Madonna - Unterhaltung mit einer Heiligen - Theodor Mundt - E-Book

Madonna - Unterhaltung mit einer Heiligen E-Book

Theodor Mundt

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Beschreibung

Die "Madonna" ist eine Mischung von Reisebildern, Novellen und Doktrinen in einem glänzenden, aber oft forcierten Stil. Der Grundgedanke dieser Arbeit ist eine Apotheose des Fleisches und der Sinnlichkeit, die hier mit grosser Ungeniertheit, an vielen Stellen sogar mit leidenschaftlicher Glut zu Tage tritt.

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Seitenzahl: 337

Veröffentlichungsjahr: 2012

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Ähnliche


Madonna

Unterhaltungen mit einer Heiligen

Theodor Mundt

Inhalt:

Theodor Mundt – Biografie und Bibliografie

Posthorn-Symphonie.

Böhmische Dörfer, Wälder und Bäder.

Madonna.

Madonna del Giardino.

An meine Heilige.

Bekenntnisse einer weltlichen Seele.

An meine Heilige.

An meine Heilige.

Madonna schreibt.

Nachwort zu dem ganzen Buche.

Madonna, T. Mundt

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

Loschberg 9

86450 Altenmünster

ISBN: 9783849632397

www.jazzybee-verlag.de

[email protected]

Theodor Mundt – Biografie und Bibliografie

Schriftsteller des »jungen Deutschland«, geb. 19. Sept. 1808 in Potsdam, gest. 30. Nov. 1861 in Berlin, studierte Philologie und Philosophie in Berlin, lebte seit 1832 als Mitredakteur der »Blätter für literarische Unterhaltung« in Leipzig, trat in freundschaftliche Beziehungen zu Charlotte Stieglitz, hatte unter den Verfolgungen, die das Junge Deutschland erfuhr, zu leiden, machte verschiedene Reisen und nahm 1839 seinen dauernden Wohnsitz in Berlin, wo er sich auch 1842 habilitierte. 1848 ward er als Professor der allgemeinen Literaturgeschichte an die Universität zu Breslau versetzt und 1850 als Professor und Universitätsbibliothekar nach Berlin zurückberufen. Mundts literarische Laufbahn begann mit Novellen und Kritiken. Er schrieb: »Madelon« (Leipz. 1832), »Das Duett« (Berl. 1832), »Der Basilisk« (Leipz. 1833), »Moderne Lebenswirren« (das. 1834) und »Madonna, Unterhaltungen mit einer Heiligen« [Ch. Stieglitz] (das. 1835), sämtlich echte Proben jener Mischung publizistischer und poetischer Aufgaben, jener Auflösung aller unmittelbaren Darstellung zugunsten willkürlich subjektiver Reflexion, welche die jungdeutsche Schule erstrebte. Später erschienen die Romane: »Thomas Müntzer« (Altona 1841, 3 Bde.; 3. Aufl. 1860); »Carmela, oder die Wiedertaufe« (Hannov. 1844); »Mendoza, der Vater der Schelmen« (Berl. 1847, 2 Bde.); »Die Matadore« (Leipz. 1850, 2 Bde.); »Ein deutscher Herzog« (das. 1855); »Graf Mirabeau« (das. 1858, 4 Bde.); »Cagliostro in Petersburg« (Prag 1858); »Robespierre« (Berl. 1859, 3 Bde.) und »Czar Paul« (das. 1861, 6 Bde.), letztere fünf Werke Memoiren- und Romanform vermischend, daneben: »Kleine Romane« (das. 1857, 2 Bde.). Bedeutenderes leistete M. als Kritiker. Hierher gehören: »Kritische Wälder« (Leipz. 1833); »Die Kunst der deutschen Prosa« (Berl. 1837, 2. Aufl. 1843); »Geschichte der Literatur der Gegenwart« (das. 1842; 2. Aufl., Leipz. 1853); »Geschichte der Gesellschaft« (das. 1844, 2. Aufl. 1856); »Ästhetik« (das. 1845, neue Ausg. 1868); »Allgemeine Literaturgeschichte« (Berl. 1846, 3 Bde.; 2. Aufl. 1848); »Die Götterwelt der alten Völker« (das. 1846, 2. Aufl. 1854); »Dramaturgie« (das. 1847, 2 Bde.); »Die Staatsberedsamkeit der neuern Völker« (das. 1848) und »Geschichte der deutschen Stände« (das. 1854), Schriften, die zumeist das Resultat seiner akademischen Vorlesungen waren. Die besten Leistungen Mundts sind seine Charakteristiken und Schilderungen. Hier beweist er, trotz mancher paradoxer Übertreibungen, eine glänzende Gabe der Auffassung, wie namentlich in seiner Schilderung Knebels in der von ihm mit Varnhagen v. Ense veranstalteten Herausgabe von Knebels »Literarischem Nachlaß und Briefwechsel« (Leipz. 1835–36, 3 Bde.), ferner in seinen Monographien über Fürst Pückler, Hippel, Thümmel, G. Sand, Lamennais, Fr. v. Heyden, in seinem der Charlotte Stieglitz gesetzten »Denkmal« (anonym, Berl. 1835), endlich in seinen »Spaziergängen und Weltfahrten« (Altona 1838–39, 3 Bde.), seiner »Völkerschau auf Reisen« (das. 1840), die reich an interessanten Schilderungen aus London, Paris, Südfrankreich, der Schweiz ist, in den »Pariser Kaiserskizzen« (Berl. 1857), denen sich »Paris und Louis Napoleon« (d. is. 1859, 2 Bde.) anschloss, und in dem Werk »Italienische Zustände« (das. 1859–60, 4 Bde.). In den »Charakteren und Situationen, Novellen und Skizzen« (Wismar 1337, 2 Bde.) stellte er Reiseschilderungen mit Streifzügen durch die neueste Literatur zusammen. Über Mundts Verhältnis zu Charlotte Stieglitz und über die Verfolgungen, die er 1835 von der Regierung in Berlin erfuhr, vgl. E. Pierson, Gustav Kühne (Dresd. 1890).

Madonna

Posthorn-Symphonie.

Unterwegs.

Ich will mir selbst etwas blasen! Jetzt fange ich an, es zu glauben, daß von einer allgemeinen Tonlosigkeit dies unser Zeitalter ergriffen sein muß, denn auch die deutschen Postillons lassen jetzt ihr schmetterndes Mundstück ungenutzt und schläfrig herunterhängen, und jeder sagt mir mißmuthig, ihm sei das Horn verstopft. Auf meiner ganzen Reise durch Deutschland habe ich noch keinen vernünftigen Schwager gehabt, der mir und dem lauschenden Waldecho ein lustiges herzerfrischendes Trarara! Trara! Trara! zum Besten gegeben hätte. Ihnen ist das Horn verstopft. Und ein Postillon ist doch kein deutscher Schriftsteller. Wovor fürchten sich denn die Postillons? Ist es die Censur? Sind es die großen demagogischen Untersuchungen? Mein Gott, ich will mir selbst etwas blasen!

Blase, blase, wilder Sturm! könnte ich, wie König Lear, zu diesem Herzen sagen, das mir hier unter dem Reisemantel schlägt, und lacht und weint, und wieder lacht. Und warum sollte es nicht auch lachen? Die hohe Nacht draußen ist schön, wenn auch stumm, und die Sterne sind hell, wenn auch fern, und meine Liebe ist süß, wenn auch unerreichbar. Ich will mir etwas blasen, und meinen schlaflos sich tummelnden Gedanken, während die übrige Reisegesellschaft schnarcht, das Mundstück aufsetzen, das mein deutscher Landsmann dort, eben der tonlose Postillon, vor Faulheit nicht brauchen kann. Meine Reisehoffnung und meine Weltunlust sollen sich hier in einem schmetternden Chor noch bei aller Nacht miteinander unterreden. Erlaubte Zeitansichten werden einen gedämpften Baß dazwischen brummen. Eine herrliche Musik kann das geben, gleich dem sanften harmonischen Chor von Knoblauch und Zwiebeln, den der berühmte Julius Cäsar Scaliger wirklich in einer seiner Komödien – die Gott alle selig haben möge! – auftreten und in wahrhaft duftigen Rhythmen sich aussprechen ließ. Es sollte dies nur eine beißende Nachahmung sein des beißenden Zeitspötters Aristophanes und seiner Chor-Wolken und Chor-Frösche, und ich möchte Den sehen, der noch heutzutage ein glücklicherer Nachahmer des Aristophanes zu sein wagen könnte, als der berühmte Julius Cäsar Scaliger. Unsere Zeit gebiert zwar täglich tausendfachen Stoff für einen doppelten Aristophanes, aber – – das Horn ist verstopft – – Schwager, Schwager, laß Dir Dein Horn reinigen! – – es ist verstopft, und statt des keckbeflügelten Göttersohnes Aristophanes quäkt uns ein jämmerlicher Scaliger aus unserer eignen Bruströhre heraus. –

Trara! Trarara! man muß reisen. Es läßt sich heuer nichts Vernünftigeres thun, als auf die Reise gehen, besonders wenn man keine Heimath hat im eignen Vaterlande. Nicht Heimath, nicht Weib, nicht Kind, nicht Haus, nicht Heerd, nicht Ruhe, nicht Rast, nicht Andacht, nicht Hoffnung – ein windschiefes Leben. Noch mehr bedauere ich Den, dem wohl sein kann in seinen heimathlichen Zuständen heut, der eingesessen und zahmgesessen ist, und nicht jeden Augenblick sein Bündel geschnürt hat, um abtrollen und ausmarschiren zu können. Die Treue gegen die Scholle gilt nichts mehr, wenn die Scholle leibeigen macht den Geist. Man kokettire nur nicht mit der Treue, damit man sich selbst nicht untreu werde, denn ohne große Treulosigkeiten geht es einmal im Leben und in der Geschichte nie ab. Die Völker verlassen ihre alte Liebe, und suchen sich neue Gesetze, und durch die ganze Welthistorie geht ein Klagen und Weinen tausend verlassener Geliebten, und es kümmert die Völker nicht. Und des Menschen Herz, wenn es sich an ein Bild gehängt hat, muß sich blutig reißen, wenn die Scheidung kommt zwischen dem Herzen und seinen Bildern, denn es muß geschieden sein! Aber Vieles bleibt stätig und wird nur immer fester, hat es in der sich fortbewegenden Idee sein Leben und sein Herz, und so sage ich: was sich bewegt, das ist ewig! Und was ewig ist, bewegt sich. Siehe, was still steht und sich fertig wächst, ist nur das Vergängliche an Körper und Seele der Menschen und der Staaten. Nur der schlechte Theil an uns wird ein weiser Greis, nur das sterbliche Stück Leben setzt sich am Ende zur Ruhe und kündigt sich als einen stabil gewordenen Organismus an. Die Jugend wird nie klug, darum lebt der junge Mensch immer weiter, und dieser ewig junge Mensch ist die ewige Geschichte. Und die Liebe wird nie fertig, darum bewegt sie sich von Geist zu Geist herüber und hinüber mit dieser starken Sehnsucht. Die innere Bewegung ist die wahre Treue der Liebe, an dieser webt sie sich ämsig in alle Ewigkeit fort, und kennt eine andere nicht. Du, wir lieben uns, weil sich unsere Geister mit und zu einander bewegen. Du, Du, wir können nicht anders, weil Deine innerste Bewegung meine ist, und meine Deine, und so bewegen wir uns, indem wir uns lieben. Du, Du, wir sind jung, weil wir bewegen und lieben, und wir sind nicht weise, deshalb bewegen wir uns ewig. Du, Du, ich bin Dir ewig treu, weil Deine Bewegung meine ist, und erst wann Du mir das einmal anthätest und zu mir sagtest: »alter, kluger, weise gewordener und fertiger Mann!« und ich zu Dir sagte: »alte, kluge, weise gewordene und fertige Frau!« dann würde es mit unserer Liebe vorbei sein, und der treuloseste Mensch bin ich! Du, Du, ich bin Dir ewig treu! Du, Du, nimm Dich in Acht, es ist das Prinzip der Bewegung! – – –

Es war wahrhaftig in der letzten Zeit nicht mehr recht auszuhalten, und ich bin nur froh, daß ich hier auf dem Postwagen sitze. Wie leicht wird der Mensch froh! Er stürzt sich aus Ennui in Ennui, und freut sich dabei der Abwechselung, die ihn von einem in das andere hinübergeleitet. Das Städtchen, in dem ich so lange Quartier gemacht hatte, wäre eine schöne Station für einen guten ruhigen Menschen gewesen, der Zeit hat, sich zu verheirathen. Es waren die Freunde und die Freundinnen hier hübsch gerathen, und Jeder brachte seinen Scherz und Ernst an, und die Einen erzählten den Andern, was die Andern längst wußten. So ging die Zeit hin, und ich mußte aus meinen jungen unschuldigen Schriften vorlesen, die sich zu meinem Erstaunen hier bei einem Leihbibliothekar gefunden hatten, und das war mein erster Aerger. Die eine Freundin meiner Bücher – hätte ich doch nie etwas geschrieben! – war besonders daran Schuld, und brachte mich auf die Reflexion, daß man die Frauen, selbst die geistvollsten und begabtesten, doch fast nie, auch im höchsten Schwunge, den man ihnen giebt, von ihrem nächsten häuslichen Kreise, von Vettern und Cousinen, ganz abzuführen vermag. Wenn ich ihr meine besten Sachen lese, sucht sie bei jeder Gestalt, die ich ihr vorführe, immer erst nach einer ihr persönlich bekannten herum, um sie damit in Verbindung zu bringen, und es dauert wahrhaftig nicht lange, so hat sie auch in der Erinnerung schon irgend einen ihrer Vettern in Astrachan oder Neufundland erwischt, dem die Figur meiner Dichtung auf's Haar ähnlich sehen soll. Da klatscht sie sich vor Freuden darüber in die kleinen Hände, ruft mir mit dem anmuthigsten Gebieterton zu: nur weiter! und scheint sich jetzt erst recht für die Vorlesung zu interessiren. Das halte ein Anderer aus, mich hat ein blasses Grauen deswegen überschlichen. Gleich den andern Tag schon wollte ich fort, und mir Extrapostpferde bestellen. Die Vettern aus Astrachan und Neufundland haben mir die ganze Novellenpoesie verleidet, und ich weiß nicht, ob ich fürs Erste fortfahren werde, in diesem Genre zu arbeiten. Aber ist es denn nicht so natürlich, daß die Frauen überall nach Familien-Aehnlichkeiten suchen, auch in der Kunst? Sie wollen es sich gern überall gleich häuslich machen, und verrathen so auch in der Kunst ihren wahrlich liebenswürdigen Häuslichkeitstrieb. Und mir, dem unhäuslich gesinnten Autor, stand es ja frei, davon zu laufen.

Mit dem Freunde hatte ich noch meine größere Noth, und wir mochten uns gar nicht vereinigen, weil er meinen Schlafrock nicht leiden konnte. Es empörte ihn nämlich jedesmal, so oft er zu mir kam, und mich im Schlafrock, oder auch nur ohne Halsbinde, auf meinem Zimmer antraf, und sein Verdruß darüber malte sich ordentlich in seinen Gesichtsmuskeln aus. Dies belustigte mich erst, und ärgerte mich dann, weil ich auch ein Narr war. Soll man aber einem Deutschen seinen Schlafrock mißgönnen? Oder besitzt er nicht schon pedantischen Anständigkeitsgeist und kleinlichen Sauberkeitssinn hinlänglich, um ihn auch noch zu nöthigen, daß er sogar seinen traulichen Laren gegenüber nur in Höflichkeits-Uniform sich zeige? Nein, mein Freund, Ihretwegen hätte ich nur den ganzen Tag en parure dasitzen mögen, um Sie immer gewärtigen zu können. Sie sehen, es ist meines Bleibens hier länger nicht. Ich muß fort, und muß weiterreisen. Sie haben mich an einer empfindlichen Seite meiner Neigung, ja meiner Studien angegriffen. Denn schon längst gehörte es zu meiner Passion und Lieblingswissenschaft, die Schlafröcke in Deutschland zu beobachten und zu studiren. Und nichts war mir immer erfreulicher, als wenn ich auf meiner Reise die großen Männer, die ich besuchte, in ihrem Schlafrock antraf. Mein einziges Tagebuch, das ich mir über die sogenannten großen Männer Deutschlands geführt, bestand darin, mir anzunotiren, wen ich im Schlafrock gefunden, und wen nicht. Der einer orientalischen Priestertracht ähnlich sehende Schlafrock Schelling's, in dem er jedem Besuchenden feierlich entgegenschreitet, ist in der ganzen Welt berühmt, und der aristotelische Hegel ließ sich in seinem Schlafpelz sogar in Kupfer stechen. Schiller dichtete seine feurigsten Tragödien bei Nacht im Schlafrock, und Friedrich Schlegel verkaufte an seinen Bruder Wilhelm Schlegel einige tiefsinnige Ideen, die er gerade zu viel hatte, für eine warme Nachtjacke, welche ihm gerade fehlte und dieser besaß. Wilhelm Schlegel trägt den Orden der Französischen Ehrenlegion auch auf seinem Schlafrock aufgeheftet, und der alte Musäus schreibt einmal an Nicolai, daß er gern sein ganzes Dichtertalent für einen guten Bärenpelz hingeben wolle, indem er vielleicht meinte, daß Nicolai, um ihm zu helfen, nur irgend einem Bärenhäuter aus der Allgemeinen deutschen Bibliothek das Fell abziehen zu lassen brauche. Genug, Sie sehen ein, mein Freund, die Schlafröcke und die Bärenpelze haben eine große Rolle in Deutschland gespielt. Warum wollen Sie Ihre Wuth allein gegen den meinigen auslassen? – –

Und nun blase muthig vorwärts, Du mein ungeduldigstes Posthorn, Du mein Herz! Laß Dich hören in freudigen Sprüngen, stimme eine gute Weise tief in mir an, und werde leicht, da Du mir so lange zu schwer warst. Bitte um Wanderglück zum stillen Nachthimmel empor, und klinge und klage Dein: Gott behüte mich! in das unendliche Universum hinaus. Du hast es nöthig: Gott behüte mich! Gott behüte mich, in den Wäldern und auf den Bergen, in den Städten und Dörfern, bei den Menschen und Unmenschen, bei den Hassenden und Liebenden, bei den Streitenden und bei den Friedfertigen! Gott behüte mich, daß ich jetzt glücklich durch das Schwarzburg-Rudolstädtische reise, ohne zum Legationsrath gemacht zu werden! Gott behüte mich vor den vielen Merkwürdigkeiten, die in großen und kleinen Städten, in Museen und Schlössern, in Palästen und Rumpelkammern, zu besehen sind! Gott behüte mich vor dem Anblick zu vieler Ruinen, er stärke mich gegen das Ausgelebte, befestige mich für das Neue, und mildere den Spott in mir gegen das Alte! Er mache einen Menschen aus mir, der leben kann!

Ja, leben will ich gern und mir mit den Menschen aller Orten zu schaffen machen. Ich will umherlaufen auf den Straßen, und mir die hübschen und häßlichen Gesichter, die mir begegnet sind, aufschreiben. Ich will auf den Dörfern spazierengehen und in kleinen Städten über Nacht bleiben, um die stillen Herzschläge eines armen abgeschiedenen Lebens zu belauschen, und nachzusehen, wie es der Weltgeschichte in den Bauerhütten und auf den Wirthshausbänken hinterm Bierkruge ergeht. Ich will dem Deutschen Bauer zureden, daß er Abends regelmäßig die Zeitungen liest, und der Deutschen Bäuerin, die ihr gesundes Kind an der blühenden Brust stillt, will ich sagen, daß sie den Jungen nicht bloß für den Pflug geboren hat, sondern für ein menschlich gefühltes und berechtigtes Dasein. In der nächsten kleinen Stadt will ich mich erkundigen, was die aufgeweckte Schneidertochter jetzt aus der Leihbibliothek liest, und ob die Stadtpfeifer, als die Julirevolution noch Mode war, niemals die Marseillaise geblasen haben auf der Ressource? Und in großen Residenzstädten werde ich ebenfalls nur Das aufsuchen, was die Menschen angeht und aus alten und neuen Zeiten her an sie erinnert. Wie sie in den Theatern lachen, in den Kirchen beten, auf der Promenade sich repräsentiren, und in ihren Gesellschaften sich langweilen, soll mir wahres Vergnügen machen. Wie sie von nichts zu reden wissen, was ihre wichtigsten Nationalinteressen betrifft, werde ich in gespannter Aufmerksamkeit mit anhören; denn Das, wovon ein Volk nicht spricht, schildert es oft schärfer, als Das, wovon es spricht.

Schöne Gegendenwerde ich nie beschreiben, und ich glaube, mir fehlt fast der Sinn dafür, wenigstens die Begeisterung. Der Horizont dieser gegenwärtigen Zeit ist zu bewölkt, als daß man weit ausschauen könnte von den Bergen in die Thäler und die silbernen Ströme entlang, und auf die Kuppeln und Thürme der fernen schönen Städte. Das harmlose unschuldige Gemüth ist fort, das mit Landschaften und Gegenden sich freute, und ich suche es vergeblich in mir, und finde nichts, als daß ich kein Jean-Paulischer Jüngling mehr bin. Die Deutschen können nicht leiden, daß Jemand offen ist, und so werden mich auch meine nächsten Deutschen Freunde, deren ich so manche und liebe habe, jetzt schelten, wenn ich ihnen bekenne, wie vor den schönsten Naturgegenden das Herz mir oft kalt und bange schlägt. Ja, der Sinn ist fort, der mit Bäumen und Sträuchern einen guten idyllischen Umgang hatte, wie das Kind umgeht mit seinen Kameraden, den weißen Lämmchen auf der Wiese. Diese rauschenden Wälder, diese ernstgestalteten Felsen, dies naive Leben der Pflanzen und Blumen, dies Neigen und Grünen der Pappel, der Eiche, der düstern Fichte, diese hochwachsenden Felder, diese Triften und diese Flächen, diese Hügel und diese Tiefen, dies Blühen und Lachen, dies Klagen und diese heimliche Verstimmung, wie es von Wechsel zu Wechsel schleichend durch die Natur hingeht, Alles dies sieht und spricht mich an, wie eine Schaar gefallener Engel aus der träumerischen Frühperiode des Menschengeschlechts. Die Menschen hatten lange in und mit der Natur gelebt, und hatten versucht, ob sie sich zu etwas bilden könnten, indem sie träumten. Sie träumten am Wasserfall und in der romantischen Bergschlucht und auf der Hirtenflur ihr erstes morgenrothes Dasein hin, und die rieselnden Bäche, an denen sie lagen und schlummerten, flossen hell und klar; aber des Menschen Seele war unklar, und aus dem natürlichen Traum des Lebens wachte kein Glück geistiger Wahrheit auf. Sie konnten sich nicht bilden, indem sie träumten. Da wurden sie unruhig, und ihre Flur langweilte sie, und ihr Wald machte ihnen Grausen. Sie legten die Axt an den grünen Baum, daß seine Wurzel erseufzte, und hieben ihm den Schmuck der Blätter herunter, und machten sich eine Lanze aus dem grünen Baum, oder ein Ackergeräth. Die Einen arbeiteten im Schweiß ihres Angesichtes, und die Andern zogen in den Krieg, und Keiner hatte mehr Ruhe und Frieden. Alle wurden in dem erwachten Drang menschlicher Unruhe zum ersten Mal historisch. An der Unruhe der Geschichte bildeten sie sich merkwürdig aus, und singen an, nach den höchsten Gütern des Lebens immer stürmischer zu trachten. Die alten grünen Wälder rauschten vergeblich mit ihren Friedensträumen hinter ihnen drein. Und so geht es noch täglich den einzelnen Menschen und den einzelnen Völkern. Auch den Deutschen liegt es in Gedanken, einmal historisch zu werden, aber die Einen können noch immer nicht den Werther, die Andern den Faust nicht vergessen, und das idyllische Naturelement hält sie gebunden. Die Lyrik der Individualität schwächt ab und verdrängt die Geschichte in der Nation. Goethe hatte schon selbst aus der Naturlyrik Werthers einen strebsamen Wilhelm Meister hervorgehen lassen, den sein Drang von dem grünen Wald weg auf die Formen des bürgerlichen Lebens wies, um an denen sich zu bilden, aber es war das bürgerliche Leben des achtzehnten Jahrhunderts, und die Deutschen kannten weiter keine nationellen und öffentlichen Interessen, als das Theater. Darum ist die ganze deutsche Bildung, die im Wilhelm Meister erlangt wird, nur noch eine Theaterbildung, und das Leben ist Repräsentation in guter Gesellschaft. Aber die Subjectivität war wenigstens frei geworden von der Naturlyrik, und statt des Umganges mit schwirrenden Käfern und spielenden Würmern im Grase ist der Umgang mit Menschen, selbst mit Salonsmenschen, doch immer etwas nütze. Aber die Natur war indessen bei Goethe und bei den Deutschen aus dem schwärmerischen Gemüth in die geistigere Speculation zurückgetreten, und hatte in dem Ersteren den Faust erzeugt, unter den Letzteren die Naturphilosophie. Nun hatte das kranke Deutsche Herz den grünen Wald überwunden, nachdem die Natur ernstbetrachtetes Object der Wissenschaft geworden. So zeigt Goethe selbst in dem Stufengang seiner Werke die ursprünglichsten Bildungsstufen des deutschen Geistes auf, aber eben nur die Stufen unserer ganz ursprünglichen und embryonischen Entwickelung, auf denen er deshalb am wenigsten das deutsche Dichten schon erschöpfen oder auch nur zur Vollendung bringen konnte. Und in den Wahlverwandtschaften schrieb er noch ein Werk über die allgemeinsten Bindungen und Wechselwirkungen menschlicher Verhältnisse, indem er dabei sogar wieder an die elementare Natur anknüpfte. Eine so abstracte und deshalb graue Dichtung ist nie geschaffen worden, als diese, in der Goethe zeigen wollte, wie die allgemeinen Naturgesetze der Anziehung und Abstoßung aus der Physik und Chemie auf den Menschen sich anwenden und bis in seine Stube und sein Herz hinein ihn verfolgen. In diesem Romane trat die Natur nun schon ganz ohne alles lyrische Blätterrauschen auf, sie war nacktes physikalisches Gesetz geworden, und der Poet des Werther, der damals das Pathos der Naturempfindung gefeiert, hatte jetzt eine kalte Physik des menschlichen Herzens gedichtet. Aber ein anderer hochbegabter Poet hatte mittlerweile Rückschritte eingeführt. Durch Tieck und dessen Jugendlyrik war der deutschen Dichtung und Gesinnung wieder eine unnatürliche Wendung gegeben worden, unnatürlich, weil mit dem Natürlichen wieder geliebäugelt wurde. Die alten grünen Wälder sollten wieder im Menschen zu reden anfangen. Werther wurde ein Minnesänger, die einfache Naturlyrik Goethe's schlug in eine künstlichere Naturromantik um, und statt der naiv plaudernden Lotte saßen hinter der Geisblattlaube alte Mährchen, und nickten mit den sternengekrönten Häuptern, und erzählten hundertjährige Geschichten voll von Liebe und Wunder. Der Schauplatz war derselbe geblieben und doch ganz verändert worden. Was im Werther metaphysischer gewesen war, wurde hier poetischer und bildlicher, und die Gefühle und Schmerzen, die hinter der Frühlingslandschaft gelauert hatten, setzten sich in leichtere Elfen und Kobolde und in ein luftigeres Morgen- und Abendroths-Spectakel um. Aber es war im Grunde nur eine brillante Variation jener ohnmächtigen Naturstimmung, die den Deutschen so nachtheilig ist. Die Deutschen konnten sich auch an der Waldromantik nicht bilden. Und Tieck selbst brauchte einen Zwischenraum vieler Jahre, in denen er ganz schwieg, ehe er in den Novellen seinen schönsten Ton anzuschlagen und darin aus Lebensproblemen eine ächte und gesunde Poesie zu schaffen vermochte, weshalb nichts lächerlicher, als wenn seine Freunde, besonders die unkritischen Berliner, noch immer den Waldlyriker am höchsten in ihm feiern.

Wie gesagt, selbst vor der schönsten Gegend empfinde ich es, daß auch ich kein Werther und kein Wald-Lyriker mehr bin, und es regt sich Bosheit in mir genug dazu, daß ich auch allen meinen Landsleuten gern das letzte Stück Naturidylle aus dem fühlenden deutschen Herzen schneiden möchte. Nur die frische freie Gotteslust brauchen wir unerläßlich, um die starken Brustschläge unserer neuen Thaten darin gesund ausathmen zu lassen. In unserem Unruhigwerden und in unserm Historischwerden nehme uns Gott nie die frische freie Luft, damit es eine unbeengte Freude der Bewegung werde! Aber das lächelnde Kind in der Wiege küßt der Mann noch einmal, nachdem er unruhig und historisch geworden, und zieht dann hinaus und kann sich durch den schönen Säugling doch nicht abhalten lassen von den Schlachten. Die Natur ist das lächelnde Kind in der Wiege, sie ist der erste Säugling an den Brüsten der Schöpfung. So seht die unmittelbare Unschuld des Lebens auf den Wiesen träumen. Aber der Mensch, dieser eilige Sohn der Zukunft, kann seine Zeit nicht hinbringen, um ihr Wiegenlieder zu singen. Nachdem er seine sentimentale Frühlingsperiode überwunden, betritt er, an Hoffnungen groß, das Feld der Geschichte, und erweitert seine Landschaftsstudien zu Weltstudien. Besonders heutzutage hat man gar keine Zeit, man hat Kopf und Hände voll zu thun, um sich und Andere zu verstehn, und die wenigen Geschichtsstunden, die uns das Leben noch giebt, recht fleißig zu nutzen; und wenn ich auf die schönen Gegenden polemisire, so geschieht es wahrhaftig meistens nur aus dem Mangel an Zeit. Da wollten mich die guten Freunde in W. den ganzen Vormittag umherführen, um mir die herrlichen Gärten in der Umgegend zu zeigen. Ein ganzer Vormittag! Man denke, ein ganzer Vormittag! Und was ist ein Garten? Gewissermaßen nur ein Toilettenstück der Natur! Ich trieb mich also lieber auf der Straße umher, sah die Wachtparade aufziehn und beschaute mir die vielen deutschen Gesichter der umstehenden Menschen, eines nach dem anderen. Ein solches Gesicht ist gar nicht zu verkennen, wie das deutsche; und doch in jeder Stadt ein andersgebildeter Schlag davon! Zehn Gesichter gerade fing ich auf aus dem Haufen, die mir theils merkwürdig, theils lächerlich waren, und ich beschrieb sie mir nachher in meinem Tagebuche und war mit der Ausbeute zufrieden. Außerdem gerieth ich noch beim muthigen Klang der Trommeln, Pfeifen und Hörner auf politische Gedanken über Krieg und Frieden, und in Streit mit einem jungen Menschen, der an der Table d'hôte mein Nachbar war, und die Meinung behauptete, daß an den zum Fidibus gewordenen spanischen Papieren ein allgemeiner Völkerkrieg sich entzünden würde. In Summa, ich hatte etwas erlebt, daß ich in der Stadt geblieben war. Unterdeß hatten meine Freunde für mich den Kuckuck angerufen, und nannten mich einen radicalen Stadtphilister, als sie wiederkamen. Und ich schüttelte ihnen als eben so vielen liebenswürdigen Naturphilistern derb die Hände.

Die Alten haben vor schönen Landschaften nie geweint, und Herodot, der erste große Reisebeschreiber, weiß nur von den Menschen und ihren Sitten gut zu erzählen. Nichts Herrlicheres, als zu sehen, wie in der antiken Welt das Menschliche so nahe an den Menschen gerückt stand, und wie sich dasselbe im Staat als der höchsten Lebensform begränzte und zusammenschloß, ein glücklicher Himmel über glücklichen Häuptern. Sie waren human, weil sie politisch waren, und sie waren politisch, weil sie religiös waren, und religiös, weil politisch. Und so hing Alles im Großen bei ihnen zusammen. Das Menschliche, das sie im Staat so frei und kräftig aus sich herausgebildet hatten, verhinderte daß die magischen Schatten des Waldes sie nicht lockten, und die Natur ihnen nicht rief, sich an ihre Brust zu stürzen. Sie waren jede Stunde zu glücklich, um mit der Lerche des Morgens zu schwärmen und mit der Nachtigall Abends zu klagen. Das Unglück geht am liebsten hinaus ins Grüne und unter die Einsamkeit der wehenden Bäume, das Unglück oder die spielende Kinderunschuld. Die Kinder und die Zerrissenen, beide stehen dem Naturelement am nächsten, und beide würden darin verloren gehen, wenn es nicht ein Stärkeres gäbe als das Naturelement, nämlich den historischen Trieb in die werdende Welt- und Völker-Zukunft, die Alle aufreizt, sich zu bilden, zu bewegen und zu versöhnen. Und die Deutschen waren nie unglücklicher, nie innerlich zerrissener, als zur Zeit ihrer Natursentimentalität und Landschaftsempfindsamkeit im Leben und Dichten.

Ich moderner Deutscher bin auch um ein gut Theil glücklicher, seitdem ich nicht mehr im Monbijou-Garten von Berlin spazieren gehe. Ich rufe: Menschen! Menschen! und noch einmal Menschen! Ein Königreich für Menschen! Mit schönen Gegenden umgehn, kann ich allenfalls auch in meiner Stube, und habe ziemlich genug Phantasie dazu. Denn nachdem ich in der lieben schönen Gotteswelt manche gesehn, kann ich mir fast alle denken, und bringe sie mir, ehe ich des Morgens zu schreiben anfange, oft zu Dutzenden beim Zumfensterhinaussehen in meiner Einbildungskraft hervor. Ich denke mit die mannigfachsten Gruppirungen von Wald, Berg, Fluß, Baum, Himmel und Thal, und gieße dann über diese meine müßigen Landschaftsgedanken einen großartig beleuchtenden Sonnen- Auf- oder Untergang aus. So rufe ich mir, mag es Winter oder Sommer sein, die herrlichste und entfernteste Natur in meine Nähe, und kann, wenn ich will, meine literarischen Siebensachen am hohen Meere oder in einem italienischen Pomeranzenwäldchen schreiben. Der Natur läßt sich immer eine schöne Decoration abgewinnen, aber die Menschenwelt kommt nicht, wenn und wo man sie ruft. Zu den Menschen muß man hinaus, man muß sie aufsuchen in Sturm und Wetter, in Schneegestöber und Regengüssen, man muß mit ihnen reden und lachen, leben, und leiden, und wenn man sie sieht, kennt man sie noch nicht. Wenn man mit ihnen spricht, versteht man sie noch nicht. In der Natur ist Alles einfach, und ihre reichsten Gestaltungen bestehen doch nur aus den einfachsten Combinationen. Es ist immer der Wald, der Fels, der Berg, der See, die Wolke, nur hierhin oder dorthin anders gestellt, und im Norden zu andern Schildereien vermalt, als im Süden. Darum kann ich mir schöne Gegenden denken, wenn ich des Morgens auf die Straße hinaussehe, ich brauche nur zu combiniren. Mit den Menschen bringe ich's nicht so weit, wenn ich zu Hause bleibe. Ein Mensch läßt sich nicht combiniren, er ist die sich selbst bewegende Macht, und zugleich treiben ihn die Geister. Er gestaltet sich von innen und macht oft ein verstecktes Wesen mit sich selbst. Und wenn ein großer Weltentdecker alle Welttheile eines Menschenherzens entdeckt hätte, würde er noch jeden Augenblick aus dessen Untiefen neue Inseln emporschießen sehn, und nicht immer glückliche; neue Inseln, mit fremden Pflanzen, Blumen, Gefühlen und Launen bedeckt. Den Frühling kenne ich; er ist maigrün und himmelblau. Der Menschen Gesichter habe ich noch lange nicht ausgelernt. Der Mensch hat alle Tage ein anderes Gesicht, und weiß kaum selbst, wie er eigentlich aussieht. Ich habe ihn verwundert angesehn, wenn er liebte und haßte, wenn er eine Frau nahm und seine Mutter begrub. Ich will ihm nachlaufen, wenn er begeistert ist, eine Fürstin einholt, Revolutionen veranstalten will und sich knechtisch geberdet. Ich will mich zu ihm in den Wagen setzen, wenn er auf Reisen geht, ich will mit ihm anstoßen, wenn er seinen Wein trinkt, ich will seiner Tochter den Hof machen, wenn sie artig ist. Nur fort! Nur fort! Nur vorwärts, Schwager! –

– Ich habe für heut genug geblasen! Die Landstraße wird hell, der Morgen zertheilt die Gewölke, setzt sich mit grauschattirten Gliedern mitten auf die Wiese hin, und wartet, wie ein gefühlvoller Jüngling, dem Sonnenaufgang entgegen. Nur das fällt mir noch ein, daß der Umgang mit der Natur bei weitem wohlfeiler ist, als der mit Menschen. Wer bloß schöner Gegenden willen auf die Reise geht, braucht offenbar nicht halb so viel Geld, als der wegen Menschen sich in die Welt hinausstürzt. In schönen Gegenden trinkt man Milch, und nimmt ein ländliches Mahl zu sich, und der Bäuerin schenkt man nicht, wie der Sängerin, einen Shawl zu dreißig Ducaten. Im Walde kostet's kein Entrée, seine Empfindungen hat man alle umsonst, und von der Landluft wird man schläfrig, daß man schon vor zehn Uhr Abends ins Bett gehen muß. Da hat man gar nicht Zeit dazu, viel Geld auszugeben, und ich erinnere mich nie, in Geßners Idyllen etwas von Thalern, Groschen und Pfennigen gelesen zu haben. Auch vom Werther erfährt man nicht, ob er Geld gehabt oder nicht; es kommt in dieser Richtung gar nichts darauf an. Er trieb sich entweder im Walde umher, oder ging früh schlafen. Wenn man mehr mit Menschen umgeht, hat man schlaflose Nächte, und wacht oft, bis der Hahn kräht, und auch der andere Tag geht verloren. Unsere Leidenschaften wollen in Festkleidern spazieren gehen und sich nur in Purpur und Seide vor den Leuten zeigen. Unsere Thorheit zieht sich einen kostspieligen Tressenrock an, und unsere Liebe gegen den Bruder und gegen die Schwester verlernt zu rechnen. Amor ist Schatzmeister und wirft das Geld und das Herz dazu mit vollen Händen auf die Straße. Ein Volksjubel rauscht auf, das Geld verfliegt, das Herz zuckt und blutet, und hat doch etwas gelernt. Die Existenz wird theurer, je mehr der Mensch selbst auf dem Spiele steht. So muß es aber auch gerade sein, man darf nicht anders leben. Mit dem Leben muß man nicht knausern, man muß es mit freigebigem Herzen verschütten, man muß es aus allen Adern bluten lassen, damit es strömt und sich ergießt. Man muß von ganzem Herzen leben, man muß es sich etwas kosten lassen, sein Inwendigstes, um zu erfahren, wie viel das Leben werth sei. Man muß sich mit Inbrunst ausleben, und dann mit Inbrunst sterben. Und Deinen Leidenschaften nimm ihre stolzen Purpurkleider nicht vor der Zeit; laß sie etwas erleben und alt werden, und ziehe einen alten Feuerwein der Lebenspoesie aus ihnen ab. Und Deiner jungen Thorheit reiße nicht zu früh den kostspieligen Tressenrock herunter; laß sie tanzen und den Tag nutzen und durch gravitätische Sprünge der Eitelkeit Dir einen guten Humor machen, an dem Du noch als alter kluggewordener Mann zu lachen hast. Am allerwenigsten aber wehre Deiner Liebe die genialen Rechnenfehler. In der höheren Analyse, Freund, wird wieder eingebracht, was die gewöhnliche Reguladetri verloren und vergeudet geglaubt hat. Gieb aus Alles was Du hast, wo Du liebst; sei es nun, daß Du die Kunst liebst oder Dein Mädchen oder die Wissenschaft oder Dein Vaterland. Der Poesie gieb Deine schönsten Tage und frage nichts danach! Deinem Mädchen gieb die angewandte Poesie auf den Mund und frage nichts danach! Der Wissenschaft gieb allen Deinen Ernst, und Dein Vaterland befreie, sollte es Dein Tod auch sein, und frage nichts danach! Frage nichts danach und gieb Alles aus, was Du hast, damit Dir Dein Herz leicht werde. Spare nichts, nicht in Gedanken, nicht in Geld, nicht in Liebe, nicht in Scherz, nicht in Ernst. Auch betrogen zu werden, gehört mit zum Leben. Frage nichts danach, und gieb Alles aus was Du hast, wo Du liebst! Und Du mußt mit Menschen umgehen, damit Du lieben kannst. –

Jetzt will ich aufhören zu blasen. Die ökonomischen Vortheile aus dem Umgange mit der Natur werden also meinen Reisefinanzen ebensowenig zugutekommen, als meinen Tagebuchsblättern die sentimentalen. Zwar habe ich einige kranke spanische Papiere bei mir, denen ich nach Dem, was ich von dem Banquerott-System des Grafen Toreno gehört, wohl eine ländliche Kur zu ihrer Erkräftigung wünschen könnte. Aber frage nichts danach! Frage nichts danach, und gieb Alles aus, was Du hast, zum stehenden Cours, auch die spanischen Papiere. Auch betrogen zu werden gehört mit zum Leben. Frage nichts danach, und gieb zum stehenden Cours Deine Papiere aus. Ich werde mir um die spanische Politik nicht noch graue Haare wachsen lassen, da sie mir schon der deutschen wegen auszugehen anfangen. –

Trara! Trara! Da ist die böhmische Gränze! Glorreiches Peterwalde, Du willst nachsehen, ob ich keine Contrebande mit mir im Koffer führe. Guter, biedrer Oesterreicher, nicht in meinem Koffer suche die Contrebande. Ich frage nichts danach! Ich frage nichts danach! – –

Böhmische Dörfer, Wälder und Bäder.

Schöne slawische Jungfrau, Böhmen, mit den langen dunkeln Haaren und dem wilden träumerischen Blick, wie geht es Dir seit Jahrhunderten hinter Deinen Bergen? Reizende Slawin, mir thut das Herz weh, wenn ich an Dich gedenke, und ein gutmüthiger Deutscher, bin ich gekommen, um über Dein tiefdunkles Weltschicksal mit Dir zu klagen. Zu etwas Großem hatte Dein Genius Dich ausersehen, mit edeln Gaben Deine Art geschmückt, tapfern und stolzen Sinn in Dir aufwachsen lassen, muthiges Streben in die Ferne in Deiner Brust entzündet, und doch bist Du über ein gewöhnliches sterbliches Loos der Geschichte nicht hinausgekommen. Du hast Unglück gehabt. Glück und Unglück giebt es auch in der Geschichte, glückliche und unglückliche Naturells unter den Völkern. Aber Du lachst und siehst mich leichtsinnig an. Ja, ich weiß, ich weiß, Du hast Alles vergessen, leichtsinnige Slawin! Deine großen Hoffnungen ehemaliger Zeiten, der damals an Dich ergangene Ruf der Weltgeschichte, Deine Vergangenheit und Deine Zukunft, kümmern Dich wenig mehr. Du kannst lachen und lustig sein, und bist auch, nachdem Du Dich aufgegeben, reizend in Deiner flatterhaften Ueppigkeit. Seitdem Du Dich aufgegeben, hast Du schöne Bäder angelegt, hübsche Gäste von nah und fern dazu geladen, und das lustige Leben und Treiben der eleganten Welt klingt und jubelt jetzt über Deine ernsten feierlichen Höhen und Gauen hin. Die böhmischen Bäder waren freilich schneller und leichter in Flor gekommen, als die Reformation, an deren großes Bauwerk Du damals die erste hochherzige Hand gelegt, o Böhmen! und an Deinem sonst für die Fremden so ungeselligen Heerd sammeln sich jetzt alle Nationen und trinken aus Deinen Quellen und tauchen sich in Deine Wasser, in Deinem Karlsbad und Marienbad, in Deinem Teplitz und Egerbrunnen. Und in dem herrlichen Prag, der erstgeborenen Universität der Deutschen, wo Dein Huß lebte und lehrte, und das erste Morgenroth Aufklärung über Deutschland ausgestrahlt war, da ist die hinreißende Ueppigkeit Deiner historischen Selbstvergessenheit noch mehr zu Hülfe gekommen. Reichthum, Pracht, Genuß, ausgebildetster Reiz jeder Lebensform, süße Hingebung an den Augenblick, unwiderstehliche Schönheit feuriger Frauen – wer denkt zurück oder vorwärts? So ergiebt sich ein ausgezeichneter Mann, den Unglück überall zurückgestoßen, seine Talente zu brauchen, seinen Geist geltend zu machen, am Ende dem Becher und den Weibern, und wird in aller Verlorenheit zuletzt lustig. –

Es ist seltsam, wenn ein ganzes Volk ein schlechtes Gedächtniß hat. Die Böhmen haben Alles vergessen. Das sieht man in ihren Städten und auf ihren Gassen, und an den hölzernen bemalten Heiligenbildern, die auf ihren Landstraßen stehen. Wenn ich als Schulknabe etwas nicht begreifen konnte, und man mich schalt, hieß es immer: »das sind Dir böhmische Dörfer, fauler Kopf!« Und ich fing mir an ganz fabelhafte Vorstellungen von den böhmischen Dörfern zu machen, als den dämonischen Wohnsitzen der Götter der Unwissenheit und der Barbarei, und fand am Ende sogar einen Trost darin, die Schuld auf die Dämonen der böhmischen Dörfer zu schieben, wenn meines Geistes Fassungskraft träge geworden war. Und in Böhmen geht es noch immer gerade so her, wie damals in meinem jungen faulen Kopf; es stößt immer und überall auf seine böhmischen Dörfer. Nur die merkwürdige Schönheit der Frauen, mit ihren wunderbaren dunkelglänzenden Augen und der ganz eigenthümlich geschnittenen Gesichtsbildung, welche jede Böhmin von den höchsten bis zu den niedrigsten Ständen als solche verräth, ist für den Wandrer eine sprechende Kunde, welch' ein herrlicher und ursprünglich schöner Schlag Menschen aus dem alten Stamm der Czechen hier noch blüht. Der böhmische Mann selbst hat nichts Poetisches mehr an sich, als seine unverlorene volksthümliche Liebe zur Musik, die auch in der ärmlichsten Lehmhütte Virtuosen macht. Jeder Bauer hat sein Horn, auf dem er in seiner ernsthaften und feierlichen Weise mehrere Stunden des Tages bläst, und diese süßen, weichgeschliffenen melancholischen Töne, die unvermuthet hier und dort aus einem Busch aufklagen, wie wilde Vögel, sprechen sein ganzes beklommenes Herz aus, und schmettern und tanzen und kosen und weinen, und wissen nicht zu sagen, wie und warum ihnen so wehe ist.

Eben so nationell, als die Liebe zur Musik, ist auch in Böhmen die Liebe zum Betteln. Wer nichts Anderes thun mag, geht auf die Landstraße betteln, oder musicirt. Nicht bloß die dringende Armuth zieht betteln, auch aus bloßem Zeitvertreib, aus Fremdenhaß, oder meinetwegen aus Romantik, belagern die böhmischen Landbewohner in den verzerrtesten Gestalten und mit dem widerwärtigsten Geheul den vorbeifahrenden Postwagen. Aber allerdings ist die Armuth und Verkommenheit unter dieser Bevölkerung schreiend, denn Böhmen zählt innerhalb seiner Gränzen gegen zwölftausend Dörfer, Böhmische Dörfer! Unterdeß aber, während der Böhme betteln geht oder musicirt, steht die schöne Böhmin mit ihren kecken dunkeln Augen vor der niedrigen Hausthür; man könnte sie in dem groben Tuch, das sie wie einen Schleier dicht um ihr Haupt gehüllt trägt, für eine büßende Nonne halten, die ehemals zu viel geliebt hat, und mit welcher heißen, fast leidenschaftlichen Inbrunst schlägt sie nicht auch ihre Kreuze gegen den Schutzpatron, der dort auf hohem Gerüst am Wege steht, aber mit welcher Inbrunst läßt sie sich nicht auch von dem scherzenden Wandrer küssen! Und so ist denn Böhmen noch immer das Land der Musik, der Heiligen, der Bettler, der schönen Frauenaugen und der böhmischen Dörfer. Und ich werde traurig, wenn ich an die böhmische Geschichte denke! – – – –

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Aber reise nur in die böhmischen Bäder und sei lustig! Auch Du hast manchen heimathlichen Gram an Dir zu zerstreuen, manche kranke Stelle Deiner Erinnerungen zu meiden, manchen deutschen Schmerz zu bezwingen. In den böhmischen Bädern ist es lustig, wähle Dir Teplitz und Carlsbad, und die schönste Gesellschaft weiß ich da. Oder bist Du ganz und gar Hypochonder, so komm erst mit mir in die böhmischen Wälder, und ich will Dir etwas erzählen, worüber Du lachen sollst. Einen literarhistorischen Spaß.

Kennst Du die böhmischen Wälder nicht mehr, die Schrecken Deiner frühen Jugend? Wie oft hat Deine an ihrem eignen Grauen sich weidende Knabenphantasie in ihren tiefsten Schluchten sich bang genistet, wie oft bist Du in Dir zusammengeschauert bei jedem raschelnden Blatt des Baumes, bei jedem pfeifenden Laut im Gebüsch, bei jedem Schuß, der das ferne Waldecho weckte, und wenn in dem verlorensten Gehölz die Feuer aufflackerten, und die Männer mit den wilden, kecken, braunen Gesichtern dichtgedrängt umhersaßen, wie hörbar schlug Dir Dein Herz, und wie hättest Du sie gern allesammt für Helden gehalten, wenn sie so mit Sieg und Beute beladen in ihre beneidenswerthen Höhlen zurückkehrten! Denke doch daran, denke doch daran, daß Deutschland dem Böhmerlande nicht bloß die Anfänge der Reformation verdankt, sondern auch – – die deutschen Räuber-Romane!!