Magic Tales (Band 2) - Wachgeküsst im Morgengrauen - Stefanie Hasse - E-Book

Magic Tales (Band 2) - Wachgeküsst im Morgengrauen E-Book

Stefanie Hasse

0,0

Beschreibung

Es war einmal ein Prinz, der in einen tiefen Schlaf fiel. Heimlich schleicht sich Chris nachts aus dem Haus. Es ist nicht mehr auszuhalten. Seitdem sein siebzehnter Geburtstag immer näher rückt, lässt ihn seine Mutter kaum vor die Tür. Aber was sollte ihm denn zustoßen? Immerhin verfügt er über Magie. Doch als Chris in einen tiefen Schlaf versetzt wird, helfen ihm all seine magischen Kräfte auch nicht. Und während draußen am Hexenturm die Dornenranken immer höher wachsen, ist Mara die einzige, die wirklich auf der Suche nach Chris ist. Mara, das Mädchen mit den bunten Haaren, die Chris eigentlich hasst. Und doch von ihm fasziniert ist. Moderne Märchen gegen den Strich erzählt. Im zweiten Band ihrer Fantasy-Reihe verbindet Autorin und Top-Bloggerin Stefanie Hasse das Thema Hexen mit dem klassischen Märchen von Dornröschen. Eine Version, in der ausnahmsweise mal der Prinz ausschlafen darf …

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 376

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhalt

Prolog

Kapitel 1: MARA – Das heutige Volleyballtraining …

Kapitel 2: MARA – Ich fühlte mich …

Kapitel 3: CHRIS – Fremde Magie gleicht …

Kapitel 4: CHRIS – Es dauerte den …

Kapitel 5: MARA – Ich hatte seit …

Kapitel 6: CHRIS – Ich sah ständig …

Kapitel 7: MARA – Durch den Schlag …

Kapitel 8: CHRIS – Kaum dass ich …

Kapitel 9: CHRIS – Meine Mutter war …

Kapitel 10: MARA – Kies knirschte unter …

Kapitel 11: CHRIS – Die ersten Sonnenstrahlen …

Kapitel 12: MARA – Von meiner Mutter …

Kapitel 13: CHRIS – Ich lief so …

Kapitel 14: MARA – Schon kurz nach …

Kapitel 15: MARA – Er ist dein …

Kapitel 16: MARA – Aus Chris’ leuchtender …

Kapitel 17: MARA – Atemlos von dem …

Kapitel 18: MARA – Das einsame Brummen …

Kapitel 19: MARA – Ich erwachte mit …

Kapitel 20: MARA – Selbst wenn meine …

Kapitel 21: MARA – Sebastien de Beauvais …

Kapitel 22: MARA – Da waren wir …

Kapitel 23: MARA – Meinen Süßigkeitenpapierchen konnte …

Kapitel 24: MARA – Blinzelnd öffnete ich …

Kapitel 25: MARA – Jeder kennt die …

Kapitel 26: MARA – Keine Ahnung, wie …

Kapitel 27: CHRIS – Die Dunkelheit war …

Kapitel 28: MARA – Dieser verfluchte Idiot …

Kapitel 29: CHRIS – Die Sigillenfährte führte …

Kapitel 30: MARA – Carina war seit …

Kapitel 31: CHRIS – Die Tage flossen …

Kapitel 32: MARA – Ihr habt sie …

Kapitel 33: MARA – Wir sind wohl …

Kapitel 34: MARA – Was bei allen …

Kapitel 35: CHRIS – Wir wohnten erst …

Kapitel 36: MARA – Nach dem magischen …

Kapitel 37: CHRIS – Das kleine Wohnzimmer …

Nachwort

Prolog

Damals

Mondlicht strich über die Bäume des Schlossparks von Falkhausen, warf kleine Lichtkleckse auf die bekiesten Wege und spiegelte sich silbern in dem kleinen Teich vor dem Mädchen. So harmonisch, friedvoll, fast magisch.

Es fehlte nur noch das bläuliche Leuchten echter Magie. Magie, die das Mädchen von Geburt an ständig umgab und doch seit heute unerreichbarer war als ein wertvolles Juwel im Museum.

Das Mädchen hatte sich sein weiteres Leben seit Jahren ausgemalt. Wie es aussehen würde, während es Magie wirkte. Wie es binnen Sekunden in all die fernen Länder reisen könnte, von denen es in seinen Büchern las. Ganz abgesehen von den täglichen magischen Kniffen, die sein Leben erleichtern würden.

Eine Ente durchbrach das sich im Wasser spiegelnde Bild des Mondes und es schien, als würde dieser davonschwimmen, sich verflüchtigen, auflösen. Wie die Sigille des Mädchens nach der heutigen Initiation. Das bisschen Magie in seinem Blut hatte nicht ausgereicht, um die Sigille zu halten, dabei hatte das Mädchen so sehr darauf gehofft.

Jetzt war es anstatt zum Besitzer des Juwels zu einem Museumsbesucher geworden, der den Schatz sehen, ihn aber nicht anfassen konnte.

Es war demütigend.

Tränen aus geplatzten Träumen und Hoffnungen verschleierten seine Sicht, drängten hervor, ganz gleich, wie oft das Mädchen auch blinzelte.

Dann schob sich mit einem Mal ein roter Schemen in das Aquarell des Schlossparks und eine süße Stimme schwebte über den Teich.

»Was ist los, meine Kleine?« Die Worte der Frau in Rot waren so voll von Magie, dass sie dem Mädchen eine Antwort entlockten und es erzählte, von all dem Leid klagte, der Scham und der Schande, die es zu ertragen hatte.

»Ich kann dir helfen.« Die Worte tanzten um das Mädchen herum, lockten, neckten es und machten es ihm unmöglich, nicht über sie nachzudenken.

Blinzelnd klärte das Mädchen seinen Blick und sah die Frau in roter Robe näher kommen. Sie schwebte auf einer Welle rot leuchtender Magie über den Teich, verschreckte die Ente, die nun laut schnatternd davonschwamm. Die Frau glich einem Geist. Ätherisch, wunderschön. Ihr Umhang bewegte sich wie in Zeitlupe, tanzte im selben nicht spürbaren Wind wie ihre weißblonden Haare. Am Ufer angekommen, drehte sie ihre leere Handfläche nach oben, ehe die Sigille auf ihrem Handgelenk aufleuchtete. Nicht weißblau wie die Magie, die das Mädchen kannte. Nein. Die Magie der weißhaarigen Frau war rot wie Blut, floss von ihrer purpur leuchtenden Sigille zu ihrer Handfläche und ließ einen kleinen, schwebenden Flakon erscheinen, der unten so spitz zulief, dass er in ihre Haut stechen könnte.

Das Mädchen richtete sich weiter auf, seine Augen waren auf das schimmernde Fläschchen gerichtet, es konnte seinen Blick nicht abwenden. Pulsierende Magie ging davon aus, stärker und mächtiger, als es sie je zuvor gespürt hatte.

Die Stimme der Weißhaarigen drang aus allen Richtungen auf das Mädchen ein, glitt in seinen Geist, schlang sich um seine Gedanken. »Du kannst mächtiger werden als die anderen«, flüsterte sie direkt in seinem Kopf, weckte dunkle Gefühle in dem Mädchen, zerrte Rachedurst für all den ertragenen Spott an die Oberfläche. »Doch du weißt, dass eine solch mächtige Magie ihren Preis hat.«

~1~

MARA

Das heutige Volleyballtraining hatte mich geschafft. Ich konnte kaum meine Augen offen halten. Der Luftzug unter dem Helm machte es nicht besser. Bei jedem Atemzug beschlug meine Brille. Nebelschwaden hingen über den Feldern, der Mond leuchtete hell genug, um sie perfekt in Szene zu setzen. Die Welt glich einer Schwarz-Weiß-Fotografie. Mit den fünfzig Stundenkilometern, die der Roller gerade so schaffte, hatte ich Zeit, auf der Geraden ausgiebig »in die Landschaft zu gucken«, wie es Micha, mein Fahrlehrer, immer formuliert hatte.

Erneut musste ich gähnen und meine Augen tränten, ließen die Rücklichter des Mercedes vor mir verschwimmen, während die ersten Bäume die Felder ringsum ersetzten.

Dann beschleunigte sich plötzlich die in Mondlicht getauchte Welt um mich herum. Das Schwarz-Weiß-Foto wurde zum Action-Film. Ich sah am Ende der langen Geraden, die durch den Wald führte, graue Schatten aus den Büschen hervorpreschen. Mehrere Personen, die, ohne sich umzusehen, noch vor dem Mercedes auf die Straße rannten. Das Adrenalin, das durch meine Adern schoss, machte mich wieder hellwach. Die Bremslichter des Mercedes leuchteten auf. Ich drückte beide Handbremsen durch und erinnerte mich tatsächlich an die Worte meines Fahrlehrers: »Wenn du die Kontrolle zu verlieren drohst, fixier nicht den einzigen Baum am Straßenrand, sonst wirst du ihn treffen.« Also huschte mein Blick innerhalb von Millisekunden umher. Dabei glaubte ich, noch eine weitere Person am Waldrand stehen zu sehen.

Die Panik, die in den letzten Sekunden in mir aufgestiegen war, war jedoch gar nicht nötig gewesen. Mein Hinterrad brach zwar kurz aus, aber ich hatte den Roller weiter unter Kontrolle und kam leicht schlitternd hinter dem silbernen Mercedes zum Stehen, der nun quer auf dem Mittelstreifen stand. Mein Atem ging keuchend. Das Visier beschlug. Der Motor meines Rollers erstarb, weil meine zitternden Finger versehentlich die Kupplung gelöst hatten.

»Habt ihr euer Hirn im Wald verloren? Oder seid ihr da drin aufgewachsen und keiner hat euch erklärt, dass man nicht auf die Straße rennt?« Ich schimpfte so laut, dass meine Stimme in meinem Helm dröhnte, und öffnete schnell das Visier. Luft. Ich brauchte Luft. Mein Herz drohte meinen Brustkorb zu sprengen. Die Fahrzeugtür des Mercedes öffnete sich. Der Fahrer, ein Typ mit ultrakurzen Haaren und Brille, sprang aus dem Wagen und brüllte ebenfalls Richtung Waldstück auf der anderen Straßenseite. Dabei ruderte er so wild mit den Armen, als würde er jeden Moment abheben wollen.

Was danach geschah, schob sich zu einem einzigen Bild zusammen, das keinen Sinn ergab. Ich drehte mich gerade zu einem quietschenden Geräusch hinter mir um. Die Scheinwerfer eines monströsen SUV erfassten mich und den Roller wie in diesem uralten Horrorfilm mit dem besessenen Auto. Aus den Augenwinkeln nahm ich am Straßenrand erneut diese andere Person wahr, die linke Hand erhoben, aus der gerade ein weißblaues Leuchten hervorbrach. Plötzlich riss etwas an mir – oder hatte mich der SUV so schnell erreicht? – und kurz hatte ich das Gefühl zu fliegen. Im nächsten Moment tat mir der Kopf und so ziemlich jedes andere Körperteil weh und ich schloss die Augen. Das seltsame weißblaue Leuchten verschwand hinter meinen Lidern.

Zu allem Unglück war ich spätestens beim Aufschlag auf das bisschen Grün neben der Straße überzeugt davon, dass die Person mit der leuchtenden Hand Christoph Brand gewesen sein musste.

Ganz offensichtlich hatte ich mir den Kopf ziemlich stark gestoßen.

Die nachfolgenden Momente könnte ich auch gut in einer Serie gesehen haben. Donnernde Schritte. »Geht es dir gut?«

Nicht, wenn du gegen den Helm klopfst, wollte ich antworten, brachte aber kein Wort hervor. Meine Lider flatterten, ich konnte sie nicht kontrollieren, konnte die Augen nicht öffnen.

»Hallo? Ich will einen Unfall melden. Eine verletzte Rollerfahrerin auf der Landstraße im Rotwald, kurz vor Falkhausen.«

Ich hörte die Panik in der Stimme des Mannes, wollte ihn beruhigen, ihm sagen, dass es mir gut ging. Aber tat es das?

»Nein, ich kann den Helm nicht abnehmen. Hier ist niemand sonst.«

Eiskalte Finger schoben sich zwischen meinen Helm und den Kragen meiner Jacke, wühlten sich am Halstuch vorbei und lösten den Verschluss des Kinnriemens. »Ich hab ihn geöffnet. Sie atmet.« Erleichtertes Seufzen. »Ja, ich warte.«

Ich atmete. Also lebte ich. Der Schock war offenbar vorüber, die Erschöpfung holte mich ein, vielleicht dämmerte ich sogar kurz weg, während sich zwei Personen unterhielten und jemand eine Decke über mich warf. Dabei fror ich doch am Rücken. Mein Hintern war bereits zum Eisklotz geworden. Ich schaffte es aber nicht, das auszusprechen. Hände legten sich unter meinen Nacken, stabilisierten das Kinn, während mir jemand anderes den Helm vorsichtig vom Kopf zog und die Welt wieder laut wurde.

Krankenwagensirenen.

Jemand riss mich wortwörtlich aus dem seligen Dämmerzustand, als ich auf die Trage gehoben wurde. Später pikte etwas in meinen Arm – oder vielleicht träumte ich das auch nur? – und ich versank vollends in flauschiger Dunkelheit. Leider wurde sie zu einem Albtraum. Ich sah den Unfall in Endlosschleife, mein angeschlagenes Hirn quoll über vor irrwitzigen Ideen, malte sich alles Mögliche aus.

Ich durchlebte erneut, wie ich die Kontrolle verlor, wie ich flog, noch ehe es einen Aufprall mit dem heranschießenden Fahrzeug gegeben hatte. Und ich hätte auf meine bunten Haare geschworen, dass Christoph Brand mit seiner leuchtenden Hand meine Flugbahn nachzeichnete.

Das nächste Mal erwachte ich, weil ich eine mir wohlbekannte Stimme hörte. Ich wollte Tristan sagen, dass ich wach war, aber offenbar galt das nicht für meinen Körper. Ich konnte mich nicht bewegen, geschweige denn sprechen. Aber hören.

Er war nicht allein hier. Unter das Piepen der Überwachungsmonitore mischte sich noch eine weitere Stimme. Sie stritten sich.

»Verschwinde!« Als beste Freundin war es meine Pflicht, Tristan zur Weißglut zu bringen, aber er hatte in all den Jahren nie derart wütend geklungen. Was er danach sagte, klang so sehr nach einem Zischen, dass ich es nicht verstand. Das lag vermutlich an den Medikamenten. Denn das, was die zweite Stimme antwortete, war nur mit geistiger Umnebelung zu erklären.

»Du hältst mich für eine Dunkelhexe?«

Das war Elas Stimme. Oder? Was machte Tristans Schwarm denn hier?

Ich sammelte alle Energie in meinem Körper, wollte die Augen öffnen, die beiden begrüßen oder den Streit schlichten. Oder zumindest einen klaren Kopf bekommen, damit ich nicht länger vollkommen absurde Dinge hörte. Stattdessen dämmerte ich vor Erschöpfung wieder weg. Einzelne Gesprächsfetzen mischten sich in meinen schrägen Traum, der von dem seltsamen weißblauen Leuchten begleitet wurde, das ständig um Chris herumschwirrte.

»Kerkerzauber … Stiefmutter … Blutmagie … Dunkelhexen-Angriff … Ich bin eine Jägerin.«

Es war offiziell: Ich war high.

Das Piepen übertönte das Zuschlagen einer Tür und zog mich mehr und mehr in den Schlaf.

Als ich das nächste Mal erwachte, war ich noch immer nicht Herrin über meinen Körper. Es war wie in einem gruseligen Film. Mein Gehirn war wach, der Rest von mir schlief.

Dass Tristan immer noch da war, erfuhr ich erst durch sein wütendes »Was wollt ihr hier?«.

Ich hatte keine Tür gehört. Wer war ihr? Verdammt, mach die Augen auf, Mara! Doch alles Fluchen half nichts.

»Tristan Atwood?« Diese Stimme kannte ich nicht. Konzentrier dich, verdammt! Ich strengte mich an, meine Lider zu heben, dann meine Finger zu bewegen, einfach irgendwie auf mich aufmerksam zu machen.

»Der Hohe Rat der Hexengemeinschaft hat erlassen, dass deine Sigille geprüft werden soll.«

Wie bitte?

»Ist das auf deinem Mist gewachsen? Reicht es dir etwa nicht, dass du mich die ganze Zeit verarscht hast?« Tristan. Wenn möglich, klang er noch verärgerter als zuvor. Wieso war er so sauer auf Ela? »Sie hat versucht, meine Sigille erneut hervorzubringen, doch sie ist wie damals nach meinem Initiationsritus verblasst und über Nacht komplett verschwunden … Ach, das hat sie nicht erzählt? Kein Wunder. Sie ist gut im Lügen.«

Ich hätte schwören können, dass sich Enttäuschung in Tristans Wut mischte.

»Sebastien, ich …« Ela sprach jetzt offenbar mit dem Unbekannten. Ich dachte, sie und Tristan wären … ineinander verknallt oder so.

»So oder so muss er offiziell getestet werden. Die Sigille des zweiten Auserwählten wurde im Atwood-Anwesen geortet. Deine Stiefbrüder konnten bereits ausgeschlossen werden. Daher …« Dieser Sebastien sprach nun offenbar wieder mit Tristan. Er hatte zwei Stiefbrüder. Christoph und Noah Brand. Sofort flackerte wieder das Bild des Unfalls in meinem Kopf auf. Ich war mir noch immer sicher, dass Chris währenddessen dort am Waldrand gestanden hatte. Meine Neugier wurde immer größer, ich musste einfach die Augen öffnen! Doch nichts rührte sich, ganz gleich, wie oft mein Kopf den Befehl dazu gab, irgendeinen Muskel zu bewegen. Aber ich sah ein grelles Leuchten jenseits meiner geschlossenen Lider.

Ein Handy klingelte.

»Hallo, Panya.« Was war das denn für ein Name? »In Ordnung.«

Einen Moment später sagte die männliche Stimme, Sebastien: »Wir haben die zweite Auserwählte. Es ist Gloria. Sie befand sich zur besagten Zeit im Zimmer von Noah Brand. Der Junge hat Panya davon unterrichtet, als wir weg waren.«

»Gloria?« Elas Stimme kam einem Quietschen ziemlich nahe.

Ihr Luftschnappen endete abrupt, als Sebastien sie direkt ansprach. »Dein Alleingang hat uns einiges an Zeit und Magie gekostet. Du kannst froh sein, dass wir es noch rechtzeitig geschafft haben. Wir sehen uns beim Ritual.« Nun wandte er sich offenbar an Tristan. »Deine Anwesenheit wird vom Hohen Rat ebenfalls gewünscht. Es ist ein Dekret des Hohen Rates der Hexen. Unumgänglich.«

Ich stellte fest, dass ich Tristan allein an seinen wütenden Schritten erkannte.

»Verfluchte Hexen!«, schimpfte er. Das war neu. Etwas raschelte. Ich zwang erneut meine Augen, sich zu öffnen, oder meinen Mund. Tristan war sauer und ich wollte ihm beistehen. Das war meine heilige Pflicht.

»Was willst du noch hier?«, fragte er nun. Du, nicht ihr. Ich hatte weder Schritte noch die Tür zum Krankenhauszimmer gehört. Erst jetzt hörte ich welche näher kommen. Hätte ich gekonnt, wäre ich vor Schreck zusammengezuckt, als jemand nach meiner Hand griff.

»Ich könnte ihr einen Trank geben. Sie wäre schnell wieder auf den Beinen.« Es war also Ela, die noch da war. Ihre Stimme klang müde.

Moment! Redete sie etwa von mir? Nein! Ich versuchte, meine Hand wegzureißen. Panik kam in mir auf. Mir wurde eiskalt.

»Sie ist keine Wissende, du kannst keine Magie bei ihr wirken.«

»Dieser Heiltrank besteht größtenteils aus natürlichen Komponenten, die schon seit Urzeiten von Menschen verwendet werden. Die Magie beschleunigt den Prozess nur, ich forsche seit Jahren mit den verschiedenen Inhaltsstoffen. Außerdem wurde der Tarnzauber gestern von absolut unwissenden Teenagern durchbrochen. Nur wenige Stunden vor der Erneuerung des Occultatums wirkt die Magie garantiert auch bei Mara.«

Okay. Jetzt war ich mir sicher, dass ich träumte. Den schrägsten Traum aller Zeiten. Das erklärte auch, warum ich mich nicht bewegen konnte. Der Körper deaktiviert beim Träumen die Muskeln im Körper, weil man sich sonst verletzen konnte. Das nennt man Schlafparalyse. Ganz logisch.

Leise Schritte. Eindeutig nicht Tristan. Also saß er neben mir. »Ich muss da ran.«

Meine Hand fiel nach unten. Wie leblos. Ein Stuhl schabte über den Boden. Zarte Finger tasteten über mein Handgelenk. Dann vertrieb Wärme die Eiseskälte. Sie strömte durch meinen Arm hindurch, brachte die Innenseite meiner Lider zum Leuchten. Es tat so gut wie ein warmes Bad nach einem Tag im Schnee. Am liebsten hätte ich geseufzt.

Wieder klingelte ein Handy. Ich hörte es nur noch wie durch meinen Helm. Mein Hirn schloss sich nun wohl wieder dem Rest meines Körpers an, machte den schrägen Albtraum zu einem normalen Traum.

Elas Stimme war weit entfernt. »Alex?«

Alex? Alex Foster? Ach, klar. Sie hatte vom ersten Tag an immer mit Ela, der neuen Austauschschülerin aus Rom, abgehangen. Die Wärme und das weißblaue Leuchten lullten mich immer mehr ein, sodass ich nur noch vereinzelt Gesprächsfetzen mitbekam, bei denen ich nicht sagen konnte, wer gerade sprach.

»Brunnenfiguren … Jäger … Rat informieren … Hexen schützen … Erinnerungen nehmen.«

Geschah das gerade wirklich mit mir? War es doch kein Traum? Ich holte die letzten Kraftreserven aus mir heraus, brachte statt eines Hilferufes jedoch nur ein Seufzen hervor. Ich schaffte es für einen Moment, eine kleine Regung meiner Lippen zustande zu bringen. Doch damit hatte ich meinen Körper verausgabt und ich ergab mich wieder dem Schlaf.

~2~

MARA

Ich fühlte mich schlimmer als nach der Siegesfeier im Parkbad letztes Jahr, als ich Pia leider geglaubt hatte, dass »ein paar Schlucke Sekt« einfach dazugehörten. Das waren ein paar zu viel gewesen und laut Videobeweisen lag es an meinem ausschweifenden Tanz, dass mir am nächsten Tag Muskeln wehtaten, von deren Existenz ich zuvor nicht einmal gewusst hatte.

Ja, mein aktueller Zustand kam dem ziemlich nahe. Nur dass ich nicht getanzt hatte und statt jeder Muskelfaser jeder einzelne Knochen schmerzte, obwohl mir klar war, dass das unmöglich war. Das Gewicht des Medaillons meiner Urgroßmutter Clementine, das ich, seit ich denken konnte, an meiner Halskette trug, fühlte sich mehrere Tonnen schwer an. Ich wollte es loswerden, vielleicht könnte ich dann besser atmen. Doch in dem Zustand zwischen Wachen und Träumen war es mir nicht möglich, es abzulegen.

Ebenso unmöglich wie all das, was mir mein offenbar noch immer angeschwollenes Hirn in meinen Träumen weismachen wollte, die gerade immer weiter verblassten, bis nur noch ein Detail fest in meinem Gehirn verankert blieb: Christoph Brand und sein leuchtender Arm. Gott, warum ausgerechnet er?

Das regelmäßige Piepen, das mich konstant durch meine Träume begleitet hatte, ging auf einmal schneller. Ein schabendes Geräusch neben mir, eine warme Hand, die sich auf meine legte, während ich Mamas Parfüm wahrnahm.

Nur, anstatt mich zu beruhigen, fühlte ich mich … ertappt. Weil sich mein verdammter Puls ausgerechnet beim Gedanken an Chris beschleunigt hatte und diese dumme Maschine es für alle hörbar machte.

»Mama?« Blinzelnd öffnete ich die Augen.

Meine Mutter legte raschelnd eine Zeitung auf den kleinen ausgeklappten Tisch neben meinem Bett und reichte mir meine Brille. Als ich sie aufgesetzt hatte und meine Mutter ansah, erschrak ich so sehr, dass sich das Piepen gleich wieder beschleunigte. Sie sah einfach furchtbar aus. Ihre sonst seidenglatten blonden Haare waren glanzlos und strähnig, ihre Augen waren so dick angeschwollen, dass man ihr sonst so strahlendes Blau kaum mehr sehen konnte. Sie hatte geweint. Meinetwegen. Ich wollte Mama doch nie zum Weinen bringen. Sofort stiegen mir Tränen in die Augen. Verdammt!

»Du bist wach, Schatz.« Sie rutschte näher, scannte mit ihrem Blick Millimeter für Millimeter all meine für sie sichtbaren Körperteile. »Wie fühlst du dich?«

»Total verkatert!«, gab ich zu und erntete dafür ein Stirnrunzeln.

»Ich hab mir solche Sorgen um dich gemacht!« Sie stürzte sich auf mich, drückte mich, quetschte mich so fest, dass ich nur ein Stöhnen hervorbrachte.

»Es ist doch alles halb so schlimm«, behauptete ich wenig überzeugend. Ich wollte ihr keine Sorgen bereiten. Nie! Jetzt war Ablenkung angesagt. »Wann sind Tristan und Ela gegangen? Hast du sie noch getroffen?«

»Ich wusste nicht, dass Tristan hier war. Ich hab ihm gesagt, dass du Ruhe brauchst. Die Ärzte haben …« Sie zog ihre Brauen zusammen und überlegte. »Warst du wach, als er hier war?«

Ich schüttelte den Kopf. Schlechte Idee. Damit hatte ich den letzten Rest wattiges Gefühl vertrieben und einen pochenden Schmerz freigelegt. »Uff.« Mehr gab es dazu nicht zu sagen.

»Kannst du mir eine Cola besorgen?« Flehend sah ich meine Mutter an, die auf meine Bitte hin zumindest ein wenig lächelte.

Flüssige Magie hatten wir sie früher genannt. Denn mit Cola ging es einem immer besser.

»Kommt sofort.« Mama stand auf, um zur Tür zu gehen.

»Hast du mein Handy irgendwo gesehen?«, fragte ich schnell, bevor sie gehen konnte, und sah mich suchend um. Außer den Gerätschaften und dem typischen Nachtschrank mit dem ausklappbaren Tisch neben mir, einem weißen Einbauschrank, einem Fernseher unter der Decke und dem Besucherstuhl war das Zimmer total kahl. Das zarte Gelb ließ mich darüber nachdenken, ob die Wände vergilbt waren oder jemand tatsächlich eine solch miese Farbwahl getroffen hatte. Das breite Fenster gab den Blick auf blauen Himmel und Baumwipfel frei. Ich befand mich definitiv nicht im Erdgeschoss, war aber eindeutig nach hinten zum Schlosspark hin einquartiert.

»Dein Handy ist in der Schublade neben dir. Aber pass auf, falls jemand kommt. Die sind hier sehr streng, was Handys angeht. Die Nachtschwester wollte mir meins wegnehmen.«

Ich lachte. »Ich passe auf.«

»Dann hol ich mal deine Cola. Bis gleich.« Noch ehe ich etwas erwidern konnte, war sie weg und ich suchte nach meinem Handy. Als ich es gefunden hatte, musste ich es erst einmal einschalten. Es dauerte ewig, bis es hochgefahren war, und noch länger, bis sich das Handy ins Netz eingewählt hatte.

Ich erhielt zwei Benachrichtigungen über Anrufe in Abwesenheit. Tristan und eine unbekannte Nummer. Als Erstes musste ich mit Tristan über meine wirren Träume sprechen. Ich wählte seine Nummer, doch es klingelte nicht einmal, da sofort die Mailbox anging. Verdammt. Ich wechselte zum Messenger und schrieb ihm eine Nachricht.

Bitte ruf mich an.

Dringend.

Bis zum nächsten Morgen hatte ich noch immer keine Antwort von ihm. Weitere Anrufe gingen ebenfalls ins Leere. Nur weil diese Woche Stadtjubiläum war und daher kein Unterricht stattfand, brauchte er ja nicht gleich das Handy auszuschalten. Ich hatte inzwischen jedem Blatt der Bäume draußen, die ich vom Bett aus sehen konnte, einen Namen gegeben. Allzu viele waren es allerdings noch nicht. War das normal für Mai? Aus purer Langeweile schossen mir die wildesten Dinge durch den Kopf. Irgendeine Beschäftigung brauchte ich ja schließlich. Mein Duell mit dem EKG und wie ich das Piepen beeinflussen konnte, hatte man heute Morgen nach der Visite unterbunden. Mir ging es so weit gut und ich musste nicht mehr überwacht werden. Die wenigen Programme, die der Fernseher bot, waren eindeutig nicht mein Fall und nach einem Zusammenstoß von Stationsschwester Julia und mir bezüglich meines Handys konnte ich nicht einmal mehr damit Filme oder Serien schauen.

Je länger ich aber zu meinen neuen Freunden draußen sah, desto sicherer war ich mir, dass sich meine Sehkraft wieder einmal verschlechtert hatte.

Mama schneite zur Tür herein und brachte das ersehnte Licht am Ende des Tunnels. Zusammen mit Cola.

»Nach der Visite kannst du mit mir nach Hause!«

Am liebsten wäre ich sofort aus dem Bett gesprungen und hätte einen Freudentanz aufgeführt. Nur leider wusste ich von meinem Kreislaufzusammenbruch im Volleyballcamp damals, wie lange sich so eine Visite hinziehen konnte.

Zu meiner Überraschung klopfte es in diesem Moment an der Tür.

»Fräulein Rothschild«, begrüßte mich Dr.Häußler, der Oberarzt, der mich auch gestern schon besucht hatte. Hinter ihm quoll ein ganzer Pulk Weißkittel in den Raum. Als sich alle um mein Bett herum versammelt hatten, legte Dr.Häußler los: »Mara Rothschild, siebzehn Jahre, hat vor zehn Tagen einen schweren Unfall erlitten. Sie und ihr Roller wurden von einem heranfahrenden SUV erfasst, sie wurde davongeschleudert, hatte aber Glück.«

»Glück?«, ging ich dazwischen. »Mir tut alles weh!«

Dr.Häußler mochte keine Störungen, die Stationsschwester sah mich bitterböse an, zog dann jedoch aus dem Stapel ihrer Unterlagen ein Foto hervor und reichte es herum. Als es bei einer jungen Frau neben mir ankam und ich selbst einen Blick darauf erhaschen konnte, wurde mir übel.

Mein Roller sah aus wie eine Getränkedose, auf die man draufgetreten war. Ich hätte am liebsten direkt losgeheult. Und dazwischen hatte ich gesteckt? Ich sah an mir hinab, ebenso fassungslos wie die Schäfchen von Dr.Häußler.

»Wann, sagten Sie, war dieser Unfall?«, »Hat sie ein Schädelhirntrauma erlitten?«, »Ist die Wirbelsäule intakt?«

Sie warfen mit Diagnosen um sich, die jeden Hypochonder in Totenstarre versetzt hätten, während Dr.Häußler meine Lunge abhörte und mich dafür vor der versammelten Mannschaft halb entblößte. Was für einen schockierten Ausruf eines jungen Arztes neben mir sorgte: »Sie hat keinerlei Hämatome!«

»Gut erkannt. Glücklicherweise wurde sie auf den schmalen Grasstreifen neben der Straße geschleudert und ist weich genug gefallen. Der Helm hat ihr vermutlich das Leben gerettet.«

In meinem Kopf malten seine Worte einen kurzen Comicstrip. Strichmännchen-Mara fährt Roller. Mara bremst. SUV kommt. Mara fliegt, schlägt auf. Doch leider steht sogar in dem Comic Strichmännchen-Chris an der Straßenseite und folgt mit blauem Strichmännchen-Arm meiner Flugbahn.

Dämliche Langeweile. Ich griff nach meinem Medaillon und nestelte daran herum.

Meine Mutter hatte sich mitsamt dem Besucherstuhl ans Fenster verdrückt. Ihre Augen huschten hin und her, als sähe auch sie den schrägen Comic vor sich.

Ich litt eindeutig an einem Krankenhauskoller. Das musste es sein. So reimte ich mir alles zusammen. Na ja, alles bis auf … »Ich glaube, ich sehe aktuell schlechter«, sagte ich zu Dr.Häußler, der sofort zu der Stationsschwester sah, die das fleißig in meiner Akte notierte, und dann die junge Frau neben mir um eine Diagnose bat. Sie ratterte monoton herunter: »Bei einem Schädelhirntrauma kann vorübergehend auch die Sehfähigkeit beeinträchtigt sein. Schon kleinste Druckveränderungen auf den Sehnerv können schwere Auswirkungen haben.«

Das Mutmachen sollte die Frau aber noch üben!

»Keine Sorge«, ging Dr.Häußler gleich dazwischen. »Binnen kürzester Zeit werden Sie wieder normal sehen können.« Er warf der jungen Assistenzärztin einen finsteren Blick zu. Oh, oh. Jetzt tat sie mir leid. Trotzdem leuchtete er mir noch mit seiner kleinen Taschenlampe in die Augen und nickte anschließend zufrieden.

»Weil Ihr Fall so besonders und anschaulich ist, würden wir Sie gerne zur Nachuntersuchung hierherbestellen und nicht an Ihren Hausarzt überweisen. Ist das für Sie in Ordnung?« Ich sah zu Mama, die nickte, also murmelte ich eine Zusage.

»Sie erhalten den Termin dann von Schwester Julia. Bis bald, Mara.«

Na, hoffentlich durfte ich den Termin dann in mein Handy eintragen, ohne dass es mir die Giftspritze wegnahm. So wie sie mich aktuell über den Rand ihrer Brille hinweg anstarrte, wartete sie nur auf eine solche Gelegenheit. Ich schluckte. Aber was man nicht alles tat, wenn man dafür die eigene Freiheit in Aussicht gestellt bekam.

Während Mama meinen Termin vereinbarte, zog ich mich um, packte meine Sachen und war schon fast mit der Verabschiedung all meiner neuen Freunde jenseits des Fensters fertig, als sie endlich zurückkam.

Wir sprachen auf dem Weg zum Parkplatz kein Wort. Was sehr ungewöhnlich war. Mama kaute ständig auf der Innenseite ihrer Wange herum, als wäre die ein Kaugummi, und ihre Brauen waren unentwegt zusammengezogen. Hin und wieder warf sie mir einen verstohlenen Blick von der Seite zu, der in mir ein seltsam beklemmendes Gefühl hervorrief.

»Kannst du mich vielleicht bei Tristan absetzen?«, fragte ich, weil Tristan immer noch nicht erreichbar war – und leider zu weit außerhalb wohnte, um mal eben hinzulaufen. Wie die Busse an den freien Tagen fuhren, wusste ich nicht. Den Grund, warum ich ihren Taxidienst in Anspruch nehmen musste, sprach ich natürlich nicht aus. Dass mein wunderhübscher quietschgelber Roller gestorben war. Zerquetscht wie eine Coladose.

»Und wie kommst du zurück? Zu Fuß?«

»Es fahren auch Busse.« Ich hielt das Handy hoch, auf dem ich inzwischen die App des Nahverkehrsverbunds geöffnet hatte. »Zwar nicht oft, aber zumindest hin und wieder.« Das beschrieb den gesamten Fahrplan auch sonst ziemlich gut.

»Du bist ganz frisch aus dem Krankenhaus entlassen …«, begann Mama zu diskutieren.

»Du sagst es: Ich wurde entlassen. Das heißt, mir geht es gut.«

Mama stieß ein tiefes Seufzen aus, startete den Motor und wir fuhren tatsächlich in Richtung alter Stadtkern, vorbei an den letzten Fachwerkhäuschen und alten Höfen, die inzwischen nicht mehr am Stadtrand lagen, sondern so ziemlich in der Mitte, bis wir weit außerhalb an der Zufahrt zum Grundstück der Brands ankamen. Mama hielt am Straßenrand.

»Kannst du von hier aus laufen? Ich hab noch etwas zu erledigen.« Sie wirkte gehetzt. Hatte sie etwa meinetwegen einen Termin verpasst?

»Na klar. Danke fürs Fahren.« Ich stieg schnell aus. »Soll ich dich später abholen?«, fragte Mama noch, ehe ich die Fahrzeugtür geschlossen hatte.

»Das ist nicht nötig.«

»Ganz sicher?« Mama schien wahnsinnig beunruhigt.

»Ganz sicher«, bestätigte ich, schlug die Tür zu, ehe Mama noch etwas erwidern konnte, und machte mich auf den Weg zu dem alten Herrenhaus, das ich schon seit Ewigkeiten nicht mehr betreten hatte. Tristan kam eigentlich immer mit zu mir, weil ihm jede Verschnaufpause von seinen Brüdern und seiner Stiefmutter recht war. Wäre er an sein verdammtes Handy gegangen, hätte ich ihn auch zu mir eingeladen – aber der Herr machte offenbar einen auf wichtig.

Ich drückte die Türklingel und ein Bellen erklang. Roger. Ihn hatte ich auch ewig nicht mehr gesehen. Kurz darauf wurde die Tür geöffnet und ich sah mich Tristans Stiefbruder Chris gegenüber. Sofort wurde ich wieder in meinen seltsamen Traum zurückkatapultiert.

~3~

CHRIS

Fremde Magie gleicht statischer Elektrizität. Die Luft um mich herum surrte und kribbelte. Ich war gerade dabei, mir einen Proteinshake zuzubereiten, da stellten sich die Härchen auf meinen Unterarmen auf. Ich ließ den Knopf des elektrischen Mixers los und wartete auf das Unvermeidliche. Das Geschirrtuch am Haken neben der Spüle flatterte in einer leichten Brise, die im bläulichen Weiß der Magie leuchtete. Der Zauber kam näher und erfasste mich. Im nächsten Moment hielt ich bereits eine altmodische Schriftrolle in den Händen, die jahrhundertealt aussah und doch brandneu war.

Auch wenn ich wusste, was drinstand, war es mir unmöglich, das Siegel nicht zu brechen und zu lesen. Der Zauber darin würde sich mir aufzwingen, wenn ich es nicht freiwillig tat. Was sowohl schmerzhaft sein als auch Konsequenzen haben würde. Konsequenzen, die ich mir derzeit nicht leisten konnte.

Also entrollte ich das Schriftstück wie ein Herold aus dem Mittelalter und las Wort für Wort, welchen Verbrechens ich angeklagt wurde.

Verkündung

Der Hohe Rat der Hexen wirft dem Junghexer Christoph Brand vor, das Gesetz zum Schutz vor Enttarnung in mehreren Punkten wissentlich missachtet zu haben.

Der ausführliche Tatverlauf ist unter AZ: 669/7428 via Transferzauber abrufbar.

Das Tribunal findet am 12.Mai um 16Uhr statt.

Bitte tragen Sie Sorge dafür, dass bei Anreise keine Gesetze des Hohen Rates, insbesondere §9, Sigillenfährten unter Beisein von Unwissenden, gebrochen werden.

Bewahre das Erbe. Bewahre die Tradition.

gez. Adelaine Mansfield

Ich fragte mich gerade, wer Adelaine Mansfield war, da verschwammen die Buchstaben und glitten über die Seite nach unten. Während die Tinte in meine Finger kroch, denen es noch immer unmöglich war, das Papier loszulassen, erschien auf dem nun leeren Pergament ein Imagini. Ich sah Bild für Bild meine Tat des 29.April vor mir. Ein Ultra-HD-Video auf vergilbtem Pergament, entstanden unter Anwendung eines Transkriptionszaubers aus einer heraufbeschworenen Vision der Auguren. Die Hexenversion einer Überwachungskamera – wann und wo auch immer sie nötig war. Wenn solch schwere Geschütze aufgefahren wurden, handelte es sich nicht um ein Bagatelldelikt. Die drei Auguren hatten schließlich Besseres zu tun. Beispielsweise, meinen geflohenen Bruder und seine neue Freundin Gloria zu suchen.

Dennoch musste ich nun mit ansehen, wie ich aktiv mit Magie in den natürlichen Verlauf der Menschenwelt eingegriffen hatte.

Die Straße, die durch das kleine Waldstück außerhalb von Falkhausen führte, lag fast vollkommen im Dunkeln. Ein silberner Mercedes stand quer auf dem Mittelstreifen. Der Fahrer war ausgestiegen und gestikulierte zur anderen Seite der Straße. Hinter dem Auto stand ein gelber Roller. Seine Fahrerin trug noch ihren Helm, hatte das Visier jedoch hochgeklappt. Unter dem Helm lugten ein paar Haarsträhnen hervor. Knallrot. Rosa. Grün.

Ein Scheinwerfer durchschnitt die Dunkelheit. Ein SUV raste direkt auf den Roller und den Mercedes zu. Am Waldrand blitzte ein Zauber auf. Im bläulich weißen Schimmer des Zaubers, der sich in meiner Sigille formte, war mein Gesicht wunderbar zu erkennen. Meine Magie peitschte nach vorne, griff nach dem Mädchen mit Helm und umschlang es wie ein Lasso. Ich zog meine Hand zurück und Mara wurde auf den schmalen Seitenstreifen zwischen Straße und Wald geschleudert. In dem Moment krachte der SUV in den Mercedes. Der gelbe Roller war nicht einmal mehr zu erkennen.

Meine Fingerspitzen waren inzwischen schwarz gefärbt, die magische Tinte folgte den Adern und kroch über den Handrücken zu meinem Handgelenk, wo sich Datum und Uhrzeit des Tribunals direkt neben meiner Sigille einbrannten, ehe der Text in meiner Haut versickerte. Wenige Sekunden vor dem genannten Zeitpunkt würde mich ein Zauber in den unterirdischen Ratssaal des Hohen Rates der Hexen holen – ob ich wollte oder nicht.

Und das alles nur, weil ich ein Mädchen gerettet hatte, das ich nicht einmal ausstehen konnte. Keine Ahnung, was mich da geritten hatte.

Die Türglocke zog mich von der magischen in die reale Welt zurück. Rogers aufgeregtes Bellen hallte durch das Atrium. Er sprang vor der Tür auf und ab und wedelte mit dem Schwanz, als würde sein Herrchen dahinter stehen.

»Roger, aus«, befahl ich, doch natürlich hörte das Tier nicht auf mich. Bis letzte Woche war ich immer instinktiv vor dem winzigen Yorkshireterrier zurückgewichen. Meine Magie hatte den Hämatit gespürt, aus dem sein Halsband bestand und der dafür gesorgt hatte, dass mein Stiefbruder Tristan nie hatte Magie wirken können, für untalentiert befunden worden war. Es wurde vermutet, dass Noah – mein leiblicher Bruder – dafür verantwortlich war, weil er mit der Dunkelhexe Gloria Mescinia unter einer Decke steckte. Ich zweifelte daran, aber natürlich schob man demjenigen alles in die Schuhe, der sich nicht verteidigen konnte. Seit dem Walpurgisritual war mein kleiner Bruder auf der Flucht und selbst für die Auguren oder die Jäger, die Elitekämpfer des Rates, unauffindbar.

Es klingelte erneut, Roger setzte zu einer weiteren Bellorgie an, bis ich endlich die Tür öffnete. Der Kleine stürmte nach draußen und stürzte sich auf Mara.

Mein Blick streifte von der Stelle, an der eben noch das Datum für das Dekret eingesickert war, zu der Person vor mir, die für genau dieses Tribunal verantwortlich war.

Sie hatte den Mund leicht geöffnet, sagte jedoch nichts. Haarsträhnen in allen Farben des Regenbogens flatterten um ihr bleiches Gesicht herum und verfingen sich in ihrer Brille. Sie zupfte sie gerade heraus, als ich es nicht mehr aushielt und fragte: »Wie kann ich dir helfen?« Ich bemühte mich, den Ärger, den sie mir eingebracht hatte, nicht in meine Worte zu packen. Keine Ahnung, ob es mir gelang.

»Du garantiert gar nicht«, war ihre bissige Antwort. Sie sah jedoch schnell zur Seite, ging dann in die Hocke und kraulte Roger. Wenn ich es nicht besser gewusst hätte, hätte ich sie als verlegen beschrieben. Aber Mara war nie verlegen. Eher im Gegenteil.

Ich ballte meine Hände zu Fäusten. Sie war wirklich der letzte Mensch, den ich gerade gebrauchen konnte. Ein falsches Wort und meine Strafe beim Tribunal würde noch höher ausfallen.

»Ich will zu Tristan. Er geht nicht an sein Handy.« Sie sah kurz zu mir hoch, während Roger zwischen ihren Beinen herumschoss.

»Er ist nicht da.« Ich wollte die Tür wieder schließen, doch Mara sprang auf und schob ihre Hand in den Spalt. War sie verrückt geworden? Lebensmüde? Ich hätte sie zerquetschen können!

Nein, das hättest du nicht zugelassen, flüsterte eine Stimme in mir. Ebenso wenig, wie du es zugelassen hast, dass sie bei dem Unfall zerquetscht wird.

»Wo ist er denn?«

»Mit Ela in Rom.« Die Worte kamen mir so schnell über die Lippen, dass ich sie nicht zurückhalten konnte. Wenn möglich, erbleichte Mara noch mehr.

»In Rom?«

Ich verfluchte mich innerlich, nickte dann jedoch, ehe ich ein »bei Elas Familie« nachschob. Ich konnte ihr die Enttäuschung ansehen. Wie musste es für sie auch aussehen? Sie hat einen Unfall, und als sie aufwacht, ist ihr bester Freund mit seiner Freundin in Rom.

Klasse gemacht, Tristan. Er hätte ihr wenigstens eine Nachricht hinterlassen können. Wobei … Was hätte er ihr schreiben sollen? Ein »Ela und ich wurden beim Walpurgisritual angegriffen und sie ist in ein magisches Koma gefallen, aus dem sie vielleicht nie wieder aufwacht. Ich muss bei ihr sein, weil unsere Verbindung sie vielleicht heilt« klang für Unwissende nicht nur nach der dämlichsten Ausrede der Welt, sondern wäre ebenso verboten wie mein Eingriff zur Rettung ihres Lebens.

Auch ich konnte Mara ja wohl schlecht erklären, dass sich Ela von ihrem Beinahetod beim Walpurgisritual erholen musste – einem Ritual, für das ihr eigentlich prophezeit worden war, dabei zu sterben, und das nur dank Tristan überhaupt durchgeführt werden konnte. Ohne die beiden wäre die Hexenwelt im Chaos versunken, weil jeder Mensch gewirkte Magie hätte sehen können.

Also schwieg ich und beobachtete, wie Maras Ausdruck von Enttäuschung zu etwas anderem wechselte. Sie kaute erst auf ihrer Unterlippe herum, runzelte dann die Stirn, ehe Entschlossenheit auf ihre Züge trat.

Sie kam einen Schritt näher, stand nun im Türrahmen und sah mir fest in die Augen, während Roger unentwegt an ihren Beinen hochsprang.

»Gibt’s noch was?« Ich setzte meinen arrogantesten Tonfall ein, aber natürlich glitt der an Mara ab wie an einem Schutzpanzer. Wie immer. Ich seufzte.

»Wenn Tristan nicht da ist, muss ich mit dir sprechen.« Sie kam noch einen Schritt näher. So nah, dass ich hinter ihren Brillengläsern zum ersten Mal die verschiedenen Grünschattierungen ihrer Augen erkannte. Der äußerste Ring war waldgrün und floss dann aquarellartig in ein Moosgrün über. Ich konnte mich genau daran erinnern, wie wir Mara als Kinder immer wegen ihrer Froschaugen aufgezogen hatten.

Warum musste ich ausgerechnet jetzt daran denken? Mein Hals wurde trocken und ich räusperte mich, ehe ich den Mund öffnete. »Wir haben nichts zu besprechen, Einhornhaar.«

Ich musste sie loswerden.

»Oh doch, das haben wir.« Sie legte eine Hand auf meine Brust und schob mich nach hinten. Für den Bruchteil einer Sekunde, den Moment der Berührung, hätte ich schwören können, ein kurzes Aufleuchten am unteren Rand meines Sichtfeldes zu sehen.

Schnell trat ich von ihr zurück und verschränkte die Arme vor der Brust.

»Mein Eiweißshake wird zu dickflüssig. Also beeil dich«, sagte ich herausfordernd.

»Ich hab von dir geträumt.«

Okay. Das hatte ich jetzt nicht erwartet. Ich kniff die Augen zusammen.

»Immer und immer wieder sehe ich die Nacht meines Unfalls vor mir.«

Oh, oh. Ich bohrte meine Fingerspitzen in meine Arme, um meine lässige Haltung weiter beizubehalten. Sie hatte mich gesehen? Wie war das möglich? Und wie hatte sie sich der Kontrolle der Hexen entzogen? Bei einem so folgenschweren Eingriff mit Magie wurde eigentlich das Säuberungsteam der Jäger losgeschickt, um Erinnerungen zu manipulieren.

Sie durfte sich gar nicht erinnern. Es war einfach unmöglich.

»Du warst da«, sagte Mara nun eindringlich. »Ich hab dich gesehen. Am Waldrand.« Ihr Blick huschte hin und her, dann richtete sie ihn jedoch wieder starr auf mich. »Du hast mir das Leben gerettet.«

Wie gerne hätte ich dafür gesorgt, dass sie mir bis ans Ende ihrer Tage dankbar sein musste, anstatt dafür vor ein Tribunal gestellt zu werden. Aber sollte ich sie auch nur irgendwie in Richtung Magie stoßen, würde mein Besuch vor dem Hohen Rat garantiert mit mindestens einmonatiger Magiesperre enden. Ich wäre erledigt. Daher grub ich so tief wie möglich in mir, um den Chris zu finden, den ich brauchte. Es war nicht so einfach, nach den Geschehnissen der letzten Tage diese Maske aufzusetzen, die ich gemeinsam mit Noah entwickelt hatte, aber ich schaffte es.

Ich zwang meinen rechten Mundwinkel zu einem schiefen Grinsen. Noah und ich hatten das vor dem Spiegel geübt, bis es auch ohne Magie auf Abruf geklappt hatte. Ich dachte an das Funkeln in meinen Augen, das die Mädchen immer alle aufseufzen – und alles Unerklärliche wie versehentlich beobachtete Zauber vergessen – ließ, und es gehorchte meinem Willen.

Nur leider war Mara nicht wie alle Mädchen und legte nur den Kopf schief, sodass es aussah, als klebte ihr Kopf an einem Regenbogen fest. Es irritierte mich. Sie irritierte mich. Also spulte ich schnell mein Programm ab.

»Du bist nicht die Einzige, die von mir träumt. Du musst dich wohl hinten anstellen.«

Sie verdrehte die Augen.

»Und du solltest dringend was gegen die Einhornkotze auf deinem Kopf machen. Ich kann dir gerne etwas dagegen empfehlen.« Ein bitterer Geschmack legte sich auf meine Zunge. Ich schluckte und schluckte, wurde ihn aber nicht los.

Ausgerechnet wenn man die stichelige Seite aus Mara herauskitzeln wollte, ging sie nicht darauf ein.

»Ich weiß, dass du dort warst. Und ich werde es beweisen.«

»Ich sehe gerne in meinem Terminkalender nach, wann ich dich wieder in deinen Träumen besuchen kann. Aber die Liste ist lang.« Es klang nicht annähernd so herausfordernd wie geplant. Stattdessen klebte mir meine Zunge bei jedem Wort am Gaumen fest. Roger bettelte inzwischen mit kurzem Bellen um Maras Aufmerksamkeit. Weil sie nicht reagierte, kam er zu mir und sprang an meinem Bein hoch.

»Ich spreche nicht von dem Traum, du selbstverliebter Idiot. Du warst am Unfallort. Du hast irgendwas mit mir … gemacht.«

Ich hob meine Augenbrauen und legte ein Grinsen auf.

»Wenn ich irgendwas mit dir gemacht hätte, wüsstest du das. Glaub mir.« Ich ging auf sie zu, sie wich zurück.

Als immer mehr Röte in ihre Wangen stieg, musste ich wirklich lächeln. Mara stand nun endlich wieder außerhalb des Hauses.

»Ich richte Tristan aus, dass du da warst.«

Wie ein kleines Kind schlug ich ihr die Tür vor der Nase zu und atmete erst einmal tief durch. Leider amüsierte es mich kein Stück, wie sie draußen tobte und mich verfluchte. Ich konnte nur froh sein, dass sie keine Hexe war, die alles, was sie sagte, vielleicht auf das Hexenrad übertragen, eine Sigille visualisieren und dadurch möglicherweise wahr werden lassen könnte. Sonst würde ich bald ein sehr, sehr trauriges und einsames Leben führen.

»War das nicht Tristans kleine Freundin?«

Bei Mamas Stimme richtete ich mich sofort wieder auf. Sie kam aus dem Wohnzimmer, Saphir auf dem Arm, die sich beim Anblick von Roger, der direkt zu meinen Füßen saß, aufrichtete und ihn misstrauisch beäugte.

Bis zur Entdeckung des Hämatits an Rogers Halsband hatte Saphir den kleinen Yorkshireterrier immer angefaucht und attackiert. Sie war eine typische Hexenkatze, wie sie seit Jahrhunderten ihre Frauchen beschützten. Nur hatte von uns keiner gecheckt, dass sie uns nicht vor dem Hund, sondern vor dem Hämatit gewarnt hatte.

»Und? Was wollte die Kleine, die dich ins Unglück gestürzt hat?«

»Nicht schon wieder«, jammerte ich. »Ich hab freiwillig eingegriffen. Hätte ich zusehen sollen, wie Noah und Gloria den Tod von Tristans bester Freundin zu verantworten haben?«

Unter Mutters stechendem Blick war ich mit einem Mal wieder zehn Jahre alt. »Er steht nicht vor dem Tribunal, sondern du. War das vorhin das Dekret? Ich habe Magie gespürt.«

Ich nickte nur und hob beiläufig meinen Arm, als könnte man darauf noch etwas sehen. »Der Imagini zeigt den perfekten Moment. Kein Stück von Gloria und Noah, wie sie die beiden Unwissenden gejagt haben und überhaupt erst dafür gesorgt haben. Wenn ich nur Noah in die Finger kriege …«

»Es ist nicht seine Schuld. Diese Gloria hat ihn verhext. Sie ist die Erbin einer der mächtigsten Hexendynastien und dazu noch eine Bluthexe. Sie hat mir mein Baby genommen und ich werde sie dafür büßen lassen.« Saphir jaulte auf, weil Mama sie offenbar zu fest gedrückt hatte.

Ich sagte nichts zu ihren Anschuldigungen Gloria gegenüber. Ich kannte Noahs fiese Seite seit Jahren, hatte sie nur nicht wahrhaben wollen, genau wie Mama. Es war nur eine Frage der Zeit und der Gelegenheit gewesen, dass er sich zur Dunkelheit bekannte. Hätte ich es früher erkannt, wäre so einiges anders gelaufen.

Ich schnappte mir meine Jacke und wandte mich zur Tür um. Ich sollte mit Mara sprechen. Sie konnte nichts dafür, dass sie mich im falschen Moment erwischt hatte.

»Wo willst du hin?« Mama wartete nicht auf meine Antwort, sondern riss mir die Jacke aus der Hand. Saphir fauchte, sprang aus ihren Armen und verschwand mit erhobenem Schwanz. »Es ist zu gefährlich dort draußen. Hier bist du geschützt.«

»Ich werde in ein paar Tagen siebzehn und bin ein Hexer. Mir passiert dort draußen schon nichts.« Ich hob meinen linken Arm und ließ einen Hauch Magie hineinfließen, um meine Sigille aufleuchten zu lassen. Nur für den Fall, dass sie es vergessen hatte.

»Wage es nicht, meine Anweisung zu missachten.« Ein Schimmer von Magie kroch nun auch von ihrer Sigille aus über den glänzenden Marmor am Boden und weiter die Tür hinauf.

Nicht wagen und nicht können waren unterschiedliche Dinge. Hätte ich Noah nicht schon mit jeder Faser meines Körpers für das gehasst, was er getan hatte, dann hätte ich ihn dafür verflucht, dass er aus unserer Mutter eine Helikopterhexe gemacht hatte.

~4~

CHRIS

Es dauerte den halben Samstag, bis ich es endlich schaffte, die Barriere, die meine Mutter ums Haus gelegt hatte, zu durchbrechen. Der schwierigste Teil war das eingehexte Alarmsystem gewesen. Carina Brand hätte eine perfekte Kerkermeisterin abgegeben. Aber sie hatte mich auch ausgebildet – ich hatte also von der Besten gelernt.