Lusakata - N.D. Bennett - E-Book

Lusakata E-Book

N.D. Bennett

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Beschreibung

Ein Schatten der Gefahr liegt über Lusakata. Seltsame Dinge geschehen im Wald jenseits des Flusses. Leute verschwinden spurlos und kehren nicht wieder zurück. Auf der Suche nach Hilfe gerät Zauberlehrling Mattis an Alexander, einen Jungen aus Caleida - der Menschenwelt. Doch noch bevor dieser merkt, wohin Mattis ihn geführt hat, ist es bereits zu spät. Die Zeit wird knapp. Etwas oder jemand folgt ihnen. Es schleicht umher und ist bereit, jeden Moment zuzuschlagen. Fest entschlossen, Lusakatas düsteres Geheimnis aufzudecken, nehmen die beiden Freunde die Herausforderung an, nichtsahnend, welchen Gefahren sie sich stellen müssen. Ein spannendes Buch für Leser ab 10 Jahren zum Thema Mut und Freundschaft, voller Magie, Abenteuer und Fantasie, in dem der Humor nicht zu kurz kommt.

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Seitenzahl: 292

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Lusakata

N.D. Bennett

Inhalt

1. Jetzt

2. Winter zuvor

3. Wundervolle Zeiten

4. Ein wahres Meisterwerk

5. Kein Entkommen

6. Unbekannte Wege

7. Wahrheit ohne Zuversicht

8. Beginn und Neuanfang

9. Unheilvolle Botschaft

10. Täuschung und Begegnung

11. Ein Nest im Kurisbaum

12. Zeit für Antworten

13. Das stumme Mädchen Ajundis

14. Euras Haus

15. Serula - die Kräuterfrau

16. Arcadia Lusakata reputaja

17. Die Richtungsweisen

18. Aufstieg in die Erudis

19. Gefallene Sterne

20. Stille Schatten

21. Fährfrau Calanta

22. Florania - ein Hoffnungsschimmer

23. Gestraft und verwurzelt

24. Wasser der Erinnerung

25. Die blauen Feuer Luxuria

26. Berittene Wächter

27. 120 Monde

28. In Gefangenschaft

29. Ein heimtückischer Plan

30. Im Wald jenseits des Flusses

31. Ein armseliger Verräter

32. Aljetra und Abschied

33. Taktik und Verwirrung

34. Eine wahre Geschichte

Nachwort

Danksagung

Links und mehr

Lusakata

Abenteuerroman

N.D. Bennett

Texte: © 2020 by Nina Klimanek

Covergestaltung: © 2021 by Nina Klimanek

Coverillustrationen: © shutterstock.com

Verlag:

Nina Klimanek

Am Freikamp 11

27793 Wildeshausen

[email protected]

Druck: epubli - ein Service der neopubli GmbH, Berlin

Internet: https://www.ndbennett.com

Das Werk, einschließlich seiner Werke ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische und sonstige Vervielfältigung, Übersetzung und öffentliche Zugänglichmachung.

Bibliografische Informationen der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Erstellt mit Vellum

Dieses Buch widme ich meiner Familie.

Ihr habt immer an mich geglaubt

und mich darin bestärkt,

meinen Traum nie

aufzugeben.

Jetzt

Sie sind wieder da. Ich spüre sie dicht über mir. Ihr Kreischen und lautes Schreien machen mir Angst. Ich halte mir die Ohren zu und mache mich ganz klein. Eiskalter Wind streicht über meinen Nacken.

Fortlaufen möchte ich, nur fort, doch es gelingt mir nicht. So kauere ich mich noch tiefer in das feuchte Gras. Dunkel ziehen sie über mich hinweg.

Sie sind auf der Suche.

Winter zuvor

Ein lautes Krächzen durchdringt die frostige Stille. Der Mann auf der Bank schaut kurz auf, dann zieht er sich seinen schwarzen Hut tiefer ins Gesicht und lässt den Kopf wieder zur Brust hinabsinken.

Mit verschränkten Armen sitzt er da, dösend, als sei es ein herrlicher Sommertag. Er hört die Jungen nicht kommen.

Sie kriechen über den schneebedeckten Boden und nähern sich ihm langsam. Vorfreude spiegelt sich in ihren rotwangigen Gesichtern.

Jetzt sind sie dicht genug. Der eine unter einem verschneiten Rhododendron kauernd, der andere etwas weiter entfernt hinter einem Schneehügel versteckt.

Sie nicken einander zu. Geschickt formt einer der beiden einen Schneeball in seinen Händen. Er zielt auf den Hut des Mannes und wirft.

Doch der Schneeball verfehlt sein Ziel und endet an einem Baumstamm.

Jetzt versucht es der andere Junge. »Warte nur, meiner trifft!«, denkt er sich siegesgewiss und schleudert sein kaltes Geschoss in Richtung der Parkbank. Doch auch sein Schneeball bleibt ohne Wirkung. Zu früh fällt er herab und versinkt im Schnee.

»Verflucht!«, ärgert sich der Junge, da trifft es ihn plötzlich selbst mit voller Wucht.

»Autsch«, stöhnt er leise und wischt sich den nassen Schnee aus dem Gesicht. Mit geballter Faust droht er in Richtung seines Komplizen. Doch der zuckt nur mit seinen Schultern.

»Na warte, nicht mit mir!« Erneut gräbt er seine Hände in den Schnee und formt einen weiteren Ball. Wütend feuert er ihn ab, doch schon nach halber Strecke fällt er taumelnd wie ein angeschlagenes Insekt zu Boden. Ein anderer Schneeball hat ihn im Flug erwischt.

Irritiert schaut der Junge zu dem Mann auf der Bank. Doch dieser hat sich keinen Zentimeter bewegt.

Wieder zischt ein Schneeball auf den Jungen zu. Gerade noch rechtzeitig kann er sich ducken. Grinsend kommt er hoch, doch er hat sich zu früh gefreut, ein weiterer kommt geflogen und trifft ihn mitten im Gesicht. Nun reicht es ihm. Entnervt springt er aus seiner Deckung hervor und rennt davon.

Sein Freund, der alles beobachtet hat, blickt sich suchend um. Doch außer ihm und dem Mann auf der Bank scheint niemand da zu sein.

»Wie in aller Welt macht er das?« Kaum hat der Junge zu Ende gedacht, da werden die schneebedeckten Baumzweige über ihm getroffen. Im nächsten Augenblick prasselt eine weiße Lawine auf ihn herab, die ihn vollständig unter sich begräbt. Mit beiden Armen und Beinen zugleich rudernd, wühlt er sich wie ein hilflos auf dem Rücken liegender Käfer aus dem kalten Nass. Auch er hat nun genug und läuft über beide Beine stolpernd davon.

Der Mann auf der Bank schiebt seinen Hut aus dem Gesicht und lächelt.

»Du kannst aus deinem Versteck kommen, die Jungen sind weg.«

Für einen Moment bleibt es still, dann raschelt es in einem Strauch, und da stehe ich, nass bis auf die Haut, aber zufrieden mit mir selbst.

»Woher haben Sie gewusst, dass ich hier bin?«, frage ich den Mann und schüttele meine Mütze aus.

»Ich habe gute Ohren«, erwidert der Mann und beginnt zu lachen. Er lacht und klopft sich dabei auf die Schenkel. »Du kannst erstaunlich gut werfen - oh ja, das kannst du wirklich gut«, stellt er amüsiert fest.

Ich kichere und erkläre stolz: »Das sagen die Jungen in meiner Klasse auch, für ein Mädchen sehr respektabel, sagen sie.«

»Damit haben sie allerdings recht«, stimmt mir der Mann zu.

Dann wird er ernst und fragt: »Ich möchte gern wissen, wer mir gerade so exzellent zur Seite gestanden hat. Ich stelle mich natürlich auch vor! Gestatten, mein Name ist Sedanius!« Schwungvoll zieht er seinen Hut vom Kopf.

»Ich heiße Anne, Anne Lusott.«

»Nun, Anne Lusott, kannst du genauso gut zuhören wie du werfen kannst?« Erwartungsvoll schaut Herr Sedanius mich an. Ich nicke und setze mich zu ihm auf die Bank.

Die Sonne erscheint hinter einer grauen Wolke und wärmt mein Gesicht. Gebannt lausche ich seinen Worten, die mein Leben für immer verändern sollten.

Wundervolle Zeiten

»Früher war hier kein Park, sondern ein Wald. Er war durchzogen von wildem Gestrüpp. Brennnesseln und Dornen machten ihn nur schwer zugänglich. Dennoch hielt es uns Kinder nicht davon ab, ihn zu durchstreifen, in der Hoffnung, etwas Neues zu entdecken. Manchmal gelangten wir tief im Inneren des Waldes an fast verwunschen wirkende Orte. Es waren wunderbare Zeiten voller Abenteuer, bis zu jenem Tag, als der Wald zum Revier der Kjerobande wurde. Von diesem Zeitpunkt an änderte sich alles.«

Herr Sedanius machte eine Pause und seine Gesichtszüge verdüsterten sich. Ungeduldig wartete ich, bis er weiter sprach.

»Es waren fünf Jungen. Sie traten immer zusammen auf, nie ließ sich einer allein blicken, das machte sie stark. Karl war ihr Anführer, ein ruppiger, großer Kerl mit einem breiten Grinsen im Gesicht, welches immer dann in Erscheinung trat, wenn er anderen Kindern das Leben schwer machen konnte. Die anderen Jungen hießen Jakob, Edgar, Ronny und Oskar. Sie taten stets das, was Karl ihnen sagte.

Ja, und dann gab es da noch Alexander, einen kleinen, schmächtigen Jungen, der ihr liebstes Opfer war.«

Ein wahres Meisterwerk

Lange hatte er mit all seinem Können daran gearbeitet, und nun hatte er es endlich geschafft.

Federleicht lag der aus Balsaholz gefertigte Flieger in seiner Hand. Er war schon fast ein kleines Meisterwerk und das mit Abstand Großartigste, was Alexander bisher erschaffen hatte. Jetzt musste er nur noch den Himmel erobern.

Alexander war gespannt und voller Zuversicht, wie er es sonst nur selten war.

Wer ihn näher kannte, wusste ihn sehr zu schätzen. Denn er war ein guter und fleißiger Schüler und immer zur Stelle, wenn er gebraucht wurde.

Doch die meisten machten sich nicht die Mühe, das herauszufinden, und so galt er gemeinhin als still und eigenbrötlerisch.

Aufgrund seiner fehlenden Größe, Alexander war der Kleinste in seiner Klasse, konnte es auch schon mal passieren, dass er von den anderen übersehen wurde. Nicht aber von der Kjerobande. Die Jungen fanden, dass Alexander ein ausgeprägter Schwächling war, und so ließen sie es sich nicht nehmen, ihm regelmäßig nach der Schule aufzulauern, um ihre Gemeinheiten an ihm auszulassen.

Darin waren sie wirklich gut, doch all das kümmerte Alexander in diesem Augenblick herzlich wenig. Wie ein Flugpionier der ersten Stunde fieberte er dem Jungfernflug seiner Konstruktion entgegen.

Eilig verließ er die Wohnung. Nach einem kurzen Fußweg erreichte Alexander den Rand des Waldes.

Einige Tage zuvor hatte er darin eine Lichtung entdeckt, die ihm wie geschaffen für sein Vorhaben erschien. Dort angekommen, zögerte er keine Sekunde. Er hob seinen Flieger in die Luft und rannte los.

Der Wind pfiff ihm um die Ohren und begann, heftig an der zarten Holzkonstruktion in seiner Hand zu zerren. Mit einem ordentlichen Schubs entließ er seinen Flieger in die Freiheit. Steil schoss dieser in den Himmel hinauf. Alexander stoppte.

Voller Freude über den meisterlichen Start sah er dem Gleiter hinterher. Der Wind nahm ihn mit sich, höher und höher. Es schien, als würde er tänzelnd auf unsichtbaren Wellen fortgetragen, bis er einige Augenblicke später wieder sanft im Gras landete.

Außer sich vor Glück rannte Alexander zu ihm. Das Flugzeug hatte seine Feuertaufe unbeschadet überstanden. Plötzlich hörte er ein lautes Knacken von Zweigen. Es schien aus einem Gebüsch ganz in seiner Nähe zu kommen. Sofort ging Alexander in Deckung, doch alles blieb ruhig. Dann vernahm er Stimmen. Ein lauter werdendes Johlen und Lachen drang zu ihm herüber. Instinktiv duckte sich Alexander noch tiefer, denn er wusste sofort, mit wem er es zu tun hatte.

Grölend schlenderte die Kjerobande über die Wiese. Doch ihre Ausgelassenheit fand ein jähes Ende, als ein lautes »Heda, holla!« ertönte.

Wieder knackte es im Gebüsch, dann raschelte es verdächtig, und ein kleiner, dunkelhaariger Junge kam zum Vorschein, der unbeholfen auf die Wiese stolperte.

»Heda hab ich gesagt, seid ihr schwerhörig, oder habt ihr Fell in den Ohren?«, schimpfte der Junge. Diese Worte zeigten Wirkung. Alle Jungen der Kjerobande drehten sich zugleich um.

»Hat hier etwa jemand mit uns gesprochen, Freunde? Ich sehe niemanden, ihr etwa?«, fragte Karl hämisch und schaute demonstrativ über den Jungen hinweg. Die anderen schüttelten begeistert die Köpfe.

»Seid ihr denn von allen guten Wichteln verlassen?«, rief der fremde Junge wütend und hüpfte empört auf und ab. Karl senkte seinen Blick. Dann schaute er dem Kleinen direkt in die Augen und zischte: »Was willst du?«

Der fremde Junge versuchte, sich ein wenig größer zu machen, räusperte sich und sprach: »Ich brauche Hilfe. Seid ihr mutig und schlau und in der Lage, kurzfristig mitzukommen? Es ist etwas kompliziert, wisst ihr...«

Während der Junge immer aufgeregter erzählte, begann die Bande unbemerkt einen Kreis um den kleinen Kerl zu ziehen. Alexander hielt den Atem an. Aus eigener Erfahrung wusste er genau, was dem Jungen nun blühte. Angespannt verharrte er am Boden. Dann traf er eine Entscheidung.

Mit einem Satz sprang er aus seiner Deckung hervor und rannte mit lautem Gebrüll auf die Bande zu. Blitzschnell durchbrach er ihren Kreis, packte den fremden Jungen und schrie: »Los doch, lauf!« Nur kurz nahm er die verdutzten Gesichter der anderen wahr, sie schienen nicht glauben zu können, was gerade geschah. So schnell er konnte, lief Alexander, den Jungen hinter sich herziehend, davon.

Doch es dauerte nicht lange, da hörte er ein lauter werdendes Keuchen und Pusten hinter sich. Es wurde immer heftiger, bis es schließlich Alexander zwang, sein Tempo zu verringern.

»Na endlich nimmt der Langstreckenkönig auch mal etwas Rücksicht auf die Kurzbeinigen! Unerhört ist es, so durch den Wald zu flitzen!«, beschwerte sich sein Begleiter motzig. Alexander blieb abrupt stehen. Der Junge hinter ihm reagierte zu spät, prallte mit voller Wucht gegen seinen Rücken und landete unsanft auf dem Boden.

»Ich habe gerade einen Haufen blauer Flecken riskiert, und das ist der Dank dafür?«, schimpfte Alexander wütend.

»Wie bitte?«, entgegnete ihm der fremde Junge verständnislos. »Auf die fünf von eben lasse ich nichts kommen! Ich hatte sie schon fast so weit, aber dann musstest ja du auftauchen! Zugegeben, sie wirkten auf mich zwar etwas schwer von Begriff, ansonsten gibt es aber keinen Grund, schlecht über sie zu sprechen.«

»Windelweich hätten sie dich geprügelt! Glaube es mir, das hätten sie!«, erwiderte Alexander und schüttelte verärgert den Kopf.

Der fremde Junge zog die Mundwinkel hoch und zuckte mit seinen Schultern. Dann musterte er Alexander neugierig. »Was starrst du mich so an?«, fragte dieser ihn misstrauisch. Sein Begleiter runzelte nachdenklich die Stirn und antwortete: »Ich war auf der Suche nach Hilfe, denn die benötige ich wirklich dringend! Wenn es aber so ist, wie du sagst, dann scheinst du auch ein recht schlaues Kerlchen zu sein. Schnell bist du obendrein, das kann nie schaden. Ein bisschen kleiner als gewünscht vielleicht, aber was macht das schon? Ich heiße übrigens Mattis.« Fröhlich streckte ihm der Junge die Hand entgegen.

»Mein Name ist Alexander«, antwortete der widerwillig. »Und was die Größe angeht, bin ich ja wohl mindestens einen Kopf größer als du!«, fügte er mit Nachdruck hinzu.

Ein Rufen in der Ferne ließ ihn augenblicklich wieder wachsam werden. Er schaute zu allen Seiten und zog Mattis näher an sich heran.

»Wir können hier nicht länger bleiben, hier ist es nicht sicher genug. Wenn sie uns finden, ist es aus und vorbei! Also komm, wir müssen weiter«, forderte Alexander ihn auf.

Notgedrungen setzte sich Mattis in Bewegung. Nach einigen Metern blieb er jedoch wieder stehen und fragte maulend: »Was glaubst du, wie lange dauert es noch? Ich habe Hunger und werde bereits daheim erwartet.«

»Unglaublich, worüber du dir Gedanken machst! Als hätten wir keine größeren Probleme«, entgegnete Alexander verständnislos. Er hatte gerade zu Ende gesprochen, da ertönte auch schon Karls hämisches Lachen. Siegesgewiss hatte er sich hinter den beiden Jungen aufgebaut.

»Nun werden wir wohl improvisieren müssen«, flüsterte Mattis hinter vorgehaltener Hand. »Taktik und Verwirrung sind die besten Mittel!«

»Und, was schlägst du vor?« drängte Alexander.

»Hier ist mein Plan, der einzige und beste für den Augenblick - wir laufen!«, rief Mattis und ehe sich Alexander versah, war Mattis auch schon losgesaust. Er schlug einige kurze Haken und verschwand im dichten Gebüsch.

»Was für ein genialer Plan!«, brummelte Alexander, der Karl nun ganz allein gegenüberstand. Schäbig grinsend rieb sich dieser die Hände und schlenderte selbstgefällig auf Alexander zu.

»Und? Was machst du nun, du Wurm? Da hat dein neuer Freund wohl die Kurve gekratzt! Macht aber nichts, jetzt bin ich ja da. Wir werden uns sicher auch gut verstehen!«, spottete Karl.

Alexander schluckte schwer. Eines war sicher, die Chance, ihm eine gehörige Abreibung zu verpassen, würde Karl sich nicht entgehen lassen.

»Das wird verdammt übel enden«, dachte Alexander, während Karl immer näher kam. Hastig wich er zurück und stolperte dabei über einen dicken Ast, der hinter ihm auf dem Boden lag. Er taumelte, schaffte es aber noch, sich auf den Beinen zu halten.

»Na? Nimmst du mir schon die Arbeit ab?«, kommentierte Karl Alexanders Missgeschick abfällig und schritt nun mit Tempo auf ihn zu. Alexander machte einen Satz zurück, wurde dabei aber von einem jungen Bäumchen gestoppt, das kaum höher als er selbst gewachsen war. Karl nutzte die Gelegenheit und packte ihn am Kragen.

»Habe ich dich endlich, du Kröte!«, schrie er lachend und drückte seinen Widersacher mit aller Kraft in das Bäumchen hinein. Alexander hoffte, dass es ihn halten würde, während es sich immer weiter nach hinten bog. Wild schnaubend hing Karl über ihm.

»Bring es endlich zu Ende«, dachte Alexander, als Karl sich plötzlich merkwürdig verhielt. Er spitzte seinen Mund und kniff die Augen fest zusammen. Dann rümpfte er seine Nase, bis beide Nasenflügel schließlich zu flattern begannen.

»Herrje, er wird mich doch wohl nicht küssen wollen!«, dachte Alexander, als er plötzlich realisierte, was sich da vor ihm anbahnte. Schnell rollte er sich zur Seite und plumpste zu Boden. Das Bäumchen, das ihn bis dahin gehalten hatte, schnellte mit aller Wucht vor und klatschte genau in der Sekunde in Karls Gesicht, als sich daraus ein ohrenbetäubender Nieser löste.

»Autsch, das hat weh getan!«, dachte Alexander, während Karl angeschlagen umhertaumelte.

Doch dann erkannte Alexander seine Chance. Blitzschnell sprang er auf seine Beine und rannte davon. Schon bald verlangsamte er aber wieder sein Tempo. War Karl noch hinter ihm? Wo war Mattis? Hatten sie ihn etwa erwischt? Aufmerksam horchte Alexander in die Umgebung hinein. Und tatsächlich hörte er etwas. Es waren die Rufe der Kjerobande. Weit waren sie nicht entfernt.

Hektisch schaute Alexander sich um. Wohin nur? Sollte er auf einen Baum klettern oder weiterlaufen?

Da entdeckte er am knorrigen Wurzelwerk eines mächtigen Baumes einen aufgeworfenen Erdhaufen.

Schnell lief er zu ihm und stellte fest, dass hier jemand ein tiefes Loch in die Erde gebuddelt hatte. Alexander ging in die Hocke und blickte in die Öffnung. Viel konnte er aber nicht erkennen. Schon nach wenigen Metern verschwand alles in nachtschwarzer Dunkelheit. Alexander neigte sich etwas vor.

»Komm zu mir..., komm«, drang es aus der Tiefe lockend an sein Ohr. Alexander schreckte zurück. Ihm stockte der Atem. Er wusste nicht was, aber irgendetwas war dort unten. Erneut wagte sich Alexander ein Stück vor.

»Mattis, bist du das?«, fragte er in die Schwärze, doch er erhielt keine Antwort. Dann legte er sich auf den Bauch und glitt vorsichtig ein Stück in das Loch hinein. So sehr er sich jedoch bemühte, erkennen ließ sich nichts. Allmählich lief Alexander die Zeit davon. Schon bald würden Karl und die anderen Jungen ihn eingeholt haben. Flink drehte er sich herum und schob sich mutig in den dunklen Gang. Auf seine Ellenbogen gestützt, stemmte er sich Stück für Stück tiefer in das feuchtkalte Loch hinab.

Der Gang wurde eng und enger. Beklemmung kam in ihm auf. Er fühlte sich ausgeliefert wie ein gejagtes Tier, das seinem unausweichlichen Ende entgegensah. Regungslos verharrte er einen Augenblick und horchte hinaus. Draußen war es still.

»Vielleicht sind sie weg?«, hoffte Alexander, doch dann hörte er sie wieder, sie waren jetzt ganz nah.

»Na, wo bist du denn, du mutiger Held? Retter der Schwachköpfe und Dummschwätzer«, hörte er Karls hämische Worte. »Wartet, Freunde, ich rieche etwas! Ich bin mir nicht sicher, aber ich glaube, es ist der Geruch von Angst - ja, tatsächlich, es ist Angst, die ich rieche - und zwar genau hier!«

Bewegungslos lag Alexander im sandigen Boden des dunklen Ganges und hoffte, dass noch ein Wunder geschah. Plötzlich gab es eine Erschütterung. Erde rieselte auf seinen Kopf herab. Alexander wagte es nicht, sich zu bewegen.

»Sind die da oben von allen guten Geistern verlassen? Wenn hier alles einstürzt, ist es aus mit mir!« Er hatte den Gedanken noch nicht zu Ende gedacht, da gab es eine weitere Erschütterung. Erdklumpen lösten sich aus den Wänden heraus und prasselten auf ihn nieder.

»Na, was glaubt ihr, Freunde, ist unser Held wohl da unten? Komm schon, du Feigling! Komm hervor und kämpfe wie ein Mann!«, versuchte Karl, Alexander zu provozieren.

»Hört endlich auf, da oben so herumzuspringen!«, schrie Alexander aufgebracht. Doch die Jungen schien das nicht zu kümmern. Sie trampelten und stampften weiter mit ihren Füßen, bis sich schließlich die Erde über Alexanders Kopf zu senken begann.

»Na, wie findest du das? Komm raus aus deinem Bau, Kaninchen, komm schon, komm. Wir kriegen dich ja doch!«, brüllte Karl.

Plötzlich packte etwas Alexanders Beine. Es zog sich fest um seine Knöchel und zerrte daran. Panik überkam ihn. Alexander versuchte, sich zu wehren, doch die Enge des Ganges machte es ihm unmöglich. Auf einmal gab es einen Ruck, und mit aller Kraft riss es ihn hinab. Dann wurde es schwarz.

Kein Entkommen

Ein dumpfes Geräusch drang an sein Ohr. Es roch nach Erde, und frische Luft füllte seine Lungen. Als Alexander die Augen öffnete, blickte er in ein vertrautes Gesicht.

»Da schaut her, der schnelle Fuß gönnt sich eine Mütze voll Schlaf«, scherzte Mattis und grinste. Alexander setzte sich schwankend auf und blickte sich um.

»Wo sind wir, und was ist überhaupt passiert?«

»Nun, so wie es aussieht, hat Galania dich wohl verschluckt und hier anscheinend wieder ausgespuckt!«, antwortete ihm Mattis.

»Wie bitte, was redest du da? Was ist mit Karl und den anderen Jungen? Sind wir ihnen entkommen?«, wollte er rasch wissen.

»Denen haben wir es richtig gezeigt!«, schwärmte Mattis zufrieden. »Du weißt ja, zwei helle Köpfe wie wir. Naja, jedenfalls habe ich dich gesucht und hier im Dreck gefunden. Friedlich geschlafen hast du!« Alexander rappelte sich hoch. Er klopfte sich die Hose ab und schüttelte sich die Erdklumpen aus den Haaren.

»Vermutlich ist der Gang eingestürzt. Sicherlich haben die Jungen einen Riesenschreck bekommen und mussten mich wieder ausbuddeln. Feige wie sie sind, haben sie sich dann ganz schnell aus dem Staub gemacht!«, mutmaßte Alexander.

Mattis zuckte mit den Schultern. »Nun ja, jedenfalls bist du jetzt hier. Wir müssen weiter, also los! Nur keine Müdigkeit vorschützen!« Mattis sprang auf und zog Alexander am Ärmel hinter sich her.

Schon bald verließen sie den Wald und gelangten auf einen Pfad, der sie in eine üppige Wiesen- und Weidelandschaft führte.

»Hm, sind wir hier wirklich richtig?«, wunderte sich Alexander, der bis dahin gar nicht darauf geachtet hatte, wohin sie eigentlich gingen.

Mattis winkte ab: »Klar doch, das sind wir, du wirst schon sehen!«

Es dauerte nicht lange, dann tauchten auch schon die ersten Häuser in der Ferne auf.

»Endlich, da vorn beginnt die Stadt!« Alexander war erleichtert.

»Ja, und genau dort wohnen die nettesten Bewohner weit und breit!«, fügte Mattis begeistert hinzu und deutete mit leuchtenden Augen auf ein kleines Haus mit grünen Fensterläden und schmalen Fensterbänken. An der Vorderseite befand sich eine Veranda, auf der eine Menge Zeugs herumstand. Als sie näher kamen, erkannte Alexander zwei Stühle, einige Töpfe mit grünen Kräutern und zwei Paar Stiefel, ein großes und ein kleines.

Mühelos sprang Mattis die Stufen zur Eingangstür hinauf und verkündete stolz: »Hier wohne ich!« Dann zog er an einer Schnur, die neben der Tür hing. Im selben Augenblick ertönte im Haus eine krächzende Stimme: »Besuch ist da! Besuch ist da!« Eilig öffnete Mattis die Tür. Ein graugefiederter, kleiner Vogel, der aufgeregt in einem heftig schaukelnden Käfig saß, hieß die Jungen willkommen.

»Hallo Kokobal, du kleiner Schelm!«, rief Mattis. Er wandte sich Alexander zu und bemerkte: »Kokobal ist die zuverlässigste Türglocke, die ich kenne.«

Erst jetzt registrierte Alexander die Schnur, die von der Haustür draußen nach drinnen zum Käfig führte.

»Komm herein!«, forderte Mattis ihn auf. Kurz zögerte Alexander, dann folgte er ihm schließlich ins Haus. Mattis nahm ein paar Brotkrumen, die in einer Schale neben dem Käfig lagen und fütterte Kokobal damit. Alexander sah sich um. Die Innenwände des Häuschen waren lehmverputzt und der Fußboden mit Dielenbrettern ausgelegt.

In einer Ecke weiter hinten stand ein Ofen. Er besaß mehrere kleine und eine große Herdplatte, auf der ein Kessel stand, in dem es lebhaft köchelte. Direkt daneben befand sich ein gekachelter Schrank. Auf ihm waren verschiedenste Küchenutensilien aufgebaut.

Ein großer, runder Tisch stand in der Mitte des Raumes.

»Ah, wir werden schon erwartet!«, rief Mattis erfreut, und eh sich Alexander versah, hing Mattis auch schon mit seiner Nase am dampfenden Kessel.

»Bäh! Da hat Onkel Jogasch doch wieder eine dieser ganz fürchterlichen Suppen gekocht!«, beklagte sich Mattis und machte einen Schritt zurück. »Je schlimmer sie stinken, desto wirksamer sind sie, sagt er immer.« Mattis winkte Alexander zu sich und öffnete eine ovale Holztür, die in ein weiteres Zimmer führte.

»Etwas altmodisch, aber gemütlich«, dachte Alexander. Seine Blicke wanderten umher. An den Wänden befanden sich Regale, die mit dicken und dünnen Büchern vollgestopft waren. Die meisten von ihnen wirkten schon sehr alt.

»Onkel Jogasch, Onkel Jooogaaasch, wo bist du?«, rief Mattis.

Durch einen offenen Rundbogen gelangte man in den hinteren Teil des Raumes, in dessen Mitte ein gemütlicher Schaukelstuhl in gleichmäßigen Bewegungen vor- und zurückschwang. Darin saß ein kleiner, dicklicher Mann mit einer qualmenden Pfeife, die aus seinem bärtigen Mundwinkel hing. Er hatte die Augen geschlossen und trug eine Brille, welche ziemlich schief auf seiner knolligen Nase saß.

»Ah, da bist du ja, Onkel Jogasch! Schau nur, ich habe jemanden mitgebracht!« Doch der bärtige Mann reagierte nicht.

Sein gleichmäßiges Schnarchen erfüllte den ganzen Raum. Ungeduldig rüttelte Mattis an seinem Arm.

»Chrrr, chrrr..., huch..., oh, Mattis, mein Junge, wo hast du denn nur so lange gesteckt?« Hastig setzte sich der Alte auf, nahm die Pfeife aus dem Mundwinkel und rückte sich seine Brille zurecht. Während er dies tat, murmelte er: »Ich lese gerade wichtige, sehr wichtige Dinge, weißt du.«

Mattis schob Alexander nach vorn. »Schau, Onkel Jogasch, das ist Alexander!«

»Ah, du hast einen Freund mitgebracht? Wunderbar, wunderbar«, antwortete der alte Jogasch und ließ seine Blicke nur flüchtig über Alexander schweifen.

»Ihr habt bestimmt Hunger, nicht wahr? Kommt, Kinder, ich mache gerade Suppe. Mit knurrenden Mägen lässt es sich doch nur halb so gut erzählen! Und zu erzählen habt ihr, das sehe ich euch doch an den Nasenspitzen an!«, rief er vergnügt und rieb sich voller Vorfreude die Hände.

Gemeinsam gingen alle drei zurück in die Küche. Der alte Jogasch rührte einmal kräftig im Kessel.

Mattis und Alexander nahmen am Tisch Platz.

»Das riecht aber lecker!«, stellte Alexander fest und konnte so gar nicht nachvollziehen, was Mattis an der Suppe seines Onkels auszusetzen hatte.

»Ja, ja natürlich!«, antwortete Jogasch und stellte eine prall gefüllte Schüssel auf den Tisch.

Freundlich wandte er sich an Alexander: »Greif zu, mein Junge, du siehst aus, als käme dir meine Suppe gerade recht.«

Alexander bedankte sich höflich und nahm sich einige Kellen davon. Schlürfend löffelte er sie in seinen Mund hinein. »Wie gut das schmeckt«, dachte Alexander und schon bald spürte er, wie die Suppe ihn munter zu machen schien. »Die ist ja wirklich ganz ausgezeichnet, Herr Jogasch! Wenn Sie nichts dagegen haben, dann würde ich gerne noch nachnehmen!«

»Aber natürlich, mein Junge«, freute sich Onkel Jogasch und sorgte für Nachschub. Unterdessen schaufelte Mattis seine Suppe so eilig in sich hinein, dass es ein wahres Wunder war, dass er sich nicht daran verbrühte.

»Nun ihr beiden, erzählt doch mal, was hat sich bei euch denn so zugetragen?«, erkundigte sich Jogasch, während er mit der Suppenkelle wild in der Luft herumfuchtelte.

»Also, du wirst es kaum glauben, Onkelchen!«, begann Mattis geheimnisvoll zu berichten. »Da waren die fünf Jungen, ich hatte sie gerade erst kennengelernt, doch dann tauchte auch schon Alexander auf und zapperapp - riss er mich mit sich!«

Alexander verschluckte sich und musste heftig husten.

»Oh, entschuldige bitte vielmals! Es war sicherlich nicht meine Absicht, deine nette Kennenlernrunde zu stören!«, empörte er sich. »Beulen und blaue Flecke hätten sie dir mit Freude verpasst - ist bei denen so eine Art Begrüßungsritual! Naja, wer‘s mag«, spottete er weiter.

»Schon gut, du hast ja recht«, gestand Mattis einsichtig und hob bedeutungsvoll seinen Zeigefinger.

»Es waren wahrscheinlich die fünf stärksten und gemeinsten Jungen, die ich je auf einem Haufen gesehen habe, Onkel! Doch wer braucht die denn schon, wenn es einen Alexander gibt, der es mit allen fünfen gleichzeitig aufnimmt!«, verkündete Mattis voller Begeisterung. Ungläubig hob Alexander seine Augenbraue.

»Und rennen kann er, das hättest du wirklich mal sehen sollen!«, plapperte Mattis weiter. »Dank mir und meines klugen Köpfchens konnten wir sie dann aber abschütteln!«, feierte Mattis sich selbst.

Zweifelnd blickte Alexander Mattis an. Es war allerhöchste Zeit, das übertriebene Gehabe zu beenden.

»Vielen Dank für die köstliche Suppe, Herr Jogasch, doch ich muss nun gehen. Meine Mutter fragt sich bestimmt schon, wo ich denn bleibe.« Kaum hatte er den Satz beendet, da begann sich alles in seinem Kopf zu drehen. Alexander kniff seine Augen fest zu und öffnete sie wieder.

»Geht es dir auch gut, mein Junge? Du siehst ein wenig blass aus«, fragte Jogasch stirnrunzelnd. Alexander erhob sich von seinem Platz.

»Nein, nein - danke, es geht schon. Sagen Sie bitte, wie komme ich denn am schnellsten in den Holler Weg?«

Er hatte noch nicht ganz ausgesprochen, da musste er sich schon wieder setzen.

Alexander hatte das Gefühl, dass der Boden unter seinen Füßen schwankte, und alles um ihn herum leise und dumpf klang. Verzweifelt versuchte er, sich auf den Beinen zu halten. Onkel Jogasch sprang sofort auf. Er nahm ein Fläschchen von seinem Gürtel und verabreichte Alexander ein paar Tropfen daraus.

Alexander war augenblicklich wieder hellwach und klar im Kopf. Der Schwindel war wie weggepustet.

»Das ist aber eine äußerst wirksame Medizin, Herr Jogasch!«, stellte Alexander verblüfft fest.

Der alte Mann nickte nachdenklich. »Aber ja doch, natürlich ist sie das, daran besteht kein Zweifel. Wirksam scheint aber auch mein Süppchen gewesen zu sein.« Mit prüfenden Blicken musterte Jogasch Alexander. Dann wich er zurück.

»Ich denke, es ist nun allerhöchste Zeit für dich zu gehen!«, erklärte Jogasch beunruhigt.

»Aber Onkel…!«, versuchte Mattis zu protestieren, doch es half nichts, und so fügte sich Mattis schweigend. Der Alte klopfte Alexander aufmunternd auf die Schulter und schob ihn in Richtung Tür.

»Gehe einfach den Weg, den du gekommen bist, dann findest du zurück! Aber beeile dich, mein Junge!«

Ehe sich Alexander versah, war er auch schon draußen und die Tür hinter ihm geschlossen.

»Manieren sind das!«, dachte er und wollte gerade gehen, da öffnete sich ein Fenster, und Mattis steckte seinen Kopf hinaus. »Wiedersehen, Alexander, und wenn du es dir anders überlegst, bist du immer willkommen!«

Alexander nickte irritiert, während Mattis wieder nach drinnen verschwand.

»Sonderbar, äußerst sonderbar«, dachte Alexander und ging.

Unbekannte Wege

Die Sonne stand schon tief am Himmel, als Alexander die Stadt erreichte.

»In diesem Viertel bin ich noch nie gewesen«, stellte er verblüfft fest. Die Häuser hier waren viel einfacher gebaut, als er es kannte. Sie waren kleiner und etwas windschief. Dennoch wirkten sie einladend und gemütlich.

Alexander kam an einem Garten vorbei, in dem eine Frau unter einem Apfelbaum stand. Sie hatte lange, glatte Haare, die ihr bis zu den Waden hinunterreichten. Als sie Alexander erblickte, grüßte sie ihn freundlich. Dann wandte sie sich wieder dem Baum zu und murmelte leise etwas vor sich hin. Wenige Augenblicke später fiel ein Apfel herab, der direkt in ihren Händen landete. Zärtlich strich sie darüber und verschwand zufrieden in ihrem Haus.

»Wie verrückt ist denn das? So etwas würde ich auch gern können«, stellte Alexander verdutzt fest und schwankte dabei zwischen Belustigung und Bewunderung. »Einen Apfel durch bloßes Zureden zum Fallen zu bringen - das ist schon etwas ganz Besonderes!«

Gedankenversunken setzte Alexander seinen Weg fort. Kurze Zeit später fiel sein Blick auf ein Haus, das an eine Wiese grenzte, deren saftiges Grün durch unzählige Maulwurfshügel fast verschwunden war.

Ein Surren ertönte, das Alexander augenblicklich aufhorchen ließ. Suchend blickte er umher. Auf dem Dachfirst eines kleinen Nebengebäudes entdeckte er zwei ältere Herren, die dort recht munter mit Angelruten in ihren Händen saßen.

Ein freudiges »Hopplahopp!« rief der eine lauthals und warf seine Angel aus. »Zum donnernden Wurzelgnom, dieser Volltreffer geht an mich!«, lachte er, als sein Wurf direkt einen Maulwurfshügel traf.

Amüsiert beobachtete Alexander die beiden Herren bei ihrem seltsamen Wettbewerb. Nach einer Weile aber zog es ihn weiter. Der Weg wand sich und führte zu einem Abzweig. Die Häuser waren nun enger beieinander gebaut. Angelehnt an einer Hauswand stand ein junger Mann, der auf einem Stöckchen kaute. Er grüßte Alexander freundlich.

Über der Eingangstür neben ihm hing ein Schild mit der Aufschrift: Traumsucher. Alexander überlegte kurz, welchen Weg er einschlagen sollte.

»He, Junge, pass doch auf! Geh zur Seite, mach Platz für die Windfänger und Fahnenträger!«

Überrascht sprang Alexander zur Seite und sah eine Gruppe von Männern vorüberziehen, die mit Stangen und Tüchern aller Art bepackt waren. Einige von ihnen hatten lange, geflochtene Bärte, und alle trugen sie die gleichen Gewänder aus dünnen, flatternden Stoffen, die bis auf den Boden reichten. Er folgte den Männern durch einige Gassen hindurch, bis er zu einem großen Platz kam. Dort herrschte geschäftiges Treiben.

Frauen und Männer liefen eilig umher. Einige von ihnen bauten lange Reihen von Bänken und Tischen auf, während andere damit beschäftigt waren, diese mit Blumen und Stoffen zu schmücken. Es schien eine Art Fest vorbereitet zu werden, vielleicht zu einem mittelalterlichen Thema. Das würde jedenfalls so einiges erklären, fand Alexander und schaute sich neugierig um. Weiter hinten auf dem Platz entdeckte er einen Mann, der damit beschäftigt war, kleine Steinchen auf dem Boden aneinanderzureihen. Alexander ging zu ihm.

»Was soll denn das werden?«, fragte er ihn interessiert. Der Mann verließ augenblicklich seine gebückte Haltung und richtete sich auf.

»Das wird ein Steinbild«, antwortete er lächelnd. Er merkte, wie sehr sich Alexander anstrengte, um in dem Muster auf dem Boden etwas erkennen zu können.

»Klettere auf die Holztrabenale, dort drüben. Von dort aus hast du einen guten Blick. Komm schon, versuch es einmal!«, forderte der Mann ihn auf.

Alexander war schon sehr gespannt und folgte seinem Ratschlag. Über eine hölzerne Treppe gelangte er auf eine Art Tribüne, von der aus er einen guten Blick über den Marktplatz hatte. Er schaute zu der Stelle am Boden, an der die Steine ausgelegt waren. Alexander staunte, denn was er nun erkennen konnte, war das Bild eines jungen Mädchens, kaum älter als er selbst. Die vielen bunten Steinchen, aus denen es bestand, funkelten im warmen Gelb der untergehenden Sonne. Noch nie zuvor hatte Alexander etwas so Schönes gesehen.

»Wer ist sie?«, rief Alexander zu dessen Schöpfer hinab. Dieser war unten an die Treppe getreten und wischte sich den Schweiß von der Stirn.

»Du meinst, du erkennst sie nicht?«, rief er ein wenig verärgert und stapfte sogleich zu Alexander hinauf. »Hm, nun gut, ich gebe dir recht, die Haare sind noch nicht lang genug«, murmelte er und kletterte behände die Stufen wieder hinab, um seinem Werk den nötigen Feinschliff zu verpassen. Alexander folgte ihm.

Die Menschenmenge auf dem Marktplatz hatte sich erheblich vergrößert. Ein Durchkommen wurde immer schwerer. Alexander war klar, dass er sich sputen musste, um noch vor Einbruch der Dunkelheit nach Hause zu kommen. Unvermittelt wich er einer Frau aus, die einen schweren Blumenkübel trug. Sie musterte ihn kurz, nickte ihm freundlich zu und zog an ihm vorbei. Alexander bog in eine Seitengasse ab. Hier herrschte bedeutend weniger Trubel.

Die Gasse schien jedoch aus der Stadt hinauszuführen, denn in der Ferne ließ sich schon wieder der Wald erkennen.

»Hier bin ich auf gar keinen Fall richtig!«, dachte Alexander und kehrte um. Er durchlief noch weitere Straßenzüge in der Hoffnung, den richtigen Weg zu finden, doch es war wie verhext. Sämtliche Gassen, die vom Marktplatz wegführten, führten auch dorthin wieder zurück. Andere wiederum verliefen hinaus aus der Stadt, direkt auf Wald- und Wiesenpfade.

Immer, wenn er jemanden ansprach, um nach dem Weg zu fragen, zuckte dieser entweder ratlos mit den Schultern oder wies ihm den falschen Weg. Alexander begann zu verzweifeln und blieb stehen.

Da spürte er plötzlich eine Hand auf seiner Schulter. Er erschrak und wollte sich umdrehen, doch in dem Augenblick packte die Hand fester zu und eine Stimme zischte: »Dreh dich nicht um, Junge. Hör mir einfach nur zu. Du bist fremd hier, nicht wahr? Keine Angst, ich verrate es niemandem. Doch ich gebe dir einen guten Rat: Verschwinde von hier so schnell du kannst! Gehe dorthin zurück, wo du hergekommen bist, sonst wird es böse enden!«

Als die Hand wieder von ihm wich, wagte er es nicht, sich zu bewegen. Seine Knie zitterten wie Espenlaub. Eine Menge Leute waren um ihn herum. Misstrauisch musterte Alexander sie.

Da entdeckte er nur für einen kurzen Augenblick ein vertrautes Gesicht. Es war Mattis.

Alexander konnte sein Glück kaum fassen und versuchte, wild winkend Mattis auf sich aufmerksam zu machen. Als das nichts nützte, schob er sich energisch durch das Gedränge.