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Der Alle-Farben-Wettbewerb Den Wechsel auf die Gesamtschule hatte Lila sich aber anders vorgestellt! Sie und ihr bester Freund Benno kommen nicht in dieselbe Klasse, denn Benno muss einen Jahrgang überspringen. Warum nur benimmt er sich seitdem so seltsam? Als ihr Klassenlehrer zu einem Kunst-Wettbewerb mit dem Thema "Alle Farben unseres Viertels" aufruft, ist die kreative Lila mit Feuereifer bei der Sache. Zusammen mit ihrer schweigsamen Sitznachbarin Yu hat sie eine geniale Idee, wie sie den Wettbewerb gewinnen können. Doch dann kommt alles ganz anders, als Lila das geplant hat … Drei Freunde sind besser als zwei Die impulsive Lila heißt eigentlich Violetta, ist elf Jahre alt und in ganz Köln-Kalk für ihre verrückten Ideen bekannt. Wenn sie groß ist, will Lila eine berühmte Modedesignerin werden – auch wenn ihre strenge Kunstlehrerin Frau Hacklaufen ihr kein Talent dafür bescheinigt. Doch Lila glaubt an sich und ihre Kreativität! Ganz anders Benno, ihr bester und neuerdings hochbegabter Freund: Er denkt lieber, als zu sprechen, und versteckt sich gerne hinter seiner Filmkamera. Und dann ist da noch Yu, die Lila in der neuen Klasse kennenlernt. Yu (12), muss die 5. Klasse wiederholen und träumt davon, Kickbox-Weltmeisterin zu werden. Anfangs können sich Benno und Yu nicht besonders leiden, aber schließlich stellen beide fest, dass drei Freunde besser sind als zwei. Lilas ausgefallene Ideen handeln ihr oft jede Menge Ärger ein. Aber zum Glück ist Onkel Lars, der die beste Pasta der Welt kocht und viel Verständnis für Lilas Flausen hat, immer dann zur Stelle, wenn seine Lieblingsnichte Hilfe braucht. + Lila Flax – impulsiv und ungestüm und das Herz am rechten Fleck + Mitten aus dem Leben: Energiebündel Lila wohnt in einem multikulturellen Viertel + Mit vielen weifarbigen, ausdrucksstarken Illustrationen von Jutta Wetzel + Mit Lila Flax das Lese-Quiz bei Antolin lösen
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Seitenzahl: 202
Veröffentlichungsjahr: 2025
Originalcopyright © 2025 Südpol Verlag, Grevenbroich
Autorin: Anna Keller Keith
Umschlaggestaltung und Illustrationen: Jutta Wetzel
eBook Umsetzung: Leon H. Böckmann
ISBN: 978-3-96594-339-1
Alle Rechte vorbehalten.
Unbefugte Nutzung, wie etwa Vervielfältigung, Verbreitung, Speicherung oder Übertragung,
können zivil- oder strafrechtlich verfolgt werden.
Mehr vom Südpol Verlag auf:
www.suedpol-verlag.de
Für Emily,
die vielleicht auch mal eine
berühmte Designerin wird
Inhalt
Der Wettbewerb
(Zu) gute Idee
Superbrain und Kickboxmeisterin
Ein Traum aus bunter Seide
Im Hundesalon
Patchwork
Von Fröschen und Models
Zwei Eis für drei
Onkel Lars
Spaghetti und ein klärendes Gespräch
Der Kackhaufen
No day for a catwalk
Yus Wut
Das geheimnisvolle Lächeln der Henriette Hacklaufen
Hochzeitstag
Kicherwasser
Tortenmatsch
Das Karnevalskostüm
Der große Streit
Kein Empfang
Wolli und Tina
Ein Retter in Blau-Pink
Hilde Rojas
Auf der Bühne
Ein Film von Benno Maschewski
Einstimmig
Überraschung
Die Ausstellung
Nee, so hab ich mir den ersten Tag in der Gesamtschule ganz bestimmt nicht vorgestellt! Ich sitze in der zweiten Reihe im Klassenraum der 5a neben einem großen Mädchen, das ich noch nie gesehen habe. Dabei sollte da eigentlich Benno sitzen. Das war schon so geplant, seit er mich in der ersten Klasse zum allerersten Mal angeblinzelt hat. Zehnmal, denn zehn war damals seine Lieblingszahl.
Seit diesem Tag sind wir beste Freunde, Benno und ich.
Mittlerweile mag er die Zwei zwar lieber, aber das Geblinzel macht er immer noch, vor allem, wenn er nervös ist.
Bestimmt blinzelt er jetzt gerade wie verrückt, nur eben nicht neben mir, denn er ist jetzt leider hochbegabt. Das kam zumindest bei dem Test raus, den Benno im Sommer machen musste. Sie dachten, ihm würde vielleicht was fehlen im Oberstübchen, weil er im Unterricht nie was gesagt hat. Aber dann haben sie rausgefunden, dass ihm gar nichts fehlt, sondern dass er zu viel von allem im Kopf hat. Und darum musste er eine Klasse überspringen. Der Arme. Er sitzt jetzt sicher ganz verloren zwischen riesigen Sechstklässlern und vermisst mich.
Plötzlich fliegt die Tür auf und eine Frau mit spitzer Brille und glatt gekämmten Haaren marschiert rein. Sie trägt eine weiße Bluse mit weitem Kragen und ungefähr hundert kleinen Rosen drauf. Sehr altmodisch, finde ich. Und ich muss es ja wissen, denn ich werde später Modedesignerin und voll berühmt. Das ist beschlossene Sache. Ich mag’s nämlich bunt und entwerfe schon seit der ersten Klasse meine eigenen Designs. Als wir am ersten Tag in der Grundschule etwas malen sollten, das für uns besonders ist, haben alle Kinder Kuscheltiere, Schultüten oder Geschenke gemalt. Bis auf einen Jungen, der einen afrikanischen Goliathkäfer gezeichnet hat, und ein Mädchen, das einen hellblauen Schal mit magischen Fransen gemalt hat. Das waren Benno und ich.
Die Frau mit der spitzen Brille schreibt in großen, krakeligen Buchstaben ein merkwürdiges Wort an die Tafel:
H A C K L A U F E N
„Guten Morgen zusammen! Mein Name ist Hacklaufen.“ Dabei blickt sie finster in die Runde.
Ich muss mich beherrschen, um nicht laut loszuprusten. Hacklaufen? So wie Kackhaufen?!
Ich wünschte, Benno hätte das gehört! Der würde glatt Schnappatmung bekommen.
„Ich bin eure Kunstlehrerin. Aber wenn ihr denkt, wir tanzen hier unsere Namen und malen Kreise auf Holzscheiben, dann habt ihr euch getäuscht“, sagt Frau Hacklaufen und hält ein spitzes Stück Kreide in die Luft. „Symmetrie, Ordnung, Realität – Rembrandt, Rubens, Bacon, das ist Kunst und darum geht es hier.“
Bei jedem dieser Namen tippt sie mit der Kreide gegen die Tafel. TOK, TOK, TOK.
Für mich klingt das ziemlich langweilig, so langweilig, dass ich laut gähnen muss.
Frau Hacklaufen wirft mir einen eiskalten Blick zu. „Du da! Name?“
„Ich … äh …“, stammle ich und richte mich auf. Ich bin wirklich selten sprachlos. Aber bei Frau Hacklaufens Eisaugen stockt mir der Atem. Als ich mich wieder erinnere, sage ich: „Lila, Lila Flax.“
„Lila?“, wiederholt Frau Hacklaufen und rümpft so heftig die Nase, dass die Brille ein Stück höher rutscht. „Du heißt wie die Komplementärfarbe von Gelb?“
Ein Kichern geht durch die Klasse und ich rutsche auf meinem Stuhl ganz tief nach unten. Bevor ich antworten kann, dass Frau Hacklaufen sich ja nun wirklich nicht über andere Namen lustig machen sollte, streckt der kerzengerade Rücken vor mir einen kerzengeraden Arm in die Luft und schnippt mit den Fingern. Als das nicht hilft, folgt ein lautes „Ähem, ähem …“.
„Was?“, bellt Frau Hacklaufen.
Der Arm schnellt nach unten und der dazugehörige blonde Kopf quiekt: „Sie heißt Violetta. Das ist ihr echter Name. Lila ist nur ein Spitzname!“
„Nur ein Spitzname?“, rufe ich empört und alle starren mich an. Sofort halte ich mir die Hand vor den Mund. Ganz ruhig, Lila! Ich habe mir nämlich fest vorgenommen, mich auf der neuen Schule ein bisschen mehr zurückzuhalten. Aber was bitte ist an einem Spitznamen weniger echt als an einem anderen Namen?
„Ruhe!“, brüllt Frau Hacklaufen und knallt das Klassenbuch auf den Tisch. „Ich dulde in meiner Klasse kein Herumgeschreie, damit das klar ist! Also, Mund zu, Violetta – und …“
„Isabella“, sagt der sprechende Kopf. „Isabella Gabriella Porthaus.“
Japp, Isabella Porthaus. Ausgerechnet die Oberpetze aus der Grundschule ist mit mir in einer Klasse gelandet, während Benno alleine in der Sechsten hocken muss … Einfach unfair!
Während ich zähneknirschend daran denke, wie Isabella mich in der Ersten verpfiffen hat, weil ich mit einem Bein außerhalb vom Schulhof stand, klopft es an der Tür.
„Herein!“, donnert Frau Hacklaufen und ein Mann mit lustiger Lockenfrisur und warmen braunen Augen kommt herein.
Er ist klein. Sehr klein. Das denke ich zumindest, bis ich kapiere, warum: Er steht nicht. Er sitzt, und zwar in einem Rollstuhl.
„Dürfte ich Sie wohl kurz stören?“, fragt er. „Das Projekt, Sie wissen schon …“
„Aber natürlich, Herr Kollege.“ Frau Hacklaufen lächelt gequält, rollt mit den Augen und tritt zur Seite. Sie hätte wohl lieber direkt mit Symmetrie und Ordnung losgelegt.
„Vielen Dank!“, entgegnet der Mann und dreht sich zur Klasse. „Ich bin Herr Solmaz. Lehrer für Gesellschaftskunde und Sport – und übrigens euer Klassenlehrer!“
Ich höre förmlich, wie mir ein Riesenstein vom Herzen fällt und mit einem lauten Kracher auf dem Boden landet. Vielleicht liegt es daran, dass neben Frau Hacklaufen ganz sicher jeder nett wirkt, aber ich kann Herrn Solmaz schon jetzt gut leiden.
„Sport? Wie soll das denn gehen?“, zischt Isabella ihrer Sitznachbarin zu. Natürlich!
Fräulein Oberpetze hat im Gegensatz zu mir auch noch ihre beste Freundin dabei. Yasmin klebt seit der Ersten an Isabellas Seite und sieht fast genauso aus wie sie: Die beiden sind gleich groß, tragen nur Sachen in Pastellfarben und reden sogar mit den gleichen piepsigen Stimmen. Der einzige Unterschied ist, dass Isabella blonde seidige Haare und Yasmin schwarze seidige Haare hat. Schnarch!
„Und falls ihr euch fragt, wie das gehen soll, seid beruhigt“, fährt Herr Solmaz fröhlich fort und nickt Isabella zu, die genauso rosarot wird wie ihr T-Shirt. „Ich bin dreifacher Regionalmeister im Rennrudern und nehme regelmäßig an Rollstuhlmarathons teil. Aber das tut eigentlich nichts zur Sache, denn ein guter Lehrer muss nicht unbedingt selbst gut in seinem Fach sein. Viel wichtiger ist, dass er das Beste aus euch rausholt.“
Herr Solmaz macht eine Pause und guckt erwartungsvoll in die Runde, so als wäre er schon gespannt, was er aus uns allen rausholen wird. Dann reibt er sich die Hände.
„Also, nun zu euch! Erst mal möchte ich euch an unserer Schule ganz herzlich willkommen heißen. Im Moment ist sicher noch alles neu für euch, aber ihr werdet sehen: Bald fühlt ihr euch hier wie zu Hause!“
Das Mädchen neben mir schnauft und ich werfe ihr einen verstohlenen Blick zu. Sie ist wirklich sehr groß, hat einen dunklen Kapuzenpulli an, kurze schwarze Haare und einen mindestens genauso finsteren Gesichtsausdruck. Wahrscheinlich kann sie sich auch nicht richtig vorstellen, dass wir uns hier bald wie zu Hause fühlen werden …
Als alle durcheinandermurmeln, klatscht Herr Solmaz in die Hände und ruft: „Damit euch der Einstieg hier noch mehr Spaß macht, haben sich der Fachbereich Kunst und der Fachbereich Gesellschaftskunde etwas Besonderes überlegt, und zwar einen Kunstwettbewerb! Das Thema lautet: Alle Farben unseres Viertels. Ihr arbeitet dabei in Zweiergruppen zusammen. Jedes Team hat bis Donnerstag in zwei Wochen Zeit. Euer Kunstwerk dürft ihr dann beim Schulkonzert in der Aula vorstellen und eine Bewertungsgruppe aus der Lehrerschaft kürt das Siegerpaar, nach folgenden Kriterien …“ Herr Solmaz macht eine Pause und wirft Frau Hacklaufen einen aufmunternden Blick zu. Widerwillig dreht sie sich zur Tafel und notiert die Kriterien, die er jetzt aufzählt: „Nachhaltigkeit, Farbenvielfalt und der Bezug zum Viertel.“
„Ähem, ähem …“, macht Isabella und schnippt schon wieder wild in der Luft herum, bis er sie drannimmt. „Was heißt denn Bezug zum Viertel?“
Herr Solmaz grinst, als hätte er nur auf diese Frage gewartet. „Eine sehr gute Frage! Der Bezug zum Viertel heißt ganz einfach, dass euer Kunstwerk etwas mit unserer Gegend zu tun haben sollte. Zum Beispiel ein Motiv, das ihr hier in Köln findet, oder ihr arbeitet mit Materialien, die es bei uns gibt. Aber Achtung: Wählt bitte nicht alle den Dom als zentrales Element eures Kunstwerks! Sucht euch besser etwas aus unserem Viertel aus – auch in Kalk gibt es großartige Dinge zu entdecken. Seid bunt, seid vielfältig, seid ihr selbst!“
Er sprüht nur so vor Begeisterung, als sei er selbst ein kunterbuntes Kunstwerk.
Isabellas Arm schnellt sofort wieder hoch. „Und gibt’s dabei auch was zu gewinnen?“
„Natürlich!“, sagt Herr Solmaz fröhlich und nickt. „Es wäre ja kein Wettbewerb, wenn es nicht auch was Spannendes zu gewinnen gäbe. Das beste Kunstwerk wird im Kalker Kunstmuseum gezeigt – und zwar bei der Ausstellungseröffnung der Künstlerin Hilde Rojas!“ Herr Solmaz breitet die Arme aus und schaut uns erwartungsvoll an. Aber die Klasse ist jetzt nicht wirklich beeindruckt. Zumindest sagt keiner was. Außer mir.
„Kalker Kunstmuseum?! HILDE ROJAS???“, kreische ich und schlage mir diesmal so fest die Hand vor den Mund, dass es wehtut.
Erst denken, dann reden, dann handeln, Lila! Das hat Frau Voppmann in der Grundschule immer zu mir gesagt. (Und spätestens seit ich in der dritten Klasse mitten auf dem Schulhof gebrüllt habe, dass ich in Michael Ufftal aus der 3b verliebt bin, hab ich verstanden, was sie damit meint.)
Aber jetzt kann ich meine Klappe wirklich nicht halten. Denn Hilde Rojas ist nicht irgendeine Künstlerin, sondern die talentierteste Modedesignerin EVER und mein absolutes Idol! Ich hab sie letzte Woche noch in einer Zeitung bei Amarena im Hundefriseursalon gesehen. Da fällt mir ein, dass ich da heute Nachmittag unbedingt noch vorbeimuss! Amarena hebt mir nämlich immer bis zum Montag alle ausgelesenen Zeitungen auf. Und wenn ich sie nicht abhole, kommen sie ins Altpapier. So ‘ne Verschwendung!
„Ich freue mich über deine Begeisterung.“ Herr Solmaz reißt mich aus meinen Gedanken und nickt mir lächelnd zu. Dann wandert sein Blick durch die Klasse: „Habt ihr noch Fragen zum Wettbewerb?“
Niemand meldet sich. Bis auf Isabella: „Dürfen unsere Eltern auch zu der Preisverleihung kommen? Ich muss das wissen, weil sich Paps dann freinehmen muss.“
Ich gucke an die Decke, damit ich nicht laut stöhne. Warum habe ich bei Isabella immer das Gefühl, dass sie nur sich selbst wichtig findet und sonst gar nichts?!
„Nein“, sagt Herr Solmaz und selbst dieses Wort klingt bei ihm irgendwie nett. „Die Veranstaltung ist nur für die Schülerschaft und das Lehrerkollegium. Allerdings werden alle Werke im Foyer ausgestellt, damit eure Eltern sie beim Elternsprechtag sehen können.“ Herr Solmaz schaut auf seine Armbanduhr und reibt sich wieder die Hände. „Fein! Mit freundlicher Erlaubnis der werten Frau Hacklaufen könnt ihr sofort loslegen. Findet euch in Zweierteams zusammen und lasst eurer Kreativität freien Lauf! Danach ist das Projekt Hausaufgabe.“ Mit diesen Worten nickt er erst uns, dann Frau Hacklaufen zu und rollt gut gelaunt durch die Klassentür.
Angestrengt schaue ich auf meinen Malblock und zeichne Kreise vor mich hin. Alle Farben unseres Viertels … Wenn Benno hier wäre, wäre das viel einfacher. Aber der sitzt ja dummerweise in der Sechsten und lernt Sachen für Superschlaue.
Verstohlen schaue ich mich um. Irgendwie scheinen alle schon einen Partner gefunden zu haben. Bis auf das Mädchen neben mir.
„Äh, sollen wir dann …?“, frage ich und meine Stimme springt vor Aufregung in die Höhe.
Sie zuckt mit den Schultern und sagt: „Von mir aus. Aber ich warne dich, ich bin nicht gut darin.“
„Worin?“
„Na, in Kunst und so was“, murmelt sie.
„Macht nichts!“, entgegne ich schnell. „Ich bin ganz gut in Kunst, war in der Grundschule immer mein Einserfach. Sonst bin ich nämlich eher so mittelmäßig, außer mündlich, da bin ich besser, weil ich so viel rede, das Gegenteil von Benno – der hat nie im Unterricht mitgemacht, aber das war, weil er hochbegabt ist! Deswegen ist er jetzt in der Sechsten, hat eine Klasse übersprungen.“
Das Mädchen schaut mich stirnrunzelnd an. Nicht so viel reden, Lila!, sage ich mir und merke, wie mein Kopf heiß wird.
„Benno? Ist das dein Freund?“, fragt sie und guckt plötzlich interessiert.
„Ja, äh, nein!“ Jetzt werde ich endgültig rot. „Nicht mein Freund-Freund! Mein bester Freund. Ein Kumpel eben.“
„Ach so“, entgegnet sie und wirkt irgendwie enttäuscht.
„Ich bin Lila!“, sage ich, um das Thema zu wechseln, und halte ihr die Hand hin.
Sie schlägt ein. „Hab ich mitbekommen. Ich bin Yu.“
„Ist das eine Abkürzung?“, frage ich.
Sie schüttelt den Kopf und lässt meine Hand los. „Nein, das ist chinesisch.“
„Du hast einen ganz schön festen Händedruck“, murmle ich.
„Kommt vom Kickboxen.“ Yu klingt ziemlich stolz. „Zweimal die Woche Training und mindestens einen Wettkampf im Monat. Genau wie mein Vater. Der ist Trainer bei uns im Boxverein.“
„Wow!“ Ich stelle mir Yu in einem Boxring vor, wie sie auf und ab hüpft und einen roten Sack vermöbelt. Passt auf jeden Fall zu ihrem mürrischen Gesichtsausdruck.
Plötzlich räuspert sich jemand hinter uns und Frau Hacklaufen schaut mit spitzer Miene auf uns herab. „Hier ist aber keine Arena, Yu, sondern ein Klassenraum“, sagt sie kühl. „Und hier geht es um Kunst. Oder willst du schon am ersten Tag so weitermachen wie letztes Jahr? Zweimal wiederholen wäre selbst für Kickboxerinnen zu viel!“
Yu antwortet nicht, sondern schaut grimmig auf ihre Stifte.
„Und was ist das da, Violetta?“, wendet sich Frau Hacklaufen plötzlich an mich. „Das sollen wohl Kreise sein, hmm?“
Ich nicke. Natürlich sind das Kreise!
„Na, daran musst du noch ein bisschen arbeiten. Kreise sind rund! Und nicht eierförmig!“, meckert sie. „Aber wir haben ja das Schuljahr noch vor uns …“ Damit stolziert sie weiter.
Ich werfe Yu einen fragenden Blick zu. „Bist du … sitzengeblieben?“
Sie brummt nur und fängt an, mit den Fingern zu knacken. „Wegen Mathe. Und Kunst. Frau Hacklaufen hat mir ‘ne Fünf gegeben. Eiskalt.“
„Puh …“, entgegne ich. „Gibt’s hier noch mehr von der Sorte?“
„Nicht wirklich“, sagt Yu. „Die anderen Lehrer sind ziemlich in Ordnung. Vor allem Herr Solmaz. Der hat mir in Gesellschaftskunde ’ne Zwei gegeben, obwohl ich kaum was gesagt habe.“
Ich nicke und streiche über meine eierförmigen Kreise. „Also, hast du eine Idee?“, frage ich, aber Yu macht sofort eine abwehrende Handbewegung.
„Ich hab’s dir schon gesagt. Ich bin durch und durch unkreativ!“
Ich will gerade entgegnen, dass jeder Mensch kreativ ist. (Das sagt Mama immer und die muss es wissen, schließlich hat sie mal Kunst studiert und sticht jetzt die coolsten Tattoos weit und breit.) Aber da hab ich plötzlich die Idee!
„Die große Wiese im Breuer-Park, da, wo jetzt die vielen Blumen blühen! Wie wär’s damit? Da passen doch alle drei Kriterien! Bunt, ein Bezug zum Viertel …“
„Und nachhaltig.“ Yu nickt. „Blumen sind doch immer nachhaltig, oder?“
„Logo!“ Sofort denke ich an Hilde Rojas, wie sie ein riesiges Stück Stoff von einer Leinwand herunterzieht und unser Meisterwerk präsentiert. Die Reporter würden anfangen zu knipsen und sie würde sagen: Blumenwiese im Breuer-Park, Lila Flax und Yu …
„Wie heißt du eigentlich mit Nachnamen?“, frage ich.
„Schiao“, entgegnet Yu und schreibt XIAO auf das Blatt vor uns. „Auch chinesisch. Fangen wir an?“
Nach einer Weile, in der wir schweigend vor uns hin malen, ruft Yu plötzlich: „Boah! Bei dir sieht das viel besser aus als bei mir. Wie machst du das?“
„Ist eigentlich ganz einfach“, entgegne ich. „Du musst nur gucken, dass die Farben gut zusammenpassen. Zum Beispiel Pink und dieses hellere Rot … Und beides vermischst du dann, so … Da vorne kannst du mit dem dunkleren Grün so tun, als wäre da ein Schatten.“
Ich will Yu gerade genau zeigen, wie es geht, da höre ich Frau Hacklaufen rufen: „Also, ich muss schon sagen, Isabella, das ist eine überaus realistische Blumenwiese! Genau wie die im Breuer-Park! Und die Farben, herrlich!“
Yu und ich gucken uns schockiert an. Als Frau Hacklaufen wieder am Pult sitzt, strecke ich den Hals in die Höhe, um nachzuschauen, was da vor Isabella und Yasmin liegt. Tatsächlich! So eine Unverschämtheit!
„Eine Blumenwiese?“, kreische ich empört. „Wir malen auch eine Blumenwiese! Und zwar die aus dem Breuer-Park!“
Isabella dreht sich um und wirft mir ein siegessicheres Lächeln zu. „Ach ja?“
„Ja, und das hast du gerade auch gehört!“, fauche ich. „Ihr habt unsere Idee geklaut!“
„Pfff! Als ob wir das nötig hätten“, sagt Isabella.
„Pfff! Als ob“, wiederholt Yasmin.
„Außerdem wird unsere Wiese sowieso ganz anders aussehen als eure“, versichert mir Isabella und kichert. „Wir malen nämlich auf einem ganz neuen Hochglanzpapier mit Farbechtheit-Abperltechnik. Das sorgt für strahlende Farben. Ich glaub ja nicht, dass ihr auch so etwas habt, oder?“
Wütend starre ich auf meinen Recyclingzeichenblock und dann auf Isabellas Hochglanz-Firlefanz. Leider muss ich zugeben, dass sie recht hat: Ihre Farben leuchten wie eine echte Sommerblumenwiese.
„Aber ihr habt die Idee geklaut!“, sage ich noch einmal. Doch Isabella zuckt nur mit den Schultern und dreht sich wieder ihrem Block zu.
Ich will gerade Frau Hacklaufen rufen, um diese Ungerechtigkeit zu melden, da drückt Yu meinen Arm wieder auf den Tisch.
„Lass es“, sagt sie leise. „Frau Hacklaufen entscheidet sofort, wer ihre Lieblinge sind. Du gehörst nicht dazu.“
„Aber das ist doch voll unfair!“, flüstere ich.
„Genau“, sagt Yu und seufzt. „Willkommen in der Realität.“
„Und dann hat sie diesen Hochglanz-Block und der macht so richtig irre Farben!“, empöre ich mich, während Benno lautstark den Rest von seinem Trinkpäckchen durch den Strohhalm zieht.
Wir sitzen auf den Treppen vor dem Schulgebäude. Zum Glück hab ich Benno gleich zwischen den hunderttausend anderen Schülern auf dem Schulhof gefunden. In der Grundschule hat er die Pausen nämlich auch am allerliebsten auf der Treppe verbracht. Weil er keine Anstalten macht, mir zu antworten, schiebe ich noch hinterher: „Das ist übrigens nicht besonders nachhaltig!“ und zeige auf das Trinkpäckchen.
„Was soll ich machen?“, sagt er und pustet sich eine Strähne aus dem Gesicht. Bennos Haare sind in den Ferien ganz schön lang geworden. Er könnte sich jetzt fast einen Zopf machen. „Als ich losmusste, war die Trinkflasche noch in der Spülmaschine, außerdem gab’s heute Morgen kein Pausenbrot für mich.“
„Am ersten Tag kein Pausenbrot?“, frage ich erstaunt. Bennos Mama kann ganz schön chaotisch sein, aber das sieht selbst Sabrina Maschewski nicht ähnlich.
„Ich glaub, sie trifft sich mit … einem Mann“, sagt Benno stockend, wirft das Trinkpäckchen in die Luft und kickt es Richtung Mülleimer. Doch leider segelt es direkt daneben auf den Boden. Seufzend steht er auf und wirft es hinein. Dann wischt er sich die Hände an der Hose ab, blinzelt zweimal und setzt sich wieder zu mir auf die Treppenstufen.
Benno mag keine Mülltonnen. Schon gar nicht, wenn er sie anfassen muss. Es gibt eigentlich viele Dinge, die er nicht mag. Aber so lange er mich mag, ist mir das egal.
„Mit einem Mann? Echt?“, frage ich neugierig. „Seit wann?“
„Weiß nicht“, sagt Benno und runzelt die Stirn. „So seit zwei Wochen ist sie … komisch.“
„Zwei Wochen? Und warum hast mir nichts davon gesagt?“
„Keine Ahnung“, murmelt er und sieht plötzlich schlecht gelaunt aus. „Du warst so beschäftigt. Erst wart ihr auf Rügen und dann hast du nur noch vom Schulwechsel geredet …“
„Ja, aber …“, entgegne ich. „Aber … so was musst du mir doch trotzdem sagen! Wir erzählen uns doch immer alles!“
Benno guckt mich an und grinst. „Na ja, meistens hör ich ja eher zu und du redest …“
„Was willst du damit sagen?“, rufe ich empört. „Als ob ich ’ne Quasselstrippe bin! Also ehrlich, Benno! Ich hab nur einfach immer so viele Ideen! Und die kann ich nicht in meinem Kopf drinlassen. Da ist doch gar nicht so viel Platz dafür!“
Benno schaut mich mit hochgezogenen Augenbrauen an, grinst und schüttelt den Kopf. Er will gerade etwas sagen, da entdecke ich plötzlich meine neue Sitznachbarin. Sie läuft mit hängendem Kopf und Händen in den Taschen über den Schulhof.
„Hey, Yu!“, rufe ich und winke ihr zu. Sie schaut verwundert zu mir, dann zu Benno und kommt zögernd auf uns zu.
„Ich habe Benno gerade unser Kunstproblem geschildert“, erkläre ich. „Er hat nämlich immer die besten Lösungen für alles! Megaschlau halt.“
Benno schaut auf den Boden und verzieht den Mund. Er ist nicht gut mit Fremden. Da wird er immer ganz still.
„Und, Benno?“, sage ich. „Was können wir machen, damit Isabella und ihre olle Blumenwiese vor Neid erblassen? Was Einzigartiges! Was Originelles! Was Superspezielles!“
„Hmmm“, murmelt er und fasst sich ans Kinn. „Ihr sollt ein Kunstwerk machen, ja? Dann muss es nicht unbedingt ein Gemälde sein. Macht doch einfach was anderes, ihr könntet vielleicht was basteln. Eine Skulptur oder …“ Bevor Benno seinen Satz zu Ende sprechen kann, fällt mein Blick auf ein paar Beine, die gerade an uns vorbei die Treppe runterlaufen. Aber nicht die Beine fesseln meine Aufmerksamkeit, sondern die quietschorange Blumenhose darüber.
„Ein Kleidungsstück!“, rufe ich begeistert. „Mode ist auch Kunst! Das sagt zumindest Hilde Rojas … Benno, du bist ein Genie! Das größte Superbrain der Frida-Kahlo-Gesamtschule!“
„Mann, Lila, hör auf …“, entgegnet Benno und kramt nervös nach seinem Handy. Jetzt starrt er nur noch aufs Display und tippt. Er zockt schon wieder, jede Wette. Seit er offiziell hochbegabt ist, ist seine Handysucht noch krasser geworden.
Ich will Yu gerade fragen, was sie von der Idee hält, da ruft jemand: „He Yu, schon neue Kindergartenfreunde gefunden?“
Yu zuckt zusammen und ich schaue auf. Da steht ein Junge mit einer grünen Kappe vor uns und lacht. Ein richtig fieses, gemeines Lachen.
Im nächsten Moment stößt ein Mädchen von der Seite dazu und deutet mit dem Kopf zu Benno. „Guck mal, Hektor, das ist doch der Überspringer …“
„Die Sitzenbleiberin und der Überspringer!“, quiekt der Junge und lacht noch lauter. „Das passt ja mal überhaupt nicht!“
Yu ballt die Fäuste und schaut auf den Boden. Und Benno starrt noch konzentrierter auf sein Handy, während sein Kopf sich erdbeerrot färbt. Das reicht! Wenn ich eins nicht leiden kann, dann sind es Jungs mit grünen Kappen, die meine Freunde auslachen!
„An deiner Stelle würde ich gut aufpassen!“, brülle ich ihm zu. „Er ist nämlich extrem schlau, so schlau, dass er … dich vernichten kann, nur durch Gedankenkraft. Und Yu macht Kickboxen. Als deutsche Jugendmeisterin! Im Schwergewicht!“
Komischerweise scheint der Junge mir das sofort zu glauben. Er schaut von mir zu Yu und runzelt die Stirn. Dann murmelt er: „Komm, wir verschwinden!“ und zieht das Mädchen mit sich weiter.
Yu schaut mich mit großen Augen an. „Ich bin doch gar nicht Jugendmeisterin …“
„Na und? Das weiß der doch nicht!“, entgegne ich grinsend.
Yu grinst zurück – zum ersten Mal an diesem Tag.
In dem Moment schrillt die Klingel und Benno steht auf. „Musst du das echt allen erzählen?“, zischt er mir zu.
Ich gucke ihn fragend an.
„Na, dass ich angeblich so schlau bin …“
„Was heißt hier angeblich?“, sage ich entrüstet. „Du bist doch jetzt offiziell hochbegabt.“
„Ja, aber das muss doch nicht gleich jeder wissen.“ Benno seufzt, schüttelt den Kopf und steckt das Handy weg. „Ich muss los. Der Weigelt ist superstreng mit Zu-spät-Kommern, hab ich gehört.“
„Sehen wir uns nächste Pause?“, frage ich.
„Nee. Da muss ich ins andere Gebäude“, murmelt Benno, ohne vom Boden aufzusehen. Sein Kopf ist immer noch knallrot.
„Und heute Nachmittag? Kommst du bei Amarena vorbei?“, rufe ich noch. Aber da ist Benno schon abgehauen.
„So!“ Papa wuchtet die schwere Auflaufform auf den Tisch. „Guten Hunger! Aber lass was für Mama übrig. Sie …“