Limberlost - Robbie Arnott - E-Book

Limberlost E-Book

Robbie Arnott

0,0
34,98 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

In der Hitze jenes langen Sommers jagt Ned in einem Flusstal Kaninchen, in der Hoffnung mit dem Verkauf der Felle genug Geld für ein kleines Boot zusammenzubekommen. Seine beiden Brüder sind mit unbekanntem Einsatzort im Krieg, sein Vater und seine Schwester versuchen verbissen, Limberlost, die Obst-Farm der Familie, über Wasser zu halten und durch die schwierigen Zeiten zu steuern. Im verzweifelten Wunsch all das zu ignorieren – vielleicht, um der Zukunft, die mit Macht auf ihn einstürzen will, zu entkommen – träumt Ned von der offenen See...

Neds Entscheidungen dieses Sommers sollten den Verlauf seines Lebens, das Schicksal seiner Familie und die Zukunft des Tals mit seinen Jahreszeiten von Tod und Wiedergeburt für immer verändern.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2024

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Text bei Büchern ohne inhaltsrelevante Abbildungen:

Mehr über unsere Autorinnen, Autoren und Bücher:

www.berlinverlag.de

Für meine Familie

Übersetzung aus dem Englischen von Nikolaus Hansen

Die Originalausgabe erschien 2022 unter dem Titel Limberlost bei The Text Publishing Company, Melbourne.

© 2022 Robbie Arnott

© Berlin Verlag in der Piper Verlag GmbH, Berlin/München 2024

Konvertierung auf Grundlage eines CSS-Layouts von digital publishing competence (München) mit abavo vlow (Buchloe)

Covergestaltung: zero-media.net, München, nach einem Entwurf von W. H. Chong

Covermotiv: W. H. Chong

Sämtliche Inhalte dieses E-Books sind urheberrechtlich geschützt. Der Käufer erwirbt lediglich eine Lizenz für den persönlichen Gebrauch auf eigenen Endgeräten. Urheberrechtsverstöße schaden den Autoren und ihren Werken. Die Weiterverbreitung, Vervielfältigung oder öffentliche Wiedergabe ist ausdrücklich untersagt und kann zivil- und/oder strafrechtliche Folgen haben.

Wir behalten uns eine Nutzung des Werks für Text und Data Mining im Sinne von § 44b UrhG vor.

Inhalte fremder Webseiten, auf die in diesem Buch (etwa durch Links) hingewiesen wird, macht sich der Verlag nicht zu eigen. Eine Haftung dafür übernimmt der Verlag nicht.

Inhalt

Inhaltsübersicht

Cover & Impressum

Zitat

1

2

3

4

5

6

7

8

9

10

11

12

13

14

15

16

17

18

19

20

21

22

23

Danksagung

Buchnavigation

Inhaltsübersicht

Cover

Textanfang

Impressum

In der Ökonomie der Natur geht nie etwas verloren.

Gene Stratton-Porter

1

Man glaubte, in der Flussmündung sei ein Wal ausgeflippt. Mehrere Fischerboote waren mit einer Brutalität zerstört worden, die sich nicht anders als übermenschlich bezeichnen ließ. Alle Attacken hatten in der Abenddämmerung stattgefunden, wenn die Boote auf dem Rückweg zum Hafen die Enge passierten – in jenem Gebiet waren angeblich auch Sprühfontänen aus dem Wasser aufgestiegen. Frachtkähne berichteten von heftigen, beklemmenden Vibrationen, die ihre Rümpfe erschüttert hätten. Möwen zeigten ein seltsames Flugverhalten; Kormorane wirkten beunruhigt. Meeresschwimmer wurden von einer schrillen uralten Melodie, die aus den salzigen Tiefen emporstieg, aus dem Rhythmus gebracht. Später war eine Schwanzflosse gesichtet worden, die die Wellen peitschte.

Ned war fünf, als all dies geschah. In späteren Jahren hatte er Schwierigkeiten, sich klar und deutlich an die Ereignisse zu erinnern, aber damals redeten die Leute von nichts anderem. Das Tier sei weit unten im Süden harpuniert worden, behauptete irgendjemandes Onkel, und wolle nun, nach seiner Flucht in den Norden, an jedem Schiff, dem es begegne, Rache üben. In einer anderen Version der Geschichte wurde unterstellt, die Harpune habe sich ins Hirn des Wals gebohrt und mache ihn wild und bösartig. Eine andere Möglichkeit war, dass die Walfänger das Tier verfehlt hatten, nicht aber seine Herde, und dass die Kreatur wahnsinnig geworden war, als sie Zeuge der Abschlachtung ihrer Familie wurde.

Es gab noch andere Theorien, welche, die nichts mit dem Walfang zu tun hatten; es handelte sich um Vermutungen hinsichtlich einer Bahnverschiebung des Mondes und eines Gottesurteils, doch ihnen wurde wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Die meisten machten die Walfänger im Süden dafür verantwortlich, dass das Tier den Verstand verloren hatte. Es wurde erwogen, Briefe zu schreiben, Entschädigungen zu fordern, die Kommune mit der Angelegenheit zu befassen.

»Das ist Unsinn«, erklärte Neds Vater seinen Kindern. Er hatte sie dabei ertappt, wie sie am Abendbrottisch über die Wracks tuschelten; seine Rückkehr von der Apfelplantage war ihnen entgangen.

»Es gibt keinen Wal«, sagte er. »Kein Ungeheuer. Fischer machen drei Dinge: Sie trinken zu viel, und sie denken sich Sachen aus.«

Er zog seine Jacke aus und hängte sie an einen Haken neben der Tür.

»Was ist das Dritte?«, fragte Neds ältester Bruder Bill.

Ihr Vater ließ sich auf seinen Stuhl sinken. »Gelegentlich fangen sie Fische.«

Doch die Worte ihres Vaters konnten sie nicht überzeugen; die Geschichte des ausgeflippten Wals hatte sich allzu tief in ihre Köpfe gefressen. Neds Schwester Maggie war alt genug, um sich nicht an den Spekulationen zu beteiligen, aber Bill und Toby, der mittlere Bruder, redeten von nichts anderem.

Ned hörte das alles, und ihre Gespräche erweckten in ihm obsessive Schreckensbilder. Den ganzen Tag konnte er an nichts anderes denken als an die zerschmetterten Kutter und Boote, an den unsichtbaren Riesen mit einer Klinge im Hirn. Nachts waren seine Träume von blutschäumendem Wasser durchflutet. Eine Woche lang wachte er schweißgebadet und schreiend auf, bis er seinem erschöpften Vater, der die Ursache für diese Unruhe zu erfahren verlangte, eingestand, dass ihm in seinen Albträumen der mörderische höllengesandte Wal erschien.

»Also gut«, sagte sein Vater am nächsten Morgen, während der Toast auf seinem Teller abkühlte. »Wir fahren heute Abend zur Flussmündung. Ich zeige euch, was es in Wahrheit mit diesem sogenannten Menschenschlächter auf sich hat.«

Am Nachmittag fuhr er mit seinen Söhnen zu einem Steg in der Nähe, wo sie in ein kleines Boot stiegen, das ihr Vater von einem Nachbarn geborgt hatte, eines der ganz wenigen motorisierten Boote in der Gegend. Ihr Vater fummelte an der öligen Maschine herum, und seine ehrfurchtsvolle Sorgfalt ließ Ned und seine Brüder erahnen, dass hier ein großer Gefallen erbeten worden war. Doch keiner sagte etwas. Sie dachten alle an den Wal.

Bald brachte ihr Vater die Maschine zum Laufen, ließ sie aufjaulen, und die nächste Stunde motorten sie den Fluss hinunter, bis sich der Wasserlauf begradigte und sich das Meer dahinter in der Dämmerung ausdehnte. Als sie die Mündung erreichten, war alles, was von der Sonne blieb, ein Halbrund orangen Lichts über den Hügeln im Westen. Ihr Vater stellte den Motor ab.

Sie blieben an Ort und Stelle, schaukelten in der sanften Dünung. Der letzte Sonnenschimmer verschwand, und der Himmel verdunkelte sich zu einer klaren Nacht. Ihr Vater lehnte sich im Boot zurück und schien das dichte Muster der Sterne über ihnen zu betrachten. Der Wind war kühl. Ned und seine Brüder zitterten in ihren hochgeklappten Kragen und warteten darauf, dass der Wal aus dem Fluss emporschoss und sie in die Wellen fegte.

2

Zehn Jahre später lag Ned am nassen Ufer und sah einem Kaninchen beim Grasen zu. Morgengrauen. Das frühe Licht brach sich in den Fellfasern des Tieres. Ned legte sein Gewehr an, feuerte, verfehlte das Tier. Beim Knall der Waffe jagte seine Beute davon, und das Tier verschwand im Farngestrüpp unterhalb eines Eukalyptushains. Jenseits der Bäume fiel das Land bis an den Fluss ab, dessen breite seegrüne Oberfläche hier und da von tiefen und wandernden Strudeln aufgerissen wurde.

Ned hatte eine Kugel verschwendet, und der Krach seines Schusses dürfte sämtliche andere Karnickel verscheucht haben. Er starrte auf das ferne Wasser, rang im Gefühl, dass er den Morgen ruiniert hatte, mit seiner Frustration. Seine Stimmung besserte sich auf dem Rückweg zum Haus, als er eine Falle kontrollierte, die er im Durchlauf unter einem der Zäune platziert hatte.

Am Vorabend beim Aufstellen der Falle war seine Befürchtung gewesen, dass ihr Mechanismus zu fein eingestellt sein könnte, sodass jedes vorbeikommende Tier ihn auslösen würde, ehe es den Radius ihrer Fangeisen erreicht hätte. Aber im Durchlauf lag ein fettes Kaninchen am Boden, Eisenzähne hatten sich in sein Genick gebohrt. Abgesehen von den Wunden an den Durchstichstellen war das Fell unversehrt. Ned nahm das Tier heraus und stellte die Falle wieder scharf. Er ließ die Finger über seine Beute gleiten, registrierte das dichte Fell, die Totenstarre. Spürte brennende Hitze im Hals.

Er setzte seinen Weg durch Limberlost fort, die Apfelplantage seines Vaters, schwenkte das steife Kaninchen in der Hand. Rauch qualmte aus dem Schornstein des Hauses. Apfelbäume auf einer nahen Wiese leuchteten in der Morgendämmerung. In Neds Rücken glänzte der Fluss, das Seegrün spielte hinüber in ein Schiefergrau und Himmelblau, offenbarte eine tiefere Wahrheit von Farbe.

*

Es war Sommer, und Ned wollte in den langen hellen Tagen dieser Jahreszeit unbedingt so viele Kaninchen wie möglich erlegen. Ihre Felle konnte man an die Armee verkaufen, wo sie zu Schlapphüten für die Soldaten verarbeitet wurden. Es war seine einzige Möglichkeit, an Geld zu kommen. In früheren Sommern hatte sein Vater ihn manchmal für seine Hilfe auf der Apfelplantage bezahlt, aber jetzt, in Kriegszeiten, war das unmöglich geworden.

Wenn er genug Kaninchen erlegte, würde er vielleicht genug Geld verdienen, um sich ein eigenes Boot zu kaufen – etwas, wovon Ned immer geträumt hatte, seit sein Vater mit ihm und seinen Brüdern in jener klaren Sternennacht hinausgefahren war, um den ausgeflippten Wal zu finden. Nichts Tolles, bloß eine kleine Segeljolle, mit der er auf den Fluss hinausfahren könnte. Draußen auf dem Wasser könnte er segeln, wohin immer er wollte, flussabwärts, wo eine muntere Strömung lief, bis in das breite Mündungsgebiet im Norden. Riffe voller Tintenfische, waldumstandene Buchten, funkelnde Lachsschulen, Schnapperschwärme, einsame Stege, Privatstrände, auf deren kühlem Sand er heimlich Feuer machen könnte – alles wäre für ihn erreichbar, hätte er ein Boot. Wenn er genug Kaninchen tötete.

Es war schon Januar. Keine zehn hatten seine Fallen aufgesucht oder seine Kugeln gefangen – kaum genug, um auch nur einen Riemen zu kaufen, befürchtete Ned. Doch längst waren seine Gedanken nass und salzig, war seine Fantasie von Windbrand angeraut. Immer dachte er an das Boot: wie er es pflegen, wohin er es steuern, wie es sich anfühlen würde, im Bann seiner Planken zu sein, den peitschenden Wind im Gesicht. Vor allem aber fragte er sich, was seine Brüder sagen würden, wenn sie aus dem Krieg zurückkämen und ihn da draußen auf dem Wasser sähen, wie er die Rippströmung aussegelte, mit geübter Hand das Ruder hielt, ohne sich umzuschauen, um nur ja ihre Anwesenheit am Ufer nicht bemerken zu müssen, ehe er so weit war.

*

Als er sich dem Haus näherte, sah Ned seinen Vater auf der Veranda, einen Becher Tee in der Hand. Aus der Tasse stieg Dampf auf. Er schaute hinaus zu den Bäumen, aber als Ned näher kam, wanderte sein Blick zur Hand seines Sohnes. Er sah den Kadaver. Nippte am Dampf.

»Ein Grund zur Freude.«

Ned nickte, hielt ihm das Kaninchen zur Begutachtung hin.

Sein Vater nahm das tote Tier, fasste es an den Hinterläufen und Ohren, zog es straff in die Länge. Er untersuchte das Fell, die Wunden. Zurückhaltende Anerkennung zeigte sich auf seinem Gesicht.

Ned spürte, wie ihm vor Stolz die Wangen glühten. Seinen Vater zu beeindrucken, das war nicht vergleichbar damit, Bill oder sogar Toby zu beeindrucken – der Alte war allzu fremd, allzu distanziert mit seinen schweigsamen Stimmungen und wechselnden Gewohnheiten – aber seine Anerkennung hatte immer noch Gewicht.

Während das Kaninchen in seines Vaters Händen gedreht und gewendet wurde, dachte Ned darüber nach, was er als Nächstes tun würde: wie er ein Messer in das Bauchfell stoßen und die Haut vom Fleisch lösen würde. Er würde das Fell auf einem Drahtbügel im leeren Apfelschuppen aufhängen – jedes Stück Obst, das sein Vater im vergangenen Jahr geerntet hatte, war von der Armee requiriert und in die neue Konservenfabrik in Beaconsfield gebracht worden –, wo es zusammen mit den anderen, die er in dieser Woche einzusammeln plante, trocknen würde. Er überlegte, wie er dieser weiteren Felle habhaft werden würde, seine Gedanken wanderten über die Apfelplantage, und er dachte an Pfade, die jenem ähnelten, auf dem er seine erfolgreiche Falle platziert hatte. Er stellte sich das Farngestrüpp vor, in das sich das von ihm verfehlte Kaninchen geflüchtet hatte, erwog Möglichkeiten, wo er näher beim Unterholz ansitzen könnte. Er malte sich aus, wie er langsam atmete, den Abzug des Gewehrs mit einer Gelassenheit betätigte, die an Langeweile grenzte. Er sah mehr Fallen zuschnappen, mehr Fangeisen. Seine Träume näherten sich ihrem unvermeidlichen Fazit: dem Boot. Das Plätschern dunkler Wellen am Rumpf, das Hissen eines steifen Segels …

»Das wird mal ein hübscher Hut.«

Die Stimme seines Vaters durchbrach Neds Visionen. Der Alte sah auf ihn herunter, im Gesicht eine neue Falte. Seine Finger waren tief im Fell des Kaninchens vergraben, durchkämmten es in alle Richtungen.

Ned beruhigte sich. »Das hoffe ich.«

Unbehagen erfüllte ihn. Er hatte niemandem erzählt, warum er Kaninchen jagte – nicht seinen Freunden, nicht seinem Vater. Wenn er dann mit dem Boot nach Hause käme, so stellte er sich vor, wäre das Ereignis gleich eine doppelte Überraschung: die bloße Anschaffung eines solchen Teils und dass er seine Mission geheim gehalten hatte. Er hätte sein Boot, und er hätte mit der beiläufigen Größe seiner Kompetenz den Leuten einen Schock versetzt. Zwei Siege.

Doch während sein Vater die Beute sorgfältig inspizierte, wurde Ned klar, dass er nicht bedacht hatte, was der Alte von seinen Jagdambitionen halten würde. Jetzt begriff er: wie die ältesten Söhne seines Vaters in einen fernen Leviathan von einem Krieg hineingezogen worden waren, jenseits aller Reichweite, allen Begriffsvermögens. Just an diesem Morgen – wie jeden Morgen, wo auch immer sie waren – verhärteten sich ihre Gesichter im Schatten von Hüten aus Kaninchenfell zu groben Konturen. Im Schatten solch pfiffiger Hüte, steif und weich zugleich, sehr ähnlich dem Hut, den ihr Vater während seines eigenen Krieges getragen hatte, ein Vierteljahrhundert zuvor, auf seinen eigenen fremden Schlachtfeldern – von Steilküsten gesäumte Buchten, graue Welten aus gefrorenem Matsch –, ein Hut, der seine Augen verdunkelt hatte, als er in Stücke gerissen und wieder zusammengeflickt worden war zu diesem stillen, sonderbaren Mann, der für seine eigenen Söhne stets unerreichbar und unbegreiflich blieb.

Und derweil blieb sein Jüngster daheim, verzichtete während seiner freien Monate uneigennützig auf jegliche Muße, um der Armee Kaninchenfelle für die Produktion ihrer Schlapphüte zu liefern. Ned erkannte, wie das wirkte, wie er seine Intentionen falsch dargestellt hatte. Wie er in den Augen seines Vaters ein edleres Bild von sich gezeichnet hatte, als es jemals der Wahrheit entsprechen würde. Der Teedampf biss ihn in der Nase, bittere Tröpfchen.

Die Hände seines Vaters strichen immer noch über den toten Körper. Er schaute nicht mehr Ned an, schaute nicht mehr zur Apfelplantage, er schaute auf nichts im Speziellen.

Ned spürte sein Blut rasen. Seine Augen juckten. Mit eindringlichen unausgesprochenen Erklärungen begann er sich selbst davon zu überzeugen, dass sein Vater nicht getäuscht worden sei. Dass er tatsächlich aus dem einzigen Grund auf die Jagd ging, um die Produktion dieser stolzen, dringend benötigten Schlapphüte zu ermöglichen. Dass er, solange seine Brüder im Krieg waren, die einzig ihm mögliche Rolle wahrnahm. Die Felle waren für Hüte; das Boot war nebensächlich.

*

Nach dem Frühstück ging er mit seinem Vater zum Arbeiten in die Apfelplantage, und während der etwa zwei Stunden, die er zwischen den Bäumen verbrachte und mit Augen und Händen im Einsatz war – Früchte prüfte, nach Schädlingsbefall suchte –, sortierten sich seine Gedanken allmählich neu. Dinge wurden klarer. Er verbrachte seine Sommerstunden mit Jagen, und sein Vater war einverstanden: nicht mehr und nicht weniger. Es bedurfte keines weiteren Nachdenkens.

An diesem Nachmittag ging er mit seinem Nachbarn zum Fischen. Jackbird war klein für seine fünfzehn Jahre, kleiner noch als Ned, und er neigte zur Zappeligkeit. Sie waren schon ihr Leben lang Nachbarn, und wenn nicht Sommer war, gingen sie in der Schule in dieselbe Klasse. Ned hatte Jackbird mal aus einer Rippströmung gezogen und den Ozean aus seiner mageren Brust gepresst. Ein Jahr später hatte Jackbird einem älteren Jungen, der Ned auf dem Schulhof umgestoßen hatte, einen Stein gegen die Wange gepfeffert. Die Folge war ein nässendes Loch im Fleisch, durch das es jedes Mal pfiff, wenn der Junge atmete, bis es nach ein paar Wochen zuheilte.

Sie angelten von einem Steg, der hinaus in den Fluss ragte. Ned hielt einen Finger an die Sehne, um das Zittern eines Bisses zu erspüren, der nicht kam. Vielleicht war es ein allzu klarer Tag, war die Sonne zu hell. Bill hatte mal gesagt, dass Fische bei gutem Wetter nicht fressen würden, und Bill war der beste Fischer, den er kannte. Es hatte irgendwas damit zu tun, dass Wind sie in Bewegung brachte oder dass Regen Sauerstoff ins Salzwasser spülte oder dass direkte Sonneneinstrahlung sie träge machte. Ned versuchte, sich zu erinnern, aber er hatte immer bloß mitgehört, wenn Bill solche Dinge Maggie oder vielleicht auch Toby erzählte.

Jackbird schnipste mit dem Daumen gegen seine Sehne. »Irgendwas gebissen?«

»Nicht mal geknabbert.«

Jackbird hantierte die ganze Zeit mit seiner Rute, holte das Senkblei hoch, ließ es wieder hinab, zog es über den Grund. Er prüfte seinen Köder. Er hing fest am Haken.

»Mit Boot ginge es besser.«

Ned zuckte zusammen. »Woher sollen wir ein Boot nehmen?«

»Ich mein ja bloß. Mit Boot ginge es besser.«

»Klar ginge es besser mit ’nem Boot. Aber wir haben kein Boot. Und sofern du nicht irgendwas weißt, was ich nicht weiß, wird sich daran auch nichts ändern.« Er sprach mit ausdrucksloser Stimme, obwohl sein Blut hämmerte.

Danach schwiegen sie eine Weile. Ned hatte nicht an Boote denken wollen. Er dachte an die Finger seines Vaters, wie sie durch das Fell fuhren. An seine Brüder. Er ärgerte sich, dass Jackbird davon angefangen hatte, wünschte, sein Freund wäre zufrieden mit dem, was sie hatten, mit diesem sonnigen, windstillen Tag.

Jackbird holte seine Angel wieder ein. »Was von Toby gehört?«

»In letzter Zeit nicht. Er müsste noch immer bei der Reserve sein. Sie sollen erst ausrücken, wenn sich die Lage verschlechtert.«

»Aha.« Jackbird warf die Angel aus, ließ sein Senkblei auf Tiefe gehen. »Meinst du, wir werden eingezogen?«

»In der Zeitung steht, dass sich die Lage entspannt.«

»Stimmt.« Er hob die Angelrute an die Schulter. Hielt sie wie ein Gewehr, zielte auf eine Ansammlung von Jachten, die dicht am Ufer an Bojen festgemacht waren. »Was ist mit Bill?«

Ned beobachtete, wie sich Jackbirds Sehne verhedderte. »Was soll mit ihm sein?«

»Irgendwas in der Zeitung über seine Division?«

»Nicht seit dem Fall von Singapur.«

»Briefe?«

»Nicht dass ich wüsste.«

Jackbird zuckte mit seiner Rute, baumelte mit den Füßen.

Ned sah, dass er zögerte. »Wenn du was sagen willst, dann sag es.«

Jackbird zögerte immer noch. Aber er konnte nicht verhindern, dass die Frage aus ihm herausplatzte. »Dein alter Herr, kommt er da draußen mit der Apfelplantage klar?«

Neds Puls fing wieder an zu pochen. »Willst du den Weihnachtsbrief im Januar? Willst du das Familienrezept für den Rosinenstollen?«

»Schon gut, schon gut. Frag ja bloß. Die Leute reden halt.«

»Das kann man wohl sagen.«

Wieder schwiegen sie. Die Sonne sank tiefer, und ihr Licht wurde mehr und mehr durch die Bäume gefiltert und warf Schatten aufs Wasser. Bei Jackbird wurde ein bisschen geknabbert, jedenfalls redete er sich das ein, auch wenn er nichts aus dem Wasser zog. Nach einiger Zeit begann er, davon zu erzählen, dass ein Habicht bei ihnen die Hühner geholt hatte und dass seine kleine Schwester Callie seit Neuestem mit der Flinte ihres Vaters auf der Koppel Wache ging, wild entschlossen, den Räuber zu verscheuchen oder gar vom Himmel zu ballern.

Ned versuchte, sich Callie mit einem schweren eisernen Gewehr im Arm vorzustellen. Sie konnte höchstens dreizehn sein. Strohbraunes Haar, reglose Miene. Hart wie eine Walnuss. Die Flinte passte gewissermaßen zu ihr.

Die ganze Zeit auf dem Steg spürte Ned nicht das kleinste Zucken am Haken. Er redete sich ein, es sei ihm egal – diesen Sommer hatte er sich die Kaninchenjagd zur Aufgabe gemacht. Das Fortbleiben der Fische fiel nicht groß ins Gewicht. Und trotzdem war er unzufrieden. Zwei Mal hatte er nun schon scharf auf Jackbird reagiert. Und da war die Sache mit den Schlapphüten, mit dem unangebrachten Stolz seines Vaters, mit den fernen Kriegsschatten seiner Brüder. Und dass er tatsächlich ein Boot wollte: es mehr wollte, als er je etwas gewollt hatte. Der Durst danach war gewaltig, und keine noch so große Scham oder Entschlossenheit konnte ihn vertreiben.

Als also der Fluss in Dunkelheit versank, als die Fische sich weiterhin nicht in Versuchung bringen ließen, kehrten Neds Bootsträume dorthin zurück, wo sie ihren Ursprung hatten: zum Abend mit dem ausgeflippten Wal. Die Erinnerung verlieh dem übrigen Nachmittag – der eigentlich bisslos und golden war – einen tiefen Sog von Todesangst, von Fremdheit und Sternenschein.

3

Weitere zehn Jahre später dachte Ned wieder an den Abend mit dem ausgeflippten Wal. Inzwischen hatte er Limberlost in Richtung der Wälder im Osten verlassen. Er arbeitete in einem Holzfällerteam, das große Mengen von Manna-Eukalyptus fällen sollte – uralte Harthölzer von gespenstischer Farbe und gewaltiger Größe, einige Bäume reckten sich dreißig Meter in die Höhe, um ihre Blätter gegen die Wange des Himmels zu dreschen. Aromatischer blutähnlicher Saft floss aus den Wunden, die die Männer in die Stämme schlugen.

Ned war der Jüngste im Team. Zugleich war er der Vorarbeiter. Er hatte den Job bekommen, weil er nicht viel trank, und die anderen Holzfäller tranken, als würden sie dafür bezahlt. Am Ende eines jeden Tages kehrten die Waldarbeiter in ihr Buschkamp zurück, wo sie die Gewalt, die sie den Weißen Rittern antaten – so nannten sie die blassen, riesigen Mannas –, auf entsprechende Weise gegen ihre eigenen Körper richteten. Sie kippten sich Unmengen von Bier hinter die Binde, auch Massen von bräunlichem, brennendem Rum. Sie lagen im Schatten der Weißen Ritter, sangen und stritten und brüllten, bis sie sich übergaben, sie schrien nach ihren Frauen und pennten auf ihren Schlafbündeln ein.

Neds Vorgesetzte hatten ihm, als sie ihm die Verantwortung übertrugen, eine simple Anweisung mitgegeben: Bleiben Sie nüchtern genug, um dafür sorgen zu können, dass das Camp nicht im Chaos versinkt. Während des Arbeitstages war er nominell für die Abläufe verantwortlich, doch die Holzfäller waren erfahrene Männer, gestählt vom jahrzehntelangen Kampf mit den Bäumen. Sie hatten kaum das Bedürfnis, miteinander zu sprechen, auch dann nicht, wenn sie einen der besonders großen Ritter fällten, die Äste abhackten und die blass glänzenden Stämme auf ihren Tieflader zogen. Bei diesen Tätigkeiten war Neds Aufsicht vollkommen überflüssig, allerdings vergaßen die Holzfäller so gut wie nie, zur untergehenden Sonne zu schielen und auf sein Nicken zu warten, ehe sie Feierabend machten.

Ned fuhr den Tieflader zurück ins Camp, während die Männer hinten auf der Ladefläche zu trinken anfingen. Abends lächelte er und lehnte sich zurück und nippte an einer einzigen Flasche Lager, während sich die Männer in Waldkobolde verwandelten, die vom süß-klebrigen Saft, der den Wunden ihrer besiegten Feinde entströmte, mindestens ebenso betrunken waren wie von dem Schnaps, den sie schluckten. Ned weckte sie bei Tagesanbruch, hievte sie in den Laster, fuhr zurück zu der Stelle, an der sie zuletzt dem Wald zugesetzt hatten, und lud sie ab bei ihren kalten Äxten, bei ihren saftblutigen Sägen.

Eines Abends, nach einem besonders anstrengenden Kampftag gegen die Ritter, wurde das Gespräch im Camp anzüglich. Die Rede war von Huren, von Fotzen, von Analverkehr. Es wurde verkündet, dass Splitter, die man sich beim Ficken eines gewachsten Baumlochs zuzog, den langwierigen Wunden, die eine Ehe mit sich brachte, letztendlich vorzuziehen seien. Ned hielt sich nicht für prüde, aber er fühlte sich unwohl bei diesem Gespräch, besonders da er nüchtern war. Nachdem er noch ein Scheit ins Feuer geworfen hatte, ging er zu seinem Platz zurück und dann weiter hinaus in die Nacht, ohne dass die lärmenden Holzfäller es bemerkten.

Er bewegte sich langsam zwischen den Bäumen. Mit jedem vorsichtigen Schritt hörte er weniger von der lautstarken Unterhaltung. Die Stimmen wurden zu Gebell und Gejaule. Im Sternenlicht, das zu ihm hinabdrang, zeichneten sich klobige Umrisse, nasse Blätter ab. Bald erreichte er einen reißenden Bach, dessen lautes Tosen den letzten Krach des Camps mit sich fortspülte.

Ned setzte sich und hoffte, dass die Kühle der Nacht und die Stille des Waldes seine Gedanken beruhigen würden. Doch bald wurde er aufgeschreckt. Ein unwirsches Brummen drang durch das Unterholz, der Laut eines wütenden Tieres. Es folgte ein tieferes gutturales Knurren, aber auch hoch tönendes verzweifeltes Jaulen, Geräusche fleischlichen Grauens. Aus der Kakofonie konnte Ned Wut, Entrüstung, Schmerz und, am deutlichsten, eine beklemmende Äußerung von unstillbarem Hunger heraushören. Diese nächtlichen Schreie drangen ihm tief ins Ohr. Sie übertönten das Rauschen des Wassers.

Er wusste, woher diese Geräusche stammten. Die Devils hatten Beute gemacht – oder, was wahrscheinlicher war, hatten einem Beutelmarder seine Beute abgejagt – und stritten sich nun um das Fleisch. Er hatte solche Schreie schon oft gehört, und er wusste um die Gräuel, die die heißhungrigen Tiere einander beim Fressen zufügten. Aber wenn er früher nachts Tasmanische Teufel gehört hatte, war er in Begleitung gewesen – seines Vaters, seiner Brüder, Jackbirds. Noch nie zuvor hatte er fern von zu Hause in der kalten Dunkelheit gesessen und dem Buschorchester des Grauens in allen Einzelheiten gelauscht.

Es war dieser Moment, in dem er wieder einmal die flüssige Angst vor unsichtbaren Monstern spürte, der ihn in die Nacht des ausgeflippten Wals zurückbrachte. Das Gefühl war dem während jener Bootsfahrt sehr ähnlich, hervorgerufen durch ähnliche Umstände: eine Nacht der Dämonen, die Gefahr eines Blutbads. Er zitterte und merkte, dass er fror. Am Feuer in der Nähe der anderen Männer war die Kälte des Waldes nie ein Problem gewesen, aber hier am Bach hatte sie ihm alle Hitze von der Haut gerissen.

Auch auf der Flussmündung hatte er gefroren. Es hatte ein scharfer Wind geweht, meereskalt, und er konnte sich erinnern, wie er sich irgendwann in die Falten einer dicken wollenen Jacke geschmiegt hatte. Es war nicht seine gewesen, dessen war er sicher – er hatte erst als Teenager eine solche Jacke besessen. Und es war nicht die seines Vaters – die wäre viel zu groß gewesen. Sie musste Toby oder Bill gehört haben. Ned konnte sich nicht erinnern, wer von den beiden sie ihm gegeben hatte. Aus diversen Gründen sprach vieles dafür, dass es Toby gewesen war, obwohl der ebenso gut Ned wegen dessen Zimperlichkeit gehänselt haben könnte.

Aber Toby hatte Ned gegenüber auf der anderen Seite des Bootes gesessen, zwischen ihnen ihr Vater. Ned hatte zusammengekauert neben Bill gehockt, während sie auf das Urteil des Wals gewartet hatten. War es vielleicht Bill gewesen, der Ned seine Jacke geliehen hatte? Ned konnte sich kaum daran erinnern, dass sein ältester Bruder je ein Wort mit ihm gewechselt hatte. Doch er erinnerte sich an die Wärme der Wolle.

4

In der Woche nach seinem erfolglosen Angelausflug mit Jackbird tötete Ned vierzehn Kaninchen – seine bei Weitem größte Ausbeute in dieser Saison. Er hatte gar nicht viel anders gemacht, war lediglich dazu übergegangen, früher aufzustehen, oft schon vor Sonnenaufgang, und dann wartete er in der Dunkelheit, bis die Erde sich zu erwärmen anfing und die Kaninchen ins Freie hoppelten. Er lernte, seinen Puls zur Ruhe kommen zu lassen, ehe er den Abzug betätigte, statt gleich loszufeuern, sobald sie sich zeigten. Mit wachsender Treffsicherheit wusste er auch, welche Körperhaltung jedes Kaninchen im Moment des Todes annehmen würde, er schloss es allein daraus, wie die Tiere im Gras hockten. Unmittelbar bevor er abdrückte, hatte er eine Vorahnung von der Form, in die das Kaninchen geworfen würde, sobald dessen Fleisch von seiner Kugel getroffen, es sich aufbäumen und in die Reglosigkeit zusammensacken würde.

Auch mit seinen Fallen wurde er zunehmend erfolgreicher. Er hatte gelernt, zwischen einem wegen Feuchtigkeitsmangel unbewachsenen Boden und einem Boden zu unterscheiden, der von einem Kaninchen aufgekratzt war, das sich unter einem Zaun hindurchgequetscht hatte. Er fing an, sich auf diese Zaundurchschlupfe zu konzentrieren, er stellte die Fallen mitten auf der blanken Erde auf und tarnte sie mit trockenem Gras. Nur in wenigen fing er tatsächlich Kaninchen, aber die anderen waren in der Regel zugeschnappt. Ned wertete solche Beinahefänge als Unentschieden und stellte all diese Fallen mit minimalen Veränderungen neu auf.

Das Fallenstellerspiel machte ihm ebensolchen Spaß wie das Auskundschaften der Fährten und das Überlisten der Tiere. Was er allerdings nicht mochte, war, in purpurner Frühdämmerung herumzustapfen und noch lebende Kaninchen in seinen Fallen zu entdecken, die Beine zerrissen, das Fell blutverschmiert, die Schnurrhaare in archaischer Todesangst vibrierend. Meist waren sie tot, auch wenn die Fangeisen sich nicht um ihr Genick oder ihren Kopf geschlossen hatten; meist genügte das Trauma des In-die-Falle-gegangen-Seins, damit ihnen das Herz stehen blieb. Doch an den Morgen, wenn er sie lebend fand, verspürte Ned eine gelb-grüne Spannung im Magen, und er konnte sich nicht überwinden, rasch zu ihnen zu gehen und sie zu töten. Es handelte sich um wilde Tiere, ermahnte er sich selbst, während er ihre entstellten Körper festhielt und ihnen einen Stiefel aufs Genick setzte. Es handelte sich um Schädlinge. Ihr einzig wahrer Nutzen bestand darin, im Tod als Schlapphüte zu dienen. Und doch war er zutiefst erleichtert, wenn sie unter seinem Fuß aufhörten zu zittern. In solchen Momenten wandte er den Blick vom Kaninchen hinauf zum Himmel, zu den leuchtenden Bäumen, zum erwachenden Fluss, als könnte die Ruhe der Apfelplantage ihn ablenken von dem, was er getan hatte.

Jeden Morgen nach dem Frühstück zog er den Kaninchen auf einem alten grauen Baumstumpf das Fell ab. Mit der Erfahrung unterliefen ihm bei jedem Fell weniger Fehler, und das Häuten ging schneller. Zunächst setzte er sein Messer am Sprunggelenk an, durchschnitt die Sehnen und entfernte mit einer Drehbewegung die Pfoten. Es folgte ein kleiner Schnitt ins Bauchfell, wobei er darauf achtete, dass die Klinge nicht ins Fleisch drang. Als Nächstes schlängelte er seine Finger in die Öffnung und begann, die Haut vom Muskel zu lösen, wobei er den Bauch freilegte, sich den Rücken herunterarbeitete und beide Beinpaare durch die Löcher zurückschob, die beim Entfernen der Pfoten entstanden waren.

Alles dies tat er vorsichtig, akribisch, hatte stets die Form und Beschaffenheit des Fells im Blick. Etwas rauer ging es am Ende des Prozesses zu, wenn nur noch im Genick eine letzte Verbindung zwischen Fell und Fleisch bestand. Mit einem kräftigen Ruck zog er dem Tier das Fell über den Kopf und riss es vollends los. Der Kadaver lag weinrot und nackt da. Die einzigen Haare am Körper befanden sich an den abgehackten Sprunggelenken und am nunmehr riesig wirkenden Kopf.

Ned hatte das Häuten von Toby gelernt, dem es Bill beigebracht hatte, der nie verriet, wo er was gelernt hatte. Während er Ned gezeigt hatte, wo am Bauch er den Schnitt setzen musste, hatte Toby behauptet, dass Bill ein Kaninchen ohne Messer häuten könne.

»Keine Ahnung, wie er das anstellt«, hatte Toby gesagt, ein irritiertes Lächeln auf dem Gesicht. »Ich hab versucht, es rauszukriegen, aber es geht alles so schnell. Winzige Drehungen, ein Knall, einmal kräftig reißen, und das Fell ist runter. Ohne Messer in der Hand.«

*

Gegen Ende jener erfolgreichen Woche entfernte Ned ein Fell mit solcher Präzision und Kunstfertigkeit, dass er das Bedürfnis verspürte, es seinem Vater zu zeigen und ihn etwas zu fragen. Es war später Vormittag. Er fand seinen Vater in der Plantage, wo er vor einem jungen Apfelbaum stand. Im Näherkommen spreizte Ned das Fell über seine Handflächen und zeigte seinem Vater die unversehrte Haut, die von keinerlei Blut verschmierten Haare. Die tadellose Beschaffenheit des Ganzen. Doch sein Vater schien ihn nicht zu bemerken. Er sah starr auf den Baum, der Blick unfokussiert, bis etwas am Himmel seine Aufmerksamkeit erregte und er den Kopf nach hinten warf, um eine Wolke zu betrachten, wobei sich sein Mund bewegte, ohne dass er einen Laut von sich gab.

Ned wartete eine Weile. Als nichts geschah, ging er zu seinem Baumstumpf und seinem Messer zurück.