Shining Fragments - Kim Nina Ocker - E-Book

Shining Fragments E-Book

Kim Nina Ocker

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Beschreibung

ICH WILL IHRE GEDANKEN UND IHR VERTRAUEN UND IHRE SEELE UND IHR HERZ. MIT WENIGER KÖNNTE ICH MICH NICHT ZUFRIEDENGEBEN

Charlie Blossom hatte sich ihren Neuanfang in Miami anders vorgestellt. Statt im Umfeld der High Society als Personenschützerin der reichen Familie Newton zu arbeiten, wurde sie in die Fehde der Newtons und Favreaus gezogen. Niemals hätte Charlie damit gerechnet, dass sie zwischen die Fronten gerät - und damit auch zwischen zwei Männern stehen würde, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Gideon Newton ist Erbe des Newton Imperiums, begehrtester Junggeselle der Stadt und ihr Boss. Roméo Favreau gehört zur einflussreichsten Familie der kriminellen Unterwelt, ist mysteriös und gefährlich. Doch je mehr Charlie hinter die Geheimnisse dieser beiden Männer blickt, desto klarer wird, für wen ihr Herz in Wahrheit schlägt ...

»Herzklopfen, Adrenalin, Drama und zwei geheimnisvolle Männer, zwischen denen man sich kaum entscheiden kann. Die KINGSBAY SECRETS-Reihe ist ein absolutes Must Read für alle Enemies-to-Lovers-Fans.« TRAUMWELT.LESEN

Abschlussband der neuen New-Adult-Suspense-Trilogie der SPIEGEL-Bestseller-Autorin Kim Nina Ocker

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Seitenzahl: 563

Veröffentlichungsjahr: 2025

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INHALT

Titel

Zu diesem Buch

Widmung

Leser:innenhinweis

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

22. Kapitel

23. Kapitel

24. Kapitel

25. Kapitel

26. Kapitel

27. Kapitel

28. Kapitel

29. Kapitel

30. Kapitel

31. Kapitel

32. Kapitel

33. Kapitel

34. Kapitel

35. Kapitel

36. Kapitel

37. Kapitel

38. Kapitel

39. Kapitel

40. Kapitel

November

Dezember

Januar

41. Kapitel

Februar

März

April

Mai

42. Kapitel

43. Kapitel

44. Kapitel

Epilog

Danksagung

Die Autorin

Die Bücher von Kim Nina Ocker bei LYX

Contenthinweis

Impressum

KIM NINA OCKER

Shining Fragments

KINGSBAY SECRETS

Roman

ZU DIESEM BUCH

Charlie Blossoms Leben hat sich komplett verändert, seit sie den Job als Personenschützerin bei der reichen Familie Newton angenommen hat. Statt der erträumten Chance auf einen Neuanfang im Umfeld der High Society von Miami wurde sie in einen Strudel aus dunklen Machenschaften, Lügen und Skandalen gezogen – mitten hinein in die Familienfehde der Newtons und Favreaus. Niemals hätte Charlie damit gerechnet, dass ihr Spürsinn dazu führen könnte, dass sie zwischen die Fronten gerät – und dadurch gleichzeitig zwischen zwei Männern steht, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Gideon Newton ist Erbe des Newton Imperiums, begehrtester Junggeselle der Stadt und ihr Boss. Roméo Favreau gehört zur einflussreichsten Familie der kriminellen Unterwelt, ist mysteriös und gefährlich. Aber je mehr Charlie hinter die Geheimnisse dieser beiden Männer blickt, desto klarer wird ihr, wem sie wirklich vertrauen kann und für wen ihr Herz in Wahrheit schlägt. Doch ist ein Happy End in einer Welt möglich, in der der äußere Schein alles ist und Vergeltungsschläge an der Tagesordnung sind?

Für all diejenigen, die nicht auf den Prinzen warten und stattdessen mit dem Schurken durchbrennen.

Liebe Leser:innen,

dieses Buch enthält potenziell triggernde Inhalte.

Deshalb findet ihr hier einen Contenthinweis.

Achtung: Dieser enthält Spoiler für das gesamte Buch!

Wir wünschen uns für euch alle

das bestmögliche Leseerlebnis.

Eure Kim und euer LYX-Verlag

1. KAPITEL

Charlie

Mein Herz rast. Es schlägt so heftig und schnell gegen meine Rippen, dass ich mir nicht sicher bin, wie lange es dieses Tempo noch durchhält. Ich überlege, das Blatt fallen zu lassen – den Chatverlauf, den ich zufällig in Gideons Büro gefunden habe und in dem sich zwei Personen über meine potenzielle Ermordung oder Vergewaltigung unterhalten. Aber mir ist klar, dass es für einen Ablenkungsversuch längst zu spät ist. Gideon steht mit verschränkten Armen im Türrahmen, und ich habe keine Ahnung, wie lange er mich schon beobachtet.

Ich schaue in seine Augen und suche nach einem Gefühl, das mich beruhigen würde. Sorge vielleicht oder irgendein anderes Anzeichen, dass ihn diese Chats genauso alarmieren wie mich. Doch ich finde nichts dergleichen. Stattdessen begegnet er meinem Blick mit einer Kälte, die mir durch Mark und Bein geht.

Verzweifelt versuche ich, meine Finger vom Zittern abzuhalten, während ich den Ausdruck zurück auf den Schreibtisch lege und mich räuspere.

»Gideon«, sage ich möglichst unbeteiligt. »Ich habe dich gesucht.«

»Habe ich schon gehört. Und du hast gedacht, du würdest mich zwischen meinen Unterlagen finden?«

Ich hebe das Kinn und sehe ihn herausfordernd an. Auf dieses Spiel lasse ich mich ganz bestimmt nicht ein. Stattdessen deute ich auf den Ausdruck. »Was ist das?«

Gideon zieht eine Augenbraue hoch. »Die Kopie eines Chatverlaufs.«

»Das ist mir klar. Zwischen wem? Und wie bist du da rangekommen?«

Sein Blick wird eine Spur schneidend. Als suche er eine versteckte Bedeutung hinter meinen Worten. Er durchquert mit langen Schritten sein Büro und bleibt auf der anderen Seite des Schreibtischs stehen, bevor er das Blatt nimmt. Ich weiß, dass dieses Gefühl lächerlich ist, doch ich bin erleichtert, dass der Schreibtisch nun zwischen uns steht.

Eigentlich glaube ich nicht, dass Gideon Newton mir etwas antun würde oder dass er hinter dem Unfall auf der Brücke steckt. Roméo kann von Gideon halten, was er will, aber ich kenne Gideon. Zumindest eine Seite von ihm. Ich erinnere mich, wie er mich im Arm gehalten, mir zärtlich das Haar aus dem Gesicht gestrichen hat, wie er mich mehr als einmal verteidigt und sich für mich eingesetzt hat.

Ja, er mag sich als absolut arrogantes und besitzergreifendes Arschloch herausgestellt haben, aber das bedeutet noch lange nicht, dass er meine verdammte Ermordung geplant hat.

Und dennoch … ich spüre, wie meine Muskeln sich anspannen, als würden sie sich wahlweise auf Flucht oder Angriff einstellen. Wie meine Augen den Raum nach den besten Fluchtwegen absuchen und wie mein Blick immer wieder zu Gideon huscht, um jede seiner Bewegungen zu beobachten.

Seine Haare fallen ihm in die Stirn, als er den Kopf senkt und die Seite überfliegt. Dann verdreht er die Augen und wirft das Blatt zurück auf seinen Schreibtisch.

»Und?«, frage ich, als er weiterhin eisern schweigt. »Willst du das erklären?«

Er mustert mich von oben bis unten. »Willst du mir nicht als Erstes verraten, warum du so dringend nach mir gesucht hast? Scheint ja wichtig gewesen zu sein.«

Ich öffne den Mund, um ihm alles zu erzählen – alles, was Lydia mir berichtet hat, nachdem sie mich vor dem Anwesen der Newtons abgefangen hat: davon, dass Gavin Barletts Arm gefunden wurde – ein Verwandter der Newtons, der in Geldwäscheaktivitäten verwickelt war, angeblich den Favreaus Geld geklaut hat und damit abgehauen ist und der vor ein paar Nächten vor meiner Tür stand. Ich will ihm erzählen, dass die Favreaus denken, ich hätte Barlett bei seiner Flucht geholfen oder ihn versteckt, und dass sie Gideon ebenfalls für einen möglichen Komplizen halten. Und deswegen ein verdammtes Kopfgeld auf ihn ausgesetzt haben! Außerdem ist da noch seine durchgedrehte Ex-Freundin, die sich das Kopfgeld sichern will und mich gebeten hat, ihr dabei zu helfen.

Ich bin hierhergefahren, um ihn zu warnen. Nicht nur, weil das mein verdammter Job ist, sondern auch, weil ich eigentlich nicht will, dass ihm etwas geschieht. Er hat sich als Schwein herausgestellt, das mich als sein Eigentum betrachtet und mich nicht respektiert, das bedeutet jedoch noch lange nicht, dass ich dabei zuschaue, wie die Favreaus ihn umbringen.

Die Worte kitzeln in meiner Kehle, aber dann fällt mein Blick wieder auf den Ausdruck, und Lydias Warnung geistert durch meinen Kopf wie ein körperloses Echo.

Bist du dir absolut sicher, dass du alles über ihn weißt? Was er mit deinem mysteriösen Unfall zu tun hatte, mit wem er Kontakt hat, was er in Kauf genommen hat, während er dich gleichzeitig gefickt hat?

Ich schüttle den Kopf, um die Erinnerungen zu vertreiben. Lydias Stimme hilft nicht dabei, mich zu konzentrieren und einen klaren Gedanken zu fassen. Unwillkürlich straffe ich die Schultern und deute auf den Chatverlauf. »Da geht es um mich«, sage ich unnötigerweise. »Ich will wissen, was es damit auf sich hat, wer die Absender sind und warum dieser Ausdruck in deinem Besitz ist.«

»Und ich will wissen, warum du mein Büro stürmst, meinen Assistenten anbrüllst und meine Sachen durchwühlst.«

»Ist das dein Ernst?«, frage ich mit einem ungläubigen Lachen. Ich greife wieder nach dem Ausdruck und halte ihn hoch. »Erwartest du, dass ich das einfach ignoriere? Hast du dir das durchgelesen?«

»Ja«, antwortet Gideon und beißt die Zähne zusammen. »Ich habe mir das durchgelesen.«

»Und? Hast du irgendwelche Gedanken dazu, die du mit mir teilen möchtest?«

Einen Moment lang hält er meinem Blick stand. »Überrascht es dich etwa, dass der Unfall kein Unfall war?«, fragt er herausfordernd. »Du arbeitest für die einflussreichste Familie Miamis, Charlotte. Wir haben Feinde, eine ganze Menge Feinde. Dass du irgendwann ins Fadenkreuz geraten würdest, hätte dir von Anfang an klar sein sollen.«

Eine eisige Kälte breitet sich in meinem Magen aus. »Darum geht es doch nicht, Gideon.«

»Worum geht es dann?«

»In dem Chat geht es nicht einfach nur darum, eine Personenschützerin auszuschalten, um an dich heranzukommen.« Ich werfe einen Blick auf den Ausdruck und erschaudere. »Das klingt persönlich. Und wenn du diesen Ausdruck hast, musst du wissen, wer da miteinander geschrieben hat.«

»Nein«, antwortet er ungerührt. »Der wurde mir zugespielt. Ich habe keine Ahnung, von wem der Chat stammt.«

Lügner. Das Wort blinkt mit großen roten Leuchtpfeilen versehen in meinem Verstand auf. Ich bin mir nicht sicher, woher diese Gewissheit kommt, aber ich weiß, dass Gideon lügt. Es steht in seinen Augen, zuckt um seine Mundwinkel, bedeckt seine angespannte Körperhaltung wie ein Umhang.

Als ich spüre, dass meine Hand zu zittern beginnt, lasse ich das Blatt fallen und verschränke erneut die Arme vor der Brust.

Ich muss hier raus. Muss weg von ihm und aus diesem auf einmal viel zu kleinen Büro, frische Luft atmen und nachdenken. Meine Gedanken springen ziellos umher, schreien mich an, dass ich immer noch Gideons Personenschützerin bin und ihn vor dem warnen sollte, was Lydia gesagt hat. Aber ich tue es nicht. Die Worte verlassen meinen Mund nicht, meine Lippen fühlen sich auf einmal an, als wären sie miteinander verschmolzen.

Demonstrativ trete ich zurück. »Ich muss jetzt los«, sage ich in hoffentlich neutralem Ton und sehe über Gideons Schulter hinweg Richtung Flur. »Wir sehen uns später.«

»Wo willst du hin?«, fragt er und verlagert kaum merklich das Gewicht. Er stellt sich mir nicht in den Weg, trotzdem ist seine Körperhaltung ziemlich eindeutig. »Was hattest du vor, bevor du den Chatverlauf gefunden hast, Charlotte?«

Verunsichert öffne ich den Mund. Ich wünschte wirklich, ich hätte mehr Zeit zum Nachdenken gehabt. Ich bin so verwirrt, wem ich glauben und auf wessen Wort ich vertrauen soll, dass mir beinahe schwindelig wird. Zum ersten Mal seit Lydias Besuch frage ich mich, ob sie vielleicht einfach gelogen hat. Auch wenn mir nicht einfällt, warum sie sich die ganze Sache mit Gavin und dem Kopfgeld ausgedacht haben sollte, wirkte sie emotional nicht gerade stabil. Und als ich sie gefragt habe, ob Roméo weiß, dass seine Familie mich für eine mögliche Komplizin Gavins hält, sagte sie, dass es lediglich Roméos Auftrag sei, mich zu kontrollieren. Aber das kann nicht sein. Am Anfang vielleicht. Als er mich zu erpressen versucht hat, um an Informationen über Gideon heranzukommen. Aber inzwischen ist unsere Beziehung nicht mehr nur … zweckmäßig. Er hat mir geholfen, nachdem Gideon mich wie Dreck behandelt und vor die Tür gesetzt hatte. Er hat sich Sorgen um mich gemacht – ehrliche Sorgen –, und wir haben miteinander geschlafen. Das hat sich eindeutig nach mehr angefühlt.

Allerdings ist Roméo noch immer ein Favreau.

Frustriert schüttle ich den Kopf. Mir war schon immer klar, dass diese Welt nicht schwarz-weiß ist, sondern sich stattdessen aus unzählig vielen Grauschattierungen zusammensetzt. Dennoch war ich mir in meinem Leben stets darüber bewusst, wer die Guten und wer die Bösen sind. Hier, in diesem neuen Leben in Miami, habe ich das Gefühl, dass die Grenzen mehr und mehr verschwimmen.

»Charlotte?«

Ich blinzle und reiße mich selbst aus dem Sumpf meiner Gedanken. Gideon steht noch immer vor mir und mustert mich aus kalten, zusammengekniffenen Augen.

Zitternd hole ich Luft. »Ich habe einen Tipp bekommen«, sage ich, obwohl die Worte sich in meinem Mund zu Asche verwandeln. »Ein gewisser Gavin Barlett soll in Geldwäscheaktivitäten verstrickt sein, Geld gestohlen und sich damit abgesetzt haben. Und meiner Quelle zufolge halten die Geschädigten dich für einen Komplizen und planen ein Attentat.«

Eine kleine Stimme in meinem Kopf schreit mich an, dass ich die Klappe halten soll. Aber ich kann nicht. Die Zweifel gegenüber Gideon stapeln sich in meinem Inneren zu einem Turm, trotzdem kann ich nicht einfach den Mund halten. Erstens, weil es meine Aufgabe ist, ihn zu beschützen. Und zweitens würde ich es mir niemals verzeihen, wenn ich jetzt gehen und ihm etwas geschehen würde, weil er unvorsichtig ist.

Gideons Augenbrauen wandern in die Höhe. »Und wer ist diese Quelle, wenn ich fragen darf?«

»Sie bleibt anonym«, antworte ich tonlos.

»Aha.« Ohne mich aus den Augen zu lassen, verschränkt er die Arme vor der Brust. »Und wer genau hat es auf mich abgesehen?«

»Das weiß ich nicht«, antworte ich, ohne zu zögern. Job hin oder her, Pflichtgefühl hin oder her – ich werde Roméo und fürs Erste auch seine Familie nicht an den Pranger stellen. Nicht, bevor ich alle Fakten kenne und mir einen Überblick über die Situation verschafft habe. Nicht, bevor ich nicht weiß, wer lügt und wer die Wahrheit sagt. »Ich bin mir nicht sicher, wie viel an den Gerüchten dran ist und was genau dahintersteckt. Aber ich hatte das Gefühl, dass ich dich warnen sollte.«

Sein Blick wird forschend. »Weißt du, wer Gavin Barlett ist?«

Ich zögere und wäge meine Möglichkeiten ab. »Nein.«

Ein paar quälend lange Herzschläge lang mustert er mich, durchbohrt mich mit seinen Blicken. Aber ich zucke nicht mit der Wimper und zwinge mein Gesicht zu einem nichtssagenden Ausdruck. Schließlich legt er den Kopf schief. »Gut, du kannst jetzt gehen.« Er sieht mich schneidend an. »Später will ich mit dir und Saeedi reden.«

»Warum?«

»Warum?«, wiederholt er ungläubig. »Weil du mir gerade erzählt hast, dass jemand hinter mir her ist, Charlotte. Das müssen wir besprechen, und ich bin mir sicher, dass Saeedi diesbezüglich auch ein paar Fragen hat.«

Scheiße. Daran hätte ich denken sollen. Der Sicherheitschef der Newtons – mein Chef – wird sich bestimmt nicht mit einer einfachen Ausrede zufriedengeben, sondern wissen wollen, woher ich meine Informationen habe. Andererseits müsste Gideon sich dann auch für den Chatverlauf rechtfertigen, und etwas sagt mir, dass er den lieber nicht an die große Glocke hängen würde.

Ohne mir meine steigende Panik anmerken zu lassen, nicke ich und trete um den Schreibtisch herum, um endlich die Flucht anzutreten. Ich halte bewusst Abstand zu Gideon, während ich Richtung Tür gehe. Aber ich komme nicht weit. Sobald wir auf gleicher Höhe sind, streckt Gideon den Arm aus und legt seine Hand an meine Wange.

Ich muss mich gewaltig zusammenreißen, um nicht zurückzuzucken. Sein Daumen streicht über meinen Wangenknochen.

»Geht es dir gut, Charlotte?«, fragt er. Seine Stimme klingt weicher, beinahe zärtlich. Aber irgendetwas an seiner Berührung lässt mein Herz schmerzhaft verkrampfen. Als würde sein Daumen jeden Moment zudrücken und meinen Knochen zerschmettern.

Trotzdem nicke ich und zwinge mich zu einem Lächeln. »Ja. Nur müde.«

Er sieht mich noch einen Moment lang an, dann nickt er und lässt seine Hand sinken. Erleichtert atme ich auf, dann beschleunige ich meine Schritte und sehe zu, dass ich so viel Abstand zwischen Gideon Newton und mich bringe wie möglich.

2. KAPITEL

Gideon

Die Tür fällt leise hinter Charlotte ins Schloss. Das Klicken ist zu sanft, zu behutsam für diese verdammte Situation. Es müsste vielmehr einem Donnerschlag gleichen – durchdringend, weltenerschütternd. Ich sehe ihr nach, zähle stumm bis fünfzig, dann drehe ich mich zu meinem Schreibtisch um. Meine Faust ballt sich um den Ausdruck, und ich beiße so heftig die Zähne zusammen, dass sie mir jeden Moment aus dem Kiefer brechen müssten.

»Nick!«, brülle ich.

Zwanzig Sekunden später geht die Tür auf, und ich spüre den irritierten Blick meines Assistenten im Rücken. »Sir?«

»Sagen Sie die restlichen Termine für heute ab«, belle ich, ohne mich zu ihm umzudrehen. »Ich bleibe im Büro, aber falls jemand fragt, bin ich nicht da. Das gilt auch für meine Mutter. Vorallem für meine Mutter. Verstanden?«

»Natürlich«, antwortet er, gewohnt höflich und folgsam. »Sagen Sie Bescheid, wenn Sie etwas brauchen.«

Er wartet nicht auf eine Antwort, und als Nächstes höre ich erneut das Klicken der zufallenden Tür.

Mein Blick klebt an dem zerknüllten Papier in meiner Hand. Am liebsten würde ich mich selbst schlagen – ich hätte es verdient. Normalerweise bin ich vorsichtiger. Lasse keine derart sensiblen Informationen auf meinem verfickten Schreibtisch herumliegen. Aber Nick betritt mein Büro nicht unaufgefordert, Charlotte war vorher verdammt noch mal nie hier, und ich bin nicht davon ausgegangen, dass mir diese ganze Scheiße um die Ohren fliegen wird, nur weil ich fünf Minuten pissen gehe!

Das Geräusch, das sich meiner Kehle entringt, ist eine Mischung aus Knurren und Fluchen. Ich habe keine Ahnung, ob Charlotte mir meine Ausrede abgekauft hat. Im Grunde habe ich kaum gelogen – mir wurde dieser Ausdruck tatsächlich zugespielt. Als Drohung. Als Schlag ins Gesicht, um mir deutlich vor Augen zu führen, dass meine Geheimnisse nur eine verdammte E-Mail davon entfernt sind, aufzufliegen.

Mit langen Schritten gehe ich zu dem Metallmülleimer, werfe das Blatt hinein und kippe dann den kalten Rest meines Kaffees darüber. Ich würde es gerne verbrennen, bin mir aber sicher, dass ich damit die Rauchmelder auslösen würde. Ich muss mich um dieses verdammte lose Ende in meinem Plan kümmern, und zwar so schnell wie möglich. Man hat Gavins Arm gefunden, trotzdem glaube ich keine Sekunde lang, dass er tatsächlich tot ist, bis ich seine Leiche gesehen habe. Dieser Mann gleicht einer Kakerlake. Jedes Mal, wenn ich denke, sie mit meinem Stiefel zerquetscht zu haben, zuckt sie, rappelt sich auf und verschwindet in irgendeiner stinkenden Mauernische.

Während ich dabei zusehe, wie der Kaffee das Papier braun färbt, atme ich tief durch.

Es ist gut. Es ist alles gut. Es wird alles gut.

Blossom wird zu einem Problem … glaube ich. Ich bin mir nicht mehr hundertprozentig sicher, wo ihre Loyalität liegt. Also muss ich herausfinden, was sie denkt. Zu welchen Schlüssen sie nach ihrem Besuch hier kommt. Sie ist leider nicht dumm und offenbar auch nicht so beeinflussbar wie die, die vor ihr kamen. Für gewöhnlich reichen ein wenig Aufmerksamkeit und der Glanz meiner Welt aus, um Frauen wie sie zu blenden. Sie davon abzuhalten, sich zu genau umzuschauen und Dinge zu hinterfragen.

Aber ein ungutes Gefühl sagt mir, dass Charlotte sich nicht so leicht abspeisen lassen wird. Nicht, nachdem sie mir eine beschissene Abfuhr erteilt und unsere Affäre beendet hat. Sex und die Aussicht auf eine Beziehung mit dem Erben des Newton-Imperiums hätten eine ziemlich gute Ablenkung sein und dafür sorgen sollen, dass sie mich für ihren Retter in glänzender Rüstung hält.

Ich muss das wieder geradebiegen. Ihr erneut das Gefühl zu geben, gerettet werden zu müssen, sollte nicht sonderlich schwer sein. Nicht bei ihren finanziellen Verhältnissen, ihrer Junkie-Mutter und dem Drecksloch, aus dem sie gekrochen kam. Ich muss ihre Situation nur ein wenig verschlimmern, damit sie auf meine Hilfe angewiesen ist, mich wieder als ihren Anker betrachtet und sich an meine Schulter lehnt. Das sollte leicht zu machen sein. Immerhin kennt sie niemanden in dieser Stadt, und an wen sonst sollte sie sich wenden?

Tief atme ich durch die Nase ein und durch den Mund wieder aus.

Als Erstes kümmere ich mich um Gavin. Danach um Charlotte Blossom.

3. KAPITEL

Charlie

Zwanzig Minuten später lenke ich den Wagen in eine schmale Parklücke, schalte den Motor ab und lehne den Kopf zurück, um die Augen zu schließen. Meine Gedanken rasen. Zu schnell, als dass ich sie sortieren könnte oder einen von ihnen zu fassen bekäme. Ich habe mich aufs Fahren konzentriert, sämtliche Überlegungen zur Seite geschoben, doch sobald meine Hände am Lenkrad zu zittern begannen, musste ich anhalten.

Mühsam atme ich ein und drehe den Kopf, um aufs Meer hinauszuschauen. Ich stehe vor einem Pier, der vollgestopft ist mit Touristen, Familien und Joggern. Neben mir parkt ein Imbisswagen, der Fisch anbietet, und die Leute, die dort für ihre Bestellungen anstehen, werfen mir irritierte Blicke zu, weil ich ziemlich sicher im Halteverbot stehe. Aber ich ignoriere sie alle.

Ich weiß nicht, was ich denken soll. Mein Verstand, mein Herz, mein Sinn für Logik sind überfordert. Es schockiert mich nicht, dass irgendjemand den Unfall auf der Rickenbacker Bridge mutwillig verursacht hat. Dass das kein unbedeutender Unfall war, bei dem Elijah und ich einfach nur Glück hatten. Den Verdacht, dass jemand nachgeholfen hat, hatte ich schon eine ganze Weile. Und grundsätzlich wäre Gideons Ausrede, jemand habe ihm den Ausdruck des Chatverlaufs zugespielt, absolut glaubwürdig.

Das Problem ist, dass alles in mir, jeder einzelne Instinkt, dieser Ausrede misstraut. Da war etwas in Gideons Augen, in dem arroganten Zug um seinen Mund, das mich an seinen Worten zweifeln lässt. Vielleicht kenne ich ihn inzwischen zu gut, um auf seine Lügen hereinzufallen? Oder ich bin einfach nur paranoid.

Zitternd atme ich aus, schließe die Augen und lasse die Stirn gegen das Lenkrad sinken. Das Gespräch mit Lydia und die Begegnung mit Gideon wirbeln durch meinen Kopf wie ein verdammter Orkan, der nichts als Verwüstung hinterlässt. Am liebsten würde ich schreien. Und dann aus dem Auto springen, die Beine in die Hand nehmen und so schnell wie möglich wegrennen. So weitweg wie nur möglich. Bis mich keines der Probleme um mich herum mehr einholen und ich endlich wieder frei atmen kann.

Verzweifelt versuche ich alles, was ich in den letzten paar Stunden erfahren habe, zu sortieren:

Ein gewisser Gavin Barlett, ein Verwandter der Newtons, war in Geldwäscheaktivitäten verwickelt und hat den Favreaus Geld gestohlen.

Er ist mit dem Geld abgehauen, hat sich abgesetzt und sich vermutlich irgendwo ein schönes Leben gemacht, während die Favreaus nach ihm gesucht haben.

Da sie ihn nicht gefunden haben, gehen die Favreaus davon aus, dass er bei seiner Flucht Hilfe hatte – einen Komplizen.

Vor ein paar Wochen ist Gavin aus irgendeinem Grund wieder in Miami aufgetaucht, hat sich aber weiter versteckt. Die Favreaus halten Gideon für den gesichtslosen Komplizen oder mich für eine potenzielle Verbündete, weil Gavin in Coach House aufgetaucht ist und mit mir reden wollte.

Ich habe keine Ahnung, warum er das getan hat. Weder kenne ich Gavin, noch hat er irgendetwas Hilfreiches zu mir gesagt – außer, dass ich nicht sicher bin.

Gavins abgetrennter Arm wurde gefunden, und zumindest Lydia geht davon aus, dass dafür entweder die Favreaus oder die Newtons verantwortlich sind.

Die Favreaus haben ein Kopfgeld auf Gideon ausgesetzt – allerdings vermute ich, dass es dabei nicht nur um ihre Befürchtung geht, Gideon habe Gavin irgendwie unterstützt. Immerhin fordert allem Anschein nach niemand meinen Kopf, obwohl ich ebenfalls auf der Liste der möglichen Verdächtigen stehe.

Gideon ist im Besitz eines Chatverlaufs, aus dem nicht nur hervorgeht, dass der Unfall auf der Brücke ein gezielter Angriff war, sondern auch, dass es etwas Persönliches war. Gegen mich, nicht gegen Elijah, der ebenfalls im Wagen gesessen hat und offensichtlich als Kollateralschaden in Kauf genommen wurde.

Ein frustriertes Stöhnen entringt sich meiner Kehle, und ich presse die Augen fester zusammen. Egal, wie sehr ich es versuche, es gelingt mir nicht, eine Ordnung in dieses Chaos zu bringen. Sollte Gideon der Komplize von diesem Gavin sein, was ich für absolut möglich halte, warum sollten er oder Gavin versuchen, mich von einer Brücke zu schubsen? Das ergibt doch keinen Sinn. Allerdings haben die Favreaus eigentlich auch kein Motiv, mich aus dem Weg räumen zu wollen. Zu diesem Zeitpunkt hatte Roméo noch die Hoffnung, dass ich als Informantin für ihn arbeiten könnte. Es hätte ihm eher geschadet als genutzt, wenn ich in der Bucht ertrunken wäre.

Roméos Name hallt wie ein Echo durch meinen Kopf. Lydia sagte, dass ich sein Auftrag sei. Dass er mir Dinge verheimliche. Was mich nicht schockiert, immerhin hat er mir eine Waffe vors Gesicht gehalten. Dennoch hat ihr Kommentar ein fieses Ziehen in meiner Brust hinterlassen, allerdings ist das im Moment wirklich mein kleinstes Problem.

Ein lautes Klopfen an meiner Beifahrerscheibe lässt mich so heftig zusammenfahren, dass mein Herz mindestens zwei Sekunden lang stillsteht, nur um dann in dreifacher Geschwindigkeit weiterzuschlagen. Einen Moment lang rechne ich damit, den einarmigen Gavin mit vorgehaltener Waffe zu entdecken oder Gideon, der mir weitere verstörende Chatverläufe um die Ohren haut.

Doch als ich die Augen aufreiße und mich aufrichte, entdecke ich Elijah, der mit ernstem Gesicht neben meinem Auto steht und mich durch das Fenster beobachtet.

Mein Herz rast noch immer und will sich einfach nicht beruhigen. Ich fahre die Scheibe herunter und beuge mich über die Mittelkonsole, um ihn besser sehen zu können.

»Ich bin nicht mal überrascht, dich zu sehen«, brumme ich und werfe ihm einen vorwurfsvollen Blick zu. »Hat er mir einen Peilsender verpasst?«

»Ich habe keine Ahnung, wovon du redest«, antwortet er tonlos, dann umrundet er den Wagen, öffnet die Fahrertür und wirft mir einen demonstrativen Blick zu. »Steig aus.«

»Warum sollte ich?«, frage ich verwirrt.

»Steig aus«, wiederholt er ungerührt. »Mach Platz, ich fahre.«

»Wohin?«

»Das siehst du dann.«

Frustriert beiße ich die Zähne zusammen. »Dieses autoritäre Gehabe kannst du dir sparen, Elijah. Ich bin kein Kind.«

»Freut mich, zu hören.« Er zuckt nicht einmal mit der Wimper. »Dann kommst du ja vielleicht selbst drauf, dass es keinen Sinn hat, zu diskutieren. Komm mit mir, oder fahr nach Hause und warte darauf, dass Roméo wie ein hormongesteuerter Teenager Palms Manor stürmt. Deine Entscheidung.«

Mir klappt der Mund auf. Das hier ist tatsächlich sein Ernst. Allein aus Prinzip will ich protestieren und ihm einen sehr langen, sehr wütenden Vortrag darüber halten, dass er nicht mein Babysitter ist und Roméo sich seine Überfürsorglichkeit sonst wo hinschieben kann. Aber Fakt ist, dass ich tatsächlich mit Roméo sprechen muss. Über einen Haufen Dinge. Und dass ich wirklich darauf verzichten kann, dass er auf dem Anwesen der Newtons eine Szene macht, wo ich doch eigentlich keinerlei Kontakt zu ihm haben sollte.

Seufzend schlucke ich meine Wut hinunter und steige aus, um zur Beifahrerseite zu gehen.

Elijah nickt kaum merklich. »Gutes Mädchen.«

»Halt die Klappe, Eli.«

Vielleicht bilde ich es mir nur ein, doch ich bin mir fast sicher, dass der Mistkerl grinst. Ich lasse mich auf den Beifahrersitz fallen und verschränke die Arme vor der Brust, während ich darauf warte, dass Eli den Parkplatz verlässt. »Es wundert mich, dass er nicht selbst gekommen ist, um mir den Hintern zu versohlen.«

»Oh, glaub mir, das wollte er«, versichert er mir trocken. »Aber ich war näher dran, also fiel diese Ehre mir zu.«

Ich schnaube. »Ernsthaft, woher wusstest du, wo ich bin?«

Eli zögert einen Moment, als wäre er sich nicht sicher, ob er mir dieses kleine Geheimnis tatsächlich verraten soll. »CCTV, Verkehrskameras. Wir haben einen guten Überblick über die Stadt.«

Mit hochgezogenen Augenbrauen sehe ich ihn an. Ich denke an die Nacht, in der Gideon mich gefeuert hat. Auch da hat Roméo mich mühelos gefunden. »Wie zur Hölle kommt ihr da ran? Ich denke mal, ihr habt keine eigenen Kameras in der ganzen Stadt aufgehängt.«

»Beziehungen.«

»Ah ja.« Ich überlege einen Augenblick. »Warum wisst ihr dann nicht, wer den Van gefahren hat, der uns von der Brücke gedrängt hat? Ihr müsstet ihn doch nur zurückverfolgen, oder nicht?«

»Das haben wir, aber wir sind auf die Hilfe des Videomaterials angewiesen. Wenn man weiß, wie, kann man die Kameras austricksen.«

Ich sehe ihn erwartungsvoll an, aber da er schweigt, gehe ich davon aus, dass er die Sache nicht näher erläutern will. Und da ich ohnehin das Gefühl habe, mein Kopf müsse wegen der Flut an Informationen jeden Moment entzweibrechen, lasse ich es gut sein. Ich glaube Elijah, dass sie nicht wissen, wer den Van gefahren hat. Roméo schien an dieser Information genauso viel zu liegen wie mir, und ich bin mir sicher, dass er es mir gesagt hätte, hätte er etwas herausgefunden.

Oder nicht?

Wieder wandern meine Gedanken zu Lydia. Seufzend werfe ich dem ernst dreinblickenden Elijah einen Seitenblick zu. »Woher weiß ich, dass du meinen Kopf nicht an die Favreaus liefern sollst?«, frage ich nur halb im Scherz. »Ich habe gehört, dass deine Bosse mich für eine kleine Verräterin halten.«

»Roméo ist mein Boss«, erwidert er ungerührt. »Und der will deinen Kopf sicher und gesund auf deinem Hals.«

»Wie beruhigend.«

Ein paar Minuten schweigen wir, und ich lasse mich in den Sitz sinken, während ich die Umgebung mustere. Auch ohne zu fragen, weiß ich, wo Elijah mich hinbringt. Den Weg nach Kingsbay erkenne ich inzwischen, und ich habe einfach nicht die Energie, zu fragen, warum wir ausgerechnet dorthin fahren. Das Gelände teilen sich die Favreaus und die Newtons, also besteht durchaus die Chance, von einem Newton oder einem ihrer Mitarbeiter dabei erwischt zu werden, wie ich mit einem Favreau unterwegs bin. Was für ein Chaos.

»Bist du in Ordnung?«, fragt Elijah nach einer Weile. Seine Stimme klingt beinahe tonlos, und er sieht mich nicht an, dennoch überrascht mich seine Frage.

»Klar«, erwidere ich verwirrt. »Abgesehen davon, dass du mich quasi entführst. Schon wieder.«

Er verzieht keine Miene. »Roméo hat nicht viel gesagt, aber wenn ich es richtig verstanden habe, warst du bei Newton, und Roméo hat das nicht gefallen. Es ist nichts … passiert. Oder?«

Langsam schüttle ich den Kopf. Körperlich geht es mir gut, trotzdem ist verdammt viel passiert. Allerdings ist allein die Vorstellung anstrengend, ihm von dem Gespräch mit Lydia und den Chatverläufen zu erzählen. Zumal ich schwer davon ausgehe, dass ich dieses Gespräch in wenigen Minuten schon mit Roméo werde führen müssen. »Es ist alles in Ordnung«, sage ich seufzend. »Roméo muss sich mal entspannen.«

»Das scheint ihm schwerzufallen, wenn es um dich geht.«

Ich drehe den Kopf und mustere sein Profil. »Wie meinst du das?«

Seine Schultern heben sich kurz, bevor er auf die Zufahrtsstraße nach Kingsbay abbiegt. »In der Regel interessiert er sich nicht allzu sehr für andere Menschen. Bei dir ist das anders. Und dieses Interesse hat offensichtlich nichts mit dir als möglicher Informantin zu tun.«

Unwillkürlich muss ich daran denken, wie Roméos Hände sich auf meinem Körper angefühlt haben. Auf meiner nackten Haut. Wie er meinen Namen geraunt hat, als er in mir war.

Mir schießt das Blut ins Gesicht, und ich räuspere mich in der Hoffnung, dass Elijah nichts davon mitbekommt. »Er fühlt sich verantwortlich für mich.«

»Warum sollte er?«

»Weil er mich in diese ganze Scheiße reingeritten hat, oder nicht?«, frage ich eine Spur herausfordernd. »Bevor er in mein Haus eingebrochen ist und mich bedroht hat, war alles gut.«

Eli lacht trocken. »Lass es mich anders formulieren: Warum sollte ihn das interessieren? Unter normalen Umständen würde er keinen Gedanken daran verschwenden, ob er dein Leben durcheinandergebracht hat oder nicht. Du warst eine anonyme Quelle. Sobald du versiegt bist – aus welchen Gründen auch immer –, sollte er dich fallen lassen und nicht mehr darüber nachdenken.« Er macht eine Geste, die ihn, mich und das Auto einschließt. »Was er bei dir offensichtlich nicht getan hat.«

Darüber will ich eigentlich nicht nachdenken. Weil ein Teil von mir sich sicher ist, dass der Sex sich nach … mehr angefühlt hat. Nicht nur nach Leidenschaft und Begierde wie zwischen mir und Gideon. Roméos Berührungen waren voller Gefühle und ungesagter Worte. Und genau davor habe ich Angst. Vor seinen Gefühlen und meinen. Weil Elijah recht damit hat, dass Roméos Auftauchen mein Leben durcheinandergebracht hat. Nicht nur das, er hat es ins Chaos gestürzt. Mich zu verlieben, kann ich mir im Moment nicht leisten. Vor allem nicht in einen Mann wie Roméo Favreau. Diese Art von Männern beschert einem mehr als nur ein bisschen Chaos – sie bedeutet schlechte Entscheidungen, die man früher oder später bereut.

»Ich weiß nicht, was du meinst«, antworte ich ein wenig zu spät und straffe die Schultern. »Ich arbeite immer noch für die Newtons. Vielleicht erhofft er sich doch noch Informationen.«

Ich spüre seinen Blick von der Seite. »Hat er dir geraten, bei den Newtons zu bleiben? Weiter für sie zu arbeiten?«

»Nein«, seufze ich, ohne darüber nachzudenken. »Er wollte, dass ich kündige.«

»Genau.« In seiner Stimme liegt eine gewisse Siegessicherheit. »Und damit wärst du für ihn vollkommen nutzlos. Was bedeutet, dass er dabei ganz allein dein Wohl im Sinn hatte.«

Mit der Hand reibe ich mir über die Stirn. »Und?«

»Und«, fährt er fort, »das ist ungewöhnlich für Roméo. Mehr wollte ich nicht sagen.«

Ich antworte nicht. In erster Linie, weil ich nicht weiß, was ich dazu sagen soll. Ich kann nicht einmal mit Gewissheit sagen, ob Elijah recht hat. Dafür kenne ich Roméo nicht gut genug. Ich weiß nicht, ob er richtige Freunde hat oder ob er grundsätzlich ein freundlicher und großherziger Mensch ist. Die ersten Wochen unserer Bekanntschaft war er ein überhebliches Arschloch, das mir teilweise sogar Angst gemacht hat. Er wirkte gnadenlos und kalt. Aber inzwischen weiß ich, dass das nicht mehr als eine Fassade war. Eine gut einstudierte Rolle, die er für seine Familie gespielt hat.

Als die ersten Gebäude von Kingsbay in Sicht kommen, richte ich mich ein Stück auf und behalte die Ausfahrt im Blick. Wenn einer der Newtons mich mit Elijah erwischt, würde das nicht nur meine fristlose Kündigung bedeuten, sondern auch einen Haufen Klagen und Zahlungen meinerseits. Zahlungen, die ich nicht leisten könnte und für die im Endeffekt mein Bruder Jude und seine Familie aufkommen müssten. Sobald der Wagen nach links abbiegt und zwischen den Lager- und Fabrikhallen der Favreaus verschwindet, atme ich erleichtert auf.

Als Elijah den Wagen auf den kleinen Schotterplatz davor lenkt und das Tempo drosselt, fällt mein Blick auf eine Gruppe von Männern. Sie alle tragen dunkle Kleidung und stehen in einem lockeren Kreis zusammen vor dem Steg, an dem auch Roméos Hausboot liegt. Mit erwartungsvollen Blicken drehen sie sich zu uns um.

Einen von ihnen erkenne ich – es ist einer von Roméos unzähligen Cousins. Derjenige, der mir an dem Abend, an dem Roméo mich am Strand eingesammelt hat, sein Misstrauen geradezu entgegengeschleudert hat. Ich kann mich nicht an seinen Namen erinnern, allerdings spielt das im Moment auch keine Rolle. Denn mein Blick wandert sofort zu Roméo.

Er trägt ein dunkles, eng anliegendes T-Shirt. Der Stoff spannt so sehr, dass ich mich kurz frage, ob er es mit Absicht eine Nummer zu klein gekauft hat, um seine Brust oder Oberarmmuskeln zu betonen. Seine Haare stehen ein wenig ab, als wäre er sich in den letzten Stunden zu oft mit den Fingern hindurchgefahren. Und sein Gesicht ist selbst aus der Entfernung so ernst, dass ich unwillkürlich die Stirn runzle.

»Dann mal los«, murmele ich und greife nach dem Türgriff.

Elijah wirft mir ein schnelles Grinsen zu. »Viel Glück.«

Als ich aussteige und meine angespannten Nerven zur Ordnung rufe, peitscht mir der warme Wind ins Gesicht. Roméo löst sich aus der Gruppe und kommt mit langen Schritten auf mich zu. Sein Gesichtsausdruck ist noch immer tödlich, und plötzlich bin ich nervös, weil ich keine Ahnung habe, wie ich mich verhalten soll. Als wir uns das letzte Mal gesehen haben, hatten wir Sex. Roméo war rücksichtsvoll, beinahe süß. Doch diese Version von ihm erkenne ich kaum noch in dem ernsten, wütenden Mann, der jetzt auf mich zukommt.

Wir treffen uns auf halber Strecke, und ich will gerade den Mund öffnen, um etwas zu sagen, da schnappe ich überrascht nach Luft. Denn Roméo krallt seine Finger in den Stoff meines Shirts, packt mich an der Taille und zieht mich an sich, bevor sein Mund hart auf meinen trifft.

4. KAPITEL

Roméo

Ich küsse Charlie, als wäre ich ein Ertrinkender und sie der einzige Sauerstoff, der mich noch retten kann. Eigentlich wollte ich sie anschreien. Ich wollte sie schütteln und fragen, was zur verfickten Hölle sie sich dabei gedacht hat, alleine zu Newton zu fahren, nach allem, was sie erfahren hat. Aber als ich sie gesehen habe, gesund und mit allen Körperteilen intakt, ist meine Wut verpufft. Und hat sich in etwas anderes verwandelt: eine dringende, alles verzehrende Sucht.

Charlotte Blossom ist meine Sucht. Sie ist schleichend gekommen, ohne dass ich es bewusst wahrgenommen habe. Anfangs habe ich sie nur in kleinen Dosen konsumiert, die aufregend waren, aber die ich hätte vergessen können. Doch jedes Mal, wenn ich Charlie angesehen habe, wenn ich ihr Lächeln gesehen habe, wenn ich ihre Haut unter meinen Fingern gespürt habe, bin ich ein bisschen abhängiger geworden. Und jetzt, nachdem ich sie ganz und gar hatte, können mein Körper, mein Geist, mein Herz nicht mehr ohne sie leben.

Sie seufzt leise und lehnt sich gegen mich, was mich überrascht. Ich habe fast erwartet, dass sie mich wegstößt oder mir eine verpasst. Was mich nicht gestört hätte, im Gegenteil. Würde Charlie jemals aufhören, sich gegen mich aufzulehnen, würde ich mir Sorgen machen. Ich schlinge einen Arm um ihre Taille, mit der anderen Hand fahre ich in ihre Haare und neige ihren Kopf, um den Kuss zu intensivieren. Ich muss sie spüren – alles von ihr. Ihren Atem, ihren Herzschlag, die Wärme ihrer Haut.

Als meine Zunge ihren Mund erobert, räuspert sich jemand hinter mir.

Könnte mir nicht egaler sein.

Wenn ich mein Mädchen küssen will, dann werde ich das verdammt noch mal tun. Scheißegal, wer zusieht oder ob der Himmel um uns herum in Flammen steht.

Leider scheint es Charlie nicht egal zu sein, denn sie löst die Hände aus meinem Shirt und legt sie flach auf meine Brust, bevor sie mich wegdrückt. Ich beiße ihr noch einmal sanft in die Unterlippe, dann lasse ich von ihr ab und weiche einen Schritt zurück, um ihr Gesicht zu mustern. Ihre Wangen sind gerötet und ihre Lippen wunderbar geschwollen, ihre Augen leicht glasig.

Sie räuspert sich kurz und macht dann einen weiteren Schritt von mir weg, was mich amüsiert. »Hi«, sagt sie und räuspert sich.

Charlie verlegen zu sehen ist ziemlich ungewöhnlich, und ich koste jede Sekunde davon aus. »Hi«, erwidere ich, weil diese Art von Begrüßung allmählich unser Ding wird. »Geht es dir gut?«

Kaum merklich runzelt sie die Stirn, bevor ihre Miene sich wieder glättet. »Warum fragt mich das heute jeder?«

Ich hebe eine Augenbraue. »Wer genau?«

»Elijah«, sagt sie und wirft meinem Fahrer einen vorwurfsvollen Blick über die Schulter zu. »Ihr tut alle so, als wäre ich vorher nie mit Gideon alleine gewesen.«

Wut steigt in mir hoch, und ich beiße reflexartig die Zähne zusammen. Mir ist verfickt bewusst, dass die beiden miteinander allein waren. Die Vorstellung von den Händen dieses Wichsers auf Charlies Haut hält mich nachts wach. Aber ich muss mich verdammt noch mal daran erinnern, dass sie nicht mir gehört. Noch nicht. Wir haben ein Mal miteinander geschlafen, und ich habe keinen beschissenen Besitzanspruch auf sie. Zumal Charlie keine Frau ist, die sich von irgendeinem Mann besitzen lässt. Das ist nicht das, was ich vorhabe. Ich will sie weder kontrollieren noch bewachen. Aber ich will, dass ich der letzte Mann auf diesem beschissenen Planeten bin, der sie jemals wieder anfasst. Und dass sie das auch will.

Ich atme einmal tief durch und mustere sie dann von oben bis unten. »Die Situation mit Newton hat sich verändert«, sage ich so gelassen wie möglich. »Was ich dir gerne erklärt hätte, wenn du mich am Telefon nicht weggedrückt hättest.«

»Ich kenne Gideon«, erwidert sie gereizt. »Ich brauche dich nicht, Roméo. Ich kann auf mich selbst aufpassen.«

»Das ist mir klar.« Scheiße, und wie mir das klar ist. Ich bin mir nicht einmal sicher, ob ich in einem Zweikampf gegen eine wütende Charlie eine Chance hätte. »Es geht auch nicht darum, dass ich Angst habe, er könnte dich schlagen, Charlie.«

Sie ringt die Hände. »Worum geht es dann? Hört doch alle mal auf, nur beschissen mysteriöse Andeutungen zu machen!«

Ich werfe einen Blick über die Schulter zu den anderen, denen sich Elijah inzwischen angeschlossen hat. Julien, mein Cousin, beobachtet uns skeptisch, aber darauf scheiße ich. Neben ihm stehen Raphael und Ben, die uns ebenfalls ansehen. Wobei … sie sehen nicht mich an, sondern Charlie. Ich verenge die Augen, dann wende ich mich wieder ab.

»Lass uns woanders reden«, sage ich und warte darauf, dass sie widerspricht. Als sie es nicht tut, strecke ich einen Arm aus, um sie vorangehen zu lassen. Doch sie rührt sich nicht, sondern mustert stattdessen mit misstrauischem Blick die Männer am Dock. »Schon okay. Du kannst ihnen vertrauen.«

»Ich vertraue noch nicht mal dir«, erwidert sie trocken. »Und einem Haufen schwarz gekleideter Schlägertypen sicher nicht. Ist der eine da nicht der Türsteher vom Antenora?«

Ich folge ihrem Blick und erinnere mich daran, dass Raphael an dem Abend gearbeitet hat, als ich mich mit Charlie im Club meiner Familie getroffen habe. Und dass er nicht gerade höflich zu ihr war. Die Quittung dafür hat er schon bekommen, aber ich bin gerne bereit, ihn an seine Manieren zu erinnern, sollte er sich erneut so benehmen.

Das ist aber nicht der Punkt, der mich an ihrer Aussage stört. »Du vertraust mir nicht?«

»Ich vertraue dir mit meinem Leben«, widerspricht sie ungerührt. »Ich vertraue darauf, dass du mich nicht umbringen willst. Die Gelegenheit dazu hattest du, und du hast sie offensichtlich nicht genutzt. Was alles andere angeht …« Sie zuckt nur mit den Schultern.

»Kluges Mädchen.« Als sie die Augenbrauen hochzieht, grinse ich. »Aber ich verspreche dir, dass dich keiner dieser Schlägertypen anfassen wird. Nicht einmal, wenn du sie darum bitten würdest. Also, wenn du Antworten willst, dann komm mit.«

Wieder strecke ich einen Arm aus und warte darauf, dass sie vorangeht. Ich erkenne den Kampf hinter ihrer hübschen Stirn, doch schließlich gibt sie auf und marschiert an mir vorbei auf die Gruppe Männer zu. Ich werfe ihnen einen mahnenden Blick zu, damit sie zur Seite treten und Platz machen, bevor Charlie mit entschlossenen Schritten die Bacon ansteuert. Ich folge ihr und muss mich nicht erst umdrehen, um mich zu vergewissern, dass es die anderen auch tun. Am liebsten würde ich sie wegschicken und ein wenig mit Charlie allein sein, aber als Erstes muss sie verstehen, wie ernst die Lage ist. So etwas wie heute darf kein zweites Mal passieren. Ich werde es kein zweites Mal zulassen.

Sie sieht mich erst an, als sie das Unterdeck erreicht hat und sich mit einem langen erschöpften Seufzen auf den Sessel fallen lässt. Allerdings ist die Röte in ihren Wangen zurückgekehrt, und ich grinse, als mir der Grund dafür bewusst wird. Sie erinnert sich daran, was passiert ist, als wir das letzte Mal zusammen hier waren. Auf diesem Boot, auf genau diesem Sessel.

Vielleicht denkt sie in diesem Moment daran, wie meine Zunge ihren Mund erobert hat, während meine Hände über ihren Körper …

»Rede«, fordert sie mich auf und unterbricht damit meine Fantasie, die gerade auf Wanderschaft gegangen ist. »Ich will wissen, was hier los ist.«

Ich setze mich auf die Couch ihr gegenüber, während Elijah sich neben mich stellt, Julien sich gegen die kleine Küchentheke lehnt und Raphael sich neben mich setzt. Ben bleibt unschlüssig mitten im Raum stehen. Ich werfe Charlie einen Blick zu, doch sie wirkt nicht im Mindesten eingeschüchtert, was ich ihr nicht verdenken würde. Diese Männer wirken tatsächlich einschüchternd. Dass sie keine Miene verzieht, ist beeindruckend.

»Was hat Lydia dir erzählt?«, frage ich. Seit der Sache mit Barlett habe ich immer einen Mann in Charlies Nähe postiert, heute Morgen war es Ben. Er hat mich angerufen, als Lydia aufgetaucht ist, konnte jedoch nicht verstehen, worum es bei dem Gespräch ging. Nur, dass es hitzig war.

Mit einem verkniffenen Grinsen schüttelt Charlie den Kopf. »Erzähl du mir, was los ist. Danach erzähle ich dir, was Lydia gesagt hat.«

Ich hebe eine Augenbraue, und wieder denke ich an ihren Kommentar, dass sie mir nicht vertraut. »Gavin Barlett«, beginne ich und erkenne Interesse in ihren Augen aufblitzen. »Er ist ein Cousin von Valentine Newton und war sowohl bei Diamond Cove als auch bei Newton Logistics angestellt. Als Anlageberater. Irgendwann hat er angefangen … für uns zu arbeiten.«

Als ich nicht weiterspreche, legt Charlie den Kopf schief und sieht sich kurz zu den anderen Männern um, bevor sie abfällig schnaubt. »Er hat Geld für euch gewaschen.«

»Ja.«

»Das tut deine Familie, nicht wahr?«, fragt sie kühl. Sie beugt sich vor und stützt sich mit den Ellbogen auf ihren Knien ab. »Schleust ihr das saubere Geld durch die Hotels, die deine Familie besitzt? Oder durch die Spedition?«

Ich bin beeindruckt, lasse mir jedoch nichts anmerken. Falls meine Männer unruhig werden, weil Charlie so viel weiß, bekomme ich es nicht mit. Meine gesamte Aufmerksamkeit gilt der Frau vor mir. »Unter anderem. Da gibt es verschiedene Prozesse«, antworte ich ausweichend. »Fragst du aus einem bestimmten Grund?«

Sie mustert mich einen Moment lang. »Nein«, sagt sie schließlich. »Eigentlich ist es mir auch egal, wie genau ihr das macht. Zumindest im Moment.«

»Gut.«

»Wie seid ihr an Barlett rangekommen? Man sollte meinen, dass Valentine Newtons Cousin nichts mit den Favreaus zu tun haben wollte.«

»Er wollte, was die meisten Verbrecher wollen.«

»Geld.«

»Genau. Ob er nun neidisch auf seinen Cousin oder es leid war, den Handlanger für ihn zu spielen, weiß ich nicht. Er bot sich als Strohmann an und benutzte die Werft, um als Mittelsmann für uns Geld zu waschen. Und er hat seine Anteile dafür bekommen.«

Überrascht sieht sie mich an. »Er hat Diamond Cove dafür benutzt?«

Ich nicke. »Ja. Er war ein Säufer mit einer Vorliebe fürs Glücksspiel und hat letztendlich bei den falschen Leuten Schulden gemacht.«

»Soll heißen?«

»Dass er die Kontrolle verloren und sich an uns gewandt hat, um Geld zu verdienen«, erwidere ich mit einem Seufzen und bedeute Ben, uns etwas zu trinken zu holen. »Irgendwann wurde er nervös und unvorsichtig. Die Presse fand heraus, dass er in kriminelle Handlungen verwickelt war, aber sie haben die Beteiligung der Favreaus niemals aufgedeckt. Als ihm die Sache zu heiß wurde, hat er die sieben Millionen, die er damals waschen sollte, eingesackt und ist abgehauen. Es kam genug an die Öffentlichkeit, um einen kleinen Skandal um die Newtons auszulösen, aber wir haben es wie gesagt geschafft, unseren Namen herauszuhalten.«

Charlies Augen werden groß, und sie pfeift leise durch die Zähne. »Er hat euch sieben Millionen Dollar geklaut?«

»Eigentlich hat er sie unserem Kunden geklaut, kommt aber auf’s Gleiche raus.«

»Mutig.«

»Nein, dumm«, korrigiere ich gereizt, weil sie den Ernst der Situation verstehen muss. »Er wusste, dass meine Familie ihn umbringt, wenn sie ihn erwischen.«

Ben kommt zu uns und hält uns beiden ein Glas mit Whisky entgegen. Charlie starrt ihres einen Moment lang misstrauisch an, bevor sie einen großen Schluck nimmt. Ich sehe, wie sie versucht, nicht das Gesicht zu verziehen, und verkneife mir ein Grinsen.

»Und ihr denkt, dass er bei der Flucht Hilfe hatte?«, macht sie weiter, nachdem sie einmal unauffällig gehustet hat.

Ich trinke ebenfalls einen Schluck und balanciere dann das Glas auf meinem Knie. »Wir wissen es. Damals war Gavin kaum noch in der Lage, sein eigenes Leben zu organisieren. Und er konnte erst recht keinen so wasserdichten Fluchtplan auf die Beine stellen, dass nicht einmal meine Familie es schafft, ihn aufzuspüren. Er hatte garantiert Hilfe. Einflussreiche Hilfe.«

Charlie schnaubt und wirft einen Blick auf Elijah, bevor sie sich wieder auf mich konzentriert. »Moment, Moment. Lydia meint, dass ihr mich verdächtigt, Barletts Komplizin zu sein. Euch ist aber schon klar, dass ich erst vor ein paar Wochen mit exakt zweiundvierzig Dollar auf dem Konto nach Miami gekommen bin, oder? Ich finde es ja schmeichelhaft, dass ihr mich für so mächtig haltet, dass ich eine beschissene Flucht organisieren kann. Leider seid ihr da wirklich ganz gewaltig auf dem Holzweg.«

Ich runzle die Stirn und frage mich, ob sie noch immer Geldsorgen hat, aber das ist wohl nicht der richtige Moment, um mir darüber Gedanken zu machen. »Niemand verdächtigt dich, ihm damals bei der Flucht geholfen zu haben.«

»Sondern?«

»Ihm jetzt zu helfen«, sage ich, kann den Widerwillen jedoch nicht ganz aus meiner Stimme verbannen. »Und nur fürs Protokoll: Ich halte das für absoluten Bullshit.«

»Gut zu wissen.«

Ich beuge mich vor. »Das Problem ist, dass Barlett dich neulich besucht hat und keiner sich erklären kann, was er von dir wollte. Selbst ich nicht.«

Wütend blitzen ihre Augen auf. »Und eure Reaktion auf eure Unwissenheit ist, mich zu verurteilen?«, fragt sie mit ätzender Stimme. »Wie erwachsen von euch.«

Über ihre Schulter hinweg bemerke ich Julien, der sich mit vor der Brust verschränkten Armen vorbeugt. »Dann sag uns, was Barlett von dir wollte. Mitten in der Nacht? Vor deinem Haus … in dem du alleine wohnst?«

Mir gefällt die Andeutung in seinen Worten überhaupt nicht, aber ich halte die Klappe, weil ich Charlies Antwort tatsächlich hören will.

Die dreht sich auf dem Sessel um und wirft die Hände in die Luft. »Habt ihr ihn gefragt, was er von mir wollte, bevor ihr ihn um einen Arm erleichtert habt? Ich habe nämlich keine Ahnung. Er ist bei mir aufgetaucht und hat unverständliches Zeug geredet, bevor ich ihm mit der Polizei gedroht habe und er abgezischt ist. Ich wusste doch gar nicht, wer er war!«

Ich balle die Hände zu Fäusten. »Was hat er zu dir gesagt?«

Sie wendet ihre Aufmerksamkeit wieder mir zu. In ihren Augen liegt eine ganze Mischung an Gefühlen, doch sie weicht meinem Blick nicht aus. »Dass ich in Gefahr bin. Er wollte mich warnen. Aber ich habe … ich habe es nicht ernst genommen. Ich dachte, er wäre ein Junkie, den meine Mutter geschickt hat.«

Schmerz. Da steht eindeutig Schmerz in ihrem Gesicht, und ich muss mich gewaltig zusammenreißen, sie nicht in meine Arme zu ziehen. Der Kuss gerade am Dock war eine leidenschaftliche Kurzschlussreaktion, und ich bereue ihn nicht, trotzdem halte ich es für das Beste, vor meinen Männern keine allzu große Show abzuziehen. Also kralle ich die Finger in das Leder des Sofas und zwinge mich selbst zu einem unbeteiligten Gesichtsausdruck.

»Er wollte dich warnen«, wiederholt Julien tonlos. »Einfach so? Aus reiner Nächstenliebe? Obwohl er dich angeblich nicht kennt?«

Charlie zeigt keinerlei Reaktion auf das Misstrauen, das unüberhörbar in Juliens Stimme mitschwingt. »Er wollte eine Gegenleistung.«

»Welche?«

»Keine Ahnung, hat er nicht gesagt. Ich habe ihn weggeschickt, bevor er ins Detail gehen konnte.«

»Moment«, wirft Eli stirnrunzelnd ein. »Da steht ein Mann mitten in der Nacht vor deiner Haustür und will dich warnen, und du fragst nicht mal nach?«

Langsam hebt sie eine Augenbraue, während sie seinem Blick begegnet. »Mein Vater war Fernfahrer und selten zu Hause, meine Mutter erst Alkoholikerin und dann abhängig von so ziemlich allem, was sie für Geld in die Finger kriegen konnte. Du wirst mir einfach glauben müssen, dass dieser Barlett bei Weitem nicht die furchterregendste Gestalt war, die nachts vor meiner Haustür stand.«

Unwillkürlich beuge ich mich weiter in ihre Richtung. Ich weiß, dass Charlies Mutter ein Junkie ist, und auch, dass ihr Vater früh starb. Die Andeutung, die da zwischen ihren Worten wabert wie giftiger Nebel, ist mir allerdings neu.

»Was willst du damit sagen?«, frage ich, wobei meine Stimme mehr wie ein Knurren klingt.

Sie öffnet den Mund, doch Elijah kommt ihr zuvor. »Wovor hat Barlett dich gewarnt?«

Diese Frage zeigt eine ganz andere Wirkung als meine vorherige. Zu meiner Überraschung senkt sie den Blick und betrachtet ein paar Sekunden lang ihre Hände, bevor sie tief durchatmet. »Vor Gideon Newton. Er meinte, er würde versuchen, mich zu töten.«

Und die Wut in meinem Magen explodiert wie eine verdammte Atombombe.

5. KAPITEL

Charlie

Als Roméo aufspringt und sich mit der Hand durch die Haare fährt, zucke ich beinahe zurück. Er wirkte davor schon wütend, doch jetzt sieht er aus, als wolle er gleich seine Faust durch die Holzverkleidung der Wand rammen.

»Hat er gesagt, warum Newton dich umbringen will?«

Langsam schüttle ich den Kopf. Ich hielt Barletts Geschwätz für wirres Zeug. Ich kenne genug Junkies, um zu wissen, dass man ihren Worten selten trauen kann. Als er vor meiner Tür stand, war ich sicher, dass meine Mutter ihn entweder geschickt oder ihm von mir erzählt hätte und er da wäre, um mich auszurauben. Die Drohung hielt ich für eine Masche, um in mein Haus zu kommen.

Im Licht der neuen Ereignisse allerdings … nein, ich glaube nicht, dass Gideon mich töten will. Warum sollte er? Er weiß nichts von meiner Verbindung zu Roméo, und die Tatsache, dass ich ihm einen Korb gegeben habe, reicht wohl nicht aus, um mich umbringen zu wollen.

»Hört mal«, sage ich langsam und sehe erst Roméo, dann Elijah an. Die anderen Männer stehen in meinem Rücken, also ignoriere ich sie einfach. »Mag ja sein, dass Barlett nicht einfach nur irgendein drogenabhängiger Spinner war, aber er war eindeutig nicht ganz klar, als er bei Coach House aufgetaucht ist. Vielleicht brauchte er Geld und hat irgendetwas gesagt, um mir Angst zu machen. Er wollte ins Haus. Ich könnte mir vorstellen, dass er mich beklauen wollte.«

Ich drehe mich ein wenig in meinem Sessel, weil Roméo inzwischen in dem kleinen Raum auf und ab geht und mich damit wahnsinnig nervös macht. Ich wünschte, er würde sich wieder hinsetzen. Ehrlich gesagt habe ich keine Ahnung, was das alles hier soll. Warum er so aufgebracht ist und warum all diese Typen hier sind. Bis jetzt hatte ich den Eindruck, dass Roméo kein allzu kuscheliges Verhältnis zu seiner Familie hat, und diese Männer gehören eindeutig zu den Favreaus. Ich kenne Elijah, diesen Julien und den Türsteher des Clubs – den vierten Mann habe ich noch nie in meinem Leben gesehen. Ich hätte lieber mit Roméo unter vier Augen gesprochen.

»Wart ihr das?«, frage ich, als weder Roméo noch einer der anderen etwas sagt. »Mit Barletts Arm?«

»Wir persönlich?«, fragt Julien herausfordernd.

Ich zucke mit den Schultern. »Lydia war sich nicht sicher, ob das auf eure oder Newtons Kappe geht. Also, haben die Favreaus Barletts Arm abgetrennt?« Unwillkürlich verziehe ich das Gesicht. Allein die Vorstellung … widerlich.

Roméo sieht mich an, als könne er sich nicht entscheiden, ob er mir die Wahrheit sagen soll oder nicht. »Ich war’s nicht«, sagt er schließlich, und seine Mundwinkel zucken kurz, weil er wohl selbst bemerkt hat, wie lächerlich kindisch dieser Satz klingt. »Aber ja, die Aktion geht auf die Kappe meiner Familie.«

Ich zwinge mich dazu, nicht einmal mit der Wimper zu zucken. Die ganze Zeit über war ich mir sicher, dass die Favreaus krumme Geschäfte führen, und Roméos Offenbarung mit den Geldwäscheaktivitäten hat mich nicht sonderlich schockiert. Aber – und möglicherweise ist mein moralischer Kompass kaputt – Geldwäsche ist etwas anderes als Körperverletzung. Etwas anderes, als Männern Körperteile abzuschneiden.

Vielleicht sollte ich mehr Angst haben. Vielleicht sollte ich nicht hier sitzen und mich in Ruhe mit diesen Männern unterhalten, sondern abhauen und weit, weit wegrennen. Am besten direkt zum nächsten Polizeirevier. Immerhin arbeite ich für den Feind, und zumindest ein paar Mitglieder dieser Familie halten es für möglich, dass ich auch mit Barlett zusammenarbeite. Dem Mann, dem sie den verdammten Arm abgeschnitten haben!

Meine Hände beginnen zu schwitzen, und ich schiebe sie eilig zwischen meine Oberschenkel, bevor sie zu zittern anfangen. Misstrauisch mustere ich die Männer um mich herum. Sie wirken nicht angriffslustig oder aggressiv, aber ich erinnere mich noch sehr deutlich daran, wie entspannt Roméo damals in Coach House ausgesehen hat, während er seine Waffe auf mich richtete und meine Familie bedrohte.

Mein Blick wandert zurück zu Roméo. Er muss irgendetwas in meinem Gesicht lesen, denn er unterbricht seinen manischen Gang durch die Kajüte, bleibt stehen und sieht mich an. Sein Blick scheint mich einzusaugen – als wäre er ein schwarzes Loch, dessen Anziehungskraft ich nichts entgegenzusetzen habe, selbst wenn ich es wollte.

»Sollte ich lieber nicht hier sein?«, frage ich und versuche, die Nervosität aus meiner Stimme zu verbannen. »Sollte ich mir Sorgen machen, warum all diese Männer hier sind, Roméo?«

Den Bruchteil einer Sekunde wirkt er verwirrt, als verstünde er nicht, worauf ich hinauswill. Dann wird sein Blick hart, und ich sehe, wie er die Zähne zusammenbeißt. »Niemand hier wird es wagen, dir wehzutun, mon flocon.«

Möglicherweise ist es dumm und wahnsinnig naiv, doch ich glaube ihm. Ich straffe die Schultern. »Gut. Ist Barlett am Leben?«

»Was glaubst du wohl, Mädchen?«, fragt Elijah.

Mein Herz setzt einen Schlag aus, obwohl mich die Reaktion nicht überraschen sollte. Wenn Barlett den Favreaus Geld gestohlen hat und sie ihn in die Finger bekommen haben, warum sollten sie ihn am Leben lassen? Dennoch … bei der Vorstellung, dass diese Menschen jemanden getötet haben, verkrampft sich mein Magen.

Ich schlucke gegen den Kloß in meinem Hals und nicke langsam. »Okay. Verstehe. Warum der Arm?«

»Als Warnung.« Wieder ist es nicht Roméo, der antwortet, sondern Eli. Roméo steht noch immer da und starrt mich derart intensiv an, dass ich seinen Blick wie Finger auf meiner Haut spüren kann.

»Als Warnung an wen?«

»Seinen Komplizen. Barlett war lediglich ein Strohmann ohne Macht und am Ende ohne Geld. Man muss den Köder opfern, um die großen Fische zu fangen, verstehst du?«

»Und ihr haltet Gideon für den großen Fisch«, führe ich den Gedanken zu Ende. Dann wende ich mich an Roméo und erwidere seinen Blick. »War das dein Problem, als ich zu Gideon gefahren bin? Dass eure Männer hinter ihm her sind und du Angst hattest, ich würde einem Mordanschlag auf ihn in die Quere kommen?«

»Es gibt eine Menge Gründe, warum ich nicht will, dass du in die Nähe dieses Drecksacks kommst, Charlie, aber ja, das war einer davon.«

»Warum?«, frage ich herausfordernd. »Weil du dir Sorgen um mich gemacht hast oder weil du nicht wolltest, dass ich meinen verdammten Job mache und Gideon vor euren Kopfgeldjägern rette?«

Seine Augen verengen sich kaum merklich. »Diese Frage solltest du nicht stellen.«

»Warum nicht?« Wütend werfe ich die Hände in die Luft und lasse sie geräuschvoll auf die Lehnen meines Sessels fallen. »Deine Familie hat einen verdammten Junkie umgebracht und seinen Arm als Warnung herumliegen lassen, Roméo! Was würden die gleichen Männer wohl mit mir machen, wenn ich sie davon abhalten will, meinen beschissenen Arbeitgeber umzubringen?«

Aus dem Augenwinkel bemerke ich, dass dieser Julien einen Schritt auf mich zu macht. »Würdest du sie denn davon abhalten? Wenn es hart auf hart kommt, auf wessen Seite stehst du dann, Blossom?«

»Hier geht es doch nicht um beschissene Seiten!«, rufe ich fassungslos. »Hier geht es um Mord! Erwartet ihr ernsthaft, dass ich das zulasse? Dass jemand wegen ein paar Millionen Dollar umgebracht wird, die eure Familie vermutlich nicht mal großartig vermisst? Selbst wenn Gideon Barletts Komplize war – was im Übrigen nicht einmal bewiesen ist –, hat nicht er euch bestohlen. Ihr hattet doch eure Rache, oder nicht?«

»Charlotte, Newton ist gefährlich und –«

»Verdammte Scheiße!«, unterbreche ich Elijah, bevor er den Satz beenden kann. »Ich war unzählige Male mit ihm allein!« Allmählich höre ich mich an wie eine gesprungene Schallplatte, aber sie wollen es einfach nicht verstehen. »Er hatte mehr als eine Gelegenheit, mich umzubringen, wenn er gewollt hätte. Vorhin waren wir in seinem Büro allein. Warum hätte er mich gehen lassen sollen, nachdem ich …«

Ich breche ab und beiße mir auf die Lippen. Ich habe ihnen nichts von dem Chatverlauf erzählt, und aus irgendeinem Grund bin ich mir nicht sicher, ob ich das tun sollte. Ich vertraue Roméo … irgendwie. Ich vertraue darauf, dass er mich nicht verletzen oder töten wird, und auch darauf, dass er nicht zulässt, dass die anderen es tun. Aber ich habe keine Ahnung, wo seine Loyalität liegt. Er arbeitet für die Favreaus, ist ein Teil der Familie. Ja, er scheint mich zu mögen, und er will mich körperlich. Das bedeutet aber noch lange nicht, dass er mich in dieser Familienfehde nicht benutzen wird, wenn es nötig ist.

Unsicher sehe ich auf und bemerke, dass er mich wieder anstarrt.

»Nachdem du … was?«, zischt er zwischen zusammengebissenen Zähnen.

Ich verschränke die Hände in meinem Schoß, während ich fieberhaft überlege, was ich tun soll. Ich versuche abzuwägen, ob mir die Information über die Chatverläufe irgendwie Schwierigkeiten bereiten könnte. Ob es ratsamer wäre, sie zu verschweigen oder Roméo einzuweihen. Aber eigentlich kann es für Gideon kaum noch schlimmer werden, oder doch? Er steht ohnehin bereits auf der Abschussliste.

Zitternd atme ich ein. »Ich habe etwas in seinem Büro gefunden.«

»Was hast du gefunden?«

Nacheinander sehe ich die Männer an, die mit angespannten Mienen darauf warten, dass ich weiterrede. »Unter vier Augen«, sage ich leise und konzentriere mich wieder auf Roméo. »Ich sage kein Wort mehr, bis wir alleine sind.«

»Das kannst du vergessen«, sagt Julien und verschränkt die Arme vor der Brust.

Ich hebe das Kinn. »Dann ist dieses Gespräch jetzt beendet, und ich gehe zurück zur Arbeit.«

»Heute ist Sonntag«, sagt Roméo leise, beinahe drohend. »Du hast frei.«

»Du kennst meinen Dienstplan nicht.«

»Du würdest dich wundern, mon flocon.«

Wahrscheinlich hat er recht. Es würde mich überhaupt nicht überraschen, wenn er Zugang zu den Dienstplänen und zu was weiß ich was noch hat. Dennoch bin ich nicht bereit, auch nur einen Zentimeter zurückzuweichen. »Ich rede mit dir unter vier Augen oder gar nicht. Eure Entscheidung.«

Julien flucht derb. »Ich habe doch gesagt, dass wir ihr nicht trauen können. Warum sollten wir der Newton-Schlam–«