Lob des Alters - Peter Bachér - E-Book

Lob des Alters E-Book

Peter Bachér

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Beschreibung

Lebensklug und unsentimental Millionen Leser begeistert er seit mehr als 30 Jahren mit seinen Kolumnen in der "Welt am Sonntag" und "Bild". Auch seine Bücher sind Bestseller geworden. Zum Anlass seines 90. Geburtstages möchte Peter Bachér eine besondere Botschaft an seine Leser weitergeben: Das Leben ist auch im hohen Alter noch lebenswert, es bietet so vieles, und man sollte mit dieser geschenkten Zeit bewusst umgehen. Und er stellt sich auch die Frage: Woher kommt die Kraft, immer wieder Neues in Angriff zu nehmen und neugierig zu bleiben? Ein Buch, das gleichzeitig ein Bekenntnis zu diesem hohen Alter ist und das Mut macht, die verbleibende endliche Zeit wie einen guten Freund zu betrachten. - Die Bilanz eines langen Lebens und ein positiver Blick auf das Alter - 90. Geburtstag von Peter Bachér am 4. Mai 2017 - Bibliophile Ausstattung mit Lesebändchen

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Seitenzahl: 144

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www.langen-mueller-verlag.de

© für die Originalausgabe und das eBook: 2017 LangenMüller in der F. A. Herbig Verlagsbuchhandlung GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten

Umschlaggestaltung: Wolfgang Heinzel

eBook-Produktion: VerlagsService Dietmar Schmitz GmbH, Heimstetten

ISBN 978-3-7844-8327-6

Inhalt

Meine erste Begegnung mit dem Alter

Einstimmung

Der Drang nach ewiger Jugend

Der Irrtum mit dem Ruhestand

Wenn die Sonne nur noch von der Seite in das Leben scheint

Wer die Jugend zurückholen will, wirkt irgendwie älter

Ein Freund aus Jugendtagen

Materialien und Gedanken für eine Rede über das Älterwerden

Wann überschreiten wir die Grenze zum Alter?

Ein Gespräch, herrlicher als alles Gold

Eine Freude – einfach nur so

Nur ein kurzer Anruf

Im Leben braucht man sehr lange, um jung zu werden

Zeugen eines gelebten Lebens

Die Treue zu einem alten Sommeranzug

Wofür es sich zu leben lohnt

Der Zauber der Vergangenheit

Mit fünfundsechzig – die ersten Schritte in das geheimnisvolle Land des Alters

»Der Tod scheint mich zu vergessen«, meint meine alte Tante

Wo man als Kind die Träume vom Himmel holte

Die vergessene Handtasche – Lehrstück der Vergänglichkeit

Verstecken Sie sich nicht am siebzigsten Geburtstag!

Erinnerungen sind ein Paradies

Der schmale Grat zwischen Wahrheit und Lüge

Gedanken bei einer Ehrung

Der Blick in ein altes Adressbuch: eine Reise in die Vergangenheit

Meine neuen Spielregeln

Lebe jetzt – die wichtigste Einladung im Leben wird nicht wiederholt

Ein Telefonat kann keinen Brief ersetzen

Es gibt keinen Trost beim »Auflösen« einer Wohnung

Einfach nur mal ganz still sein

Suche nach dem Regenbogen

Gefühle, die nur ein alter Koffer schenken kann

Generationen-Vertrag ist ein Luftschloss

Auf der Suche nach dem Geheimnis des Lebens

Wenn plötzlich der Mann nicht mehr allmorgendlich das Haus verlässt

Brief an die Enkelin: Was nur ein Großvater sagen kann

Mit siebzig hat man den Maskenball des Lebens endgültig durchschaut

»Hallo, wie geht’s?« – Aber wollen wir es wirklich so genau wissen?

Nichts ist selbstverständlich

Der alte Herr und die Weihnachtspost, die er nicht haben wollte

Abschied von der Fülle des Lebens

Nachricht von einem sehr guten Freund

Wenn man aus der Bahn geworfen wird, erkennt man: Glück – das ist Alltag!

»Haben Sie in Ihren jungen Jahren eigentlich schon Angst vor dem Alter?«

Gespräch mit einer alten Dame: Was sind Erinnerungen heute noch wert?

Das vergessene Taschentuch

Komplimente im Leben sind so wichtig wie die Luft zum Atmen

Meine erste Begegnung mit dem Alter

Dem Alter bin ich bewusst zum ersten Mal begegnet, als ich ein Jahr nach Kriegsende aus amerikanischer Kriegsgefangenschaft ins Haus meiner Großeltern kam. Das Alter war damals noch nicht meine Jahreszeit; ich war gerade zwanzig Jahre alt geworden, aber ich hatte als Soldat bei einem Fronteinsatz in Rinteln an der Weser schon erfahren, wie gefährdet jedes Leben ist – und wie nah der Tod in jedem Augenblick.

Nun kam ich 1946 als entlassener Gefangener nach Lübeck zurück, dessen Innenstadt vollkommen zerstört war. Das Haus meiner Großeltern lag vor den Toren der Stadt, hatte die Bombenangriffe unversehrt überstanden. Mein Großvater öffnete mir die Tür – ein weißhaariger Mann, sehr schmal geworden, der nur noch mühsam mit Hilfe eines Stockes gehen konnte. Ich sah sofort, wie schwierig es für ihn war, seinen Körper noch zu beherrschen. Ein erschütternder Anblick. Wie hatte er sich verändert, seit ich ihn bei meinem Fronturlaub zwei Jahre zuvor zuletzt gesehen hatte. Ein alter, ein uralter Mann, dem meine Liebe gehörte.

Dieses Wiedersehen mit meinem Großvater machte mich aufmerksamer für alles, was mit dem Älterwerden und dem hohen Alter zusammenhängt. Und so habe ich immer wieder über dieses so vielseitige Thema ALTER geschrieben, weil es in mir starke Gefühle weckte, weil es mir unschätzbare Erkenntnisse schenkte, weil es ganz einfach zu unserem Leben gehört. »Das Altwerden ist ja nicht nur ein Abbauen und Hinwelken, es hat wie jede Lebensstufe seine eigenen Werte, seinen eigenen Zauber, seine eigene Weisheit; wir wollen uns doch nicht aufschwatzen lassen, das Alter sei nichts wert!« So hat es Hermann Hesse wunderbar formuliert.

Und das ist auch genau der Geist, in dem ich über Jahrzehnte über das Alter geschrieben habe. Ich wünsche Ihnen Muße bei der Lektüre meiner Texte, die auch von der Dankbarkeit künden, die späten Jahre überhaupt erleben zu dürfen.

Einstimmung

Als Churchill seinen 82. Geburtstag feierte, kam ein junger Pressefotograf zu ihm: »Ich hoffe, ich werde das Vergnügen haben, Sie auch an Ihrem hundertsten Geburtstag zu fotografieren.«

»Ja, junger Mann, wenn Sie auf Ihre Gesundheit gut aufpassen.«

Bernhard Shaw antwortete einer jungen Journalistin, die den 94-jährigen Dichter nach seinem Befinden fragte: »Liebes Kind, in meinem Alter fühlt man sich entweder wohl oder man ist schon lange gestorben.«

Im Jahre 1930 spazieren Liebermann und Fürstenberg, beide über achtzig Jahre alt, im Berliner Tiergarten. Ein hübsches Mädchen geht vorbei. Beide sehen sich nach ihr um, und Liebermann seufzt: »Siebzig müsste man sein, Fürstenberg.«

Ein paar fröhliche Anekdoten voraus zu einem im Grunde sehr ernsten Thema: das Älterwerden, das Alter, über das ein weiser Mensch gesagt hat: »Das Alter ist wie eine große Symphonie, in der alle Themen des vergangenen Lebens noch einmal zusammenklingen.«

Was aber bedeutet es, das geheimnisvolle Land des Alters zu betreten? Diese Frage wird mir besonders oft gestellt, seit ich kurz vor meinem neunzigsten Geburtstag stehe, wahrlich ein biblisches Alter. Und ich antworte gerne, weil ich – übrigens auch bei jungen Menschen – eine große Sehnsucht nach Wahrheit bei diesem Thema spüre.

Das Wichtigste zuerst: Wir Alten wissen besser als Ihr Jungen um den Wert der Zeit. Wir wussten es in den jüngeren Jahren auch schon ein bisschen, aber dann mogelten wir uns doch durch die Tage und verplemperten immer wieder das Kostbarste, was wir haben: unsere Lebenszeit. Wir dachten, Zeit ist wie ein Bündel Geld, in einem Tresor verschlossen, von dem wir uns immer mal wieder etwas abholen können.

Die unerbittliche Wahrheit aber ist eine andere: Die Zeit ist immer JETZT – und dann vorbei. Die Zeit ist wie eine große Standuhr, die uns mit lauten Schlägen zuruft: »Pfeilschnell ist das Jetzt entflogen – ewig still steht die Vergangenheit.« Schillers Vers bedeutet: Hoffe niemals auf die Zeit, die man niemals hat, sondern die immer nur verfliegt und verfliegt …

Ich glaube also, dass wir die Zeit respektvoller behandeln, je älter wir werden. Und was die Vergangenheit angeht, von der Schiller spricht: Wir Alten haben Vergangenheit in Hülle und Fülle, viele Jahrzehnte liegen in der Truhe unserer Erinnerungen, und diese Erinnerungen lassen wir uns von niemandem nehmen. »Du musst nach vorne leben«, sagen mir Freunde, sobald einmal Altersmelancholie wie ein Schatten auf mein Leben fällt, »was vorbei ist, ist vorbei.« Meine Freunde haben vordergründig ja recht, aber die Wahrheit ist eine andere: Das Wichtigste im Leben spielt sich in meinem Alter mehr im Inneren ab, in der Seele, da sind die Spiegelungen, da kommen die Momente wieder zum Vorschein, die mein Leben so reich gestaltet haben.

Manchmal waren es sogar nur wenige Worte, die mir den Weg wiesen. So zum Beispiel 1972, als mein Freund Hans Habe in seinem berühmten Israel-Report Wie ein David diesen wunderbaren Satz schrieb: »Die Frage ist nicht, wer Jerusalem besitzt, sondern wer Jerusalem behütet.« Da entdeckte ich plötzlich für mich dieses Schlüsselwort »behütet«, und ich fragte mich: Was ist eigentlich mir anvertraut, nicht damit ich es besitze, sondern behüte? Und mir wurde schlagartig klar: Es sind meine Kinder, die vom ersten Atemzug an Liebe brauchen. Es ist meine Frau, deren Liebe behütet sein will – zu jeder Stunde. Es sind die langen Gespräche, die nur gedeihen, wenn ich vor allem eines kann: zuhören. Es sind die Pflöcke, die in mein junges Leben eingeschlagen worden sind: Demut, Würde, Bescheidenheit, Treue, Ehrlichkeit. Lauter Wörter, die nicht verloren gehen durften, die heute in unserer entfesselten Gesellschaft leider nur noch sehr selten zu lesen sind.

Ich würde schließlich der Frage nach meinen Gefühlen im Leben jenseits der achtzig nicht gerecht werden, wenn ich mich der schwierigsten Frage verweigern würde, die da lautet: Und was ist, wenn sich das Leben neigt? Ja, die Schritte werden kürzer, ja, der Gang wird unsicherer, der Atem knapper. Unmerklich verändern sich die Farben des Lebens, aus Rot wird mattes Rosa. All die Blätter, die im Herbst am Boden liegen, sind plötzlich für mich mehr als herumliegendes Laub, sie sind Chiffren, die von Vergänglichkeit künden, dem unerbittlichen Gesetz der Natur. Und wenn es einen strahlend hellen Sonnenscheintag gibt, dann stimme ich schon mal in den Jubelruf des Dichters Wilhelm Raabe ein: »So schönes Wetter – und ich noch dabei!«

Vielleicht hat mir geholfen, dass ich immer gerne mit älteren Menschen gesprochen habe. Schon im Internat 1942 besuchte ich liebend gerne einen alten pensionierten Schuldirektor zum Schachspielen und zu Gesprächen. »Die Nazis werden den Krieg verlieren«, sagte er fast verschwörerisch zu mir, während Goebbels noch die Siegesfanfaren mit Sondermeldungen im Radio erklingen ließ. Und so war ich irgendwie auf die eineinhalb Jahre US-Gefangenschaft in Frankreich innerlich bestens vorbereitet – und habe sie gut überstanden.

Und was ist, um die allerschwierigste Frage zu stellen, mit dem Tod? Ich habe über diesen bitteren Gesellen in vielen Jahrzehnten viel Bedenkenswertes gelesen. Der griechische Philosoph Epikur hat den Satz geschrieben, über den man zumindest nachdenken sollte: »Der Tod geht uns nichts an. Denn solange wir existieren, ist der Tod nicht da, und wenn der Tod da ist, existieren wir nicht mehr.«

Es sind nur wenige Zeilen und Gedanken, und wenn ich mit den folgenden Worten schließe, dann kann man völlig zu Recht sagen, das klingt ja doch alles sehr banal. Aber die wirklich großen Dinge sind oft wirklich ganz banal. Dazu gehört, dass man auch mit achtzig ein Lernender ist, dass man immer Neues entdeckt und wie ein Kind in seiner Unerfahrenheit auch Fehler macht.

Und zum Schluss mein Credo, das Rainer Maria Rilke so wunderbar formuliert hat: »Die meisten Ereignisse sind unsagbar, sie vollziehen sich in einem Raum, den nie ein Wort betreten hat.«

Obwohl ich seit über sechs Jahrzehnten als Journalist unterwegs bin, werde ich hin und wieder von Kollegen interviewt, vermutlich deshalb, weil ich mich in meinen Kolumnen in der »Welt am Sonntag« immer wieder mit dem Alter und seinen Problemen beschäftigt habe.

Wann haben Sieselbst das Alter erstmals gespürt?

An meinem achtzigsten Geburtstag. Ab achtzig wird es schwierig. Wie hat schon Martin Walser gesagt: »Wer ein Jahr jünger ist, kann gar nicht mitreden.« Er hat recht. Ab achtzig beschleunigt sich das Altwerden.

Aber manchehaben das Gefühl doch schon mit sechzig?

Oder vorher. Etwa weil sie im Beruf ausgemustert werden. Das ist wirklich hart. Ich verstehe aber auch jene nicht, die sich, obwohl es ihnen körperlich gut geht, nach dem Ruhestand sehnen.

Muss manvor dem Lebensabend wirklich Angst haben?

Altern ist jedenfalls nicht nur Sonnenschein. Denn drei Säulen beginnen zu brechen: Die Erste ist die Gesundheit, die anderen sind der Beruf und die Freundschaften. Wenn man alt wird, muss man viele Namen aus dem Telefonbuch löschen. Irgendwann ist es nur noch so dünn wie eine Oblate. Die einzige Säule, die stehen bleibt, ist die Liebe. Doch wenn – wie bei mir – der Partner stirbt, ist diese entscheidende Säule auch nicht mehr da.

Und wiebewältigt man den Alltag?

Da hat jeder seinen eigenen Lebensrhythmus. Und dem sollte man auch im Alter treu bleiben, soweit es die Gesundheit zulässt. Ebenso wichtig ist, alte Freundschaften, auch die beruflichen, zu pflegen und zu halten. Ich gehe gern mit alten Kollegen im Land gemeinsamer Erinnerung spazieren. Aber so viele Wegbegleiter sind nicht mehr da. Ich könnte Ihnen mindestens zwanzig Namen aufzählen von Menschen, die mir wirklich fehlen.

IstEinsamkeit der eigentliche Preis des Älterwerdens?

Ich glaube, ein großer. Und er ist grausam. Einsam, von der Welt nicht mehr beachtet und ungeliebt zu sein, das ist eine schmerzhafte Erfahrung, die mir selbst bisher Gott sei Dank erspart geblieben ist. Sich wie so viele zurückzuziehen, um anderen nicht zur Last zu fallen, ist der falsche Weg. Fast alles läuft über die Familie. Meine Frau sagte immer, sie verstehe überhaupt nicht, warum Großmütter sich weigerten, ihre Enkel zu hüten. Für mich ein Beispiel dafür, dass der Weg in die Einsamkeit auch selbst verschuldet sein kann.

Was muss man noch tun, umzufrieden älter werden?

Man muss sich gedanklich damit auseinandersetzen und es aktiv annehmen. Eine Leitfigur war für mich immer Viktor Frankl, der berühmte Psychiater aus Wien, den ich mit fünfzig Jahren beruflich besuchte. Dessen Formel für den Sinn des Lebens lautet: Frage nicht nach dem Sinn des Lebens, das Leben befragt dich, und du musst antworten. Das war für mich eine Wendung in meinem Denken. Da habe ich begriffen: Ich allein muss meinen Alltag gut bewältigen. Über den Lebenssinn grübeln, bringt keine Vorteile. Das hat mir sehr geholfen.

Bietet dasAlter auch echte Vorzüge?

Das Alter ist eine Woge. Entweder setzt du dich auf diese Woge drauf und genießt das Leben, selbst wenn die Vitalität nachlässt. Oder du gehst dagegen an – und dann unter. Ewig jung sein zu wollen ist lächerlich.

Viele glauben, wer jung denkt, bleibt auch jung?

Das mag ein subjektives Gefühl sein, um sich selbst zu schützen. Doch die anderen, die einen von außen betrachten, erkennen sehr wohl: Du bist alt. Für mich bleibt nur einer jung, der seinen Lebenswillen nicht aufgibt und neugierig bleibt.

WelcheFunktion hat da das Fernsehen?

Fernsehen ist für alte Leute ein Segen. Es vermittelt den Eindruck, dass man an zwei Orten ist, dass man teilnimmt am Leben. Das ist doppelt wichtig, weil manche nicht mehr den ganzen Tag lesen können, da es sie zu sehr anstrengt. Oder weil das Geld zum Reisen nicht ausreicht. Da ist das Fernsehen wirklich der große Vermittler und auch Tröster.

Sehr tröstlich erscheint auch, dassman im Alter weise wird. Trifft das zu?

Ich glaube, das Alter macht milde. Die Dinge milde und mit mehr Gelassenheit zu betrachten, könnte man als Weisheit bezeichnen. Ansonsten glaube ich nicht daran.

Sind Sie selbst milde geworden?

Für mich ist das Alter wie eine große Sinfonie. Man schaut auf eine lange Lebensstrecke mit verschiedenen Abschnitten und verschiedenen Menschen zurück. Mein Leben war reich. Ich blicke gern darauf zurück. Ist das milde?

Was war der tiefste und traurigste Einschnittin Ihrem Leben?

Mein Leben verlief nach der Pensionierung 1992 in ruhigen Bahnen. Meine Frau Rosi hatte die Idee, in München ins Arabellahaus zu ziehen, dorthin, wo das Leben stattfindet, mit Hotel, Wochenmarkt auf dem Rosenkavaliersplatz, Kino, fünf Lokale, Bank, Post, Ärzte, Klinik im 20. Stock des Arabellahauses, Taxi Tag und Nacht vor der Tür. Wir wollten es bequem haben – und altersgerecht. Das Schicksal hat ihr nur eine kurze Spanne in dem neuen Zuhause gegönnt. Am 23. April 2008 ist Rosi nach über sechzig Jahren glücklicher Gemeinsamkeit gestorben. »Ihr Leben war Liebe ohne Ende«, schrieb ich über die Todesanzeige.

Inzwischen sind fast zehn Jahre vergangen, und es gibt auch heute noch keinen Tag, an dem ich nicht an meine Rosi denke, oft verbunden mit Schmerzen, aber immer mit Dankbarkeit und in dem Gefühl, die ganz große Liebe erlebt zu haben. Und doch ändert das alles nichts an der einen und einzigen Wahrheit, die da lautet: Je tiefer die Liebe, umso schmerzhafter der Verlust. Und da man Liebe nicht messen kann wie ein Gewicht, kann man auch die Trauer nicht messen und ihr schon gar nicht eine Frist verordnen, nach der sie abzulaufen hat.

Liebe also über den Tod hinaus? Ja, Ihr Zweifler, die gibt es, und das ist wunderbar!

Wofürlohnt es sich, mit neunzig Jahren noch zu leben?

Rosis und mein gemeinsames »Erbe« sind unsere Kinder und Enkel. Auch wenn sie nicht immer in meiner Nähe sind, bin ich doch in meinem Herzen und durch viele Fotos mit ihnen ständig verbunden. So bin ich im Rückblick und auch im Blick auf die Zukunft durch meine Familie bereichert.

Meine Tochter umsorgt mich liebevoll und achtet auf alles, wo ich nicht mehr so genau hinschaue. Mein Sohn schenkt mir Zeit, obwohl er in seinem Beruf sehr gefordert ist. Der Kontakt mit meinen Enkeln ist so liebevoll und intensiv, und ich kann ihnen durch meine Erzählungen aus der Vergangenheit und meinem Erfahrungsschatz etwas weitergeben. Durch ihr Interesse fühle ich mich angenommen und gehört. Es bedeutet auch für mich eine Verbindung in die Zukunft. Dieser Austausch ist ein großes Geschenk.

Auch jedes Gespräch mit Freunden ist eine Herausforderung für mich, noch zu wachsen und Neues zu überdenken.

Wenn man das Leben so betrachtet, auch mit dem Wissen um seine Endlichkeit, kann man das Alter nur loben.

Der Drang nach ewiger Jugend

Schauen wir uns um – und wir müssen dazu nicht in Fitness-Studios gehen –, horchen wir hinein in unsere Alltagsgespräche – und das muss nicht in einem Altenheim sein –, so vernehmen wir seltsame, höchst überraschende Laute, und wir hören sie immer öfter. Will man sie in einer Formel zusammenfassen, dann heißt diese etwa: »Ich möchte auf keinen Fall jünger sein! Ich bin glücklich, so alt zu sein, wie ich bin.«

Das klingt nach Klage und Anklage, das spiegelt auf den ersten Blick ein unnatürliches Denken, da muss in unserer Gesellschaft etwas in die falsche Richtung gelaufen sein. Denn positiver und weitaus natürlicher wäre es, würde man hören, und dies besonders in unserer Zeit, die den Jugendkult so inbrünstig zelebriert: »Was gäb’ ich nicht alles dafür hin, könnte ich noch einmal jung sein!«