Lulu. Erdgeist · Die Büchse der Pandora - Frank Wedekind - E-Book

Lulu. Erdgeist · Die Büchse der Pandora E-Book

Frank Wedekind

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Beschreibung

Wedekinds Lulu ist verführerisch und gleichgültig, eine ideale Projektionsfläche für Männer. Am Ende wird sie Opfer eines Serienkillers – und zugleich der gesellschaftlichen Verhältnisse. Die Dramen Erdgeist und Die Büchse der Pandora wurden zu Wedekinds Lebzeiten von Theaterskandalen und Zensurmaßnahmen begleitet. Von Wedekind später unter dem Titel Lulu vereint, gilt die Doppeltragödie heute als sein Hauptwerk.

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Seitenzahl: 255

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Frank Wedekind

Lulu

ErdgeistDie Büchse der Pandora

Herausgegeben von Erhard Weidl

Reclam

1989, 2023 Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen

Covergestaltung: Cornelia Feyll, Friedrich Forssman

Gesamtherstellung: Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen

Made in Germany 2023

RECLAM ist eine eingetragene Marke der Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart

ISBN978-3-15-962234-7

ISBN der Buchausgabe 978-3-15-014451-0

www.reclam.de

Inhalt

Lulu

Erdgeist

Die Büchse der Pandora

Zu dieser Ausgabe

Nachwort

[5]Lulu

[7]Erdgeist

Tragödie in vier Aufzügen

»Mich schuf aus gröberm Stoffe die Natur,

Und zu der Erde zieht mich die Begierde.

Dem bösen Geist gehört die Erde, nicht

Dem guten. Was die Göttlichen uns senden

Von oben, sind nur allgemeine Güter;

Ihr Licht erfreut, doch macht es keinen reich,

In ihrem Staat erringt sich kein Besitz.

Den Edelstein, das allgeschätzte Gold

Muß man den falschen Mächten abgewinnen,

Die unterm Tage schlimmgeartet hausen.

Nicht ohne Opfer macht man sie geneigt,

Und keiner lebet, der aus ihrem Dienst

Die Seele hätte rein zurückgezogen.«

[9]Willy Grétor

gewidmet

[10]Personen

Medizinalrat DR. GOLL

DR. SCHÖN, Chefredakteur

ALWA, sein Sohn

SCHWARZ, Kunstmaler

PRINZ ESCERNY, Afrikareisender

SCHIGOLCH

RODRIGO, Artist

HUGENBERG, Gymnasiast

ESCHERICH, Reporter

LULU

GRÄFIN GESCHWITZ, Malerin

FERDINAND, Kutscher

HENRIETTE, Zimmermädchen

Ein BEDIENTER

 

Die Rolle HUGENBERG wird von einem Mädchen gespielt.

 

Rechts und links vom Zuschauer aus.

[11]Prolog

EinTIERBÄNDIGERtritt, nachdem der aufgezogene Vorhang einen Zelteingang hat sichtbar werden lassen, in zinnoberrotem Frack, weißer Krawatte, langen schwarzen Locken, weißen Beinkleidern und Stulpstiefeln, in der Linken eine Hetzpeitsche, in der Rechten einen geladenen Revolver, unter Zimbelklängen und Paukenschlägen aus dem Zelt.

Hereinspaziert in die Menagerie,

Ihr stolzen Herrn, ihr lebenslust’gen Frauen,

Mit heißer Wollust und mit kaltem Grauen

Die unbeseelte Kreatur zu schauen,

Gebändigt durch das menschliche Genie.

Hereinspaziert, die Vorstellung beginnt! –

Auf zwei Personen kommt umsonst ein Kind.

 

Hier kämpfen Tier und Mensch im engen Gitter,

Wo jener höhnend seine Peitsche schwingt

Und dieses, mit Gebrüll wie Ungewitter,

Dem Menschen mörderisch an die Kehle springt;

Wo bald der Kluge, bald der Starke siegt,

Bald Mensch, bald Tier geduckt am Estrich liegt;

Das Tier bäumt sich, der Mensch auf allen vieren!

Ein eisig kalter Herrscherblick –

Die Bestie beugt entartet das Genick

Und läßt sich fromm die Ferse drauf postieren.

 

Schlecht sind die Zeiten! – All die Herrn und Damen,

Die einst vor meinem Käfig sich geschart,

[12]Beehren Possen, Ibsen, Opern, Dramen

Mit ihrer hochgeschätzten Gegenwart.

An Futter fehlt es meinen Pensionären,

So daß sie gegenseitig sich verzehren.

Wie gut hat’s am Theater ein Akteur!

Des Fleischs auf seinen Rippen ist er sicher,

Sei auch der Hunger ein ganz fürchterlicher

Und des Kollegen Magen noch so leer. –

Doch will man Großes in der Kunst erreichen,

Darf man Verdienst nicht mit dem Lohn vergleichen.

 

Was seht ihr in den Lust- und Trauerspielen?! –

Haustiere, die so wohlgesittet fühlen,

An blasser Pflanzenkost ihr Mütchen kühlen

Und schwelgen in behaglichem Geplärr,

Wie jene andern – unten im Parterre:

Der eine Held kann keinen Schnaps vertragen,

Der andre zweifelt, ob er richtig liebt,

Den dritten hört ihr an der Welt verzagen,

Fünf Akte lang hört ihr ihn sich beklagen,

Und niemand, der den Gnadenstoß ihm gibt. –

Das wahre Tier, das wilde, schöne Tier,

Das – meine Damen! – sehn Sie nur bei mir.

 

Sie sehen den Tiger, der gewohnheitsmäßig,

Was in den Sprung ihm läuft, hinunterschlingt;

Den Bären, der, von Anbeginn gefräßig,

Beim späten Nachtmahl tot zu Boden sinkt;

Sie sehn den kleinen amüsanten Affen

Aus Langeweile seine Kraft verpaffen;

[13]Er hat Talent, doch fehlt ihm jede Größe,

Drum kokettiert er frech mit seiner Blöße;

Sie sehn in meinem Zelte, meiner Seel’,

Sogar gleich hinterm Vorhang ein Kamel! –

Und sanft schmiegt das Getier sich mir zu Füßen,

Wenn – (er schießt ins Publikum)

– donnernd mein Revolver knallt.

Rings bebt die Kreatur; ich bleibe kalt –

Der Mensch bleibt kalt! – Sie ehrfurchtsvoll zu grüßen.

Hereinspaziert! – Sie traun sich nicht herein? –

Wohlan, Sie mögen selber Richter sein!

Sie sehn auch das Gewürm aus allen Zonen:

Chamäleone, Schlangen, Krokodile,

Drachen und Molche, die in Klüften wohnen.

Gewiß, ich weiß, Sie lächeln in der Stille

Und glauben mir nicht eine Silbe mehr –

(er lüftet den Türvorhang und ruft in das Zelt)

He, Aujust! Bring mir unsre Schlange her!

(Ein schmerbäuchigerArbeiter trägt die Darstellerin derLULUin ihrem Pierrotkostüm aus dem Zelt und setzt sie vor demTIERBÄNDIGER nieder.)

Sie ward geschaffen, Unheil anzustiften,

Zu locken, zu verführen, zu vergiften –

Zu morden, ohne daß es einer spürt.

 

(LULU am Kinn krauend.)

Mein süßes Tier, sei ja nur nicht geziert!

Nicht albern, nicht gekünstelt, nicht verschroben,

Auch wenn die Kritiker dich weniger loben.

Du hast kein Recht, uns durch Miaun und Fauchen

Die Urgestalt des Weibes zu verstauchen,

[14]Durch Faxenmachen uns und Fratzenschneiden

Des Lasters Kindereinfalt zu verleiden!

Du sollst – drum sprech’ ich heute sehr ausführlich –

Natürlich sprechen und nicht unnatürlich!

Denn erstes Grundgesetz seit frühster Zeit

In jeder Kunst war Selbstverständlichkeit!

 

(Zum Publikum.)

Es ist jetzt nichts Besondres dran zu sehen,

Doch warten Sie, was später wird geschehen:

 

Mit starkem Druck umringelt sie den Tiger;

Er heult und stöhnt! – Wer bleibt am Ende Sieger?! –

Hopp, Aujust! Marsch! Trag sie an ihren Platz –

(Der Arbeiter nimmtLULU quer auf die Arme; derTIERBÄNDIGER tätschelt ihr die Hüften.)

Die süße Unschuld – meinen größten Schatz!

(Der Arbeiter trägtLULU ins Zelt zurück.)

 

Und nun bleibt noch das Beste zu erwähnen:

Mein Schädel zwischen eines Raubtiers Zähnen.

Hereinspaziert! Das Schauspiel ist nicht neu,

Doch seine Freude hat man stets dabei.

Ich wag’ es, ihm den Rachen aufzureißen,

Und dieses Raubtier wagt nicht zuzubeißen.

So schön es ist, so wild und buntgefleckt,

Vor meinem Schädel hat das Tier Respekt!

Getrost leg’ ich mein Haupt ihm in den Rachen;

Ein Witz – und meine beiden Schläfen krachen!

Dabei verzicht’ ich auf des Auges Blitz;

Mein Leben setz’ ich gegen einen Witz;

[15]Die Peitsche werf’ ich fort und diese Waffen

Und geb’ mich harmlos, wie mich Gott geschaffen. –

Wißt ihr den Namen, den dies Raubtier führt? – –

Verehrtes Publikum – – Hereinspaziert!!

(DerTIERBÄNDIGER tritt unter Zimbelklängen und Paukenschlägen in das Zelt zurück.)

[16]Erster Aufzug

Geräumiges Atelier. – Rechts hinten Entreetür, rechts vorn Seitentür zum Schlafkabinett. In der Mitte ein Podium. Hinter dem Podium eine spanische Wand. Vor dem Podium ein Smyrnateppich. Links vorn zwei Staffeleien. Auf der hinteren das Brustbild eines jungen Mädchens. Gegen die vordere lehnt eine umgekehrte Leinwand. Vor den Staffeleien, etwas gegen die Mitte vorn, eine Ottomane. Darüber ein Tigerfell. Rechts an der Wand zwei Sessel. Im Hintergrund eine Trittleiter.

Erster Auftritt

SCHWARZundSCHÖN.

SCHÖN(auf dem Fußende der Ottomane sitzend, mustert das Brustbild auf der hinteren Staffelei). Wissen Sie, daß ich die Dame von einer ganz neuen Seite kennen lerne?

SCHWARZ(Pinsel und Palette in der Hand, steht hinter der Ottomane). Ich habe noch niemanden gemalt, bei dem der Gesichtsausdruck so ununterbrochen wechselte. – Es war mir kaum möglich, einen einzigen Zug dauernd festzuhalten.

SCHÖN(auf das Bild deutend, ihn ansehend). Finden Sie das darin?

SCHWARZ. Ich habe das Erdenklichste getan, um durch meine Unterhaltung während der Sitzungen wenigstens etwas Ruhe in der Stimmung hervorzurufen.

SCHÖN. Dann verstehe ich den Unterschied.

[17]SCHWARZ(taucht den Pinsel ins Ölnäpfchen und überstreicht die Gesichtszüge).

SCHÖN. Glauben Sie, es wird dadurch ähnlicher?

SCHWARZ. Man kann nicht mehr tun, als es mit der Kunst so gewissenhaft wie möglich nehmen.

SCHÖN. Sagen Sie mal …

SCHWARZ(zurücktretend). Die Farbe ist auch wieder etwas eingeschlagen.

SCHÖN(ihn ansehend). Haben Sie jemals in Ihrem Leben ein Weib geliebt?

SCHWARZ(geht auf die Staffelei zu, setzt eine Farbe auf und tritt auf der anderen Seite zurück). Der Stoff ist noch nicht genügend abgehoben. Man sieht noch nicht recht, daß ein lebender Körper darunter ist.

SCHÖN. Ich zweifle nicht daran, daß die Arbeit gut ist.

SCHWARZ. Wenn Sie hierhertreten wollen.

SCHÖN(sich erhebend). Sie müssen ihr wahre Schauergeschichten erzählt haben.

SCHWARZ. So weit wie möglich zurück.

SCHÖN(zurücktretend, stößt die an die vordere Staffelei gelehnte Leinwand um). Pardon …

SCHWARZ(den Rahmen aufhebend). O bitte …

SCHÖN(betroffen). Was ist das …

SCHWARZ. Kennen Sie sie?

SCHÖN. Nein.

SCHWARZ(setzt das Bild auf die Staffelei. Man sieht eine Dame als Pierrot gekleidet mit einem hohen Schäferstab in der Hand). Ein Kostümbild.

SCHÖN. Die ist Ihnen aber gelungen.

SCHWARZ. Sie kennen sie?

SCHÖN. Nein. Und in dem Kostüm?

[18]SCHWARZ. Es fehlt noch die ganze Ausführung.

SCHÖN. Na ja.

SCHWARZ. Was wollen Sie. Während sie mir steht, habe ich das Vergnügen, ihren Mann zu unterhalten.

SCHÖN. Sagen Sie …

SCHWARZ. Über Kunst natürlich, um mein Glück zu vervollständigen.

SCHÖN. Wie kommen Sie denn zu der reizenden Bekanntschaft?

SCHWARZ. Wie man dazu kommt. Ein steinalter, wackliger Knirps fällt mir hier herein, ob ich seine Frau malen könne. Nun natürlich, und wenn sie runzlig wie Mutter Erde ist. Andern Tags Punkt zehn fliegen die Türen auf, und der Schmerbauch treibt dies Engelskind vor sich her. Ich fühle jetzt noch, wie mir die Knie schwankten. Ein stocksteifer, saftgrüner Lakai mit einem Paket unter dem Arm. Wo die Garderobe sei. Denken Sie sich meine Lage. Ich öffne die Tür da (nach rechts deutend). Nur ein Glück, daß schon alles in Ordnung war. Das süße Geschöpf huscht hinein, und der Alte postiert sich als Schanzkorb davor. Zwei Minuten darauf tritt sie in diesem Pierrot heraus. (Den Kopf schüttelnd). Ich habe nie so was gesehen. (Geht nach rechts und starrt an die Schlafzimmertür hin).

SCHÖN(der ihm mit dem Blick gefolgt). Und der Schmerbauch steht Schildwache?

SCHWARZ(sich umwendend). Der ganze Körper im Einklang mit dem unmöglichen Kostüm, als wäre er darin zur Welt gekommen. Ihre Art, die Ellbogen in die Taschen zu vergraben, die Füßchen vom Teppich zu heben – mir schießt oft das Blut zu Kopf …

SCHÖN. Das sieht man dem Bild an.

[19]SCHWARZ(kopfschüttelnd). Unsereiner, wissen Sie …

SCHÖN. Hier führt das Modell die Konversation.

SCHWARZ. Sie hat den Mund noch nicht aufgetan.

SCHÖN. Ist’s möglich!

SCHWARZ. Erlauben Sie, daß ich Ihnen das Kostüm zeige.

  (Nach rechts ab.)

SCHÖN(allein, vor dem Pierrot). Eine Teufelsschönheit. (Vor dem Brustbild.) Hier ist mehr Fond. (Nach vorn kommend.) Er ist noch etwas jung für sein Alter.

SCHWARZ(kommt mit einem weißen Atlaskostüm zurück). Was das für Stoff sein mag?

SCHÖN(den Stoff befühlend). Atlas.

SCHWARZ. Und alles in einem Stück.

SCHÖN. Wie kommt man denn da hinein?

SCHWARZ. Das kann ich Ihnen nicht sagen.

SCHÖN(das Kostüm bei den Beinen nehmend). Diese riesigen Hosenpfeifen!

SCHWARZ. Die linke rafft sie hinauf.

SCHÖN(auf das Bild sehend). Bis übers Knie!

SCHWARZ. Sie macht das zum Entzücken.

SCHÖN. Und transparente Strümpfe?

SCHWARZ. Die wollen nämlich gemalt sein.

SCHÖN. Oh, das können Sie.

SCHWARZ. Dabei von einer Koketterie!

SCHÖN. Wie kommen Sie auf den entsetzlichen Verdacht?

SCHWARZ. Es gibt Dinge, von denen sich unsere Schulweisheit nichts träumen läßt. (Trägt das Kostüm in sein Schlafzimmer.)

SCHÖN(allein). Wenn man schläft …

SCHWARZ(kommt zurück, sieht nach der Uhr). Wenn Sie übrigens ihre Bekanntschaft machen wollen …

[20]SCHÖN. Nein.

SCHWARZ. Sie müssen im Augenblicke hier sein.

SCHÖN. Wie oft wird denn die Dame noch sitzen müssen?

SCHWARZ. Ich werde die Tantalusqual wohl noch ein Vierteljahr zu erdulden haben.

SCHÖN. Ich meine die andere.

SCHWARZ. Entschuldigen Sie. Dreimal höchstens. (Ihn zur Tür geleitend.) Wenn mir die Dame dann nur ihre Taille dalassen will.

SCHÖN. Mit Vergnügen. Lassen Sie sich bald wieder bei mir sehen. (Stößt in der Tür aufDR. GOLL undLULU.) In Gottes Namen!

Zweiter Auftritt

DR. GOLL. LULU. DIE VORIGEN.

SCHWARZ. Darf ich vorstellen …

GOLL(zuSCHÖN). Was treiben denn Sie hier?

SCHÖN(LULU die Hand küssend). Frau Medizinalrat.

LULU. Sie wollen doch nicht schon gehen?

GOLL. Welcher Wind führt denn Sie hierher?

SCHÖN. Ich habe mir das Bild meiner Braut angesehen.

LULU(nach vorn kommend). Ihre Braut ist hier?

GOLL. Sie lassen hier also auch arbeiten?

LULU(vor dem Brustbild). Sieh da! Bezaubernd! Entzückend!

GOLL(sich umsehend). Sie halten sie wohl hier irgendwo versteckt?

[21]LULU. Das ist also das süße Wunderkind, das Sie zu einem Menschen gemacht …

SCHÖN. Sie sitzt meistens am Nachmittag.

GOLL. Und davon erzählen Sie einem nichts?

LULU(sich umwendend). Ist sie denn wirklich so ernst?

SCHÖN. Wohl noch die Nachwirkung der Pensionszeit, gnädige Frau.

GOLL(vor dem Brustbild). Man sieht, daß Sie eine tiefgehende Wandlung durchgemacht haben.

LULU. Nun dürfen Sie sie aber auch nicht mehr länger warten lassen.

SCHÖN. In vierzehn Tagen denke ich unsere Verlobung bekanntzumachen.

GOLL(zuLULU). Laß uns keine Zeit verlieren. Hopp!

LULU(zuSCHÖN). Denken Sie, wir fuhren im Trab über die neue Kaibrücke. Ich habe selber kutschiert.

SCHÖN(will sich verabschieden).

GOLL. Nein, nein. Wir beide sprechen nachher weiter. Geh, Nelli. Hopp!

LULU. Jetzt kommt’s an mich!

GOLL. Unser Apelles leckt sich schon die Pinsel ab.

LULU. Ich hatte mir das viel amüsanter vorgestellt.

SCHÖN. Sie haben dabei immerhin die Genugtuung, uns den seltensten Genuß zu bereiten.

LULU(nach rechts gehend). Na, warten Sie nur.

SCHWARZ(vor der Schlafzimmertür). Wenn Frau Obermedizinalrat so freundlich sein wollen. (Schließt die Tür hinter ihr und bleibt davor stehen.)

GOLL. Ich habe sie in unserm Ehekontrakt nämlich Nelli getauft.

SCHÖN. So? – Ja.

[22]GOLL. Was halten Sie davon?

SCHÖN. Warum nennen Sie sie nicht lieber Mignon?

GOLL. Das wäre auch was. Daran habe ich nicht gedacht.

SCHÖN. Glauben Sie, daß der Name soviel dabei ausmacht?

GOLL. Hm – Sie wissen, ich habe keine Kinder.

SCHÖN(sein Zigarettenetui aus der Tasche nehmend). Sie sind doch aber auch erst ein paar Monate verheiratet.

GOLL. Danke. Ich wünsche mir keine.

SCHÖN. Rauchen Sie eine Zigarette?

GOLL(sich bedienend). Ich habe an dem einen vollkommen genug. (ZuSCHWARZ.) Sagen Sie mal, was macht denn eigentlich Ihre kleine Tänzerin?

SCHÖN(sich nachSCHWARZ umwendend). Sie und eine Tänzerin?

SCHWARZ. Die Dame saß mir damals nur aus Gefälligkeit. Ich kenne die Dame von einem Ausflug des Cäcilienvereins her.

GOLL(zuSCHÖN). Hm – ich glaube, wir kriegen anderes Wetter.

SCHÖN. Das geht wohl nicht so rasch mit der Toilette?

GOLL. Das geht wie der Blitz! Die Frau muß Virtuosin in ihrem Fach sein. Das muß jeder von uns in seinem Fach, wenn das Leben nicht zur Bettelei werden soll. (Ruft.) Hopp, Nelli!

SCHWARZ(an der Tür). Frau Obermedizinalrat!

LULU(von innen). Gleich, gleich.

GOLL(zuSCHÖN). Ich begreife solche Stockfische nicht.

SCHÖN. Ich beneide sie. Diese Stockfische kennen nichts Heiligeres als ihr Hungertuch. Sie fühlen sich reicher als unsereiner mit 30 000 Mark Renten. Sie können übrigens nicht über einen Menschen urteilen, der von [23]Kindesbeinen an von der Palette in den Mund gelebt hat. Nehmen Sie es auf sich, ihn zu finanzieren. Es ist ein Rechenexempel. Mir fehlt der moralische Mut. Man verbrennt sich auch leicht die Finger …

LULU(als Pierrot aus dem Schlafzimmer tretend). Da bin ich.

SCHÖN(wendet sich um, nach einer Pause). Superb!

LULU(tritt näher). Nun?

SCHÖN. Sie beschämen die kühnste Phantasie.

LULU. Wie gefall’ ich Ihnen?

SCHÖN. Ein Bild, vor dem die Kunst verzweifeln muß.

GOLL. Finden Sie nicht auch?

SCHÖN(zuLULU). Sie wissen doch wohl nicht recht, was Sie tun.

LULU. Ich bin mir meiner vollkommen bewußt!

SCHÖN. Dann dürften Sie etwas besonnener sein.

LULU. Ich tue ja doch nur meine Schuldigkeit.

SCHÖN. Sie sind gepudert?

LULU. Was fällt Ihnen ein!

GOLL. Sie hat eine weiße Haut, wie ich sie noch nirgends gesehen habe. Ich habe unserem Raffael auch gesagt, er möge sich mit dem Fleisch nur ja so wenig wie möglich abgeben. Ich kann mich einmal für die moderne Klexerei nicht begeistern.

SCHWARZ(an den Staffeleien, seine Farben präparierend). Dem Impressionismus dankt es die heutige Kunst jedenfalls, daß sie sich alten Meistern ohne Erröten an die Seite stellen darf.

GOLL. Für ein Stück Schlachtvieh mag sie ja ganz angebracht sein.

SCHÖN. Nur um Gottes willen keine Aufregung!

[24]LULU(fälltGOLL um den Hals und küßt ihn).

GOLL. Man sieht dein Negligé. Du mußt es herunterziehen.

LULU. Ich hätte es am liebsten weggelassen. Es geniert nur.

GOLL. Er wäre imstande und malte es hin.

LULU(nimmt den Schäferstab, der an der spanischen Wand lehnt, auf das Podium steigend, zuSCHÖN). Was würden Sie jetzt sagen, wenn Sie zwei Stunden Parade stehen müßten?

SCHÖN. Meine Seele verschriebe ich dem Teufel, um mit Ihnen tauschen zu dürfen.

GOLL(sich rechts setzend). Kommen Sie hierher. Hier ist nämlich mein Beobachtungsposten.

LULU(das linke Beinkleid bis zum Knie hinaufraffend, zu Schwarz). So?

SCHWARZ. Ja …

LULU(es um eine Idee höher raffend). So?

SCHWARZ. Ja, ja …

GOLL(zuSCHÖN, der auf dem Sessel neben ihm Platz genommen hat, mit einer Handbewegung). Ich finde sie nämlich von hier aus noch vorteilhafter.

LULU(ohne sich zu rühren). Ich bitte sehr! Ich bin von allen Seiten gleich vorteilhaft.

SCHWARZ(zuLULU). Das rechte Knie weiter vor, bitte.

SCHÖN(mit einer Geste). Der Körper zeigt vielleicht feinere Linien …

SCHWARZ. Die Beleuchtung ist heute zum mindesten halbwegs erträglich.

GOLL. Sie müssen sie flott hinwerfen! Fassen Sie Ihren Pinsel etwas länger!

SCHWARZ. Gewiß, Herr Medizinalrat.

SCHÖN. Behandeln Sie sie als Stilleben!

[25]SCHWARZ. Gewiß, Herr Doktor. (ZuLULU.) Sie pflegten den Kopf um eine Idee höher zu halten, Frau Medizinalrat.

LULU(den Kopf hebend). Malen Sie mir die Lippen etwas geöffnet.

SCHÖN. Malen Sie Schnee auf Eis. Wenn Sie sich dabei erwärmen, dann wird Ihre Kunst sofort unkünstlerisch.

SCHWARZ. Gewiß, Herr Doktor!

GOLL. Die Kunst, wissen Sie, muß die Natur so wiedergeben, daß man wenigstens geistig dabei genießen kann!

LULU(den Mund etwas öffnend, zuSCHWARZ). So – sehen Sie. So halte ich sie halb geöffnet.

SCHWARZ. Sobald die Sonne kommt, wirft die Mauer von gegenüber warme Reflexe herein.

GOLL(zuLULU). Du mußt dich in deiner Stellung überhaupt so verhalten, als ob unser Velasquez hier gar nicht vorhanden wäre.

LULU. Ein Maler ist doch auch eigentlich gar kein Mann.

SCHÖN. Ich glaube nicht, daß Sie von einer rühmlichen Ausnahme so ohne weiteres auf die ganze Zunft schließen dürfen.

SCHWARZ(von der Staffelei zurücktretend). Ich hätte mir im vergangenen Herbst doch lieber ein anderes Atelier mieten müssen.

SCHÖN(zuGOLL). Was ich fragen wollte – haben Sie die kleine O’Morphi schon als peruanische Perlenfischerin gesehen?

GOLL. Morgen sehe ich sie mir zum viertenmal an. Der Fürst Polossow führte mich hin. Sein Haar ist vor Entzücken schon wieder dunkelblond geworden.

[26]SCHÖN. Sie finden sie also auch so fabelhaft?

GOLL. Wer will das je im voraus beurteilen!

LULU. Ich glaube, es hat geklopft.

SCHWARZ. Entschuldigen Sie mich einen Augenblick. (Geht zur Türe und öffnet.)

GOLL. Du darfst ihn getrost etwas unbefangener anlächeln.

SCHÖN. Dem macht das gar nichts.

GOLL. Und wenn! – Wozu sitzen wir beide denn hier!

Dritter Auftritt

ALWA SCHÖN. DIE VORIGEN.

ALWA (noch hinter der spanischen Wand). Darf man eintreten?

SCHÖN. Mein Sohn.

LULU. Das ist ja Herr Alwa!

GOLL. Kommen Sie nur ungeniert herein!

ALWA(vortretend, reichtSCHÖN undGOLL die Hand). Herr Medizinalrat … (Sich nachLULU umwendend.) Seh ich recht? – Wenn ich Sie doch nur für meine Hauptrolle engagieren könnte!

LULU. Ich würde für Ihr Stück wohl kaum gut genug tanzen.

ALWA. Aber Sie haben doch einen Tanzlehrer, wie man ihn an keiner Bühne Europas findet!

SCHÖN. Was führt dich denn hierher?

GOLL. Sie lassen hier wohl auch insgeheim irgend jemanden porträtieren?

ALWA(zuSCHÖN). Ich wollte dich zur Generalprobe abholen.

[27]SCHÖN(erhebt sich).

GOLL. Lassen Sie denn heute schon in vollem Kostüm tanzen?

ALWA. Versteht sich. Kommen Sie mit. In fünf Minuten muß ich auf der Bühne sein. (ZuLULU.) Ich Unglücklicher!

GOLL. Ich habe ganz vergessen – wie nennt sich doch Ihr Ballett?

ALWA. »Dalailama«.

GOLL. Ich glaubte, der wäre im Irrenhaus.

SCHÖN. Sie meinen Nietzsche, Herr Sanitätsrat.

GOLL. Sie haben recht. Ich verwechsle die beiden.

ALWA. Ich habe dem Buddhismus auf die Beine geholfen.

GOLL. An den Beinen erkennt man den Bühnendichter.

ALWA. Die Corticelli tanzt den jugendlichen Buddah, als hätte sie am Ganges das Licht der Welt erblickt.

SCHÖN. Solang die Mutter noch lebte, tanzte sie mit den Beinen …

ALWA. Als sie dann frei wurde, tanzte sie mit dem Verstande …

GOLL. Jetzt tanzt sie mit dem Herzen!

ALWA. Wenn Sie sie sehen wollen?

GOLL. Danke.

ALWA. Kommen Sie doch mit!

GOLL. Unmöglich!

SCHÖN. Wir haben übrigens keine Zeit zu verlieren.

ALWA. Kommen Sie mit, Herr Medizinalrat. Im dritten Akt sehen Sie Dalailama in seinem Kloster, mit seinen Mönchen …

GOLL. Mir wäre es lediglich um den jugendlichen Buddah zu tun.

ALWA. Was hindert Sie denn?

[28]GOLL. Es geht nicht. Es geht nicht.

ALWA. Wir gehen nachher zu Peters. Da können Sie Ihrer Bewunderung Ausdruck geben.

GOLL. Dringen Sie nicht weiter in mich. Ich bitte Sie.

ALWA. Sie sehen die zahmen Affen, die beiden Brahmanen, die kleinen Mädchen …

GOLL. Bleiben Sie mir nur um Gottes willen mit den kleinen Mädchen vom Halse!

LULU. Reservieren Sie uns eine Proszeniumsloge auf Montag, Herr Alwa!

ALWA. Wie konnten gnädige Frau daran zweifeln.

GOLL. Wenn ich zurückkomme, hat mir der Höllenbreugel das ganze Bild verpatzt!

ALWA. Das wäre doch kein Unglück. Das läßt sich übermalen.

GOLL. Wenn man dem Caravacci nicht jeden Pinselstrich expliziert …

SCHÖN. Ich halte Ihre Befürchtungen übrigens für unbegründet.

GOLL. Das nächste Mal, meine Herren!

ALWA. Die Brahmanen werden ungeduldig! Die Töchter Nirvanas schlottern in ihren Trikots!

GOLL. Verdammte Klexerei!!

SCHÖN. Man wird uns auszanken, daß wir Sie nicht mitbringen.

GOLL. In fünf Minuten bin ich zurück. (Stellt sich links vorn hinterSCHWARZ und vergleicht das Bild mitLULU.)

ALWA(zuLULU). Mich ruft leider die Pflicht, gnädige Frau.

GOLL(zuSCHWARZ). Sie müssen hier ein wenig mehr modellieren. Das Haar ist schlecht. Sie sind nicht genug bei der Sache …

[29]ALWA. Kommen Sie.

GOLL. Nun nur hopp! Zu Peters bringen mich keine zehn Pferde.

SCHÖN(ALWA undGOLL folgend). Wir nehmen meinen Wagen, der unten steht.

Vierter Auftritt

SCHWARZ. LULU.

SCHWARZ(beugt sich nach links, spuckt aus). Pack! – Wäre doch das Leben zu Ende! – Der Brotkorb! – Brotkorb und Maulkorb! Jetzt bäumt sich mein Künstlerstolz. (Nach einem Blick aufLULU.) Diese Gesellschaft! – (Erhebt sich, geht nach rechts hinten, betrachtetLULU von allen Seiten, setzt sich wieder an die Staffelei.) Die Wahl würde einem schwer. – – Wenn ich Frau Obermedizinalrat ersuchen darf, die rechte Hand etwas höher.

LULU(nimmt den Schäferstab so hoch sie reichen kann, für sich). Wer hätte das für möglich gehalten!

SCHWARZ. Ich bin wohl recht lächerlich?

LULU. Er kommt gleich zurück.

SCHWARZ. Ich kann nicht mehr tun als malen.

LULU. Da ist er.

SCHWARZ(sich erhebend). Nun?

LULU. Hören Sie nicht?

SCHWARZ. Es kommt jemand …

LULU. Ich wußte es ja.

SCHWARZ. Es ist der Hausmeister. Er fegt die Treppe.

LULU. Gott sei Dank.

[30]SCHWARZ. Sie begleiten Herrn Obermedizinalrat wohl auf seine Praxis?

LULU. Das fehlte mir noch!

SCHWARZ. Weil Sie es nicht gewohnt sind, allein zu sein.

LULU. Wir haben zu Hause eine Haushälterin.

SCHWARZ. Die Ihnen Gesellschaft leistet?

LULU. Sie hat viel Geschmack.

SCHWARZ. Wofür?

LULU. Sie zieht mich an.

SCHWARZ. Sie gehen wohl viel auf Bälle?

LULU. Nie.

SCHWARZ. Wozu brauchen Sie denn dann die Toiletten?

LULU. Zum Tanzen.

SCHWARZ. Sie tanzen wirklich?

LULU. Csardas – Samaqueca – Skirtdance …

SCHWARZ. Widert Sie denn das nicht an?

LULU. Sie finden mich häßlich?

SCHWARZ. Sie verstehen mich nicht. – Wer gibt Ihnen denn den Unterricht?

LULU. Er.

SCHWARZ. Wer?

LULU. Er.

SCHWARZ. Er?

LULU. Er spielt Violine. – – –

SCHWARZ. Man lernt jeden Tag ein neues Stück Welt kennen.

LULU. Ich habe in Paris gelernt. Ich nahm Stunden bei Eugenie Fougère. Sie hat mich auch ihre Kostüme kopieren lassen.

SCHWARZ. Wie sind denn die?

LULU. Grünes Spitzenröckchen bis zum Knie, ganz in [31]Volants, dekolletiert natürlich, sehr dekolletiert und fürchterlich geschnürt. Hellgrüner Unterrock, dann immer heller. Schneeweiße Dessous mit handbreiten Spitzen …

SCHWARZ. Ich kann nicht mehr …

LULU. Malen Sie doch!

SCHWARZ(mit dem Spachtel schabend). Ist Ihnen denn nicht kalt?

LULU. Gott bewahre! Nein. Wie kommen Sie auf die Frage? Ist Ihnen denn so kalt?

SCHWARZ. Heute nicht. Nein.

LULU. Gottlob kann man atmen!

SCHWARZ. Wieso …

LULU(atmet tief ein).

SCHWARZ. Lassen Sie das, bitte! – (Springt auf, wirft Pinsel und Palette weg, geht auf und nieder.) Der Stiefelputzer hat es wenigstens nur mit ihren Füßen zu tun. Seine Farbe frißt ihm auch nicht ins Geld. Wenn mir morgen das Abendbrot fehlt, fragt mich kein Weltdämchen danach, ob ich mich aufs Austernschlecken verstehe.

LULU. Ist das ein Unhold!

SCHWARZ(nimmt die Arbeit wieder auf). Was jagt den Kerl auch in diese Probe!

LULU. Mir wäre es auch lieber, er wäre dageblieben.

SCHWARZ. Wir sind wirklich die Märtyrer unseres Berufes!

LULU. Ich wollte Ihnen nicht weh tun.

SCHWARZ(zögernd, zuLULU). Wenn Sie links – das Beinkleid – ein wenig höher …

LULU. Hier?

SCHWARZ(tritt zum Podium). Erlauben Sie …

LULU. Was wollen Sie?

[32]SCHWARZ. Ich zeige es Ihnen.

LULU. Es geht nicht.

SCHWARZ. Sie sind nervös … (Will ihre Hand fassen.)

LULU(wirft ihm den Schäferstab ins Gesicht). Lassen Sie mich in Ruhe! (Eilt zur Entreetür.) Sie bekommen mich noch lange nicht.

SCHWARZ. Sie verstehen keinen Scherz.

LULU. Doch, ich verstehe alles. Lassen Sie mich nur frei. Mit Gewalt erreichen Sie gar nichts bei mir. Gehen Sie an Ihre Arbeit. Sie haben kein Recht, mich zu belästigen. (Flüchtet hinter die Ottomane.) Setzen Sie sich hinter Ihre Staffelei.

SCHWARZ(will um die Ottomane). Sobald ich Sie für Ihre Launenhaftigkeit bestraft habe.

LULU(ausweichend). Dazu müssen Sie mich aber erst haben. Gehen Sie, Sie erwischen mich doch nicht. – In langen Kleidern wäre ich Ihnen längst in die Hände gefallen. – Aber in dem Pierrot!

SCHWARZ(sich der Länge nach über die Ottomane werfend). Habe ich dich!

LULU(schlägt ihm das Tigerfell über den Kopf). Gute Nacht! (Springt über das Podium, klettert auf die Trittleiter.) Ich sehe über alle Städte der Erde weg …

SCHWARZ(sich aus der Decke wickelnd). Dieser Balg!

LULU. Ich greife in den Himmel und stecke mir die Sterne ins Haar.

SCHWARZ(ihr nachkletternd). Ich schüttle, bis Sie herunterfallen.

LULU(höher steigend). Wenn Sie nicht aufhören, werfe ich die Leiter um. Werden Sie meine Beine loslassen. – Gott schütze Polen! (Bringt die Leiter zu Fall, springt auf das [33]Podium und wirftSCHWARZ, wie er sich vom Boden aufrafft, die spanische Wand an den Kopf. Nach vorn eilend, an den Staffeleien.) Ich habe Ihnen ja gesagt, daß Sie mich nicht bekommen.

SCHWARZ(nach vorn kommend). Lassen Sie uns Frieden schließen. (Will Sie umfassen.)

LULU. Bleiben Sie mir vom Leib, oder … (Sie wirft ihm die Staffelei mit dem Brustbild entgegen, daß beides krachend zu Boden stürzt.)

SCHWARZ(schreit auf). Barmherziger Gott!

LULU(links hinten). Das Loch haben Sie selber hineingeschlagen.

SCHWARZ. Ich bin ruiniert! Zehn Wochen Arbeit, meine Reise, meine Ausstellung. – Jetzt ist nichts mehr zu verlieren. (Stürzt ihr nach.)

LULU(springt über die Ottomane, über die umgestürzte Trittleiter, kommt über das Podium nach vorn). Ein Graben! – Fallen Sie nicht hinein! (Stapft durch das Brustbild.) Sie hat einen neuen Menschen aus ihm gemacht! (Fällt vornüber.)

SCHWARZ(über die spanische Wand stolpernd). Ich kenne kein Erbarmen mehr.

LULU(im Hintergrund). Lassen Sie mich jetzt in Ruhe. – Mir wird schwindlig. – – O Gott, o Gott … (Kommt nach vorn und sinkt auf die Ottomane.)

SCHWARZ(verriegelt die Tür. Darauf setzt er sich neben sie, ergreift ihre Hand und bedeckt sie mit Küssen, hält inne; man sieht ihm an, daß er einen inneren Kampf kämpft).

LULU(schlägt die Augen auf). Er kann zurückkommen.

SCHWARZ. Wie ist dir?

LULU. Als wäre ich ins Wasser gefallen …

[34]SCHWARZ. Ich liebe dich.

LULU. Ich liebte einmal einen Studenten.

SCHWARZ. Nelli …

LULU. Mit vierundzwanzig Schmissen …

SCHWARZ. Ich liebe dich, Nelli.

LULU. Ich heiße nicht Nelli.

SCHWARZ(küßt sie).

LULU. Ich heiße Lulu.

SCHWARZ. Ich werde dich Eva nennen.

LULU. Wissen Sie, wieviel Uhr es ist?

SCHWARZ(nach der Uhr sehend). Halb elf.

LULU(nimmt die Uhr und öffnet das Gehäuse).

SCHWARZ. Du liebst mich nicht.

LULU. Doch … Es ist fünf Minuten nach halb elf.

SCHWARZ. Gib mir einen Kuß, Eva!

LULU(nimmt ihn am Kinn und küßt ihn, wirft die Uhr in die Luft und fängt sie auf). Sie riechen nach Tabak.

SCHWARZ. Warum sagst du nicht »du«?

LULU. Es würde unbehaglich.

SCHWARZ. Du verstellst dich!

LULU. Sie verstellen sich selber, wie mir scheint. – Ich mich verstellen? Wie kommen Sie nur darauf? – Das hatte ich niemals nötig.

SCHWARZ(erhebt sich, fassungslos, sich mit der Hand über die Stirn fahrend). Allmächtiger! Ich kenne die Welt nicht …

LULU(schreit). Bringen Sie mich nur nicht um!

SCHWARZ(sich rasch umwendend). Du hast noch nie geliebt …

LULU(sich halb aufrichtend). Sie haben noch nie geliebt …!

[35]GOLL(von außen). Machen Sie auf!

LULU(ist aufgesprungen). Verstecken Sie mich! O Gott, verstecken Sie mich!

GOLL(gegen die Tür polternd). Machen Sie auf!

SCHWARZ(will zur Tür).

LULU(hält ihn zurück). Er schlägt mich tot.

GOLL(gegen die Tür polternd). Machen Sie auf!

LULU(vor Schwarz niedergesunken, umfaßt seine Knie). Er schlägt mich tot. Er schlägt mich tot.

SCHWARZ. Stehen Sie auf …

  (Die Tür fällt krachend ins Atelier.)

Fünfter Auftritt

GOLL. DIE VORIGEN.

GOLL(mit blutunterlaufenen Augen stürzt mit erhobenem Stock aufSCHWARZ undLULU los). Ihr Hunde! – Ihr … (keucht, ringt einige Sekunden nach Atem und schlägt vornüber auf die Diele).

SCHWARZ(wankt in den Knien).

LULU(hat sich zur Tür geflüchtet). – (Pause.)

SCHWARZ(tritt anGOLL heran). Herr – Herr Medi – Herr Medizi – Herr Medizinal – Herr Medizinalrat.

LULU(in der Tür). Bringen Sie doch bitte erst das Atelier in Ordnung.

SCHWARZ. Herr Obermedizinalrat. (Beugt sich nieder.) Herr … (Tritt zurück.) Er hat sich die Stirne geritzt. Helfen Sie mir, ihn auf die Ottomane legen.

LULU(bebt scheu zurück). Nein, nein …

[36]SCHWARZ(sucht ihn umzukehren). Herr Medizinalrat.

LULU. Er hört nicht.

SCHWARZ. Helfen Sie mir doch nur.

LULU. Wir heben ihn zu zweit auch nicht.

SCHWARZ(sich emporrichtend). Man muß zum Arzt schicken.

LULU. Er ist furchtbar schwer.

SCHWARZ(seinen Hut nehmend). Seien Sie doch bitte so freundlich und richten Sie, bis ich zurück bin, die Stellagen ein wenig zurecht. (Ab.)

Sechster Auftritt

LULU. GOLL.

LULU. Auf einmal springt er auf. – (Eindringlich.) Bussi! – – Er läßt sich nichts merken. – (Kommt in weitem Bogen nach vorn.) Er sieht mir auf die Füße und beobachtet jeden Schritt, den ich tue. Er hat mich überall im Auge. – (Sie berührt ihn mit der Fußspitze.) Bussi! – (Zurückweichend.) Es ist ihm ernst. – – Der Tanz ist aus. – – Er läßt mich sitzen. – – Was fang’ ich an? – – (Beugt sich zur Erde.) Ein wildfremdes Gesicht! – (Sich aufrichtend.) Und niemand, der ihm den letzten Dienst erweist. – Ist das trostlos …

[37]Siebenter Auftritt

SCHWARZ. DIE VORIGEN.

SCHWARZ. Noch nicht wieder zur Besinnung gekommen?

LULU(links vorn). Was fang’ ich an …

SCHWARZ(überGOLL gebeugt). Herr Medizinalrat.

LULU. Ich glaube beinah, es ist ihm ernst.

SCHWARZ. Reden Sie doch anständig!

LULU