Little Boy's Book - Fin Liegener - E-Book

Little Boy's Book E-Book

Fin Liegener

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Beschreibung

Kann ein Buch dein Leben aus der Bahn werfen? Theodore-Nikki erlebt es am eigenen Leib. Als er das rätselhafte Little Boy's Book findet, beginnt eine Reise, die ihn an seine Grenzen bringt – und weit darüber hinaus. Noch am selben Tag begegnet er im Traum der ebenso faszinierenden wie unheimlichen Ava-Mia. Nacht für Nacht zieht es ihn in eine perfekte Scheinwelt, die er mehr und mehr zu beherrschen glaubt. Doch je tiefer er eintaucht, desto realer wird das Unwirkliche – und desto dunkler werden die Aufgaben, die ihm das Buch stellt. Die Grenzen zwischen Traum und Wirklichkeit beginnen zu verschwimmen. Ava-Mia wird zur Obsession. Moralische Schranken fallen. Theodore-Nikki droht sich selbst zu verlieren – bis er vor einer folgenschweren Entscheidung steht: Welches Leben ist das echte? Und will er es überhaupt noch? Was steckt hinter der Geschichte? Ist das Buch ein Fluch oder der Spiegel seiner eigenen tiefsten Abgründe?

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Seitenzahl: 215

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Fin Liegener – Little Boy’s Book

Fin Liegener

Little Boy’s Book

Leben in meinen Träumen

Roman

© 2025 Fin Liegener

Lektorat, Korrektorat: Dr. Matthias Feldbaum

Covergestaltung, Illustrationen: © Luise Wendt

Verlag:

Andreas Krüger (für Fin Liegener)

Europa-Allee 2 a

30823 Garbsen

Druck: epubli – ein Service der Neopubli GmbH, Berlin

1. Auflage, Juni 2025

ISBN

Paperback: 978-3-819741-80-7

E-Book: 978-3-819741-81-4

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Für Träumerinnen und Träumer

Sage nie: »Das kann ich nicht«,

vieles kannst du, will’s die Pflicht.

Alles kannst du, will’s die Liebe,

drum dich stets im Schwersten übe.

Vieles fordert Lieb und Pflicht.

Sage nie: »Das kann ich nicht«.

(Autor unbekannt)

Vorwort

Die Welt aller Lebenden und Träumenden ist klar getrennt. Sie schauen ins Buch und merken, wie die Papierfasern an ihrer Haut kratzen. Oder auch nicht, denn allein Sie, liebe Leserschaft, wissen, was Sie tun. Nicht wahr? Können wir uns wirklich sicher sein, dass irgendetwas eindeutig ist? Wie durch mathematische Gleichungen klar definiert? Bereits die Pioniere der Psychoanalyse – Carl Gustav Jung und Sigmund Freud – erkannten die Wichtigkeit unserer Träume. Das Geträumte zu deuten, es zu hinterfragen und im Spieglein zu erkunden, was unsere Hirnmasse wirklich flüstert, was echt ist und was nicht: In unserer modernen Zeit kann es keine bedeutendere Frage geben. Schließlich sind wir ja von einer irrsinnig dynamischen Welt umgeben, und es ist schwer, sich in ihr zu bewegen. Ebenso wie wir begibt sich der Protagonist im vorliegenden Buch auf eine wahnwitzige Reise durchs ontologische Land. Kann er den eigenen Sinnen trauen? Oder steckt er knöcheltief im kognitiven Treibsand fest? Seien Sie bereit, die Frage aller Fragen ins Papier zu brüllen: »Was ist Realität?«

Remí Ljuberti

21.08.2024

1. Tag – Ava-Mia

Ich habe meine Frau erschossen.

Ich gab aber nicht mir die Schuld. Es war dieses Buch, welches mich über 28 Tage so manipulierte, dass ich irgendwann zu so etwas in der Lage war. Es war Little Boy’s Book, das eines Morgens auf einmal auf meinem Schreibtisch lag. Aber irgendwas war anders, denn ich hatte doch einige Sekunden zuvor noch an einer Motorradtour teilgenommen …

Es war der Beginn der Sommerferien. Wir waren um die 40 Motorradfahrer, aber komischerweise weiß ich nicht mehr, wer meine Sozia war. Wir haben uns vorgenommen, einmal quer durch Europa zu fahren – mit fast 40 Leuten gar nicht mal so einfach. Ich kann mich noch gut daran erinnern, als ein Einziger dringend tanken musste. So mussten alle hinterher und sich irgendwo einen Parkplatz suchen; das ganze Gelände war durch uns zugeparkt. Keine Ahnung, wer das war, aber es war amüsant zuzusehen, wie er sich beeilte – als hätte er einen Geist gesehen. Gerade als er fertig mit Tanken war, stolperte er über die Erhöhung für die Tanksäulen und fiel urkomisch hin. Er streckte seine Arme nämlich nicht nach vorn aus, um sich zu schützen. Er fiel einfach so aufs Gesicht, aber zum Glück war noch der Helm auf. Komischer Typ …

Er war fertig und wir fuhren weiter. Es dauerte etwas, bis wir alle vom Gelände runter waren; viele Passanten schauten uns zu. Auf der Autobahn beschleunigten einige mit Vollgas und überholten einen nach dem anderen.

Sie fuhren dicht an dicht, und ich spürte, wie meine Sozia sich fest um meinen Bauch schlang und über Funk zu hören war: »Brumm, brumm!«, was bedeutete, dass ich mehr Gas geben sollte.

Das Vorderrad hob für einige Sekunden ab, bis ich abbremsen musste, da mir fast einer in die Seite gefahren war – ohne Schulterblick.

Wir holten einen Lkw nach dem anderen ein, die wir vor dem kurzen Halt schon einmal überholt hatten. Mit den Kilometern waren wir immer besser auf der Strecke verteilt – bis einer ein Manöver wagte, das er lieber hätte sein lassen sollen. Zwischen der Mittelspur war frischer Rasen, und an einer Stelle fehlten ein paar Leitplanken. Dies nutzte jemand aus unserer Gruppe aus und fuhr durch die Lücke auf die Autobahnmitte. Er beschleunigte auf etwa 100 Kilometer pro Stunde und fetzte mit seinem Hinterrad den Rasen hinter sich weg. Um ihn zu warnen, näherte ich mich ihm, bremste auf seine Höhe ab und machte eine Langsamer-Bewegung.

Ich hupte und schrie: »Hey! Pass auf! Da vorn geht’s nicht weiter!«

Keine Reaktion. Dann schaltete er sein Funkgerät aus. Andere fingen an zu hupen, doch dies ignorierte er. Mein Herz fing an zu rasen, und ich meinte zu meiner Sozia noch: »Was macht der Idiot denn da?«

Er schien das Ende zu sehen, an dem die Leitplanken zusammengingen, aber er beschleunigte weiter, und das Motorrad vibrierte, als würde es jeden Moment in seine Einzelteile zerfallen.

Noch kurz vor dem Aufprall überschlug sich sein Motorrad schlagartig und er flog mit seinem Kopf voraus in einer wahnsinnigen Geschwindigkeit auf die Zusammenführung zu. Es gab einen riesigen Schlag und ich musste zusehen, wie sein Körper in Stücke gerissen wurde.

Doch plötzlich flog das eine Rad direkt auf uns zu und riss uns vom Motorrad. Dann war alles schwarz. Kein Schmerz, pure Stille. Nichts.

*

Eines Morgens wachte ich durchgeschwitzt in meinem Bett auf. Ich riss die Augen auf und schnellte hoch. Es war alles wie gewohnt – als wäre nichts passiert. Ich brauchte einen Moment, bis ich wieder zu mir kam und klarsehen konnte. Eines fiel mir aber gleich danach auf: Dort auf meinem Tisch lag so ein bräunliches Buch, welches auf jeden Fall nicht mir gehörte. Ich ging hin und warf einen Blick drauf. Es trug den Titel »Little Boy’s Book«. Der Umschlag fühlte sich an, als ob er aus Leder wäre. Ich wusste nicht, wem dieses Buch gehörte und was es in meiner Wohnung zu suchen hatte, aber es machte einen beängstigenden und bösartigen Eindruck auf mich, also warf ich es einfach in die Mülltonne.

Beim Wiederhereinkommen schaute ich zu meiner digitalen Uhr: elf Uhr drei, erster Sommerferientag.

Ich wohnte allein, weshalb ich oft draußen im Wald spazieren ging. Diesmal brauchte ich dringend die frische Luft und wanderte eine Zeit lang in den Alleen herum. Um mehr Zeit totzuschlagen, nahm ich einen Umweg, auf dem sich ein Brunnen mitten auf einer Allee-Kreuzung befand. Ich setzte mich auf die Sitzfläche, die einmal um den Brunnen herumging, und spürte, wie das Blut durch meine Beine gepumpt wurde. Das Wasser plätscherte vor sich hin und der Wind wehte sanft über meine Haut.

Die Gegend war ziemlich verlassen – nur eine etwas weiter entfernte Frau, die auf mich zuging. Da es in dem Moment nichts Besseres zu sehen gab, beobachtete ich sie und zeichnete nebenbei den schönen, grünen Waldweg. Sie war von oben bis unten schwarz gekleidet, schlank und ging irgendwie sexy. Ich wartete eine Weile ab, bis ich auch ihr Gesicht betrachten konnte.

Mir wurde aber auf einmal ganz warm, als sie zu mir schaute. Mist, ich werde rot, und das sieht man, dachte ich.

Ich starrte sie dennoch wie gefesselt an. Dabei sah ich nicht auf ihren Gang, sondern in ihre Augen. Es war wie Liebe auf den ersten Blick. Dann waren da ihre dunklen Haare, die sich zu ihrem Schrittrhythmus mitbewegten.

Sie ging direkt an mir vorbei und guckte mich noch mal an, lächelte und sagte: »Hey.«

Zum Zurücklächeln war ich aber viel zu schüchtern.

Wahrscheinlich wirkte ich wie ein Irrer. Ich konnte den Blick nicht abwenden und schaute auf ihre Beine und ihren Hintern, als sie an mir vorbeiging – ein Traum.

*

Und tatsächlich wurde sie zu meinem Traum. In dieser Nacht saß ich genau an derselben Stelle, wie ich es auch in der Realität erlebt hatte. Sie kam wieder direkt auf mich zu, aber diesmal ging sie nicht an mir vorbei, sondern blieb vor mir stehen und lächelte mich an.

Dann reichte sie mir die Hand. »Hey, ich bin Ava-Mia.«

Ich war ganz hin und weg und wusste erst gar nicht, wie ich reagieren sollte. »Hallo, ich bin Nikki.«

Sie sah genauso aus, wie ich sie in Erinnerung hatte. Nun erkannte ich auch ihre wunderschönen braunen Augen. Sie setzte sich neben mich und schaute mich ganz verträumt an. Ohne ein Wort zu sagen, schauten wir uns Minuten lang in die Augen.

Ich verstand nicht ganz, warum ich von so etwas eigentlich total Unangenehmem träumte, doch je länger wir uns anschauten, desto mehr blickte sie in meine Seele hinein und desto mehr gefiel es mir. In meinem Leben träumte ich schon immer von der Liebe meines Lebens, aber das fühlte sich weitaus realer an als alle anderen Träume. Beim Blick in ihre Augen sah ich einen geheimnisvollen, neugierigen und eigentlich sehr schüchternen Menschen.

»Da wir uns ja jetzt kennen, kann ich dich bestimmt auf ein Eis einladen«, meinte ich.

Sie sagte nichts, stand einfach auf und nahm mich bei der Hand. In der Allee tauchte plötzlich ein kleiner Eiswagen auf, den ich nie zuvor gesehen hatte. Als hätte der Eismann gewusst, welches Eis wir gern essen, drückte er uns beiden jeweils eine Kugel in der Waffel in die Hand. Ich erklärte es mir damit, dass das alles bloß ein Traum war.

Wir hatten bisher nicht wirklich miteinander geredet, aber ich wusste von nun an, dass ich nicht mehr aufhören wollte, von dieser Frau zu träumen.

Aufgrund des warmen Wetters krempelte ich die Ärmel meines Hemdes hoch, wodurch man auch meine Verletzungen an meinen Unterarmen erkennen konnte. Ich schnitt mich damals sehr oft, manchmal auch ziemlich doll. Sie sprach mich darauf an, aber ich wollte nicht darauf eingehen. Ich konnte es nicht. Immer, wenn ich daran erinnert wurde oder an die damaligen Zeiten zurückdachte, kam ich in eine Art tiefe Trauerphase. An einige Tage konnte ich mich nur noch sehr verschwommen erinnern. Manchmal waren auch ganze Jahre weg. Bilder von mir von damals gab es nicht. Ich wollte sie nie behalten, da sie die schlechten Erinnerungen wieder hochholten.

2. Tag – Wiedersehen

Am nächsten Tag lag dieses Buch schon wieder auf meinem Tisch. Aber wie konnte das denn sein? Ich hatte es doch in den Müll geworfen und niemand sonst hatte Zugang zu meiner Wohnung. Es machte mir ein wenig Angst, trotzdem warf ich mal einen Blick drauf: Es sah von außen aus wie ein ganz normales Buch aus Leder. Die Seiten waren schon deutlich älter und fühlten sich zerbrechlich an. Die erste war leer, also blätterte ich weiter.

Die Schrift war gewöhnungsbedürftig und schwierig zu lesen, doch was ich las, brachte mich zum Nachdenken: Nette Worte hört jeder gern. Sie stärken und machen selbstbewusst. Bring jemanden damit zum Lächeln oder nimm deiner Frau das Leben und du wirst verschont. Es liegt in deiner Hand, doch tust du nichts davon, wird sich jemand über deine Kleidung äußern.

Ich brauchte einen Augenblick, um zu verstehen, was dort stand. Mir war nicht klar, inwiefern das alles zusammenhing und ob ich damit gemeint war, denn ich konnte ja schließlich nicht meine Frau töten, wenn ich nicht mal eine hatte. Merkwürdig fand ich außerdem, dass dies die einzig beschriebene Seite war.

Ich lief mit dem Buch wieder nach draußen und zerriss es diesmal, so gut ich konnte. Dann lief mir ein Schauer den Rücken hinunter, als ich das Buch wieder in die Mülltonne warf, und ich blieb wie eingefroren stehen. Ich verstand nicht ganz, was das alles mit mir zu tun hatte.

Nach diesem kurzen Ereignis am Morgen war wieder alles beim Alten und ich ging wie sonst neutral durch den Tag. Ich dachte, wenn ich wieder zu diesem Brunnen laufe, würde ich die Frau wiedersehen, aber da war niemand. Ich wollte auch nicht wie bescheuert die ganze Stadt nach ihr absuchen, zumal dies nahezu unmöglich gewesen wäre. Wo hätte ich denn suchen sollen?

*

Ich hoffte den ganzen Tag lang, wieder von dieser Frau zu träumen – und so kam es dann auch. Schon wieder saß ich an diesem Brunnen, und allmählich dachte ich, dass das alles mit diesem Ort zusammenhing.

Ich sah Ava-Mia von Weitem angelaufen, aber diesmal hatte sie ein breites Lächeln im Gesicht. Voller Freude und Energie kam sie auf mich zu und streckte ihre Arme aus, umarmte mich und setzte sich wieder direkt neben mich.

»Mensch, Nikki, dich habe ich hier ja schon seit mindestens drei Monaten nicht mehr gesehen. Was machst du hier? Wie geht’s dir?«

Ich war absolut überfordert, da sie auch ziemlich hektisch war, als wären Jahre von einem auf den anderen Tag vergangen.

»Aber wir haben uns doch erst gestern gesehen.«

»Was redest du denn da? Gestern war ich gar nicht hier.«

Mir fiel dann aber wieder ein, dass ich bloß träumte und Träume absolut unrealistisch und zeitunabhängig sein können. Theoretisch hätte sie ja vor mir stehen können, während ihre Zeit 90-mal schneller verging als meine. Das klang mir alles viel zu kopfzerreißend und ich beließ es erst mal bei »verrückten Träumen«. Ich hatte sowieso total Glück, wieder von dieser wundervollen Frau zu träumen. Es war wieder so realistisch – als würde ich in ein anderes Universum eingetaucht sein.

»Na ja, egal. Ich hätte da vielleicht eine Idee, was wir unternehmen könnten«, versuchte ich aus mir herauszuquetschen.

Irgendwer musste schließlich den nächsten Schritt machen, da schon letzte Nacht nicht wirklich was passiert war. Dabei gefiel mir »letzte Nacht«. Ich mochte es, daran zu denken, wie wir beide …

»Ja? Erzähl ruhig.«

»Lass uns in einen Vogelpark gehen, wollte ich sagen.«

Sie antwortete nicht darauf, sondern nahm mich bei der Hand und führte uns zu einem.

Wir standen an der Kasse, um den Eintritt zu bezahlen. Aber das war für mich absoluter Quatsch. Wieso hätte ich in meinen eigenen Träumen für den Eintritt zahlen sollen? So ging ich einfach an der Warteschlange vorbei und drängelte mich bis nach ganz vorn und hoffte, dass niemand eine Bemerkung machte – und so war es auch. Es schien niemanden zu interessieren. Wahrscheinlich hätte ich die Leute auch einfach mit einem Messer bedrohen können und nichts wäre passiert, aber so war ich nicht. Das hätte auch keinen Sinn ergeben. Wer bedroht bitte die Leute in der Warteschlange, um früher in einen Vogelpark hineinzukommen? Ein Vogelpark!

»Ist alles okay bei dir, Nikki?«

»Ja, ich … Alles okay. Ich war nur in Trance.«

Wir gingen an den verschiedensten Vogelarten vorbei, doch nur die Wellensittiche interessierten mich wirklich. Ich liebte es, diese schnuckligen Tiere auf mir sitzen zu lassen und sie zu füttern. Umso besser fand ich es, als wir endlich bei diesen Rabauken ankamen.

Wir gingen in den großen Käfig hinein und wurden direkt von ganz vielen kleinen Bunt-Viechern herzlichst begrüßt. Ich konnte nicht zählen, wie viele sich direkt auf meinen Kopf gesetzt hatten, aber es waren spürbar mehr als zwei. Sie schienen meine Freude wahrgenommen zu haben und verteilten sich an meinem ganzen Körper. Wie in einem Traum – es war ja auch einer – hatte ich quasi binnen weniger Minuten einen Wellensittich-Ganzkörperanzug an.

Ava-Mia nahm sich ein wenig Hirse vom Boden und streckte ihre Arme weit zur Seite aus. Interessanterweise begeisterten sie sich aber erst für sie, als ich einen der Vögel auf ihre Schulter setzte. Ein paar kamen nach und verteilten sich auf ihrem Kopf, ihren Armen und Händen. Einer hatte sich an ihr T-Shirt geklemmt und sich mit seinem Kopf seitlich an ihren Hals gekuschelt.

Diesen Moment musste ich festhalten, auch wenn es nicht die Realität war. Daraufhin stellte ich fest, dass meine gestrige Zeichnung trotz des Traums vorhanden blieb.

Für mich war es eine Art Ritual, jeden Tag mindestens ein besonderes Ereignis mit einer Zeichnung festzuhalten. Es half mir, meine Gefühle besser zu verarbeiten und mir gegen die damaligen Geschehnisse eine Art Schutzengel zu schaffen. Inwiefern es mir dabei half, konnte ich selbst nicht erklären. Wichtig war nur, dass mir unkontrollierbare Ereignisse wie damals nicht noch mal widerfahren sollten. Dass Ava-Mia aber nur wenig Verständnis für spätere Ereignisse zeigen würde, wusste ich in dem Moment, in dem ich der glücklichste Mann der Welt war, leider noch nicht. Da ich noch nie eine tiefgründige zwischenmenschliche Beziehung aufgebaut, sondern immer nur mit anderen Frauen die gegenseitige Lust befriedigt hatte, dachte ich bei diesem noch so wunderschönen Anblick trotzdem mehr mit meinem Pimmel als mit meinem Verstand und Herzen. Ich war mir dennoch sicher, dass sich mein einsames Leben in den nächsten Tagen positiv verändern würde. Es fühlte sich wie eine Barrikade an, die ich schon mein Leben lang vergeblich versucht hatte zu überwinden. Nun war ich aber dazu in der Lage, mich dieser ein Stück zu nähern, nachdem ich mich immer weiter von ihr entfernt hatte.

3. Tag – Regentanz und Sex

Umarme jemand Fremdes, um Glück zu verbreiten. Lass diese Person spüren, dass es Menschen gibt, die füreinander da sind, oder nimm deiner Frau das Leben. Das Schicksal trägst du in deinen Händen wie eine dünne, schmelzende Glasscheibe aus Eis. Bricht sie, so wird über dich gelogen.

Ich war mir doch so sicher, dieses verdammte Buch zweimal in die Tonne geworfen zu haben. Es hatte nicht eine Macke durch mich erlitten. Es lag direkt vor mir wieder auf dem Tisch und schaute mich mit seinem Cover an, als wollte es sagen: »Hehe, du kannst mich nicht zerstören!«

Mich machte der Gedanke, dass etwas ganz faul war, sehr nervös. Ich packte mir das Buch und versuchte, es draußen vor der Tonne zu zerreißen. Sosehr ich mich auch bemühte, das gesamte Buch zu zerstören, gelang es mir lediglich, vereinzelte Seiten kaputt zu kriegen.

Scheiß drauf, dachte ich und warf es mit Gewalt in die Tonne.

Noch nie hatte ich solch eine Angst gemischt mit Hass auf ein Buch verspürt.

»Lass mich zufrieden!«, schrie ich zur Tonne und rannte wieder hinein und verschloss die Tür.

Zwischen Wachsein und Schlafen war nichts los. Ich lag den ganzen Tag nur herum und dachte an Ava-Mia. Ich hätte alle Zeit der Welt gehabt, irgendetwas zu erleben, doch die Schmetterlinge im Bauch waren ein geisteskrank hoher Level des Highseins. Ich dachte darüber nach, ob es irgendeinen Trick dafür gab, seine Träume von Nacht zu Nacht immer fortsetzen zu lassen oder ob es einfach ausreichte, so lange wie möglich an seinen Wunschtraum zu denken.

*

Aber egal, woran ich auch dachte, im Traum kam es immer anders. In einem Park saßen wir auf einer Picknickdecke auf einer Wiese. Es war seltsam, da ich gleich ins Geschehen eintauchte. So, als hätte ich die Rolle von dem Nikki in der Welt von Ava-Mia übernommen. Mir fiel gleich auf, dass es noch immer warm war, obwohl laut meiner Schätzung schon etwa sieben Monate vergangen sein müssten. Denn beim letzten Mal sagte Ava-Mia, dass wir uns etwas über drei Monate nicht mehr gesehen hätten.

Verteilt auf der Picknickdecke lagen ein Haufen Kekse, und vor mir saß sie. Sie schaute mir so tief in die Augen, dass ich wie beim ersten Mal erstarrte und diesen wunderschönen Anblick genoss. Einen solch intensiven Rausch verspürte ich nie zuvor, doch ich versuchte, dem zu widerstehen und nicht wegzuschauen. Auch als sie vorsichtig zu lächeln begann, hielt mich ihr Blick in seinem Bann. Sie

nahm meine Hand und legte ihre in meine. Ich spürte, wie sie sie sanft streichelte, und sah einen Schmetterling auf ihre Nase fliegen.

Sie erschrak ein wenig. »Ha, nanu? Wer bist du denn, mein Freund?«

»Halt, warte, das muss ich festhalten!«

Ich holte ganz erfreut meinen Zeichenblock heraus und malte unter anderem sie mit dem Schmetterling auf der Nase. Solche Momentaufnahmen machte ich in kürzester Zeit, schließlich war ich dies schon lange gewohnt – unterwegs immer mit meiner Zeichenausrüstung. Das schien sich auch auf meine Träume übertragen zu haben.

Sie reagierte ganz erstaunt über meine Zeichnung, als ich sie zu ihr umdrehte. Der Schmetterling flog wieder weg in die weite Welt hinaus und Ava-Mia schlang ihre Arme um meinen Hals. Durch meine Schneidersitz-Position konnte sie sich genüsslich auf meinen Schoß setzen, was mich sehr erfreute.

»Was ist denn nun los? Wir sehen uns doch gerade mal zum dritten Mal.«

Sie schaute mich ganz verwirrt an. »Aber Nikki, wir sind doch schon seit knapp sieben Monaten zusammen. Ist alles okay?«

»Äh … ja, ja, alles okay.«

Nein, eigentlich nicht. Ich war hin- und hergerissen zwischen dem Wissen, dass ich nur träumte, und dem, dass Ava-Mia sich so verhielt, als hätte sie ein richtiges, eigenes Bewusstsein erlangt. Ein anderes Universum, welches ich immer dann bereiste, wenn ich zu träumen begann. Das Ganze brachte mich sehr zum Nachdenken, obwohl ich mir immer wieder selbst sagte, dass das in dem Moment nur ein Traum sei.

Um die Stimmung zu halten, spielte ich einfach mit. Mir gefiel es, als sie mich sanft zu küssen begann. Sie legte sich langsam nach hinten auf die Decke; ihr Kopf ragte über die Picknickdecke hervor und lag auf dem Rasen – und ich auf ihr. Sie spreizte langsam ihre Beine, wodurch ihr Rock immer weiter nach oben rutschte. Ich drückte mein Becken vorsichtig an sie heran, wodurch sie ein wenig schweratmig wurde. Trotzdem war es ungewohnt, da ich schließlich ein anderes Zeitempfinden hatte als sie.

Irgendwann schüttete es plötzlich wie aus Eimern, und es dauerte nicht lange, bis es wirklich unangenehm wurde.

»Scheiß drauf!«, meinte ich.

Ich richtete mich auf und begann, mich wie wild im Kreis zu drehen. Ava-Mia lag noch mit abgestütztem Kopf auf der Picknickdecke und lachte mich an. Wie heiß sie nur mit nassen Haaren aussah …

Ich half ihr auf, um mit ihr im Regen zu tanzen.

»Es regnet, es regnet, die Erde wird nass!«, sang ich.

Diese freudige Stimmung hielt jedoch nicht lange an, denn als ich auf einmal einen Mann aus der Ferne auf uns zulaufen sah, merkte ich schnell, dass dieser keineswegs gute Laune hatte.

Er blieb direkt vor mir stehen – das bereitete mir Angst. »Deine Kleidung sieht scheiße aus!«

Mich hat seine Kritik mehr verwirrt als angegriffen. Hektische Bewegungen machte er auch nicht. Ich wusste gar nicht, was ich in dem Moment hätte antworten sollen, also blieben wir drei auf der Stelle stehen, als spielten wir Stopp-Tanz.

Wenig später lief er wieder weg, als wäre nichts gewesen. Ich schaute ihm zu, um sicherzugehen, dass er auch wirklich von uns blieb, und als er bereits etwas weiter entfernt war, stolperte er beinahe. Ich musste losprusten und steckte Ava-Mia damit an, ohne dass sie wusste, was los war.

»Der Mann ist fast hingefallen! Das hätte seine Kleidung sicher nicht besser aussehen lassen!«, meinte ich und lachte.

Doch aufgrund des Wetters mussten wir irgendwann den Weg nach Hause einschlagen. Wir wohnten auf einmal in einem kleinen Mehrfamilienhaus an einem ruhigen Straßenrand. Die Tür war – nicht wie bei den meisten anderen Häusern – hinter dem Haus. Ein schmaler Gang aus Verlegeplatten führte zu einer zweistufigen Treppe und der Eingangstür. Sie war weiß und undekoriert und machte den Anschein von besonderer Sicherheit. Ohne jedoch einen Schlüssel zu benutzen, geschweige denn ein Schlüsselloch in der Tür verbaut haben zu lassen, führte mich Ava-Mia an meiner Hand. Sie öffnete die Tür, als stünde sie schon die ganze Zeit offen. Das ist das Beeindruckende an einem Traum – man kann manchmal Dinge sehen, die auf den ersten Blick keinen Sinn ergeben.

Beim Ausziehen schaute ich noch mal zur Tür, was mir dann aber schlagartig einen Schauer bereitete. Ich hatte nicht gehört, dass sie zugefallen war – als hätte sie sich von selbst geschlossen. Ich zuckte gedanklich mit den Achseln und folgte Ava-Mia weiter in die Wohnung.

Gleich nach dem Hereinkommen ging alles sehr schnell. Sie zog mich zu sich, um von mir gegen die Tür gedrückt zu werden. Ich küsste sie zärtlich am Hals und presste mein Becken gegen sie.

Mit schwerem Atem flüsterte sie mir ins Ohr: »Sorg dafür, dass ich nicht mehr geradeaus laufen kann.«

So ging ich irgendwie instinktiv ins Schlafzimmer und warf sie aufs Bett. Dann legte ich mich vorsichtig auf sie.

»Hol die Handschellen«, stammelte sie.

Als kannte ich mich bereits in ihrer Welt aus, fragte ich: »Welche von den ganzen?«

»Die Harten. Lass mich deine Kontrolle über mich spüren.«

Also holte ich aus der Schublade unterm Bett ein paar nicht gepolsterte Metallhandschellen heraus, welche man nur mit den dazugehörigen Schlüsseln öffnen konnte. Sie richtete sich längs zum Bett aus; ich legte die Handschellen erst mal beiseite und zog ihr T-Shirt langsam nach oben. Sie schaute mir in die Augen und lächelte mich an. Ihr Shirt ließ ich halb ihre nackten Brüste verdecken, um die reizvolle, unvollständige Nacktheit noch mehr genießen zu können.

Sie schaute sichtlich unbefriedigt. »Aber …«

Ich hielt ihr mit meinem Finger den Mund zu und glitt langsam zwischen ihre weichen Lippen – jetzt war sie still. Dann wanderte ich mit dem Finger hinunter – von ihrem Kinn über ihren Bauch und weiter unter ihre Jeans. Ich spürte ihre sexuelle Anspannung und die Feuchtigkeit, die bereits durch ihren Slip gedrungen war. Mit einem weiteren Finger drückte ich auf ihren Intimbereich und streichelte sie mit vorsichtigen Kreisbewegungen. Ihr zunehmendes Stöhnen verdeutlichte ihren Genuss, was auch mich immer mehr aufheizte. Ich öffnete ihre Hose und zog diese langsam zusammen mit ihrem Slip herunter und warf beides auf den Boden. Anschließend zog ich mich selbst aus. Ich fesselte sie ans Kopfende des Bettes und genoss das Klicken der immer enger werdenden Handschellen an ihren Handgelenken.

»Bitte … mach sie fester«, stöhnte sie leise.

Vorerst provozierte ich sie aber, indem ich meine Zunge um ihre Nippel kreisen ließ, bevor ich mich auf sie legte und in ihren warmen Körper eindrang.

4. Tag – Obdachloser

Mein Leben lang wollte ich schon immer raus in die Stadt und einfach mal mein Bauchgefühl entscheiden lassen, welchen der Obdachlosen auf der Straße ich mir genauer ansehen sollte. Denn auch diese Menschen empfinden Liebe, haben verschiedenste Erfahrungen gemacht und oft steckt hinter ihrer Lebensweise ein stiller Hilferuf.