London Stalker - Oliver Harris - E-Book

London Stalker E-Book

Oliver Harris

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Beschreibung

Detective Nick Belsey ist vom Dienst suspendiert, hat eine Anklage am Hals und haust im verlassenen Polizeirevier von Hampstead. Amber Knight ist Londons größtes It-Girl und lebt das glamouröse Leben eines Pop- und Filmstars. Als eines Tages eine ältere Frau bei Belsey anklopft und ihn bittet, ihren Sohn aufzuspüren, der seit Tagen verschwunden ist, findet Belsey Hinweise darauf, dass er Amber Knight gestalkt hat. Belsey schmuggelt sich als Security-Mann in Amber Knights Leben ein und gerät, als eine Bekannte von Amber tot aufgefunden wird, selbst unter Mordverdacht. Während er versucht, seinen eigenen Hals zu retten sowie den wahren Täter und den Vermissten zu finden, stößt Belsey hinter Reichtum, Glanz und Glamour auf Verzweiflung, Obsession und eine mysteriöse Organisation, die davon zu profitieren scheint.

Auch in seinem dritten Fall deckt Nick Belsey auf seine gewohnt kaltschnäuzige und draufgängerische Art die Abgründe hinter Londons blitzblanker Fassade auf. Ein packender, raffinierter Thriller mit einem charmanten Ermittler, der unter seinen Fans bereits Kultstatus erlangt hat.

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Das Buch

Detective Nick Belsey ist vom Dienst suspendiert, hat eine Anklage am Hals und haust im verlassenen Polizeirevier von Hampstead. Amber Knight ist Londons größtes It-Girl und lebt das glamouröse Leben eines Pop- und Filmstars. Als eines Tages eine ältere Frau bei Belsey anklopft und ihn bittet, ihren Sohn aufzuspüren, der seit Tagen verschwunden ist, findet Belsey Hinweise darauf, dass er Amber Knight gestalkt hat. Belsey schmuggelt sich als Mann von der Security in Amber Knights Leben ein und gerät, als eine Bekannte von Amber tot aufgefunden wird, selbst unter Mordverdacht. Während er versucht, seinen eigenen Hals zu retten sowie den wahren Täter und den Vermissten zu finden, stößt Belsey hinter Reichtum, Glanz und Glamour auf Verzweiflung, Obsession und eine mysteriöse Organisation, die davon zu profitieren scheint.

Auch in seinem dritten Fall deckt Nick Belsey auf seine gewohnt kaltschnäuzige und draufgängerische Art die Abgründe hinter Londons blitzblanker Fassade auf. Ein packender, raffinierter Thriller mit einem charmanten Ermittler, der unter seinen Fans bereits Kultstatus erlangt hat.

Der Autor

Oliver Harris, geboren 1978, hat am University College of London Englische Literatur studiert und in Psychologie promoviert. Sein Debüt London Killing, Detective Nick Belseys erster Fall, erschien 2012 bei Blessing. 2014 folgte London Underground. Oliver Harris lebt in London.

OLIVER HARRIS

LONDON

STALKER

ROMAN

Aus dem Englischen

von Gunnar Kwisinski

BLESSING

Originaltitel: The House of Fame

Originalverlag: Jonathan Cape, London

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Der Verlag weist ausdrücklich darauf hin, dass im Text enthaltene externe Links vom Verlag nur bis zum Zeitpunkt der Buchveröffentlichung eingesehen werden konnten. Auf spätere Veränderungen hat der Verlag keinerlei Einfluss. Eine Haftung des Verlags ist daher ausgeschlossen.

Copyright © 2016 by Oliver Harris

Copyright © 2017 by Karl Blessing Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München

Umschlaggestaltung: Nele Schütz Design

Nele Schütz Design unter Verwendung eines Motivs von Arcangel Images/Hayden Verry

Satz: Leingärtner, Nabburg

e-ISBN: 978-3-641-17365-4V001

www.blessing-verlag.de

Es kommt die Zeit, wo der Mensch keinen Stern mehr gebären wird.

FRIEDRICH NIETZSCHE

1

Der Strom war abgestellt worden. Am Vormittag fiel die Sonne ins CID-Büro und wurde von den Metallgittern an den Fernstern in Quadrate zerteilt, die von Tabakrauch und Staub geschwängert waren. Nachmittags um drei erreichte die Sonne die Rückseite des Gebäudes. Oft öffnete Belsey im ersten Stock die Flurtüren, damit das Licht von der Küche bis in die Vernehmungsräume fiel. Lange goldene Rauten glitten über die lädierten Wände, sodass das Gebäude nicht so verlassen wirkte und die Strahlen eine Art Sonnenuhr bildeten. Er setzte sich auf den Fußboden und beobachtete das Ganze. Der in den Lichtrauten gefangene Staub wirkte hektisch, ziellos. Der Rauch seiner Zigarette schwebte hindurch. Er nutzte die Uhr als Aschenbecher.

Im Zuge von Sparmaßnahmen war das Revier in Hampstead vor drei Wochen gemeinsam mit sechs anderen Londoner Polizeirevieren geschlossen worden. Die meisten Mitarbeiter hatten spätestens Ende letzten Jahres ihre Versetzung bekommen. Belsey hatte erwartet, nach Holborn versetzt zu werden, es war aber nichts passiert. Der Revierleiter in Holborn meinte, als sie versucht hatten, ihn zu bekommen, hätte es geheißen, er wäre gesperrt. Zehn Tage nach der Schließung des Hampstead-Reviers hatte man ihm mitgeteilt, dass er bis zu einer Anhörung aufgrund des Vorwurfs groben Fehlverhaltens offiziell suspendiert sei. Details wurden nicht genannt. Ein paar Stunden später erhielt er einen Anruf von einem Mann, der seinen Namen nicht nannte, ihn aber informierte, dass er unter Beobachtung stehe: Die Independent Police Complaints Commission, IPCC, würde Munition gegen ihn sammeln und Kontakt zu allen Leuten aufnehmen, die ihn kannten, von Exfreundinnen bis zu früheren Informanten. Sein Wagen, seine Wohnung und sein Vermieter würden observiert. Man mache sich auf einen Shitstorm gefasst. Bleib in Deckung, sagte der Anrufer und legte auf. Eine Stunde später hob Belsey alles Geld von seinem Girokonto ab, kaufte sich einen Gaskocher, drei Flaschen Havana Club und ein Buch: Spanisch zum Selbstlernen. Er brach in seinen alten Arbeitsplatz ein und tauschte die Schlösser aus. Er ging davon aus, dass dies der letzte Ort wäre, an dem sie ihn suchen würden.

Seitdem waren elf Tage vergangen.

Eine seltsame Zeit. Manchmal hatte er sich dabei ertappt, wie er alten Routinen folgte, sich um 10:30 in der Kaffeeküche Tee kochte, sich im alten Konferenzraum auf den Boden legte und die freigelegten Kabel zwischen den fehlenden Deckenplatten betrachtete. Er durchstreifte das Revier. Es war 1913 erbaut worden, ein labyrinthartiges Relikt aus vergangenen Zeiten mit Arrestzellen und angebautem Gerichtsgebäude. Ein Großteil war seit Jahrzehnten ungenutzt. Für die Entrümpelung waren jedoch auch ein paar alte, in den letzten Jahren ungenutzte Bereiche geöffnet worden: Das verlassene Revier war gewachsen, hatte sich in die Vergangenheit ausgedehnt. Belsey spazierte durchs Amtsgericht und weiter zu einer edwardianischen Arrestzelle, vorbei an alten Sicherungskästen und Lichtschaltern für Zellen, die später mit alten, handgeschriebenen Berichten aus den Fünfzigern und Sechzigern tapeziert worden waren: vergilbte Einzelblätter und Notizbücher mit gebrochenen Ledereinbänden, die aussahen wie Muscheln. Die Akten mit den Handschriften längst verstorbener Polizisten waren nach einer Rattenplage aus den zerfressenen Pappkartons gefallen. Manchmal überflog er alte Fälle, um seinem Geist etwas Nahrung zu verschaffen. Er kämpfte mit ein bis zwei nervenaufreibenden Momenten am Tag, in denen er das Gefühl hatte, letztlich doch hierher zu gehören, weil man ihn aus Gründen, die ihm entfallen waren, hierher versetzt hatte. Mit den alten, dicken Fensterscheiben kam er sich manchmal vor, als läge das Gebäude unter Wasser. Sein Reich, zumindest bis vor zehn Minuten, als irgendjemand angefangen hatte, an die Eingangstür zu klopfen.

Die gleichförmige Beharrlichkeit des Klopfens war beunruhigend. Rituell. Ein Ritus, dem er sich verweigerte: die Ankunft der Realität. Er wusste, dass dieses letzte Vergehen, genau wie die vorherigen, eine Provokation gewesen war, der Wunsch des Spielers, den Moment der Abrechnung noch etwas hinauszuschieben, aus dem Nichts eine neue Chance heraufzubeschwören. Das Klopfen kam vom Haupteingang direkt unter dem CID-Büro. Belsey sah durch die Jalousie nach unten, der Winkel war aber zu spitz. Das Schild an der Tür war eigentlich unmissverständlich: HAMPSTEAD POLICE STATION/ DIESES POLIZEIREVIER IST GESCHLOSSEN. DAS NÄCHSTE REVIER FINDEN SIE IN KENTISH TOWN. Niemand wusste, wohin er in Deckung gegangen war. Das Klopfen kam ihm jedoch vor wie die Rückkehr von etwas, das er vergessen hatte: eine Verpflichtung, eine Abmachung, ein Schlachtplan.

Belsey ging hinunter in die holzvertäfelte Dunkelheit des alten Amtsgerichts. Er nahm ein sauberes Hemd vom zur Wäscheleine umfunktionierten Telefonkabel, das er über die Bankreihen gespannt hatte, und griff nach einer schweren Jacke mit Metallknöpfen und einem weißen Fadenrest am Oberarm, wo das Sergeant-Abzeichen geprangt hatte. In den Jackentaschen steckten das Ladegerät für sein Handy, sein Pass, seine Bankkarte und zweihundertzwanzig Pfund in bar. Neben der Jacke lag ein dreißig Zentimeter langes Stück Kupferrohr, das er für alle Fälle aus dem Keller mit hochgebracht hatte. Er zog die Jacke an, steckte das Rohr in den Ärmel, fuhr sich mit der Hand über den Elftagebart und atmete tief durch. Er schloss die Tür an der Rückseite des Amtsgerichts auf und ging hinaus.

Der Tag kam ihm ungewöhnlich hell vor. Seit achtundvierzig Stunden war er nicht mehr unter freiem Himmel gewesen. Belsey kletterte über den Zaun und ließ sich leise auf den Gehweg hinunter. Er ging zur Ecke und sah zum Haupteingang: Eine Frau mit schulterlangen weißen Haaren blickte zu den geschlossenen Fenstern hinauf. Zerrissene malvenfarbene Jacke. Sandalen und Socken. Belsey ging zu ihr.

»Alles okay mit Ihnen?«

»Ich brauche die Polizei«, sagte sie.

»Das Revier ist geschlossen. Soll ich sie für Sie rufen?«

»Geschlossen?«

»Seit einem Monat.«

Belsey sah sich um. Die Boutiquen in Hampstead hatten die Markisen heruntergelassen und die Haute Couture vor die Tür gestellt. Nichts hatte sich verändert. Es war Nachmittag, aber die Eltern waren noch nicht unterwegs, um ihre Kinder nach Hause zu chauffieren. Die Ruhephase zwischen Mittagspause und Rushhour.

»Sind Sie ein Polizist?«, fragte die Frau. Sie hatte blassblaue Augen, in die die Angst eingebrannt zu sein schien.

»Eigentlich nicht«, sagte Belsey. »Das nächste Polizeirevier ist in Kentish Town. Da finden Sie jede Menge Polizisten.« Er deutete auf eine Telefonzelle. »Ich kann die Nummer für Sie wählen, und Sie sagen der Polizei, was passiert ist.«

»Man hat mir gesagt, dass ich hierherkommen soll.«

»Tja, da hat wohl jemand einen Fehler gemacht.«

Sie nickte, als hätte sie das schon die ganze Zeit erwartet. »Finde ich Detective Nick Belsey in Kentish Town?«, fragte sie.

Belsey hielt inne. Er dachte über mögliche Erklärungen nach.

»Warum suchen Sie Nick Belsey?«

»Man hat mir gesagt, dass er mir helfen kann.«

»Wobei?«

»Es geht um meinen Sohn. Er ist verschwunden.«

»Wer hat Ihnen gesagt, dass Sie hierherkommen sollen?«

»Ein Mann – er hat bei mir zu Hause angerufen.«

»Wer war das?«

»An seinen Namen erinnere ich mich nicht. Ich habe ihn aufgeschrieben. Aber ich hab den Zettel nicht dabei.«

Sie sah verzweifelt aus. Der Tag wurde etwas kälter.

»Ihr Sohn ist verschwunden, und ein Mann hat Sie angerufen und Ihnen gesagt, dass Sie hierherkommen sollen?«

»Ja.«

»Was hat er noch gesagt?«

»Bloß, dass ich dringend versuchen soll, Mark zu finden.«

»Mark ist Ihr Sohn?«

»Ja.«

»Wie heißt er weiter?«

»Doughty.«

Belsey kannte ihn nicht. »Wie lange wird er schon vermisst?«

»Fast zwei Tage.«

»Wie alt ist er?«

»Einundvierzig.«

Dies schien die Dringlichkeit ihres Anliegens nicht zu schmälern – sie griff nach dem Geländer, um sich zu stützen, wirkte aber immer noch unsicher. Belsey half ihr, sich auf die Treppenstufen zu setzen, und ließ sich neben ihr nieder.

»Ich bin Nick Belsey«, sagte er.

Sie sah ihn mit ihren verängstigten Augen an. Ihre Brust hob und senkte sich. Er wusste nicht genau, ob sie ihn verstanden hatte.

»Mit ist klar, dass Sie sehr beschäftigt sein müssen«, sagte sie, als sie sich etwas gesammelt hatte.

»Wie heißen Sie?«

»Maureen.«

»Atmen Sie, Maureen. Ganz ruhig und langsam.« Belsey lehnte sich zurück, schloss die Augen, genoss die Sonne auf seinem Gesicht. Das Leben holte einen immer wieder ein. Die Sonne ging auf, Leute klopften. Er ließ das Rohr aus dem Ärmel rutschen und legte es auf die Stufe. Es gab eine Menge alte Bekannte, die ihn empfohlen haben könnten, eine Menge, die nichts von seiner misslichen Lage wussten. Was änderte das? Er stellte sich vor, wie sich eine Signalrakete durch seinen Gaumen bohrte und in seinem Gehirn zündete.

Als er die Augen öffnete, musterte Maureen Doughty sein Gesicht. Er lächelte, stand auf und half ihr hoch. »Welcher Tag ist heute?«, fragte er.

»Montag.«

»Montag«, wiederholte er. Sie blieben noch einen Moment lang stehen. Belsey hatte noch eine Hand unter ihrem Arm, während sie jedes vorbeifahrende Auto musterte, als könnte ihr Sohn darin sitzen. Er wollte nicht draußen sein. Er wollte in den Staub zurückkehren und weiter dem Gedanken nachhängen, dass ihm verschiedene Möglichkeiten offenstanden. Wieder griff sie nach dem Geländer. »Ich bringe Sie nach Hause«, sagte Belsey.

2

Sie nahmen die Buslinie 46. Belsey ignorierte die Blicke seiner Mitbürger, die auf seine Jacke und seinen Bart starrten. An der Queen’s Crescent drückte Maureen den Halteknopf und sie stiegen aus. Sie ging voran zu einer Erdgeschosswohnung in einem der niedrigen Sozialwohnblocks hinter der Hauptstraße.

Der Schlüssel zitterte in ihrer Hand, als sie die Wohnungstür aufschloss.

Sie stiegen über ein paar Plastiktüten in den Flur. Es war kalt, feucht und roch muffig. Vom Flur ging ein Wohnzimmer ab, das vollgestopft war mit Topfpflanzen und zusammengebundenen Stapeln christlicher Broschüren. Auf einem geblümten Sofa lag Bettzeug. Belsey war schon länger nicht mehr in einer fremden Wohnung gewesen – ein Aspekt seines Jobs, den er nicht vermisste: die Unterwäsche auf dem Wäscheständer, die glänzenden Fettflecken an der Wand hinter den Sesseln. Auf dem Couchtisch standen Tablettenfläschchen, als hätte man sie für ein Brettspiel zurechtgestellt: Donepezil, also Alzheimer oder Demenz, Ketoprofen, ein starkes Schmerzmittel gegen Arthritis.

Als sie die Lichtschalter betätigte, geschah nichts. In der Küche war die Anzeige der Mikrowelle aus, genau wie die am Radio. Verkrustete Tellerstapel, eine Hintertür führte in einen engen, betonierten Hinterhof. Jemand hatte die Katzenklappe eingetreten und einen leeren Kunststoffrahmen hinterlassen. Die Glasscheibe in der Tür hatte einen Sprung.

Maureen füllte den Wasserkocher.

»Sie haben keinen Strom, Maureen. Das funktioniert nicht.«

»Ach ja, richtig.« Sie stand einen Moment lang mit dem Wasserkocher in der Hand da, dann goss sie das Wasser in die Spüle.

»Wie lange ist der Strom schon weg?«

»Ich weiß nicht. Mark kümmert sich darum.«

Belsey prüfte den Sicherungskasten. Dann entdeckte er den Stromzähler, der in einem Schrank an der Haustür blinkte. Sie hatte eine Prepaidkarte für ihren Strom, die aufgeladen werden musste.

»Das ist er«, rief sie aus dem Wohnzimmer. Als er zurückkam, tippte sie auf ein gerahmtes Foto auf der Kommode. Ein Schulfoto. Mark Doughtys zwölfjähriges Gesicht war zwischen einen Schulpokal und einen Gebetszettel gequetscht. Sie hob es hoch und gab es Belsey. Mark war ein bemerkenswerter Jugendlicher gewesen, schneeweiße Haut, kleine, leuchtende Augen, ordentlich gekämmte Haare. In der Schuluniform einer hiesigen Privatschule. Ein Stipendiat, dachte Belsey, der dort vermutlich nie richtig hineingepasst hatte.

»Er ist jetzt aber etwas älter als auf dem Foto, oder?«, sagte Belsey.

»Ja.«

»Haben Sie auch neuere Fotos, Maureen?«

»Ich weiß nicht.« Das schien sie zu beunruhigen, und sie ließ den Blick durchs Zimmer streifen. Er sah, dass die Angst ständig in ihren Augen war. Aber sie war nicht verrückt. Er wusste aus eigener Erfahrung, wie schwer es war, die geistige Gesundheit eines Menschen einzuschätzen. Doch abgesehen von einer gewissen Angst und Desorientierung schien eigentlich alles in Ordnung mit ihr zu sein.

»Hat Mark denn einen Job?«

»Er kann nicht arbeiten gehen. Er kümmert sich um mich.« Sie setzte sich aufs Sofa.

»Haben Sie das schon anderen Polizisten erzählt?«

»Die haben gesagt, dass sie nichts machen können. Er wird noch nicht lange genug vermisst.«

»Was passiert, wenn Sie ihn anrufen?«

»Dann kriege ich seine Ansage.«

Im Erdgeschoss befand sich noch ein kleiner Raum, den sie als Schlafzimmer benutzte. Belsey ging die Treppe hinauf. Am Absatz ging ein sehr rosafarben eingerichtetes Bad ab. Daneben lag ein weiterer Raum mit Waschmaschine und Schränken für ihre alte Kleidung. Außerdem befand sich am Treppenabsatz noch eine weitere Tür. Sie war verschlossen.

»Ist das Marks Schlafzimmer?«, rief er nach unten. »Das mit der verschlossenen Tür?«

»Ja.«

Er ging in die Hocke und sah durchs Schlüsselloch. Der Schlüssel steckte nicht. Im Zimmer war es dunkel.

»Haben Sie einen Schlüssel?«

»Nein.«

War Mark Doughty da drin, überlegte er? War Maureen sicher, dass er nicht dort war? Zwei Tage. Keine Fliegen, nur ein leicht muffiger Geruch, der hier allgegenwärtig zu sein schien. Belsey holte sich einen Drahtbügel aus dem Schrank im Waschraum, bog ihn auseinander und formte ein Ende zu einer Öse. Es war ein einfaches Schloss. Er spürte das Klicken, wartete, drehte vorsichtig den Knauf und ging hinein.

»Herrgott.«

Als wäre eine Bombe explodiert. Der Boden war mit Kleidung und Büchern bedeckt. Dazu Energydrink-Dosen und Takeaway-Verpackungen. Wände und Schranktüren waren mit Zeitschriftenseiten beklebt.

Belsey stieg über die Haufen aus ungewaschener Kleidung und öffnete die Vorhänge. Er drehte sich um und bewunderte noch einmal das Interieur. Prominente – Sängerinnen, Schauspielerinnen: Hochglanzfotos von Augen, Zähnen und knallbunten Kleidern, wie verklemmte Pornografie. Kleider ergossen sich über rote Teppiche, Bikinis stiegen aus türkisfarbenem Wasser. Die A-Prominenz blickte auf ein Doppelbett mit unbezogener Federdecke, offenen Kekspackungen und Einwegrasierern. In Tassen war Schimmel gewachsen, in den Regalen lagen zerfledderte Bücher, die aussahen, als hätte man sie aus einem Container gerettet. Die ausgehängte Tür eines Spiegelschranks fügte eine weitere Ebene reflektiertes Chaos hinzu. Es roch nach Urin und ungewaschenen Jeans.

Solche Zimmer verhießen nichts Gutes – Orte, die Zeugen von zu viel vergeudetem Leben geworden waren, begannen oft ein Eigenleben zu führen, begannen zu faulen, die Bewohner zu ersticken.

Ein Computer war nicht zu sehen, aber Ausdrucke, vermutlich aus einem Internetcafé oder einer Bibliothek. Belsey sah sich auf dem Schreibtisch am Fenster ein paar Papiere an, zwischen denen noch weitere Ausschnitte aus Zeitungen und Zeitschriften lagen. Mark Doughty sammelte anscheinend Interviews, Anzeigen, Klatschkolumnen. Er hatte Ernährungstipps ausgeschnitten und einen Onlinepersönlichkeitstest ausgedruckt. Was hindert Sie daran, das Leben zu führen, das Sie leben wollen? Dieser einfache Test verrät es Ihnen.

Nach zwanzig Jahren im Polizeidienst war Belsey zu dem Schluss gekommen, dass nicht alle das Leben führen sollten, das sie wollten.

Auf dem Nachttisch stand eine Parfümschachtel. Bride, der neue Duft von Amber Knight. Sie schimmerte in glänzendem Pink. Die Flasche stand stolz daneben: ein durchsichtiger, diamantförmiger Flakon. Er roch kein Parfüm. Dann wurde ihm klar, dass der Nachttisch ein Schrein war. Die gesamte Dekoration hatte mit Amber Knight zu tun: sorgfältig präparierte Interviews und Fotoserien. Amber als Teenager, frühreif und selbstvergessen. Die einundzwanzigjährige Amber mit einem Ausschnitt bis zum Bauchnabel, falschen Wimpern und verführerischem Blick. Dann, etwa ein Jahr später, die kultivierte Amber, blass in einem silbernen Etuikleid auf einem roten Teppich.

Hinreißend in Dior bei der gestrigen Preisverleihung für die Frau des Jahres. Die britische Charts-Stürmerin und frischgebackene Hollywood-Schauspielerin Amber Knight …

Was das Objekt seiner Obsession betraf, hätte Mark es durchaus schlechter treffen können, fand Belsey. Amber Knight war hinreißend und arbeitete mit einer erprobten Mischung aus Unschuld und erwachender sexueller Begierde. Dazu kam noch ein Aspekt, der sie eine Stufe über die meisten Mitbewerberinnen stellte: Ihre Augen schlossen einen Pakt mit dem Betrachter unter Umgehung des Fotografen und des Glamours der Zeitschrift.

»Sie sind hineingekommen.« Verunsichert stand Maureen in der Schlafzimmertür. Sie starrte die Wände an, als hätte sie sie länger nicht mehr gesehen.

»Er mag Amber Knight«, sagte Belsey, weil ihm nichts Besseres einfiel. »Alles voll von ihr.«

»O ja.«

»Er hat ihr Parfüm und alles Mögliche.«

»Er war nicht schwul.«

»Nein.«

Sie sah sich noch einmal um, dann zog sie sich zurück nach unten. Belsey stieg über einen Berg Kleidung zu einer Kommode, auf der leere Axe-Fläschchen, ein Beutel Tabak, Kerzenreste und ein großer Aschenbecher mit Stummeln von selbst gedrehten Zigaretten lagen. In der Schublade fand er Ausweise für drei Stadtteilbibliotheken und einen verknickten Studentenausweis der King’s University von 2001. Mark hatte die Laminierung aufgeschnitten und das Gültigkeitsdatum von Hand verändert. Einen Studentenrabatt ließ man nicht einfach sausen. Mark, Ende zwanzig oder Anfang dreißig, sah ihn vom Foto an. Ein Doktorand oder ein Spätstudierender. Die Jahre nach der Schulzeit hatten seinen Wangen kaum mehr Farbe verliehen. Ein paar braune Bartstoppeln waren dazugekommen, und sein Blick hatte diesen gewissen Fahndungsfototrotz angenommen: lange, lichter werdende Haare hinter die Ohren geklemmt. Der clevere zwölfjährige Stipendiat war auf die schiefe Bahn geraten. Er war so hager wie ein Drogensüchtiger. Belsey nahm einen Stummel aus dem Aschenbecher, schlitzte ihn mit dem Fingernagel auf und überprüfte den Tabak auf Krümel. Schwer zu sagen. Der Tabak im Beutel war noch halbwegs frisch. Er enthielt keine weiteren Drogen, nur Rizla-Blättchen. Belsey steckte den Beutel ein und ging zur Treppe. Er hörte Maureen Doughty reden. Belsey dachte, sie würde telefonieren, dann hörte er, dass sie ein Zwiegespräch mit Jesus Christus führte. Er blieb oben an der Treppe stehen und hatte das Gefühl, an einem Ort zu sein, der von inzestuösem Wahnsinn erfüllt war.

*

Als er hinunterkam, saß sie über die gefalteten Hände gebeugt mit geschlossenen Augen auf dem Sofa.

»Der Mann, der angerufen hat – wie hieß er? Sie haben den Namen aufgeschrieben.«

»Ja, ich hab ihn aufgeschrieben.« Sie hörte auf zu beten, suchte auf dem Couchtisch zwischen den Pillenfläschchen und fand eine Broschüre der Catholic Medical Association. »Hier. Sehen Sie.« Auf der Rückseite standen in zittriger Schrift der Name »Lee« und eine Handynummer, die Belsey auswendig kannte.

»Lee Chester.«

»Seinen Nachnamen hat er nicht genannt. Kennen Sie ihn?«

Jeder Polizist in Nord-London kannte Lee Chester. Er war quasi die Leitfigur in der Versorgung der Hauptstadt mit Drogen und verschreibungspflichtigen Medikamenten.

»Was hat Lee gesagt? Ganz genau?«

»Bloß, dass Sie helfen könnten.«

»Er hat nicht gesagt, dass Mark ihm Geld schuldet? Oder etwas Ähnliches?«

»Da bin ich mir nicht sicher.«

»Hat er Sie bedroht?«

»Nein.«

»Aber er hat nicht nur angerufen, oder, Maureen? Die Hintertür, war er das?«

Sie sah ihn nicht an.

Belsey ging in den betonierten Hinterhof und rief Lee an.

»Nicky, alter Kumpel.« Belsey hörte einen Automotor. Verkehr.

»Rat mal, bei wem ich bin?«

»Ist sie zu dir gekommen? Hatte ich nicht erwartet.«

»Es ist nicht nett, alten Damen Angst einzujagen, Lee. Wie viel schuldet er dir?«

»Rund einen Riesen. Ist er da?«

»Nein.« Belsey drehte sich um, musterte die zweistöckige Erdgeschosswohnung, blickte hinauf zum Schlafzimmerfenster. Er setzte sich auf ein zerbrochenes Mauerstück. »Was nimmt er?«

»Alles Mögliche.«

»Woher hat er das Geld?«

»Gaunereien, nehme ich an. Weiß der Geier, auf jeden Fall muss er schnell mal ein bisschen zulegen.«

»Also hast du seine Mutter aufgefordert, einen Privatdetektiv einzuschalten.«

»Du bist kein Privatdetektiv.«

»Das ist ein guter Punkt, Lee. Und vergiss es nicht bis zum nächsten Mal. Vielleicht können wir diese Erkenntnis aus diesen unglücklichen Ereignissen mitnehmen.«

»Du hast Verbindungen.«

»Meine beste Verbindung sitzt gerade auf einem Sofa mit Pissflecken und betet zu Gott.«

»Zu wem hätte ich sie sonst schicken sollen?«

»Zu irgendjemand.«

»Ich schreib das Geld nicht ab, Nick. Die Leute halten mich jetzt schon für einen Idioten, weil ich mit ihm Geschäfte gemacht habe.«

»Du hast die Hintertür eingetreten.«

»Das ist nicht meine Art, Nick.«

»Doch, das ist sie.«

Belsey legte auf und ging wieder in die Wohnung. In den Schränken befanden sich keine Lebensmittel. Maureen saß auf dem Sofa, starrte stumm auf das leere Pregabalin-Fläschchen und massierte sich die geschwollenen Hände. Er fand das Folgerezept auf der Kommode hinter dem Gebetszettel und zog die Prepaidkarte aus dem Stromzähler.

»Ich bin gleich wieder da.«

Er verließ das Haus und ging die Queen’s Crescent entlang, die Einkaufsstraße, die die Sozialsiedlung durchzog. Zweimal in der Woche wurden hier Stände mit billiger Kleidung und Reinigungsutensilien aufgebaut. Ohne den Markt wirkte sie ernüchternd. Ein Ein-Pfund-Laden, ein Magic-Hair-Friseur, ein schmuddeliger Pub und jede Menge identische Lebensmittelläden, deren Inhaber in der Tür standen und nach draußen blickten.

Belsey entdeckte das Symbol des Energieversorgers und lud zehn Pfund auf Maureen Doughtys Prepaidkarte. Der Ladenbesitzer war unrasiert, trug eine Lederjacke und sah die ganze Zeit auf den Fernseher über der Tür, in dem eine türkische Nachrichtensendung lief.

»Kennen Sie einen Mark Doughty?«, fragte Belsey. »Er wohnt um die Ecke, gut möglich, dass er seine Prepaidkarte regelmäßig bei Ihnen auflädt. Er ist der Sohn von Maureen Doughty.«

Der Ladenbesitzer schüttelte den Kopf. Belsey ging. Der Nachmittag neigte sich langsam dem Ende zu. An der Ecke zur Malden Road saß ein Mann im Rollstuhl und trank ein Tennents-Bier, ein anderer ging pflichtbewusst von einer Telefonzelle zur nächsten und checkte die Münzauswurffächer. Drei jugendliche Fahrradfahrer fuhren mit den ernsten Mienen einer Sicherheitspatrouille an ihm vorbei.

Belsey setzte sich in den Bubbles-Waschsalon und drehte sich aus Mark Doughtys Tabak eine Zigarette. Er betrachtete den Pub gegenüber, den Sir Robert Peel, und überlegte, welcher unheilvolle Geist diese Ecke Londons dazu inspiriert hatte, einen Pub nach dem Begründer der modernen Polizeitruppe zu benennen. Die Uhr im Waschsalon zeigte fünf nach vier. Belsey zählte sein Geld. Ein kluger Mann würde Samen kaufen, Kompost in die Schubladen seines alten Schreibtischs füllen und als Einsiedler weiterleben. Belsey ging in den Pub.

Es war kalt und dunkel, in der hintersten Ecke saßen ein schlafender Mann – ein Bierdeckel schützte den Rest seines Pints – und der Wirt, dessen Polohemd nicht ganz über seinen Bauch reichte.

»Ein Guinness, bitte.«

Der Mann zapfte Bier in ein Glas und ließ es einen Moment ruhen.

»Kommt ein Typ namens Mark Doughty gelegentlich auf einen Drink hier rein?«, fragte Belsey.

»Keine Ahnung, junger Mann.« Der Wirt zapfte noch einen Schuss, nahm Belseys Geld, wartete, bis sich der Schaum gesetzt hatte, und stellte ihm das Bier hin. Belsey blieb an der Theke stehen. Nach zweiundsiebzig Stunden ohne richtigen Schlaf war sein Körper gut ausbalanciert. Er trank einen Schluck und spürte, wie der Alkohol sich den Weg zu seinem Gehirn bahnte. Er trank auf Sir Robert Peel. Scheiß auf die Bullen, wie man so sagt.

Eine Ermittlung gegen ihn war eine Sache, die Suspendierung eine ganz andere. Er verstand die Suspendierung so, dass das Ergebnis schon feststand. Sie glaubten also entweder, dass er Einfluss auf die Ermittlungen nehmen könnte oder dass es einen schlechten Eindruck machte, wenn der Polizist, der sich eines groben Fehlverhaltens schuldig gemacht hatte, zur Arbeit erschien. Die ganze Sache fand unter der Leitung des neuen Polizeichefs Clive Randall statt, dem Belsey nie begegnet war – der es ablehnte, sich jetzt mit Belsey zu treffen oder auch nur mit ihm zu telefonieren. Wie so oft in den letzten Wochen hatte er die Stimme im Ohr, die ihm den Tipp gegeben hatte. Die Stimme von jemandem, dem er einmal etwas bedeutet hatte, oder von jemandem, der sich Sorgen machte, er könnte zu viel ausplaudern. Sie war wichtig für ihn, unter anderem weil sie bis heute sein letzter echter menschlicher Kontakt war, aber auch weil Belseys Interpretation seiner eigenen Vergangenheit von der Besorgnis abhing, die in dieser Stimme lag. All seine Beurteilungen beruhten einzig und allein darauf.

Ein paar Community Support Officers schlenderten am Pub vorbei, sahen ihm in die Augen, bevor er den Blick abwenden konnte, und gingen weiter. Er wartete, bis sie um die Ecke verschwunden waren, bevor er sein Pint austrank und den Pub verließ.

Er kaufte Tee, Milch, etwas Brot und Eier, anschließend ging er in die Fine Pharmacy. Zwischen den Regalen mit Schlankheitspillen und Inkontinenzartikeln trank ein Mann mit übergezogener Kapuze Methadon. Hinter einem Tresen stand eine verschlossene Vitrine mit Rasierklingen und Parfüms: Eternity, Chanel, Dior. Kein Bride von Amber Knight.

Belsey reichte der kleinen Frau im weißen Kittel hinter dem Tresen Maureen Doughtys Rezept. Sie sah es an, musterte seinen Bart und das verknitterte Hemd.

»Normalerweise holt der Sohn es ab«, sagte sie.

»Kennen Sie ihn?«

»Eigentlich nicht.«

»Er wird vermisst.«

»Aha.«

»Seit Samstag. Ich suche ihn.«

»Ich kenne ihn nur vom Sehen. Wer sind Sie?«

»Ein Freund der Familie.«

Die Apothekerin prüfte das Rezept, musterte ihn noch einmal, dann holte sie die Medikamente. Sie steckte sie in eine Tüte und erläuterte Belsey, wann und wie sie eingenommen werden sollten. Er bedankte sich und warf noch einen letzten Blick auf die Parfüms.

»Es gibt ein neues Parfüm. Ich glaube, es heißt Bride. Von Amber Knight.«

»Ja.«

»Führen Sie es?«

»Nein.«

»Okay, dann versuche ich es woanders. Vielen Dank.«

Er war schon an den Zahncremes vorbei, als die Frau sagte: »Sie werden es nirgends finden.«

Belsey drehte sich um.

»Warum nicht?«

»Es ist noch nicht raus.«

»Nicht raus?«

»Man bekommt es nicht. Noch nicht. Es ist noch nicht im Verkauf.«

»Wann kommt es in den Verkauf?«

»Nächste Woche.«

»Sind Sie sicher?«

»Ja.«

Er verließ die Apotheke mit der Tüte und überlegte, was er in Mark Doughtys Zimmer gesehen hatte.

*

Maureen Doughty öffnete die Tür und schien überrascht zu sein, ihn wiederzusehen. Belsey gab ihr die Tüte mit den Medikamenten und steckte die Prepaidkarte in den Stromzähler. Dann ging er in Marks Zimmer und schaltete das Licht an. Er nahm die Parfümflasche. Sie hatte ein gutes Gewicht. Er stellte sie zurück und nahm die Schachtel. Auch die wirkte echt: britischer Barcode, erhabene Schrift auf perlmuttfarbenem Hintergrund.

Er sah sich noch einmal im Zimmer um, ging auf die Knie, guckte unters Bett und entdeckte eine Strumpfspitze.

Sie ragte aus einem Rucksack. Belsey zog ihn hervor. Er enthielt Frauenkleidung: ärmelloses Top, Leggings, Rock, Unterwäsche. Ein Alexander-McQueen-Seidenpyjama, ein Chanel-Handtäschchen, ein Gucci-Schal. Er leerte den Rucksack auf dem Boden aus. Die Slips waren klein, die BHs alle in Größe 75B. Sie waren in gutem Zustand, aber nicht brandneu. Keine Preisschilder, frisch gewaschen, hochwertige Qualität.

Ansonsten lag unter dem Bett nur eine blaue Plastiktüte mit Handschuhen, einer Taschenlampe und zwei Schraubenziehern. Ein Einbrecherkit.

Belsey durchsuchte den Kleidungshaufen noch einmal. Versteckt zwischen der Unterwäsche fand er eine Dose mit Crème de la Mer-Gesichtscreme und ein Foto von Amber Knight mit ihrer Familie. Ganz unten im Rucksack lag ihr Reisepass.

Er nahm den Pass, ging zur Mitte des Zimmers und hielt ihn dort unter die nackte Glühbirne. Er sah echt aus. Auf dem Foto hätte er sie nicht erkannt, die Haare nach hinten gebunden, nur leicht geschminkt, ein Top mit U-Ausschnitt. Aber sie war es. Name: Ms. Amber Sophia Knight. Geboren am zweiten Juni 1990. Ausgestellt vor sieben Monaten.

Sie hatte einen Stalker mit Zugang zu ihren Privaträumen. Belsey griff zu seinem Smartphone und versuchte, herauszubekommen, wo genau Amber Knight derzeit wohnte. Er fand einen Artikel mit Fotos von Amber, der über ihre Suche nach einem Haus im Zentrum Londons berichtete.

Bis vor Kurzem hatte sie bei ihrer Mutter in Theydon Bois gewohnt, einem Dorf in der Nähe von Epping, in dem sie auch aufgewachsen war. Ihre Mutter hatte dafür gesorgt, dass sie »mit den Füßen auf dem Boden blieb«: Wir reden, wir backen, wir sehen fern. Im Februar letzten Jahres war der Reiz dieser Bodenständigkeit anscheinend verflogen. Ebenso wie der Reiz, sich von ihrer Mutter managen zu lassen. Amber hatte ihre Mutter gefeuert und sich für dreizehn Millionen Pfund eine Villa in Primrose Hill gekauft, hatte den Keller für eins Komma fünf Millionen ausbauen und den Garten neu gestalten lassen. Das Ergebnis war so geraten, dass sie es als »ihr erstes richtiges Zuhause« bezeichnen konnte. Sie war dreiundzwanzig. Und ihr erstes richtiges Zuhause war zu Fuß nur rund zehn Minuten von dem von Mark Doughty entfernt.

Belsey sah sich den Pass noch einmal genau an. Er überflog ein paar weitere Zeitungsartikel. Unter Seiten aus Grazia und Heat fand sich ein nüchternerer Bericht von einer Website namens Die Hausapotheke: »Drei Gifte, die Sie in Ihrer Küche herstellen können«, der Rezepte für Rizin, Zyanid und Botulin auflistete.

Er nahm den Studentenausweis aus der Kommode, sah Mark Doughty kurz in die besorgten Augen und steckte ihn ins Portemonnaie. Dann nahm er Amber Knights Pass und ging nach unten.

»Das hier habe ich gefunden«, sagte Belsey.

»Was ist das?«

»Scheint der Reisepass von Amber Knight zu sein.«

»Amber Knight?«

»Kennen Sie sie?«

»Davon weiß ich nichts.«

»Hatte Mark je Ärger mit der Polizei, Maureen?«

»Nein.«

»Hat er je etwas über Dinge gesagt, die er tun will? Vielleicht schlimme Dinge?«

Sie zögerte.

»Er wollte berühmt werden.«

»Na wunderbar«, seufzte Belsey. »Maureen, was hat er an der Universität studiert?«

»Chemie. Er hat zweimal angefangen. Aber er bringt die Sachen nie zu Ende. Mark konnte alles Mögliche hervorragend, aber er hat Schwierigkeiten, sich zu konzentrieren.«

»Hat er je irgendwelche Chemikalien mit nach Hause gebracht?«

Niedergeschlagen schüttelte Maureen Doughty den Kopf. Sie ging zu Belsey und umklammerte seine linke Hand. »Er ist mein einziges Kind. Ich weiß nicht, was ich ohne ihn tun soll.«

3

Der kürzeste Weg zu Amber Knights Haus führte über die Chalk Farm Road. Diese viel befahrene Hauptverkehrsstraße trennte Maureen Doughtys Sozialbausiedlung von einer der begehrenswertesten Enklaven der teuren Stadt. Aber Primrose Hill, das Viertel, in dem Amber wohnte, lag abgeschieden genug, um seine reichen Bewohner zufriedenzustellen. Im Westen wurde es von Bahngleisen geschützt, im Osten vom Regent’s Canal, dazu die allgemeine Anmutung von Wohlstand, die effektiver war als ein Wallgraben. Es war eine Insel, eine andere Welt.

Auf der Brücke über der Eisenbahn überlegte Belsey, wo er hinging und was er dort wollte.

Das letzte Mal, als er einen Fernseher in seiner Wohnung hatte, war Amber Knight noch ein Teenager gewesen. Er erinnerte sich, sie einmal in einer Talkshow gesehen zu haben, in der sie ihm jung, beherrscht und ehrgeizig vorgekommen war. Bei einem Date vor einem Jahr hatte er sie in ihrer ersten Filmrolle gesehen, als Krankenschwester in Kriegszeiten, die schwierige Entscheidungen treffen musste. Sie war auch eine gute Schauspielerin. Außerdem kannte er die Namen von zwei ihrer Hits aus dem letzten Jahr und erinnerte sich an die zugehörigen Videos. Von ihrem Privatleben hatte er nur eine unbestimmte Ahnung, die auf Schlagzeilen aus der Boulevardpresse beruhte, welche er nicht weiter verfolgt hatte. Männer kamen und gingen: Er erinnerte sich, dass sie kurz mit einem Schauspieler in LA zusammen war, dann in London mit einem Fußballer. Er meinte zu wissen, dass sie sich derzeit als Geschäftsfrau betrachtete, ihr Unternehmen diversifizierte, ihr Leben in die eigenen Hände nahm.

Er wünschte niemandem einen langsamen Tod durch Botulismus, und sie hatte nichts getan, außer schön und begabt zu sein. Mark Doughty bereitete ihm Sorgen. Alle Menschen waren boshaft und krank, der einzige Lichtblick war ihre Faulheit – die meisten Menschen lebten ihre Boshaftigkeit nur in der Fantasie aus. Es gab jedoch auch ein paar Übereifrige, die den Arsch hochbekamen und sich vorbereiteten. Und nach allem, was er gesehen hatte, war Mark Doughty mit großem Eifer bei der Sache.

Wenn er an ihre Unterwäsche-Schublade herankam, kam er auch in ihren Magen, ihre Lunge und ihr Nervensystem. So arbeiteten Stalker. Sie drängten ihren Opfern Intimität auf, erschienen uneingeladen in ihren Albträumen.

Belsey folgte der Regent’s Park Road. Primrose Hill glitzerte in der Sonne. Kirschblüte, Blumenampeln, glänzende neue Autos. Heller Backstein nahm das sanfte Licht in sich auf. Man sah Kinder mit Skibräune in Begleitung asiatischer Kindermädchen. Die erwachsenen Anwohner trugen Westen, maßgeschneiderte Jacketts und kniehohe Stiefel. Die Hauptstraße verlief in einem sanften Bogen auf den Park zu, pastellfarben und mit inhabergeführten Restaurants und Geschäften: Feinkost, Heimtierbedarf, Cupcakes. Belsey blieb vor einem Kiosk am Zeitungsständer stehen und überflog zwei Boulevardblätter. Er fand nichts über einen Stalker von Amber oder einen Einbruch in ihrem Haus. Auf den Klatschseiten war Amber jedoch nicht zu übersehen. Alles drehte sich um ihre bevorstehende Hochzeit mit einem millionenschweren Bauunternehmer: Gerüchte über ihr Kleid, ihre Ernährung, ihre Tränen.

Kentish Town – das war das nächstgelegene Polizeirevier. Belsey rief einen alten Trinkkumpan an.

»Jim, hier ist Nick. Nick Belsey.«

Jim legte auf.

Mit Matt Yarwood in Holborn und Sheila French in West End Central lief es genauso. Schuld war ansteckend, jeder Polizist wusste das. Belsey steckte sein Handy weg. Ein Weinladen gegenüber warb für den hauseigenen Buchklub: Unser Sommelier empfiehlt passende Weine zu den Büchern. Das erste Glas ist gratis. Er ging hinein, kaufte eine Wodka-Miniatur und trank sie gleich im Laden. Als er wieder draußen war, zog er den Pass aus der Tasche und betrachtete ihn noch einmal. Wieder verspürte er diese Erregung, ein Stück vom Ruhm in der Hand zu halten.

Ihr Haus lag eine Straße vom Park entfernt. Das Grundstück selbst verbarg sich hinter hohen Backsteinmauern und alten Bäumen. Es war aber unverkennbar Amber Knights Mauer: Auf dem Gehweg neben dem sehr großen, sehr solide wirkenden Holztor saßen vier Mädchen, die T-Shirts und CDs umklammerten. Auf beiden Seiten des Tors waren Überwachungskameras angebracht. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite warteten zwei Männer, einer saß bei geöffneter Tür in einem Mini, der andere lehnte an einer niedrigen Mauer. Beide trugen dicke Jacken. Der stehende Mann hatte eine Kamera um den Hals und eine Tasche mit Objektiven über der Schulter.

Als Belsey auf die Fotografen zuging, musterten sie ihn argwöhnisch. Er zeigte ihnen Marks Studentenausweis.

»Haben Sie den Typen hier gesehen?« Sie waren gerne bereit, sich das Foto anzusehen, gaben aber nur widerwillig Informationen preis. Der Stehende zuckte die Achseln.

»Ist Amber da?«

»Möglich.«

»Gab es hier in letzter Zeit Probleme? War Polizei da?«

»Wieso?«

Sie gaben sich zugeknöpft. In ihrer Branche musste man sich seine Hinweise verdienen. Sie hielten ihn für einen Amateurschreiberling.

Belsey ging über die Straße. Er schnorrte sich von den Mädchen eine Zigarette, hockte sich hin, und sie gaben ihm Feuer.

»Wisst ihr, ob Amber jetzt im Haus ist?«

»Ja.«

»Die drehen da drin.«

»Wir haben ihren Wagen reinfahren sehen.«

Belsey ging zum Tor und drückte auf die Klingel. Niemand meldete sich. Belsey wartete eine Minute, dann ging er Richtung Park.

Er setzte sich auf eine Bank neben eine Mutter mit ihrer Tochter. Die Mutter telefonierte, sprach über ein Problem mit einer französischen Hauslehrerin. Belsey rief Charlotte Kelson von der Mail on Sunday an.

»Hm, Nick Belsey. Was für eine angenehme Überraschung. Alles klar bei dir?«

»Wieso nicht?«

»Ich habe gehört, dass es ein paar Komplikationen gibt.«

»Es war noch nie so unkompliziert wie im Moment.«

»Wo bist du?«

»In Primrose Hill. Ich habe ein paar Fragen über Amber Knight.«

Kelson lachte: »Gehst du zur Hochzeit?«

»Wahrscheinlich nicht. Hast du etwas von einem Stalker gehört, der bei ihr im Haus war?«

»Nein. Klingt, als hättest du eine Story. Hast du gehört, dass jemand letzte Woche zwanzig Riesen für eine Kopie der Gästeliste bekommen hat?«

»Zwanzig Riesen?«

»Für ein Stück Papier.«

»Wann ist die Hochzeit?«

»Samstag.«

»Und ihr Parfüm, Bride, steht irgendwie in Verbindung zur Hochzeit.«

»Hervorragend kombiniert, Nick. Du hast es noch voll drauf.«

»Okay.«

»Für ein Foto vom Hochzeitskleid könnte man wohl dreißig Riesen bekommen. Es soll mit Swarovski-Kristallen im Wert von einer halben Million Pfund verziert sein. Für eine heiße Sache wären wohl über vierzig Riesen drin.«

»Was verstehst du unter einer heißen Sache?«

»Na ja, zum Beispiel Probleme mit einem Stalker, Nick. Komm vorbei. Du darfst mich zum Essen einladen.«

Sie legten auf. Belsey sah sich auf dem Handy noch ein paar Klatschwebsites an in der Hoffnung, dass eine weniger offizielle Prominews-Webseite einen Hinweis enthielt. Es gab Gerüchte, dass Amber im Moment nur Flüssiges zu sich nahm. Sie schwor auf den parfümierten Nagellack Revlon’s Autumn Spice. Sie hatte ein Foto von ihrem Ex neben dem Bett. Insgeheim war sie ziemlich schüchtern.

Er fand viele Fotos von ihr mit Cocktails in der Hand an exklusiven Londoner Locations, auf denen sie nicht schüchtern aussah. Im Nobu, im Scott’s, im Berkeley. In einer Stadt, die die ganze Welt beneidet, müssen ein paar Menschen so aussehen, als würden sie sich amüsieren. Amber war das Nonplusultra, der endgültige Beweis, um diesen Ruf zu bestätigen. Ihr Lieblings-Modedesigner war Valentino. Ihre Beine waren von Gillette Venus zu den Beinen des Jahres ernannt worden. Sie liebte die Frühlingsaromen der neuen Vitamin Water’s-Kollektion und hielt besondere Momente mit einer Sony CyberShot-Kamera fest.

Nach dem Zerwürfnis mit ihrer Mutter im letzten Jahr hatte sie sich eine neue Managementfirma gesucht. Sämtliche Anfragen sollten an Karen von Milkshake Management gerichtet werden. Belsey suchte die Telefonnummer der Firma heraus und rief an.

»Milkshake«, meldete sich eine freundliche Frauenstimme.

»Nick Belsey, CID Kentish Town. Es geht um Amber Knight. Ich sollte mich bei Ihnen melden. Ist Karen zu sprechen?«

»Karen ist heute nicht da.«

»Okay. Und mit wem kann ich heute sprechen?«

Kurzes Zögern.

»Wer sind Sie?«

»Detective Inspector Nick Belsey. Es ist ziemlich dringend. Ich habe Ambers Reisepass. Ich glaube, sie ist in Gefahr. Hat sie einen persönlichen Assistenten oder so etwas?«

»Sie haben ihren Reisepass?«

»Ich habe ihren Pass in der Wohnung einer Person gefunden, die vermutlich in Ambers Haus eingebrochen ist.«

»Wirklich?«

»Ja.«

»Einen Moment.« Die Leitung wurde stumm geschaltet, nach dreißig Sekunden meldete die Frau sich aber wieder. »Sie können es bei Gabby versuchen. Gabby ist bei Amber im Haus.« Sie nannte eine Handynummer. »Sie ist Ambers persönliche Assistentin. Sie kümmert sich auch um die Security.«

Gabby brauchte eine Minute, um ans Telefon zu gehen.

»Wer ist da?«, fragte sie.

»Hier ist Nick Belsey. Man hat mir gesagt, ich soll Sie wegen Ambers Security anrufen.«

»Nick Belsey?« Sie sprach mit eisigem amerikanischen Akzent.

»Ich mache mir Sorgen um …«

»Einen Moment.« Hinter ihr wurde es laut: Hundegebell und Männerstimmen hallten durch einen großen Raum. Sie sprach kurz mit jemandem, bevor sie sich wieder an Belsey wandte. »Sie sollten doch gestern schon anrufen.«

Belsey überlegte kurz.

»Es waren hektische Tage«, sagte er.

»Ich habe den Leuten in Ihrem Büro erklärt, dass es sehr dringend ist.«

»Ist etwas passiert?«

»Ich glaube, ich habe mit Chris gesprochen.«

»Klar. Hier ist Nick. Chris ist nicht da.«

»Herrgott noch mal. Wo sind Sie? Können Sie vorbeikommen?«

»Kann ich vorbeikommen?«

»Ich habe nur jetzt sofort Zeit. Und auch nicht viel.«

Er unterdrückte ein Lachen.

»Eigentlich bin ich gerade in Primrose Hill.«

»Rufen Sie mich an, wenn Sie am Tor sind.«

Sie legte auf. Belsey nahm das Handy vom Ohr und starrte einen Haufen Jogger an, die in einer Reihe hintereinander her liefen. Die Welt war seltsamer geworden, seit er keinen Anteil mehr daran nahm. Die Schwerkraft hatte abgenommen, die Luft war dünner geworden. Die Frau auf der Bank neben ihm hatte pausenlos weitergeplappert. »Natasha hat sie für die Zwillinge geholt und gesagt, sie wäre superb, dabei hat sie in den drei Wochen nur gelernt, wie man ein verdammtes Eis bestellt.«

Belsey ging zurück zu Amber Knights Straße. Er checkte sein Aussehen im Spiegel eines Motorrollers und schüttelte verwundert den Kopf. Was zum Teufel machte er? Er ging an den Paparazzi und den Mädchen vorbei. Dann wählte er Gabbys Nummer.

»Ich bin vor dem Tor.«

»Achten Sie darauf, dass es hinter Ihnen wieder schließt.«

Das Tor öffnete sich. Ein Mädchen rannte zu Belsey und reichte ihm einen rosafarbenen Umschlag.

»Können Sie den Amber geben?«

»Klar.«

Er ging hinein. Hinter ihm klickte eine Kamera. Das Tor schloss sich.

Amber hatte sich ein schönes Haus gekauft. Symmetrisch, mit großen Fenstern rechts und links von der Tür, schienen die vergangenen zweihundert Jahre spurlos an ihm vorübergegangen zu sein. Zwischen gepflegten Rasenflächen hindurch führte ein weißer Kiesweg zur Haustür. Zwei Porsches, ein gelber und ein silberner, waren auf den Rasen gefahren worden, um Platz für einen schwarzen Lieferwagen zu schaffen. Die Haustür stand einen Spalt offen, und ein Kabel lief zu einem Generator im Vorgarten. Belsey stieß sie auf und trat in eine Eingangshalle mit riesigen Spiegeln und glänzendem Dielenfußboden. Aus einem Zimmer auf der rechten Seite kam ein grauer Mops angerannt und sprang an ihm hoch. Jemand sagte: »Schnitt.« Durch die geöffneten Türen erkannte er eine kleine Filmcrew: Ein Mann mit einer Kamera auf der Schulter, ein Mikrofongalgen, Scheinwerfer und weitere Personen mit Kopfhörern und Funkmikrofonen. In dem sehr hohen Raum stand auf einem Teppich ein weißer Flügel, neben dem sich eine gläserne Wendeltreppe zu einer Zwischenebene hinaufwand. Von der Decke hing ein Schwingstuhl. Der Raum erstreckte sich bis zur nahezu vollständig verglasten Rückseite des Hauses, die den Blick in den Garten freigab. Neben der Filmcrew befanden sich noch ein paar elegant gekleidete Männer und Frauen im Zimmer, die Zugangsausweise um den Hals trugen. Amber saß auf dem Sofa, den Kopf in Erwartung des Make-up-Pinsels in den Nacken gelegt.

Der Star war heller ausgeleuchtet als die unbekannten Personen um sie herum, sah aber ziemlich real aus. Seltsam real sogar. Sie trug einen weißen Pullover und eine Jeans mit einem Riss, der den Blick auf einen gebräunten Oberschenkel freigab. Die Haare waren hochgesteckt. Sie war keine zehn Meter von ihm entfernt.

Das war ziemlich einfach gewesen.

Zumindest war sie am Leben. Keinerlei Anzeichen für eine Vergiftung. Belsey wandte sich wieder der Eingangshalle zu und legte den rosa Umschlag auf einen Sims. Jemand sagte: »Entschuldigung.« Als er sich umdrehte trat eine junge Frau mit Headset und einem Klemmbrett aus dem Wohnzimmer.

»Haben Sie eine Einwilligungserklärung unterschrieben?«

»Eine Einwilligungserklärung?«

»Waren Sie schon einmal im Haus?«

»Nein.«

Sie streckte ihm das Klemmbrett mit einer Einwilligungserklärung entgegen, den Kugelschreiber schon auf der gestrichelten Linie. Er las das Formular: Halycon Entertainment. Ein perfekter Tag. »Hiermit willige ich unwiderruflich ein, dass Film-, Bild- und Tonaufnahmen von mir für diesen Dokumentarfilm …«

»Es wäre mir lieber, wenn mein Gesicht nicht gezeigt wird.«

Sie starrte ihn an, hatte anscheinend Probleme, das zu verstehen.

»Im Ernst?«

»Ich bin auf der Flucht.«

Die Frau zuckte die Achseln und zog das Klemmbrett weg, als hätte er sich als Arschloch entpuppt. Ihr Funkgerät knisterte. Belsey wartete kurz, während sie ins Wohnzimmer zurückging, wo ein Mann mit Werkzeuggürtel Klebeband vom Boden pulte.

Er schlenderte weiter ins Haus hinein, vorbei an einer riesigen chrom- und kupferglänzenden Küche, einem Zimmer mit einem kleinen Laufsteg und verspiegelten Wänden und einem offenbar voll ausgestatteten Friseursalon mit Haarwaschbecken und Nagelstudio. Fünf Dekoköpfe trugen Perücken in verschiedenen Stilen. Eine breite, mit Teppichboden ausgelegte Treppe führte in den ersten Stock mit jeder Menge Zimmern, die wie Wartebereiche von Thai-Restaurants aussahen: geschmackvolle Kombinationen aus dunklem Holz und schiefer- und cremefarbenen Tönen. Belsey spähte in die Räume, bis er eine Frau entdeckte, die in einer Kommode wühlte. Er beobachtete einen Moment, wie sie ein paar Papiere überflog, bis sie seine Anwesenheit spürte, erstarrte und die Papiere sorgfältig wieder zurücklegte, bevor sie sich umdrehte.

»Hey.« Sie lächelte. Sie war klein, trug hochhackige Lackschuhe, hatte lange schwarze Haare, leuchtend rote Lippen und stark geschminkte Wimpern.

»Hey.«

»Wir kennen uns noch gar nicht.« Die Frau streckte die Hand aus. »Terri.«

»Nick. Ich suche Gabby, Ambers Assistentin.«

»Sie muss hier irgendwo sein.« Terri musterte ihn neugierig. Belsey entdeckte das Notizbuch und das Diktiergerät auf dem Couchtisch. »Und woher kennen Sie Amber?«

»Ich bin Security. Hab gerade erst angefangen.«

»Ach, Security. Na dann, willkommen im Irrenhaus.« Sie zwinkerte. »Da haben Sie einen guten Job erwischt.«

»Wieso?«

»Ach, Sie wissen schon. Das Ganze hier. Gabby wird’s Ihnen erklären.«

Sie reichte ihm ihre Visitenkarte und lächelte noch einmal. Sie hieß Terri Baker und war Berichterstatterin für den Bereich Showbusiness beim Mirror.

»Haben Sie auch eine Karte?«, fragte sie.

»Nicht dabei.«

»Wir sind hier alle ein großes Team«, sagte Terri. »Dann werden wir uns bestimmt öfter sehen.«

»Bestimmt.«

Belsey ging zurück in den Flur und die Treppe hinauf ins nächste Stockwerk. Hier befand sich ein Raum mit Massagetischen und ein weiterer mit einer Tanzfläche unter einer Spiegelkugel und gerahmten Zeitschriften-Titelseiten an den Wänden. Er hatte einen großen Balkon. Belsey überquerte die unbeleuchtete Tanzfläche in Richtung Balkontür. Als er näher kam, sah er, dass draußen gearbeitet wurde. Zwei Männer mit Rosenscheren und Gießkannen kümmerten sich um die üppig sprießenden Blumenkästen. Hinter ihnen lag ein wunderschöner, großer grüner Garten. Er war leer. Einbrecher lieben Seiteneingänge, Hintertüren und Zugänge vom Garten her. Und da war er schon: Vom Balkon führte eine Treppe in den Garten hinab. Belsey schätzte ihn auf knapp fünfzig mal fünfzig Meter – da war eine Menge Grundstücksgrenze zu sichern.

Er ging zurück zum Treppenabsatz und weiter in ein rosafarbenes Marmorbad, das so groß war wie das CID-Büro in Hampstead. Neben dem Whirlpool in einer Ecke befand sich ein Doppelwaschbecken, über dem Lotionen, Nippes und Trophäen standen. Vom Bad ging ein schlichtes Schlafzimmer ab, das komplett in Weiß gehalten war: viele weiße Stoffe, weiße Wände, Hyazinthen und Duftkerzen. Gegenüber vom Bett hing ein Flachbildfernseher. Sie hatte kein Foto von ihrem Exfreund am Bett, wie die Gerüchte besagten. Dort stand nur ein gerahmtes Foto von Amber als Teenager mit einem viel älteren Mann, der wie ihr Vater aussah.

Als Belsey ein paar Schubladen öffnete, stieß er auf Unterwäsche. Die Größe entsprach Mark Doughtys Beute. Eine Frau kam an der Tür vorbei, blickte herein, blieb stehen.

»Entschuldigung, darf ich fragen, wer Sie sind?«

Sie war klein, Anfang dreißig und hatte einen strengen schwarzen Pony. Sie umklammerte einen dicken Aktendeckel. Die Stimme war unverkennbar.

»Gabby.« Belsey schloss die Schublade. »Nick Belsey, von der Security.«

»Was machen Sie hier?«

»Genau. Das reinste Chaos hier.«

Sie starrte ihn an. Sie sah zornig aus, wirkte aber auch so, als stünden ihr nicht viele Gesichtsausdrücke zur Verfügung.

»Ich habe nicht viel Zeit«, sagte sie. »Folgen Sie mir.«

Kein Händeschütteln.

Sie führte ihn wieder den Flur entlang, während sie in den leeren Raum vor sich sprach.

»Brauchen Sie einen Kaffee? Wasser?«

»Danke, nicht nötig.«

Sie kamen in ein Büro, das aussah, als wäre es noch nicht komplett eingerichtet: ordentliche Papierstapel auf dem Fußboden, leere Regale, ein nicht dazu passender Schreibtisch mit lederbezogener Schreibplatte, auf dem ein einsames MacBook stand. Sie warf die Akte auf den Schreibtisch.

»Setzen Sie sich. Mir war nicht klar, dass Karen sich darum gekümmert hat.« Sie nahm einen Papierstapel vom Boden und verteilte ihn auf dem Schreibtisch. »Wo wollen Sie anfangen?« Belsey setzte sich und legte Ambers Reisepass auf den Tisch, aber Gabby war in ihre Papiere vertieft. »Wir brauchen wieder ein komplettes Team, das rund um die Uhr vor Ort ist. Ursprünglich haben sich drei Mann abgewechselt. Natürlich müssen wir Amber noch gut zureden.« Sie fuhr mit dem Finger eine Spalte Spiegelstriche ab. »Wir müssen ihr Handy und ihr Mailprogramm überprüfen und feststellen, wie gut alles abgesichert ist. Es hat schon mal jemand versucht, sich da reinzuhacken, außerdem schnüffeln hier eine Menge Journalisten herum. Das muss alles geklärt werden.«

»Gilt das auch für die Frau, der ich unten begegnet bin?«

»Terri? Terri ist okay. Terri ist eine von uns.«

Ihr Handy klingelte. Sie sah aufs Display und stellte es stumm. »Der Punkt ist, dass Sie derzeit helfen müssen, die Kosten so niedrig wie möglich zu halten. Das ist natürlich ein sensibles Thema …«

Belsey schob ihr den Pass zu. Dieses Mal sah Gabby hinein und runzelte die Stirn.

»Den habe ich gesucht. Woher haben Sie ihn?«

»Er lag im Schlafzimmer eines gewissen Mark Doughty, der etwa zehn Minuten zu Fuß von hier entfernt wohnt.« Sie zeigte keine Reaktion, als er den Namen nannte. Belsey schob die Papiere zur Seite und legte Marks Ausweis auf den Schreibtisch. »Kennen Sie den Mann?«

Gabby sah ihn sich genau an.

»Ja«, sagte sie nickend. »Den habe ich schon einmal gesehen. Das ist er.«

»Können Sie das näher ausführen?«

»Er war ein paarmal dabei. Auf verschiedenen Veranstaltungen.«

»Auch hier? Im Haus?«

»Herrgott, nein.«

»Er hatte auch ein paar Kleidungsstücke, die aussehen, als könnten sie Amber gehören.«

Langsam dämmerte ihr, wie unangenehm die ganze Sache war. »Sind sie deshalb verschwunden? Wow. Ja, es sind Kleidungsstücke verschwunden.«

»Haben Sie die Polizei darüber informiert?«

»Nein.«

»Informieren Sie sie. Mark Doughty könnte gefährlich sein, und meine Möglichkeiten sind begrenzt. Lassen Sie jemanden die Aufnahmen von sämtlichen Überwachungskameras durchsehen. Wenn Sie ihn auf dem Grundstück entdecken, geben Sie das Video der Polizei. Und sagen Sie Amber Bescheid.«

»Was redet ihr da über mich?«

Beide drehten sich um – Amber stand in der Tür und kraulte den Mops. Belsey war auf den Effekt einer direkten Begegnung nicht vorbereitet. Natürlich war sie nur ein Mensch, aber ein Mensch, der in aller Welt in vielen Träumen, auf Werbeplakaten, Titelblättern und sogar auf Bussen auftauchte. Und jetzt stand das Original vor ihm und sah ihn nicht an. Belsey versuchte sich vorzustellen, wie es wäre, wenn er jemanden in seinem Haus anträfe und er ihn nicht einmal ansähe.

Gabby stand auf. »Amber, du weißt doch noch, dass wir Probleme mit einem Fan hatten.« Sie hielt ihr den Ausweis hin.

Amber ging zu ihr.

»Das ist er.«

»Meinst du?«

»Definitiv.«

»Ich glaub auch«, sagte Gabby.

»Gott, sieht der unheimlich aus«, sagte Amber. »Wer sind Sie?« Zum ersten Mal sah sie Belsey direkt an.

»Das ist unser neuer Securitymann«, ging Gabby dazwischen. »Der Beste im Business. Und völlig durchgecheckt.«

»Gut. Nett, Sie kennenzulernen.« Sie machte eine Hand frei und streckte sie ihm entgegen. Die Hand war warm, der Händedruck unsicher.

Er hatte also Amber Knight berührt.

»Was werden Sie dagegen unternehmen?« Sie nickte in Richtung Ausweis. Eine eigentümliche Intensität lag in ihrem Blick, der noch immer auf Belsey ruhte.

»Ich weiß es nicht.«

»Sie wissen es nicht?«

»Wir haben eine Strategie«, sagte Gabby. »Mach dir keine Sorgen.«

»Hältst du mich diesmal auf dem Laufenden?«

»Selbstverständlich.«

Amber warf noch einen kurzen Blick auf den Studentenausweis, dann sah sie Belsey an. »Dann sehen wir uns wohl noch.« Sie lächelte freundlich und unverbindlich. Dann war sie weg. Gabby stieß die Luft aus.

»Für die Zukunft, bitte – sie braucht Beruhigung und Bestärkung.«

»Sie braucht gute Security«, sagte Belsey. »Was ist mit dem alten Team passiert?«

»Es hat nicht funktioniert. Machen Sie sich darüber keine Sorgen.«

»Haben Sie sie gefeuert?«

»Amber hat sie gefeuert.«

»Warum?«

»Sie dachte, die Leute würden sie bespitzeln.« Gabby warf einen prüfenden Blick auf den Treppenabsatz und schloss die Tür. »Das Ganze ist eine heikle Angelegenheit. Die Nerven liegen blank, gleichzeitig geht es hoch her. Bis zur Hochzeit ist es nicht einmal mehr eine Woche, und daran hängt sehr viel. Uns stehen ein paar enorm wichtige Tage bevor. Amber hat einen Terminplan.« Sie zog eine Übersichtstabelle aus dem Stapel mit den Securityangelegenheiten. »Ich würde es begrüßen, wenn Sie mich informieren, sobald sie einen ungeplanten Termin wahrnimmt – also einen Termin, der weder von mir noch von Karen organisiert wurde.«

Belsey sah sich die Tabelle an. Das Bild verschob sich ein wenig: Der Begriff Security hatte hier eine etwas andere Bedeutung. Vor einer halben Stunde war er noch nicht aufs Grundstück gekommen, jetzt sollte er den Babysitter spielen.

»Warum?«

»Machen Sie’s einfach. Im Moment haben wir nur ein Ziel. Wir müssen Amber rechtzeitig in die Kirche bekommen. Oder zumindest ins Dorchester. Da findet die Zeremonie statt. Letzte Woche hatten wir eine Intervention – wir mussten einschreiten, um sie zu beruhigen –, was aber offenbar nicht unbedingt hilfreich war. Weitere Fehlschläge können wir uns nicht leisten. Melden Sie sich, wenn sie irgendwohin geht – und wenn sie versucht, an Geld zu kommen. Haben Sie meine Nummer gespeichert?« Wieder klingelte ihr Handy. Sie sah aufs Display.

»Ja, hab ich.« Belsey steckte den Terminplan ein. »Ich brauche etwas Kleingeld für Spesen …«

»Klar. Das sollte drin sein. Solange Sie nicht vergessen, dass wir derzeit knapp bei Kasse sind.«

»Selbstverständlich.«

»Spesengeld«, schrieb sie im Aufstehen auf einen Zettel, das klingelnde Handy noch in der Hand. »Ich muss da rangehen.«

»Und rufen Sie Chris an«, sagte Belsey. »Nur für den Fall, dass ich in letzter Minute noch zu einem anderen Einsatz muss.«

»Sie bleiben, wo Sie sind.«

Sie begann ein Gespräch über die Lieferung von Präsentationsständern und verließ dabei den Raum. Belsey wartete einen Moment, dann nahm er Marks Studentenausweis und ging auf den Treppenabsatz. Gabby war ans andere Ende des Flurs gegangen und zog dort eine weitere Zimmertür hinter sich zu. Privatsphäre. Das Haus wirkte plötzlich viel beklemmender. Er ging zurück zum Partyzimmer mit dem Balkon und der Aussicht auf den Garten. Die Gärtner waren weg. Er öffnete die Tür, trat hinaus auf den Balkon und ging an den Blumenkästen vorbei die Treppe hinunter.

Unten befand sich eine Terrasse mit fest installiertem Grill und einem Pool. Er stand auf der Außenseite der Glaswand und blickte ins Wohnzimmer, das inzwischen bis auf die einsamen Transportkoffer der Filmcrew leer war. Da hatte jemand sehr viele Backsteine aus der Wand geschlagen, um für die zehn Meter breite Glasschiebetür Platz zu schaffen. Andererseits lohnte es sich, einen Panoramablick auf den Garten zu haben. Pflaumenbäume, ein Steingarten mit Wasserfall, ein Stapel Sonnenliegen. Auf einer Brücke im japanischen Stil überquerte Belsey einen kleinen Teich, dann ging er weiter zur Grenzmauer. Die alte Mauer war mit auf ihrer Oberseite befestigten Natodraht auf den Stand des einundzwanzigsten Jahrhunderts gebracht worden. Er folgte der Mauer bis zu einem nicht ins Gesamtgefüge passenden Schuppen in der hintersten Ecke.

Der Schuppen war verschlossen. Ein staubiges Fenster bot einen Blick auf hochwertige Gartengeräte. Belsey blickte nach oben. Es lag etwas auf dem Dach, irgendein Stoff. Er stellte einen Fuß auf den Fenstersims und drückte sich hoch. Auf der Teerpappe lag eine zusammengefaltete rosa Badematte mit Fransen. Feucht. Belsey klappte sie auseinander und sah schräg verlaufende Rillen an ihrer Unterseite. Er verglich sie mit dem Natodraht, der nur noch etwas mehr als einen Meter von ihm entfernt war, und zog den Schluss, dass sie ein guter Schutz beim Überklettern wäre. Das Dekor der Matte passte nicht zu Ambers neu eingerichtetem Haus, in Maureen Doughtys Bad dagegen hätte sie sich gut gemacht.

Er sah keine Überwachungskamera. Belsey drehte sich um und blickte zum Haus. Die Sicht war durch eine Gruppe Obstbäume verstellt. Von der Mauerkrone konnte er in den Nachbargarten sehen, der ähnlich groß wie Ambers, aber ziemlich zugewuchert war. Das zugehörige Haus sah unbewohnt aus: Es brannte kein Licht und wirkte insgesamt vernachlässigt. Zwischen den verwilderten Hortensien am Fuß der Mauer lag eine ausziehbare Leiter.

Belsey legte die Badematte über die rasiermesserscharfen Klingen. Die Mauer war breit genug, um bequem über den Draht steigen zu können. Er ließ sich zwischen die Hortensien fallen. Die Leiter war nicht rostig und im Vergleich zum umliegenden Garten in gutem Zustand. Er lehnte sie an die Wand und sah, dass es funktionieren würde.