Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Gleich am ersten Tag an Lilas neuer Schule steht ein Besuch im Museum auf dem Programm. Eine Ausstellung über die Zeit – wie langweilig! Doch dann wird aus dem Museum ein wertvolles Ausstellungsstück gestohlen: eine ägyptische Sonnenuhr, mit deren Hilfe man durch die Zeit reisen kann. Lila ist sofort Feuer und Flamme, und macht sich gemeinsam mit ihrer Freundin Jane an die Aufklärung des Diebstahls. Als dann noch ein zweiter magischer Gegenstand gestohlen wird, überschlagen sich die Ereignisse. Und dann kommen auch noch die "kleinen Freunde" ins Spiel – geheimnisvolle Wesen aus der 5. Dimension. Wird es Lila gelingen, dem Geheimnis der Zeituhr auf die Spur zu kommen?
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 133
Veröffentlichungsjahr: 2018
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Lila Winkelbaum und das Geheimnis der Zeituhr
Julian Wolf
Lila Winkelbaum und das Geheimnis der Zeituhr
2. Auflage, Januar 2018
Copyright © Julian Wolf
Auf dem Kreuzberg 6, 64342 Seeheim-Jugenheim
Illustration: Suzan WolfISBN: 978-3-7450-8095-7
ePub: epubli - ein Service der neopubli GmbH, Berlin
„Johanna Evelyn Miranda Liliane Winkelbaum?“
Ach du Schande.
Lila verbarg das Gesicht in den Händen und machte sich ganz klein. Was musste diese blöde Kuh auch ihren kompletten Namen laut vorlesen. Sie spürte, wie sich die Blicke der ganzen Klasse auf sie richteten. Vor Scham wurde sie ganz rot.
„Hier“, murmelte sie leise.
Sofort hörte die Lehrerin auf, den Raum nach ihr abzusuchen und machte einen Haken auf die Liste, die sie an einem Klemmbrett um den Hals trug.
„Gut, damit wären wir durch“, rief sie vergnügt. „Bevor wir weitermachen, möchte ich mich erst einmal vorstellen: Ich bin Frau Mayer-Wackel, eure neue Klassenlehrerin.“
Dabei strahlte sie mit weit aufgerissenen Augen in die Runde. Ihre Pupillen waren riesig, was ihr ein leicht dümmliches Aussehen verlieh. Die riesige schwarze Hornbrille, die sie auf der Nase trug, machte die Sache nicht besser. Der Anblick war dermaßen komisch, dass mehrere Schüler anfingen zu kichern.
Lila war das ganz recht. Vielleicht würden die anderen dann vergessen, sie wegen ihrer bescheuerten Namen auszulachen. Noch hatte sie die Hoffnung nicht völlig aufgegeben, dass sie ihre Mitschüler davon überzeugen konnte, sie „Lila“ oder wenigsten „Lilli“ zu nennen. Mit Schaudern dachte sie daran zurück, wie sie im letzten Jahr an ihrer alten Schule genannt worden war: „Ekelyn“ oder „Lianenmädchen“ waren noch die harmloseren ihrer Spitznamen gewesen. Und das alles nur wegen Papas dämlicher Vorliebe für altmodische Namen.
Vorne am Pult fuhr Frau Mayer-Wackel fort. „Ich bin wahnsinnig froh, euch hier am Erich-Kästner-Gymnasium begrüßen zu dürfen“, flötete sie. „Ihr werdet ganz sicher eine Menge Spaß hier haben.“
Lila hörte gar nicht richtig hin. In Gedanken unternahm sie eine Zeitreise zum Tag ihrer Geburt und versuchte Papa davon abzuhalten, ihr Leben zu ruinieren.
Eine Berührung am Ellenbogen riss sie aus ihrer Traumwelt. Das Mädchen am Nachbartisch schaute zu ihr herüber und lächelte sie an. Sie hatte kinnlange, braune Haare und eine kleine Stupsnase. „Johanna, richtig?“, fragte sie vorsichtig.
Lila atmete tief durch. Johanna. Damit konnte sie leben. Alles war besser als Evelyn oder Miranda.
„Ja, schon. Aber die meisten nennen mich Lila“, flüsterte sie.
„Lila ist prima“, gab das Mädchen zu Protokoll. „Ist meine Lieblingsfarbe.“ Zum Beweis deutete sie auf ihren Pullover, der tatsächlich lilafarben war.
Unterdessen war Frau Mayer-Wackel ans Ende ihrer Rede gelangt: „...deswegen werdet ihr euch hier sicher schnell zurechtfinden“, schloss sie. Nach einer kleinen Kunstpause fuhr sie doch noch einmal fort. „Weil heute euer erster Tag an unserer Schule ist, haben wir uns eine kleine Überraschung für euch ausgedacht. Wir machen einen Ausflug ins Museum!“
Wieder strahlte sie die Klasse an und wieder sah sie dabei absolut durchgeknallt aus. Ihre Ankündigung erzielte zudem nicht das erhoffte Ergebnis. Hier und da wurde gemurrt und Lila war sich sicher, das Wort „olle Staubfänger“ aufgeschnappt zu haben. Sie hingegen war zufrieden. Alles war besser als eine Doppelstunde Mathe oder Religion!
Vergnügt packte sie ihre Sachen zusammen und drehte sich zu ihrer Nachbarin um.
„Wie war noch gleich dein Name?“, fragte sie.
„Jane“, antwortete das Mädchen lächelnd. „Jane Meirich.“
Um sie herum leerte sich der Klassensaal bereits und die Schüler strebten dem Ausgang entgegen.
„Na dann schauen wir doch mal, was es im Museum so zu sehen gibt“, meinte Jane. „Schlimmer als Mathe kann es schließlich nicht sein.“
Lila nickte eifrig. Vereint in ihrer Abneigung gegenüber Mathematik tauschten die beiden ein Verschwörerlächeln und fingen an zu lachen. Hastig packten sie ihre Schultaschen fertig und folgten den anderen hinaus.
Der Weg zum Museum war gar nicht weit. Selbst zu Fuß wären es nur etwas mehr als fünfzehn Minuten gewesen, aber sie nahmen den Bus. Auf der kurzen Fahrt setzte sich Lila neben Jane in die hinterste Reihe und starrte aus dem Fenster. Es war ein verregneter Spätsommertag, nass, aber wenigstens warm. In der Scheibe konnte Lila ihr Spiegelbild erkennen. Die blonden Locken standen genauso wirr ab wie immer, aber wenigstens ihre blauen Augen sahen jetzt schon ein wenig fröhlicher aus als am Morgen.
Gerne zur Schule gegangen war sie nie, aber heute Morgen hatte sie besonders wenig Lust verspürt. Die Sommerferien waren einfach viel zu kurz! Vergeblich hatte sie versucht, Papa davon zu überzeugen, dass sie eine ganz schwere Grippe hatte und unmöglich zur Schule gehen konnte. Aber Papa kannte sie einfach zu gut und war unerbittlich geblieben. Dabei lagen doch mindestens fünf nagelneue Bücher auf ihrem Nachttisch und warteten darauf, gelesen zu werden. Darunter war auch ein Roman über Sherlock Holmes, ihre Lieblingsreihe. Es war wirklich ein Jammer, dass sie stattdessen ins Museum musste!
Bevor ihre gute Laune sich wieder verflüchtigen konnte, meldete Jane sich zurück.
„Und, wie gefällt es dir bisher so?“, fragte sie. „Du warst vorher auf der Böll-Schule, oder?“
Lila nickte, dankbar für die Ablenkung.
In ihrem Bezirk gab es zwei Grundschulen, die Heinrich-Böll-Schule und die Theodor-Fontane-Schule, aber nur ein Gymnasium. Wie sich herausstellte, war Jane auf der anderen Schule gewesen als Lila.
Als der Bus mit quietschenden Reifen vor dem Museum hielt, hatte Lila außerdem herausgefunden, dass Jane zum Geburtstag zwei Meerschweinchen geschenkt bekommen hatte, ihr Vater im Stadtrat saß, sie zwei jüngere Brüder hatte und für ihr Leben gern Schokolade mochte. Außerdem spielte sie Volleyball in der Jugendauswahl des Bezirks. Bevor Lila darauf hinweisen konnte, dass sie neben ihrer Abneigung für Mathematik auch die Liebe zur Schokolade gemeinsam hatten, schickte Frau Mayer-Wackel sie nach draußen.
Ihre Klasse drängte sich aus dem Bus und flüchtete vor dem Regen in den Eingangsbereich des Museums. An der Wand hing ein riesiges Plakat. „Die Zeit – Wahrnehmung und Bedeutung im Wandel der Geschichte“, stand darauf in großen Buchstaben. Das klang so unglaublich langweilig, dass Lila sich beinahe schon wieder zurück in den Klassenraum wünschte.
Vor dem Plakat stand ein älterer Mann mit Glatze und leichtem Bauchansatz und lächelte den Schülern entgegen. Frau Mayer-Wackel begrüßte ihn herzlich. Dann drehte sie sich zur Klasse um und zog sich schwungvoll die Brille von der Nase.
„Wir haben großes Glück, Kinder“, eröffnete sie ihnen feierlich. „Herr Kempe, der Direktor des Museums, wird uns persönlich durch die Ausstellung führen.“
Der Angesprochene musste sich erst räuspern, bevor er etwas hinzufügen konnte. „Ja, die Freude ist ganz meinerseits. Willkommen in unserem bescheidenen Ausstellungshaus! Ich freue mich natürlich sehr, dass sich auch immer mehr junge Menschen für unsere Ausstellungen begeistern“, hüstelte er und blickte erwartungsvoll in die Runde.
Die gelangweilten Blicke der Schüler zogen seine Worte allerdings ins Groteske. Auch Lila trug eine skeptische Miene zur Schau.
Der Direktor sah ziemlich unsympathisch und langweilig aus. Das karierte Hemd unter dem grauen Jackett war ganz zerknittert, sein Kinn unrasiert und voller Bartstoppeln, und unter seinen Augen lagen dunkle Ringe. Auch sein Tonfall ließ keinen Zweifel daran offen, dass er sich eine Handvoll schönere Sachen vorstellen konnte, als eine Schulklasse durch sein Museum zu führen. Dennoch bedeutete er der Klasse mit einer Handbewegung, ihm zu folgen. Dabei lächelte er etwas gequält.
Ohne sich ihre Abneigung anmerken zu lassen, trottete Lila ihren Klassenkameraden hinterher und betrat die Ausstellungsräume.
Hier war alles vollkommen still, nur die heisere Stimme des Direktors hallte durch die Räume. Von Zeit zu Zeit blieben sie vor einem besonders wertvollen Exponat stehen und durften Fragen dazu stellen. Da fast niemand welche hatte, kamen sie zügig voran. Lila hörte dem Vortrag des Direktors kaum zu und verspürte auch keine Lust, sich an der Fragerunde zu beteiligen. Lieber unterhielt sie sich im Flüsterton mit Jane, die ebenso wenig Interesse an der Zeitausstellung zeigte.
Gerade machten sie sich über eine Kuckucksuhr lustig, die laut der Tafel daneben über einhundert Jahre alt war, da veränderte sich der Tonfall des Direktors. Das Krächzen verschwand aus seiner Stimme. Es war offensichtlich, dass sie sich jetzt dem Höhepunkt der Ausstellung näherten. Lila und Jane drängelten sich nach vorne, um besser sehen zu können.
Der Direktor und Frau Mayer-Wackel standen in einem abgetrennten Bereich neben einer hüfthohen Vitrine aus Glas, die von einem großen schwarzen Tuch verhüllt wurde. „Zeituhr – altes Ägypten, ca. 3000 v. Chr.“, stand auf einer Tafel daneben. Ausnahmsweise warteten diesmal tatsächlich alle gespannt darauf, dass der Direktor das Ausstellungsstück enthüllte. Stattdessen setzte er seinen Vortrag fort.
„Diese Uhr ist das Prunkstück unserer Ausstellung. Natürlich ist es keine mechanische Uhr, denn die waren damals noch nicht erfunden: Es handelt sich um eine Sonnenuhr. Sie ist aus Stein gefertigt und mit über einem Dutzend Edelsteinen verziert – der Materialwert alleine ist gigantisch. Das Besondere an dem Stück ist aber die Legende, die sich darum rankt. Die Uhr soll ihrem Träger die Fähigkeit verleihen, in der Zeit zu reisen. Dabei müssen allerdings einige Voraussetzungen erfüllt sein: Der Besitzer der Uhr muss aus edlen Motiven in die Vergangenheit zurückreisen wollen, eine besondere Segnung der Göttin Isis erhalten und dazu noch einen zweiten magischen Gegenstand bei sich tragen. So erzählten es sich zumindest die alten Ägypter...“
Der Direktor machte eine kurze Pause und diesmal klebten die Augen der Schüler an ihm. Auch Lila war fasziniert. In Gedanken malte sie sich schon aus, wo sie mit einer solchen Uhr als erstes hinreisen würde. Wahrscheinlich tatsächlich zum Tag ihrer Geburt, um Papa aufzuhalten, dachte sie. Oder eben doch ins Mittelalter, um Drachen zu jagen oder an Ritterturnieren teilzunehmen. Oder, überlegte sie mit leuchtenden Augen, ins viktorianische England, wo sie Sherlock Holmes helfen würde, einen besonders kniffligen Fall zu lösen. Es gab einfach unendlich viele Möglichkeiten!
Aus dem Augenwinkel sah sie, dass es Jane und mehreren anderen Mitschülern ganz ähnlich erging. Frau Mayer-Wackel strahlte über das ganze Gesicht, offensichtlich freudig überrascht über so viel plötzliches Interesse ihrer Klasse.
Unterdessen machte sich der Direktor bereit, die Zeituhr endlich zu enthüllen. Für einen Moment verschwanden dabei die dunklen Schatten unter seinen Augen. Auch ihm war die Anspannung anzumerken. Mit einer feierlichen Geste riss er das schwarze Tuch herunter.
Ihnen bot sich nicht der Anblick, den sie erwartet hatten. Das Lächeln des Direktors gefror und Frau Mayer-Wackel sah aus, als hätte sie gerade den Yeti persönlich kennengelernt. Lila riss die Augen auf. Zahlreiche „Ooohs“ und „Aaahs“ erklangen, aber es war nicht die Sorte erstaunter Ausrufe, die eine juwelenbesetzte Sonnenuhr sonst hervorrief.
Die Vitrine war leer.
Alle Augen waren gebannt auf die leere Vitrine gerichtet. Für einen kurzen Moment war es so still, Lila hätte eine auf den Boden fallende Stecknadel hören können. Dann explodierten die Geräusche im Raum geradezu.
Die Schüler drehten sich zueinander und fingen sofort an, miteinander zu tuscheln. Sie alle deuteten aufgeregt auf die Vitrine hinter der Absperrung. Frau Mayer-Wackel stand mit offenem Mund und glasigen Augen in der Ecke, ohne sich zu rühren – offenbar stand sie kurz vor einem Nervenzusammenbruch. Der Direktor sprach leise und sehr schnell in ein kleines Funkgerät, das am Kragen seines Jacketts befestigt war.
„Was glaubst du, ist da passiert?“, murmelte Jane an Lila gerichtet.
Lila strich sich eine Haarsträhne aus der Stirn und überlegte kurz. „Die Uhr wurde gestohlen, das ist klar – sonst wäre der Direktor nicht so überrascht“, flüsterte sie leise zurück. „Die Frage ist nur, von wem und warum?“
„Wow, ein echter Kunstdiebstahl“, raunte Jane fasziniert.
Unterdessen ratterte es in Lilas Gehirn. Erst langsam realisierte sie, dass sie sich tatsächlich gerade an einem frisch entdeckten Tatort befanden. Bestimmt tausendmal war sie in ähnlichen Situationen gewesen – wenn auch nur in ihren Büchern, als unbeteiligte Zuschauerin. Aber das hier war echt… Vielleicht gab es irgendwo Indizien, wer die Uhr gestohlen hatte! Plötzlich war sie ganz aufgeregt.
Vorsichtig sah sie sich um. Was sie sah, gefiel ihr: Der Direktor sprach immer noch leise in sein Funkgerät, Frau Mayer-Wackel stand still in der Ecke und ihre Mitschüler standen schnatternd im Raum herum. Niemand achtete auf sie.
„Komm mit“, sagte sie und zog die verdutzte Jane hinter sich her.
Sie duckten sich unter dem Seil hindurch, das als Absperrung diente, und schon standen sie vor der leeren Vitrine. Lilas Wangen glühten förmlich vor Aufregung. Immer noch schenkte ihnen niemand Beachtung, aber trotzdem schlug ihr Herz schneller als gewöhnlich. Sie betrachtete mit prüfendem Blick das Glas. Details waren wahnsinnig wichtig, das hatte sie sich aus ihren Sherlock-Holmes-Romanen gemerkt. Das Problem war nur – wonach sollte sie suchen? Vor ihr stand nur ein leerer Glaskasten, ohne jeden Hinweis darauf, dass jemand etwas daraus entnommen hatte.
„Was machst du da eigentlich?“, fragte Jane leise, aber Lila konnte sehen, dass auch ihre Augen vor Aufregung leuchteten.
„Ich will mir das nur mal ansehen. Schau du dich mal um, ob dir etwas Besonderes auffällt“, gab Lila zurück.
Nachdem die Untersuchung des Glaskastens nichts zu Tage gebracht hatte, wendete sich Lila dem gesamten Raum hinter der Absperrung zu. Und tatsächlich lag dort etwas auf dem Boden: ein kleiner, grüner Gegenstand, etwa von der Form und Größe einer Münze. Schnell stupste sie Jane an, damit diese sich den Gegenstand ansehen konnte, aber bevor sie ihn genauer unter die Lupe nehmen konnten, erklang eine schneidende Stimme vom anderen Ende des Raums.
„Kinder, sofort raus da! Was denkt ihr euch eigentlich dabei?“
Die Stimme gehörte einem bulligen, südländisch aussehenden Wachmann, der sich mit einem Kollegen im Schlepptau einen Weg durch die Schülerschar bahnte. Der Mann hatte ein kantiges Gesicht voller Narben und funkelte sie böse an. Vor der Absperrung angekommen, fiel sein Blick sofort auf die leere Vitrine. Er verhielt sich angesichts dessen allerdings vollkommen anders als der übernächtigte Direktor – und wahrscheinlich deutlich angemessener. Fluchend rannte er zur nächsten Wand und drückte dort auf einen kleinen roten Notfallknopf. Sofort heulte eine Sirene los.
Der Ton versetzte die Klasse nun zum ersten Mal in so etwas wie Panik. Niemand machte sich mehr die Mühe zu flüstern und bald drängte sich eine lärmende Kinderschar in Richtung Ausgang. Immerhin war Frau Mayer-Wackel aus ihrer Schockstarre erwacht und rief halbherzige Kommandos durch die Gegend. Lila und Jane standen weiter regungslos hinter der Absperrung.
Gerade wollte sich Lila wieder dem Gegenstand auf dem Boden zuwenden, da trat eine weitere Person hinzu und hob ihn auf. Lila war enttäuscht: Sie hatte in der Eile nicht viel mehr erkennen können, als dass es sich um eine Art grüne Plakette gehandelt hatte. Der Mann, der den Gegenstand aufgehoben hatte, ließ ihn kommentarlos in seine Tasche gleiten und verschränkte die Arme vor dem Körper.
Der Neuankömmling war eher klein, sehr schlank – beinahe hager – und sein blondes Haar war an den Schläfen ergraut. Sein Gesicht erinnerte Lila an einen Falken, der seine Beute betrachtet. Besonders die hellblauen Augen hatten etwas Kaltes, während er Lila und Jane genauer beäugte. Ihn begleiteten zwei Frauen und ein Mann, die, ihrem Keuchen nach zu schließen, geradewegs dorthin gerannt waren.
„Was ist hier eigentlich los?“, bellte der hagere Mann in Richtung der Wachmänner, behielt dabei aber die beiden Mädchen im Auge.
„Die Uhr ist weg, Herr Bloom. Wir haben den Alarm ausgelöst“, antwortete der zweite Wachmann knapp. „Und was die Mädchen hier machen? Keine Ahnung!“
Schwerfällig tauchte er unter dem Seil hindurch und packte Lila am Arm. Unzweifelhaft wollte er sie von der Vitrine wegziehen, aber sie schüttelte ihn ab.
„Danke, aber ich kann gut alleine gehen“, fauchte sie.
Sie warf den Kopf in den Nacken und stolzierte mit Jane, die sich mittlerweile sichtlich unwohl fühlte, aus dem abgesperrten Bereich heraus. Ihr patziges Gehabe war allerdings nur Tarnung. Ihre Gedanken waren nach wie vor bei dem grünen Gegenstand, den der Mann namens Bloom heimlich in seiner Tasche verschwinden lassen hatte. Das war höchst verdächtig gewesen!
„Jemand muss die Polizei rufen“, sagte eine der beiden Frauen, die neben Herrn Bloom standen.
„Ach, Emma, natürlich“, seufzte dieser und schlug sich gegen den Kopf. Sein Tonfall hatte sich vollkommen verwandelt und klang jetzt mehr nach zwanglosem Geplauder. „Wo war ich nur mit meinen Gedanken? Lucius, übernimmst du das bitte“, fügte er an den jungen Mann auf seiner anderen Seite gerichtet hinzu.
Er seufzte erneut und trat einen Schritt auf Jane und Lila zu.
„Und was machen wir mit euch? Zwei Mädchen, die sich hinter einer Absperrung aufhalten, als gerade eine äußerst wertvolle Zeituhr gestohlen wurde. Das wirkt, nun ja – merkwürdig. Ihr habt doch nicht etwa etwas damit zu tun, oder?“, fragte er jetzt wieder sehr scharf.
Beide öffneten sofort den Mund, um lauthals gegen diese absurde Unterstellung zu protestieren. Aber bevor sie auch nur einen Ton herausbringen konnten, meldete sich eine heisere Stimme hinter ihnen.
„Mach dich nicht lächerlich, Rasmus. Das sind Kinder.“
Die Stimme gehörte dem Direktor, der hinter ihnen aufgetaucht war. Lila hatte keine Ahnung, wo er die ganze Zeit gesteckt hatte. Aber wenn das überhaupt möglich war, sah er noch angespannter und müder aus als zuvor. Sein Funkgerät, in das er zuvor so lange gesprochen hatte, gab leise Pieptöne von sich.
„Ich habe die Mädchen persönlich mit ihrer Schulklasse durch das Museum geführt. Sie sind erst nachdem wir den Diebstahl bemerkt haben unter dem Seil hindurch geklettert.“ Er machte eine Pause und rieb sich die Augen. „Die Polizei ist mittlerweile informiert. Sie müsste jeden Moment hier sein. Danke, dass ihr den Alarm ausgelöst habt…“