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Jesse Evans ist ein Pferdetrainer mit Geldsorgen. Widerwillig beschließt er, seine Dienste auch privaten Pferdebesitzern anzubieten. Als seine erste Kundin auf der Ranch auftaucht, glaubt er, sofort zu wissen, wen er da vor sich hat: ein verwöhntes Citygirl ohne Pferdeverstand, das sich einen wilden Mustang gekauft hat, weil es ein Abenteuer ist. Dass Lauren diesem Klischee keineswegs entspricht, erkennt der grimmige Cowboy erst an seinen ein ums andere Mal scheiternden Versuchen, sie wieder loszuwerden. Für Lauren ist klar: Sie wird alles dafür geben, dass es diesem Pferd gut geht, das ihr mehr bedeutet, als Jesse ahnen kann. Sie wird sich nicht kleinkriegen lassen. Der erste Teil der neuen Reihe um die Cowboys der Hare Creek Ranch
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Veröffentlichungsjahr: 2025
HARE CREEK RANCH
BUCH EINS
Contentwarnung
1. Lauren
2. Jesse
3. Lauren
4. Jesse
5. Lauren
6. Jesse
7. Lauren
8. Jesse
9. Lauren
10. Jesse
11. Lauren
12. Jesse
13. Lauren
14. Jesse
15. Lauren
16. Jesse
17. Lauren
18. Lauren
19. Jesse
20. Lauren
21. Jesse
22. Lauren
23. Jesse
24. Lauren
25. Jesse
26. Lauren
27. Jesse
28. Lauren
29. Jesse
30. Lauren
31. Jesse
32. Lauren
33. Jesse
34. Lauren
35. Lauren
36. Jesse
37. Lauren
38. Jesse
39. Lauren
40. Jesse
41. Lauren
42. Jesse
43. Jesse
44. Lauren
45. Jesse
46. Lauren
47. Lauren
48. Jesse
Lauren
Connor
Bücher dieser Reihe
Danksagung
Über die Autorin
Möglicherweise triggernde Inhalte
Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek
Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.
ISBN: 9783754626689
© 2023 N.D. Vilchez
Coverdesign: Kleines Glück Design
Bildmaterial: Desposit Photos
Korrektorat: Francy Schneider (Wortspatz.korrektur)
Innendesign und Buchsatz: Kleines Glück Design
Alle Rechte vorbehalten
Nadine Domingues Vilchez
c/o Kleines Glück
Am Vorderflöß 48
33175 Bad Lippspringe
Liebe Leserinnen und Leser,
diese Geschichte könnte eventuell triggernde Themen enthalten. Solltet ihr euch nicht sicher sein, ob euch diese Trigger betreffen, könnt ihr sie im Anhang nachlesen. Achtung: Die Auflistung könnte Euch für die Story spoilern.
Die Seele des Pferdes äußert
sich nur denjenigen, die sie suchen.
- Gustav Rau -
Die Haustür gibt ein empörtes Knarren von sich, als ich sie mit mehr Schwung als nötig aufstoße. Schnaubend werfe ich sie ebenso fest hinter mir zu.
Ich stapfe schnurstracks in mein Zimmer und schleudere die Tasche in eine Ecke, bevor ich mich bäuchlings auf das Sofa fallen lasse und in ein Kissen schreie, so laut ich kann. Und tatsächlich hilft es, ein wenig von dem Druck abzulassen, der die ganze Zeit über auf meiner Brust saß. Aber leider nicht komplett. Mit einem frustrierten Seufzen rolle ich mich auf den Rücken und nehme eine Bewegung im Augenwinkel wahr. Im Türrahmen steht meine Mitbewohnerin Tiffany und sieht mich mit zusammengekniffenen Augen und schräg gelegtem Kopf an, als müsste sie ein Rätsel lösen.
„Na, du hast aber eine hervorragende Laune“, sagt sie und kommt herein. Sie lässt sich auf den Drehsessel fallen, der vor dem Schreibtisch steht, und beobachtet mich erwartungsvoll. Ich setze mich ächzend auf und drücke das Kissen gegen meinen Bauch.
„Also, mit mir ist alles in Ordnung, keine Sorge. Nur leider sind Männer dumme Arschgeigen.“
„Oh je, das klingt gar nicht gut. Was ist passiert?“ Sie sieht mich mitleidig an und entlockt mir damit ein Lächeln.
Als ich sie bei ihrem Einzug hier ins Haus kennen gelernt habe, hätte ich nie gedacht, dass dieses ruhige, sensible Mäuschen und ich einmal so enge Freundinnen werden würden, so verschieden wie wir sind. Jetzt wohnen wir schon seit vier Jahren gemeinsam mit unserer dritten Mitbewohnerin Savannah hier im Univiertel von Las Vegas und sind sozusagen an den Herzen zusammengewachsen.
Ich atme einmal tief durch und straffe die Schultern. „Mein dummer Ex hat mir den Auftrag weggeschnappt, auf den ich mich die letzten Tage vorbereitet habe. Ich hatte heute Vormittag den Termin mit dem Auftraggeber und habe eine Absage bekommen. Ich frage mich ernsthaft, warum die einen extra dahin bestellen. Eine freundliche Absage per Email hätte es auch getan. Und dann wäre ich Brandon nicht in der Lobby in die Arme gelaufen“, poltere ich drauf los.
„Der Brandon, mit dem du in der Uni zusammen warst? Der war doch nett.“ Tiffany sieht mich mit gerunzelter Stirn an. „Das mit dem Auftrag tut mir natürlich leid.“
„Danke, den hätte ich wirklich gut gebrauchen können. Ich habe keine Lust, meine Mutter und ihren Sugardaddy um Geld bitten zu müssen. Und nein! Brandon ist nicht nett. Er ist ein arroganter Spinner. Kannst du dir das vorstellen? Er hat mir erst unter die Nase gerieben, dass er den Zuschlag bekommen hat, und fragt mich dann, ob wir uns nicht mal wieder auf einen Kaffee treffen wollen. Der kann sich selbst – “
„Das hat er bestimmt nicht böse gemeint“, unterbricht meine Freundin mich, bevor ich richtig ausfällig werden kann. Sie ist kein besonderer Fan von der kraftvollen Ausdrucksweise, die Savannah und ich manchmal an den Tag legen.
„Los, Themenwechsel! Lass uns nicht noch mehr Zeit mit dem Idioten verschwenden“, sage ich und mache eine wegwerfende Handbewegung, „Was läuft bei dir?“
Sie legt stöhnend den Kopf in den Nacken. „Ich hasse meinen Job.“
Das kann ich nachvollziehen. Da ihr Vater einen Großteil ihres Uni-Geldes von ihrem Konto abgehoben und im Casino verspielt hat, musste sie vorzeitig mit dem Studium aufhören. Darum jobbt sie in einem Diner und muss jeden Morgen ab halb sechs schlecht gelaunten Leuten Kaffee nachschenken.
„Vielleicht sollten wir komplett umdenken“, sage ich und lasse mich zur Seite fallen. „Wir wandern gemeinsam aus und eröffnen einen Kokosnussstand auf Jamaika.“
Tiffany kichert und lehnt sich dann seufzend zurück. „Ja, das könnte mir gefallen. Aber wie überzeugen wir Savannah davon, ihren Job beim Magazin und die Partys aufzugeben, um mit uns in einer Papphütte am Strand zu leben?“
Ich antworte mit einer wegwerfenden Handbewegung. „Na ja, Partys gibt es da auch, nur mit weniger Bling Bling. Wir sollten es ihr vorschlagen, sobald sie Feierabend hat.“ Wir lachen beide.
„Ach!“, ruft sie plötzlich und setzt sich mit einem Ruck wieder auf. „Wo du gerade Feierabend sagst: Heute Mittag hat jemand für dich angerufen.“ Ich richte mich ebenfalls auf.
„Wer denn?“
„Irgendjemand vom Krankenhaus. Warte, ich hab´ es aufgeschrieben.“ Sie erhebt sich eilig und geht aus dem Zimmer.
Aufgeregt folge ich ihr. „Krankenhaus? Ist irgendetwas passiert? Warum hast du nicht früher was gesagt?“
„Nein, nein“, sagt sie entspannt, während sie zu ihrem Schreibtisch geht. „Sowas hat er nicht erwähnt. Du sollst zurückrufen, sobald du wieder da bist. Wenn es was Dringendes wäre, hätte er dich doch auf der Arbeit anrufen wollen. Oder nicht?“
Ihre bestechende Logik beruhigt mich etwas. Ich nehme den Zettel entgegen, den sie mir hinhält.
„Pfleger Philipp, Nathan Adelson Hospiz“, lese ich. Dann sehe ich Tiffany mit gerunzelter Stirn an.
„Hospiz? Ist das nicht ein Krankenhaus, wo die Leute zum Sterben hingebracht werden?“
„Ja, ich glaube schon“, sagt sie und sieht mich an, „Kennst du jemanden, der schwer krank ist?“
„Nicht, dass ich wüsste“, antworte ich nachdenklich. Ich gehe langsam zurück in mein Zimmer und hebe die Tasche vom Boden auf. Als ich endlich das Handy herausgefischt habe, sehe ich mir noch einmal den Zettel an. Meine Hände zittern.
Eigentlich kann es nur um eine einzige Person gehen.
„Clive Adams sucht für seinen Viehtrieb nächsten Monat noch Leute, hast du dich schon bei ihm gemeldet?“
Connor sieht mich fragend an und nippt dann an seinem Bier. Ich nehme meine Flasche ebenfalls vom Tisch und trinke einen Schluck, bevor ich nicke.
„Jep, ich bin dabei. Clive hat mich sofort angerufen, als er mit der Planung angefangen hat. Er weiß, dass ich Geld brauche.“
Er verzieht das Gesicht zu einem jungenhaften Grinsen und hebt die Flasche in meine Richtung.
„Perfekt, Mann. Ich freu mich drauf, deinen faulen Arsch mal wieder über die Felder zu scheuchen und dir nachts Bier in die Unterhose zu schütten.“
Hinter mir lacht Zaine laut auf, der gerade von der Bar an den Tisch zurückkommt und neue Bierflaschen vor uns verteilt. Er lässt sich mit einem Ächzen auf seinen Stuhl fallen und grinst uns beide an.
„Wie in den guten alten Zeiten“, sagt er. Ich lächle ebenfalls. Ich bin sicher, wir haben alle die gleichen Bilder im Kopf. Früher haben wir jeden Viehtrieb und jedes Rodeo mitgenommen, die für uns erreichbar waren. Und wir haben uns gefühlt wie harte Kerle. Mein bester Freund Connor und ich waren wie siamesische Zwillinge und haben als Kinder schon immer die Schafe von den Nachbarn mit unseren Ponys durch die Gegend gescheucht. Zum Missfallen der Schafe und ihrer Besitzer. Connor bekam üblen Ärger zu Hause. Mein Vater war zufrieden damit, dass aus uns scheinbar richtige Männer werden würden. Diese Meinung hielt in Bezug auf mich allerdings nicht lange an.
Zaine reißt mich aus meinen Gedanken, als er weiterspricht. „Wie läuft‘s mit den Mustangs? Du bist nächste Woche wieder in Canon City, oder?“
Ich nehme meinen Hut ab und reibe mir mit der Hand über das Gesicht.
„Ja, bin ich. Ich frage mich nur, ob sich der Aufwand langfristig lohnt.“ Connor trinkt noch einen Schluck und sieht sich in der Bar um, aber ich erkenne das Grinsen, das er zu verstecken versucht. Er weiß, dass ich mich immer noch hin und wieder zum Vögeln mit meiner Ex-Freundin treffe, wenn ich in Canon City bin. Zaine weiß nichts davon. Er sieht mich fragend an.
Ich seufze. „Die Jungs da hinten brauchen jede Hilfe, die sie kriegen können, aber es ist eine ganz schöne Strecke für die paar Kröten und Connor muss sich jedes Mal um die Ranch kümmern, wenn ich weg bin. Das ist es nicht wert.“
Dass ich mir die Treffen mit Susan ebenfalls abgewöhnen will, weil sie mir zu anhänglich wird, erwähne ich natürlich nicht. Mein Freund richtet seine Aufmerksamkeit wieder auf mich.
„Ich hab dir schon mal gesagt, dass du dich beim BLM als niedergelassener Trainer eintragen lassen solltest“, sagt Connor.
Und ja, das hat er vorgeschlagen. Das Büro für Landmanagement kümmert sich um die Population der wild lebenden Mustangs in den umliegenden Staaten und fängt jährlich eine große Anzahl von ihnen ein, um sie dann auf verschiedenen Wegen an Privatleute zu verkaufen. Dafür müssen sie erst trainiert und an Menschen gewöhnt werden. Letztlich ist es das, was ich in Canon City bei einem Insassenprojekt des Gefängnisses gemeinsam mit ein paar Häftlingen mache. Aber mir die Leute ins Haus zu holen, die in einem Anflug von Selbstüberschätzung ein wildes Pferd adoptieren oder ersteigern … ich weiß nicht, ob ich dazu bereit bin.
„Connor“, stöhne ich deshalb, „Ich habe es dir schon gesagt. Ich würde das sofort tun, wenn es nur um die Pferde ginge.“
„Ich finde die Idee super“, wirft Zaine dazwischen und Connor stößt dankbar mit ihm an. Ich lasse das Gesicht in meine Hände sinken. Nach ein paar tiefen Atemzügen versuche ich es nochmal.
„Ich kann den Job nicht machen, ohne den Besitzer mit einzuspannen. Und die meisten von diesen neureichen Hippies mit Helfersyndrom können nicht mal reiten.“
Die beiden starren mich an. Zaine schüttelt den Kopf.
„Geld stinkt nicht, Mann. Du kannst nicht alle retten. Wenn jemand dir ein Pferd ins Training gibt, trainierst du es und stellst keine Fragen.“ Connor nickt.
„Genau das. Es geht schließlich um deine Ranch. Verlier sie nicht, weil du zu viel über die Probleme anderer nachdenkst.“
Er weiß, dass er einen wunden Punkt erwischt, hebt aber nur herausfordernd die Augenbrauen, als ich ihn anfunkele.
Ich habe die Ranch vor einem Jahr hoch verschuldet von meinem alten Herren geerbt und halte mich seitdem Monat für Monat so gerade eben über Wasser. Mein Vater war immer zu stur und eingefahren gewesen, um neue Wege zu gehen, und hat sich selbst als Cowboy ‚vom alten Schlag‘ verstanden. Ein Grund, weshalb ich die Jahre vor seinem Tod eher auf Abstand geblieben war. Meine ‚Softie-Methode‘ der Pferdeausbildung hat er nie gutgeheißen und blieb bis zuletzt der Meinung, ein ordentliches Reitpferd müsse gebrochen werden und ein Untergebener sein, kein Partner.
Jetzt ist es offenbar an mir, mit der Sturheit aufzuhören, wenn ich mein Zuhause behalten möchte.
„Ist ja schon gut“, knurre ich. „Ich hab‘s verstanden. Ich denke darüber nach.“
Er lacht. „Mehr will ich gar nicht.“
„Miss McKay? Danke für ihren Rückruf.“ Die Stimme von Pfleger Philipp klingt sympathisch.
Das beruhigt mich ein bisschen. Trotzdem sitze ich hier mit zappelnden Beinen auf der Couch und bekomme meinen Puls nicht in den Griff. Ich habe zwar eine Ahnung, um wen es bei seinem Anruf geht, aber ich wage es nicht, darüber nachzudenken. Ich atme durch, um wieder sprechen zu können.
„Weswegen haben sie mich denn angerufen?“ Meine Stimme klingt ein bisschen dünn.
Der Pfleger holt nun auch Luft, bevor er antwortet. Ihm scheint dieses Telefonat ebenfalls nicht leicht zu fallen. „Es geht um ihren Vater, Miss McKay. Er ist hier bei uns in der Palliativpflege und möchte sie noch einmal sehen. Er hat mir erzählt, dass sie in den letzten Jahren keinen Kontakt hatten.“
Die letzten Jahre. Die Untertreibung des Jahrhunderts. Ich habe meinen Vater zuletzt gesehen, als ich zehn war. Aber ich gehe nicht darauf ein. Erstens kann der gute Philipp nichts dafür und zweitens gibt es gerade wichtigere Fragen zu klären.
„Palliativ? Was bedeutet das?“
Er räuspert sich. „Es tut mir leid, ihnen das am Telefon erklären zu müssen“, sagt er mit ruhiger Stimme. „Mit ihrem Vater geht es zu Ende. Er ist schwer krank und wird nicht mehr lange leben.“
Ich schnappe nach Luft, obwohl ich es ja insgeheim schon wusste, seit ich das Wort Hospiz auf dem Zettel gelesen habe. Ich habe sofort geahnt, dass es um ihn geht.
„Wann kann ich kommen?“, frage ich eilig. Wenn er mich noch einmal sehen will, werde ich diese Chance nicht ungenutzt verstreichen lassen. Er hat mich viel zu lange nicht mehr treffen wollen. Dabei sind wir früher ein tolles Team gewesen.
„Jederzeit. Melden sie sich einfach auf Station drei.“
Ich nicke. Als er sich wieder räuspert, bemerke ich erst, dass er es nicht sieht.
„Ja okay, ich mache mich gleich auf den Weg.“
* * *
Eine Stunde später sitze ich auf einem bequemen Ledersessel im Wartebereich von Station drei und warte darauf, dass Pfleger Philipp mich abholt und zu meinem Vater bringt. Ich bin total durch den Wind und habe erst festgestellt, dass ich bis auf das Handy alles vergessen habe, als ich im Blumenladen ein Mitbringsel kaufen wollte. Jetzt muss es ohne gehen.
Ich höre Schritte näherkommen und blicke auf. Vor mir steht ein rundlicher, dunkelhäutiger Mann mittleren Alters, der mich aus sanften, braunen Augen ansieht und lächelt.
„Hallo Miss McKay. Ich bin Philipp.“
Ich stehe auf und reiche ihm die Hand. Sein Lächeln zu erwidern, gelingt mir gerade nicht.
„Hallo Philipp. Sie sind der Pfleger meines Vaters? Können sie mir sagen, was er hat und wie es ihm geht?“ Er nickt.
„Genau. Ich betreue ihren Vater, seit er vor drei Wochen zu uns kam.“
Drei Wochen lang ist Dad schon hier. Nur einen zwanzigminütigen Fußweg von unserem Haus entfernt, und ich hatte keinen Schimmer.
„Ihm geht es inzwischen den Umständen entsprechend gut. Er spricht zufriedenstellend auf die Medikamente an“, erklärt er und in mir keimt Hoffnung auf.
„Also wird er behandelt?“, frage ich und bei meinem hoffnungsvollen Ton sehe ich plötzlich Mitleid in seinen Augen.
„Er bekommt hauptsächlich Schmerzmittel, die ihm den Weg erleichtern“, sagt er nur. Der Rest schwingt unausgesprochen mit: Gesund wird Dad nicht mehr werden. Ich atme durch und blinzle die Tränen weg, die sich in meinen Augen bilden.
„Okay, kann ich dann zu ihm?“
„Natürlich“, antwortet der Pfleger und bedeutet mir, ihm zu folgen. „Er ist ziemlich schwach und wird schnell müde. Seien sie nicht enttäuscht, wenn er mitten im Gespräch eindöst“, erklärt er, während wir den freundlich gestalteten Gang entlang gehen. Hier sieht es gar nicht aus wie in einem Krankenhaus. Eher wie in einem schicken Wohnheim. Zumindest, wenn man die Pfleger nicht beachtet, die geschäftig umher eilen.
Nach dem Eintreten sehe ich als erstes das riesige Krankenbett. In der Mitte, fast zwischen den Kissen versteckt, liegt mein Vater. Er ist so dünn, dass ich erschrocken in der Bewegung innehalte. Aber sobald er mich breit anlächelt, sieht er wieder fast so aus wie damals. Ich habe sein Lächeln immer schon so sehr geliebt. Es fühlt sich warm an auf der Haut und dringt durch die Poren bis in mein Innerstes. Meine Schultern entspannen sich merklich und ein Teil des Drucks der letzten Stunden fällt von mir ab.
„Sehen Sie mal, wen ich im Flur eingesammelt habe“, sagt Philipp und deutet auf mich. Plötzlich muss ich auch grinsen. Ich hebe die Hand wie ein schüchternes Kind.
„Hey, Dad.“
Der Pfleger rückt mir einen Stuhl zurecht und ich nehme neben dem Bett Platz. Mein Vater betrachtet mich eine Weile eingehend.
„Meine kleine Feldmaus. Du bist groß geworden“, sagt er und bei der Erwähnung des alten Kosenamens muss ich lachen. All die Wut und Enttäuschung, die ich in den letzten 15 Jahren empfunden habe, weil er mich im Stich gelassen hat, weichen schlagartig der Erleichterung, ihn noch einmal sehen zu können.
* * *
Sobald ich das Hospiz verlasse, ziehe ich das Handy aus der Hosentasche und wähle die Nummer meiner Mutter. Es klingelt einige Male, bevor sie mit ihrer nervtötend nasalen Stimme antwortet.
„Lauren“, sagt sie gedehnt, „was verschafft mir die Ehre? Habe ich etwa schon wieder Geburtstag?“
Diese Vorwürfe kann sie sich sparen. Ich brenne innerlich vor Wut.
Ohne Begrüßung feuere ich direkt meine Fragen auf sie ab: „Stimmt es, dass du Dad verboten hast, mich zu sehen? Dass du ein Kontaktverbot gegen ihn erwirkt hast, damit er im Knast landet, wenn er sich mir nähert?“
Es entsteht eine Pause, die mir eigentlich schon Bestätigung genug sein müsste. Aber ich will es aus ihrem Mund hören.
„Antworte mir“, fahre ich sie an, während ich die stark befahrene Straße entlang marschiere, als wäre ich auf dem Kriegspfad. Was ja auch irgendwie zutrifft.
„Hat er dir das erzählt?“, fragt sie in einem derart vorwurfsvollen Ton, dass sich mir die Nackenhaare sträuben.
„Ich habe dir eine Frage gestellt, Mutter. Und ich erwarte eine Antwort“, schieße ich zurück. „Obwohl ich sie durch deine Reaktion eigentlich schon habe. Es stimmt, nicht wahr?“
„Wir sollten uns in Ruhe zusammensetzen und darüber reden.“
„Ja oder nein? Hast du behauptet, er wäre gewalttätig, damit er sich von mir fernhalten musste?“ Wieder entsteht eine Pause. Dann sagt sie leise: „Ja.“
Ich lege auf. Und vergieße endlich die Tränen, auf die ich schon seit heute Mittag warte.
* * *
Am nächsten Morgen ruft Philipp mich an, um mir mitzuteilen, dass mein Vater in der Nacht gestorben ist. Er sei glücklich über unser Treffen gewesen und habe gestern Abend so zufrieden gewirkt, erzählt der Pfleger mir. Und dann ist er eingeschlafen und nicht mehr aufgewacht. Das sei wirklich wünschenswert. Ich verstehe, was er meint … Aber mir hilft der Gedanke nicht.
Ich hatte nicht genug Zeit.
Ich sitze wie gelähmt auf dem Sofa und starre auf die beiden Fotos, die er mir gestern gegeben hat. Das Eine zeigt uns vor etwa 16 Jahren auf zwei Pferden. Wir waren früher oft im Red Rock Canyon ausreiten. Sein Freund Adam hatte eine Farm im Westen von Vegas, die Dad so oft wie möglich mit mir besuchte, um Zeit mit den Pferden zu verbringen. Mein Vater war schon immer ein Cowboy im Körper eines Bänkers. Er war nicht besonders gut im Sattel, aber es hat ihm Spaß gemacht. Das war alles, was für ihn zählte. Und auch ich habe mich jedes Mal über einen Besuch bei Adam gefreut. Es war eine tolle Zeit.
Das zweite Bild zeigt ein Fohlen, das hinter seiner Mutter steht und in die Kamera sieht. Es ist von Kopf bis Fuß mit rotbraunen Flecken übersäht. Aber nicht solche wie bei einer Kuh, die gleichmäßige Ränder haben. Viel mehr sieht es aus, als hätte jemand ein weißes Pferd wild mit Farbe bespritzt. Dad sagte, er dachte sofort, dass es aussieht wie ein Puzzle, bei dem überall verstreut noch Teile fehlen.
„Darum habe ich sie Jigsaw genannt. Ich war vom ersten Augenblick an verliebt in sie“, sagte er, bevor ein Hustenanfall ihn durchschüttelte.
Ich betrachte das Bild und verstehe, was er meinte. Sie ist wirklich zuckersüß. Er berichtete mir, dass er das Foto gemacht hatte, als er einmal mit einem Freund unterwegs war, um die Mustangs in der Steppe von Nevada zu kontrollieren. Scheinbar ist er über die Jahre ein besserer Reiter geworden.
Als Tiffany in die Wohnung kommt, zucke ich erschrocken zusammen und sehe auf die Uhr. Es ist schon Mittag. Wie lange habe ich hier gesessen?
Meine Freundin wirft einen Blick auf mich und die Fotos in meinen Händen und kommt sofort zu mir. Sie zieht mich in ihre Arme und streichelt mir über den Kopf, während sie mich weinen lässt. Sie muss nicht fragen, was los ist.
Ich sehe ihre grellrot gefärbten Haare, sobald ich die Bar betrete, und unterdrücke den Impuls, sofort auf dem Absatz umzudrehen. Als sie mich entdeckt, lächelt sie und winkt mir fröhlich zu. Dabei verrutscht der ohnehin schon große Ausschnitt ihrer roten Bluse so weit, dass ein Streifen ihres spitzenbesetzten BHs zum Vorschein kommt. Ganz schön billig, denke ich und frage mich, wie ich für diese Frau einmal ernsthafte Gefühle haben konnte. Ich war so verblendet, dass ich sogar daran gedacht habe, ihr einen Antrag zu machen. Gütiger Himmel! Was ich für ein Glück hatte, dass sie ihr wahres Gesicht früh genug gezeigt hat.
Grade noch davongekommen, denke ich und lächle sie an.
„Hey Susan, wie geht’s?“, frage ich sie und beuge den Oberkörper nach vorn, um sie auf die Wange zu küssen. Sie dreht den Kopf schnell und drückt mir stattdessen die Lippen auf den Mund. Ich ziehe fragend die Brauen hoch und richte mich wieder auf.
„Mir geht es fantastisch“, erwidert sie in gutgelauntem Ton, „jetzt da du hier bist. Wie läuft’s mit den Knastis?“
Ich sehe sie mit zusammengekniffenen Augen an. „Ich habe dir schon hundert Mal gesagt, dass du sie nicht so nennen sollst. Die meisten von ihnen sind gute Jungs.“
Sie macht eine wegwerfende Handbewegung und greift nach ihrer Flasche. „Wie auch immer“, seufzt sie ungehalten.
Ich atme tief durch und überlege kurz, ob ich mir wie geplant ein Bier hole und auf mich zukommen lasse, was der Abend bringt, oder direkt wieder gehe. Ich bin jetzt schon genervt. Die Diskussion um das Insassenprogramm hatten wir während unserer zweijährigen Beziehung immer wieder. Sie versteht den Sinn dahinter nicht und behauptet, das Ganze sei eine Belohnung für ‚Knastis‘. Die Meinung würde sie vermutlich nicht vertreten, wenn sie sich jemals die Mühe gemacht hätte, sich mit meiner Arbeit dort auseinanderzusetzen.
Was mache ich überhaupt hier? Ich wollte doch eigentlich aufhören, mich mit ihr zu treffen. Connor liegt mir damit schon in den Ohren, seit er Wind davon bekommen hat, dass da wieder etwas läuft. Aber das ist eine bescheuerte Frage, denn ich weiß genau, welcher Körperteil jedes Mal die Entscheidung trifft, sich bei ihr zu melden. Der Sex ist gut. Und unkomplizierter als mit den Mädels zu Hause. Die Fronten zwischen Susan und mir sind geklärt und obwohl sie sich in letzter Zeit wieder häufiger meldet, als mir lieb ist, weiß sie doch, dass das mit uns keine Beziehung mehr ist und auch nichts dergleichen werden wird.
Gerade steht mir einfach nur der Sinn nach ein bisschen Ablenkung. Die Geldsorgen machen mich mürbe und nach dem heutigen Tag kann ich es wirklich gebrauchen, ein wenig Dampf abzulassen.
Ich straffe die Schultern und gehe zur Bar, um mir ein Bier zu holen. Ein paar der Männer, die am Tresen sitzen, grüßen mich. Ich habe fünf Jahre lang die meiste Zeit hier in Canon City verbracht, da lernt man eine Menge Leute kennen. Jimmy, der Barkeeper, stellt unaufgefordert eine Bierflasche und einen Shot vor mir auf den Tresen und grinst mich an.
„Siehst aus, als könntest du eine Stärkung vertragen, Bro.“
Ich nicke und hebe das Glas hoch. „Jep, war‘n harter Tag.“
„Wollten die Mustangs nicht so wie du?“, fragt er mit hochgezogenen Brauen und stößt mit der Faust gegen mein Getränk.
„Nee. Ich habe da ja selten Probleme, aber heute hat es einen von den Jungs zerlegt. Der wird eine Weile nicht aus dem Krankentrakt rauskommen.“
„Tja, Scheiße passiert.“ Er klopft einmal vor mir auf das dunkle Holz und wendet sich dem nächsten durstigen Gast zu.
Ich kippe den Whiskey runter, nehme mein Bier und gehe zurück zu Susan, die schon etwas ungeduldig aussieht. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen, ihr Ausschnitt ist noch größer geworden.
* * *
„Ja Jesse, du bist der Beste. Fester!“ Susan ist so laut wie immer, aber es stört mich nicht.
Sie kniet vor mir auf dem Bett und legt den Kopf in den Nacken, um zu mir nach hinten zu blicken. Ich packe ihre Schulter und verstärke den Griff um ihre Hüfte, um mich noch härter in sie zu rammen. Ich bin kurz davor. An meinem Rückgrat baut sich ein Kribbeln auf. Sie stöhnt wieder laut auf und das Zucken ihrer Muskulatur um meinen Schaft katapultiert mich über die Klippe. Mit einem tiefen Knurren ergieße ich mich in ihr.
Erschöpft lasse ich den Oberkörper auf sie sinken und bleibe ein paar Sekunden mit dem Gesicht auf ihrem Rücken liegen. Ihr leises Lachen lässt meinen Kopf auf und ab schaukeln.
„Das war toll“, sagt sie verträumt. „Ich liebe dich, Baby.“
Ruckartig fahre ich hoch und starre sie an. Bitte, was?
Sie dreht sich auf die Seite, so dass sie mich ansehen kann, und lächelt. Ich schüttele mit grimmiger Miene den Kopf und ihr Lächeln verblasst langsam.
„Susan“, setze ich an und raufe mir die Haare, während ich mich im Zimmer nach meiner Hose umsehe, „ich dachte, das hätten wir geklärt.“
Sie schnaubt verächtlich und zieht damit wieder meinen Blick auf sich. „Du hast das für dich geklärt“, sagt sie und deutet auf mich. „Ich habe nie aufgehört, dich zu lieben. Wir waren ein tolles Paar, Jesse. Das sind wir immer noch.“
„Nein, das sind wir nicht. Und zwar genau seit dem Tag, an dem du es mit Paul Sinclair getrieben hast“, knurre ich.
Sie hat allen Ernstes die Nerven, die Augen zu verdrehen. Wut steigt in mir hoch. Ich muss hier weg, bevor ich etwas Dummes sage oder tue.
Eilig gehe ich zur Couch und steige in meine Jeans, ohne mir Gedanken darum zu machen, wo die Boxershorts sind. Sie wiederholt unterdessen den Text, den ich mir schon vor sechs Monaten anhören durfte.
„Das hat nichts bedeutet, Jesse. Wie oft muss ich dir das noch erklären? Du warst weg und – “
„Ich war zu Hause, weil mein Vater gestorben ist, Susan“, unterbreche ich sie lauter als nötig. Tief durchatmend versuche ich, ruhiger weiterzusprechen. „Ich werde dieses Gespräch nicht nochmal führen. Es ist vorbei.“
„Aber um zum Vögeln her zu kommen. Dafür bin ich gut genug, ja?“, kreischt sie jetzt. Und sie hat Recht. Auch, wenn ich es ungern zugebe. Ich habe Scheiße gebaut. Umso dringender sollte ich mich aus dem Staub machen.
Ich greife mein Hemd und die Stiefel mit einer Hand und drehe mich noch einmal zu ihr um. „Das war ein Fehler, der mir nicht wieder passieren wird. Tut mir leid, Susan.“
Sie schnappt nach Luft und ich wende mich zum Gehen. Auf dem Weg zur Tür nehme ich meinem Hut und setze ihn auf.
„Mach’s gut“, brumme ich, während ich die Wohnung verlasse. Bevor die Tür hinter mir ins Schloss fällt, höre ich, wie sie aus dem Bett springt. Aber ich bin schon auf der Straße, als sie im Treppenhaus ankommt und mir nachruft.
„Jesse, warte.“
Immer noch oben ohne und barfuß steige ich in meinen Truck und fahre los, bevor sie womöglich nackt auf die Straße stürmt.
Das wird eine harte Nacht, die auf einen harten Tag folgt. Aber lieber schlafe ich im Auto auf dem Weg zwischen Canon City und der Ranch, als nur eine einzige Minute länger hierzubleiben.
* * *
Als ich ein paar Stunden später zuhause ankomme, begebe ich mich sofort auf meinen obligatorischen Kontrollgang durch den Stall und checke, ob alles mit den Tieren in Ordnung ist.
Unterwegs habe ich mir den Kopf darüber zerbrochen, was da vorhin passiert ist. Susan kann nicht ernsthaft glauben, dass ich mich wieder auf eine Beziehung mit ihr einlasse. Ich habe generell kein Interesse an einer festen Partnerschaft, dafür schleppe ich im Moment einfach zu viel Ballast mit mir herum. Und dann ausgerechnet mit ihr. Das wird ganz sicher nicht passieren.
Schnaubend schüttele ich den Kopf. Ich bin selbst schuld. Es war hirnrissig von mir, zu glauben, dass ich einfach ohne Konsequenzen Sex mit ihr haben könnte. Connor hat es mir wochenlang gesagt, aber ich Idiot habe ja nicht auf ihn hören wollen. Jetzt habe ich den Salat. Eine verschmähte Ex, die sich – zu Recht – von mir benutzt fühlt und mich in Dauerschleife anruft, seit ich ihr Haus verlassen habe. Ich komme mir vor wie ein Arschloch.
Vor Triggers Box bleibe ich stehen und betrachte ihn eine Weile. Der Hengst streckt mir müde kauend die Nase entgegen und beschnuppert meine Finger. Vielleicht versucht er so, zu erfahren, wo ich war.
„Hey Dicker, da bin ich wieder. Keinen Deut schlauer als gestern. Wie lief es bei dir?“
Ich streiche ihm mit der flachen Hand über die große Blesse, die auf seiner Stirn beginnt und zum Maul hin immer breiter wird, sodass seine Nüstern und das Kinn komplett farblos sind. Er ist wunderschön und mein ganzer Stolz. Allein für ihn und seine Mutter Domino, die ein paar Boxen weiter vor sich hin döst, muss ich über meinen Schatten springen und etwas an der Situation ändern. Besonders jetzt, da ich ganz sicher eine Weile nicht mehr nach Canon City fahren werde.
Ich werde morgen bei Martin vom BLM anrufen und ihm Bescheid geben, dass er mir Kunden vermitteln kann.
„Okay, Kumpel, schlaf gut“, verabschiede ich mich von meinem Pferd und gehe ins Haus.
Ich bin gespannt, auf was für eine Scheiße ich mich da einlasse.
Die Sonne strahlt unerbittlich auf den Friedhof hinab und ich stehe hier und frage mich, wie an einem solchen Tag der Himmel so strahlend blau sein kann.
In meinem schwarzen Kleid beobachte ich vom Rande der Trauerfeier aus, was um mich herum passiert, als wäre ich nur Zaungast ohne Bezug zum Geschehen. Tiffany und Savannah stehen wie Bodyguards rechts und links neben mir. Ich bin froh, dass sie hier sind. Sie bilden eine Art Anker für mich.
Die Beisetzung ist wirklich schön. Sofern so etwas schön sein kann. Mein Vater hat im Vorfeld alles selbst so geregelt, wie er es haben wollte, sodass glücklicherweise niemand auf mich zu gekommen ist und eine Entscheidung von mir gefordert hat. Ich glaube nicht, dass ich dazu in der Lage gewesen wäre. Auf diese Weise ist alles so, wie er es sich vorgestellt hat, und es passt zu ihm. Zumindest glaube ich das, denn was weiß ich schon wirklich über meinen Vater?
Als der Sarg in die Grube abgelassen wird, ertönt John Denvers ‚Country Roads‘ aus einem Ghettoblaster und ich bin mir ziemlich sicher, auf Adams Gesicht ein Schmunzeln zu sehen. Dads Kollegen von der Bank - zumindest halte ich sie dafür – stehen mit versteinerten Mienen da. Sie kondolieren mir, als würden sie in mir seine Tochter erkennen und es fühlt sich falsch an. Vermutlich kannten diese Anzugträger ihn besser als ich.
Ich fühle mich wie betäubt.
In den vergangenen Tagen haben mich immer wieder ganz unvorhersehbar unterschiedliche Gefühle überwältigt. Mal war ich dankbar, dass ich Dad noch ein letztes Mal habe sehen und mit ihm sprechen können. Ein anderes Mal entbrannte eine zerstörerische Wut auf meine Mutter in mir, weil sie mir all diese Jahre mit ihm genommen hat. Und dann wurde ich einfach nur traurig und weinte stundenlang. Dass ich jetzt hier stehe, mir alles ansehe und die Beileidsbekundungen entgegen nehme, ohne den Schmerz zu spüren, mit dem ich gerechnet habe, ist entweder ein Schutzmechanismus, oder die vielen Gefühle der vergangenen Tage haben mich abgestumpft.
Geht so etwas?
Ich hoffe es.