerhin war das Hotel, in dessen Küche sie seit Kurzem als Praktikantin arbeitete, eine der angesagten Adressen in Manhattan. Die Liste der Promis, die bereits in diesem Haus übernachtet hatten, war wahrscheinlich endlos.

Sie lachte nervös. »Immer noch keine Spur von Brad Pitt.«

»Verdammt«, schnaubte ich und sah sie misstrauisch an. »Irgendjemand Interessantes muss doch zurzeit bei euch wohnen!«

»Vermutlich schon«, antwortete sie. »Aber solange die Promis nicht durch die Küche oder die Wäschekammern schlendern, bekomme ich davon nichts mit.«

»Toll, ich hätte mich mit einem Zimmermädchen anfreunden sollen.«

Sie sah mich ein wenig irritiert an und ich schenkte ihr ein aufmunterndes Lächeln. In Wahrheit meinte ich jedes Wort ernst, doch das musste ich ihr nicht unbedingt auf die Nase binden. Es war nicht so, dass ich in der Vergangenheit nicht bereits versucht hätte, mich in irgendeiner Art und Weise unter das Personal des WEST-Hotels zu schmuggeln. Zimmermädchen schienen mir tatsächlich die mitteilsamste Informationsquelle zu sein, doch die meisten von ihnen waren furchtbar anstrengend.

Auch wenn New York eine beliebte Adresse bei den internationalen Promis war, lief man ihnen nicht ständig über den Weg. Wenn ich meinen Blog ein wenig pushen wollte, brauchte ich prominentes Bildmaterial. Klau-den-Look-Beiträge oder Tipps, wo und wie man am besten die angesagten Outfits der Stars nachkaufen konnte, brachten eine Menge Klicks. Wenn ich allerdings keine teuren Nutzungsrechte für Fotos einkaufen wollte, musste ich selbst jemanden vor die Linse bekommen. Bestenfalls, bevor das Bild durch die halbe Klatschpresse geisterte. Es hatte Zeiten gegeben, in denen ich quasi vor Hotels kampiert hatte, vor allem während der Fashion Week. Doch, kaum zu glauben, Prominente waren nicht dämlich. Es geschah äußerst selten, dass jemand das Hotel durch den Haupteingang verließ und sich danach ausführlich von einer Hobbybloggerin ablichten ließ. Freunde in der Hotellerie waren also durchaus lohnenswert, wenn es darum ging zu erfahren, wann und vor allem wo die Gäste sich aus dem Gebäude stehlen.

»Aber irgendetwas muss doch bei dir los sein«, bemerkte ich, mehr aus Höflichkeit. Ich warf einen Blick auf meine Uhr. Es waren noch etwa fünf Minuten, bis die Party losgehen würde. »Du kannst unmöglich genauso ein langweiliges Privatleben haben wie ich.«

Okay, das war gelogen, denn direkt langweilig war mein Leben eigentlich nicht. Es glich einem John-Green-Roman, nur ohne die Liebesgeschichte und die Romantik. Seit dreizehn Jahren ging es rapide bergab mit mir, doch ich hatte nicht wirklich das Verlangen, darüber mit Lena zu sprechen. Obwohl, auch das war gelogen. Ich wollte mit jemandem sprechen, doch ich wusste, dass dieses Bedürfnis nicht von langer Dauer sein würde. Ein Gespräch von Frau zu Frau würde ich spätestens morgen früh bereuen und dann würde ich Lena im Hudson River ertränken müssen, weil sie zu viel wusste.

»Okay, da ist tatsächlich etwas.«

Ich sah von meiner Uhr auf und bemerkte, dass sie nervös von einem Fuß auf den anderen trat. »Erzähl schon.«

»Ich habe jemanden kennengelernt«, erklärte sie stockend und wurde prompt rot. »Aber ehrlich gesagt, habe ich keine Ahnung, was das Ganze genau sein soll.«

Ich musterte sie skeptisch. Auf mich wirkte sie wie der Typ für solide langfristige Beziehungen. Kompliziert schien nicht so recht zu ihr zu passen. »Wie meinst du das?«

»Na ja, er ist wirklich nett und wir verstehen uns gut. Aber er hat weder versucht, mich zu küssen, noch hat er irgendwie durchblicken lassen, dass wir uns wiedersehen. Er taucht einfach auf und unternimmt irgendwelche Sachen mit mir. Manchmal habe ich das Gefühl, dass ihm einfach langweilig ist.«

»Vielleicht spielt er den Unnahbaren«, schlug ich vor und verdrehte innerlich die Augen. Männer. »Oder er hat eine Freundin.«

»Er flirtet definitiv mit mir«, sagte sie ein wenig zu entschieden. »Aber er hat rein gar nichts versucht. Meine Klamotten waren klatschnass, und ich glaube, er hat nicht einmal auf meine Brüste geschaut.«

»Vielleicht ist er schwul!«

»Wow, du verstehst es wirklich, einen aufzumuntern.«

»Nein, im Ernst«, sagte ich hastig und versuchte, mich auf die Sache zu konzentrieren. Ich war absolut kein Experte in Sachen Liebesdinge, doch ich würde mich bemühen. »Wie lange kennt ihr euch?«

»Ja, das ist auch so eine Sache«, druckste sie herum. »Seit Montag. Aber Dienstag haben wir uns auch gesehen.«

»Und du machst dir jetzt schon Sorgen?«, fragte ich lachend. Wenn ich mir mit jedem Kerl, den ich zwei Tage hintereinander getroffen habe, eine gemeinsame Zukunft ausgemalt hätte, wäre ich bereits zehnfach verheiratet. Lena und ich lebten eindeutig nicht auf demselben Planeten.

Sie wich meinem Blick aus und sah sich um, was mir die Gelegenheit gab, erneut die Gesichter in der Menge zu mustern. Immer noch niemand Interessantes. Allerdings kam mir das plötzlich gar nicht mehr so schlimm vor. Hier mit diesem Mädchen zu stehen und einfach zu reden, fühlte sich besser an als erwartet. Eine richtige Freundin hatte ich schon lange nicht mehr gehabt, wenn ich so darüber nachdachte. Doch an Abenden wie diesem wünschte ich mir manchmal, dass es jemanden gäbe, bei dem ich meinen Seelenballast abladen konnte.

»Ach, ich weiß auch nicht«, seufzte Lena theatralisch. »Ich analysiere zu viel. Aber ich habe das Gefühl, dass er mir im Hotel aus dem Weg geht.«

Ich verschluckte mich an meinem Bier. Jetzt wurde es interessant. »Er wohnt im Hotel?«

»Nein, er arbeitet da. Er ist auch Praktikant.«

»Wie aufregend!«, rief ich und konzentrierte mich wieder vollkommen auf sie. »Du musst ihn mir unbedingt vorstellen!«

»Mal abwarten. Wer weiß, ob wir uns überhaupt wiedersehen.«

Okay, sie war meiner Aufforderung mehr oder weniger ausgewichen, doch das war okay. Ich hatte sie ohnehin nicht für eine Tratschtante gehalten. Lena hatte etwas Ehrliches und aufrichtig Gutes an sich, was mir um ihretwillen Sorgen machte.

»Wie auch immer«, sagte sie. »Vielleicht sollte ich einfach …«

Der Rest ihres Satzes wurde von einem lauten Hupen verschluckt. Alle wandten sich erwartungsvoll dem Schwimmbecken zu. Ich nahm grinsend einen Schluck von meinem Bier und richtete mich ebenfalls ein wenig auf, um Troy sehen zu können, ein Urgestein der New Yorker Partyszene.

»Guten Abend, New York!«, schrie er ins Mikrofon und erwiderte feixend die Blicke der Menge. Er trug ein lächerlich buntes Hemd und auf seiner Haut hatten sich hektische rote Flecken ausgebreitet. Er war wahrlich keine Schönheit und ein wenig frauenfeindlich, was so ziemlich die einzigen Gründe waren, warum ich mich noch nicht an seine Fersen geheftet hatte. Schwer zu glauben, doch auch ich hatte meine Grenzen. »Willkommen, ihr Freaks«, rief er. »Die Sonne geht in genau vierzehn Sekunden unter. Zählt mit mir und habt einen geilen Abend!«

Im Chor zählten alle den Countdown runter. Lena brüllte etwas, doch ich schüttelte nur lachend den Kopf.

Als wir bei »null« angekommen waren, ertönte ein lauter Knall und augenblicklich wurde das Gelände von buntem, fluffigem Schaum geflutet. Alle brüllten und johlten und auch ich ließ mich mitreißen. Ich hob die Arme und hüpfte auf und ab, genoss das Gewusel um mich herum, die aufgeladene Stimmung, die Vorfreude auf den Abend. Unter anderem deswegen war ich hergekommen. Solche Veranstaltungen schafften es wie nichts anderes, mich von meinem traurigen Leben abzulenken. Zwar hatten New York und ich nicht immer das beste Verhältnis, doch diese Stadt schaffte es jedes Mal verlässlich, jede gewisse Erwartungshaltung, die man hatte, zu unterlaufen. Im Schatten der Wolkenkratzer fühlte man sich klein und unbedeutend, wie eine Figur in einem riesigen Spiel, bei dem sich jederzeit die Regeln ändern und man in ein neues Feld gesetzt werden konnte. Manchen Menschen machte das Angst, mir jedoch nicht. Ich würde mit Freuden jede veränderte Regel und jede neue Position hinnehmen. Alles war besser als mein derzeitiger Zustand.

Lena neben mir schien wie erstarrt. Besorgt fragte ich nach, doch sie ignorierte mich. So ging das nicht, immerhin waren wir hier, um Spaß zu haben. Sie kam aus Deutschland und ich war New Yorkerin, deswegen war es quasi meine Bürgerpflicht, dafür zu sorgen, dass sie ihre erste Party in dieser Metropole auch gebührend genoss. Ich schnappte ihr das Bierglas weg, stellte es zusammen mit meinem auf einen Stehtisch und zog sie Richtung Tanzfläche durch den dichten Schaum. Er bauschte sich in den Ecken, flog in kleinen Flocken durch die Luft und krabbelte unsere Beine herauf. Die Musik wurde laut aufgedreht, sodass die wummernden Bässe in meinen Knochen vibrierten. Ich fand eine freie Stelle auf der Tanzfläche. Ich war nicht besonders gut darin, doch ich wusste meine kaum vorhandenen Kurven so einzusetzen, dass die Kerle meine mangelnden Tanzkünste schnell vergaßen. Männer waren einfach gestrickte Wesen. Als Frau kann man auch einen Ententanz aufführen – solange du dabei nur ordentlich Brüste und Hintern ins Spiel bringst, behandeln sie dich wie eine verdammte Tanzgöttin.

Ich zog Lena zu mir heran und zu meiner Überraschung begann sie sofort zu tanzen. Ehrlich gesagt hatte ich erwartet, dass sie eines dieser Mädchen war, die ein wenig von einem Fuß auf den anderen treten und sich dabei die ganze Zeit unsicher umsehen. Doch, hey, das Landei konnte tatsächlich tanzen. Besser als ich, wie ich zugeben musste. Körperlich hatte sie auch mehr zu bieten. Falls ihr Kerl sie tatsächlich ignorierte, war er entweder ein ziemlicher Trottel oder verheiratet.

Große Hände legten sich von hinten an meine Hüften. Ich sah auf und entdeckte James Erickson. Er war DJ in einem Club in Chinatown, ganz nett, doch ein ziemlicher Aufreißer. Wir hatten zweimal etwas miteinander gehabt. Als er einen Dreier mit seiner Nachbarin vorgeschlagen hatte, habe ich die Flucht ergriffen. Ich mochte ja kein Kind von Traurigkeit sein, doch ich würde meine Sexualpartner nicht teilen. Da war ich konservativ. Trotzdem entzog ich mich ihm jetzt nicht, lehnte mich sogar an seine Brust und tanzte mit ihm. Ich wollte nicht wirklich etwas von James, doch er war großartig, wenn es ums Feiern ging. Also ließ ich mich eine Weile von ihm führen, lachte, hatte Spaß. Als ich mich von ihm löste, wackelte er auffordernd mit den Augenbrauen und deutete hinter sich. Dort waren irgendwo die Toiletten. Ich verzog lachend das Gesicht, versetzte ihm einen Schubs gegen die Brust und ließ ihn stehen. Lena war irgendwann verschwunden, während ich im Tanzen versunken war, und ich wollte sie suchen. Irgendeine sehr verschrobene mütterliche Seite machte sich in mir bemerkbar. Lena war eine erwachsene Frau, das war mir durchaus klar, doch sie wirkte so unschuldig, dass ich das Gefühl bekam, ich sollte sie hier besser nicht aus den Augen lassen.

Ich entdeckte Lena an der Bar und kreischte übertrieben, als ich ihre entgleiste Miene bemerkte.

»Was ist los?« Ich ließ mich auf den freien Hocker neben ihr plumpsen.

»Der Typ ist hier. Und er ist ein Arschloch!«, sagte sie und winkte den Barkeeper heran. Seine Augen waren eindeutig auf mich gerichtet und ich schenkte ihm ein entzückendes Lächeln, bevor ich mich wieder Lena zuwandte.

»Was hat er gemacht?«

»Wollte vor seinen Freunden cool sein und hat mich beleidigt.«

Ich warf ihr einen mordlustigen Blick zu, der sie aus irgendeinem Grund zum Lachen brachte. Ich fand es ganz und gar nicht lustig. Männern, egal welchen Alters, durfte man auf gar keinen Fall erlauben, derart mit einem umzuspringen, das hatte ich auf die harte Tour gelernt. Jeder war sich selbst der Nächste und so weiter.

Das Sahneschnittchen hinter der Theke stellte zwei Schnapsgläser vor uns ab, wobei ich ihn nicht weiter beachtete. Ich schob das eine Glas Lena zu und wartete, bis sie ausgetrunken hatte. Dann kippte ich meinen eigenen Shot hinunter, packte sie bei der Hand und zog sie von ihrem Hocker.

»Komm mit, Süße!«

»Wo willst du hin?«

»Wenn er dich beleidigt hat, ist er ein Schwein. Und dann ist er es nicht wert, dass du dir von ihm den Abend versauen lässt!«

Energisch zog ich sie Richtung Tanzfläche. Ich hatte keine Ahnung, was da genau zwischen ihr und diesem Kerl lief, doch wenn er immer noch hier war, dann würden wir ihm verdammt noch mal einen Dämpfer verpassen. Ich mochte in zwischenmenschlichen Beziehungen eine ziemliche Niete sein, aber ein Profi, wenn es darum ging, eine Show hinzulegen. Danach würde ihr Verehrer sich über seine Gefühle im Klaren sein. Das würde ich für Lena tun, auch wenn ich sonst möglicherweise eine miese Freundin war.

Auf halber Strecke zog sie sich mit einer entschlossenen Bewegung das Shirt über den Kopf und präsentierte ihr Bikinioberteil. Ich reckte lachend eine Faust in die Luft.

Wir fanden etwas Platz auf der Tanzfläche und legten sofort los. Dieses Mal verlor ich mich nicht in den Bewegungen, nein, ich wusste sehr genau, was ich hier tat. Und Lena auch, wie ich überrascht feststellte. Ich zog sie zu mir heran. Offensichtlich hatte sie verstanden und verdiente sich damit durchaus meinen Respekt. Diesen Kampfgeist hatte ich ihr nicht zugetraut. Hallo, Vorurteile! Wie sie gerade einen auf Stripperin machte, ließ mich hoffen, dass das hier der Anfang einer wunderbaren, wenn auch zwangsläufig oberflächlichen Freundschaft war.

Allmählich bekamen wir Publikum, doch das war mir nur recht. Die meisten der männlichen Gäste kannte ich, mit vielen hatte ich sogar geschlafen. Sollten sie ruhig gaffen.

Lena hielt einen Moment inne, richtete sich ein wenig weiter auf und legte richtig los. Wir hatten quasi Trockensex mitten auf der Tanzfläche. Ich folgte ihrem Blick und entdeckte einen Kerl in der Masse unserer Zuschauer, der im Gegensatz zu den anderen ganz und gar nicht begeistert über unsere kleine Show wirkte. Oh ja, das war bestimmt ihr Verehrer. Er kam mir vage bekannt vor, doch das musste nichts heißen. Immerhin war ich mir ziemlich sicher, dass wir nie gemeinsam in der Kiste gelandet waren. Gott sei Dank, das wäre unangenehm geworden.

Meine neue Freundin legte sich mächtig ins Zeug und die Miene des Typen wurde immer verkniffener. Zeit, ihm den Todesstoß zu versetzen.

Lachend zog ich Lena wieder an mich heran, beugte mich zu ihr und grinste in seine Richtung. »Spiel einfach mit«, murmelte ich, lehnte mich dann ein wenig zurück und küsste sie. Zuerst verkrampfte sie sich, doch dann hob sie sogar die Hände und vergrub sie in meinen Haaren. Ich lachte an ihren Lippen, griff um ihre Taille und zog sie an mich. Gott sei Dank hatte ich keine homosexuellen Neigungen, denn die Kleine konnte überraschend gut küssen. Um uns herum rasteten die Leute vollkommen aus. Irgendjemand, vermutlich der leicht bekleidete Barkeeper, richtete einen Scheinwerfer auf uns. Aus den Augenwinkeln sah ich Lenas Verehrer davonstürmen. Mission erfolgreich. Der würde wiederkommen. Mit eifersüchtigen Kerlen kannte ich mich aus, genau wie mit eifersüchtigen Ehefrauen. Auch wenn ich es nie darauf angelegt hatte. Es war erschreckend, wie viele glücklich Verheiratete ihren Ehering ablegten, bevor sie auf die Piste gingen.

Ich löste mich aus Lenas Umklammerung und verbeugte mich dramatisch vor unserem Publikum, winkte in die Runde und zog Lena mit mir zur Bar zurück, wo ich den Blick des Barkeepers auffing. Eine Mischung aus Neugier und Belustigung lag in seinen Augen, während er jede meiner Bewegungen verfolgte. Oh ja, das war eindeutig Interesse. Ich lächelte gespielt schüchtern und strich mir eine verirrte rote Locke hinters Ohr. Okay, die Schüchterne würde er mir nach dieser Nummer vermutlich nicht mehr abkaufen, aber sei’s drum.

»Das war der Hammer!«, sagte er mit einem breiten Grinsen und stellte zwei Gläser Wasser auf die Theke. »Ich bin Trip. Und wenn das mein Laden wäre, würde ich euch einstellen.«

So, so, Trip. Ich durchsuchte mein Hirn nach diesem Namen, konnte aber nichts finden, was darauf hindeutete, dass wir uns kannten. Entweder er war neu oder wir verkehrten normalerweise nicht in den gleichen Kreisen.

Lena wurde rot. »Sie ist der Profi, ich habe nur mitgemacht.«

»Ach was, du bist ein Naturtalent!«, versicherte ich ihr großzügig. Als sie sich lachend umsah, beugte ich mich zu ihr, jedoch ohne Trip aus den Augen zu lassen. »Er ist ungefähr zwei Sekunden, nachdem ich dir die Zunge in den Hals gesteckt habe, verschwunden.«

Lena kicherte. »War das denn nicht Sinn der Sache?«

»Der kommt wieder«, versicherte ich ihr. »Wenn ihm etwas an dir liegt, kommt er wieder.«

Und natürlich hatte ich recht. Kaum eine Sekunde später tauchte sein verdrossenes Gesicht hinter Lena auf, die ihn noch nicht bemerkte. Er erdolchte sie beinahe mit Blicken, doch meiner fachmännischen Einschätzung zufolge war er eindeutig interessiert. Männer waren so einfach zu durchschauen. Er mochte Lena, war aufrichtig besorgt. Verdammt, er war einer von den Guten. Was jedoch nicht bedeutete, dass wir es ihm leichtmachen sollten. Immerhin hatte er sie anscheinend beleidigt, was allerdings nicht recht zu den Blicken passte, die er auf sie abfeuerte.

Mr Griesgrämig räusperte sich und Lena fiel daraufhin beinahe von ihrem Hocker, doch er fing sie auf. Ups, das war möglicherweise ein Schnaps zu viel gewesen.

»Du bist der Teufel!«, nuschelte sie.

Okay, vielleicht zwei Schnäpse zu viel. Romeo sah sie irritiert an. »Wir haben gerade über dich gesprochen. Und wenn man vom Teufel spricht, taucht er doch auf, oder nicht?«

Ich lachte. »Als hätten wir die Bestätigung gebraucht!« Dann fixierte ich ihren Verehrer und versuchte, so viel Abschätzigkeit wie möglich in meinen Blick zu legen, während ich langsam die Hand ausstreckte. »Ich bin Lexie!«

Er ignorierte stirnrunzelnd meine Hand, wie unhöflich. Lena brach in schallendes Gelächter aus. Sie zeigte auf seine Stirn und sah mich leicht glasig an.

»Siehst du das?«, schrie sie. »Das macht er immer, wenn er nachdenkt!«

»Ich denke, es ist besser, wenn wir jetzt nach Hause fahren!«, sagte der Kerl und griff nach Lenas Hand.

»Oooooh!«, sagten Lena und ich wie aus einem Mund. Ich stimmte in ihr Lachen ein, bevor ich mich aufrichtete und dem Typen einen drohenden Blick zuwarf. Lena war sturzbetrunken, ich aber nicht. Ich trank selten über meine Verhältnisse, außerdem war ich einiges gewohnt. Es gehörte definitiv mehr dazu, bis ich unaufmerksam wurde.

»Siehst du, Lexie, er macht einen auf fürsorglich«, nuschelte Lena und starrte den Mann an. Ihre Stimme klang verächtlich, doch es war unübersehbar, dass sie ihn mochte. Die beiden würden definitiv miteinander in der Kiste landen. Oder heiraten, was ich mir bei Lena eher vorstellen konnte. »Wahrscheinlich erzählt er mir, dass ich stinke, sobald ich in seinem Auto sitze! Oder keine Markenklamotten habe.«

»Du nimmst sie nirgendwo mit hin, Herzchen, das hier ist ein Mädelsabend!«, klärte ich den armen Kerl auf.

Er ignorierte mich mehr oder weniger. In meinem Kopf erklang eine Glocke, die den Kampf einläutete.

»Tja, war nett, dich kennenzulernen. Also, Yapper, pack deine Sachen und beweg deinen besoffenen Hintern hier raus.«

Lena starrte so lange auf seine Brust, bis ich kurz davor war, ihr eine Ohrfeige zu verpassen. Dann drehte sie sich wieder zu mir um.

»Er nennt mich Yapper«, sagte sie langsam. »Aber auch nur, wenn er nett zu mir ist. Der gemeine Sander nennt mich bestimmt nicht Yapper!«

»Vielleicht hat er eine gespaltene Persönlichkeit«, machte ich mit und spielte ihr zuliebe die Betrunkene, denn nichts war armseliger, als sich allein die Kante zu geben. »So wie Dr. Jekyll und Mr Hyde.«

»Eher wie Hulk!«

Der Kerl schlug mit der flachen Hand auf die Theke. Allerdings hatte ich gerade Trip beim Bierzapfen erspäht, weshalb ich ein wenig zusammenzuckte und beinahe von meinem Hocker rutschte.

»Du kommst jetzt mit mir mit, Lena!«, rief der Typ seine kleine nonverbale Auseinandersetzung mit dem Tresen unterstreichend. Gott, wie dramatisch. Das hier war besser als eine Soap.

»Hör auf, meine Gäste anzufahren, Sander, sonst schmeiße ich dich raus!«, mischte sich Trip ein. Das wurde ja immer besser!

»Woher kennt ihr beiden euch nun schon wieder?«, fragte Lena misstrauisch. »Ist das hier eine Verschwörung?«

Da hatte sie allerdings recht. Ich musterte Trip, doch als er meinen Blick bemerkte, zwinkerte er mir nur kurz zu. Sander starrte den Barkeeper mit einem drohenden, beinahe panischen Ausdruck in den Augen an. Ah ja.

»Du kannst nicht hierbleiben«, rief Lena entrüstet, als Sander sich nun neben sie setzte. Die beiden kabbelten sich noch eine Weile, wobei ich mir wirklich Mühe gab, meinen Einsatz für zustimmendes Nicken oder abfällige Kommentare nicht zu verpassen. Lena war allerdings so betrunken, dass ich mich vermutlich auch auf Sanders Seite hätte schlagen können, ohne, dass sie es bemerkt hätte.

Meine Aufmerksamkeit wurde von Trip abgelenkt, der mit zwei Mädels an der anderen Seite der Theke flirtete. Die beiden sahen aus, als wären sie kopfüber in eine Tonne Körperglitter gefallen, und legten sich mächtig ins Zeug, indem sie ein Hohlkreuz machten und mit ihren falschen langen Wimpern klimperten. Amateure. Männer wie Trip waren Jäger. Man muss ihnen das Gefühl vermitteln, die Frau erobert zu haben. Wie gesagt, die Psyche der männlichen Wesen war leicht zu durchschauen.

Irgendwann verkündete Lena lauthals, dass sie aufs Klo musste. Ich verkniff mir ein Lachen. Im betrunkenen Zustand mutierte sie wohl zum Kleinkind. Romeo wollte sie natürlich begleiten, doch Lena wies ihn ab, was mich ein klein wenig stolz machte. Sie machte Handzeichen in meine Richtung, als sie sich mühsam von ihrem Hocker schob. Dabei schwankte sie bedenklich. Das Grinsen verschwand von meinem Gesicht. Die Szene kam mir erschreckend bekannt vor. Ein Schauer lief durch meinen Körper, ich stand auf und packte Sander am Arm.

»Sie kippt gleich um«, sagte ich und konnte einen wütenden Unterton nicht unterdrücken. Immerhin war er hier derjenige, der Lena den Hof machte. Es wäre seine Aufgabe, auf die Anzeichen zu achten, nicht meine. Augenblicklich sprang er von seinem Hocker, und tatsächlich: Lena war kaum ein paar Meter gelaufen, als sie zur Seite kippte. Sander fing sie auf und hob sie mühelos auf seine Arme, wobei er wohlbemerkt fluchte.

»Was mache ich jetzt?«, rief er beinahe panisch, was irgendwie niedlich war. »Scheiße, muss sie zum Arzt?«

Ich tätschelte ihm mütterlich den Arm. Okay, er war einer von den Guten. Hoffentlich wurde ihm das auch bald klar.

»Bring sie ins Bett und gib ihr eine Kopfschmerztablette. Mehr nicht, verstanden?«

Er sah mich wütend an. »Ich würde das nie ausnutzen.«

»Gut«, sagte ich und straffte die Schultern. »Du kannst nicht mehr fahren.«

»Keine Sorge«, sagte er, den Blick wieder auf Lenas entspanntes Gesicht gerichtet. Sie war so entspannt, dass sie leise schnarchte. Das würde ich für mich behalten. »Ich lasse fahren.«

Ich nickte ihm zu und legte ihm eine Hand auf den Rücken, als er sich umdrehte und den Ausgang ansteuerte. Hach, junge Liebe. Plötzlich hatte ich das Bedürfnis, mich zu übergeben, doch meine Abscheu gegenüber wahren Gefühlen war nicht so allumfassend wie gewöhnlich. Ich mochte Lena, und der Teil von mir, der noch nicht von Zynismus zerfressen war, gönnte ihr diese kleine Liebelei. Wie lange sie auch dauern mochte.

Unschlüssig kehrte ich zur Bar zurück. Bislang hatte ich niemand Interessanten entdeckt. Meine Anwesenheit hier war irgendwie überflüssig. Allerdings hatte Dad einen schlechten Tag, was nicht unbedingt Heimweh in mir weckte. Morgen übernahm Darren meine Schicht, es war also vollkommen egal, wann ich nach Hause kam.

Mein Blick fiel auf die nackte Brust des Barkeepers. Nein, ich hatte es wirklich nicht eilig.

TRIP

Die Rothaarige saß wieder an der Bar und scannte die Gesichter in der Menge. Das hatte sie den Abend über oft getan. Ich musste es wissen, denn ich hatte sie hin und wieder beobachtet. Aus rein beruflichen Gründen, versteht sich. Ich war mir keinesfalls sicher, ob sie alt genug war, um Alkohol zu trinken. Auf eine Art strahlte sie die Abgeklärtheit einer erwachsenen Frau aus, auf der anderen Seite wirkten ihre Augen so jung wie die eines kleinen Mädchens. Durch meinen Job besaß ich eine gute Menschenkenntnis, doch diese Frau war wie ein Buch, dessen Sprache ich nicht wirklich beherrschte.

Sie war auf jeden Fall interessant. Und heiß. Ihre roten Haare waren zu Locken gelegt, jedoch nicht so, als wären sie über Stunden hinweg mit irgendwelchen Gerätschaften in diese Form gezwungen worden. Sie war geschminkt, hatte es allerdings nicht so übertrieben wie Hanni und Nanni an der anderen Seite der Bar. Die beiden glitzerten so aufdringlich, dass sie reihenweise epileptische Anfälle auslösen könnten.

Lässig schlenderte ich zu Lexie hinüber. Ich war mir ziemlich sicher, dass ihre betrunkene Freundin sie so genannt hatte. Ich wusste, wie es lief, dieses Spiel kannte ich. Immerhin arbeitete ich in einer Bar und ich war weiß Gott kein Heiliger. Lexie war vermutlich ebenfalls eine gute Spielerin. Ihr Auftreten, ihre gesamte Erscheinung, strahlte Selbstsicherheit aus. Sie wusste, wie man flirtete, und ganz sicher auch, wie man Spaß hatte. Und wenn ich mich nicht täuschte, hatte sie Interesse an mir. Gut. Blieb nur noch herauszufinden, wie betrunken sie war. Nicht, dass moralische Prinzipien bei mir immer die Oberhand hätten, doch betrunkenen Frauen traute ich nicht. Es war für alle Beteiligten einfacher, wenn beide sich voll und ganz im Klaren darüber waren, was sie miteinander taten.

Ich ließ die beiden glitzernden Mädchen links liegen und stützte meine Ellbogen vor der Rothaarigen auf der Theke ab. »Möchtest du noch etwas trinken?«

Sie drehte sich zu mir um und setzte rasch ihre verführerische Maske auf. Ihre Augen verengten sich etwas und begannen zu leuchten, ihr Mund verzog sich zu einem mehr oder weniger geheimnisvollen Lächeln und sie senkte kaum merklich den Kopf, damit sie durch ihre Wimpern zu mir heraufblicken konnte. Dazu breitete sich eine leichte Röte auf ihren Wangen aus. Als sie sich vorbeugte, konnte ich in ihren Ausschnitt schauen. Sie wusste definitiv, was sie tat.

»Ein Wasser reicht fürs Erste«, antwortete sie und fuhr sich mit den Fingern durchs Haar.

Ohne sie aus den Augen zu lassen, griff ich nach einer gekühlten Flasche und öffnete sie. »Bist du betrunken?«

Sie musterte mich einen Moment und nahm die Flasche entgegen. Dann schüttelte sie den Kopf und schürzte die vollen Lippen. Ihr Gesicht war zart wie das einer Elfe, doch ihre Lippen waren voll, rot und einladend. »Es gehört ein wenig mehr dazu, um mich betrunken zu machen, Barkeeper.«

»Ich heiße Trip«, sagte ich mit einem müden Lächeln.

»Ich weiß«, erwiderte sie und nahm einen großen Schluck aus der Flasche. Sie wirkte tatsächlich nicht betrunken. Dann musste sie vor ihrer Freundin eine Show gespielt haben. Und sie vertrug offensichtlich einiges, denn sie hatte im Laufe des Abends eine ganze Menge Schnaps und Bier in sich hineingeschüttet. Entweder war sie gut im Training oder ein Wunder der Natur. So oder so, meine Neugier war geweckt. Trotz der kleinen Show, die sie hier eindeutig für mich abzog, hatte sie etwas an sich, das sie von den anderen Mädels unterschied. Und dass ich diesen Unterschied nicht genau benennen konnte, machte sie nur noch interessanter.

»Also«, sagte ich langsam, während sie die Flasche absetzte und mich aus leicht zusammengekniffenen Augen musterte. »Ich habe in einer halben Stunde Feierabend.«

Sie zog die Augenbrauen kaum merklich in die Höhe. »Soll das etwa eine Anmache sein?«

Ich zuckte mit einer Schulter. »Wenn du es so auslegen willst.«

»Mal angenommen, ich will es so auslegen«, sagte sie und lächelte. »Und ich würde darauf eingehen …«

»Ja?«

»Was käme dann?«, fragte sie völlig ungerührt und musterte mich von oben bis unten. »Würdest du mich auf einen Drink einladen oder gleich mit nach Hause nehmen? Ich bin neugierig, Barkeeper.«

Okay, sie weigerte sich offensichtlich, mich beim Namen zu nennen. Damit hatte ich kein Problem. Dieses Mädchen war erfrischend direkt. Das gefiel mir. Ich deutete mit einer Hand auf ihr halb leer getrunkenes Wasser. »Das geht aufs Haus.«

Sie lachte und dieses Mal klang es ausnahmsweise ehrlich. Das sollte sie öfter tun. »Du bist ja ein echter Charmeur.«

»Ich gebe mir Mühe«, sagte ich und grinste. »Sonst noch etwas? Soll ich Blumen besorgen?«

»Ich mache mir nichts aus Blumen«, meinte sie trocken. »Aber ich habe Hunger.«

Das gefiel mir, und jetzt war es an mir zu lachen. Ich hatte ein Kichern erwartet oder irgendetwas, das durchblicken ließ, dass sie auf der Jagd nach Komplimenten war.

»Okay, ich besorge dir etwas zu essen und danach zeige ihr dir meine Briefmarkensammlung, einverstanden?«

Sie schnaubte. »Briefmarkensammlung? Im Ernst?«

Statt einer Antwort zwinkerte ich ihr zu, was sie erneut schnauben ließ.

»Überleg dir das nächste Mal etwas Originelleres, okay? Der Ratschlag geht aufs Haus.«

»Wie nett von dir.«

»Ich bin ein netter Mensch.«

»Da bin ich mir sicher.«

Jemand klopfte mir von hinten auf die Schulter. Auch ohne mich umzusehen, wusste ich, dass es sich im meine Ablösung handelte. Perfektes Timing.

Lexie folgte meinem Blick und fuhr sich beiläufig mit dem Finger über die Unterlippe. »Wann hast du noch gleich Feierabend?«

Ohne sie aus den Augen zu lassen, griff ich nach der bescheuerten Fliege und löste den Knoten. »Jetzt.«

2

Trip hatte seinen Posten kurzerhand an seinen Kollegen übergeben und war so schnell um die Bar herumgerannt, das man meinen könnte, er wäre seit Monaten nicht mehr zum Zug gekommen. Allerdings wollte ich mich nicht beschweren, denn ohne ihn wäre diese Party der absolute Reinfall gewesen. So konnte ich noch ein paar Stunden totschlagen und bestenfalls den einen oder anderen Orgasmus mitnehmen. Ich warf erneut einen Blick auf seine nackte Brust und dankte Gott, dass er nicht auf die Idee gekommen war, sich ein Shirt überzuziehen.

Er griff nach meiner Hand und zog mich hinaus auf die mehr oder weniger einsame Straße. Ich war nicht wirklich der Typ für Händchenhalten. Doch auf der anderen Seite wäre es vermutlich irgendwie blöd rübergekommen, wenn ich ihm meine Hand entzogen hätte, wenn man bedenkt, was wir vorhatten.

Wir liefen ein Stück die Straße hinunter und zur Rückseite des Geländes. Ich konnte wirklich nur hoffen, dass er sich keine schnelle Nummer hinterm Müllcontainer vorstellte, denn das war mir dann doch ein wenig zu schmutzig. Stattdessen blieb er vor einem Motorrad stehen. Einem ziemlich großen, bedrohlich aussehenden Motorrad. Ich hatte keine Ahnung von solchen Maschinen, aber dieses Ding sah definitiv sehr schnell aus.

Trip bemerkte mein Zögern offenbar nicht. Er öffnete ungerührt ein Fach unter dem Sitz und zog einen Helm heraus, den er mir hinhielt.

Ich suchte in meinem Kopf nach einer passablen Ausrede, doch mir fiel nichts ein. »Ich habe ein Kleid an«, sagte ich schließlich, auch wenn diese Argumentation selbst in meinem Kopf ziemlich lahm klang.

Er drehte sich zu mir herum und schenkte mir ein mitleidiges Lächeln. »Hast du Angst, dass ich dir unter den Rock gucke?«

»Vielleicht bin ich ja schüchtern.« Sarkasmus war immer gut. Denn, im Ernst, ich wollte wirklich nicht auf dieses Ding steigen. Der New Yorker Verkehr schüchterte mich schon ein, wenn ich zu Fuß unterwegs war; auf einem Motorrad durch die Straßen zu jagen, versetzte mich beinahe in Panik. Sollten wir mit einem Taxi kollidieren, wäre dort nichts, was meinen zerbrechlichen Körper vor der Straße schützte.

»Komm schon, Lexie, sei kein Mädchen«, sagte Trip augenrollend und drückte mir den Helm einfach gegen die Brust.

»Ich bin ein Mädchen«, erinnerte ich ihn, nahm den Helm aber trotzdem in die Hände. Er war schwer und klobig. Meinen Kopf würde er vielleicht schützen, den Rest meines Körpers aber nicht.

Trip beobachtete mich mit gerunzelter Stirn und legte den Kopf schief. »Hast du etwa Angst?«

»Natürlich nicht!«, sagte ich energisch. Okay, das war gelogen. Doch das zuzugeben, wäre nicht mein Stil. Als Trip mich angrinste, erschienen zwei Grübchen auf seinen Wangen, die ich bislang nicht bemerkt hatte. Wow, der Typ war wirklich heiß. Wäre er kein Motorradfahrer, sondern vielleicht ein erfolgreicher Designer gewesen, wäre ich möglicherweise hier und jetzt auf die Knie gesunken und hätte ihm einen Antrag gemacht. Dieser Mann würde es vermutlich auf die Top-Ten-Liste der niedlichen One-Night-Stands schaffen. Es sei denn, er war eine Niete im Bett, doch das wäre eine Beleidigung seinem Körper gegenüber. Ein Körper, der nebenbei gesagt nicht vollständig bekleidet war.

»Willst du ernsthaft halb nackt Motorrad fahren?«, fragte ich ihn und hoffte, ihn damit vorerst davon abzulenken, dass ich nicht besonders scharf darauf war, auf sein Bike zu steigen.

Ohne ein Wort zog er eine schwarze Lederjacke aus dem mysteriösen Fach und streifte sie sich über. Das Fach erinnerte mich an Hermine Grangers bodenlose Zaubertasche. Trip setzte sich nun lässig seinen Helm auf den Kopf. Nein, er trug immer noch kein Shirt, und nein, er hielt es offenbar auch nicht für nötig, die Jacke zu schließen. Was bedeutete, dass in diesem Moment ein tätowierter Barkeeper vor mir stand, in Anzughose, mit offen stehender Lederjacke, die seinen nackten Oberkörper nach wie vor zeigte. Er wirkte wie ein Mitglied der Chippendales, was im Hinterhof eines heruntergekommenen Freibads eigentlich lächerlich hätte wirken müssen. Trotzdem spürte ich, wie meine Handflächen feucht wurden und meine Kehle trocken. Meine Güte, ich benahm mich wie eine sechzehnjährige Jungfrau vor dem Captain des Footballteams, obwohl ich so etwas schon unzählige Male gemacht hatte. Ich würde jetzt bestimmt nicht die Fassung verlieren, nur weil ein außerordentlich nett anzusehendes Exemplar der Gattung Mann mich mit zu sich nach Hause nahm.

Also umfasste ich diesen verdammten Helm fester, schüttelte meine Haare aus dem Gesicht und setzte ihn mir auf den Kopf. Mein Gesicht wurde ein wenig zusammengequetscht und meine Stirn nach unten gedrückt, sodass ich wohl unfreiwillig ein ziemlich griesgrämiges Gesicht machte. Ich befreite vereinzelte Strähnen aus dem Helm und schnitt Grimassen, um meine Gesichtszüge wieder zu entspannen. Gott sei Dank war es hier hinten dunkel, sodass Trip hoffentlich nichts von meinen nicht gerade damenhaften Bemühungen mitbekam.

Als alles zu seiner Zufriedenheit auf meinem Kopf saß, grinste Trip mich an, klopfte kurz mit den Fingerknöcheln auf meinen Helm und setzte sich auf die Maschine. Mit einem Ruck rollte er sie vom Ständer und klopfte dann hinter sich auf den Sitz.

Dann mal los. Mit einem letzten drohenden Blick auf die Kiste raffte ich mein Kleid vor meinen Oberschenkeln zusammen und schwang ein Bein über das Motorrad. Ich hätte mich gern galant im Damensitz hinter Trip platziert, doch dafür hatte ich zu viel Angst. Ich kannte diesen Kerl überhaupt nicht, doch irgendetwas sagte mir, dass er vermutlich wenig vom Tempolimit hielt. Vermutlich war das eine Masche. Mit Aufreißer-Maschen kannte ich mich aus. Er lud die Mädels auf dieses Ding und fuhr wie ein Wahnsinniger, damit sie sich an ihn klammerten und gewisse Körperregionen an seine Brust drückten. Nicht dumm, musste ich zugeben. Und mir war bereits jetzt klar, dass sein Plan absolut aufgehen würde.

Ich setzte mich hinter ihn und, jap, er rutschte scheinbar zufällig zwischen meine gespreizten Beine. Da er mich nicht sehen konnte, rollte ich mit den Augen, klammerte mich mit den Schenkeln an ihm fest und schlang die Arme um seine Mitte. Dass meine Hände dabei auf nackte Haut trafen, war natürlich sehr praktisch. Und heiß.

»Alles gut dahinten?«, rief er, wobei seine Stimme von dem Monstrum auf seinem Kopf gedämpft wurde.

Ich löste eine Hand von ihm und streckte den Daumen nach oben. Dann hörte ich gerade noch sein Lachen, als die Maschine unter uns grollend zum Leben erwachte. Die Vibration des Motors durchfuhr meinen Körper. Unwillkürlich klammerte ich mich fester an ihn. Einen Moment löste er die Hand vom Lenker, tätschelte mir aufmunternd den nackten Oberschenkel und stieß sich vom Boden ab. Ein Ruck ging durch das Motorrad, bevor der Motor aufheulte und beschleunigte. Es zog mich nach hinten, doch es war nicht ganz so schlimm, wie ich befürchtet hatte. Hinter Trip bekam ich nur wenig vom Fahrtwind ab und sein harter Körper taugte tatsächlich gut zum Festhalten. Es war ein wenig kalt, doch das Adrenalin, das durch meinen Körper pumpte, ließ meine Haut glühen. Ich öffnete vorsichtig die Augen, die ich unbewusst zusammengekniffen hatte, und spähte über Trips Schulter auf die Straße. Mein Kopf wurde ein wenig nach hinten gedrückt, als der Fahrtwind meinen Helm traf, doch die Sicht, die sich mir bot, war der Hammer. Natürlich war New York bei Nacht immer eine Augenweide. Die ständige Betriebsamkeit, die grellen bunten Lichter der Leuchtreklamen, der Strom der gelben Taxis, das alles war ich gewohnt. Doch auf einem Motorrad wirkte alles irgendwie kleiner, weiter weg. Trip manövrierte uns zwischen den Autos hindurch, als säße er auf einem Fahrrad. Das Bike bewegte sich schnittig und beinahe elegant durch den Verkehr. Fliegen musste sich so ähnlich anfühlen. Mir entwich ein Lachen. Die Stadt raste an uns vorbei. Die himmelhohen Wolkenkratzer schienen uns nicht länger einzusperren, nein, sie säumten unseren Weg, flogen an uns vorbei wie ein stilles, verspiegeltes Publikum. Ich wollte die Arme ausbreiten, doch das traute ich mich dann doch nicht. Also begnügte ich mich damit, mich ein kleines bisschen zurückzulehnen, und saugte die Eindrücke in mich auf. Die Lichter verwischten zu einem unkenntlichen Mischmasch aus Farben, die Menschen verloren ihre Konturen, die Autos blieben hinter uns zurück.

Wahnsinn, ich musste mir dringend ein Motorrad anschaffen. Oder fürs Erste vielleicht eine Vespa.

Trip drehte sich ein wenig zu mir herum. Mir rutschte beinahe das Herz in die Hose und ich klammerte mich wieder fester an ihn.

»Hast du bis jetzt überlebt, Ginger?«, rief er und setzte sich Gott sei Dank wieder vernünftig hin.

»Ich ja, du wirst aber nicht mehr lange durchhalten, wenn du mich noch einmal so nennst!«

Sein Lachen vibrierte in meiner Brust und ballte sich irgendwo in meinem Unterleib. Okay, Männer mit Tattoos auf Motorrädern hatten eindeutig was. Warum war mir das bis jetzt entgangen?

»Wie wäre es mit ›Lex‹?«

Ich schlug ihm mit der flachen Hand auf den Bauch, wenn auch nicht allzu fest. Immerhin fuhr er diese verdammte Maschine. »Wie wäre es mit ›Lexie‹?«

»Und ›Lexie‹ ist ein Spitzname für was?«

»Geht dich nichts an, Barkeeper«, rief ich und legte meine Hand wieder auf seinen Bauch. Seine Brustmuskeln spannten sich unter meinen Fingern, als er erneut lachte. Ja, ich befummelte ihn. Doch das war vermutlich seine Absicht hinter dieser Kein-Shirt-Geschichte, also hielt mein schlechtes Gewissen sich in Grenzen.

Wir fuhren noch ein paar Minuten schweigend durch die Nacht. Inzwischen waren wir in SoHo, was mich nicht wirklich überraschte. Ein tätowierter Barkeeper passte genau in das alternative Künstlerviertel von New York. Wir ließen den belebten Teil der Gegend hinter uns, dann wurden wir langsamer und hielten schließlich vor einem Gebäude, das wie eine umgebaute Lagerhalle aussah. Allerdings nicht auf diese lässige DIY-Art, sondern schick und professionell. Es war vier Stockwerke hoch und verfügte, den Pflanzen nach zu urteilen, die über die Dachkante hinausragten, über eine Dachterrasse. Hinter hochmodernen Glas-Flügeltüren war eine Art Eingangshalle sichtbar. Wow.

Trip setzte seinen Helm ab und reichte mir die Hand, damit ich vom Motorrad steigen konnte. Dabei erwischte ich ihn beinahe mit meinen Plateausandalen, doch er wich rechtzeitig aus, bevor er ebenfalls abstieg.

»Hier wohnst du?« Ich deutete auf den Schuppen. Sollte er sich ernsthaft so eine Bude leisten können, würde ich eventuell doch auf Barkeeperin umsatteln.

Halb erwartete ich, dass er abwinken und mich in irgendeine Bruchbude unter einer S-Bahn winken würde, doch zu meiner Überraschung nickte er wortlos. Dann stellte er sich vor mich und nestelte an dem Riemen unter meinem Kinn herum. Dabei berührten seine Finger meinen Hals und strichen mir beinahe zärtlich die Haare von der Schulter. Ich biss mir auf die Lippen, hielt seinem Blick aber stand, während er den Verschluss öffnete und mir dann den Helm vom Kopf zog. Ich versuchte, so würdevoll wie möglich auszusehen. Vermutlich hatte ich überall Druckstellen im Gesicht.

»Gehen wir hoch?«, fragte ich und senkte dabei meine Stimme zu einem sexy Raunen.

Ohne mich aus den Augen zu lassen, legte Trip den Helm auf dem Sitz ab. Dann umfasste er mit den Händen meine Hüften und schob mich ein Stück zurück, bis ich mit dem Po gegen das Bike stieß. In meinem Gehirn legte sich ganz automatisch ein Schalter um, der von »lustig flirtend« auf »verführerisch« wechselte.

Trip kam noch einen Schritt näher, so nah, dass die Wärme seines nackten Oberkörpers sich auf meine Haut übertrug. Ich blickte hoch. Seine Augen hatten eine merkwürdige Farbe, irgendetwas zwischen Braun und Grün mit helleren braunen Flecken um die Iris. Doch weiter kam ich mit meiner Analyse nicht, denn Trip hob eine Hand, vergrub sie in meinem Haar und presste seine Lippen auf meine.

Damit überrumpelte er mich. Überraschung hin oder her – ich küsste nicht! Küssen bedeutete Nähe und schaffte eine Intimität, die möglicherweise falsche Erwartungen hervorrief. Sex und Gefühle konnte ich trennen. Beim Küssen hatte ich da meine Probleme. Also drückte ich mich enger gegen das Motorrad und drehte mein Gesicht weg, sodass seine Lippen auf meinen Hals glitten. Auch nicht schlecht. Er verteilte eine Spur warmer Küsse bis zu meinem Schlüsselbein hinunter. Ich war mir ziemlich sicher, dass sein Mund sich zu einem Grinsen verzog, doch darauf konnte ich mich im Moment schwer konzentrieren. Mein Verstand fokussierte die Stellen, an denen seine Haut auf meine traf. Seine andere Hand lag immer noch an meiner Hüfte, zog mich an sich heran. Seine Erektion drückte sich gegen meinen Bauch und löste eine Menge Empfindungen in mir aus: Lust, Verlangen, das aufregende Prickeln der Erwartung. Alle unnötigen Gedanken an meinen Vater, an mein abgebrochenes Studium, mein leeres Konto und meine unbezahlte Miete lösten sich in Luft auf und verwandelten sich in berechenbare Leidenschaft. Damit konnte ich umgehen, darin war ich gut.

Ich ließ den Kopf in den Nacken fallen, damit Trip besser an die empfindliche Stelle unter meinem Ohr herankam. Seine Zunge glitt über die zarte Haut und ließ mich erschaudern. Dieses Vorspielding hatte er eindeutig drauf, was mich optimistisch stimmte, dass er auch mit dem Rest seines Körpers würde umgehen können. Als hätte er meine Gedanken gelesen, wanderte seine Hand von meiner Hüfte zu meinem Bauch, strich über meinen Rippenbogen und die Rundung meiner Brust. Alle meine Muskeln spannten sich an. Trip verlor wirklich keine Zeit, was mir nur lieb war. Kaum eine Sekunde später lag seine Hand auf meiner Brust und drückte sie. Als ich leise keuchte, lachte er und kniff mit Daumen und Zeigefinger leicht in die harte Spitze.

»Lass uns reingehen«, murmelte ich. Irgendwie schien meine Zunge an meinem Gaumen zu kleben und meine Worte klangen ein wenig undeutlich. Himmel, das war ja peinlich. Ich war hier die abgeklärte Aufreißerin – dass Trip mich mit ein wenig Rumgefummel bereits ins Schwitzen brachte, nagte an meiner Würde.

»Weißt du«, murmelte er und löste die Hand von meiner Brust. Ich wollte gerade protestieren, als seine Finger federleicht über meinen Oberschenkel strichen und mein Kleid Stück für Stück nach oben schoben. Ich hielt den Atem an. »Eigentlich gefällt es mir ziemlich gut, dich hier auf meiner Maschine zu sehen. Das ist die reinste Männerfantasie.«

»Sagte der Mann mit nackter Brust und Lederjacke«, sagte ich ein wenig atemlos und schaffte es trotzdem, eine gehörige Portion Spott in meine Worte zu legen. Der kalte Ledersitz an meinen Schenkeln fühlte sich auf einmal tausendfach erregender an als noch vor ein paar Sekunden. Als Trip mich dann auch noch um die Taille fasste und auf den Sitz hob, musste ich ein Stöhnen unterdrücken. Er trat an mich heran und zwang mit seinem Becken meine Knie auseinander. Ich öffnete sie ihm bereitwillig, ließ ihn näher. Ich schloss die Augen, als seine Finger erneut die überhitzte Haut an meinem Oberschenkel berührten. Er streichelte von meinem Knie hinauf bis zum Rand meines Slips. Mir stockte der Atem. Dann, ganz langsam, als hätten wir alle Zeit der Welt, wanderte seine Hand zwischen meine Beine, strich hauchzart über den bereits nassen Stoff meines Höschens und über die Innenseite meiner Schenkel. Ich erschauderte.

Meine Güte, ich saß auf einem Motorrad an einer öffentlichen Straße und ließ mich befummeln. Das war selbst für mich eine Premiere. Beinah wie aus dem Skript eines zweitklassigen Pornos.

Meine Gedanken verpufften, als Trip meinen Slip beiseiteschob und seine Finger auf nackte Haut trafen. Ich krallte mich an seinen Schultern fest und biss mir auf die Lippen, um ein Stöhnen zu unterdrücken. Mein Körper ging in Flammen auf. Im Ernst, ich fühlte mich, als würde ich verbrennen. Stück für Stück, Quadratzentimeter für Quadratzentimeter, bis nichts mehr von mir übrig war als verzweifelte Lust. Bereits jetzt baute sich eine Spannung in meinem Unterleib auf, die ich beinahe nicht mehr ertragen konnte. Trip raunte an meiner Halsbeuge und biss leicht in die zarte Haut unter meinem Ohr, als er mit zwei Fingern durch meine Nässe fuhr. Er streichelte mich gemächlich, reizte mich, spielte mit mir. Mit meiner Einschätzung, dass Trip ein guter Spieler war, hatte ich es nicht ganz getroffen. Er war nicht einfach gut, er war verdammt nah an perfekt. Gerade, als ich erneut vorschlagen wollte, diese Sache nach oben, vorzugsweise in ein Bett, zu verlegen, drangen zwei Finger in mich ein und raubten mir den letzten Rest meines Verstandes. Es war nicht das erste Mal, dass jemand da unten Hand anlegte, doch, Allmächtiger, ich fühlte mich, als wäre ich noch nie berührt worden. Trip musste magische Fähigkeiten besitzen, anders war der Orgasmus, der sich in meinem Bauch zusammenbraute, einfach nicht zu erklären.

Meine Finger krallten sich fester in seine Schultern, aus meinem Mund kamen Geräusche, die ich nicht benennen konnte. Der Sitz unter mir fühlte sich feucht an, doch das kümmerte mich im Moment nicht besonders. Ich öffnete die Augen und bemerkte, dass Trip mich ansah. Er beobachtete mich mit einer Mischung aus Verlangen und Neugier. Sein Blick war so intensiv, dass ich das Gesicht abwandte und die Augen wieder schloss. Ich würde mir das hier sicherlich nicht durch vorgetäuschte Zuneigung zerstören lassen, dafür hatten wir uns gegenseitig zu leicht abschleppen lassen.

Trips Daumen legte sich auf meine Klitoris und begann, meinen empfindlichsten Punkt zu massieren. Seine Finger, die nach wie vor in mich hinein- und aus mir herausglitten, erhöhten das Tempo und stießen mich über den Abgrund. Der Knoten in meinem Bauch löste sich, ich schrie auf, grub meine Fingernägel in Trips Schultern. Mein Atem ging keuchend, während vor meinen Augen kleine Lichter explodierten und meine Beine zitterten. Währenddessen hörte Trip nicht auf, mich zu streicheln, reizte meinen Orgasmus aus, trieb ihn weiter und heftiger, bis ich bebend nach Luft schnappte und mehr oder weniger auf ihm zusammenbrach. Meine Stirn sank auf seine Schulter und meine Hände glitten über seine nackte Brust in meinen Schoß. Ich bebte immer noch. Grundgütiger.

Trips leises Lachen vibrierte in seiner Brust. »Lebst du noch, Ginger?«

Ich versuchte ihn zu schlagen, doch es wurde mehr ein kindliches Knuffen. »Nenn mich nicht so, Barkeeper.«

»Wie du willst«, sagte er, zog seine Hand zurück, schob mein Höschen wieder an Ort und Stelle und zog mich dann von seinem Motorrad. Gott sei Dank umfasste er sofort meine Taille, sonst wäre ich vermutlich umgefallen wie eine Papiertüte im Wind. Meine Beine schienen irgendwie nicht mehr mit dem Rest meines Körpers verbunden zu sein.