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Während Aruula und Rulfan auf dem Weg zum Flächenräumer sind, greift in der Anlage am Südpol der Wahnsinn um sich! Schließlich sieht Matt Drax keinen anderen Weg, als die neu entstandenen Zeitportale zu nutzen, um den Flächenräumer weitgehend zu evakuieren. In der Vergangenheit sollen die Zeitreisenden versuchen, die Gegenwart zum Vorteil der Menschen zu verändern. Es bleiben nur noch wenige Tage, bis der Streiter die Erdumlaufbahn erreicht!
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Seitenzahl: 156
Veröffentlichungsjahr: 2012
Cover
Impressum
Was bisher geschah
Exodus
Leserseite
Zeittafel
Cartoon
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige E-Book-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2015 by Bastei Lübbe AG, Köln
Verlagsleiter Romanhefte: Dr. Florian Marzin
Verantwortlich für den Inhalt
Lektorat: Michael Schönenbröcher
Titelbild: Koveck und Néstor Taylor, Agentur Ortega
Autor: Michelle Stern
E-Book-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln
ISBN 978-3-8387-1683-1
www.bastei-entertainment.de
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www.bastei.de
Am 8. Februar 2012 trifft der Komet „Christopher-Floyd“ die Erde. In der Folge verschiebt sich die Erdachse und ein Leichentuch aus Staub legt sich für Jahrhunderte um den Planeten. Nach der Eiszeit bevölkern Mutationen die Länder und die Menschheit ist – bis auf die Bunkerbewohner – auf rätselhafte Weise degeneriert. In dieses Szenario verschlägt es den Piloten Matthew Drax, dessen Staffel beim Einschlag durch ein Zeitphänomen ins Jahr 2516 gerät. Nach dem Absturz wird er von Barbaren gerettet, die ihn „Maddrax“ nennen. Zusammen mit der telepathisch begabten Kriegerin Aruula findet er heraus, dass Außerirdische mit dem Kometen – dem Wandler – zur Erde gelangt sind und schuld an der veränderten Flora und Fauna sind. Nach langen Kämpfen mit den Daa’muren und Matts Abstecher zum Mars entpuppt sich der Wandler als lebendes Wesen, das jetzt erwacht, sein Dienervolk in die Schranken weist und weiterzieht. Es flieht vor einem kosmischen Jäger, dem Streiter, der bereits seine Spur zur Erde aufgenommen hat!
Bei einem tragischen Unfall stirbt Matts Tochter Ann – durch Aruulas Hand. Matt ist fertig mit der Welt und trennt sich von Aruula. Stattdessen sucht er Heilung für die todkranke Xij, die in sich verschüttet die Geister unzähliger früherer Leben trägt. Matt hofft auf seine Hydritenfreunde Quart’ol und Gilam’esh. In der geheimen Stadt Gilam’esh’gad erinnert sich Xij an ihr erstes Leben als Manil’bud, Gilam’eshs Gefährtin. Trotzdem entscheidet sie sich für ein Leben als Mensch, in einem identischen Klonkörper, in den ihr Geist überwechselt.
Inzwischen wird die Burg von Matts Blutsbruder Rulfan von Exekutoren belagert. Meister Chan, der die Macht in Britana an sich reißen will, hilft ihm gegen die angeblichen Renegaten, die er selbst beauftragt hat. Doch er rechnet nicht mit Xij, die Rache nimmt für eine Vergewaltigung, die Chan einer ihrer früheren Existenzen antat.
Da entdecken die Marsianer, dass der Neptun am Rande des Sonnensystems an Masse verliert! Bedeutet das die Ankunft des Streiters? Man stellt den Magnetfeld-Konverter fertig und schickt ein Raumschiff zur Erde. Dort kontaktiert man Matt und richtet den Flächenräumer ein. Matthew zieht Gilam’esh und Quart’ol sowie den Androiden Miki Takeo hinzu. Anschließend will er Aruula bitten, mit einem Telepathenzirkel Kontakt zum Streiter aufzunehmen, doch sie erweist sich als erbitterter Feind. Matt ahnt nicht, dass es der Daa’mure Grao ist, der auf den 13 Inseln die Macht übernommen und die echte Aruula in einer Höhle eingesperrt hat. Als Grao dann doch einen Zirkel bilden lässt und die Bedrohung begreift, macht er sich auf den Weg zum Flächenräumer, um zu helfen – und lässt Aruula zum Sterben zurück. Am Südpol angekommen, wird Grao vom Streiter okkupiert. Matt & Co. müssen ihn auf Eis legen, um Schlimmeres zu verhindern. Aber auch die anderen Telepathen drehen langsam durch.
Inzwischen wird Aruula gefunden und befreit. Um Matt vor Grao zu warnen, überredet sie Rulfan, sie mit seinem Luftschiff zum Südpol zu bringen.
Exodus
von Michelle Stern
Der Streiter bewegte sich träge in der samtenen Schwärze zwischen Sonne und Planeten. Die Nahrung, die er am Rand dieses Systems zu sich genommen hatte, sättigte ihn kaum. Nichts konnte den besonderen Hunger stillen außer den Wesen, die er seit Urzeiten jagte.
Die Gier wurde größer in ihm, drängte ihn zur Eile. Der Ruf seines Finders war lange verstummt, doch das Ziel war klar: die winzige Blaukugel, von der das Signal ausgegangen war. Ein Wandler lag dort. Er musste dort liegen, auch wenn er sich versteckte, denn der Streiter hatte bereits Kontakt mit den Daa’muren aufnehmen können, dem Dienervolk des Wandlers.
Nur noch wenige Einheiten entfernt wartete, was er so dringend brauchte wie nichts anderes. Bald würde er seine Gier stillen und den Schmerz lindern können …
Südpol, Flächenräumer
„Justierung erfolgt.“ Die durch Lautsprechermembranen verstärkte Stimme des Androiden Miki Takeo hallte in dem Kuppelsaal wider. Durch das umgebaute, bionetisch aufgerüstete Headset des Mars-Shuttles konnte er zumindest seine Stimme überall in der Anlage erklingen lassen. Sein Körper dagegen besaß keinen solchen Spielraum. Der bullige, über zwei Meter große und mit Plysterox gepanzerte Maschinenmann hing über ein breites Kabel verbunden am System des Flächenräumers. Der Kabelstrang ragte aus seinem Nacken und jagte Commander Matthew Drax noch immer einen Schauer über den Rücken, wenn er ihn betrachtete; so hatte der Koordinator damals ihn und Arthur Crow unter seine Kontrolle bringen wollen.
Aber in diesem Augenblick hatte Matt keinen Blick dafür übrig. Er starrte fasziniert auf den bionetischen Großbildschirm der Zieloptik. Neben ihm tippten die fleischigen Finger Meinhart Steintriebs nervös auf die Eingabefelder neben den Armaturen.
Der Retrologe aus Ostdoyzland kniff geblendet die Augen zusammen. Auch Matt blinzelte. Ein Bild strahlte in der türkis schillernden Fassung des Monitors. „Jau, das isses!“ Steintrieb riss den Arm mit der Faust wie zu einem „Strike“ nach unten.
Der Schirm zeigte eine Darstellung des zunehmenden Mondes, auf der ein rotes Fadenkreuz ruhte. Etliche Daten in hydritischer Sprache flimmerten in Kolonnen über der silbrigen Oberfläche. Der über dreitausendvierhundert Kilometer durchmessende Erdtrabant diente ihnen als neuer Zielpunkt. Denn was sie anvisieren wollten, befand sich nicht auf der Erde, sondern im Weltall.
Mit angehaltenem Atem wartete Matt darauf, ob die Justierung der Zieloptik diesmal vom System angenommen wurde. Bereits mehrfach hatten sie die Einstellungen einprogrammiert, aber die Peilung war nie von Dauer gewesen und durch die Voreinstellungen des hydritischen Systems immer wieder zurück auf die Erde gesprungen. Der Flächenräumer war nie dafür gedacht gewesen, Ziele außerhalb der Erdkruste anzuvisieren. Doch nun schien Miki Takeo, der die Rolle des fehlenden Koordinators eingenommen hatte, endlich dauerhafte Änderungen in der Waffenanlage vorgenommen zu haben.
Während Matt mit vorgelehntem Oberkörper beobachtete, ob das Bild konstant blieb, dachte er an den Streiter. Das kosmische Wesen konnte jede Stunde in Erdnähe ankommen. Der Daa’mure Grao’sil’aana – früher ein Dienerwesen des Wandlers – war vor wenigen Tagen von ihm kontaktiert worden. Er hatte diese Verbindung nur überstanden, weil sie ihn umgehend in Eis gepackt und damit seinen thermophilen Körper quasi auf „Not-Aus“ gestellt hatten.1) In seinem Inneren herrschten Temperaturen von mehreren hundert Grad; die Eiseskälte verlangsamte sein Denken und seine Motorik und schützte ihn vor dem mentalen Zugriff des Streiters.
Wie viel Zeit bleibt uns noch?, dachte Matt einmal mehr. Wann haben wir ausgespielt?
Um die Gefahr durch den Streiter abzuwenden, kämpften er, die Hydriten Gilam’esh und Quart’ol, die Marsianer Vogler und Clarice, der Androide Miki Takeo sowie der Retrologe Meinhart Steintrieb und Matts Begleiterin Xij Hamlet seit Wochen um die volle Einsatzbereitschaft des Flächenräumers. Zwei Opfer hatten sie bei ihren Bemühungen bereits zu betrauern: Die Marsianer Mariann Braxton und Sinosi Gonzales waren von einem Wesen aus einer Zeitblase getötet worden. Auch die Besatzung der AKINA schien verloren. Zumindest hatte die Mondbasis nach einer letzten empfangenen Nachricht keinen Kontakt mehr zu dem Schiff, das dem Streiter entgegengeflogen war.
Und das alles, um die größte Waffe der hydritischen Geschichte neu aufzuladen und auszurichten, damit man auf den Streiter schießen und einen Teil von ihm – einen lebenswichtigen, wie alle nur hoffen konnten – durch Raum und Zeit in eine ferne Zukunft versetzen konnte.
Dies jedenfalls war ihr erster Plan gewesen. Bevor sie mit eben jener letzten Nachricht der AKINA eine Information erreichte, die in Matt einen Geistesblitz gezündet hatte. Er erinnerte sich noch genau daran, was Vogler nach einem Funkkontakt mit dem letzten Überlebenden der Mondstation berichtet hatte.
„Die AKINA hatte eine Sonde gestartet. Kurz nachdem sie auf den Streiter traf, brach die Übertragung ab. Aber für ein paar Sekunden hat sie noch interessante Daten geliefert, die erklären könnten, warum der Streiter sich optisch nicht erfassen lässt. Er besteht zu einem großen Anteil aus Teilchen, die sich schneller bewegen als das Licht. Aus Tachyonen!“
Tachyonen! Jene Teilchen, denen Matt seine relative Unsterblichkeit verdankte – und von denen sich auch der lebende Stein namens Mutter ernährt hatte, dessen Ursprung tief unter der Erde Ostdoyzlands lag.
Xij hatte sofort begriffen, als er den Gefährten von seiner Idee berichtete. „Das Flöz!“, stieß sie aus. „Du denkst an den Ursprung!“
„Richtig.“ Matts Herz schlug vor Aufregung schneller. „Wir haben verhindern können, dass Mutter zum Ursprung zurückkehrte, aber er schläft weiterhin dort unten, und er hat dieselbe Substanz wie sie.“ Kurz fuhr ihm durch den Kopf, wie irrsinnig sich das anhören musste: Er sprach über einen Stein wie über eine Person. Aber nichts anderes war Mutter gewesen: ein denkendes, intelligentes Wesen, das nur zwei gravierende Fehler hatte: Es schuf sich schattenhafte Sklaven, und es raubte den Menschen alle Lebensenergie und versteinerte sie damit.
Doch letztere Eigenschaft konnte ihnen nun nützlich sein!
„Ich bin mir sicher: Wenn wir einen Teil des Ursprungs in den Streiter hineinversetzen, wird das zu derselben Reaktion führen wie bei Mutter: Er wird alle Tachyonen im weiten Umkreis an sich reißen –“
„- und den Streiter versteinern!“, rief Xij begeistert.
Auch Steintrieb hatte mittlerweile begriffen. Auch wenn er Mutter nie selbst begegnet war, hatte er doch genug darüber erfahren. „Verdammich, damit treten wir dem Streiter kräftig in den Arsch!“, ließ er sich vernehmen. „Das Flöz frisst seine Tachyonen und wir sind aus dem Schneider!“
Gilam’esh klackte leise. „Ein schöner Gedanke. Aber ist das technisch überhaupt möglich? Bisher ging es darum, einen Teil des Streiters aus der Zeit zu reißen und in die Zukunft zu schicken. Können wir denn eine fünf Meter durchmessende Kugel von der Erde ins All versetzen?“
Nun mischte sich Miki Takeo ein. „Theoretisch sollte das möglich sein. Ausgetauscht wird das Stück ja auf jeden Fall. Wir müssten den Schuss nur splitten, damit wir zwei Orte gleichzeitig anpeilen können.“
„Nur!“ Vogler lachte trocken auf. „Wir hantieren hier mit einer völlig fremden Technik herum und –“
„Die ich weitgehend analysiert und begriffen habe“, unterbrach ihn Takeo. „Wenn hier einer unsere Chancen abschätzen kann, bin ich das.“
Vogler reckte angriffslustig sein Kinn vor. In letzter Zeit war er leicht zu reizen, das war Matt bereits aufgefallen. „Ach ja? Und wie stehen unsere Chancen, Mister Maschinenmann?“
Takeo fehlten die Emotionen, um auf die Provokation einzugehen. Er dachte kurz nach und verkündete dann: „Bei ungefähr zweiundvierzig Komma vier Prozent.“
Vogler schnaufte. „Und das soll viel sein?“
Takeo hob in der Imitation einer menschlichen Geste die Schultern. „Bei einem einfachen Schuss liegen sie bei unter zwanzig Prozent.“
Matt fuhr zu ihm herum. „Das hast du mir nie gesagt!“
Miki Takeo wiederholte seine Geste. „Ich wollte euch nicht unnötig beunruhigen. Lieber zwanzig Prozent als gar keine Chance.“
Eine unangenehme Pause trat ein, die Xij mit einer nächsten Frage unterbrach: „Angenommen, uns gelingt der Austausch – schicken wir damit nicht einen unversehrten Teil des Streiters auf die Erde?“
Steintrieb kam Matt zuvor: „Du vergisst die restliche Masse des Ursprungs, Prinzesschen“, sagte er süffisant. „Der bekommt zwar nur einen kleinen Appetithappen ab, aber für den Streiter war’s das.“
„Es bleibt aber ein Restrisiko“, ließ sich Matt vernehmen. Alle wandten sich zu ihm um. „Wir haben bislang verhindern können, dass der Ursprung von der Existenz der Oberflächenbewohner, ihrer Lebensenergie und auch der Tachyonen des Zeitstrahls erfährt“, erklärte er weiter. „Wir wissen nicht, wie er auf diesen Appetithappen reagiert. Vielleicht wird er neugierig und kommt an die Oberfläche. – Aber dieses Risiko gehe ich gern ein“, fügte er rasch hinzu. Verglichen mit dem Streiter ist das Flöz das weit kleinere Übel.“
Meinhart Steintrieb wandte sich an Takeo. „Und du weißt, wie man den Schuss splitten kann, Mann?“
„Indem wir die Zieloptik auf zwei Ziele gleichzeitig ausrichten … vereinfacht ausgedrückt“, entgegnete der Android. Ich kann den Plan eines Bauteils anfertigen, das unsere Hydriten mittels Bionetik herstellen und einbauen müssten.“
„Wie lange wird das dauern?“, stellte Matt die wesentliche Frage.
„Inklusive der Ausrichtung drei, vier Tage, grob geschätzt.“
Matt schlug die rechte Faust in die linke Handfläche. „Dann lasst uns keine Zeit verlieren. Oder gibt es noch Einwände?“
Für Sekunden sah es aus, als würde Vogler etwas sagen wollen, doch dann winkte er nur ab.
Matts Gedanken kehrten aus dem Gestern zurück. Noch bauten die Hydriten an dem Splitter, während Steintrieb, Takeo und er schon einmal das erste Ziel anvisierten: den Mond.
Sie mussten den Streiter treffen, bevor dieser die Erdoberfläche erreichte. Die Annäherung an den Planeten allein hatte schon den Mars in eine Katastrophe geführt. Seitdem von dort keine Nachrichten mehr kamen, fürchtete er um die gesamte Zivilisation des Roten Planeten.
Meinhart Steintrieb zwirbelte eine rote Bartsträhne. „Sieht doch gut aus, nich wahr?“, fragte er Matt Beifall heischend. Der nickte zustimmend. Noch war er nicht von ihrem Erfolg überzeugt, auch wenn die meisten Schriftzeichen auf dem Schirm für ihn positiv aussahen.
Hinter ihnen erklangen Schritte. Die hochgewachsenen Marsianer Vogler und Clarice kamen durch den kreisrund gebogenen Tunnel. Hinter ihnen schlenderte Xij mit vor den Mund gehaltener Hand in die Zentrale. Ihre blonden Haare waren so verstrubbelt, als hätte sie bis eben geschlafen.
Matt drehte sich erstaunt zu den Ankömmlingen um und blickte dabei auf einen hydritischen Chronometer auf dem Monitor. War es schon wieder Zeit für ihre tägliche Besprechung? Im ewigen Diodenlicht des Flächenräumers verlor er jedes Zeitgefühl. Auch draußen im Freien gab es wenig zeitliche Anhaltspunkte, da um diese Jahreszeit die Sonne nie unterging.
Sie versammelten sich in dem Verbindungstunnel zwischen der leeren Koordinatormulde und der Zieloptik, sodass auch Miki Takeo zu ihnen stoßen konnte. Gilam’esh ließ durch das Berühren einer Schaltfläche einen bionetischen Tisch aus dem Boden wachsen. Sie setzten sich auf die dazugehörigen Sitzflächen, die überbreiten Hockern ohne Lehne glichen. Wie alles in der Station waren auch die Möbel auf die Hydriten ausgerichtet, die selten größer als einen Meter sechzig wurden. Vor allem die gut zwei Meter langen Marsianer mussten ihre Beine regelrecht zusammenfalten, um Platz nehmen zu können. Takeo blieb einfach stehen.
Matt setzte sich auf das nachgiebige Material und sah sich in der Runde um. „Die Justierung scheint diesmal gelungen zu sein“, eröffnete er. „Somit hätten wir den ersten Zielpunkt festgelegt.“ Er wandte sich an Quart’ol und Gilam’esh. „Wie sieht es mit dem Splitter aus?“
„Wir kommen gut voran“, erwiderte Quart’ol. „Es ist aber eine verfluchte Fitzelarbeit, sodass wir noch mindestens einen Tag brauchen werden.“
„Mir gefällt nach wie vor nicht, dass wir quasi übern Daumen peilen“, sagte Steintrieb. „Okee, wir können anmessen, wenn der Streiter die Mondumlaufbahn erreicht – aber dann bleibt uns ’n verdammt kleines Zeitfenster für den Schuss. Besser wär’s doch, wenn er auf’m Mond landen täte, dann hätten wir keine Hektik. Stimmt’s, oder hab ich recht?“
„Schon richtig – aber wie willst du ihn zum Mond locken?“, fragte Xij. „Mit einem Schild ‚Tachyonen gratis‘?“
Steintrieb erlaubte sich ein kurzes Grinsen, bevor er verkündete: „Der fliegende Stachelschwanz!“
Matt brauchte einen Moment, den komplexen Gedankenzügen des Genies zu folgen. „Du meinst Thgáan?“ Grao war mit dem Todesrochen – die Daa’muren nannten sie „Lesh’iye“ – hier angereist, hatte ihn dann aber auf eine Parkposition in der Erdumlaufbahn geschickt.
„Eben den“, sagte Steintrieb. Man konnte ihm ansehen, wie er sich innerlich die Hände rieb. „Wenn ich das richtig gecheckt hab, ist er doch auch ein Geschöpf des Wandlers.“
„Nicht ganz“, antwortete Matt. „Die Daa’muren haben die Todesrochen geschaffen, aber mit Kristallsplittern, die vom Wandler stammten.“
„Geschenkt“, winkte Steintrieb ab. „Jedenfalls wird der Flattermann für den Streiter genauso interessant sein wie unser tiefgefrosteter Echsenmann.“
Matt begann zu verstehen. Der Streiter hatte Grao’sil’aana auf der Erde geortet und ihn unter seine Kontrolle gebracht. Vermutlich würde er auf Thgáan genauso reagieren. Wenn sie ihn zum Mond dirigierten …
„Wenn wir ihn zum Mond dirigieren und dort landen lassen, bevor der Streiter hier ankommt“, sagte Steintrieb, „wird der unter Garantie dort vorbeischauen. Und dann –“, er klatschte in die Hände, „ZACK!“
Matt kam nicht umhin, Steintriebs innovativen Verstand zu bewundern. Zwar wäre es ihm persönlich lieber gewesen, Grao selbst mit einer Rakete zum Mond zu schießen, doch neben ethischen Bedenken fehlte ihm schlicht das Material für die Umsetzung. Thgáan dagegen würde aus eigener Kraft den Mond erreichen können, denn er benötigte weder Nahrung noch Sauerstoff. Und dass sich der Rochen im All bewegen konnte, sehr schnell sogar, das hatte er selbst schmerzlich erfahren müssen, als Thgáan damals sein Shuttle auf dem Weg zur ISS angegriffen hatte.2)
Doch die Umsetzung von Steintriebs Plan bedeutete, dass sie den Daa’mure aus seinem „Winterschlaf“ wecken mussten. Niemand sonst konnte dem Todesrochen den Befehl geben.
„Wie geht es unserem daa’murischen Freund?“, fragte Matt an Xij gewandt, die die Aufgabe übernommen hatte, von Zeit zu Zeit nach Grao zu sehen.
„Er ist stabil.“ Die burschikose junge Frau stützte das Kinn auf ihre Hand und sah Matt so interessiert an, als versuchte sie, seine Gedanken zu lesen.
„Ich habe ihn ausführlich untersucht“, bestätigte Clarice Braxton. „Er lebt. Allerdings wissen wir nicht, was passiert, wenn wir ihn aufwecken.“
Seitdem der Streiter versucht hatte, mit ihm Kontakt aufzunehmen, lag Grao in der Schleuse, deren Temperatur sie unter den Gefrierpunkt abgesenkt hatten. Ihn im Freien zu lassen verbot sich wegen der Barschbeißer. Diese gefräßigen Kreaturen hätten wohl nicht einmal vor einer tiefgefrorenen, hornigen Echse Halt gemacht.
Quart’ols Scheitelkamm richtete sich auf. Er strich sich bedächtig über die blaue Schuppenhaut an seinem Hals. „Wir wissen alle, dass das ein großes Risiko wäre. Was, wenn der Streiter ihn sofort wieder übernimmt?“
Gilam’esh klackte zustimmend. „Außerdem ist fraglich, ob der Rochen den weiten Weg überhaupt schafft. Wir reden immerhin von etwa vierhunderttausend Kilometern. Und selbst wenn er dazu in der Lage ist – was, wenn der Streiter die Mondbahn passiert, noch ehe Thgáan seine Position einnehmen kann?“
Matt richtete sich auf seinem Sitz auf. „Wir können uns stundenlang über die Risiken unterhalten, ohne auf einen Nenner zu kommen“, sagte er. Für ihn war die Entscheidung getroffen. „Die Bedenken sind berechtigt, aber wenn es klappt, würde es unsere Chancen enorm verbessern. Ich stimme also dafür, Grao aufzuwecken und es herausfinden. Wer ist noch dafür?“
Steintriebs Hand schnellte nach oben, die von Xij folgte unmittelbar. Auch Miki Takeo fuhr seine Plysterox-Pranke in die Höhe. Clarice zögerte einen Moment, dann stimmte auch sie dafür, und schließlich schlossen sich die beiden Hydriten der Mehrheit an. Nur Voglers Hand blieb unten. Sein Blick war in sich gekehrt, als hätte er von der Abstimmung gar nichts mitbekommen. Langsam begann Matt sich Sorgen um den marsianischen Waldmann zu machen.
Matt und Xij erreichten das Schott nach draußen als Erste. Die Temperatur in diesem Bereich des Flächenräumers lag bei minus zwei Grad. Takeo hatte sie nach Clarices Angaben so reguliert; schließlich wollten sie den Daa’muren nur bewusstlos halten, nicht umbringen.
Matthew Drax entriegelte das innere Schott und trat in die Schleuse. Falls Grao doch erwachte, würde er die Tür mit eigener Kraft nicht öffnen können.