Lingam Zwölf asiatische Novellen - Dauthendey, Max - kostenlos E-Book

Lingam Zwölf asiatische Novellen E-Book

Max, Dauthendey

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The Project Gutenberg EBook of Lingam, by Max DauthendeyThis eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and mostother parts of the world at no cost and with almost no restrictionswhatsoever.  You may copy it, give it away or re-use it under the terms ofthe Project Gutenberg License included with this eBook or online atwww.gutenberg.org.  If you are not located in the United States, you'll haveto check the laws of the country where you are located before using this ebook.Title: Lingam       Zwölf asiatische NovellenAuthor: Max DauthendeyRelease Date: November 26, 2014 [EBook #47467]Language: German*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK LINGAM ***Produced by Norbert H. Langkau, poor poet and the OnlineDistributed Proofreading Team at http://www.pgdp.net

Max Dauthendey

Lingam

Zwölf asiatische Novellen

Albert Langen, München

Copyright 1909 by Albert Langen, Munich

Lingam:

Seite

Dalar rächt sich

11

Der Zauberer Walai

21

Unter den Totentürmen

35

Der Knabe auf dem Kopf des Elefanten

55

Eingeschlossene Tiere

67

Der Kuli Kimgun

83

Der Garten ohne Jahreszeiten

107

Im blauen Licht von Penang

131

Likse und Panulla

149

Der unbeerdigte Vater

165

Im Mandarinenklub

177

Die Auferstehung allen Fleisches

191

Lingam

Ich drehe in meiner Hand einen kleinen Kupfernapf mit breitem Rand, der im Licht rötlich blitzt. Der kleine Napf ist winziger als ein Eierbecher und darin ist, halb hineingesteckt, ein schwarzes Marmorei. Das Ei ist unscheinbarer als ein Taubenei. Das schwarze Ei in dem kupfernen Eierbecher, beide stellen zusammen ein Lingam dar, das indische Symbol geschlechtlicher Vereinigung, das heiligste Liebessymbol und Symbol des ewigen Lebens.

Wenn ich das Lingam betrachte, sehe ich vor mir deutlich eine der engsten Tempelgassen in Benares, wo ich in einer Lingambude das kleine schwarze Steinei im Kupferbecher kaufte. Die Pflastersteine der dunkeln schmalen Gasse sind glitschig und fettig von den Füßen der tausend Pilger, die dort jeden Morgen zum Sonnenaufgang, heute noch wie vor tausend Jahren, in langen Zügen mit Trommeln und Pfeifen vom Tempel des heiligen schwarzen Stieres, vorbei am Tempel der weißen heiligen Kühe, hinunter zum heiligen Gangesstrom ziehen. Zu beiden Seiten der höhlenartigen Gasse sind Öffnungen in den Hauswänden. Da stehen auf hölzernen Tischen zu Hunderten die Lingams in allen Größen zum Verkauf. Die Tische scheinen schwarz von den schwarzen Marmoreiern, die in rötlichen kupfernen oder weißen marmornen Näpfen stecken.

Man sagt, der höchste Gott Rama ging eines Abends zum Ganges und traf dort ein schönes fremdes Weib, das Wasser schöpfte. Sein Herz begann sich für das schöne Weib zu erregen, und er näherte sich ihm und liebkoste es. Das Weib, von der Gewalt des obersten Gottes erschüttert, legte sich in den Sand und zog den Gott in seinen Schoß, und beide vereinten sich in süßer Liebesumarmung.

Aber die Gemahlin Ramas, von Unruhe getrieben, folgte den Fußspuren ihres Gemahles im Ganges-Sand, und als sie den ungetreuen Mann mit einem fremden Weibe vereinigt fand, hob sie heimlich das Schwert, das Rama neben sich gelegt hatte, und holte zu einem Hiebe aus, der den Gott von dem Weibe trennte, so daß das göttliche Glied in dem Schoße des Weibes zurückblieb.

Aber das abgehauene Glied Ramas befruchtete noch die Frau, aus deren Schoß neue Götter, ein neues Menschengeschlecht, ein neues Tier- und Pflanzenreich entstanden. Alle die von dem Gott und dem Weib Erzeugten lieben sich jetzt ewig und müssen sich ewig unter dem Symbol des Lingam weiterzeugen.

Damit Mann und Frau nicht vergessen sollen, daß sie zur herzlichen sinnlichen Vereinigung auf die Welt gekommen sind, wird ihnen in allen Tempeln und in allen Häusern, und von klein auf, das Symbol des Lingam in tausend Formen immer wieder vor die Augen gestellt, in Bild und Rede.

Denn die Menschen sind vergeßlich und unwissend, und alles muß ihnen immer wieder gelehrt werden, auch die Liebe, – das bedenke, o Mensch.

Dalar rächt sich

Die Frau des Dalar stand an einer Straßenpumpe in einer der Eingeborenenstraßen von Bombay. Sie drehte den Hahn auf und hielt den Kopf ihres sechsjährigen Knaben darunter und wusch ihn mit den Händen.

Es ist morgens sieben Uhr, und die Straße wimmelt von Indiern, die wie nackte Rudel Rotwild aneinander vorüber eilen. Ziegenherden und Scharen von Truthühnern treiben neben zweiräderigen hohen Lastkarren über das Pflaster. Indier sitzen am Trottoirrand, lassen sich rasieren, ihre Ohren reinigen und ihren Leib massieren. Die Straßenfriseure mit dem Toilettenwerkzeug im Gürtel, und bis auf Gürtel und Turban unbekleidet, hocken neben ihrer Kundschaft am Trottoirrand.

Die Frau des Dalar hatte ihrem Knaben das schwarze Haar blank gestrichen, daß sein Kopf wie der Lackschuh eines Europäers glänzte. Sie öffnete jetzt ihr eigenes Haar und hielt ihren Kopf unter die Straßenpumpe; sie ließ den Wasserstrahl wie einen Glaskolben aufschlagen, und das Wasser zerplatzte weit im Kreise.

Ein Zebukalb, ein wilder Hund und ein paar Truthühner, die sich um die Pumpe tummelten, kamen herbei und schlürften die Wassertropfen auf.

Die zwei indischen Arbeiter in Dalars offener Schneiderbude, welche Turbanbänder und Schleier auf englischen Nähmaschinen säumten, lachten über den spritzenden Wasserstrahl, und Oliman, der eine der Gehilfen, rief der Frau des Dalar den Brahmanenspruch zu: »Elida, nimm dein Haupt in Acht, daß es nicht zu Wasser wird unter der Quelle.«

Elida, die Frau des Dalar, antwortet ihm nicht.

Sie schickte aber, als sie ihr schwarzes Haar ausrang und sich aufrichtete, mit der Wimper zuckend den Knaben zu dem, der gesprochen hatte. Oliman legte seine Hand eine Sekunde auf das frische schwarze Haar des Knaben, murmelte ein Gebet über ihn und ließ ihn wieder gehen. Dann beugte er sich demütig und scheu über seine Nähmaschine, ließ Öl aus der Kanne in die Räder tropfen und nähte weiter.

Jedesmal, wenn die Frau ihr Haar an der Pumpe vor dem Laden ihres Mannes wusch, geschah es, daß sie das Kind zu Oliman schickte und dieser ein Gebet über den Knaben sprach; das geschah jeden Morgen, seitdem der Knabe laufen konnte.

Niemand in der Straße dachte darüber nach, warum Oliman den Knaben jeden Morgen segnete. Aber Dalar, der Besitzer der Nähmaschinen, saß jetzt tagelang drüben beim Silberschmied an der Ecke und dachte nach. Er ließ seine Wasserpfeife oft ausgehen, zündete sie wieder an und dachte weiter. Dalar konnte quer über das Gewühl der Zebukarren und über das Gerenne des Bazarvolkes und heimlich über die Schulter seines Freundes, des Silberschmiedes, hinweg seinen Laden beobachten, seine Nähmaschinen, sein Weib an der Pumpe, den Knaben und Oliman.

An diesem Morgen, als die Frau mit dem Kind ins Haus gegangen war, wischte sich Dalar mit der Handfläche den Schweiß von der Stirne, stand auf, schlüpfte mit den Füßen in seine Pantoffel und ging finster in Gedanken fort in das Straßengewühl. Im Geschäftsgetriebe bemerkte niemand bei dem Silberschmied, daß Dalar verschwand. Dalar ging, bis er in eine Gasse vor eine Zeltbude kam.

Vor dem Zeltvorhang saß die rächende Göttin Kali, die Vielarmige, aus Holz geschnitzt. Drinnen im Zelt sind die rächenden Todesgötter der Indier aufgestellt, die bei Prozessionen an Festtagen durch die Straßen getragen werden. Vor dem Zelteingang neben der Göttin steht ein großer Blechkasten als Opferstock. Dalar warf ein Silberstück hinein und wünschte sich einen rächenden Gedanken. Er starrte dabei finster auf die hölzerne schwarze Gestalt der Göttin Kali, die auf einem zitronengelben Tiger sitzt, welchem statt Menschenblut rote Ölfarbe um das Maul gemalt ist. Die vielen schwarzen Arme der Göttin schwingen vergiftete Dolche, vergiftete Säbel und vergiftete Speere; sie hält ein ganzes Arsenal blitzender Waffen in die Luft. Alles Straßenvolk geht grüßend an ihr vorüber, und aller Indier Augen blitzen für eine Sekunde beim Gruß, wie Raketen in der Nacht. Dalar verbeugte sich dreimal und klatschte in die Hände, um die Aufmerksamkeit der schwarzen Göttin zu erwecken. – Daß ihn sein Weib Elida mit Oliman betrogen hatte, wußte er jetzt, denn er sah es deutlich an dem Kind, welches Oliman täglich ähnlicher wurde. Heute hatte er endlich beschlossen, sich an Elida zu rächen.

Dalar trat in die staubige Tempelbude, um sich einen Tod für sein Weib auszusuchen.

Lange Reihen hölzerner, rot, gelb und grün gemalter Puppen standen drinnen unter dem grauen Zelttuch auf langen Tischen. Da waren Menschen an Marterpfähle gebunden, mit brennenden Pfeilen gespickt; englische Soldaten, welche vom wütenden Elefantengott zerstampft wurden; die Göttin Kali auf unzähligen Tigergestalten, auf roten und schwarzen Tigern, Feuer und Pest darstellend; der blaue Affengott, der die Menschenaugen irrsinnig macht mit seinen Grimassen und Verrenkungen. Es wurden Menschen von der Rachegöttin zu Tode gepeitscht, der Tiger hielt Verzweifelte in seinen Tatzen und riß ihnen die Gedärme aus der Bauchhöhle. Der gelbe Tigergott hatte grüne Glaskugeln als Augen und echte, heilige, zornige Tigerkrallen. Jede mögliche Folter und jeder schrecklichste Tod hatte sein Bild hier. Um das vergossene Blut zu schildern, war an den plastischen Figurengruppen nicht mit Scharlachfarbe, Purpur und Rötel gespart.

Dalar grübelte. Seine Augen liebkosten die rotgemalten Folterqualen, als stünde er vor den Blumenbeeten in den Gärten des Paradieses. Aber als er die langen Reihen zweimal auf und ab gegangen war und alle Todesschmerzen am eigenen Leibe nachgefühlt hatte, fand er unter allen grausamen Todesarten keinen Tod grausam genug für sein Weib. Nicht den roten Tod, das Feuer, das den Menschen zernagen konnte; nicht den schwarzen Tod, die Pest, mit ihren schwarzen Beulen; nicht den blauen Tod, den Wahnsinn, mit seinen verrenkten Grimassen; nicht den gelben Tod, den Tigerhunger, mit den eigenen Därmen im Maul; den Tod, den Dalar für Elida suchte, fand er nicht unter den dreihundertsechzig Todesarten.

Wie von der Göttin gekränkt, wollte Dalar schon die graue Tempelbude verlassen. Da – unter dem Zeltausgang, blieb sein Turban an einem rostigen Nagel hängen, das Turbantuch schlitzte auf, und Dalars ganzer Geldvorrat, den er, wie alle ärmeren Orientalen, stets in den Turban gewickelt trug, rollte in hundert Silbermünzen über Schultern, Rücken und Brust an ihm herab, auf die Erde, der vielarmigen Göttin Kali zu Füßen.

Dalar sah und horchte erstaunt auf die klingenden Münzen, als hörte er jedes Silberstück sprechen.

Erleuchtet von einem plötzlichen Gedanken, beugte er sich dreimal tief und ehrfürchtig vor dem Götterbild, verließ dann das Zelt und ließ sein ganzes Geld hinter sich bei der rächenden Göttin liegen.

»Die Göttin Kali hat gesprochen!«

»Den grauen Tod, die Armut wünscht dir die Göttin Kali, Elida!« Und Dalar nickte ernst und zustimmend, dann verschwand er im Straßengewühl. –

Tief in der Nacht, als die grellen Tropensternbilder wie Stachelzäune über den Häusern standen, schlich Dalar an seine Haustür und malte mit ein wenig Indigofarbe einen blauen Kreis an den Türpfosten, zum Zeichen, daß einer im Haus gestorben sei. Dann ging der Mann weiter durch die Nacht. Sein Weib würde am nächsten Morgen glauben, er wäre an der Türschwelle umgefallen und von der englischen Nachtpatrouille als pestverdächtig in die Baracken fortgetragen worden. Der Offizier der Patrouille hätte dann, wie gewöhnlich, das blaue Zeichen lakonisch an die Tür gemalt.

Dalar wanderte unter den Ketten der schweren Sterne durch die Nacht. Morgen war der Monatsanfang, an dem die beiden Nähmaschinen den unerbittlichen englischen Fabrikanten bezahlt werden mußten; morgen war der Monatsanfang, an dem die Hauspacht entrichtet werden mußte. Die armseligen feigen Ladengehilfen konnten Elida nichts nützen. Morgen mußte Oliman sich eine andere Stelle suchen, morgen mußte Elida mit ihrem Knaben betteln gehen.

Dalar schritt unter dem Steingewichte der Sterne durch die Nacht, und ihm war, als hätte er alle Arme der Göttin Kali am Leibe, so glücklich fühlte er sich. Er rächte sich tief mit allen göttlichen Armen der Rache.

Dalar wanderte in dieser Nacht, reich wie die Finsternis, als Pilger zu dem Berg Abu, um ein Jaïn zu werden. Die Jaïns leben dort am Berge nackt und sprechen dem Weibe jede Seele ab.

Der Zauberer Walai

Walai war Straßenzauberer in Bombay. Er saß nachmittags vor dem Taj-Mahalhotel auf dem Pflaster des Quais, mit seinen Körben, seinem neunjährigen Knaben, einem roten Tuch, einem Stockdegen und einer Handtrommel. Hinter seinem Rücken lag der indische Ozean, die heiße, unendliche Wasserwüste. Über Walais gelbem Turban stand die indische Sonne wie die offene Feuerluke eines Hochglutofens. Vor ihm das Hotel aus weißem Granit, acht Stock hoch, mit offenen Granitloggien, darin Hunderte von englischen Reisenden aus Europa und aus dem indischen Reich, die Hallen und Galerien füllten.

Walai ließ die Trommel bullern. Sein Knabe mußte sich dann in einen Korb legen. Über ihn schlug Walai das rote Tuch, schloß den Korbdeckel und zählte laut auf englisch: One – two – three! Dann stieß der Zauberer den Stockdegen bis ans Heft in den Korb, lachte grinsend und sah mit seinen horngelben Augäpfeln und seinem kaffeebraunen Gesicht über die acht Stockwerke des Hotels hinauf und hinunter. Er blähte die Nasenlöcher, rief: Hee!, hob den Korbdeckel, lüftete das rote Tuch und zeigte dem ganzen Hotel, daß der Korb leer war. Um ein übriges zu tun, sprang er selbst mit beiden nackten Füßen in den Korb hinein und stampfte darinnen herum und rief: Hee, hee! und schwenkte in der einen Hand den Stockdegen, in der andern das rote Tuch in die Luft. Das rote Tuch hatte die Farbe von blutigem Fleisch und flatterte wie bluttriefend vor dem überhitzten, silbergrauen Tropenhimmel.

Die weißgekleideten Ladies und die weißgekleideten Gentlemen, die nach dem Lunch in den Schaukelstühlen auf den prächtigen Steinaltanen lagen und ihren Kaffee und Whiskysoda dort tranken, bogen sich aus dem Schatten der Steingewölbe über die hellen Geländer und zeigten Walai ihre blassen, müden Tropengesichter, die schlaff waren wie ausgepreßte Zitronen. Tausende von Malen im Jahr zeigte der Zauberer Walai dasselbe Kunststück, ein dutzendmal am Nachmittag ließ er unter umständlichem Trommelbullern seinen Knaben verschwinden und erscheinen; auf das weiße Pflaster am Meerquai klingelten dann die großen Kupferstücke und die kleinen Silbermünzen, die der nackte Knabe auflesen durfte.

Walai selbst bückte sich nicht. Niemand sah, daß er unter der Bräune seines Gesichtes immer wieder fahl wurde, wenn er den Stockdegen auch schon zum hunderttausendsten Male in den Korb stieß. Bei jedem neuen Degenstoß erschien auf seinen spitzen Backenknochen eine leichte Blässe; er liebte seinen Knaben sehr und fürchtete, ihn einmal zu verletzen. Denn der schmale, knochenlose Knabenkörper war natürlich nicht aus dem Korbe verschwunden, sondern lag darinnen, schlank wie ein Palmenblatt an die gebauchten Korbwände gepreßt, und wußte der Degenschneide geschickt auszuweichen, indem er blitzschnell seine Lage veränderte. Oft fuhr dem Knaben der Degen wie ein Pfeil zwischen zwei Finger und durch die gespreizten Zehen, oder durch das gekrauste Haar. Er wich der Degenspitze aus wie einer Schlange, die gestreckt auf ihn losstürzte. Er sah durch die Wände des lose geflochtenen Korbes das helle Straßenpflaster, das große Hotel und die tanzende Schattengestalt seines Vaters. Und wenn das Geld draußen klingelte, sprang er vergnügt und unverletzt aus dem Korb.

Heute am Sonntag, wo mehr Europäer als sonst im Hotel auf den Altanen waren, hatte der Zauberer bis zum Abend gezaubert. Er hatte seinen Knaben zum erstenmal an der Lippe geritzt, und das rote Tuch zeigte einige dunkle Flecken. Er hatte dann sein Kind in die leere Lehmhütte heimgebracht; er machte für die Nacht ein kleines Kohlenfeuer an, legte den Knaben auf die Strohmatte und wartete, bis die Atemzüge ihm sagten, daß das Kind schlief. Dann ging er noch einmal aus, um dem Knaben ein neues Turbantuch zu kaufen und sich selbst für den heutigen Schreck zu trösten.

Im Abendgewühl in den Eingeborenenstraßen setzte sich Walai müde auf einen Treppenstein und sah einen Augenblick auf die Millionen Lichter der Stadt, auf die breiten Feuer in den offenen Höfen. Kerzen und Windlichter tanzten in der Nachtluft auf den Holzgalerien, große Menschenschatten fuhren aus den Türen, schossen spukhaft durch die Lichtkegel weit hinaus über die Geländer der Altanen. Oft wurden die Schatten von fünf Fingern größer als ein Haus, große Nasen fuhren über weiße Hofwände, als würden die Menschen mit einem Atemzug zu aufgeblähten Riesen und schrumpften gleich darauf wieder zu Zwergen zusammen. Über den roten und blauen Gläserlampen der Häuser und über den braunen offenen Hoffeuern erschienen und verschwanden in der halbkühlen Märznacht die weißen Raketen der Sternschnuppen und zogen lange Phosphorlinien durch das Dunkel.

Walai der Zauberer sah die Nacht wie einen Kollegen an, der ihm seine überlegenen Kunststücke zeigen wollte. Und Walai nickte in die Wirklichkeit und Unwirklichkeit der spukenden Lichter und Schatten; er fühlte sich wie ein Fremder und Hotelgast vor der nächtlichen Zauberei.

Ganz in seinen Gedanken ging der Zauberer in den nächsten Hof und hielt seine Hände an das offene Feuer und niemand von denen, die um die Flammen hockten, achtete auf ihn. Während Walai sich noch wärmte, hörte er Musik von Gongs, Trommeln und Flöten; er bemerkte jetzt erst, daß er im Vorhof des Kulitheaters war. Seine abwesenden Augen verschafften ihm überall freien Eintritt. Er ging an den armseligen Türwächtern vorüber in den halbzerfallenen Theaterraum. Keiner getraute sich den langen, hagern Indier, der wie eine wandelnde Lanze daherkam, anzureden. Das Theater war voll von Leuten, Kulis, die wie Lumpenbündel hintereinander saßen, mit farblosen Turbanen, in Wolken von Tabakrauch. Das Theater erschien wie mit Lumpen und Knochen gefüllt. Nackt, abgemagert und grau saß das Kulivolk auf dem Parkett und dem einzigen Rang. Das kleine verräucherte Haus war wie ein französisches Theater eingerichtet. Vier Musikanten spielten stehend auf der Bühne oben und warteten auf die Tänzerin, die erscheinen sollte. In der dunkeln Bühnenwelt standen manche Kulissen auf dem Kopf, und man wußte nicht, ob sie Zimmer, Garten oder Straße vorstellten. Walai stieg über kauernde Menschenhaufen hinauf auf den Rang, setzte sich, legte sein Gesicht auf das Balkongeländer und schlief ein, wie viele der andern, die müde vom Lasttragen, von der Straße und von der Hafenarbeit waren.

Die vier Musikanten musizierten einförmig, und Walai wachte erst wieder aus seinem Schlaf auf, als ein Weib einen Schrei ausstieß.