Love and Ice - Jessica Bichert - E-Book

Love and Ice E-Book

Jessica Bichert

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Beschreibung

Fünf Königreiche - Auf dem Festland Marmer, Herzen, Kreuk und Miran und die Insel Brale. Brales Soldaten greifen regelmäßig die Küste Marmers an. Velias Heimat. Das Königreich, dass das Wasser mächtigen kann. Trotz der anhaltenden Unruhen, scheint es noch Frieden zu geben. Als Sir Artreyu ihre neue persönliche Leibwache wird, weiß Velia zuerst nicht, was sie von ihm halten soll. Je mehr Zeit sie mit ihm verbringt, umso mehr gewinnt er nicht nur ihr Vertrauen. Allerdings ist sie die Verlobte des Prinzen von Marmer und damit die zukünftige Königin. Kann sie sich dem Ruf ihres Herzens widersetzen und ihren Pflichten folgen? Oder begeht sie Verrat an ihrem Königreich und gibt sich Artreyu hin, dessen Geheimnisse so viele Gefahren mit sich bringen?

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Seitenzahl: 338

Veröffentlichungsjahr: 2020

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Für alle, die mich dabei unterstützt haben, diesen Traum zu erfüllen. Ich bin Euch unendlich dankbar.

Playlist

Fleurie - Solder

Thirty Seconds to Mars – Walk On Water

Hayley Kiyoko – Wanna Be Missed

The Rescues – Hell or High Water

NOTD, Bea Miller – I Wanna Know

Fletcher – About You

Bea Miller – yes girl

Avril Lavignie – I Fell In Love With the Devil

PVRIS – You and I

Shawn Mendes, Camilla Cabello – Senorita

Slaves – I’d Rather See Your Star Explode

5 Seconds of Summer – If Walls Could Talk

Svrcina – Battlefield

Fletcher – If You’re Gonna Lie

5 Seconds of Summer – Babylon

Die Fünf Königreiche

Inhaltsverzeichnis

Prolog

Teil 1 – Erde und Wasser

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Teil 2 – Feuer

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Teil 3 – Luft

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Epilog

Prolog

Die Flammen tobten um meinen Körper. Die Hitze war unerträglich, doch nichts im Vergleich zu dem Schmerz, der in meinem Brustkorb saß. Ich musste mich konzentrieren. Die Tränen zurückhalten und versuchen, mich aus diesem Feuerkreis zu befreien.

Im Hintergrund hörte ich das Meer rauschen. Ich musste es spüren. Es zu mir rufen. Mich retten. Gelang nicht. Der Rauch durchdrang meine Lungen. Ich krächzte. Es war zu weit weg.

Panik. Wo endete der Feuerkreis? Konnte ich ihn überwinden? Viel Zeit blieb nicht mehr. Feuer oder Leben?

„Velia!“ Mein Herz blieb stehen. Bitte nicht er. „Haltet durch!“

„Nein, geht!“, scheuchte ich meine Rettung fort. Doch noch ehe die Worte vollkommen aus meinem Mund entwichen, erlosch das Feuer. Er stand dort. „Das wäre Euer Tod gewesen.“ Es wäre besser gewesen.

„Geht einfach!“, piepste mein ausgelaugter Körper. „Ihr macht alles nur noch schlimmer!“ Ich merkte, dass er zögerte. Wie sich sein Körper zum Gehen wendete, er aber zu mir sah. Schwach fiel ich zu Boden. Keuchte. Tränen fielen hinunter.

Er musste gehen. Rylan suchte sicherlich schon nach mir, würde sicher gehen, dass ich es geschafft hatte. Wenn er ihn sähe, gäbe es nur ein noch größeres Chaos.

Musste näher zum Meer. Meine Kraft.

Dumpf hörte ich, wie sich Schritte von mir entfernten. Meine Umgebung verschwamm. Sehnsüchtig schleppte ich mich zum Meer. Die heiße Glut verbrannte meine Hände, schrie auf. Welcher Teil von mir erfuhr gerade nicht diese Hölle? Ich wusste es nicht.

Ein letztes Mal kreuzten sich unsere Blicke. Aus ganzem Herzen liebte ich diesen Mann. Und er liebte mich. Selbst jetzt zweifelte ich nicht daran. Dennoch war es besser so.

Ich zog mich weiter. Das salzige Wasser linderte die Qualen etwas.

Er verließ mich. Meine Gefühle blieben. Schmerzen, die nicht mal mein Element mir nehmen konnte. Das Loch in meinem Herzen nicht füllen konnte. Die Verzweiflung blieb. Die Tränen blieben. Und die Sehnsucht.

„Da seid Ihr ja“, fand mich Prinz Rylan endlich. Erleichtert sah ich nach hinten. „Braucht Ihr Hilfe?“

Ich nickte: „Ja, ich…“ Meine Stimme brach. Meine Kehle ächzte nach Feuchtigkeit. Gierig trank ich die Wasserflasche aus, die mir mein Verlobter reichte. Endlich wagte ich es aufzustehen. Es scheiterte. Kaum hockte ich mich hin, brach ich wieder zusammen. Die Narben schmerzten zu sehr.

Ohne zu Fragen hob er mich hoch und brachte mich zurück zur anderen Seite des Strandes. Erschrocken räusperte er sich: „W-was ist passiert?“

„Feuer. Ich musste ans Meer.“

Jemand hatte schon Zelte aufgebaut. Vermutlich unsere Diener, doch ich konnte jetzt nicht darüber nachdenken.

„Das ist zu viel! Wie können wir uns gegen diese Barbaren wehren?“, wütete mein Vater und bestellte einen Heiler zu uns. Die Ohnmacht wollte mich einholen, doch ich gab nicht nach.

„Keine Sorge, jeder von diesen Kriminellen wird seine gerechte Strafe bekommen“, versprach Rylan und kühlte meine Verbrennungen mit Wasser. „Und Artreyu wird als letzter übrig bleiben.“

„Prinz Rylan“, begann ich, doch mein Körper gab auf. Ich hatte all meine Reserven verbraucht.

Teil 1 – Erde und Wasser

Sie war das lodernde Wasser.

Von weitem ruhig,

vom Nahen voller Leben.

Doch ich konnte sie nur beobachten.

Ich – das bodenständige Gestein –

Sah zu und staunte.

Wir berührten uns nur,

Zusammenleben könnten wir nie.

1

Der Wind wehte durch meine Haare. Das Wetter war himmlisch an diesem Tag, wäre es auch nur der Tag selbst. Die Sonne strahlte hinab und wärmte uns alle. Mit gemischten Gefühlen ritt ich weiter zum Dorf, welches erst letzte Nacht angegriffen wurde. Ich befürchtete das Schlimmste.

„Hektor, wie hoch sind die Verluste?“, erkundigte ich mich bei meinem Leibwächter. Es war ein Morgen wie viele. Wiedermal ein Angriff auf eines der Fischerdörfer, über die mein Vater wachte. Schon wieder von Brale.

Kurz schielte ich zum Meer. Ihr Königreich lag direkt vor uns. Die Küste der Insel zeichnete sich am Horizont ab. Jeder wusste, dass sie viel zu nah an uns war.

„Weniger als sonst. Sie hatten Glück, dass sie so nah an der Burg sind. Wir konnten schnell zur Hilfe eilen“, berichtete er mir.

Wir hatten schon schlimmere Verwüstungen gesehen. Einige Dächer waren verbrannt. Manche Häuserwände standen nicht mehr. Ihre Steine lagen verstreut am Boden. Man konnte den Esstisch oder das Bett sehen.

Trotzdem war das Bild der Opfer unerträglich. Das Leid stand ihnen im Gesicht geschrieben. Manche hatten ein Glied verloren. Vermutlich würden sie die nächste Nacht nicht mehr überleben. Die Familienangehörigen weinten. Es war für niemanden leicht zu wissen, dass eine geliebte Person bald starb.

Die Luft roch nach Asche. Der Rauch hatte sich noch nicht gänzlich gelegt. So konnte ich nur erahnen, welch ein Grauen letzte Nacht hier geherrscht haben musste.

Ich stieg von meinem Pferd ab und näherte mich langsam dem Lazarett. Neugierig sah ich mich um. Es gab nicht viele Helfer.

„Willkommen Mylady. Ich bin froh, dass Ihr uns helfen kommt. Wir haben bisher zu wenige helfende Hände gefunden“, begrüßte mich unser Kommandant Sir Lucien. Gestern ritten er und weitere unserer Soldaten hierher, um das Dorf zu verteidigen.

„Wie verlief die Schlacht?“, fragte ich nach und musterte ihn. Er schien keine merklichen Verletzungen abbekommen zu haben. Es beruhigte mich. Er besaß die größte Erfahrung im Kampf gegen die Braler.

Offiziell waren wir nicht im Krieg. Es fühlte sich lediglich anders an. Wir hatten nicht die Befugnis hinüber zu segeln und sie zu attackieren, ohne den Zorn anderer Königreiche auf uns zu ziehen.

„Es hätte besser verlaufen können. Eines Tages werden wir siegen.“ Lucien schien nicht überzeugt darüber zu sein. Auch er wusste nicht, wie viel das Volk noch ertragen konnte. „Wir sollten uns jetzt erst auf die Verwundeten konzentrieren.“

Pflichtbewusst näherte ich mich der ersten verletzten Person, die ich sah. Die Haut an seinen Armen blätterte ab von den Verbrennungen. Im Hintergrund hörte ich die schluchzenden Familien.

„Wie geht es Euch?“, fragte ich unnötig. Natürlich ging es ihm nicht gut. Besonders an den Tagen, an denen man nicht wusste, wer noch lebte und wer nicht.

„Es schmerzt alles“, stöhnte er, hatte nicht die Kraft dafür, mich anzusehen. Verständnisvoll nickte ich und wendete mich an Hektor.

„Geht bitte und holt mir etwas Wasser“, befahl ich ihm und überblickte die Anzahl der Verwundeten. „Ein Eimer müsste genügen erstmal.“ Es dauerte nicht lange, bis er ihn mir brachte. In der Zwischenzeit hatte ich erfahren, dass die verletzte Person Emryn hieß und in einem Fischerboot saß, als der Angriff anfing. An den Rest erinnerte er sich nicht mehr. Oder er wollte es mir nicht erzählen.

Nach all dem, was ich gesehen hatte, konnte ich mir aber denken, wie er zur Küste gekommen war. Niemand sollte eine solche Erfahrung machen. Die starke Strömung. Die unbarmherzigen Wellen, die gegen die Küste schlugen.

Ich bedankte mich bei Hektor, ehe ich dem Wasser befahl meiner Hand zu folgen. Sorgsam reinigte ich die Wunden und trug danach eine Salbe auf. Bevor ich mich der nächsten Person zuwenden konnte, hielt mich Emryn am Arm fest und wollte wissen: „Brale wird dies bereuen, oder?“

„Das verspreche ich Euch. Haltet dafür bitte die Nacht durch.“ Konnte ich etwas gegen Brale ausrichten? Besorgt sah ich zu der Insel. Konnten wir gegen das Königreich gewinnen? Das einzige, vor dem sich jedes andere fürchtete?

Das Festland bekriegte sich Jahrzehnte lang, bis sich der wahre Feind gezeigt hatte. Als Brales Truppen vermehrt unsere Küstenregionen angegriffen hatten und Verwüstungen hinterließen. Die vier Königreiche schlossen sich gegen Brale, aber bisher erfolglos. Bisher hatte es noch niemand über das Meer zu ihnen geschafft. Ihre Flotte war gut geschult.

Die Hauptstadt Marmers, das Königreich, in dem ich lebte, musste vom Meer ins Inland ziehen. Die fast täglichen Angriffe hatte niemand mehr ausgehalten, zum Schutz des Volkes und der Königsfamilie.In Augenblicken wie diesen fragte ich mich, ob es nicht für jeden besser wäre, sich der Küste abzuwenden.

Wäre das Meer und das Wasser nicht genauso wichtig für uns wie die Luft zum Atmen. Marmers Volk war dem Wasser schon seit Urzeiten sehr nahe. Wenige glückliche Menschen konnten das Element sogar kontrollieren, wir nannten sie Mächtige.

Ich war eine von ihnen, konnte dem Wasser durch meine Handbewegung befehlen, wohin es hinzugehen hatte. Selbst zur Selbstverteidigung konnte ich darauf zählen. Nur kostete jeder Einsatz Energie. Auch heute würde ich erschöpft an der Burg ankommen.

Einen nach dem Anderen half ich. Meine Kräfte wurden schwächer, dennoch hörte ich nicht auf. Jede Schnittwunde, jede Verbrennung und jede fehlende Hand wurden verarztet. Auch wenn ich mich vor dem herausquellenden Eiter ekelte, musste es getan werden. Dies war mein Volk. Und genau dieses brauchte Hilfe.

Bis ich auf das kleine Mädchen traf. Verängstigt und zusammengekaut saß sie auf dem Boden. Ihr Körper zitterte.

„Hey du“, begrüßte ich sie vorsichtig und kniete mich vor sie hin. Sie schüttelte sich.

„Wo sind Mama und Papa?“, schluchzte sie, sah nicht auf. Mein Herz rutschte mir in die Magengrube. Meine Augen durchsuchten die Umgebung nach einem Elternpaar. Keines schien ein Kind zu vermissen.

„Wie heißt du, Kleines?“, fragte ich sie. Würden wir ihre Eltern finden? Lebten sie noch?

„Anyst“, wisperte ihre schwache Stimme. Vorsichtig kam ich ihr näher und streichelte ihre Schulter. Ihr Körper fühlte sich eiskalt an.

Leise schlug ich vor: „Sollen wir gemeinsam deine Eltern finden, Anyst?“ Zum ersten Mal sah sie zu mir auf. Ihre blauen Augen glitzerten feucht, wirkten so dunkel. Sie war noch zu jung, um zu trauern.

Eifrig nickte sie. Gemeinsam gingen wir zwischen den Menschen hindurch. Immer wieder wollte ich von ihr wissen, wie ihre Eltern aussahen. Jedes Mal antwortete Anyst, dass ihre Eltern, wie sie selbst aussahen.

„Großmutter“, rief sie plötzlich und lief los. Überrascht musste ich erst realisieren, was geschah, ehe ich ihr hinterhereilte.

„Mylady Velia, womit haben wir die Ehre?“, verneigte sich die Frau, zu der das Mädchen gerannt ist. Ihr Augen hatten den gleichen dunkelblauen Farbton. Falten umrandeten sie, ließen ahnen, wie alt sie schon war. Sanft lächelte ich sie an.

„Ich habe Anyst alleine aufgefunden und wollte sicher gehen, dass sie ihre Familie findet.“

Hektor tippte auf meine Schulter und informierte mich: „Wir müssen aufbrechen, ehe es zu spät ist.“ Nachdem ich mich von Anyst verabschiedet hatte, ging ich zu meinem Pferd zurück. Die Heimreise würde zum Glück nicht allzu lange dauern. Die Sonne ging hinter dem Meer unter. Wir mussten uns beeilen, um nicht im Dunklen Heim zu kehren.

Unser kleiner Helferstrupp von zehn Leuten hing erschöpft in ihren Sätteln. Viele hatten dunkle Augenringe. Der Rückweg fiel länger aus, als wir anfangs gedacht hatten. Manche mussten wir wachhalten, damit sie nicht auf ihren Pferden einschliefen.

Die Sonne versteckte sich schon hinter der Schwärze der Nacht, als wir endlich den Berg zu unserer Burg erreichten. Mit letzten Kräften bezwangen wir auch diesen.

Mein Vater wartete schon auf uns. Seine ernste Miene lockerte sich etwas, als er mich wohlauf sah. Er nahm mich in seine Arme und drückte mich fest an sich, als er wisperte: „Jedes Mal, wenn du mit ihnen abreist, befürchte ich, dass ihr den Kriegern Brales zum Opfern fällt.“

„Vater, wir werden uns schon verteidigen können.“ Er sah über meine Schulter zu Hektor. Sie nickten sich zu.

„Ich habe Euch etwas im großen Saal zu sagen“, verkündigte mein Vater und ging voraus. Ich folgte ihm.

Wir waren nur einige wenige Stunden fort gewesen. Was konnte sich in dieser Zeit zugetragen haben? War es etwas Bedeutendes?

Wie selbstverständlich stellte ich mich neben meinem Vater und blickte zu unserem Wachpersonal. Jeden von ihnen kannte ich, seitdem ich klein war. Sir Hektor, meine Leibwache, Sir Ullwy, meinen Wassermächtigungslehrer, Sir Kalloy, der Kommandant der Burgsoldaten und Vater meiner besten Freundin, und Sir Lucien.

Neben Sir Ullwy stand ein mir unbekannter Mann. Seine Haare waren braun und nicht schwarz. Er war jung, etwas älter als ich. Vermutlich kam er aus Kreuk. Er stand zu weit entfernt von mir, um ihn besser zu erkennen.

Als sich alle gesammelt hatten, räusperte sich mein Vater: „Guten Abend meine geehrten Herren. Ich entschuldige mich für diese späte Einberufung. Doch ich möchte Ihnen alle die zweite Hauptleibwache für Lady Velia vorstellen. Sir Artreyu, kommt bitte her.“ Das fremde Gesicht kam näher. Er hatte graue Augen. Ich runzelte die Stirn, war mir nicht sicher, was ich darüber denken sollte. „Sir Artreyu ist der Sohn von Sir Gregor Renn aus Kreuk und einer Landlady aus Herzen. Anscheinend mischen sich dadurch auch die äußerlichen Merkmale. Ihr sollt alle wissen, dass er nicht aus Brale kommt. Er ist ein Erdmächtiger und ich denke, er wird Velia gut beschützen können.“

Artreyu verbeugte sich und hielt seine rechte Hand vor sein Herz. „Es wird mir eine Ehre sein, Euch zu schützen“, bekundete er, sah dabei auf den Boden.

„Ich vertraue auf Euren Schutz und Euren Mut“, erwiderte ich verunsichert. Konnte man ihm wirklich trauen?

So oft hatte ich von Lucien mitbekommen, dass Braler in keines der unseren Bekannten Schemen passten. Es war unmöglich zwischen Feind und Verbündeten zu unterscheiden.

Der Fremde stand auf und stieß zu Hektor hinzu. Der Leibwächter meines Vertrauens wirkte nicht viel begeisterter als ich es war. Ahnte er auch etwas Ungutes in ihm?

Nachdem mein Vater die anderen Wachen zur Nachtruhe entlassen hatte, schickte ich auch meine Wachen hinaus. Ich wollte mit ihm ungestört sein.

„Denkst du wirklich, man kann diesem Sir Artreyu trauen? Ist er nicht einfach ein Bastard?“, stellte ich ihn zur Rede, verschränkte meine Arme vor der Brust. Mit bebenden Lippen musste ich meine Stimme kontrollieren.

„Er ist ein wirklich starker Mächtiger und Sir Gregor hat einen sehr ansehnlichen Ruf. Wieso sollte ich also seinem Sohn nicht vertrauen?“

„Hast du schon jemanden mit einem gemischten Aussehen gesehen? Er hat braune Haare und graue Augen!“ So wie die Einwohner Brales.

„Und das wird ihn nicht aufhalten, dich zu beschützen Velia! Du vergisst, dass die Gefahr überall lauert.“

„Sir Hektor von Ansel wacht seit Jahren über mich. Bisher hat er uns nie enttäuscht! Ich stehe doch noch hier. Wieso dann noch eine zweite Wache?“, verlangte ich zu wissen. Artreyu war mir ein Dorn im Auge. Ich konnte ihm nicht sofort das Vertrauen geben, welches er brauchte für den Posten. Wieso musste er sofort die zweite Hauptleibwache werden? Es hätte auch eine einfache genügt.

Wir hatten auch andere Wachen, die ich schon seit Jahren kannte. Sie hätten ebenfalls Sir Hektor mehr unterstützen können oder als zweite Hauptwache ernannt werden können. Hauptsache es wäre eine Person gewesen, der ich mein Leben auch wirklich anvertrauen konnte.

Frustriert schüttelte mein Vater den Kopf: „Die Angriffe von Brale werden häufiger. Ich möchte sicher gehen, dass du nicht zu Schaden kommst bei euren Hilfestellungen. Hektor kann auch nicht immer alles sehen. Immerhin bis du am Königshof lebst, möchte ich, dass du so viel Schutz wie möglich erfährst.“ Es war hoffnungslos. Er würde mir nicht nur Hektor lassen. Er hatte zu große Angst. Wieder fragte ich mich, ob es an der Verlobung lag.

Wollte er mich so gerne als Königin neben Prinz Rylan sehen? Oder waren es ehrliche Ambitionen? Hatte er Angst, dass mir das gleiche Schicksal zukam, wie meiner Mutter?

Aufgebracht verließ ich den Saal und stampfte zu meinen Schlafräumen. Jendaline, meine Zofe, wartete dort schon auf mich und hatte ein Bad für mich vorbereitet.

„Vielen Dank Euch, Jendaline. Ein Bad täte mir vermutlich wirklich gut.“

Am nächsten Morgen frühstückte ich gemeinsam mit Iris. Ihre dunkelblauen Augen und schwarzen, welligen Haare ließen sie so zärtlich wirken. Ich schätzte ihre direkte Art. Sie war die einzige Freundin, die ich hatte.

„Ich verstehe einfach nicht, wieso eine zweite Wache mich jetzt mehr beschützen sollte“, seufzte ich und trank meinen Tee.

Sie lächelte mich nur an. „Hinterfrage es doch nicht. Wenn es der ist, der gerade vor deiner Tür stand, dann sei froh. So gut wie er aussieht, würde ich mich gerne von ihm retten lassen.“

Ich verdrehte die Augen und betrachtete die Wand. Artreyu war ansehnlich, aber das konnte mir zur Not nicht mein Leben retten.

„Hast du keine Angst, dass er… Der Feind ist?“ Meine Zweifel konnten sich über die Nacht nicht legen. Dafür sah er den Braler zu ähnlich.

„Vertraue deinem Vater. Er wird ihn schon geprüft haben. Er ist nicht ohne Grund der Berater des Königs. Und gib Sir Artreyu eine Chance. Vielleicht ist er ja zu mehr gut, als nur vor deiner Tür zu stehen.“

„Iris! Das gehört sich nicht!“ Entsetzt blinzelte ich und schüttelte den Kopf. Die Bilder in meinem Kopf mussten verschwinden.

Wir lachten, während ich weiter an Artreyu dachte.

„Gib ihm eine Chance, Velia. Wenn er dich verrät, wird ihm der Tot drohen.“

Sie hatte Recht, ich sollte nicht zu schnell urteilen.

Später empfing ich Artreyu in meinen Räumen. Ich konnte mich nicht gegen die Entscheidung meines Vaters wehren. Dafür konnte ich Verantwortung über meine eigenen Taten übernehmen. Dazu gehörte auch, dass ich meine neue Wache besser kennen lernen sollte.

Bei Tageslicht konnte ich seine Augen noch viel besser betrachten. Sie waren nicht einfach nur grau, tatsächlich lag ein silberner Schimmer in ihnen. Er überragte mich um einen Kopf.

„Mylady, Ihr wolltet mich sprechen?“, grüßte er mich.

„Ja, Sir Artreyu. Ich wollte Euch gerne kennenlernen, nun da Ihr in meinen Diensten steht. Ich möchte gerne wissen, wer mich beschützt.“

Er nickte, als wüsste er, was ich noch gestern mit meinem Vater besprochen hatte. „Was möchtet Ihr denn über mich wissen?“ Er faltete seine Hände und legte sie auf seinen Schoß.

„Als Ihr aufgewachsen seid, gab es da noch mehr mit einem Euch ähnlichen Aussehen?“ Normalerweise hatte jedes Königreich einen speziellen Typ – in Kreuk besaßen alle grüne Augen und braune Haare, in Herzen graue Augen mit blonden Haaren, in Miran gab es rotes Haar passend zum Feuerelement sowie braun-rote Augen und in Marmer gab es nur blaue Augen mit schwarzen Haaren. Ich hatte in den vier Königreichen noch nie jemanden getroffen, der von diesem Schema wich. Außer Artreyu.

„Nein. Die meisten töten ihre Kinder, wenn sie kein reines Aussehen besitzen. Deswegen zählt man schnell als Außenseiter.“ Seine Stimme klang kühl. Trat ich ihm mit dem Thema zu nahe?

„Oh, das tut mir leid. Wie kommt es, dass Eure Eltern Euch dennoch großzogen?“

„Meine Mutter starb bei der Geburt. Ich denke mein Vater wollte, dass sie noch an seiner Seite wäre. Nur was das nicht möglich. Ich möchte aber nicht alles von meiner Kindheit berichten“, erzählte er mir offen und ehrlich. Seine Augen wirkten betrübt. Was war ihm widerfahren?

Bisher hatte ich von niemanden erfahren, dass Kinder umgebracht wurden, nur weil sie in keinen Typ passten. Doch ich kannte auch niemanden, der an den Grenzen zu den anderen Königreichen lebte.

„Das klingt ja schrecklich!“

„So schrecklich war es nicht. Mein Vater zumindest hat sich nie für mich geschämt.“ Wir sahen uns an und ich begann sowas wie Mitleid mit ihm zu fühlen. Trotz all meiner Zweifel. Doch deswegen wollte ich ihn nicht treffen. Ich wollte nicht so gegenüber ihm fühlen.

„Wie sieht es bei Euch aus?“, fragte er mich nun und nahm sich ein Becher Wasser.

„Ihr trinkt keinen Wein?“, konnte ich mich nur äußern. Die meisten benutzten Wasser nur zum Waschen, zu groß war die Gefahr, dass man sich nach dem Verzehr kränklich fühlte.

„Mir gefällt die Wirkung nicht, wenn ich arbeiten muss. Aber nun würde ich auch gerne etwas über Euch erfahren, Mylady. Schließlich muss ich ja erfahren, ob Ihr Euch nachts öfter Mal aus dem Fenster schleicht.“ Ich lächelte, schüttelte den Kopf.

„Da kann ich Euch beruhigen, nachts schlafe ich. Sir Hektor hätte Euch das auch sagen können.“

„Auch keine heimlichen Reitausritte?“ Wieder schüttelte ich den Kopf und schenkte mir etwas Wein ein. „Was macht Ihr dann den ganzen Tag?“ Skeptisch musterte er mich, als wäre es unnormal sich an die Regeln zu halten.

„Nun abgesehen von neuen Wachen überrascht zu werden, habe ich Unterricht. Ich soll die beste Schule bekommen bis zu meiner Hochzeit. Seht, so vielen Gefahren bin ich nicht ausgesetzt. Und meine Ausritte finden nur geplant statt.“

„Das denkt Ihr wohl. Die Verlobte des Prinzen ist ein sehr begehrtes Ziel. Wäre ich ein Feind, so würde ich Euch stets im Blick behalten. Nichts wäre eine klarere Kriegsbotschaft, als Euch zu entführen.“ Mir wurde etwas unbehaglich zu Mute. So genau hatte ich nie darüber nachgedacht, aber er hatte Recht. Ich wendete mich zum Fenster zu und blickte zum Meer.

Würden sie es eines Tages versuchen? Oder hatten sie einen anderen Plan für mich? Wussten sie, dass ich existierte?

„Dann hoffe ich, dass Ihr dies zu verhindern wisst.“

„Selbstverständlich, Mylady.“

2

Zur gewohnten Zeit ging ich zu meinem Training. Mein Lehrer Sir Ullwy erwartete mich. Wasser überflutete den Boden, als ich die Kampfarena betrat. Überall am Rand standen große Container gefüllt mit Wasser.

Im Raum verteilt standen einige Männer unseres Wachpersonals. Sie waren alle Wassermächtige, außer Artreyu. Mein Vater wollte sie anwesend wissen, damit sie eingreifen konnten, falls jemand seine Fähigkeiten unterschätzte.

Pfeile aus Wasser flogen auf mich zu. Schnell reagierte ich, wich diesen aus.

„Ihr sollt nicht ausweichen, Ihr sollt kämpfen!“, begann mein Lehrer ohne große Umschweife mit dem Unterricht. Ich befahl dem Wasser zu mir zu kommen und auf meine weiteren Befehle zu warten. Aufmerksam beobachtete ich Sir Ullwys Bewegungen, parierte seine Angriffe und überlegte, wie ich ihn am besten überraschen konnte. Langsam ließ ich das Wasser an meinen Füßen gefrieren, verbesserte meinen sicheren Stand, versuchte seine Bewegungsfreiheit einzuschränken. Ein großer Schwall von Wasser überschwemmte ihn. Seine Arme waren im Eis eingesperrt, genauso wie seine Beine. Ich nutzte die Situation aus. Ein Kreis aus Wasser drehte sich um seinen Kopf. Triumphierend sprach ich: „Wäre dies ein richtiger Kampf, wäret Ihr jetzt tot.“

„Wiedermal ein sehr guter strategischer Kampf. Aber ich will endlich wissen, wie Ihr im Sturmangriff seid.“ Meine Eisfalle wurde gelöst. Er begab sich wieder in Kampfstellung. Das Wasser war wieder bei mir, wartete auf meinen erneuten Befehl.

Ich atmete flach, musste mich darauf konzentrieren, wie viel Kraft ich aufbrachte, um nicht zu schnell müde zu werden. Es hatte keinen Sinn, all seine Energie in eine Ausführung zu legen, wenn man danach nicht mehr mächtigen konnte.

Als der Kampf losging, formte ich zwei Kampfobjekte - einen Kraken und den Pfeil des Wassers. Ich musste nur einen benutzen, um meinen Gegner auszuschalten. Der Krake konnte jemanden erwürgen, während der Pfeil mitten ins Herz stechen würde. Blitzschnell ließ ich den Kraken einen Tentakel um Sir Ullwys Brust schmiegen und übte leichten Druck aus. Beim Training gab es eine wichtige Regel: Im Kampf durfte niemand willentlich verletzt werden. Dafür gab es richtige Kriege außerhalb der Mauern.

Zufrieden nickte er. Genau das hatte er erwartet.

Vorsichtig gab ich den Angriff auf. Jetzt würde es dazu übergehen, meine Bewegungen zu präzisieren und Fehler zu beheben, bis sich die ersten Anzeichen von Erschöpfung zeigten. Meine Augen flatterten und meine Konzentration ließ nach.

Denn auch trotz aller Komplimente, dass meine Kräfte so stark waren, hatte ich noch nie eine saubere Ausfertigung beherrscht. Meine Attacken schöpfen nicht mein ganzes Potential aus. Ich wusste, dass ich es besser konnte, doch ich musste üben.

„Habt Ihr schon mal einen richtigen Kampf gehabt?“, mischte sich Artreyu ein. Sir Ullwy hielt inne, musterte ihn grimmig.

„Sie sollte sich geschätzt fühlen, nie einen gehabt zu haben“, brummte er und wendete sich wieder mir zu. Er zeigte mir abermals, wie ich den Kraken richtig herbeirief.

„Sir Ullwy, ich will Eure Unterrichtsmethoden wirklich nicht in Frage stellen. Aber kann es sein, dass sie im Kampf vielleicht sauberer arbeitet, als wir denken? Hier in der Arena fühlt sie sich sicher, es kann ihr nichts passieren. Was ist außerhalb davon? Kann sie sich auch dann verteidigen? Übungsplätze…“

„Und Kriegsplätze sind vollkommen andere Dinge. Das weiß ich“, unterbrach Sir Ullwy ihn, noch immer nicht euphorisch. „Was schlägt Ihr denn vor?“ Gespannt sah jeder im Raum zu Artreyu. Würde sich Sir Ullwy wirklich auf seine Idee einlassen?

„Lasst mich gegen sie kämpfen. Ich werde sie nicht verletzen, immerhin ist es meine Pflicht sie zu beschützen. Wenn sie mit einem anderen Element konfrontiert wird, muss sie anders reagieren.“ Mein Körper spannte sich an. Die Wachen um uns herum wirkten ebenfalls überrascht, als mein Lehrer dem zustimmte.

Wir verließen die Kampfarena und gingen hinunter zum Meer. Meine Handflächen schwitzten. Was würde mich erwarten? War ich darauf schon vorbereitet? Würde ich denn wirklich den Erwartungen gerecht werden? Mein Magen rumorte und krampfte leicht.

Jemand mit ihren Kräften könnte jeden besiegen.

Ihr werdet niemand stärkeren finden. Sie ist wie gemacht für ihn.

Sie ist wirklich talentiert, so viel stärker als ihre Mutter.

Ich sah mich all den vergangenen Äußerungen konfrontiert. Wenn ich mich nicht gut schlagen würde, hieß es dann, meine Kräfte waren doch nicht so stark? Hatten sie sich stets getäuscht?

Mein Herz pochte wie wild gegen meine Brust. Das Blut in meinen Adern wusste nicht mehr in welche Richtung es fließen sollte. Wenn ich nicht aufpasste und auf meine Atmung achtete, würde ich in Ohnmacht fallen. Da war ich mir sicher.

Selbst das Getümmel der Stadt war nur ein Flüstern im Vergleich zu dem Rauschen in meinen Ohren. All die Erwartungen. All das Training. War ich bereit? Konnte ich es?

Die Mauern lagen hinter uns, aber ich fühlte mich, als stände ich noch in der Burg. Meine Augen konnten sich auf nichts fokussieren. Nicht mal auf das Meer.

Als wir die Küste erreichten, hatte sich mein Puls noch nicht beruhigt. Es rauschte in meinen Ohren, als ich mich in den sicheren Stand begab. Würde ich es schaffen?

„Dann fangt an“, eröffnete Sir Ullwy den Kampf. Die andere Version eines Trainings. Konzentriert tastete ich im Geist nach dem Wasser. Hörte das Meer an die Küste brechen, roch das Salz.

Spürte einen eisigen Luftzug.

Erschrocken riss ich die Augen auf und sah zu Artreyu. Was passierte gerade?

„Lady Velia, Ihr müsst schneller in den Kampf hineinkommen, ansonsten wäre das Euer tot gewesen“, tadelte Artreyu mich, betrachtete mich ernst. Hinter mir war ein großer Fels gelandet. Er wollte die Realität so nah wie möglich darstellen. Knapp nickte ich. Besser. Ich musste besser werden. Alle überzeugen.

Ohne weiter darüber nachzudenken, rief ich das Wasser zu mir und nutzte es als Schild. Noch nie zuvor hatte ich einen Erdmächtigen seine Kräfte gebrauchen sehen. Wie kämpften sie also? Wie würde ich ihn besiegen können?

Er wartete. Was hatte er vor? Welche Strategie sollte ich verfolgen? Ich dachte, er würde sofort wieder einen Angriff beginnen. Meine Deckung fallen zu lassen, schien mir nicht klug. Ich musste den ersten Schritt wagen. Doch nur wie? Was war seine Schwachstelle?

„Ihr überlegt zu viel“, zeigte er mir nun auf. „Im echten Kampf habt Ihr dazu keine Zeit.“ Es machte mich nervös und frustriert zugleich. Das war anders. Ich musste gegen Erde kämpfen. Wie sollte ich da gewinnen?

„Wieso sprecht Ihr dann mit mir?“, verlangte ich genervt zu wissen.

„Damit Ihr besser werdet. Ich wollte wissen, wie lange Ihr braucht, bis Ihr angreift“, erklärte er. Weiter. Er schoss die kleinen weißen Steine vom Strand zu mir.

Schon aus Reflex ließ ich meine Wand aus Wasser dagegen stoßen, stieß sie weiter zu Artreyu. Das Wasser-Stein-Gemisch traf ihn dann auch fast. Ich stoppte sie kurz davor, ließ sie auflösen. Hielt meine Nervosität mich zurück?

Nicht zu lange warten. Um mich herum formte ich die spitzen Eispfeile.

Unter mir begann es zu beben. Mein Körper fiel auf den Boden. Die Pfeile verflüssigten sich und ergossen sich auf meinen Körper. Irritiert sah ich auf. Artreyu stand über mir, hielt einen größeren Felsen über meinen Körper.

Frustriert stöhnte ich auf und richtete mich wieder auf. Langsam entfernte er sich von mir. Das Wasser schoss zu ihm, riss ihn wenige Meter mit. Endlich hatte ich es geschafft.

„Genug, das reicht“, griff Sir Ullwy ein. Schweiß tropfte meine Stirn hinunter.

Artreyu richtete sich auf, an seinem Arm haftete etwas Blut. Vorwurfsvoll machte ich einen Schritt auf ihn zu. Voller Reue flüsterte ich: „Es tut mir leid, ich wollte nicht…“

„Mir geht es gut“, winkte er nur ab und reichte mir dann die Hand. „Es war ein guter Kampf mit Euch.“ Wir schüttelten uns die Hände, ehe es wieder zurück zum Schloss ging.

Es war interessant gewesen. In meinen Augen hatte ich versagt, war zu undiszipliniert. Doch ich wusste jetzt besser, wo meine Schwächen lagen.

Auf dem Rückweg machte ich mir Vorwürfe. Ich hatte gegen eine Regel verstoßen. Artreyu schien mir dies nicht übel zu nehmen. Dunkle Gedanken wollten sich in meinen Kopf nisten, konnte mir nicht verzeihen.

„Das nächste Mal müsst Ihr die Welle sanfter machen. Es war noch immer ein Training“, rügte mich Herr Ullwy, ehe er mich gehen ließ. Das wusste ich selbst nur zu gut.

Später am Abend, als ich nicht einschlafen konnte, schlich ich mich hinunter zu den Ställen. Mein Pferd, Epilimia, schlief schon. Ich stellte mich vor ihren Stall und betrachtete einfach meine schöne Stute. Ihr Fell war so weiß und rein, dennoch war sie ein ziemlicher Dickkopf. An manchen Tagen bestimmte sie, wo wir lang reiten sollten. Aber ich liebte sie dafür.

In dieser Nacht bemerkte sie meine Anwesenheit nicht. Wenn ich nicht einschlafen konnte, kam ich oft zu ihr. Ich wollte sie nicht wecken. Mir reichte es aus, bei ihr zu sein. Zu wissen, dass es ihr es gut ging.

Nach einiger Zeit machte ich mich wieder auf den Rückweg. Die Müdigkeit wollte nicht kommen. Zu lange konnte ich nicht wegbleiben. Leise huschte ich durch die Gänge, in der Hoffnung niemanden zu begegnen.

Das Glück gönnte es mir nicht. Gerade als ich vor meinen Gemächern ankam, begegnete ich Artreyu. Verwundert musterte er mich.

„Wo wart Ihr?“, wollte er wissen. „Ich dachte, Ihr schleicht nicht herum? Gibt es doch einen heimlichen Liebhaber, über den ich etwas erfahren sollte?“

„Ich musste mir kurz die Beine vertreten.“ Ich trat weiter zur Tür und öffnete diese, wollte einfach nur weiterhin meine Ruhe haben. „Und nein, ich bin den Prinzen von Marmer versprochen. Außer ihm gibt keinen Mann und wird es auch nicht geben.“

„Wieso habt Ihr nichts gesagt? Sollten Sir Hektor oder ich dies nicht wissen als Eure Leibwachen?“ Frustriert atmete ich kurz durch.

„Ich bin doch nicht verloren gegangen. Ihr habt nur nicht mitbekommen, wie ich meine Gemächer verlassen habe.“

„Sagt das nächste Mal bitte Bescheid. Ich begleite Euch gerne durch die Burg. Jeder hat diese Nächte, in denen man nicht schlafen kann.“

„Seid wachsamer.“ Damit verließ ich ihn und schloss die Tür.

Die kalte, nächtliche Luft zog durch meine Räume. Sehnsüchtig trat ich an das Fenster und hörte das Meeresrauschen, welches sachte herüber wehte. Dieses Mal konnte es mich nicht beruhigen. Dieses Mal sah ich am Ufer ein Feuer.

Ohne zu zögern machte ich kehrt und wendete mich doch wieder an Artreyu. Er stand noch vor der Tür, schien sich nicht sicher zu sein, ob er wütend auf mich sein sollte. Seine Arme waren vor der Brust verschränkt, sein Blick richtete sich noch immer zu meinen Gemächern.

„Sir Artreyu, da ist etwas draußen.“ Überrascht blickten seine Augen zu mir hinüber.

„Was meint Ihr?“

„Da ist jemand am Ufer. Ich glaube, da will uns jemand angreifen.“ Seine Augen weiteten sich.

„Das kann nicht sein“, schüttelte er den Kopf. „Darf ich es sehen?“ Ich nickte. Schon wieder war er in meinen Räumen. Sein Körper spannte sich an, als er die Szene sah. Wieder schüttelte er den Kopf, schien die Welt nicht zu verstehen. „Bleibt hier. Ich werde alles Nötige einleiten.“

Ich wartete. Das Feuer blieb, konnte nicht wegsehen. Waren sie hier, um uns anzugreifen? Was ging dort vor? Die Antworten bekam ich jedoch nicht.

Ich erinnerte mich an Artreyus Worte. Wollte mich Brale tatsächlich entführen? Hatten sie einen Grund dafür gefunden?

Die Minuten fühlten sich unerträglich an. Mein Körper zitterte vor Unsicherheit. Ich brauchte doch nur ein paar Antworten. Am besten die Flammen erloschen und würden nie wiederauftauchen.

Nach einer Ewigkeit, als die ersten Sonnenstrahlen am Himmel erschienen, löste sich die die Szene auf. Erleichtert und erschöpft fiel ich ins Bett und schlief viel zu kurz.

3

Am nächsten Morgen musste mich meine Zofe Jendaline wecken. Unpünktlich traf ich beim Frühstück mit meinem Vater ein. Er war nicht begeistert darüber.

„Warst du wieder die ganze Nacht bei deinem Pferd?“

„Nein“, schüttelte ich den Kopf. „Ich konnte nur nicht einschlafen.“ Würde er mir etwas zu den nächtlichen Vorkommnissen sagen? Oder blieb das unter Verschluss, damit ich mich nicht sorgte?

Lustlos stocherte ich in meinem Essen herum. Das gekochte Ei roch himmlisch, doch mein Magen wollte nichts aufnehmen. Mein Vater verschlang genüsslich seinen Frühstücksteller, während meine Gedanken bei der Nacht hingen.

Hektor stand am Ende des Raumes. Er und Artreyu hatten ihre Schicht gewechselt. Artreyu konnte endlich schlafen. Was war gestern passiert?

„Hattest du eine angenehme Nacht?“, versuchte ich es also auf diesem Weg. Mein Vater nickte, so wie ich es geahnt hatte.

Neugierig und zu mutig fing ich also an: „Sir Artreyu hat dir also nichts gesagt?“

„Du warst also doch bei deinem Pferd?“ Widerspenstig schüttelte ich den Kopf. Wusste er nicht, was ich meinte? „Man sollte wirklich aufpassen, was du nachts treibst.“ Verärgert hörte ich auf. Etwas stimmte da nicht. Zumindest hätte er einen kurzen Satz darüber verloren. Er lobte niemanden noch beschwerte er sich über Brale. Als würde er von gestern nichts wissen.

„Sir Lucien kam gestern wieder zurück. Ich möchte, dass du heute Nachmittag bei unserer Sitzung dabei bist. Du sollst wissen, wie sich der Feind gerade verhält. Wenn du weiterhin erste Hilfe leisten möchtest.“

„Natürlich möchte ich das, Vater. Ich werde pünktlich vor Ort sein. Kann ich bis dahin mit Iris durch die Stadt gehen?“ Mein Vater sah von seinem Teller auf und betrachtete Hektor.

„Weckt Sir Artreyu. Ich möchte, dass Ihr zwei sie begleitet“, sagte mein Vater schließlich.

Schon immer konnte ich nicht ohne Begleitschutz aus der Burg gehen. Eine kleine Stadt hatte sich um unsere Burg herum entwickelt. Niemand konnte wissen, wer von ihnen gefährlich werden könnte.

Iris wartete schon auf mich vor dem Tor.

„Wie kommt es, dass wir heute die Stadt erkunden dürfen?“ Sie lächelte mich an. Wir umarmten uns.

„Ich habe mit meinen Augen gepunktet“, machte ich Spaß, versuchte die Nacht zu verdrängen. Gemeinsam warteten wir auf meine Wachen.

Sir Kalloy, ihr Vater, sprach mit dem Soldaten, der sie beschützen sollte. Er war ein loyaler Mann. Er war schon als Knappe immer unserer Burg verbunden gewesen. Ich kannte niemanden, der unsere Stadt besser bewachen konnte.

„Wir sind vollzählig“, verkündete Hektor hinter mir. Artreyu sah verschlafen aus. Solange konnte er nicht geschlafen haben bisher. Er tat mir fast leid.

Iris stieß mich mit dem Ellenbogen an. „Ist deine neue Wache doch besser, als erwartet?“

„Das kann ich noch nicht beurteilen. Bisher hatte er kaum Chancen gehabt, seine Fähigkeiten zu beweisen.“ Sie betrachtete den jungen Mann.

„Ich wünschte, ich hätte eine so gutaussehende Leibwache“, murmelte sie und hakte sich dann unter meinen Arm. „Lass uns jetzt aber zum Bäcker gehen. Ich sehne mich schon nach den Zimtschnecken.“

„Ist es dafür nicht etwas zu warm?“ Hektor lief hinter uns, während Artreyu mit Iris Wache vor uns waren.

„Doch nicht für Zimtschnecken“, lachte sie und drückte meinen Arm leicht.

Die Leute tummelten durch die Straßen. Die Händler verkauften ihre Lebensmittel. Sie waren glücklich und sicher hier. Die Burg lag nicht zu nah am Meer. Ein Angriff auf uns war unwahrscheinlich. Doch der gestrige Tag verunsicherte mich. Die Mauern konnten uns nicht vor allem beschützen.

Die Häuser aus Stein erstreckte sich eng nebeneinander über die Straße. Die Luft war, wie meist zu dieser Jahreszeit, sehr stickig und erdrückend. Der Wind gab hin und wieder eine leichte Brise ab. Es konnte die Hitze nicht erlöschen. Dafür wurde für genügend Trinkwasser gesorgt.

Auf den Straßen wuchsen keine Pflanzen. Zum Wohle des Häuserbaus wurden die Bäume gefällt. Später, mit den Straßen, wurden auch die Büsche genommen und somit blieb nur noch Gestein.

Es war aber nicht triste. All die Menschen versuchten mit bunten Fassaden die Farbe wieder in die Stadt zu bringen. Dennoch ersetzte es nicht die Natur, die wir außerhalb der Mauern noch betrachten konnten.

Wie immer duftete es himmlisch beim Bäcker. Einige Frauen mit Kindern standen an der Theke und wollten Brot kaufen. Kleinkinder quengelten über die Hitze. Artreyu stand dicht bei mir. Ich merkte, dass er angespannt war. Er schien konzentriert den kleinen Laden zu begutachten. Fürchtete er, dass uns hier jemand angreifen könnte?

„Entspannt Euch, es ist nur eine Bäckerei“, flüsterte ich ihm zu und stellte mich hinter der Schlange an. Ich wollte nicht anders als die Anderen behandelt werden.

„Das heißt nicht, dass Ihr hier sicher vor Banditen seid“, erwiderte er verkrampft.

Der Bäcker erkannte mich. So wie immer ignorierte er die anderen Kunden, damit ich meine Bestellung abgegeben konnte. Ich beschwerte mich nicht, wusste es wäre heuchlerisch in deren Augen.

Mit einem Gebäck für jeden gingen wir weiter durch die Straßen. „Iris denkst du, wir könnten wieder auf die Stadtmauer?" Wir blickten auf die Häuser vor uns. Man konnte die Mauer hinter ihnen nicht erkennen. Sie war zu weit entfernt.

„Dann werdet Ihr nicht rechtzeitig zur Besprechung mit Sir Lucien zurück sein, Mylady“, verneinte Hektor, ehe Iris reagieren konnte. „Der Markt wäre ein besseres Ziel.

Ich biss mir auf die Lippe. Die Ratssitzung. Fast hatte ich sie vergessen. Nachdenklich knabberte ich an meiner Zimtschnecke. Die Menschen um uns herum bewegten sich weiter, gingen ihren Pflichten nach.

„Auf dem Markt passiert nie etwas“, meinte Iris. „Können wir durch die Straßen spazieren? Lady Velia darf nur so selten hier her.“ Ziellos erkundeten wir die Stadt.

Manchmal sprachen uns die Menschen an, wollten mir ihr Leid mitteilen. Sie wussten kaum, wie gut sie es hatten im Vergleich zu anderen. Es flüchteten nur sehr wenige zu uns. Die meisten blieben in ihren kleinen Dörfern oder zogen gleich weiter ins Inland. Nach all den Jahren wendete sich Marmers Volk dem Meer ab.

Auf dem Weg zurück hoffte ich, dass ich bald mit Artreyu allein reden konnte. Ich wollte endlich erfahren, was sich gestern zugetragen hatte. Vermutlich stellte ich mir die Situation bedrohlicher vor, als sie gewesen war.

Doch bei der Burg angekommen, verließ Artreyu uns recht schnell wieder, um zu schlafen. Heute Nacht würde er wieder vor meiner Tür stehen. Spätestens dann erhielt ich meine Chance.

Davor nahm ich Platz neben meinem Vater im großen Saal. Die Sitzungen verliefen meist im gleichen Schema. Jeder Hauptmann konnte sagen, was gut und was weniger gut lief. Danach erörterte mein Vater, wie man die Probleme beseitigen könnte.

Ich nahm schweigend teil. Solange ich alle wichtigen Informationen mitbekam, war es genug. Man verlangte von mir, dass ich meine Ideen für mich behielt. Es hielt mich nicht auf, sie meinen Vater später vorzuschlagen.

Als Lucien endlich seinen Bericht vorstellen konnte, horchte ich auf. „Die Angriffe scheinen sich zu häufen. Brale scheint einen größeren Plan zu haben. Auf unseren Ritt zurück haben wir eins ihrer Boote entdeckt. Wir müssen damit rechnen, dass wieder Spione zu uns gesandt wurden.

Langsam lässt unsere Streitmacht nach. Wir haben viele Verwundete, die ich für den nächsten Angriff nicht mitnehmen kann. Wir brauchen dringend mehr Soldaten, um die Küste weiterhin schützen zu können.“

„Wieso unterschützt der König nicht unser Unterfangen? Er müsste ebenfalls daran interessiert sein, dass Brale uns nicht einnimmt. Wir können nicht allein gegen das Königreich kämpfen!“, beschwerte sich Sir Kalloy. Grimmig rümpfte er die Nase. Laut krachte seine Hand gegen den Tisch.

Jeder widmete ihm seine Aufmerksam. Mein Vater stand auf. „Es hilft uns nicht, wenn wir uns streiten. Die Burg ist sicher zurzeit und das soll auch so bleiben. Wir können nicht mehr Männer entsenden, Sir Lucien. Was sollen die Menschen hier denken?“